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Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende

[643] Kapitel 12: Schlußbetrachtung1
General der Infanterie Hans v. Zwehl

Deutschland trat mit unzureichenden Mitteln in den Weltkrieg, unzureichend in Rücksicht auf die Kräfte seiner Gegner, wie in bezug auf die eigenen Ausnutzungsmöglichkeiten. Selbst die Heeresvorlage von 1913 hatte weder den Bestand an Diensttauglichen zur Einstellung ausgeschöpft, noch mancherlei Mängel in der Bereitstellung von Kriegsmaterial, namentlich an Munition, beseitigt. Das deutsche Feldgeschütz war dem französischen unterlegen. Selbst für die verfügbare Zahl der im Frieden Ausgebildeten, geschweige für die große Zahl von Neuformationen, waren Bekleidung und Ausrüstung nicht in vollem Umfange vorhanden. - Trotzdem kann man die deutsche Armee, auch wenn man die ihr wie allem Menschenwerk anhaftenden Unvollkommenheiten klaren Auges erkennt, als die beste der Welt, vielleicht seit der Zeit der römischen Legionen ansehen, - aber sie war der Zahl nach bei Kriegsbeginn zu schwach. Die sofort mit allem Nachdruck betriebenen Neubildungen konnten diese Schwäche nur mildern, nicht aufheben. - Zur richtigen Beurteilung der Deutschland drohenden Gefahren hatte es der außenpolitischen Leitung des Staates an Scharfsinn und Entschlußkraft, dem zum Gebrauch der deutschen Streitkräfte berufenen Generalstabschef an Kampflust gefehlt, um auf angemessene Entwicklung des Heeres zu dringen. Die Scheu, dem wenig gebelustigen Reichstag gegenüber parlamentarische Kämpfe durchzuführen, überwog.

Der österreichische Bundesgenosse hatte seine Wehrkraft noch weniger der Bevölkerungszahl entsprechend entwickelt. Die Beschaffung an Kriegsmaterial war so dürftig, daß schon bei Kriegsbeginn von Deutschland Aushilfen erbeten werden mußten. Während des Kriegsverlaufs hat es nie aufgehört, Deutschland hat den Wünschen reichlich entsprochen. - Die Nationalitätengegensätze, vor allem in den Truppen, aber auch in dem Offizierskorps, namentlich des Beurlaubtenstandes, traten - besonders bei schwierigen Lagen - in einer hohe Leistungen ausschließenden Form hervor. Trotzdem hat die k. u. k. Monarchie eine weit über Erwarten große Widerstandskraft bewiesen. Truppen mit deutschem oder ungarischem Ersatz haben vielfach Vorzügliches geleistet. Die alt- [644] ehrwürdige Gestalt des Kaisers Franz Joseph hielt den Staat zusammen. Erst die treulose Politik des von seiner Gemahlin beherrschten Kaisers Karl betrat zum völligen Zusammenbruch führende Wege.

Die Bulgaren und Türken waren zunächst vom besten Willen beseelt, aber in ihren kriegerischen Leistungen durch vorangegangene mehrjährige Kämpfe und politische Wirren erheblich gemindert. -

Nach dem Beispiel der meisten Koalitionskriege bestand kein gemeinsamer Oberbefehl. Die Unmöglichkeit, ihn durchzusetzen, mag vor Verhandlungen darüber zurückgeschreckt haben. In verschiedenen Stadien des Krieges trat ein oft scharfer Widerstreit der Meinungen zwischen den Heeresleitungen der beiden Hauptmächte hervor. Über die ersten Operationen war nur beschlossen und Österreich darüber unterrichtet, daß Deutschland mit seinen Hauptstreitkräften eine schnelle Entscheidung in Frankreich suchen und dann seine schwächeren Kräfte im Osten nachdrücklich unterstützen würde. Waren die dafür dem Bundesgenossen gegebenen Zusagen Deutschlands auch elastischer Art, so hat sich der deutsche Generalstabschef über den Zeitpunkt, wann er starke Kräfte von West nach Ost bringen könnte, in zu optimistischen Auffassungen bewegt.

Der deutsche Aufmarsch hatte den rechten Heeresflügel an der Westfront für seine entscheidende Operation nicht genügend stark gemacht. Irrige Ansichten über die Notwendigkeit und die Art des Schutzes von Süddeutschland führten zu einer nicht gebotenen Ansammlung starker Kräfte im Elsaß und südlichen Lothringen. Versäumt wurde vor allem, wenigstens nach Abwehr des französischen Angriffs sogleich mehrere Korps vom linken nach dem rechten Flügel zu bringen, wozu die Vorbereitungen getroffen waren; es wurden sogar vorzeitig zwei Korps vom entscheidenden Flügel nach dem Osten verschoben. Noch mehr: neben der Offensive des deutschen Nordflügels sollte der Südflügel die als sehr stark bekannte französische Front an Mosel und Maas durchbrechen. Es führte zu verlustreichen, erfolglosen Kämpfen, während der rechte Flügel, für seine Aufgabe an sich zu schwach, im weiteren Vorgehen, zu unvermeidlichen Nebenaufgaben Kräfte abgeben mußte, immer mehr abbröckelte und schließlich aus den verschiedensten Gründen in eine rückgängige Bewegung verwickelt wurde, die sich auf die ganze deutsche Front von Verdun bis zum Ourcq ausdehnte.

Der französische Aufmarsch trug der deutschen Umfassung ungenügend Rechnung. Obgleich kein Zweifel darüber bestand, daß die Umfassung des Nordflügels angestrebt werden würde, fehlte der Front sowohl die nötige Entwicklung als die Staffelung stärkerer rückwärtiger Kräfte. Die Offensive aus der Mitte der Front durch Belgisch-Luxemburg schlug fehl, der Vorstoß mit schwächeren Kräften in das Oberelsaß verpuffte wirkungslos. Höhere Führer genügten in großem Umfang den Anforderungen nicht; die Überlegenheit der deutschen schweren Artillerie war augenfällig und bedeutungsvoll. Trotzdem gelang es der französischen Heeresleitung, den linken Flügel so zu verstärken, daß die Fehler der [645] deutschen Führung noch rechtzeitig ausgenutzt werden konnten. Durch eine Kette von glücklichen Zufällen war es der französischen Heeresleitung gelungen, einen großen, in den Folgen nicht sofort übersehbaren Umschwung in der allgemeinen Lage hervorzubringen. -

An der deutschen Ostfront gelang nach einer rückwärtigen Bewegung ein entscheidender Schlag durch ebenso kühne wie geniale Ausnutzung der inneren Linie. Der schon in Ostpreußen eingedrungene Gegner wurde teils vernichtet, teils vertrieben.

Die k. u. k. österreichisch-ungarische Armee hatte eine Doppeloffensive einmal gegen das äußerlich als Friedensbrecher erscheinende Serbien und gleichzeitig gegen Rußland angesetzt. Gegen Serbien konnte nur eine ungefähr an Zahl ebenbürtige Armee aufgebracht werden, die aber im schwierigen Gelände nicht allein keine Erfolge erzielen konnte, sondern an ihrer Aufgabe Schiffbruch litt. Gegen den russischen Koloß, dessen völlige Kriegsbereitschaft und vollendeter Aufmarsch überraschten, verlief es nicht anders. Auch hier wurden die Österreicher in eine empfindliche Niederlage verwickelt, die auch durch die aus Ostpreußen herangeführten deutschen Kräfte nicht mehr abgewendet werden konnte. Es gelang aber diesen, unter geschickter Umgruppierung der Armeen, wobei die Österreicher den örtlichen Schutz des industriell bedeutungsvollen Oberschlesiens übernahmen, der anscheinend unaufhaltsam sich vorbewegenden russischen "Dampfwalze" durch einen strategischen Flankenstoß Halt zu gebieten. Nicht mehr; denn die deutsche, längs der Weichsel von Nordost nach Südost geführte Offensive sah sich im entscheidenden Augenblick durch zurückgehaltene und noch eben rechtzeitig herangezogene russische Kräfte umfaßt und hart bedrängt. Nur die ausgezeichnete Haltung der Truppen und Führer ermöglichte es, eine deutsche Niederlage zu vermeiden.

Der große Plan im Westen, die Franzosen und Engländer entscheidend zu schlagen und dann mit starken Kräften die Russen zu bedrängen, war in den Händen der ersten deutschen Obersten Heeresleitung zerbrochen, in der Anlage verwässert, in der Durchführung nicht wieder in das richtige Gleis gebracht, obgleich dazu die Möglichkeit gegeben war. Daß in österreichischen Kreisen die verspätete und nicht ausreichende Unterstützung mit Unmut empfunden wurde, ist erklärlich; immerhin hatten doch die Deutschen in den ersten Monaten des Krieges zwölf russische Korps teils vernichtet, teils stark geschädigt. Österreich hätte das mehr anerkennen sollen.

Als am 14. September der General v. Falkenhayn eine schlimme Erbschaft antrat, hat er die Frage, ob er zunächst weiter im Westen die Entscheidung erstreben könne, bejaht. Mit Recht; nicht nur aus Gründen des militärischen Prestige, sondern weil es entscheidend war, das wertvolle Nordfrankreich und Belgien dem Gegner zu entziehen, es der eigenen Kriegführung nutzbar zu machen und das Kampfgebiet von der deutschen Grenze möglichst weit abzuhalten. Es [646] kam nur auf die Entscheidung darüber an, ob das Kampffeld der neuformierten Armeekorps in dem schwierigen, für schnelle Erfolge ungeeigneten Flandern zur Umfassung oder weiter südlich in der Pikardie gewählt werden sollte. Die Durchführung des Umfassungsplanes in Flandern scheiterte, so nahe sie auch dem Erfolge war, an den Schwierigkeiten des Geländes und an nicht zureichender kampftechnischer Durchbildung der dazu verwendeten Truppen. - Viel edles Blut der in Begeisterung für Deutschlands Ehre zu den Waffen geeilten Freiwilligen aller Berufe und Stände, vor allem der deutschen Hochschüler, ist dabei geflossen. So schmerzlich es ist, der Feldherr durfte sich nicht durch diese Möglichkeit in seinen Entschließungen beeinflussen lassen. - Eine nachträgliche Betrachtung kann aber die Frage nicht zurückhalten, ob es nicht vorteilhafter gewesen wäre, alle im Herbste neuformierten Korps im Westen zur Entscheidung einzusetzen, um die Front bis an die untere Somme vorzutragen, die Kanalküste mit Calais und Dünkirchen hinter sich zu nehmen. Wenn dies auch keinen plötzlichen großen deutschen Sieg hervorgebracht haben würde, so hätte es nicht nur die Engländer in ihren Nachschubverhältnissen beeinträchtigt, der deutschen Flotte günstige Stützpunkte verschafft, dem Gegner wertvolle Industriegebiete entrissen, es würden auch die Stellungskämpfe in Nordfrankreich sich unter für die Deutschen wesentlich günstigeren Verhältnisse abgespielt haben. Gewinnung des unteren Laufes der dort fjordartigen Somme hätte einen großen, nicht nur moralischen Erfolg bedeutet, vor dem auch Nachteile an der Ostfront zurücktreten mußten. Zähe Verfolgung dieses Zieles konnte deshalb berechtigt erscheinen.

Der Beitritt der Türkei zu dem Bund der Mittelmächte hat diesem vorwiegend mittelbare Vorteile gebracht. Wohl sind einige Kräfte der Entente abgelenkt worden. Da die Türken sich aber unter dem Einfluß Enver Paschas in einer unmöglichen Offensive gegen die Russen im Kaukasus und Armenien mit ihren besten Kräften verbluteten und ein Vorstoß gegen den Suez-Kanal, ungenügend vorbereitet, erfolglos verpuffte, hat ihre tatsächliche Hilfe während des ganzen Krieges zu den seitens Deutschlands aufgewendeten Mühen und materiellen Aushilfen in keinem richtigen Verhältnisse gestanden. Der Hauptvorteil beruhte darin, daß sich die Türkei nicht den Gegnern anschloß, was insofern katastrophal gegen die Mittelmächte gewirkt hätte, als dann Rußland, aus seiner östlichen Isolierung befreit, der Zuweisung von Kriegsmaterial auf dem Wasserwege erreichbar geworden wäre. Diesen Zweck verfolgte auch das von der Entente im Frühjahr 1915 eingeleitete Unternehmen gegen die Dardanellen.

Gegen Ende 1914 und in den ersten Monaten des kommenden Jahres haben zwar auf beiden Seiten und auf der West- wie Ostfront größere Kämpfe stattgefunden; deutscherseits um örtliche Verbesserungen der Frontlinien zu gewinnen, Ostpreußen den Russen zu entreißen, von den Franzosen und Engländern, um die deutschen Linien zu durchbrechen. Im großen angesehen, mußte der Stellungskrieg als etwas Gegebenes hingenommen werden. Keineswegs freiwillig, [647] sondern gezwungen, weil keine der Partien genügend stark war, kleinere Erfolge durch Übergang zum Bewegungskriege auszunutzen. Bedenklich waren die den Österreichern in Galizien und an der Karpathen-Front beigebrachten Niederlagen. Die Festung Przemysl ging verloren, der Einbruch nach Ungarn schien bevorzustehen. Die deutsche Hilfe kam noch eben rechtzeitig. Auf beiden Seiten spielte der Munitionsmangel eine Rolle, bei den Ententemächten wesentlich gemildert durch die aus Amerika gewährte Aushilfe.

Als es die Jahreszeit und die Wegeverhältnisse erlaubten, leiteten die deutsche Oberste Heeresleitung und das k. u. k. Armee-Oberkommando einen großen Durchbruch an der Ostfront ein. Die deutsche Westfront wurde dabei in einem Maße geschwächt, wie es nur große Verantwortungsfreudigkeit auf sich nehmen konnte. Es geschah in dem Gefühl der Überlegenheit des deutschen Soldaten über die Engländer und Franzosen, nachdem in mehrmonatigen emsigen Arbeiten, wenn nicht überall, so doch in der Hauptsache der Stellungsausbau auf der deutschen Seite gut gefördert worden war.

Der große Durchbruch von Gorlice-Tarnow im Mai 1915 förderte Erfolge, wie sie die Ententemächte während der ersten vier Jahre vergeblich erstrebt haben. Nur der Munitionsmangel bei den Russen hat die Siege der Mittelmächte begünstigt, auch an den Stellen, wo die Leistungen der Österreicher zu wünschen übrigließen. Die Gefangenenziffern erreichten phantastische Größen; nur ein Land von so unermeßlichem Menschenreichtum wie Rußland konnte sie ohne völlige Erschöpfung ertragen.

Aber schon erstand den Mittelmächten ein neuer Feind, indem Italien seinen Treubruch am 24. Mai 1915 durch offenen Anschluß an die Ententemächte vollendete. Selbst weitgehende politische Zugeständnisse Österreichs hatte Italien davon nicht abhalten können, denn es hatte schon ein Jahrzehnt vorher mit Frankreich für den Kriegsfall bestimmte Abmachungen getroffen. Das Doppelspiel fand damit nur vor den Augen der Öffentlichkeit seinen Abschluß. Der Feldmarschall Graf Schlieffen hatte immer die italienische Hilfe als eine Illusion bezeichnet. Sein Nachfolger, der Generaloberst v. Moltke, hatte sich noch im Frühjahr 1914 in seinem blinden Vertrauen auf die Zuverlässigkeit der Italiener nicht durch die Warnungen des k. u. k. Generals Conrad v. Hötzendorf bekehren lassen.

Den Wünschen der österreichischen Heeresleitung hätte es entsprochen, wenn sogleich eine großzügige Offensive gegen Italien eingeleitet und mit dem treulosen früheren Mitgliede des Dreibundes gründlich abgerechnet worden wäre. Die deutsche Oberste Heeresleitung hat an der weiteren Ausnutzung des Erfolges im Osten festgehalten, allerdings mit der bewußten Einschränkung, daß es nicht möglich sein werde, die Russen vernichtend zu schlagen, wohl aber einen Sieg zu erringen, der auf längere Zeit ihre Angriffskraft lähmen würde. Durchweg bestand in dieser Kriegsperiode ein Widerstreit der Meinungen, ob die Ent- [648] scheidung zuerst im Westen oder im Osten gesucht werden solle und ob dies nach der einen oder anderen Richtung überall möglich sei. Diese Meinungsverschiedenheiten verdichteten sich dann auch zu schärferen Gegensätzen zwischen der Obersten Heeresleitung und Oberost, namentlich darüber, inwieweit großzügige Umfassungsbewegungen angebracht sein würden oder nur höchst unsichere, vielleicht durchaus fragliche Erfolge zeitigen könnten. Ohne in eine nähere Erörterung der verschiedenen Ansichten einzutreten, ist es nicht überraschend, daß nach dem unglücklich verlaufenen Kriege an die angeblich verpaßte Gelegenheit, die Russen im Sommer 1915 tödlich zu treffen, weitgehende Folgerungen geknüpft sind, während andere wieder das maßvolle, das ganze strategische Schachbrett im Auge haltende Verfahren des damaligen Generalstabschefs billigen. Gegen Italien stellte sich Österreich auf die Abwehr ein.

Im Spätsommer und Herbst 1915 hatten die Mittelmächte zwei große Aufgaben: die drohenden Anstürme an der Westfront glücklich abzuwehren und die Landverbindung mit der Türkei über den Balkan freizumachen, sollte deren baldigem Erliegen mit allen schlimmen Folgen vorgebeugt werden. Beide Aufgaben wurden glücklich gelöst. - Im Westen traten zwar an mehreren Stellen der deutschen Front, namentlich in der Champagne, bedenkliche Krisen ein. Sie konnten durch Wagemut und rechtzeitige Heranführung von Verstärkungen aber noch abgewendet werden. Für den Balkanfeldzug waren nach schwierigen Verhandlungen die Bulgaren gewonnen. Das Dardanellen-Unternehmen mußte von der Entente aufgegeben werden. Türkische Standhaftigkeit unter deutscher Führung und Unterstützung hatte gesiegt. Die auf die Schiffe sich zurückziehenden Gegner empfindlich zu schädigen, gelang allerdings nicht. Die Entente versuchte vergeblich, über Saloniki den Serben Hilfe zu bringen, konnte aber nur deren Trümmer aufnehmen. Von einer Fortsetzung der Offensive zur Vertreibung der Entente aus Saloniki sahen die Mittelmächte aus verschiedenen politischen wie militärischen Gründen während des ganzen Krieges ab.

So war zu Ende des Jahres 1915 weder hüben noch drüben der Krieg einer Entscheidung näher gerückt, die Lage der Mittelmächte aber insofern günstiger, als sie ihre Kampffronten im Osten wie im Westen weit in das Land der Gegner geschoben hatten. Aber deren Vernichtungswille war nicht nur nicht gebrochen, sondern hatte die Anstrengungen nur noch gesteigert; namentlich in England durch Einleitungen für die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, vermehrtes Aufgebot der Dominions und großzügige Materialbeschaffungen, namentlich an Munition.

Die Haltung Amerikas wurde allmählich feindseliger. Schiffsversenkungen durch deutsche U-Boote boten den willkommenen Anlaß zu scharfen Noten gegen Deutschland, während Scheinvorstellungen gegen die völkerrechtswidrige Hungerblockade Englands gegen Deutschland wirkungslos verliefen. Trotzdem hatte die von Amerika eingenommene Haltung den Erfolg, den U-Bootskrieg abzu- [649] schwächen, ihn in eine folgenschwere, in der Anwendung schwankende Unsicherheit zu bringen. Das war zu einer Zeit, wo die Abwehrmittel noch dürftig entwickelt waren und durch höchste Anspannung der Bautätigkeit dieser Waffe ein erfolgreicher Eingriff in den Gang des Krieges gewährleistet worden wäre.

Die Heeresleitungen Deutschlands wie Österreichs waren sich um die Jahreswende 1915/16 einig darüber, daß aus zuwartender Abwehr der Gegner ein günstiger Ausgang des Krieges nicht zu erhoffen sei; über die Art der Angriffe, in welcher Richtung sie zu führen, bestanden aber zwischen Falkenhayn und Conrad v. Hötzendorf verschiedene Ansichten. Dieser wünschte dringend eine gründliche Abrechnung mit Italien, verlangte dazu aber ausgiebige deutsche Unterstützung durch Ablösung einer größeren Zahl österreichischer Divisionen von der russischen Front und deren Ersatz durch deutsche. Da sich die deutsche Oberste Heeresleitung von selbst durchschlagenden Erfolgen in Oberitalien keine kriegsentscheidende Wirkung versprechen konnte, ging sie auf diesen Wunsch nicht ein. Eine andere Möglichkeit bestand in der Durchführung einer großen Offensive gegen die Ukraine. Dazu wäre es nötig gewesen, Rumänien ein Ultimatum zu stellen, von diesem treulosen Verbündeten aus der Vorkriegszeit entweder aktive Teilnahme auf der Seite der Mittelmächte zu fordern oder ihn anzugreifen. Zu diesem radikalen Schritt konnte sich die noch immer auf Schwanken eingestellte deutsche Reichsleitung nicht entschließen. Man kann in dieser Zeit den zweiten großen Wendepunkt des Weltkrieges - der erste war die Marneschlacht im September 1914 - erblicken. Er hätte zum Siege der Mittelmächte selbst dann führen können, wenn die Kampflust der Rumänen auch nicht hoch eingeschätzt wurde.

Mit Sicherheit konnte die deutsche Heeresleitung im Laufe des Jahres 1916 Wiederholung starker Angriffe der Ententemächte an der Westfront voraussehen. Diesen mit den Anfang des Jahres verfügbaren deutschen Kräften zuvorzukommen, lag nahe und war deshalb geboten. Nach den von den Franzosen und Engländern mit überlegenen Mitteln aller Art angesetzten und trotzdem vergeblichen Durchbruchsversuchen mußten ähnliche Pläne wenig aussichtsvoll erscheinen. Dagegen war das Abschnüren des bei Verdun vorspringenden Bogens ein erstrebenswertes Ziel, auch wenn daraus kein den Feldzug entscheidender Sieg entstand. Dazu kam die an dieser Stelle geringe Entfernung der Kampffronten von den wichtigen Eisenbahnverbindung von Metz über Diedenhofen, die schon bei einem geringen französischen Erfolg unterbrochen worden wäre. Hierdurch wäre gleichzeitig der Betrieb in den Bergwerken des Plateaus von Briey in Frage gestellt worden (s. Landkrieg, 2. Teil, S. 481). Da die Verdun-Offensive, weil sie gescheitert ist, vielfach eine ungünstige Beurteilung erfahren hat, müssen diese für den Entschluß sprechenden Gesichtspunkte hier erneut betont werden. Der Fehlschlag ist wesentlich auf taktisch ungünstige Maßnahmen zurückzuführen. Als die große französisch-englische Offensive an der Somme im Juli 1916 einsetzte, [650] mußten die Angriffe im Maas-Gebiet eingestellt werden. Der starke Aderlaß der Franzosen bei Verdun hatte aber dem Stoß der Entente an der Somme einen wesentlichen Teil seiner Kraft genommen. Während des deutschen Angriffs auf Verdun hielten die Österreicher den Augenblick für gekommen, in Italien durch eine Offensive aus Tirol gegen die linke strategische Flanke des Gegners der passiven Abwehr ein Ende zu bereiten. Der Versuch scheiterte an der Ungunst des Wetters und den örtlichen Schwierigkeiten im Gebirge. Das Moment der Überraschung war verlorengegangen. Als nun im Sommer, noch gleichzeitig mit den Kämpfen an der Somme, eine große Entlastungsoffensive unter Brussilow gegen die österreichische Ostfront losbrach, konnte nur unter Einsatz wesentlicher deutscher Kräfte die Lage dürftig wiederhergestellt werden.

So erschien die Lage der Mittelmächte im Spätsommer 1916 kritisch, die berechtigten Hoffnungen, mit denen das Jahr begonnen hatte, waren unerfüllt geblieben. - Diesen Augenblick benutzte Rumänien, um sich der Entente anzuschließen. Zwei Jahre hatte die Regierung laviert, je nachdem sich die Lage der Mittelmächte günstiger oder bedenklicher gestaltete, ihnen ein freundliches oder feindliches Gesicht gezeigt. Jetzt wurde augenfällig, daß es ein schwerer Fehler gewesen war, nicht schon zu Ende 1915 eine klare Stellungnahme von dem unsicheren, ursprünglichen Verbündeten gebieterisch zu fordern. Zwar mußte er zunächst sein Verhalten schwer büßen; die Deutschen warfen trotz nicht immer gerade kraftvoller Unterstützung der Österreicher in einem glänzenden Feldzuge von wenigen Monaten den neuen Gegner mit seiner russischen Unterstützung zu Boden. Aber wiederum hatte dieser Feldzug erhebliche Opfer aller Art gekostet. Doch stand, als das Jahr zu Ende ging, die Westfront unentwegt fest; in Rußland waren die ersten Anzeichen für eine die zaristische Regierung im innersten Gefüge zermürbende Bewegung erkennbar. Die österreichische Front in Italien hielt sich trotz zahlreicher Anläufe des Gegners. -

Es schien am 12. Dezember für die Mittelmächte der Augenblick gekommen, ein Friedensangebot zu machen, das aber, wie schon in den nächsten Tagen die Äußerungen der führenden Minister der Entente erwiesen, eine höhnende Ablehnung erfuhr. Am 12. Januar 1917 unterstrich eine offizielle Erwiderung des Präsidenten Wilson als Vermittler dies mit größter Schärfe unter Aufbietung des üblich gewordenen heuchlerischen Phrasenschwalls. Die weitgehenden Forderungen Frankreichs auf Elsaß-Lothringen, das Saargebiet und das linke Rhein-Ufer wurden am 14. Februar durch einen Vertrag mit England festgelegt. -

Als am 12. Januar die vorbereitenden Befehle für den am 1. Februar einsetzenden unbeschränkten U-Bootskrieg erlassen wurden, hoffte Deutschland im Vertrauen auf die Ansichten der Sachverständigen, in längstens sechs Monaten England auf die Knie zu zwingen. Die Erwartung hat sich nicht erfüllt, auch nicht während des U-Bootskrieges bis zum Oktober 1918. Daß Amerika aber auch ohne den, wie es hieß "völkerrechtswidrigen" Unterwasserkrieg den Kampf [651] gegen die Mittelmächte aufgenommen hätte, um England eine Niederlage zu ersparen, hat der Präsident Wilson später ausdrücklich und in aller Öffentlichkeit erklärt. In Folgerichtigkeit dieser Absicht brach er am 3. Februar 1917 die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland ab und erklärte am 4. April die Vereinigten Staaten mit Deutschland als im Kriegszustand befindlich.

Alsbald nach Übernahme der Obersten Heeresleitung durch den Generalfeldmarschall v. Hindenburg mit dem Ersten Generalquartiermeister Ludendorff hatten diese auf weiteren Ausbau und höchste Anspannung der heimatlichen Wehrkräfte, stärkste Förderung der Materiallieferungen gedrängt. Wenn in dieser Richtung auch schon im preußischen Kriegsministerium viel geleistet wurde, so sollte durch das (wie sich später herausstellte, ungenügende) Hilfsdienstgesetz und durch Vermehrung der Geschütz- und Munitionsanfertigung die Widerstandsfähigkeit der Front eine weitere Steigerung erfahren, um den bevorstehenden gegnerischen Anstürmen gewachsen zu sein. Zur Verkürzung der Front räumten die Deutschen den stark ausspringenden Bogen der Westfront bei Noyon, dagegen nicht die seit dem Herbst 1916 von überlegenem gegnerischen Feuer stark bedrängte, nahe an Verdun herangeschobene ungünstige Stellung. Es führte zu empfindlichen Rückschlägen, namentlich im Spätherbst 1916. Die deutsche Heeresleitung mußte sich für das Jahr 1917 auf die Abwehr einstellen, und sie konnte es, um die Wirkung des gerade in den ersten Monaten des Jahres sich glänzend anlassenden U-Bootskrieges abzuwarten. Die Ententemächte fühlten sich stark genug, um auf ihre Gegner immer erneute Durchbruchsversuche loszulassen. Sie errangen zwar an den verschiedensten Stellen kleinere örtliche Vorteile, aber keine zu den schweren Verlusten im richtigen Verhältnis stehenden Erfolge. Vor allem wuchs sich die große Frühjahrsoffensive der Franzosen im April und Mai 1917 an der mittleren Aisne, die Kämpfe an der Laffaux-Ecke, zu einer schweren Niederlage aus. Es war die Zeit des Tiefstandes im Kampfwillen der Franzosen, der nur durch strenges, aber notwendiges Eingreifen gegen die Meuterer überwunden werden konnte. Daß dies ohne Zagen geschah, bildet ohne Zweifel ein Verdienst der französischen Staatsleitung, während in Deutschland sich gelegentlich der ersten Meuterei der Hochseeflotte die gleiche rücksichtslose Energie nicht fand und sich schon damals eine pazifistisch-schwächliche Stimmung breitmachen durfte. - Die französischen Fehlschläge wurden reichlich aufgewogen durch die bald nach der Thronbesteigung des Kaisers Karl in Österreich erkennbare und als die Parma-Affäre gekennzeichnete verräterische Politik des Hauses Habsburg. Scheiterten auch die Versuche, einen Sonderfrieden unter Preisgabe Deutschlands an die alliierten Mächte zu erlangen, so erkannten diese doch mit Recht, daß die Widerstandskraft Österreichs dem Ende entgegenginge. Durch eine vom österreichischen Außenminister Grafen Czernin entworfene und zur feindlichen Kenntnis gebrachte Denkschrift über die völlige Erschöpfung der Monarchie erfuhr davon die allgemeine Öffentlichkeit. Daß in Deutschland sich [652] in breiten Schichten, vor allem unter dem Druck wirtschaftlicher Not und der Wühlarbeit radikaler Kreise, eine Neigung zum Frieden um jeden Preis entwickelte, ließ die Friedensresolution im Reichstage vom 17. Juli 1917 erkennen. Dies alles mußte den Vernichtungswillen der Ententemächte um so mehr stärken, als das Erscheinen amerikanischer Unterstützungen in sicherer Aussicht stand. -

Im Osten hatte die Lage der Ententemächte allerdings schon im Anfang des Jahres 1917 durch die Abdankung des Zaren Nikolaus II. am 16. März, die nach ihr einsetzende russische Umwälzung und durch den unter der Wirkung der Revolution mit der Tätigkeit der Soldatenräte beginnenden Zerfall des Heeres einen starken Stoß erhalten. Hier machte sich vor allem der englische Einfluß geltend. Als klar wurde, daß der Zar vielleicht einem Separatabkommen mit den Mittelmächten geneigt sein könnte, schürte England den Umsturz. Eine von den russischen Revolutionären noch ins Werk gesetzte Offensive im Sommer unter Kerenski's Oberleitung führte nur auf der österreichischen Front zu größeren Erfolgen, wo die k. u. k. Truppen bedenkliche Unzuverlässigkeit erkennen ließen. Aber auch hier gelang es, durch deutsche Verbände die Lage zum Stehen zu bringen. Schon im Juli konnten die Russen aus dem größten Teil Galiziens und aus der Bukowina wieder vertrieben werden. Riga und die Inseln im Rigaischen Meerbusen nahmen die Deutschen im Spätsommer und im Herbst.

Aber trotz dieser großen Erfolge gelang es noch nicht, mit den russischen Revolutionären zu einem schnellen Friedensschluß zu kommen. Es war begreiflich und entsprach auch den Interessen der Westmächte, wenn die russischen Unterhändler mit allen möglichen Mitteln eine für ihre Regierung ungünstige Entscheidung hinauszuzögern versuchten. -

Die durch die russischen Niederlagen beschleunigte Zersetzung des bolschewistischen Heeres gestattete schon jetzt eine wesentliche Verringerung der deutschen Kräfte im Osten. Ein Teil der freigewordenen Kräfte ging an die Westfront und löste dort Truppen ab, die im Verein mit anderen Verbänden der Ostfront und mehreren österreichischen Armeen gegen Italien einen wuchtigen Schlag führten. In glänzendem Schwung, ungeachtet aller Schwierigkeiten des Geländes, führte er die Mittelmächte über den Tagliamento bis an die Piave. Die dabei gemachte Beute an Gefangenen und Kriegsmaterial war groß. Die Niederlage der Italiener war so entscheidend, daß sie auch auf die französisch-englische Front in Frankreich zurückwirkte, Abgaben von dort nach Oberitalien veranlaßte. Aber eine katastrophale Wirkung hatte [sie] nicht einmal gegen Italien. Es blieb ein ordinärer Sieg, nach dem sich die Italiener bald wieder erholten. Daraus hat eine nachträgliche Kritik die Frage abgeleitet, ob es sich nicht empfohlen hätte, den Erfolg tatkräftig auszunutzen, durch Oberitalien weiter westlich mindestens bis an die Seealpen vorzustoßen. Besonders fanatische Vertreter dieses Gedankens meinen sogar, es sei möglich gewesen, von dort in Südfrankreich, einen schwierigen Gebirgskamm überschreitend, einzufallen. Wenn man diesen [653] Gedanken schon als phantastisch, die Bedeutung der langen Operationslinie unterschätzend, rundweg ablehnen mag, so hätte auch eine völlige Unterwerfung ganz Oberitaliens keine kriegsentscheidende Wirkung ausüben können. Der größte Teil des langen italienischen "Stiefels" mit seinen eigenen Hilfsquellen und denjenigen der Entente blieb in der Flanke unbelästigt liegen. Sind doch sogar Zweifel nicht von der Hand zu weisen, ob dem großen Ganzen damit gedient war, wenn des österreichischen Bundesgenossen Lieblingswunsch entsprochen wurde, Italien nun endlich einen tüchtigen Schlag zu versetzen, statt noch im Herbst 1917 an der Westfront etwas zu unternehmen. Zu dieser Zeit war die Stimmung, namentlich im französischen Heere, nach den vergeblichen Anstrengungen des Frühjahrs und Sommers noch sehr gedrückt, amerikanische Unterstützungen kaum eingetroffen. Es lagen also die Vorbedingungen für einen größeren Angriff wesentlich günstiger als sechs Monate später. Das sind allerdings mehr Erwägungen, nachdem man weiß, wie schließlich alles kam. Im Herbst 1917 mußte dem Gedanken, die in Österreich sich breitmachende Neigung nach einem Frieden um jeden Preis durch einen Sieg zu beseitigen, bei den Operationen eine wichtige Rolle zufallen. Die k. u. k. Armee allein war nach allen früheren Erfahrungen zu großen erfolgreichen Kämpfen nicht mehr imstande, wenn sie es überall jemals in diesem Kriege gewesen sein sollte. Wie gering das Gefühl der Zusammengehörigkeit in buntem Völkergemisch der Monarchie an sich schon war und wie es sich während des langen Krieges weiter vermindert hatte, bewiesen die kurz vorhergegangenen Verluste bei der Kerenski-Offensive, wo die Zahl der Gefangenen und Überläufer auf 200 000 Mann geschätzt ist. Mit einer Armee von so höchst bedingter Leistungsfähigkeit wäre sicher keine großzügige Offensive durch Oberitalien zu führen gewesen. Deutschland hätte den weitaus größten Teil der Arbeit leisten müssen, und wie während dieser Zeit an der Kampffront in Frankreich die Entwicklung lief, blieb vollends unklar.

Als es schließlich gelungen war, am 9. Februar 1918 den Frieden mit der Ukraine, am 3. März mit Rußland, am 5. März einen Vorfrieden mit Rumänien abzuschließen, war der Rücken für eine große Offensive an der Westfront endlich frei. Schon während der Verhandlungen hatten umfangreiche Kräfteverschiebungen von Ost nach West eingesetzt. Die Notwendigkeit des Versuches, durch einen großen Schlag im Westen den Endsieg auf die Seite der Mittelmächte zu bringen, ist eingehend erörtert. Alle politischen Bemühungen, die Ententemächte auf einer nur annähernd möglichen Grundlage zu Verhandlungen zu bewegen, waren gescheitert; die politische Leitung Deutschlands hatte dazu keinen gangbaren Weg gefunden. Was aus dem gegnerischen Lager verlautete, waren Bedingungen, die nur ein völlig geschlagenes Deutschland in den Bereich der Erwägungen ziehen konnte. Die Haltung Österreichs, namentlich die angedeuteten Ränke des Prinzen von Parma (siehe Band V, Abschnitt 15), mußte den Mut der Entente auf das äußerste stärken, mochte die rein militärische Lage selbst [654] schwierig erscheinen. Die Hoffnung, den Deutschen würde das auch nicht gelingen, was die Verbündeten vergeblich versucht hatten - ein Durchbruch großen Stils -, war verständlich, um so mehr, als die amerikanische Hilfe nahe war. Mit dieser Aussicht konnte das Vertrauen immer wieder aufgerichtet werden. - Die im Innern Deutschlands und Österreich-Ungarns auftretenden Massenstreiks, deren weitere Schürung Lord Northcliffe als Leiter der englischen Propaganda im Februar übernahm, berechtigte unter Beachtung der schon im Sommer 1917 bei der Hochseeflotte vorgekommenen Ausschreitungen zu der Erwartung, der deutsche Hader würde sich zu einer wirksamen Abschwächung der gegnerischen Kampfkraft, ja zu Hilflosigkeit steigern. -

Bis zur Verwirklichung der daran geknüpften Hoffnungen hatten die Alliierten allerdings noch eine harte Prüfung im Frühjahr 1918 zu bestehen. Vor den bestens vorbereiteten, mit sorgsam durchgebildeten, auch großenteils gut ausgeruhten und in den Angriffsdivisionen fast vollzählig aufgefüllten, von starker Artillerie unterstützten Verbänden erzitterte die englisch-französische Front noch einmal in allen Fugen. Es wurden achtbare Erfolge von der mit dem alten Angriffsgeist durchdrungenen deutschen Armee errungen, Erfolge, die dem völligen Durchbrechen des Gegners nahe kamen. An verschiedenen Stellen schien der Weg nach der feindlichen Hauptstadt frei. Aber der Anstrengung letzter Schluß blieb versagt. Dem großen deutschen Juli-Angriff über die Marne und in der Champagne fehlte die nachhaltige Kraft. Da das Moment der Überraschung verlorengegangen war, ließen sich die großen taktischen Schwierigkeiten nicht überwinden. Als der Rückzug von der Marne angetreten werden mußte, erhielt die bis dahin im deutschen Heere nie geschwundene Siegeszuversicht einen unheilbaren Stoß. In den verhängnisvollen Augusttagen schwand in weiteren Kreisen der Truppe wie bei der Obersten Heeresleitung die Hoffnung auf den Sieg. Der Umsturz erhob grinsend sein Haupt.

Warum nach dem 13. August, als die Oberste Heeresleitung erklärt hatte, der Krieg sei nicht mehr zu gewinnen, von seiten der Reichsleitung nicht mit mehr Nachdruck auf die geplante Einleitung von Waffenstillstandsverhandlungen hingewirkt wurde, ob es an einem klaren, festen Willen, an der notwendigen Übereinstimmung zwischen der militärischen und der politischen Führung oder an der erforderlichen Einsicht über die Widerstandskraft der eigenen, die sich andauernd steigenden Machtmittel der Gegner gefehlt hat, entzieht sich hier der Prüfung.

Das deutsche Heer war zwar unter der von der Heimat ausstrahlenden Verhetzung in seiner Leistungsfähigkeit herabgesetzt, dauernde Rückzugsgefechte wirkten zerstörend auf das innere Gefüge, das Fehlen ausgiebiger Ruhe machte sich empfindlich geltend; so lange es noch einen Obersten Kriegsherrn hatte, war es aber noch immer ein für die Feinde Achtung gebietender Gegner. Die Versammlung aller Kräfte auf dem westlichen Kriegsschauplatz, als sich dort die Entscheidung zuspitzte, war nicht gelungen. In der Hoffnung, aus der Ukraine [655] erhebliche Nahrungs- und Futtermittel zu erlangen, war dort ein starkes Truppenaufgebot belassen. Es fehlte in den Monaten der Entscheidung in Nordfrankreich und in Belgien. Die heimatliche Not, ganz besonders in Österreich, hatte zu Entschlüssen geführt, die der rein militärischen Lage nicht vollständig Rechnung trugen. Man durfte hoffen, durch Lebensmittel den Widerstandswillen der Heimat zu heben, bei einem Volksheer konnte das entscheidend sein. Allerdings sollte sich diese Hoffnung bei den Transportschwierigkeiten in Rußland und der Haltung der Bevölkerung nicht erfüllen.

Schon vor dem Fehlschlag der letzten deutschen Marne-Offensive hatte die österreichisch-ungarische Armee bei ihrem vergeblichen Bemühen, die Italiener erneut zu schlagen, in der zweiten Junihälfte eine völlige Niederlage an der Piave erlitten. Der Gegner konnte Ende Oktober seine Erfolge über das in der Auflösung begriffene k. u. k. Heer fast mühelos erweitern.

Auf dem Balkan gestaltete sich die Lage für die Mittelmächte noch ungünstiger, da die Bulgaren von Mitte September ab den Kampf aufgaben, schwache deutsche Truppen in ihre Niederlage verwickelnd. In Vorderasien ereilte die Türken am Jordan das gleiche Geschick. Die in Mesopotamien hin- und hergehenden Operationen haben auf den großen Gang des Krieges keinen nennenswerten Einfluß gehabt; auch die Katastrophe der Engländer bei Kut-el-Amara konnte ihrem Ansehen keinen empfindlichen Stoß versetzen. Im Jahre 1918 waren die militärischen Unternehmungen dort ganz zum Stillstand gekommen.

Dem Lieblingskinde des militärischen Deutschlands, seiner jungen Flotte, ist auf den Gang des Krieges kein wesentlicher, sicher kein glücklicher Einfluß beschieden gewesen, trotz ihrer guten Ausrüstung und ungeachtet zahlreicher, von echt seemännischem Geist getragener glänzender Einzeltaten. Die glücklich durchkämpfte Seeschlacht am Skagerrak, der mit größter Hingebung geführte Unterwasserkrieg, zahlreiche ehrenvolle Taten im Kreuzerkrieg sind wohl Ruhmesblätter in der Geschichte deutscher Seekriegführung, blieben in ihrer Wirkung auf den die Entscheidung bringenden Landkrieg jedoch gering. Die Blockade der deutschen Küsten vermochte die Flotte nicht zu hindern, kommerziell war Deutschland, abgesehen von der Ostsee, von der Welt abgeschlossen. Englische oder russische Landungsversuche an den deutschen Küsten sind bei den Ententemächten nie in Frage gekommen. Es wären Phantastereien gewesen. Der Nachschub für das englische Heer nach Frankreich erlitt keine erhebliche Einbuße, die Überführung der starken amerikanischen Heere über den Ozean vollzog sich glatt. Die Kritik, auch diejenige maßgebender deutscher Marinekreise, hat es als einen schweren Fehler bezeichnet, die Flotte nicht bald nach der Kriegserklärung gegen die englische Flotte zu einer großen Schlacht einzusetzen. Sicher würde der deutsche Seemann sie mit allen Ehren bestanden, wahrscheinlich dem Engländer größeren Schaden zugefügt haben. Wie dadurch aber die ganze maritime Lage bei den überlegenen Hilfsquellen, den stärkeren Reserven Großbritanniens auf die Dauer eine Ände- [656] rung hätte erfahren sollen, ist schwer einzusehen, auch wenn seine Verluste die deutschen um das Doppelte - so war das Verhältnis in der vom Glück begünstigten Schlacht vor dem Skagerrak - übertroffen haben sollte. Man spricht auch von der Bedeutung eines starken Prestige-Verlustes der Engländer in diesem Falle, ohne zu beachten, daß weder das verunglückte Dardanellen-Unternehmen noch die verlustreichen Kämpfe auf Gallipoli, und ebensowenig die Kapitulation von Kut-el-Amara eine erkennbare Wirkung hervorgebracht haben. Nicht einmal in der moslemitischen Welt. Vermutlich wäre auch von einer selbst ganz verlorenen Seeschlacht der Briten in der Nordsee nach wenigen Monaten kaum noch Aufsehens gemacht worden, und ob dieser Ausgang wirklich eingetreten wäre, bleibt doch noch zweifelhaft. Also scheint es übertrieben, an den Nichteinsatz der Flotte zu einer entscheidenden Tat bald nach Kriegsbeginn weitgehende Folgen zu knüpfen. - Bezeichnend ist auch, daß in der ersten Kriegsperiode von keinem Flottenbefehlshaber unter Einsatz der ganzen Person das Auslaufen der Flotte beantragt worden ist. Dagegen mag man es mit vollem Recht bemängeln, daß zwischen Landheer und Flotte keine genügende Übereinstimmung im Handeln gewesen ist. Allerdings hätte auch dies nicht zur Erfüllung des Wunsches der Flotte geführt, schon im Spätsommer 1914 in den Besitz der ganzen flandrischen Küste bis zur Somme-Mündung zu kommen. Sicher wäre es von großem Nutzen gewesen, die dortigen wichtigen Seestützpunkte zu erlangen. Da aber die 1. und 2. Armee einen starken ungeschlagenen Gegner vor sich hatten, konnten sie unmöglich Kräfte dorthin entsenden. Die Oberste Heeresleitung hat sich im Herbst 1914 durch diese Küstenplätze sogar vielleicht mehr anziehen lassen, als operativ glücklich war. -

Deutschland verlor durch den Versailler Vertrag seine sämtlichen Kolonien, einschließlich des an Japan abzutretenden Kiautschou. Die überraschend schnelle Entwicklung des deutschen überseeischen Besitzes mit dem dort glänzend bewährten Organisationstalent, die ungeahnten Fortschritte des Handels hatten den britischen Neid um so sicherer gefördert. Es galt also, diese Quelle des späteren Wohlstandes frühzeitig zu zerstören. Bei der Zersplitterung der deutschen Niederlassungen hätte während eines langen Krieges der Schutz nur dann für Deutschland in Frage kommen können, wenn es gelang, in einer wenigstens dürftigen Form Bewegungsfreiheit auf dem Meere zu erhalten. Deutschland war also hinsichtlich seines Kolonialbesitzes auf ein mit den Machtfragen des europäischen Kontinents zwangsläufig verbundenes englisches Wohlwollen angewiesen. Ohne dieses oder ohne eine der englischen Seemacht auch angriffsweise annähernd ebenbürtigen Flotte war dauernder Kolonialbesitz kaum zu halten. Da eine derartige Ausgestaltung unserer Seestreitkräfte in absehbarer Zeit unmöglich war, mußte die kraftvolle Entwicklung der Landmacht um die Jahrhundertwende und in den folgenden Jahrzehnten entschiedener allen Flottenfragen vorangehen, als es tatsächlich geschah; denn schließlich wurde über den deutschen Kolonialbesitz doch in Europa der Würfel geworfen. Mit allgemeinen Schlagworten ließen sich [657] diese harten Wirklichkeiten keiner gedeihlichen Lösung zuführen. Durch Annahme des Grundsatzes: "Keine Ausgabe ohne Deckung" ist die Verstärkung der Landstreitkräfte auf Kosten der Seemacht behindert und eingeschränkt worden. - Die kraftvolle Entwicklung der deutschen Flotte in Verbindung mit unserem Kolonialbesitz erregte Englands Besorgnisse für seine Weltmachtstellung und seine Seeherrschaft. An Versuchen in der Vorkriegszeit, den deutschen Flottenbau einzuschränken, mindestens das Bautempo zu verzögern, fehlte es nicht. Vielleicht hätte durch ein gewisses Entgegenkommen Deutschlands in dieser Hinsicht die treibende Kraft Englands zum Weltkrieg vermindert, der Kriegsausbruch, wenn auch nicht verhindert, so doch hinausgeschoben werden können. [Scriptorium merkt an: Seitdem hat die Erfahrung leider gezeigt, daß genau diese Art von Entgegenkommen keineswegs vermochte, die kaum 20 Jahre später wiederum "treibende Kraft Englands zum Weltkrieg" zu vermindern und den erneuten Kriegsausbruch zu verhindern.]

An deutscher Opferwilligkeit, aus der an sich wenig hoffnungsvollen Lage noch das eben Mögliche herauszuholen, hat es in den Kolonien an keiner Stelle gefehlt. Aber die gegnerische Übermacht, die namentlich in den westafrikanischen Kolonien vielfach möglichen Angriffe auf die schwachen deutschen Truppen von mehreren Seiten, die Dürftigkeit der materiellen Kampfmittel schufen überall von vornherein für die Deutschen sehr ungünstige Kriegslagen. Mit Bedauern muß man feststellen, daß fast durchweg in den Kolonien bezüglich der Streitkräfte zu wenig geschehen war, und daß diese Mängel in schreiendem Gegensatz zu der Kriegsbereitschaft standen, mit der die Gegner unmittelbar nach der Kriegserklärung auch den Vorstoß in deutsches Gebiet einleiten konnten: ein Beweis für die Absichten der Entente, im Sommer 1914 den Vernichtungskampf gegen die Mittelmächte aufzunehmen. Die schwachen deutschen Kolonialtruppen konnten nur deshalb längere Zeit, in Deutsch-Ostafrika bis zum Kriegsende, durchhalten, weil die berechtigte Hoffnung auf einen Endsieg an den Fronten Mitteleuropas bestand, und weil fast durchweg die Haltung der Eingeborenen eine durchaus treu deutschfreundliche blieb, sich sogar in verschiedenen Kolonien, ganz besonders in Ostafrika, zu heroischer Ausdauer steigerte. Dort hat auch die glänzende Führung unter Lettow-Vorbeck mit seinen Offizieren, ihre unbeugsame Tatkraft die großartigsten Leistungen vollbracht. - Unter allen infamen, über Deutschland verbreiteten Lügen rangiert diejenige mangelnder Kenntnis und fehlenden guten Willens bei Behandlung der Eingeborenen in den Kolonien obenan. -

Die Geschichte kannte bis 1914 keinen Fall, in welchem fast eine ganze Welt, zusammen 27 Staaten, sich zusammenschlossen, um eine Hauptmacht mit drei Bundesgenossen von vorwiegend dürftiger Leistungsfähigkeit zu Boden zu schlagen. Auch das Aufgebot der großen Koalition gegen den Ersten Napoleon brachte keine ähnlich zahlenmäßig verschiedene und in der Ausstattung mit Kriegsgerät ungleiche Kampfkräfte gegeneinander. Der große Korse hatte weder mit einer Hungerblockade noch mit dem unerschöpflichen Menschenvorrat der Vereinigten Staaten zu rechnen. Auch waren seine Feinde keineswegs immer nur annähernd einig und von gleichem Willen, ihn zu vernichten, beseelt. - Trotz aller Ungleichheit der Kräfte hat Deutschland nicht allein mit größten Ehren den [658] Kampf bestanden, sondern nie verwelkenden Lorbeer um seine Fahnen geflochten, bis schließlich das Wort der Sozialdemokratie, geschrieben im Vorwärts vom 20. Oktober 1918, sich zu bestätigen scheint: "Deutschland soll - das ist unser fester Wille - seine Kriegsflagge für immer streichen, ohne sie das letztemal siegreich heimgebracht zu haben." Wir vertrauen: zu bestätigen scheint! Das Deutschland auferlegte Joch ist teils aus Lüge und Heuchelei, teils aus unklaren, verworrenen oder verbrecherischen Absichten gefertigt. Daraus kann der deutsche Patriot die Hoffnung schöpfen, daß der gesunde Sinn eines arbeitsamen, ausdauernden, intelligenten Volkes sich seinen Platz an der Sonne wiedererobern wird. - Der Weg dahin ist lang und dornenvoll, aber er wird gefunden werden.


1 [1/643]Wenn diese Ausführungen stellenweise von den Ansichten anderer Bearbeiter abweichen, so hat dies nicht nur in der Verschiedenartigkeit der Auffassung, sondern auch darin seinen Grund, daß seit Herausgabe früherer Bände neue Quellen erschlossen sind. Die Kriegsgeschichte bleibt etwas Flüssiges, in manchen Einzelheiten dem Wechsel Unterworfenes. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte