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[178]
Erstes Kapitel   (Forts.)
Entwicklung der Deutsch-Polnischen Beziehungen

B. Deutschlands Bemühen
um eine Verständigung mit Polen, 1933 bis 1939

XII. Deutsche Bemühungen
um eine gütliche Lösung der Danzig- und Korridorfrage
(Oktober 1938 bis Mai 1939)

Nr. 197
Unterredung des Reichsministers des Auswärtigen
mit dem Polnischen Botschafter,
Berchtesgaden, 24. Oktober 1938

Aufzeichnung des Vortragenden Legationsrats Hewel

Zu Beginn der Aussprache entwickelt der Herr Reichsaußenminister dem Polnischen Botschafter ein Bild der augenblicklichen Lage.

Herr Lipski erläutert sodann den Anlaß seines Besuches: Polen sei interessiert an der Stabilisierung des Donauraumes. Die Karpatho-Ukraine mit ihrer Unordnung, ihren 80 Prozent Analphabeten, sei ein Herd für alle nur denkbaren politischen Strömungen, ein wahres Kommunistenzentrum. Sie habe zusammen 650.000 Einwohner, davon etwa 250.000 Ungarn und Juden und 400.000 Ruthenen. Wegen dieses Unruheherdes habe Polen schon manchen scharfen Notenwechsel mit Prag gehabt. Beck habe ihm gesagt, er wolle, daß aus dieser Krise etwas Vernünftiges herauskomme. Eine Angliederung an Ungarn sei der Wunsch Polens.

Im übrigen sei eine gemeinsame polnisch-ungarische Grenze von großem Wert als Abriegelung gegen den Osten. Die Gerüchte von der Blockbildung gegen Deutschland seien Unsinn, sie wären durch die Haltung Polens gegenüber Sowjetrußland während der Krise mehr als widerlegt worden. Die polnische Politik sei gewesen, die Ungarische Regierung in der slowakischen Frage zur Mäßigung und in der karpatho-ukrainischen Frage zum Angriff zu bewegen. Er, Lipski, hoffe, daß eine Lösung in dem erwähnten Sinne den deutschen Interessen nicht entgegenlaufe.

Der Herr Reichsaußenminister erklärt dem Botschafter, ihm seien diese Ideen etwas neu und er wolle sie sich einmal in Ruhe überlegen. Er habe wohl Verständnis für die polnischen Wünsche, aber er sehe auch gewisse Schwierigkeiten, die wir zu berücksichtigen hätten.

Der Herr Reichsaußenminister kommt nun auf das große allgemeine Problem, weswegen er Herrn Lipski nach Berchtesgaden gebeten habe und das er einmal ganz vertraulich, nur für Lipski, Beck und ihn bestimmt, anschneiden wolle. Er bittet den Botschafter, mündlich Herrn Beck über das Besprochene zu berichten, da sonst die Gefahr des Heraussickerns, besonders an die Presse, zu groß sei. Der Botschafter sagt dies zu. Mit der Einleitung verbindet der Herr Reichsaußenminister auch eine Einladung an Herrn Beck, der ihn doch einmal im Laufe des nächsten Monats besuchen möge. Die polnischen Freunde hätten hiermit eine Dauereinladung nach Deutschland. Der Botschafter nimmt dieses mit Freude an und will Herrn Beck benachrichtigen.

Der Herr Reichsaußenminister führt nun aus, daß er glaube, es sei an der Zeit, zwischen Deutschland und Polen zu einer Generalbereinigung aller bestehenden Reibungsmöglichkeiten zu kommen. Dies wäre eine Krönung des vom Marschall Pilsudski und dem Führer eingeleiteten Werkes. Er zieht unser Verhältnis zu Italien zum Vergleich heran, wo der Führer auch um einer Generalbereinigung willen und aus tiefer Erkenntnis heraus den Verzicht auf Südtirol geleistet habe. Eine solche Übereinkunft sei auch mit Polen und auch [179] für Polen erstrebenswert und läge in der Richtung der Politik des Führers, zu allen Nachbarn in ein klares Verhältnis zu kommen. Nicht ausgeschlossen sei, daß auch einmal mit Frankreich noch klarere Abmachungen, über die Erklärung des Führers bezüglich der Grenze hinaus, getroffen würden. Mit Polen sei hier zunächst über Danzig zu sprechen, als Teillösung einer großen Regelung zwischen den beiden Nationen. Danzig sei deutsch - sei immer deutsch gewesen und werde auch immer deutsch bleiben. Er, der Reichsaußenminister, denke sich eine Lösung im großen wie folgt:

    1. Der Freistaat Danzig kehrt zum Deutschen Reich zurück.

    2. Durch den Korridor würde eine exterritoriale, Deutschland gehörige Reichsautobahn und eine ebenso exterritoriale mehrgleisige Eisenbahn gelegt.

    3. Polen erhält im Danziger Gebiet ebenfalls eine exterritoriale Straße oder Autobahn und Eisenbahn und einen Freihafen.

    4. Polen erhält eine Absatzgarantie für seine Waren im Danziger Gebiet.

    5. Die beiden Nationen anerkennen ihre gemeinsamen Grenzen (Garantie) oder die beiderseitigen Territorien.

    6. Der deutsch-polnische Vertrag wird um 10 bis 25 Jahre verlängert.

    7. Die beiden Länder fügen ihrem Vertrag eine Konsultationsklausel bei.

Der Polnische Botschafter nimmt diese Anregung zur Kenntnis. Obwohl er natürlich erst mit Herrn Beck sprechen müsse, möchte er doch bereits jetzt sagen, daß es falsch sei, Danzig als ein Produkt von Versailles, etwa wie das Saargebiet, zu betrachten. Man müsse die historische und geographische Entstehungsgeschichte Danzigs verfolgen, um die richtige Einstellung zu dem Problem zu bekommen.

Der Herr Reichsaußenminister erklärt, er wolle jetzt keine Antwort hören. Der Botschafter solle sich dies alles einmal durchdenken und so bald wie möglich mit Herrn Beck darüber sprechen. Schließlich dürfe man eine gewisse Reziprozität bei diesen Betrachtungen nicht ausschalten. Für den Führer sei eine endgültige Anerkennung des Korridors innerpolitisch sicherlich auch nicht leicht. Dazu müsse man säkular denken - und Danzig sei nun einmal deutsch und würde es immer bleiben.

Herr Lipski verspricht, dies alles genauestens mit Herrn Beck zu besprechen. Er werde Donnerstag etwa nach Warschau fahren und könne etwa Anfang der nächsten Woche zurück sein. Seine Hauptbitte sei der Gedankenaustausch über die Ungarnfrage. Herr Beck lasse sagen, Polen sei bereit, falls der Wunsch Ungarns nach einem Schiedsspruch der drei Länder Deutschland, Italien und Polen seitens der ersten beiden Länder angenommen werde, sich zu beteiligen.

Der Herr Reichsaußenminister weist demgegenüber auf das mit einem Schiedsspruch verknüpfte Risiko hin.

Bei einer zweiten kurzen Aussprache erwähnt der Herr Reichsaußenminister die Karpatho-Ukraine. Der Botschafter betont, daß Polen kein Interesse an einem Gebietszuwachs dort unten habe, sondern daß es ausschließlich der Wunsch Polens sei, mit Ungarn eine gemeinsame Grenze zu erhalten.

Der Herr Reichsaußenminister verspricht, diesen Komplex noch einmal durchzudenken, und meint hierzu, daß, wenn man zwischen Deutschland und Polen zu einer Globallösung komme, auch sicher für dieses Problem ein günstiges Arrangement gefunden werden könne.

Die Unterredung verlief in sehr freundschaftlichem Tone.

Hewel



[180]
Nr. 198
Unterredung des Reichsministers des Auswärtigen
mit dem Polnischen Botschafter, 19. November 1938

Aufzeichnung

Ich empfing heute um 1 Uhr den Polnischen Botschafter Lipski.

Herr Lipski erklärte mir, er habe Außenminister Beck über den Inhalt unseres Gesprächs in Berchtesgaden vom 24. Oktober informiert und er sei nunmehr in der Lage, mir die Stellungnahme Becks hierzu mitzuteilen. Herr Lipski las alsdann von einem Zettel Teile seiner Instruktionen vor.

1. Außenminister Beck sei der Auffassung, daß das deutsch-polnische Verhältnis im allgemeinen seine Probe bestanden habe. Während der tschechischen Krise habe sich gezeigt, daß das deutsch-polnische Abkommen auf einer dauerhaften Grundlage aufgebaut sei. Außenminister Beck glaube, daß die geradlinige polnische Politik für Deutschland bei der Gewinnung des Sudetengebietes von Nutzen gewesen sei und wesentlich dazu beigetragen habe, diese Frage einer glatten Lösung im deutschen Sinne zuzuführen. Die Polnische Regierung habe während dieser kritischen Tage alle Sirenenklänge, die von gewisser Seite ertönt seien, unbeachtet gelassen.

Ich erwiderte Herrn Lipski, daß sich auch meiner Auffassung nach das deutsch-polnische Abkommen als hieb- und stichfest erwiesen habe. Durch die Aktion des Führers gegen die Tschechoslowakei habe Polen die Möglichkeit gehabt, das Olsagebiet zu gewinnen und eine Anzahl sonstiger Grenzwünsche zu befriedigen. Im übrigen stimme ich mit ihm überein, daß auch die polnische Haltung für Deutschland die Dinge erleichtert habe.

2. Herr Lipski machte alsdann weitschweifige Ausführungen, um die Wichtigkeit und Bedeutung Danzigs als freie Stadt für Polen zu beweisen.

Auch aus innerpolitischen Gründen sei es für Außenminister Beck schwer, einer Eingliederung Danzigs in das Reich zuzustimmen. Außenminister Beck habe sich nun überlegt, wie man ein für allemal alle Reibungspunkte, die über Danzig zwischen Deutschland und Polen möglicherweise entstehen würden, beseitigen könnte. Er habe sich gedacht, daß man das Danziger Völkerbundsstatut durch einen deutsch-polnischen Vertrag, in dem alle Danziger Fragen behandelt würden, ersetzen könne. Als Basis für diesen Vertrag denke sich Beck, daß man einmal Danzig als rein deutsche Stadt anerkenne mit allen Rechten, die hieraus resultierten, andererseits aber Polen und der polnischen Minderheit alle wirtschaftlichen Rechte gleichfalls sicherstelle, wobei der Charakter Danzigs als Freistaat und die Zollunion mit Polen erhalten bleibe.

Ich erwiderte Herrn Lipski, daß ich den Standpunkt von Außenminister Beck bedauere. Die Anregung für eine säkulare Lösung des deutsch-polnischen Problems, bei der Danzig zu Deutschland kommen solle, möge wohl eine innerpolitische Belastung für Herrn Beck mit sich bringen, andererseits sei aber nicht zu verkennen, daß auch der Führer es nicht leicht haben werde, eine Garantie des polnischen Korridors vor dem deutschen Volke zu vertreten. Meiner Anregung habe die Absicht zugrunde gelegen, das deutsch-polnische Verhältnis auf eine eherne Dauerbasis zu stellen und alle nur denkbaren Reibungspunkte zu beseitigen. Ich hätte nicht die Absicht gehabt, ein kleines diplomatisches Gespräch zu führen. Wie er, Lipski, aus den Reden des Führers ersehen könne, behandele dieser die deutsch-polnische Frage stets von einer [181] hohen Warte. Vor der internationalen Presse hätte ich noch kürzlich in seinem Beisein ausgeführt, daß ein gutes deutsch-polnisches Verhältnis mit zum Fundament der deutschen Außenpolitik gehöre.

Botschafter Lipski bedankte sich für diese Ausführungen und kam dann wieder auf den Vorschlag eines zweiseitigen Vertrages über Danzig zurück.

Ich erklärte ihm, daß ich nicht abschließend hierzu Stellung nehmen wolle, daß mir der Vorschlag nicht leicht realisierbar erscheine.

3. Ich frug alsdann Herrn Lipski, wie sich Herr Beck zu der Frage einer exterritorialen Autobahn und einer ebenso exterritorialen doppelgleisigen Eisenbahn durch den polnischen Korridor stelle.

Herr Lipski erwiderte mir, daß er zu dieser Frage nicht eingehend und nicht offiziell Stellung nehmen könne. Rein persönlich könne er sagen, daß ein solcher deutscher Wunsch vielleicht in Polen nicht auf unfruchtbaren Boden zu fallen brauche und daß sich vielleicht in dieser Richtung Lösungsmöglichkeiten böten.

4. Ich sprach Herrn Lipski dann noch auf die gerade herausgegebenen polnischen Freimarken an, die für den Danziger Verkehr bestimmt seien und Danzig gewissermaßen als polnische Stadt darstellten. Er könne verstehen, daß dies wiederum die Gefühle der deutschen Bevölkerung Danzigs verletze.

Herr Lipski erklärte mir, über die Angelegenheit nicht Bescheid zu wissen, er wolle aber gleich Erkundigungen einziehen.

Abschließend erklärte ich Herrn Lipski, daß es der Mühe lohne, die deutschen Vorschläge zu dem Gesamtkomplex der deutsch-polnischen Beziehungen ernsthaft zu überlegen. Man wolle hier ja etwas Dauerhaftes schaffen und eine wirkliche Stabilität herbeiführen. Das könne natürlich von heute auf morgen nicht geschehen. Wenn sich Herr Beck in Ruhe unsere Anregungen überlege, so würde er vielleicht doch zu einer positiven Einstellung gelangen.

von Ribbentrop




Nr. 199
Aufzeichnung des Deutschen Botschafters in Warschau
Berlin, den 15. Dezember 1938

Außenminister Beck bat mich gestern abend zu sich, nachdem ich ihm hatte mitteilen lassen, daß ich heute in Berlin sein würde. Herr Beck erging sich zunächst in längeren Erörterungen über die große Bedeutung der Vereinbarung vom Januar 1934 und erklärte, daß er nach wie vor willens sei, die von Pilsudski inaugurierte Politik fortzusetzen. Das Abkommen von 1934 habe in der außerordentlich kritischen Zeit, die wir soeben durchlebt hätten, eine besonders große Rolle gespielt und man müsse erneut feststellen, daß es sich bewährt habe. Es sei deshalb eine Absurdität, wenn jetzt in den deutsch-polnischen Beziehungen eine gewisse Spannung entstanden sei. Das läge wohl daran, daß sich in den letzten Wochen zuviel auf einmal geändert hätte. Es habe nicht nur die Tschechoslowakei ein anderes Gesicht bekommen, sondern eine Reihe von anderen Systemen und Kombinationen, die früher eine Rolle gespielt hätten, seien zusammengebrochen. Er halte es deshalb für zweckmäßig, die neue Lage [182] gemeinsam zu überprüfen, und er habe Herrn Lipski beauftragt, die Anregung zu einer persönlichen Aussprache zwischen den beiden Außenministern zu übermitteln.

Von Herrn Lipski, der gestern in Warschau war und dem ich im Zuge begegnete, erfuhr ich, daß diese Aussprache in Warschau geplant sei und daß man hoffe, Herr Reichsminister von Ribbentrop werde möglichst bald den vor 3 Jahren in Berlin durchgeführten Besuch des Außenministers Beck erwidern.

Herr Beck kam dann auf die einzelnen Probleme zu sprechen, die einer näheren Erörterung bedürften. Er erwähnte zunächst Danzig, wo in letzter Zeit wieder einige Schwierigkeiten entstanden seien und wo immer die Gefahr unliebsamer Überraschungen bestände. Er hoffe dringend, daß unerwünschte faits accomplis vermieden würden. Es habe ja kürzlich schon eine erste Aussprache über das Danziger Problem stattgefunden - womit offensichtlich auf die Berchtesgadener Besprechung angespielt wurde130 - und über kurz oder lang müßte diese Erörterung ja zweifellos wiederaufgenommen werden.

Herr Beck erwähnte ferner die karpatho-ukrainische Frage, die eine gewisse Aufregung in der öffentlichen Meinung hervorgerufen habe. In der polnischen Öffentlichkeit habe man die Befürchtung, daß Deutschland die Absicht habe, von der Karpatho-Ukraine aus eine gegen Polen gerichtete Politik zu treiben, und in Deutschland argwöhne man, daß Polen Deutschland den Weg nach dem Donauraum versperren wolle. Letzteres sei grundfalsch und er hoffe, daß auch das erstere nicht richtig sei. Jedenfalls würde es aber gut sein, sich einmal über diese Dinge auszusprechen. Er glaube doch, daß es möglich sein würde, einen Weg zu finden, der die Interessen beider Staaten berücksichtige.

Wir kamen dann auf Memel zu sprechen und ich wies bei dieser Gelegenheit auf die polnischen Pressestimmen hin, die im Anschluß au die Wahl wichtige politische Veränderungen im Memelgebiet zu erwarten schienen. Herr Beck begnügte sich mit dem Hinweis darauf, daß Polen im Memelgebiet wirtschaftliche und Schiffahrtsinteressen hätte und daß wohl in jedem Fall eine Berücksichtigung dieser Interessen erwartet werden könne.

Ich wies dann darauf hin, daß ich nicht nur in Polen eine Verschlechterung der Stimmung gegenüber Deutschland festgestellt hätte, sondern daß auch in Deutschland zur Zeit keine freundliche Einstellung gegenüber Polen bestände. Als wichtigste Ursache hierfür verwies ich auf die Behandlung der Minderheiten, namentlich im Olsagebiet, wo massenhafte Arbeiterentlassungen stattgefunden hätten und wo die Bevölkerung allmählich zu der Auffassung gelangt sei, daß die 20 Jahre tschechischer Herrschaft ein Paradies gegenüber dem jetzigen Zustande gewesen wären.131 Herr Beck erklärte, daß die Polnische Regierung den Wunsch habe, der deutschen Minderheit gute Daseinsbedingungen zu bereiten, daß der Ministerpräsident bereits die schärfsten Weisungen an die Verwaltungsbehörden gegeben hätte und daß er, Beck, persönlich jederzeit bereit wäre, zu intervenieren, wenn ihm konkrete Fälle mitgeteilt werden könnten.

von Moltke



[183]
Nr. 200
Unterredung des Führers mit dem Polnischen Außenminister Beck
im Beisein des Reichsministers des Auswärtigen,
des Deutschen Botschafters in Warschau
und des Polnischen Botschafters in Berlin
Berchtesgaden, 5. Januar 1939

Aufzeichnung des Gesandten Schmidt

Oberst Beck unterstrich einleitend die Tatsache, daß die deutsch-polnischen Beziehungen in der Septemberkrise ihre Probe voll und ganz bestanden hätten. Wenn sich in den letzten Monaten vielleicht ein gewisses Absinken von dem hohen Niveau der Septembertage bemerkbar gemacht hätte, so solle man sich nach Ansicht der Polnischen Regierung auf beiden Seiten bemühen, die Ursachen einiger Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen, die sich in der letzten Zeit ergeben hätten. Als eine dieser Schwierigkeiten erwähnte Herr Beck die Danziger Frage und betonte dabei, daß hier nicht nur die Deutsche und die Polnische Regierung, sondern auch dritte Parteien, wie unter anderem auch der Völkerbund, in Frage kämen. Was hätte z. B. zu geschehen, falls sich der Völkerbund aus seiner Danziger Rolle einmal zurückzöge? Auch sonst gäbe es noch einige weitere Fragen, in denen bestehende Mißverständnisse beseitigt werden sollten, u. a. die Garantierung der tschechoslowakischen Grenze, und zwar ob sie sofort erfolgen solle oder, wenn überhaupt, zu welchem Zeitpunkt sie in Aussicht genommen wäre. Besonders sei Polen in diesem Zusammenhang an der Karpatho-Ukrainischen Frage interessiert. Er erinnere an ein Wort Pilsudskis "von der Balkanisierung Mitteleuropas". Polen erkenne in den Agitatoren, die sich auf dem jetzigen karpatho-ukrainischen Territorium betätigten, alte Feinde wieder und fürchte, daß die Karpatho-Ukraine sich möglicherweise einmal zu einem Herd derartiger Beunruhigung für Polen entwickeln könne, daß sich die Polnische Regierung zu einem Einschreiten veranlaßt sehen würde, aus dem sich weitere Komplikationen ergeben könnten. Dies sei der hauptsächlichste Grund für das Streben Polens nach einer gemeinsamen Grenze mit Ungarn gewesen.

Der Führer erwiderte, daß zur Bereinigung aller bestehenden Schwierigkeiten zunächst einmal auf die Grundtendenz des deutsch-polnischen Verhältnisses zurückgegriffen werden müßte. Von deutscher Seite könne er betonen, daß sich in dem Verhältnis Deutschlands zu Polen, wie es sich auf Grund der Nichtangriffserklärung vom Jahre 1934 darstelle, nicht das geringste geändert habe. Was insbesondere die Frage der Karpatho-Ukraine angehe, so könne er im Hinblick auf die Deutschland in der Weltpresse unterschobenen Absichten erklären, daß Polen in dieser Hinsicht nicht das geringste zu befürchten hätte. Deutschland hätte jenseits der Karpathen keine Interessen und es sei ihm gleichgültig, was die an diesen Gebieten interessierten Länder dort täten. Die im Zusammenhang mit dem Wiener Schiedsspruch von Deutschland in der ukrainischen Frage eingenommene Haltung, die in Polen vielleicht zu gewissen Mißverständnissen geführt habe, erkläre sich aus der historischen Entwicklung dieser Angelegenheit. Dieser Schiedsspruch sei nach Anhörung beider Parteien auf der Grundlage der ungarischen Forderungen durchgeführt worden. Sein (des Führers) Wunsch, auf keinen Fall einen internationalen Konflikt zuzulassen, sei letzten Endes der ausschlaggebende Grund für seine Haltung in der ukrainischen Frage gewesen.

Was das deutsch-polnische Verhältnis im einzelnen angehe, so wolle er noch einmal wiederholen, daß sich an der deutschen Einstellung gegenüber Polen [184] seit 1934 nichts geändert habe. Um zu einer endgültigen Bereinigung der zwischen beiden Ländern noch schwebenden Fragen zu gelangen, dürfe man sich nicht auf die mehr negative Abmachung vom Jahre 1934 beschränken, sondern müsse die einzelnen Probleme einer endgültigen vertraglichen Regelung zuzuführen suchen. Von deutscher Seite gäbe es außer der Memelfrage, die ihre Regelung in deutschem Sinne finden würde (es habe den Anschein, daß die Litauer an einer vernunftgemäßen Lösung mitwirken wollten), im direkten deutsch-polnischen Verhältnis das für Deutschland gefühlsmäßig sehr schwierige Problem des Korridors und Danzig zu lösen. Man müsse seiner Ansicht nach von alten Schablonen abweichend hier Lösungen auf ganz neuen Wegen suchen. So könne man sich im Falle Danzig z. B. eine Regelung denken, nach der diese Stadt politisch wieder, dem Willen ihrer Bevölkerung entsprechend, der deutschen Gemeinschaft zugeführt würde, wobei selbstverständlich die polnischen Interessen, besonders auf wirtschaftlichem Gebiet, voll und ganz gewahrt werden müßten. Dies sei ja auch Danzigs Interesse, denn Danzig könne wirtschaftlich ohne Hinterland nicht leben, und so dächte er, der Führer, an eine Formel, nach der Danzig politisch zur deutschen Gemeinschaft gelange, wirtschaftlich aber bei Polen bliebe.

Danzig sei deutsch, werde stets deutsch bleiben und früher oder später zu Deutschland kommen.

Bezüglich des Korridors, der, wie erwähnt, für Deutschland ein schweres psychologisches Problem darstelle, wies der Führer darauf hin, daß für das Reich die Verbindung mit Ostpreußen, ebenso wie für Polen die Verbindung mit dem Meer, lebenswichtig sei. Auch hier könne man vielleicht beiden Interessen durch Verwendung völlig neuer Lösungsmethoden gerecht werden.

Wenn es gelänge, auf dieser vernünftigen Grundlage eine endgültige Bereinigung der Einzelfragen herbeizuführen, wobei selbstverständlich jeder der beiden Partner zu seinem Recht kommen müsse, dann wäre der Zeitpunkt gekommen, auch Polen gegenüber die mehr negative Erklärung von 1934 in einem positiven Sinne ähnlich den Abmachungen mit Frankreich dadurch zu ergänzen, daß nunmehr von deutscher Seite eine klare, vertraglich festgelegte Grenzgarantie an Polen gegeben würde. Polen würde dann den großen Vorteil erhalten, seine Grenze mit Deutschland einschließlich des Korridors - der Führer unterstrich noch einmal die psychologische Schwierigkeit dieses Problems und die Tatsache, daß nur er es einer solchen Lösung zuführen könne - vertraglich gesichert zu bekommen. Es sei für ihn (den Führer) nicht ganz einfach, eine derartige Garantie des Korridors zu geben, und er würde deshalb sicherlich, besonders von der bürgerlichen Seite, ziemlich kritisiert werden. Aber als Realpolitiker glaube er doch, daß eine derartige Lösung die beste wäre. Genau so wenig wie man heute von Südtirol oder von Elsaß-Lothringen spreche, würde man dann vom polnischen Korridor hören, wenn Deutschland einmal seine Garantie gegeben hätte.

Der Polnische Außenminister Beck dankte dem Führer für die Darlegung des deutschen Standpunktes und erklärte, daß auch Polen absolut an seiner bisherigen Einstellung Deutschland gegenüber festhalte.

Polen würde die Linie der unabhängigen Politik weiter verfolgen, die es bereits in früheren Jahren geübt hätte, als man Polen dazu veranlassen wollte, sich auf dem Wege über einen Ostpakt näher mit Rußland zu verbinden. Polen sei zwar in bezug auf die Erhöhung seiner Sicherheit nicht so nervös wie Frankreich und halte nichts von den sogenannten "Sicherheitssystemen", die nach der Septemberkrise endgültig abgewirtschaftet hätten, was einen Wendepunkt der Geschichte bedeute. Es wisse aber die in der vom Führer soeben [185] abgegebenen Erklärung erneut zum Ausdruck gebrachte deutsche Einstellung sehr wohl zu würdigen. Es halte auch seinerseits an der alten Linie Deutschland gegenüber fest.

Was das deutsch-polnische Verhältnis angehe, so nehme er von den vom Führer ausgesprochenen Wünschen Kenntnis. Die Danziger Frage erscheine ihm jedoch außerordentlich schwierig. In diesem Zusammenhang müsse man besonders die öffentliche Meinung in Polen in Rechnung stellen. Dabei sehe er ganz von der Haltung der "Kaffeehausopposition" ab. Während seiner siebenjährigen Amtszeit habe er sich nicht im geringsten um die Kaffeehausmeinung gekümmert und sei immer noch im Amt. Er müsse jedoch auf die wirkliche Meinung des Volkes Rücksicht nehmen und sehe hier allerdings Schwierigkeiten für eine Lösung der Danziger Frage. Er wolle jedoch das Problem gern einmal in Ruhe überlegen.

Auf die übrigen vom Führer aufgeworfenen deutsch-polnischen Fragen ging Oberst Beck nicht näher ein, sondern beschloß seine Ausführungen mit der erneuten Bekräftigung, daß in der allgemeinen Einstellung Polen nach wie vor der seit 1934 befolgten Linie treu bleiben würde.

Schmidt




Nr. 201
Unterredung des Reichsministers des Auswärtigen
mit dem Polnischen Außenminister Beck, München, 6. Januar 1939

Aufzeichnung
Berlin, den 9. Januar 1939

In etwa anderthalbstündiger Aussprache mit Herrn Beck kam dieser sofort wieder auf das Danziger Problem zu sprechen. Er sagte, daß auch Polen bestrebt sei, in freundschaftlich-nachbarlichem Verhältnis mit Deutschland zu leben und dieses zu vertiefen. Das einzige Problem, das hierbei sich demnächst störend auswirken könnte, sei die Danziger Frage. Zwei Möglichkeiten könnten sich ergeben, daß wir zu dem Problem Stellung nehmen müßten:

1. daß der Völkerbund sich vielleicht an der Danziger Frage desinteressieren und das Kommissariat aufgeben würde, dann müßten Deutschland und Polen sich selbst mit der Frage auseinandersetzen;

2. daß die Polen durch neue Entwicklungen in Danzig gezwungen würden, Stellung zu nehmen.

Das Problem läge tatsächlich sehr schwierig und er habe sich schon den Kopf zerbrochen, wie man eine Lösung finden könne, aber bisher ohne Resultat.

Beck wies zum Schluß nochmals darauf hin, daß Danzig in der Mentalität des ganzen polnischen Volkes einen Prüfstein für die deutsch-polnischen Beziehungen darstelle und daß es sehr schwer sein würde, dies irgendwie zu ändern.

Ich habe daraufhin Herrn Beck folgendes auseinandergesetzt:

1. Wie der Führer schon gesagt habe, stände über allem der absolute Wunsch auf deutscher Seite nach einer endgültigen und umfassenden, großzügigen Konsolidierung des gegenseitigen Verhältnisses.

[186] 2. Zwei Probleme schienen hierfür von Bedeutung:

    a) die unmittelbaren deutsch-polnischen Beziehungen. Hier dächte ich mir folgende Lösung:
          Rückgliederung Danzigs an Deutschland. Dagegen Sicherstellung aller wirtschaftlichen Interessen Polens in dieser Gegend, und zwar in großzügigster Weise. Verbindung Deutschlands zu seiner Provinz Ostpreußen durch eine exterritoriale Auto- und Eisenbahn. Hierfür als Gegenleistung seitens Deutschlands Garantierung des Korridors und des gesamten polnischen Besitzstandes, also endgültige und dauernde Anerkennung der gegenseitigen Grenzen.

    b) die tschechisch-karpatho-ukrainische Frage.
          Hier habe ich wiederholt, daß in München ethnographische Grenzen festgesetzt seien. Sollte hier von irgendeiner Seite das Prinzip der politischen Grenze aufgeworfen werden, könne Deutschland sich natürlich nicht desinteressieren. Wenn an sich auch das deutsche politische Interesse nicht über die Karpathen hinausginge, so könne Deutschland ein Desinteressement an einer Grenzverschiebung auch darüber hinaus an der Tschechoslowakei und der Karpatho-Ukraine nicht aussprechen, denn es könne durch solche Ereignisse leicht in einen Konflikt hineingezogen werden. Der Wiener Schiedsspruch müsse eingehalten werden und unsere Grundauffassung sei es, daß, wenn andere Wünsche irgendwie hier aufkämen, solche mit den deutschen Interessen in Übereinstimmung gebracht werden müßten.

Am Schluß der Unterhaltung habe ich dann Herrn Beck gegenüber noch die Behandlung unserer deutschen Minoritäten beanstandet, vor allem im Olsagebiet. und in diesem Zusammenhang auf Grażyńskis dauernde antideutschen Machenschaften eindrücklichst hingewiesen. Herr Beck sagte mir, daß er dieser Frage bereits ernste Aufmerksamkeit geschenkt habe und daß er seinerseits alles tun werde, um diese Dinge in eine ruhigere Bahn zu bringen.

Ich habe dann Herrn Beck noch für seine Einladung nach Warschau gedankt und diese prinzipiell angenommen. Datum wurde noch nicht festgesetzt. Es wurde vereinbart, daß Herr Beck und ich uns den Komplex eines möglichen Vertragswerkes zwischen Polen und uns noch einmal eingehend durch den Kopf gehen lassen wollten. Durch Lipski und Moltke sollte dann in den nächsten Wochen weiter verhandelt werden und der Besuch sollte auf alle Fälle noch in diesem Winter stattfinden.

von Ribbentrop




Nr. 202
Unterredung des Reichsministers des Auswärtigen
mit dem Polnischen Außenminister Beck, Warschau, 26. Januar 1939

Aufzeichnung
Berlin, den 1. Februar 1939

1. Ich bin Herrn Beck gegenüber in Anknüpfung an die mit ihm am 6. Januar in München geführte Besprechung132 auf den bekannten Vorschlag (Rückgliederung Danzigs unter Sicherstellung der dortigen Wirtschaftsinter- [187] essen Polens und Schaffung einer exterritorialen Auto- und Eisenbahnverbindung zwischen dem Reich und seiner Provinz Ostpreußen, dafür als deutsche Gegenleistung Garantie der deutsch-polnischen Grenze) zurückgekommen, wobei ich erneut darlegte, daß es der Wunsch des Führers sei, durch ein entsprechendes Vertragswerk zu einer umfassenden Befriedung der deutsch-polnischen Beziehungen zu gelangen. Herr Beck müsse verstehen, daß die deutschen Wünsche außerordentlich maßvoll seien, denn die Abtrennung wertvollster deutscher Landesteile durch den Versailler Vertrag zugunsten Polens werde noch heute von jedem Deutschen als ein großes Unrecht empfunden, das nur in einer Zeit tiefster deutscher Ohnmacht möglich gewesen sei. Wenn man 100 Engländer oder Franzosen fragen würde, so würden 99 ohne weiteres zugeben, daß die Rückgliederung Danzigs und zum mindesten auch des Korridors eine selbstverständliche deutsche Forderung sei.

Herr Beck zeigte sich von meinen Darlegungen beeindruckt, berief sich aber erneut darauf, daß innerpolitische Widerstände zu erwarten seien; immerhin wolle er sich unsere Anregung weiterhin reiflich überlegen.

Ich habe mit Herrn Beck verabredet, daß, wenn sich der Völkerbund von Danzig zurückziehen sollte, bevor zwischen uns und Polen ein Vertragswerk, das auch Danzig einschließt, zustande gekommen wäre, wir uns mit ihm in Verbindung setzen würden, um eine Lösung zur Überbrückung dieses Zustandes zu finden.

2. Ich habe Herrn Beck gegenüber erneut die Behandlung unserer deutschen Minderheit beanstandet und mit ihm vereinbart, daß die seit langem geplanten Besprechungen zwischen leitenden Beamten der beiden Innenministerien sofort aufgenommen werden.

von Ribbentrop




Nr. 203
Unterredung des Reichsministers des Auswärtigen
mit dem Polnischen Botschafter, 21. März 1939

Aufzeichnung

Ich bat heute auf 12 Uhr den Polnischen Botschafter Lipski zu mir. Ich schilderte Herrn Lipski zunächst die Entwicklung der tschecho-slowakischen Frage und erklärte ihm, daß es mir angesichts der sich überstürzenden Ereignisse nicht möglich gewesen sei, die fremden Vertreter hier so zu unterrichten, wie ich es gewünscht hätte. Ich habe aber Botschafter von Moltke, der sich gerade in Berlin aufhielt, eingehend informiert und ihn beauftragt, seinerseits Außenminister Beck ins Bild zu setzen. Ich schilderte sodann die Vorgänge im einzelnen, die den Führer zu seinem Eingreifen veranlaßt hätten.

Es sei uns aufgefallen, daß sich in der Rest-Tschecho-Slowakei der Benesch-Geist wieder geregt habe. Alle Warnungen des Führers an Herrn Chvalkovský seien ungehört verhallt. In der letzten Zeit habe die Prager Regierung versucht, diktatorisch in der Karpatho-Ukraine und in der Slowakei vorzugehen. Auch die Drangsalierung der Deutschen in den Sprachinseln habe wieder begonnen.

Ich nehme an, daß die Regelung, die die karpatho-ukrainische Frage inzwischen gefunden habe, größte Zufriedenheit in Polen ausgelöst habe. Die Er- [188] richtung des Protektorats Böhmen und Mähren bedeute eine endgültige Befriedung dieses Raumes, die historischen Grundsätzen entspräche und schließlich allen zugute komme.

Botschafter Lipski äußerte sich alsdann besorgt wegen der Übernahme des Schutzes der Slowakei durch Deutschland. Diese Mitteilung habe in Polen stark eingeschlagen, denn der Mann auf der Straße könne einen solchen Schritt nur als in erster Linie gegen Polen gerichtet betrachten. Die Slowaken seien ein sprachverwandtes Volk. Die polnischen Interessen in diesem Gebiet seien auch historisch bedingt, und rein realpolitisch müsse man zugeben, daß die Erklärung des Schutzverhältnisses nur als Schlag gegen Polen empfunden werden könne.

Ich wies Botschafter Lipski auf die Tatsache hin, daß die unabhängige Slowakische Regierung Deutschland um seinen Schutz angerufen habe. Sicherlich sei die Erklärung des Schutzverhältnisses nicht gegen Polen gerichtet. Hierbei gab ich deutlich zu verstehen, daß man die Frage gemeinsam einmal beraten könne, falls das allgemeine deutsch-polnische Verhältnis eine befriedigende Entwicklung nehme; man könne hierbei an eine Teilnahme Polens an der Garantierung des slowakischen Staates denken. Leider habe ich jedoch feststellen müssen, daß sich in dem deutsch-polnischen Verhältnis eine allmähliche Versteifung bemerkbar mache. Diese Entwicklung habe bereits seit einigen Monaten begonnen. Es sei hier aufgefallen, welch merkwürdige Haltung Polen in der Minoritätenkommission eingenommen habe.133 Die durch polnische Studenten provozierten Danziger Zwischenfälle134 hätten ebenfalls zu denken gegeben. Botschafter Lipski bestritt auf das energischste, daß derartige Zwischenfälle durch polnische Studenten hervorgerufen worden seien. Auch meine Bemerkung, daß nach Auffassung des Führers die Schilder, die zu den Zwischenfällen geführt hätten, von polnischen Studenten angebracht worden seien, bestritt Herr Lipski auf das lebhafteste und behauptete, daß hieran polnische Studenten in keiner Weise beteiligt gewesen seien.

Weiterhin machte ich den Polnischen Botschafter auf die dauernden Presseangriffe aufmerksam, auf die deutschfeindlichen Demonstrationen anläßlich des Ciano-Besuchs135 und auf die heute bestehende offene Pressefehde. Diese Pressefehde scheine mir in jeder Richtung unberechtigt zu sein. Der Führer habe immer auf einen Ausgleich und auf eine Befriedung mit Polen hingearbeitet. Auch jetzt verfolge der Führer noch dieses Ziel. In zunehmendem Maße sei aber der Führer über die polnische Haltung verwundert. Bisher habe ich die deutsche Presse gegenüber Polen zurückgehalten, wie der Polnische Botschafter sich selber durch einen Blick in die deutsche Presse vergewissern könne. Es würde mir aber nicht möglich sein, auf die Dauer derartige Angriffe unbeantwortet zu lassen. Aus einer derartigen beiderseitigen Pressefehde könne dann bald ein Zustand entstehen, bei dem unsere Beziehungen auf dem Nullpunkt ankämen. Es erschiene mir erforderlich, daß man einen neuen Versuch unternehme, die deutsch-polnische Politik in das richtige Geleise zu bringen, und es erschiene mir richtig und zweckmäßig, wenn bald einmal eine persönliche Aussprache zwischen deutschen und polnischen Staatsmännern stattfände.

Ich würde mich freuen, wenn Außenminister Beck demnächst einen Besuch in Berlin abstatten würde. Wie mir der Führer gesagt habe, würde auch er eine solche Aussprache warm begrüßen. Auf den möglichen Inhalt einer solchen [189] Aussprache eingehend, erklärte ich Herrn Lipski zunächst, er müsse zugeben, daß Deutschland an der Schaffung und der heutigen Existenz Polens nicht unbeteiligt sei und daß Polen seine heutige territoriale Ausdehnung dem schwersten Unglück Deutschlands verdanke, nämlich der Tatsache, daß Deutschland den Weltkrieg verloren habe.

Allgemein werde die Korridor-Regelung als die schwerste Belastung des Versailler Vertrags für Deutschland empfunden. Keine frühere Regierung sei in der Lage gewesen, auf die deutschen Revisionsansprüche zu verzichten, ohne daß sie nicht innerhalb von 48 Stunden vom Reichstag fortgefegt wäre. Der Führer denke anders über das Korridor-Problem. Er erkenne die Berechtigung des polnischen Anspruchs auf einen freien Zugang zum Meer an. Er sei der einzige deutsche Staatsmann, der einen endgültigen Verzicht auf den Korridor aussprechen könne. Voraussetzung hierfür sei aber die Rückkehr des rein deutschen Danzig zum Reich sowie die Schaffung einer exterritorialen Bahn- und Autoverbindung zwischen dem Reich und Ostpreußen. Nur hierdurch würde für das deutsche Volk der Stachel beseitigt, der in der Existenz des Korridors liege. Wenn die polnischen Staatsmänner in Ruhe den realen Tatsachen Rechnung trügen, dann könne man auf folgender Basis eine Lösung finden: Rückkehr Danzigs zum Reich, exterritoriale Eisenbahn- und Autoverbindung zwischen Ostpreußen und dem Reich und hierfür Garantie des Korridors. Ich könnte mir vorstellen, daß man in einem solchen Falle die slowakische Frage im erwähnten Sinne zu behandeln in der Lage wäre.

Botschafter Lipski versprach, Außenminister Beck zu informieren und alsdann Nachricht zu geben.

Ich schlug vor, daß Botschafter Lipski zur mündlichen Berichterstattung nach Warschau führe. Ich wiederholte noch einmal, wie nützlich mir ein endgültiger Ausgleich zwischen Deutschland und Polen gerade im jetzigen Stadium erschiene. Dies sei auch wichtig, weil der Führer bisher über die merkwürdige Haltung Polens in einer Reihe von Fragen nur verwundert sei; es käme darauf an, daß er nicht den Eindruck erhalte, daß Polen einfach nicht wolle.

von Ribbentrop




Nr. 204
Der Deutsche Botschafter in Warschau an das Auswärtige Amt
Telegramm
Warschau, den 24. März 1939

Kurzfristige Reservisteneinziehung, drei bis vier Jahrgänge, und zwar 1911 bis 1914, ferner 1906 und 1907, örtlich verschieden, sicher bestätigt. Reserveoffiziere technischer Truppen eingezogen.

Moltke



[190]
Nr. 205
Der Deutsche Konsul in Gdingen an das Auswärtige Amt
Bericht
Gdingen, den 24. März 1939

Seit gestern sind in Gdingen drei Jahrgänge eingezogen worden. Das erfolgte bereits gestern am Vormittag und Nachmittag. Die Polen wurden direkt vom Arbeitsplatz abberufen. Darunter waren eine ganze Reihe von Menschen, die vor 14 Tagen erst von einer Übung zurückgekommen sind. Man sagt, daß der Jahrgang 1910-1912 eingezogen sei, nach anderer Lesart die Jahrgänge 1912-1914. Darüber konnte ich keine klare Information bekommen.

Die polnische Kriegsflotte ist bis auf ein Fahrzeug seit gestern ausgelaufen. Vorgestern haben Schießübungen der Kriegsschiffe bei Rewa stattgefunden.

Weiter erfahre ich, daß vier Kompanien aus Gdingen in Putziger-Heisternest (Jastarnia) auf der Halbinsel Hela bei der Bevölkerung einquartiert sind und unter dauernder Alarmbereitschaft stehen sollen. Diese Truppen sollen sich seit Sonnabend nacht dort befinden. Feldmarschmäßig sind die Soldaten von Gdingen in einem Zug abtransportiert worden, ohne daß man ihnen das Ziel der Fahrt mitgeteilt hatte.

Hofmann




Nr. 206
Der Deutsche Botschafter in Warschau an das Auswärtige Amt
Telegramm
Warschau, den 24. März 1939

Bereits gemeldete Reservisteneinziehungen136 deuten darauf hin, daß militärische Kreise auf Leitung polnischer Außenpolitik wachsenden Einfluß gewinnen. Zwar scheint einstweilen Position des Außenministers noch stark zu sein, wie auch aus Verhaftung des prominenten Redakteurs Mackiewicz hervorgeht, der, obwohl Pilsudskist, sich zu scharfem Gegner Becks entwickelt hat; doch steht zu besorgen, daß Beck schärferen Kurs mitmachen wird, wenn er durch bedrohende nationalistische Welle dazu gezwungen würde.

Über englische Anregungen,137 deretwegen in letzten Tagen wiederholte Besuche des Englischen Botschafters in hiesigem Außenministerium stattgefunden haben, ist etwas Bestimmtes bisher nicht zu erfahren gewesen. Es läßt sich deshalb noch nicht beurteilen, ob etwa die polnischen Mobilmachungsmaßnahmen durch diese englische Aktion beeinflußt worden sind. In diesem Zusammenhang scheint mir eine Äußerung berichtenswert, die Unterstaatssekretär Arciszewski hier einigen Diplomaten gegenüber getan hat. Unter abfälligen Bemerkungen über England und Frankreich, die immer wieder, ohne eigenes Risiko einzugehen, Polen für fremde Zwecke mißbrauchen wollen, erklärte er, daß Polen sich niemals lediglich für Interessen anderer Mächte schlagen werde. Auch sonst kann man nach den Richtlinien der Beckschen Politik wohl annehmen, daß Polen sich nur ungern dazu bereit finden würde, in irgendeine generelle Kombination einzutreten oder sich in Aktionen ver- [191] wickeln zu lassen, die es zwingen würden, seine Position vorzeitig und sichtbar festzulegen. Das bedeutet natürlich nicht, daß Polen nicht zugreifen würde, wenn sich gelegentlich dieser Verhandlungen die Möglichkeit bieten sollte, feste Zusagen von englischer Seite zu erhalten, die seine Sicherheit erhöhen würden.

Moltke




Nr. 207
Aufzeichnung des Dirigenten der Politischen Abteilung
des Auswärtigen Amts
Berlin, den 25. März 1939

Das Oberkommando des Heeres rief mich heute 11 Uhr an und teilte mir über die polnischen Mobilisierungsmaßnahmen folgendes mit:

    1. Bei Gdingen seien etwa 4 000 Mann polnische Truppen zusammengezogen.

    2. Die Truppe einer Garnison, die bisher im südlichen Korridor stationiert gewesen sei, sei in die unmittelbare Nähe der Danziger Grenze verlegt worden.

    3. Polen habe drei Jahrgänge mobil gemacht.

Alle diese Maßnahmen bezögen sich nur auf den nördlichen Teil Polens, in den anderen Gebieten des Landes sei der Umfang der militärischen Maßnahmen noch nicht klar erkennbar.

Fürst von Bismarck




130Vgl. Nr. 197. ...zurück...

131Vgl. Abschnitt VII. ...zurück...

132Vgl. Nr. 201. ...zurück...

133Vgl. Nr. 178. ...zurück...

134Vgl. Nr. 195. ...zurück...

135Vgl. Nr. 146 und 147. ...zurück...

136Vgl. Nr. 204. ...zurück...

137Vgl. Nr. 271 ff. ...zurück...


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