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Mitteldeutschland - Hermann Goern

Das schöne Sachsen

Daß Sachsen nicht nur das Land hämmernder Arbeit ist, muß allen denen gesagt werden, die bei seinem Namen nur an qualmende Schlote und statistische Zahlen denken. Das Industrie-Gebiet ist zugleich mit großen und mannigfachen landschaftlichen Reizen gesegnet, die sich durchaus neben denen anderer lauter gepriesener Gaue unseres Vaterlandes behaupten können. Die Hälfte seines Raumes ist Waldland geblieben trotz seiner dichten Bevölkerung und bietet nicht nur ihr sondern auch der Jahr um Jahr sich mehrenden Zahl der Zureisenden überreiche Gelegenheit zur Erholung. Sei es nun in den Bädern des Erzgebirges und Vogtlandes, den zahllosen Kurorten und Wintersportplätzen, auf einsamen Wanderungen durch die ausgedehnten Forsten und Heidelandschaften, bei Dampferfahrten auf der Elbe zu den Königsschlössern und Burgen, beim Verweilen an den Stätten tausendjähriger Geschichte oder bei der stillen Betrachtung des berühmten Reichtums an Kunstschätzen, nach dem der Pilgerstrom aus den fernsten Ländern der Erde nicht abreißt. Daß diese stillen und erquickenden Bezirke so dicht neben den fordernden und lärmenden Stätten angespanntesten gewerblichen Fleißes liegen, eben diese anderswo kaum anzutreffende Gegensätzlichkeit im Gesicht der Landschaft verleiht Sachsen seinen eigenartigsten Reiz, dem nun auf einigen Streifzügen nachgegangen werden soll.

Die natürliche Straße, auf der sich seit alters her mit dem Handel der Austausch zwischen Nord und Süd, zwischen den Donauländern und den Meeresküsten abgespielt hat, ist das Tal der Elbe. Wenn ihm auch der reiche Burgenschmuck und die Kaiserherrlichkeit des Rheins versagt geblieben ist, und keine Lieder die stillere Schönheit seiner Ufer preisen, so ist doch gerade der Eintritt des Stromes ins Reichsgebiet durch den Erdzeiten währenden Kampf des Wassers mit dem Gestein zu einer Landschaft abenteuerlichster Felsbildungen gestaltet worden, der man auf so engem Raum und in solcher Fülle sonst nirgendwo begegnet. Das Elbsandsteingebirge ist unter dem ihm nun seit dem Ende des 18. Jahrhunderts anhaftenden Namen "Sächsische Schweiz" volkstümlich geworden. Zwei Schweizer Maler, der berühmte Porträtist Graff und der Landschafter Zingg, die an der Dresdener Kunstakademie als Lehrer wirkten, haben dem seltsam zerklüfteten Gebiet in Erinnerung an ihre Heimat dazu verholfen.

Sächsische Schweiz. Blick vom Lilienstein ins Elbtal und zum Winterberg.
[358]      Sächsische Schweiz. Blick vom Lilienstein ins Elbtal und zum Winterberg.

Die Entstehung des Sandsteingebirges reicht in das Mittelalter unserer Erdgeschichte hinab. Damals zur Kreidezeit, als die sächsisch-böhmische Landschaft von einem Meer überflutet wurde, das allmählich ganz Nordostböhmen ausfüllte, lagerten sich auf seinem Grunde Schicht über Schicht in langen Zeiträumen jene Sande ab, die in einer Mächtigkeit von mehreren hundert Metern heute als Quadersandstein anstehen. Nachdem das Kreidemeer wieder zurückgetreten war, und die geologische Neuzeit mit großen Umwälzungen der Erdoberfläche anbrach, preßte ein starker Druck von Süden her das sächsisch-böhmische Gebirge hoch und ließ eine Bruchzone so entstehen, daß Nordböhmen tief einsank und von der nach Norden geneigten Scholle des Erzgebirges mit seinem Vorland überragt [446] wurde. Von diesem Vorgang ist auch das Sandsteingebiet betroffen worden, dessen ursprünglich ebene Bänke in gleicher Weise sich hoben und nach NO neigten. Seine Zerklüftung in Schluchten und cañonartige Täler hat das Gebirge dem Strom zu verdanken, dessen unablässig nagende Kraft es fertig gebracht hat, sein noch zur Eiszeit bis 150 Meter höher gelegenes Bett auf den heutigen Stand zu vertiefen. Diese noch immer währende Zerstörung durch fließendes Wasser wird unterstützt durch das im klüftig gewordenen Stein senkrecht versickernde Regenwasser, das ihn in zahllose Quader zerspaltet, wodurch auch der Name Quadersandstein erklärt wird. Das sogenannte Gebirge ist also eine zwar gehobene, aber tief zernagte Ebene. Diese ursprüngliche Ebene ist nur noch als Gipfelfläche der durchschnittlich 400 Meter hohen Tafelberge und "Steine" zu erkennen. Alles dazwischen fehlende "Gebirge" bis zum Spiegel der Elbe hinab hat das Wasser abgetragen und weggeräumt. Die heutige Siedelfläche setzt sich aus den 150 - 200 Meter tiefer liegenden, erst in jüngerer Zeit entstandenen "Ebenheiten" zusammen, die durch die noch jüngeren engen Lücken der "Gründe" voneinander getrennt sind. Ihre 50 - 100 Meter tiefer gelegenen Talsohlen "stehen im Begriff, eine in ihrer Gesamtheit noch unsichtbare, aber im Werden begriffene und zur Elbe geneigte Landfläche zu bilden." (Banse.) Selten läßt sich die unablässig das Antlitz der Erde umgestaltende Kraft der Natur so gut am Werke beobachten wie hier im Gebiet des Elbedurchbruchs.

Vom böhmischen Tetschen bis nach Pirna hinüber bleibt das von der Hauptbahnlinie begleitete Stromtal gleich eng und gibt außer bei Schandau keinen Raum zu größeren Niederlassungen. Bis dicht an den Strom heran reichen die verhältnismäßig steilen, meist mit Nadelwald bestandenen Böschungen, aus denen schon einzelne Felsblöcke aufragen. Darüber steht dann in senkrechten Mauern der Sandstein an. Hat man durch Klüfte und über ungefüge Stufen die Höhe gewonnen, so breiten sich oben die Ebenheiten aus, deren meist guter Lehmboden zuweilen mehrere Dörfer ernähren kann. Sonst steht auch hier der Nadelwald. Erst über diesen Ebenheiten thronen, turm- und burgartig vereinzelt, oder scheinbar zu riesenhaften Festungsanlagen verbunden (wie z. B. das uneinnehmbare Massiv der Schrammsteine) die nackten weithin leuchtenden Mauern der "Steine". Dieser einzigartige Aufbau der Landschaft, der sich am besten vom Rand der Steine aus überschauen läßt, wiederholt sich mit immer neuen Abwandlungen im ganzen Gebiet. An einigen der höchsten Gipfel erscheint Basalt, der während der Tertiärzeit in den Spalten hochgestiegen ist und z. B. auf dem Großen Winterberg bei Schmilka (551 Meter) und dem das Landschaftsbild weithin beherrschenden Rosenberg (620 Meter) bei Tetschen als eine bis 100 Meter mächtige Decke ansteht. Solches Vorkommen ist durch den auf ihm gedeihenden schönen Buchenwald dann weithin kenntlich.

Das am meisten Lockende des eigentlich weit mehr Kletter- als Wandergebietes, ist seine widerspruchsvolle Gegensätzlichkeit, mit der es fast bei jedem Schritt überrascht. Eben noch gelbflimmernde, glühende Steinwüste, dann harzduftende Kiefernwälder, darunter freundlich-bunte Dörfer in den fruchtbaren Fluren der Ebenheiten und dazwischen die tiefengen Schächte der klippenreichen, [447] feuchtkühlen dunklen Gründe, in denen zwischen Unterholz üppige Farne wuchern. Neben den mächtigen, sargdeckelartig wuchtenden Großformen der Tafelberge und Bastionen starren die Türme und Nadeln als festere Überbleibsel längst zu Schutthalden verwitterter Massive. Oft haben sich windzerfetzte Kiefern wie phantastische Vögel auf ihrem Scheitel festgekrallt, und seltsam genug sind die Namen, die der Volksmund diesen abenteuerlichen Gebilden gab: Barberina, Herkulessäulen, Mönch, Dreifingerturm, oder auch gemütliche wie Kamel, Lokomotive, Storchnest und Lämmchen. Der Höhlen hat sich längst die Sage bemächtigt. Stoff genug ist ja auch dazu vorhanden, wenn man bedenkt, was sich in diesem unwegsamen Grenzgelände mit seinen unauffindbaren Verstecken für lichtscheues Volk alles abgespielt haben mag. Nicht umsonst ist das "Raubschloß" zerstört worden. Das war lange vor der Eisenbahn, als der Verkehr hinüber und herüber noch auf die Pässe der Salzstraße, der Glasstraße und den Diebessteig angewiesen war. Unterschlupf gab es hier oben auch für verfolgten Glauben, seit uralten Zeiten bis zum Dreißigjährigen Krieg. Damals brauchten die bergwärts fahrenden Frachtschiffe noch Wind für ihre Segel und wenn der ausblieb, dann hatte die Zunft der "Bomätschen" der Schiffzieher auf den Leinpfaden am Ufer gut zu verdienen. Heute verkehren schmucke Dampfer bis weit nach Böhmen hinein und bis nach Hamburg hinunter. Das erste Schiff der Sächsisch-Böhmischen Dampfschiffahrtsgesellschaft fuhr am 25. August 1837 von Dresden nach Meißen. Damals gab es auch hier allerorten noch Schiffsmühlen, wie heute noch selten genug an der Donau. Von den alten Stromgewerben hat sich nur die Flößerei gehalten, die das böhmische Holz von der oberen Moldau über die großen Niederlagen von Herrnskretschen und Niedergrund nach dem Hauptstapelplatz Magdeburg führt. Wenn auch die früher bedeutende Einfuhr heute zur Hebung der eigenen Holzwirtschaft beträchtlich eingeschränkt ist, so gehören die mit dem Strom langsam ziehenden, bis 110 Meter langen Flöße doch noch zum gewohnten Bild der Tallandschaft.

Bad Schandau.
[360]      Bad Schandau.

Sächsische Schweiz. Durchblick von der Bastei zum Lilienstein.
[357]      Sächsische Schweiz.
Durchblick von der Bastei zum Lilienstein.
Ein Gewerbe aber, das nicht aussterben wird, solange die Menschen bauen und der gewachsene Stein sich dem Kunststein gegenüber behauptet, ist das Steinbrechergewerbe. Die großen Brüche des Gottlaubatales, die Teichsteinbrüche bei Schöna, die Postelwitzer bei Schandau und wie sie alle heißen mögen, haben das begehrte Material für die meisten der sächsischen Monumentalbauten geliefert. Aber auch weit ins Reich hinein und über seine Grenzen hinaus ist der schönkörnige "Pirnische" Sandstein gegangen. Wurde doch sogar das königliche Schloß in Kopenhagen im 18. Jahrhundert aus ihm errichtet.

Wer die berühmte romantische Bergnatur des Gebietes recht kennen lernen will, der wandere von Bad Schandau oder Schmilka aus nach den beiden Winterbergen, denn hier auf der rechten Seite des Stromes ist die eigentliche Landschaft der Steine und Wände mit ihren Felslabyrinthen und Wäldern, die sich bis ins Böhmische hinüber ziehen. Hier kommt er zu den Schrammsteinen, zum Kuhstall, Raubschloß und dem Prebischtor, und den Tyssaer Wänden, um nur die bedeutendsten Namen zu nennen, und jenseits der Grenze bei Aussig ragt heute wie einst der Schreckenstein über die Elbe, die Burg, der wir eins der [448] schönsten Gemälde deutscher Romantik verdanken: Ludwig Richters, des Dresdener Malers "Überfahrt am Schreckenstein". Ein Beispiel sächsisch-böhmischer Kulturverbundenheit, die unabhängig von Grenzziehungen und Deutschenhaß bestehen bleibt. Freilich hat sich auch dort das Bild verändert. Denn wo einst der Nachen mit dem Harfenspieler den Strom kreuzte, da sperrt ihn heute der Riegel der großen tschechischen Masarykschleuse. Von Schandau abwärts sichert die Feste Königstein die Stromschleife und gegenüber wuchtet der Tafelberg des Liliensteins mit seinen über Waldgrün rot leuchtenden schroffen Wänden.

Die Anfänge der Befestigung des Königsteins gehen bis ins 12. Jahrhundert zurück. Die weiträumige Anlage stammt vom Dresdener Festungsbaumeister und Zeugmeister Paul Puchner aus dem 16. Jahrhundert. Gleichzeitig wurde auch der 152 Meter tiefe Brunnen aus dem Felsen gehauen. Eine uneinnehmbare Felsenburg, die neben ihrem strategischen Ruf durch die lange Reihe der in ihr verschlossenen Staatsgefangenen eine traurige Berühmtheit erlangt hat. Wie viele haben eine glänzende Laufbahn mit jahrzehntelanger Haft in den düsteren Kellern hier oben abgeschlossen. Wer heute heraufsteigt, den belohnt vor allem die beglückende Aussicht über das Elbtal und die nach Süden ausgebreitete Wunderwelt des Gebirges.

Sächsische Schweiz. Basteigebiet.
[356]      Sächsische Schweiz. Basteigebiet.

Burg Hohnstein.
[359]      Burg Hohnstein (Sächsische Schweiz).
Nach Norden haftet der Blick an der Sperrmauer der Basteifelsen, die unmittelbar neben der Elbe fast senkrecht 200 Meter aufragen. Unweit davon über dem einsam-wilden Polenztale liegt Hohnstein mit seinem Felsenschloß und einer schönen Kirche von dem Dresdener Meister George Bähr. In diesem Städtchen wurde 1765 vom Kurfürsten die erste Merinoschäferei gegründet, die auch ihr Teil mit dazu beigetragen hat, daß gerade in Sachsen die Textilindustrie so beheimatet wurde. Am Anfang des Tales mit seinen endlos ausgestreckten Straßendörfern bildet Neustadt mit dem benachbarten Sebnitz das Zentrum der deutschen Kunstblumenherstellung. Aus den Bedürfnissen der katholischen Bräuche des böhmischen Grenzlandes entstanden hat sich hier eine Heimindustrie von Weltruf entwickelt, für die der gesunkene Auslandsexport katastrophale Wirkungen brachte. Durch die Hilfsmaßnahmen der Regierung mit den Millionenaufträgen für Festabzeichen ist die Not dieses Gebietes ins Volksbewußtsein gekommen. Die Grenze des Sandsteingebietes nach Norden bezeichnet Stolpen, wo über der Stadt auf einem Basaltfelsen die Burg mit dem prächtigen Renaissance-Tor von viel Vergangenheit erzählen kann. Die schöne Gräfin Cosel saß hier 50 Jahre gefangen und mußte damit die kurze strahlende Zeit der Liebe Augusts des Starken bezahlen.

Am Ausgangstor zum offenen Elbtalbecken breitet sich zu beiden Seiten des Stromes, beschützt von der Feste Sonnenstein, das freundliche Pirna aus, das sich mit seinen vielen schönen Renaissancehäusern am meisten von allen sächsischen Städten das behäbige Gepräge vergangener Zeiten bewahrt hat, und heute der Hauptversandplatz für die Steine aus den Gebirgsbrüchen ist.

Pirna.
[377]      Pirna (Elbe).

Zwischen die Ausläufer des Erzgebirges und die Niederlausitzer Hügellandschaft eingebettet zeichnet sich die Elbaue von Pirna bis Meißen durch ihre [449-464=Fotos] [465] niedrige gegen alle Winde geschützte Lage aus und ist schon seit der Vorzeit neben dem Leipziger Kessel der bevorzugteste Siedelgau Obersachsens gewesen. Hier und auf dem fruchtbaren Lößboden der Lommatzscher und Großenhainer "Pflegen" ist das Hauptgebiet der hochkultivierten sächsischen Landwirtschaft. Die Wärmezone des Elbtales, deren Jahrestemperatur nur ein Grad unter dem Durchschnittsklima der niederrheinischen Tiefebene liegt, hat neben bedeutendem Obstbau besonders den Gartenbau begünstigt, wofür die Einrichtung der Gartenbauschule in Pillnitz bezeichnend ist. Die Spargelzucht und die Erdbeerkulturen in der Lößnitz zwischen Dresden und Meißen sind weltberühmt. Wer zur Erdbeerzeit die Hänge entlang wandert, wenn der Duft der köstlichen Beeren das Tal durchweht, oder zur Baumblüte die Hänge vom blühenden Schnee überschüttet sieht, der vergißt, daß er sich im Herzen eines Industrielandes befindet. Dann wird recht verständlich, warum gerade hier die romantischen Dichter und Maler sich zusammenfanden, wo Karl Maria von Weber seinen Freischütz und Oberon schuf und im Weinberghäuschen von Loschwitz Schiller den Don Carlos schrieb. Von den Schönheiten des Loschwitzgrundes, denen die Landschaftsmalerei Ludwig Richters und seiner Schüler soviel Anregungen verdankt, ist freilich nicht viel übriggeblieben und die vielgepriesene Mühleneinsamkeit des Plauenschen Grundes ist zum Märchen geworden, seit man dort die Steinkohlenlager erschloß. Aber dem rechten Elbufer ist das Bild einer Gartenlandschaft doch erhalten geblieben, die neben allen anderen Vorzügen Dresden als Gartenstadt so beliebt gemacht hat. Sogar der Weinbau hat die schweren Krisenzeiten überwunden, und sein Gewächs ist wirklich besser als sein Ruf. Freilich sind die großen Zeiten des Mittelalters für ihn vorbei, als sich die durch einen Meißener Bischof vom Rhein her eingeführte Rebkultur so ausgebreitet hatte, daß die Landesherren Verbote für die Einfuhr fremder Weine erlassen konnten, weil der eigene Anbau den gesamten Bedarf zu decken vermochte.

Dresden ist eine königliche Stadt. Die Natur hat ihre Umgebung mit landschaftlicher Anmut reich gesegnet und der Herrscherwillen prachtliebender Fürsten hat die Kunst hier in einer solchen Fülle beheimatet, daß es fast unmöglich ist, davon nur auf wenigen Seiten zu berichten. Alles ist großzügig hier und teilt sich dem Beschauer durch jene Beglückung mit, die von verschwenderischer Weiträumigkeit ausgeht. Sei es nun der Waldpark des "Großen Gartens", die gewaltige Kuppel der Frauenkirche, die bezaubernde Grazie des Rokoko im Zwinger, die unabsehbare Reihe der Meisterwerke in der Galerie oder der stolze Bogen, mit dem der Strom die Stadt in Städte trennt.

Dresden. Partie an der Elbe.
[378]      Dresden. Partie an der Elbe.

Rundlingsdörfer sorbischer Fischer auf beiden Elbseiten waren die erste feste Siedlung, an die sich im 13. Jahrhundert am linken Ufer die deutsche "Altstadt" mit dem großen Marktplatz und rechtwinklig darum gekreuzten Straßen anschloß. Der Plan der Innenstadt bietet noch heute das gleiche Bild. Das ganze Mittelalter hindurch hatte die Stadt mit ihren 6000 Einwohnern nur Bedeutung als Elbübergang für das wesentlich volkreichere und mächtigere Freiberg und die anderen Silberstädte des Erzgebirges. Aus der einen Brücke sind fünf geworden und die gewaltige Ausdehnung der Einwohnerzahl auf 642 000 hat es zunächst [466] der Niederlegung des Festungsgürtels zu verdanken, den Napoleon 1809 befahl und damit erst der Stadt die Möglichkeit zur Ausbreitung gab. Als dauernde Residenz der Markgrafen wurde im 15. Jahrhundert die linke Elbseite befestigt, wovon der Zwinger noch heute seinen Namen trägt.

Im 16. Jahrhundert wird die Burg zum Schloß und mit dem Georgenbau hält die Renaissance ihren Einzug in Dresden. Der Moritzbau schließt sich an, der die gebäudereiche Anlage auch heute noch beherrscht. Die der Elbe zugewandte, jetzt durch die Hofkirche verstellte Schauseite wird von dem gewaltigen Hausmannsturm überragt, dessen Massigkeit in bedachtem Gegensatz zum heiteren Spiel der Bauglieder und Schmuckformen unter ihm steht. Nach dem Hof zu öffnet er sich als großer Altan, mit offenen Bogenhallen auf frei stehenden Säulen. Von dieser echt südlich empfundenen Anlage herab sahen die fürstlichen Gäste und das schaulustige Volk, das sich auf improvisierten Rängen drängte, dem damals oft im Hof für die jagdfrohen Herrschaften veranstalteten Zirkustreiben der Bären- und Sauhetzen zu. Nicht minder weiträumig ist der Stallhof, mit der berühmten Säulenhalle des "langen Ganges", Buchners Meisterwerk deutscher Renaissance von 1586. Der Hof selbst diente als Stech- und Turnierbahn, und die Schwemme gehörte notwendig zum kurfürstlichen Marstall, dessen ebenerdige, weite Hallen für den edlen Pferdebestand kostbar hergerichtet waren. In der anschließenden Rüstkammer, die als Johanneum vom Jüdenhof her mit ihrer prächtigen doppelzügigen Freitreppe zum Besuch einlädt, ist auch heute wieder die weltberühmte Waffensammlung untergebracht. Zugleich aber auch die einzigartige Porzellansammlung, deren über 25 000 Stück zählende Bestände an seltensten alten chinesischen, japanischen und Meißner Arbeiten zum größten Teil von August dem Starken erworben worden sind.

Den Prunkräumen des Schlosses hat die Verschwendungsliebe Augusts des Starken das Gesicht gegeben durch ihren Reichtum an funkelnden Kristallkronen, riesigen französischen Gobelins, Porzellanen und Deckengemälden. Den größten Reichtum aber, dem kaum Gleichwertiges zur Seite gestellt werden kann, birgt das "Grüne Gewölbe", in dessen sieben Räumen der Kurfürst seine Schatzkammer neu einrichten ließ. Der von vielen Generationen gesammelte und vererbte Besitz an Kostbarkeiten aller Art war schon damals eine europäische Berühmtheit. Wenn er neu ausgestellt werden sollte, so mußte der Rahmen dafür gleich würdig und selbst ein Kunstwerk sein. Mit buntem Marmor sind die Räume ausgelegt, deren Wände unter Glas Malereien in Gold und Purpur tragen. Eine Fülle von Spiegeln in vergoldeten Schnitzrahmen vervielfältigt die zur Schau gestellte Pracht an edelstem Gerät und Schmuck, in dem sich die Phantasie ganzer Generationen von Goldschmieden verwirklicht hat, wenn man die juwelenübersäten funkelnden Diademe, die Pokale und Schalen, die Kannen und Ketten überhaupt noch Wirklichkeit nennen will. Denn aus dem Märchenreich herausgegriffen sind die Kronstücke dieser alle anderen krönenden Sammlung: die Schöpfungen Johann Melchior Dinglingers, des größten Goldschmiedes seiner Zeit, den der Kurfürst in seinen Dienst genommen hatte. Vor solchen Wunderwerken menschlicher Gestaltungskraft versinkt die Zeit und wenn [467] man sich dann wieder auf der Straße findet, vom Großstadtverkehr umbrandet, glaubt man aus einem Traum erwacht zu sein, um aber nach wenig Schritten schon in einen neuen, steingewordenen, einzugehen - den Zwingerbau des Matthäus Daniel Pöppelmann.

Dresden. Partie am Zwinger.
[380]      Dresden. Partie am Zwinger.

Dresden. Partie im Zwinger.
[381]      Dresden. Partie im Zwinger.
Nach der großen Kavalierstour durch Europa, auf der er die heitere Fülle südlichen Lebens und die strahlende Hofhaltung des Sonnenkönigs kennen gelernt hatte, mußte August dem Starken die eigene Residenz an der Elbe, die mehr eine Festung mit engen Straßen war, freilich recht unbehaglich erscheinen. Nur seiner Baulust ist es zu verdanken, daß Dresden zur Stadt des deutschen Rokoko geworden ist. Der hohe Auftraggeber hat nicht das Glück gehabt, von seinen phantastischen Plänen viel verwirklicht zu sehen. Bei seinem Tode 1733 war das meiste noch unvollendet. Auch der Zwinger, dessen 1711 begonnenen Bau er 1722 einstellen ließ. Zu Ende geführt ist er eigentlich erst 1935 nach einer umfassenden zehnjährigen Wiederherstellung, die dem Zwinger nun das Bild gegeben hat, das seinem genialen Schöpfer vorschwebte. Eine vielbesprochene Leistung deutscher Denkmalpflege. Aber selbst die durch den Semperschen Galeriebau in sich abgeschlossene Anlage ist nur eine Teilverwirklichung. Nach den ursprünglichen Plänen sollte sich das Ganze bis zum Elbufer hin erstrecken! Und was war der Sinn dieses ungeheuren Unternehmens? Zunächst die übliche Orangerie, aber dann, alles Gewohnte weit zurücklassend, eine Schauburg, eine unvergängliche Bühnendekoration für die oft monatelang dauernden Feste des Hofes mit ihren Prachtaufzügen, Ritterspielen und Karussells - für einen "permanenten Karneval". Kaum ein anderes Urteil trifft den Geist der Zeit und des Ortes besser als das eines weitgereisten Zeitgenossen, für den Dresden "ein bezauberndes Land war, das sogar die Träume der alten Poeten übertraf, wo es unmöglich war, ernsthaft zu sein, und wo man nur spielte und gespielt wurde".

Die Weiträumigkeit dieses einzigartigen Festplatzes ist teppichartig mit ornamentalen Beeten ausgelegt, wo aus vier flachen Becken die silbernen Märchenbäume der Fontänen wachsen und unterm Wind geneigt schillernd zerstäuben. Es ist das zeitlose Schauspiel, das die unendlichen Fensterreihen der langen Galerien spiegeln und auf das die wunderlich versteinte Schar der Genien, Putten und Satyrn herabblickt. In der etwa 200 Meter langen Hauptachse liegen sich zwei Pavillons gegenüber, von denen der eine das Prachtstück einer vielverzweigten Treppe in sich birgt mit einladenden Anläufen unter bogentragenden Hermen hindurch zu Estraden und Grotten. Jeder Schritt der zu langsamem Wandeln bestimmten flachen Stufen enthüllt ein neues Bild. Alle Bauglieder sind überschüttet mit üppig wucherndem Schmuck von Karyatiden, Masken, Blumenkörben und Fruchtgehängen. Die obere Plattform erlaubt ein Umschreiten des ganzen Bezirkes und führt zum Grottenwunder des Nymphenbades, wo die sprudelnden und spritzenden Wasserkünste den schwingenden Reigen anmutiger Frauengestalten benetzen. Balthasar Permoser, ein Oberbayer, ist der unerschöpfliche Erfinder der Figurenwelt im Zwingerbezirk.

Mit dem Semperschen Galeriebau (1847 - 55) hat die bis dahin nach der Elbseite geöffnete Zwingeranlage ihren monumentalen Abschluß gefunden, [468] würdig der in ihr untergebrachten riesigen Gemäldesammlung. August der Starke und sein Sohn, deren Mäzenatentum Dresden und damit Deutschland tief verpflichtet ist, haben in wenigen Jahrzehnten durch ein über alle Hauptstädte Europas verstreutes Heer von Agenten den größten Teil dieser Schätze erworben und in unbedenklicher Sammelleidenschaft jede geforderte Summe dafür bezahlt. August III. hat darin seinen großen Vater noch übertroffen und die Staatsgeschäfte dafür dem ehrgeizigen und allmächtigen Grafen Brühl überlassen, der wohl wußte, warum ihm für die Passion seines Königs kein Opfer zu groß war. "Man muß die Rede auf den letzten Hirsch lenken, den er gejagt hat, auf die letzte Oper, die aufgeführt worden ist, oder auf das letzte Gemälde, das er gekauft hat." Freilich ging dieser maßstablose Bilderkauf auch nur bis zum Siebenjährigen Krieg, als die preußischen Kanonen vor Dresden eine ernstere Sprache redeten und die Sammlung auf dem Königstein in Sicherheit gebracht werden mußte.

Daß Rafaels Sixtinischer Madonna in Dresden ein besonderer Saal eingeräumt worden ist und die Menschen von ihrer Holdseligkeit sich nicht trennen können, das weiß heute schon jedes Kind. Aber auch die vielen anderen Namen sind Sterne nicht minderer Größe. Dürers "Dresdener Altar", Holbeins Morette, Cranach, unter den fünfzehn Rembrandts sein keckes "Frühstück" und das ergreifende "Opfer Manoahs". Daneben Rubens und van Dyck, Ruisdael und Vermeer. Dann die Italiener mit Mantegnas "Heiliger Familie" und der Venus des Giorgione. Tizian, Veronese, Corregio, Velasquez, Watteau, Liotard und natürlich Canaletto mit seinen Dresdener Stadtbildern. Mit vielen anderen Namen noch bilden sie jene weltberühmte Kunstschau, an der mit Goethe und Winkelmann, Lessing und Herder an der Spitze die größten Deutschen sich gebildet haben.

Wie ein edles Geschmeide sind am Bogen des Stromes, an der Schauseite der Stadt ihre monumentalsten Gebäude ausgebreitet. Vor der Galerie weckt das Sempersche Opernhaus Erinnerungen an die größten Meister der Stabführung, denen Dresden seinen Ruf als Musikstadt verdankt, - an Weber und Wagner, an Wüllner, Schuch und Busch. Hier wurde Wagner berühmt durch die Erstaufführungen seines Rienzi, des fliegenden Holländers und des Tannhäusers, hier bemühte er sich, dem deutschen Publikum Beethoven nahe zu bringen und entwarf einen Plan zur Umgestaltung des Hoftheaters in ein deutsches Nationaltheater. Das war 1849, als er die Führer der Mai-Revolution unterstützte und Sachsen in eine Republik verwandeln helfen wollte, um seine eigenen künstlerischen Pläne besser verwirklichen zu können.

Dresden. Die Hofkirche.
[379]      Dresden. Die Hofkirche.
Von weither wird das Stadtbild bestimmt durch den schlanken, feingegliederten Turm, der Dresdens edelstes Bauwerk neben dem Zwinger krönt - die katholische Hofkirche. Um der polnischen Krone willen hatte August der Starke den Glauben seiner Väter aufgegeben, aber erst vierzig Jahre später wagte sein Nachfolger sich seinem protestantischen Volk gegenüber durch diesen Bau öffentlich zum Katholizismus zu bekennen. Rom in Dresden. Chiaveri hat mit seinen italienischen Bauleuten, an deren Quartier der Name des Cafés "Italie- [469] nisches Dörfchen" noch erinnert, eine Meisterleistung römischen Spätbarocks auf deutschem Boden erstehen lassen (1726-1743). Fremd wohl damals in der Fremde, aber heute nicht mehr wegzudenken aus dem königlichen Vorhof an der Augustusbrücke, dem gerade sie seine hohe Festlichkeit verleiht. Aus den schöngeschriebenen Kurven der Portalfront entwickelt sich, Säulen über Säulen, von Gesimsen und Galerien unterbrochen, der luftige Turmbau. Das Langhaus aber ist über dem Hauptgesims mit Balustraden umgürtet, auf denen sich die lebhaft bewegten vielen Heiligengestalten von Lorenzo Matielli klar gezeichnet gegen den Himmel abheben, und im hochgewölbten Innern wirkt wie ein leidenschaftlicher Ausbruch gläubiger Inbrunst die von Permoser geschnitzte Kanzel mit ihrem in Wolken schwebenden Getümmel ekstatischer Evangelisten und berückend schöner Genien.

Dem Portal der Kirche gegenüber führt eine breite Stufenflucht hinauf zur Brühlschen Terrasse, dem "Balkon Europas", zu dessen Füßen der Stromverkehr mit seinen schmucken Vergnügungsdampfern, seinen schweren Schleppzügen, Booten und Flößen ein lebhaft bewegtes Bild entfaltet. Drüben liegt die Neustadt mit der mächtigen Elbfront der Ministerien, dem aus Parkgrün auftauchenden Japanischen Palais, und dahinter verliert sich die Stadt die Höhe hinauf in Gärten zur ausgedehnten Kuranlage des Weißen Hirsches in der Dresdener Heide und zu den Weinbergen der Lößnitz. Aber stromauf locken den Blick die waldigen Höhen des Loschwitzer Ufers. Hier auf den Festungswerken hatte sich 1738 der prachtliebende Verschwender und für 25 Jahre unumschränkte Herrscher Sachsens, Graf Brühl, den selbst sein schärfster Feind Friedrich der Große als "den Mann dieses Jahrhunderts" bezeichnete, einen vornehmen Privatgarten anlegen lassen. In seinem Bezirk erhebt sich heute die Galerie der Neuzeit und die Kunstakademie, wo seit 1764 eine lange Reihe deutscher Künstler als Lehrer und Schüler gewirkt haben.

Wieviel Anregung aber ist für sie alle und die kunstliebende Öffentlichkeit überhaupt ausgegangen von der schönen Reihe antiker Bildwerke, die seit Augusts des Starken Tagen im "Elb-Athen" ihre Heimat fanden. Wer eben vom Anschauen der klaren Profile dieser Figuren kommt, der spürt verwandten Geist auch in der erhabenen Kuppel, mit der der Ratszimmermeister George Bähr sein Meisterwerk, die Frauenkirche, krönte. Es ist wohl mehr als zufälliges Zusammentreffen, daß in der Hauptstadt des Ursprungslandes für den neuen Glauben auch der protestantische Kirchenbau sein gewaltigstes Denkmal sich setzte. Vom Rate in Auftrag gegeben ist es sowohl Ausdruck der Frömmigkeit wie der Wohlhabenheit des Bürgertums. Nur Straßen weiter die katholische Hofkirche nach dem Willen des Fürsten. Dicht beieinander und fast gleichzeitig entstanden, aber eine Welt liegt dazwischen. Doch die beiden Denkmalen gemeinsame höchste künstlerische Meisterschaft ihrer Erbauer stellt den Sachsen gleichwertig neben den Römer. Für die protestantische Predigtkirche mit dem Wort als Mittelpunkt des Gottesdienstes muß der Zentralbau die vollkommenste Lösung sein. Aus einem quadratischen Grundriß entwickelt sich der Bau mit seinen vier Treppentürmen, gegliedert durch die haushohen Fenster und die sie begleitenden Pilaster. Die Notwendigkeit der Kuppel ergab sich von [470] selbst. Aber ihre Verwirklichung in Stein war "eine Tragödie des Zweifels", ob die zehn Hauptpfeiler die ihnen vom Baumeister zugemutete ungeheure Last der über einen Kreis von fast 25 Metern Durchmesser gespannten Schale auch wirklich tragen könnten? Fast wäre der kühne Plan daran gescheitert. Aber die Berechnungen des Meisters stimmten, und an der Kuppel selbst prallten sogar die preußischen Kanonenkugeln wirkungslos ab. Hoch über dem Dächergewirr kündet ihre klare Glockenform vom sieghaften Glauben eines Mannes an sein Werk zu Ehren Gottes und ist, weithin sichtbar, zum eigentlichen Wahrzeichen der Stadt geworden.

Nicht nur die Stadt selbst hat ihr königliches Gepräge durch die in ihr residierenden Fürsten erhalten, auch die nähere Umgebung ist von ihrer Baulust durch die Anlage verschiedener Lustschlösser um viele Reize bereichert worden, die sich an bevorzugter Stelle der Landschaft anmutig

Schloß Pillnitz an der Elbe.
[562]      Schloß Pillnitz an der Elbe.
einfügen. Elbaufwärts, wo die Granitplatte des Lausitzer Hochlandes mit ihrem Steilabfall das rechte Ufer des Stromes bedrängt, am Fuße des Borsberges (355 Meter) mit seiner berühmten Aussicht nach dem Elbsandsteingebirge und in das Elbtal, liegt das Sommerschloß Pillnitz. Die Front der sich lang am Ufer dehnenden nur einstöckigen Baugruppe schaut mit vielen Fenstern in den ziehenden Strom, und die Stufen der buchtartigen Treppenanlage tauchen in das Wasser. Pöppelmann und Longuelune haben dieses Wasserpalais als "indianisches Lustschloß" für August den Starken 1720 erbaut. Wunderlich geschweifte Dächer mit zugespitzten Schornsteinen und Innenräume mit chinesischer Dekoration geben der Anlage das damals so sehr beliebte tändelnd-exotische Gepräge. Alles ist eingestellt auf ländliches Behagen, auf erholsames Genießen der stillen Lieblichkeit des Tales vor den Toren der großen Stadt. Zu Schiff sollte man es immer erreichen. Dafür nur ist die Wasserseite mit dem festlichen Willkomm ihrer sanft ausgebreiteten Treppenanlage eingerichtet, die zu der wundervollen Terrasse hinaufführt. Einst legten hier geschmückte Gondeln an, denen über kostbare Teppiche eine elegante Gesellschaft entstieg, um in den heiteren Räumen ihr amouröses Spiel zu treiben. Das ist lange vorüber, aber die vielen Rosen im Garten duften noch immer wie einst, und die Fontänen sprühen ihre Schleier über die gepflegten Rasenflächen.

Das Schloß Groß-Sedlitz landeinwärts auf dem gegenüberliegenden Ufer ließ Graf Wackerbarth um 1720 von Arbeitslosen erbauen, da "täglich Brot und Kost im Lande teuer ward". Der wundersame Reiz dieser Besitzung, die der alternde Graf "wunschgemäß" seinem neidischen Landesherrn überlassen mußte, liegt vor allem in dem riesigen Terrassengarten mit seinen nach französischem Stil geschnittenen Hecken und Bäumen, mit den von Longuelune erdachten, verschwenderischen Treppen, deren breite Wellen im Parterre verebben. Aber Schwermut über die Vergänglichkeit stolzer Pläne und geglückter Verwirklichungen greift hier stärker als anderswo ans Herz, wo von dem Überreichtum an Figurenschmuck nur noch ein kleines Völkchen von Putten und Gottheiten die Erinnerung an die galanten Spiele und Abenteuer der glänzenden Hofgesellschaft herübergerettet hat, die nun in zinnernen Särgen schlafen muß, von [471] ruhmredigen Inschriften bedeckt. Auch die Fülle der phantasiereichen Wasserkünste ist längst versiegt, und mit ihnen verstummt die "stille Musik", die von der schwingenden Brüstung der großen Treppe her aus den Instrumenten der Figuren aufklang.

Die Moritzburg bei Dresden.
[382]      Die Moritzburg bei Dresden.

Nicht minder zurückgezogen vom Lärm der Großstadt, aber nun in ausgedehnten wildreichen Wäldern versteckt und wie Pillnitz untrennbar mit dem Element des Wassers verbunden, ist das Jagdschloß Moritzburg. War es bei Pillnitz das ziehende Wasser des Stromes, so geht hier der Reiz von den stillen Spiegeln schilfumsäumter Seen aus. Das wehrhafte Schloß, mit seinen vier dicken Rundtürmen auf einer felsigen Landzunge mitten im Wasser erbaut, hat vom albertinischen Gegenspieler Karls V. seinen Namen und seine heutige Gestalt von Pöppelmann erhalten. Eine breite Auffahrt führt durch den See hinauf zu einer prächtigen Terrasse, die weit ausladend das stolze Geviert umzieht. Die beiden schneidigen Pikörfiguren, mit ihren Jagdhörnern eingangs auf den steinernen Balustraden, geben den Ton des Jägerischen an, der auch die innere Ausstattung des Schlosses zum größten Teil bestimmt. Da ist vor allen Dingen der riesige, durch drei Stockwerke reichende Speisesaal mit Europas größter und schönster Geweihsammlung. Ein 66-Ender ist sogar dabei. Auf dem Tisch liegt noch die berühmte Hirschstange, aus der August seine Gäste den Willkomm trinken ließ. Auch Friedrich der Große fügte sich dem Brauch mit dem Spruch "auf Seiner Majestät von Polen gutte Gesundheit und glücklich Wiedersehen in Berlin", und die nur zu diesem Zweck herbeorderten Kanonen donnerten Salut dazu. Wer vermag all die rauschenden Feste in diesen Räumen und auf dem Wasser zu schildern, die das Schloß zur insula fortunata machten, wie es die Hofpoeten besangen. Aber man ist es dem genius loci schuldig, den Festestrubel noch einmal zu beschwören, der ja zur Geschichte dieser Zeit genau so notwendig gehört, wie die kühne und kühle Ostpolitik des heißblütigen, vergötterten und verwünschten königlichen Liebhabers. Dann schmettern die Jagdhörner, dann rauscht die Musik, und die Böller brüllen über den See. Denn er kommt in der Staatskarosse mit den Vollbluthengsten, umgeben vom orientalischen Prunk seines Gefolges, und hinter ihm des Festes Königin, Aurora, Gräfin von Königsmarck, in einem von Falben gezogenen, goldstrotzenden, mit blauem Samt ausgeschlagenen muschelartigen Gefährt. Schillernde Träume, die einst blutvolles Leben waren und doch schon damals recht bewußt erkannt wurden, als der Sohn der beiden, der Marschall von Sachsen und Frankreich, am Ende seines Lebens in das merkwürdige Gästebuch schrieb: "Voilà la fin d'un beau rêve."

Einmal hat man wenigstens die Szenerie dieser feenhaften Bühne mit allen erreichbaren Requisiten aufgeboten, als in den Prunkräumen "Drei Jahrhunderte Sächsische Kultur" gezeigt wurden. Da stand die Hoftafel gedeckt mit dem Prunkservice aus purem Golde, da war das Meißner "Krönungsservice", und jeder Gegenstand stimmte genau zum Bilde jener Zeit.

Wenn Dresden die prächtigste Stadt des Landes ist, so hat Meißen den Ruhm einer über 1000jährigen Geschichte für sich. 928 von König Heinrich [472] gegründet ist sie die Wiegenstadt der deutschen Ostkolonisation und hat dem Neusiedelland zugleich mit dem auf ihm entstandenen Neustamm den Namen gegeben. Wenn die Burg ihren strategischen Wert auch längst verloren hat, so bleibt sie für alle Zukunft doch das Symbol der Macht deutschen Kämpfens und Siegens. Aber nicht das Schwert allein hat hier gesiegt, denn mit dem Schwerte ging der Glaube. So ragt gleichberechtigt neben der Burg der Dom auf als Sinnbild der Kultur, die das Erkämpfte allein für die Dauer zu sichern vermag. Wer mit dem Dampfer herankommt, dem prägt sich unvergeßlich diese stolze Verbrüderung ein, die, auf Granit gegründet, die in ihrem Schutz geborgene Stadt und den Strom überstrahlt. Um die spätgotische Frauenkirche und das schöne Rathaus von 1472 mit seinem mächtigen steilen Dach drängt sich eine Fülle überraschend schöner Renaissance-Häuser, und die Gassen klettern mit Treppen und Stiegen zwischen uraltem Gemäuer langsam den steilen Berg hinan. Der Dom, im Osten zwischen Albrechts- und Bischofsburg eingezwängt, aber nach Westen frei in den geräumigen Hof vorstoßend, ist trotz vieler späterer Zutaten vor allem die Schöpfung des 13. Jahrhunderts. Sein besonderer Schmuck ist der Lettner mit den schönen Laubwerkkapitellen Naumburger Art. Er führt zum Chor, von dessen Wänden vier lebensvolle Figuren, unter ihnen Kaiser Otto und Adelheid, herabblicken, die letzten Arbeiten des großen Naumburger Meisters. Das Bedeutendste aber an figürlichem Schmuck birgt die Johanniskapelle, ein würdiges Gehäuse für drei Gestalten, von denen der Zacharias als das reifste Werk des unbekannten Meisters überhaupt angesprochen wird. Seine Hand schwingt zwar ein Weihrauchfaß, aber es ist fast mehr, als wenn sie eine Laute schlüge - wie ein feinfühlender Betrachter es einmal nannte, und die ganze gelöste Haltung der Gestalt mit dem lauschend geneigten Kopf paßt gut dazu. Und dann denkt man daran, daß Herr Walther von der Vogelweide hier oben bei dem Wettiner zu Gaste war und Markgraf Heinrich der Erlauchte, der "mizenäre" (Meißener), wie er ihn nennt, selbst ein gefeierter Minnesänger war.

Eine Meisterleistung aus der Frühzeit deutschen Schloßbaues ist die gegen Ende des 15. Jahrhunderts von Arnold von Westfalen errichtete Albrechtsburg. Am Außenbau birgt das vor die Front gestellte, von luftigen Loggien durchbrochene Treppengehäuse das Wunderwerk einer Wendelstiege mit der Spirale ihrer um drei dünne Spindeln schwingenden Stufen.

Meißen. Die Albrechtsburg und Domtürme.
[383]      Meißen. Die Albrechtsburg und Domtürme.

Die wachsende Bevorzugung Dresdens als Residenz hatte die weit ins Land blickenden Säle des Schlosses schon im 16. Jahrhundert veröden lassen. Die Schweden Königsmarcks haben 1645 in ihm und im Dom übel gehaust. Neues Leben zog in die leeren Räume erst wieder ein, als 1710 Böttger dort oben seine Porzellanfabrik eröffnete und damit für Meißen eine neue Blütezeit anhob, die den Namen der kleinen Stadt bis in die fernsten Länder trug.

Selten ist eine Erfindung so zum sinnbildhaften Ausdruck des Lebensgefühles einer Zeit geworden, in der sie geschah, wie die des Porzellans, um dessen Bereitung sich das Abendland seit dem Bekanntwerden der chinesischen zerbrechlichen Kostbarkeiten bis zu Böttgers Tagen vergeblich bemüht hatte. Wie so oft spielte auch hier der Zufall die größte Rolle. Als August der Starke dem [473] Preußenkönig den geheimnisvollen Alchimisten Johann Böttger abfangen ließ, von dem der Ruf ging, daß er das Mittel besitze, aus unedlen Stoffen Gold zu bereiten, da ahnte er freilich nicht, was der abenteuerliche Apothekergehilfe für Sachsen und für das Rokoko bedeuten sollte. Den Wunsch der Menschheit, Gold zu machen, konnte allerdings auch er nicht erfüllen. Aber der enttäuschte goldgierige Monarch machte gute Miene zu dem bald von ihm durchschauten bösen Spiele, als dabei in Tiegeln und Retorten das weiße spröde Gold des Porzellans erschien, das sich schon nach kurzer Zeit als gleichwertig mit dem vielbegehrten asiatischen Stoff erwies. Eine Manufaktur großen Stiles begann, die auch heute noch zu einer wichtigen Einnahmequelle für Obersachsen gehört, wo sich der Betrieb mit ausgedehnten Werksanlagen seit 1865 draußen im Triebischtal angesiedelt hat. Hier in der Schauhalle bieten die ausgestellten Stücke einen lückenlosen Überblick über die gesamte Produktion. Vom bürgerlichen Zwiebelmuster bis zum fürstlichen des roten Drachens steht seit 1725 alles unter dem weltberühmten Gütezeichen mit den gekreuzten Schwertern. Mit Kändler und Höroldt an der Spitze hat seitdem ein Heer von Bildhauern und Malern in der schmiegsamen erdigen Mischung den Stoff zur Verwirklichung phantastischer Figurenträume gefunden, die kein anderes Material herzugeben vermag. Die durch den Brand erzeugte steinerne Härte verleiht der sprudelnden Formenwelt Dauer, und der Glanz der Glasuren über der bunten Farbigkeit fügt jenes huschende Spiel spiegelnder Lichter hinzu, die eine solche oft winzig kleine Kostbarkeit zum Inbegriff des heitersten Traumes gemacht hat, den die Menschheit je geträumt und der - im Tanzschritt geht schon der Name dafür - Rokoko heißt.

Ist es verwunderlich, daß sich diese Stadt, deren Name nur Porzellan bedeutet, auch ihr Heldenmal aus diesem Stoff gefertigt hat? In der alten Nikolaikapelle stehen die weißen Tafeln auf dunkelrotem Grund. Zum erstenmal ist der Manufaktur dafür auch der Brand lebensgroßer Figuren gelungen, die mit der gehaltenen Würde ihres Schmerzes dem Raum seine stille, schimmernde Feierlichkeit verleihen, und vom Turm der Frauenkirche flattert zur gegebenen Stunde eine kleine Melodie über die Stadt: Der Reisesegen des Glockenspiels aus Porzellan.

Die zur Fabrikation notwendigen Erden, die hochwertigen keramischen Kaoline, liefert die nähere Heimat selbst. Im Gebiet von Kemmlitz-Börtewitz bei Riesa werden sie durch Tagebau gewonnen, der sich weithin durch seine mächtigen Sandhalden verrät. Sachsens Vorkommen sind so groß, daß sie die Hälfte des deutschen Bedarfes zu decken vermögen.

Riesa selbst liegt weiter abwärts am Strom, dort wo er ins Tiefland eingeht. Mit großen Hafenanlagen, einer wichtigen Eisenbahnbrücke und vielen Schloten großer Werke ist es ein bedeutender sächsischer Verkehrsknotenpunkt. Weiter die Elbe hinab, abseits vom Verkehr hat sich Mühlberg sein altes Stadtbild erhalten können mit dem schönen Backsteinbau der ehemaligen Klosterkirche Güldenstern aus dem 14. Jahrhundert. Hier an der Lochauer Heide hat der junge lutherische Glauben 1547 seine schwerste Niederlage erfahren, als Karl V. das protestantische Heer besiegte, den Kurfürsten Johann Friedrich [474] gefangen nahm und über den Ketzer das Todesurteil sprechen ließ, um das tapfere Wittenberg zur Kapitulation zu zwingen. Das Urteil wurde freilich nicht vollstreckt, aber die spanische Fremdherrschaft im Reich hatte begonnen unter einem "deutschen" Kaiser, der über den schwerverwundeten, unerschrockenen fürstlichen Gegner das bezeugte Wort zu sagen wagte: "Rüstet mir das Mahl, denn ich bin den ganzen Tag auf der Jagd gewesen und habe ein Schwein gefangen, das gar fett ist."

Mit Torgau wird der engere Bezirk des reformatorischen Wirkungskreises betreten. Im Verhältnis der beiden Städte zueinander hat man Wittenberg die Wiege und Torgau die Amme der Reformation genannt. Hier wurden die "Torgauer Artikel" als Vorbereitung für das Augsburger Bekenntnis aufgestellt, hier lebte Johann Walther, der Kirchenmusiker, der das protestantische Gesangbuch herausgab, und hier in der Marienkirche liegt Katharina v. Bora begraben. Die Stadt selbst war schon vor 1000 Jahren ein wichtiger vorgeschobener deutscher Stützpunkt im Koloniallande, und Napoleon ließ den Stromübergang zwischen der Leipziger Bucht und der Niederlausitz erneut zu einer starken Festung ausbauen, die 1813 von den Preußen erstürmt, erst 1891 niedergelegt wurde. Das hat ihr wohl das alte Stadtbild mit dem klaren, planmäßigen Grundriß der Kolonialsiedlung besser als anderswo erhalten, ist aber für die wirtschaftliche Entwicklung recht hinderlich gewesen. Die glanzvolle Hofhaltung der Ernestiner im 16. Jahrhundert hat Torgau das Gesicht der Renaissance gegeben. Die bedeutendste Schöpfung aus dieser Zeit ist das auf einer Porphyrplatte unmittelbar an der Elbe gegründete Schloß Hartenfels, das mit seinen runden und eckigen Türmen vor den hochragenden Mauermassen besonders vom jenseitigen Ufer aus einen großartig mächtigen Eindruck gibt, dem selbst Karl V. als einer "recht kaiserlichen Burg" seine Bewunderung nicht versagen konnte.

Torgau. Schloß Hartenfels.
[401]      Torgau. Schloß Hartenfels.

Torgau. Im Schloßhof.
[402]      Torgau. Im Schloßhof.
Als der Silberbergbau des Erzgebirges das Land reich machte und strategische Rücksicht fallen gelassen wurde, vollzog sich mit dem großen Saalbau (1532 - 1535) die Umwandlung der mittelalterlichen Burg zum offenen Schloß. Dieser von Konrad Krebs aufgeführte Ostflügel, der, breit gelagert, die ganze Seite des weiträumigen Hofes einnimmt, bildet mit seiner Schlichtheit den würdigen Hintergrund für den "berühmtesten aller Treppentürme an der Grenze zweier Zeitalter, der sachlich über den Zweck der Treppenstiege hinausgeht und sich als ein wahrhaftes Turmdenkmal von symbolhafter Größe erhebt" (Giesau). Über einer doppelläufigen Freitreppe mit reich an Wappen geschmücktem Altan als tragendem Sockel steigen die schlanken Pfeiler auf, deren hohe fensterartige Öffnungen den mühelosen Aufschwung der kostbar umhegten Spindeltreppe vom Hof aus erkennen lassen. Die Schloßkirche hat den Ruhm für sich, nach den Forderungen des neuen Gottesdienstes angelegt, die erste tatsächlich protestantische Kirche zu sein. 1544 wurde sie von Luther selbst feierlich eingeweiht. Auch für die Geschichte der deutschen Musik ist das Schloß bedeutsam. Wurde doch hier 1627, anläßlich einer Fürstenhochzeit, die erste deutsche Oper "Daphne" des Hofkapellmeisters Heinrich Schütz aufgeführt, zu der Martin Opitz den Text geschrieben hatte.

[475] Südwärts und ganz abseits vom Wege verträumt ein winziges Waldstädtchen seine Tage, dessen Name aber durch die seinen ehrsamen Bürgern angedichteten närrischen Streiche jedem Deutschen von Kindheit an vertrauter Klang ist: Schildau. Wer kennt nicht die Schildbürgerstreiche, die schon 1597 als beliebtes Schwankbuch erschienen und den Kanzler der Wittenberger Universität, Friedrich von Schönberg, zum Verfasser haben, dem es freilich weniger auf die lustigen Schwänke als auf ihren ernsteren Hintergrund ankam. Das Buch ist eine politische Satire, eine Waffe im Kampf um die Vorherrschaft des Adels gegen den Absolutismus der Fürsten und sollte die Einsicht verbreiten, daß die Vertreter der Kleinstädte nicht imstande seien, die Geschicke des Landes zu leiten. Wenn auch die Geschichte längst über die Kämpfe der Stände hinweggegangen ist, das Buch hat überdauert, und der aus ihm sprechende sächsische Humor vermag noch manche trübe Stunde aufzuhellen.

Abseitiges Land, noch nicht vom hämmernden Rhythmus der Industrie erfaßt, ist das ganze Gebiet, das die breite Flut der Elbe von Mühlberg bis Wittenberg durchmißt und zusammen mit der Schwarzen Elster und Mulde ein riesiges Urstromtal bildet, das die Südgrenze der nordischen Inlandvereisung bezeichnet. Die Uferbreiten der Elbe, eben wie eine Tischplatte, aber nach der Mulde und Elster hin in langsamen Wellen wenig ansteigend. Hier die Annaburger und dort die Dübener Heide mit weiten einsamen Kiefernforsten und schönen Buchenbeständen im Gebiet der Endmoränen. Stille Teiche in den Brüchen, braune Heidebäche und Wiesengründe, die zu vergessenen Dörfern führen. Viele verschwiegene Schönheiten - Ziel und Sehnsucht, Erquickung für die Arbeiterheere im trostlosen Industriegebiet um Bitterfeld herum.

Der Name Wittenberg für die Stadt am weißen Berge deutet auf niederdeutsche, flämische Ansiedler, die unter Albrecht dem Bären das Land hier kolonisierten, und der Name Fläming für die hinter der Stadt vorüberziehenden Höhen, erinnert noch deutlicher daran. Ein wichtiger Elbübergang für die alte Handelsstraße, die von Naumburg über Halle nach Brandenburg führte. Die Landschaft ohne Reize, sandige steinige Heide. Aber in ihr die

Wittenberg, Elbe. Die Tür der Schloßkirche mit Luthers 95 Thesen.
[384]      Wittenberg (Elbe). Die Tür der Schloßkirche
mit Luthers 95 Thesen.
Herzkammer deutschen Glaubens, die Stadt Luthers und seiner Getreuen, die Stadt Friedrichs des Weisen. Wer in ihr große Prachtbauten sucht, wird enttäuscht sein, aber wer sich als Erbe jener Kämpfer und Wegbereiter fühlt, zu dem spricht noch jeder Stein ernst und groß von Unerschrockenheit und Wahrhaftigkeit, von wirklich deutschem Wesen. Über 200 Jahre Residenz der Askanier. Ihres Geschlechtes 27 ruhen in der Gruft der Schloßkirche. Dann kamen die Wettiner und mit ihnen die Schirmherren der neuen Lehre, die Kurfürsten Friedrich der Weise, Johann der Beständige und Johann Friedrich. Friedrich der Weise, der von der Zeit "der Gebildetste unter den Fürsten und der Fürst unter den Gebildeten" genannt wird, ist ein Friedensfürst und Landesvater gewesen wie selten einer. Sammler von 20 000 Reliquien und Gründer einer humanistischen Universität, so begegnen sich sinkendes Mittelalter und steigende Neuzeit wunderlich in diesem Manne, der für drei Stunden deutscher Kaiser war, um dann doch, dunklem Schicksal sich beugend, Karl V. die Krone zu überlassen. Humanist, wie er es [476] der modernen Bildung schuldig war, aber der erste deutsche Fürst, der in seiner Kanzlei deutsch schreiben ließ, denn er sagte: "Die Kanzlei ist das Herz des Fürsten, das Herz aber darf nicht anders als deutsch sein", und am wohlsten fühlte er sich beim Waidwerk in seinen geliebten Wäldern der Lochauer Heide. So haben ihn sein Hofmaler Cranach und Dürer gemalt. Von der Pracht des Schlosses, das er 1509 erbauen ließ, und seiner erlesenen Ausstattung, zu der er die fränkisch-schwäbische, die niederländische und venetianische Kunst herbeirief, mit Dürer, Cranach, Riemenschneider an der Spitze, ist wenig übrig geblieben und der Glanz, den seine Hofhaltung über die Stadt brachte, bald erloschen. Aber die erlauchten Geister, die er auf die 1502 gegründete Universität berief, wirken noch heute fort. Die Kraft, die von Luther und Melanchthon ausging, zog die Jugend aller Herren Länder mächtig an und brachte ein Leben mit sich, das die kleine Stadt kaum zu fassen vermochte. 2000 Studenten gab es damals hier und nur 3500 Einwohner! In jener guten Zeit sind all die behäbigen Bürgerhäuser mit den stattlichen Giebeln entstanden, das mächtige Rathaus dazu, eins der schönsten in Mitteldeutschland. Daneben ragt wie eine feste Burg die doppeltürmige Front der Stadtkirche hoch über den gedrängten Häusern. In ihr hat Luther das reine Wort verkündet, so daß es auch dem einfachen Mann zu Herzen ging. Hier hat er das Abendmahl gespendet in beiderlei Gestalt. Auf dem Altar ein Spätwerk des alten Cranach in leuchtenden Farben. Durch die Darstellung der Sakramente und die Bildnisse der Zeitgenossen ein Bekenntnis zur neuen Lehre. Am Markt steht das Haus des Meisters, der uns die Chronik der jungen Reformation und die Geschichte seiner Fürsten in Bildern geschrieben hat, der Stadt größter Bürgermeister war, der Freund der Glaubensmänner und seinem Landesherren so ergeben, daß er ihm nach dem Unglück von Mühlberg freiwillig in die Gefangenschaft folgte.

In der Kollegienstraße ist Melanchthons Haus mit dem schönen Staffelgiebel unverändert erhalten geblieben. In diesen Räumen hat sich ein deutsches Gelehrtenleben abgespielt, still aber beharrlich und in weite Zukunft wirkend. In freier Bescheidenheit bekannte Luther von ihm: "was ich verstehe von den freien Künsten und wahrer Weisheit, verdanke ich meinem Philippus", demselben, der seine erste Vorlesung über die Verbesserung der Jugenderziehung hielt, dessen Lehrbücher in allen Fächern über das deutsche Land gingen und der später die sächsische Schulordnung verfaßte.

Abseits von der Straße, im Schatten alter Bäume liegt breit hingestreckt das Klostergebäude, das Luther als Wohnhaus vom Kurfürsten geschenkt bekam, und das heute als Lutherhalle eingerichtet in seiner seltenen Vollständigkeit das Archiv der Reformation genannt werden darf. Hierher blickte Deutschland, Rom, die Christenheit und hier, in der Lutherstube, in dem anspruchslosen, holzgetäfelten Raum, mit der schweren bemalten Decke und dem kunstvollen Kachelofen lebte der Mann, der für die Freiheit eines Christenmenschen gegen die Weltmacht der Dogmen auftrat und es nicht mehr dulden konnte, daß aus der Gewissensnot verängstigter Seelen Kapital geschlagen und der Glaube verraten wurde. Das Zimmer ist unverändert geblieben, so wie er es verlassen. Irgendwo [477] hängt noch ein Lautenklang darin und ein Schwingen der Stimme, die so gern sang. Tischreden würzten hier ein Liebesmahl und schwer mag er sich oft auf die eichene Platte gestützt haben, - die wir mit unseren Händen noch greifen können - wenn es um große Entscheidungen ging. Nach dieser deutschen Mitte pilgert die evangelische Welt und keiner, der hier dem Schlage eines großen und heißen Herzens nachlauschte, ging unbeschenkt davon, denn "niemand lasse den Glauben daran fahren, daß Gott an ihm eine große Tat will". Seine Tat aber begann mit den Hammerschlägen der Thesen an die Tür der Schloßkirche, drüben, wo sie unvergänglich in Erz eingegraben stehen und drinnen in der lichten spätgotischen Halle unter den Sternfiguren der Gewölbe ruhen drei Männer aus von einem Leben für Deutschland: Luther, Melanchthon und Friedrich der Weise.

Leipzig liegt in der Mitte der Bucht, mit der das norddeutsche Tiefland am weitesten nach Süden vorstößt. Die wichtigsten Handelsstraßen kreuzen sich hier an der "Drehscheibe des deutschen Binnenlandverkehrs" und haben der Stadt ihre überragende Bedeutung gesichert. Für die allzeit dem Modernen zugeneigte sächsische Regsamkeit ist nichts bezeichnender als daß gerade hier 1839 mit der ersten größeren deutschen Eisenbahnlinie von Leipzig nach Dresden der Anfang zur Verwirklichung der weitvorausschauenden Pläne Friedrich Lists gemacht wurde, die anderswo nur engstirnige Widerstände fanden. Aus dem kleinen Bahnhof von damals sind heute die riesigen Hallen des größten in Europa geworden, und die Bevölkerung ist seitdem von 50 000 auf 720 000 angewachsen. Aber die Straßen haben auch die feindlichen Heere hier eher als anderswo gegeneinander geführt und von den Sorbenkämpfen des frühen Mittelalters über Breitenfeld und Lützen bis zur Völkerschlacht ist der Waffenlärm nicht abgeklungen. Doch über alles Unglück der blutigen Händel hinweg ist die zähe Lebenskraft der Stadt Sieger geblieben und das bezeichnendste Denkmal für diese friedlichen Siege ist die Messe. Wer da im Frühjahr oder Herbst nach Leipzig kommt und in den beängstigenden Verkehr mit seiner wahrhaft babylonischen Sprachenverwirrung eintaucht, der weiß dann besser als durch viele kluge Aufsätze, warum der Sachse so weltläufig gewandt und mitteilsam höflich ist und sein muß. Es ist eine Existenzfrage für ihn. Durch den Verkehr mit den vielen Fremden und den Wohlstand, den der Handel mit ihnen brachte, entstanden die feinen Sitten, für die Leipzig besonders im 18. Jahrhundert tonangebend war, und der Wohlstand förderte die Bildung nicht minder als die Kunst.

Das größte Verdienst der Stadt - und damit vielleicht ihre Einmaligkeit - liegt darin, daß sie sich nicht als Welthandelsplatz der Mustermessen erschöpft, sondern zugleich eine berühmte Stätte gelehrter Forschung und künstlerischer Pflege ist. Als 1409 die deutschen Professoren und Studenten aus Prag auswandern mußten, wurde ihnen hier durch eine der ältesten Universitäten des Reiches eine neue Heimat gegründet und - aus der Fülle der Namen herausgegriffen - haben Männer wie Leibnitz, Thomasius, Gottsched, Gellert, Binding, Windscheid, Treitschke, Lamprecht, Wundt, Pinder und Driesch den Weltruf deutscher Wissenschaft befestigen helfen. Friedrich der Große hatte hier mit Gellert, dem Führer der Leipziger Dichterschule das denkwürdige Gespräch [478] über die deutsche Dichtung und Lessing erhielt hier seine dramaturgische Sendung, wo Friederike Neuber Deutschlands beste Bühne leitete und seinem ersten Stück zu einem großen Erfolg verhalf.

Zur gleichen Zeit etwa wurde Leipzig der Mittelpunkt des deutschen Buchhandels. Bis dahin war es Frankfurt a. M., wenn auch schon mit der Einschränkung, daß die immer wichtiger werdende protestantische Literatur natürlich von Anfang an zum größten Teile in Leipzig verlegt und gedruckt wurde. Aber als die zumeist von Jesuiten geleitete kaiserliche Buchkommission in Frankfurt der sieghaft Raum begehrenden geistigen Freiheit gegenüber immer unduldsamer wurde, kam es schließlich dahin, daß die norddeutschen Buchhändler unter Führung des Leipzigers Philipp Erasmus Reich 1764 erklärten, die Frankfurter Messe nicht mehr besuchen zu wollen und sich Leipzig zuwandten. Dazu kam 1825 die Gründung des Börsenvereins der deutschen Buchhändler, der jetzt im Deutschen Buchhändlerhaus beheimatet ist, wo alljährlich zur Kantateversammlung die Buchhändler des Reiches zusammenströmen. Dem Buchhandel örtlich angegliedert ist ein vielverzweigtes Buchgewerbe und ein sich dauernd vervollkommnendes Büchereiwesen. 1925 waren allein 5 Prozent der Bevölkerung im Druckereigewerbe tätig, in 275 Buchdruckereien! Ein Sonderzweig des graphischen Gewerbes ist die Notenstecherei. Gelegentlich der Bugra 1914 wurde festgestellt, daß die Hälfte der Weltproduktion auf Deutschland entfällt, und davon neun Zehntel auf Leipzig. Der schönste und überzeugendste Ausdruck aber für Leipzigs Verantwortlichkeit dem deutschen Buch gegenüber ist die "Deutsche Bücherei"! Eine wirkliche jedermann zugängliche Nationalbibliothek, die seit 1913 sämtliche Erscheinungen des deutschen Schrifttums erfaßt und heute bereits weit über eine Million Bände zählt.

Leipzig. Die Deutsche Bücherei.
[406]      Leipzig. Die Deutsche Bücherei.

Aber Handel und Industrie, auch Bücher gibt es schließlich überall. Das, was allein Leipzig zu bieten vermag, sind die Thomaner und die Gewandhauskonzerte. Die Thomasschule ist nun über 700 Jahre alt und ihr Name wird für alle Zeiten verbunden sein mit Johann Sebastian Bach, der von 1723-1750 an der Thomaskirche ihr größter Kantor war. Wer Bach wirklich erleben will, in aller Tiefe, allem Glanz und aller seligen Entrücktheit, kann es eigentlich nur dort in der Thomaskirche, wenn unter der Leitung von Professor Straube die 60 Knaben die Motette jubeln und Günther Ramin an der Orgel sitzt. Dann vergißt man alles, die Messe, die Bücher, die Zeit und geht wundersam geläutert und festlich erlöst in die reine klingende Seele eines der größten Deutschen ein. Musik wurde seit je von der Universität und der Bürgerschaft gepflegt und ihre Krönung erhielt sie im Großen Konzert des Gewandhauses, das 1746 gegründet wurde, "unter der Direktion der Herren Kaufleute". Durch Mendelssohn wurde es zur europäischen Berühmtheit, die sich über Pfitzner, Nikisch und Furtwängler bis in unsere Tage erhalten hat.

Leipzig. Das alte Rathaus.
[404]      Leipzig. Das alte Rathaus.

Leipzig. Das neue Rathaus.
[405]      Leipzig. Das neue Rathaus.

Leipzig. Das Völkerschlachtdenkmal.
[403]      Leipzig. Das Völkerschlachtdenkmal.
Die Stadt hat in den Vierteln um den Markt herum mit Würde das Gesicht bewahrt, das ihr die Ahnen gaben. Die unerwartet vielen hohen Fronten der Renaissance- und Barockhäuser besonders in der Katharinenstraße, zeugen von Geschmack und Wohlhabenheit ihrer Erbauer. Meist sind es die alten Meßhöfe, [479] die tief in den Häuserblock hinein und oft zu einer anderen Straße hinausführen. Vor dem prächtigen Bau der alten Börse (1678) am Naschmarkt mit der schönen Freitreppe steht das Denkmal des jungen Goethe, der sich im weltläufigen "Klein-Paris" sein Frankfurterisch abgewöhnen wollte, und Auerbachs Hof mit den alten Gemälden der Faustsage ist nicht weit davon. Im Brühl, dem Pelzviertel Leipzigs und der Welt, dessen Name noch an die Sümpfe erinnert, aus denen die wohlgepflegte Stadt hervorging, ist Wagner geboren und im großen Museum am weiten, taubendurchflatterten Augustusplatz ist das Lebenswerk eines anderen großen Sohnes der Stadt ausgestellt, in Gemälden und Bildwerken die vielfigurige Welt Max Klingers, sein Beethoven vor allem. Durch das Buchhändlerviertel mit der langen Reihe bekannter Verlagsnamen führt der Weg zur technischen Messe mit ihren 17 Riesenhallen, die vom Wahrzeichen der Stadt und des Umlandes gebirghaft überragt werden, dem Denkmal der Völkerschlacht. Aber draußen, wo ein Stück Land noch nicht von der Industrie ergriffen wurde, beginnt die kleine Welt der Schrebergärten, die so vielen heimatlosen und abgehetzten Großstädtern wieder das stille Glück gegeben haben, das von einem selbstbearbeiteten Stückchen Erde ausgeht. Der Leipziger Lehrer Hauschild hat 1864 mit diesen Gartenvereinen angefangen und von Gottlieb Schreber, dem Arzt, der über Volksgesundheit schrieb, haben sie den Namen.

Unabsehbar dehnt sich die Leipziger Ebene, von pappelbestandenen Straßen durchzogen bis zum Tal der vereinigten Mulde, wo Eilenburg mit drei Türmen einer ausgedehnten Wehranlage noch an das zehnte Jahrhundert erinnert, als es deutsche Grenzfeste war. Dicht dabei lagert sich Wurzen um eine wuchtige romanische Kirche und verdankt den Braunkohlenlagern eine lebhafte Industrie, während das friedliche Grimma sich zur Sommerfrische entwickelt hat. Seine Fürstenschule bedeutete viel für den Aufbau deutschen Bildungswesens, und aus dem benachbarten Kloster Nimbschen holte Luther seine Katharina von Bora. Landschaftlich sehr reizvoll ist die zwischen Mulde und Elbe ausgebreitete Dahlen-Belgerner Heide, mit der großen Fläche des Horstsees und vielen stillen Teichen inmitten weiter Kiefernwälder. Unvermutet in der Einsamkeit ein sälereicher Prachtbau Dresdener Barocks, das Jagdschloß Hubertusburg mit seiner erlesen ausgestatteten Kapelle. Auch Dahlen selbst gemahnt durch ein reich ausgestattetes barockes Schloß an die Nähe Dresdens, und den Mittelpunkt dieses Gebietes bildet das gartenreiche Oschatz, wo schöne Denkmale deutscher Renaissance von Kunstsinn und Wohlhabenheit der Bürgerschaft sprechen.

Nach Süden zu geht Leipzig mit den vielen Gärten vornehmer Landhäuser in die parkartige Anmut des Elstertales über, wo unweit der Rosenstadt Zwenkau am großen Elsterstausee mit seinen weiten Laub- und Nadelwäldern Pegau liegt. Hier wurde 1104 unter Wiprecht von Groitzsch durch Benediktiner das erste Kloster im obersächsischen Neusiedelland gegründet, dessen tatkräftige Mönche bedeutenden Anteil an der Deutschwerdung dieses Gebietes haben. Vom Kloster ist nichts mehr erhalten, aber das Grabmal des mächtigen Stifters ist gerettet worden. Lange nach seinem Tode, in der klassischen Zeit deutscher Bild- [480] hauerkunst, als der Naumburger Meister am Werke war, ist es entstanden und zeigt den Markgrafen von Meißen, porträthaft lebendig. Vor sich den breiten Prunkschild und in der Rechten die Fahne, so steht die Gestalt des sagenumwobenen Kämpen als großartiges Denkmal für alle Helden der mittelalterlichen Grenzmark. Damals war das Elstertal mit Zeitz, Gera und Greiz die Vorpostenlinie für das stark bewehrte Saaletal. Unter ihnen nahm die alte Herzogsstadt Zeitz am Eingang in die Bucht der Leipziger Ebene die wichtigste Stellung ein. Für das vorschnell hier gegründete Bistum waren die Zeiten allerdings noch zu unsicher und es mußte nach Naumburg zurückverlegt werden. Neuer Glanz kam für die Stadt erst wieder, als nach dem Dreißigjährigen Kriege ein sächsischer Herzog auf dem Domhügel das mächtige Barockschloß aufführen ließ und die gotische Hallenkirche prunkhaft ausstattete. Wenn die gewerbetätige Stadt auch längst über den mittelalterlichen Mauerring hinausgewachsen ist, so hat sie sich mit dem schönen Schaugiebel des gotischen Rathauses und vielen sehr beachtlichen Bürgerbauten vom Mittelalter bis zum Empire ihr altes, von Wohlhabenheit geprägtes Gesicht zu erhalten verstanden. Kaum vermutet von dem, der bei ihrem Namen nur an Braunkohle, Eisengießerei und Maschinen für die Brikettfabrikation denkt. Auf den Holzreichtum der Wälder lassen zehn Pianofortefabriken und nicht zuletzt das führende Naether-Werk schließen, dessen Kinderwagen und Gartenmöbel die Stadt vor allem bekannt gemacht haben.

Grenzcharakter hat das von der mittleren Elster und Pleiße umschlossene Gebiet auch heute noch. Westsachsen und Ostthüringen gehen hier ineinander über, wo die von Sachsen her unaufhaltsam vordringende Industrie im Rositz-Meuselwitzer Braunkohlenrevier am Rande der Ebene ihre Kraftquelle besitzt. Denkmalhaft stehen dazwischen Zeugnisse alter fürstlicher Kultur. Von den beiden ehemaligen Residenzen der Reußischen Linien - Greiz und Gera -, deren bedeutende Textilindustrie und angegliederte Färberei bei Gera schon auf eine im Mittelalter berühmte Tuchmacherei zurückgeht, ist das zwischen waldige Hügel gebettete Greiz durch landschaftliche Schönheit bei weitem bevorzugt. Die Fürsten haben der Stadt durch das große Schloß auf steilem Berge ein einprägsames Gesicht gegeben. Unten am See inmitten eines weitläufigen Parkes, der in die freie Waldnatur übergeht, träumt ein kleines Rokoko-Palais und hütet eine bekannte Sammlung von Kupferstichen. In den Wäldern glaubt man schon in Thüringen zu sein, aber eine offene Sicht nach Süden zeigt noch die Kammlinie des Erzgebirges. Die Fruchtbarkeit des Umlandes, die besonders im Anbau der Zuckerrübe ihren Ausdruck findet, hat viel wohlhabende Dörfer entstehen lassen, deren Hauptreiz die langen Reihen giebelseitiger Bauernhäuser mit ihrem frohen Schmuck formenreichen Fachwerkes bilden.

Die reichsten Dörfer aber finden sich im benachbarten Altenburger Ländchen. Die weiträumigen und prächtigen Gehöfte der dortigen Großbauern müssen als die erlesensten Beispiele fränkischer Hofanlagen gelten. Hier trifft man noch häufig im Obergeschoß die Bogenstellungen offener Laubengänge, deren braunes Holz gut zum starken Rot der langen Ziegeldächer steht. Das [481-488=Fotos] [489] "Kornland" hat eine hochstehende Bauernkultur hervorgebracht, die stolz auf ihre weit zurückreichende Tradition ist. Noch aus dem Mittelalter stammen die prächtigen Reiterspiele, die im Mittelpunkt der großen ländlichen Feste stehen. Landschaftlich und strategisch ähnlich gelegen wie Zeitz beherrschte das Bollwerk Altenburg das Pleißetor. Vom machtvollen Willen ihrer Erbauer spricht hier die riesige Schloßanlage auf dem Porphyrblock inmitten der Stadt, wo seit den Staufenkaisern die Zeiten mit wechselnden Stilformen Bau an Bau um die drei Terrassen des weiten Hofes gefügt haben.

Altenburg, Thüringen. Das Schloß.
[407]      Altenburg (Thüringen). Das Schloß.

Das kleine Rötha im Pleißetal ist neuerdings für den Rundfunkhörer ein vertrauter Name geworden durch die Übertragungen der auf der dortigen Silbermann-Orgel gespielten Kirchenmusik. Die Alltagsmusik dieses Gebietes klingt freilich anders. Ihre Instrumente sind die Fördermaschinen des Leipzig-Bornaer-Braunkohlenreviers und die Generatoren seiner Kraftwerke. Dieses nordwestsächsische Vorkommen wird auf sechs Milliarden Kubikmeter geschätzt und stellt den Abbau für Jahrhunderte sicher. Die gewaltige Anlage des Großkraftwerkes Böhlen versorgt fast ganz Sachsen mit Strom und in Borna, dem Mittelpunkt dieses sich bis nach Zeitz hinüber ausdehnenden Revieres wird kaum jemand große Kunst vermuten. Aber die Hauptkirche dort birgt mit dem Schnitzaltar von 1512 wohl das bedeutendste Altarwerk Sachsens aus dieser Zeit.

Braunkohlen-Tagebau bei Borna.
[408]      Braunkohlen-Tagebau bei Borna (Sachsen).

Das ist nur ein Beispiel von vielen, die den Fremden zu überzeugen vermögen, daß dieses nur als rußgeschwärztes Industriegebiet bekannte und deshalb von ihm gemiedene Vorland des Erzgebirges reich besetzt ist mit Zeugnissen bedeutender Kultur aus Zeiten, die weit vor seiner Industrialisierung liegen und landschaftliche Schönheiten aufweist, die vor denen beliebterer Reisegebiete nicht zurückzustehen brauchen. Denn diese Gegend wird mit allem Recht das "sächsische Burgenland" genannt. Mittel- und Unterlauf der Zwickauer und Freiberger Mulde sowie der Zschopau bezeichnen es näher. Diese, die Wasser des Erzgebirges für die Elbe sammelnden, tiefeingeschnittenen Täler mit ihren Wiesengründen muß man hinaufwandern, um ihre bunte Schönheit wirklich zu erleben und mehr dafür übrig haben als einen flüchtigen Blick aus dem Fenster des Zuges, der zu irgendeiner Bädeckerberühmtheit führen soll. Wälder an den Hängen, auf steilen Felsen dazwischen Burgen und Schlösser, Industrie an rauschenden Wehren angesiedelt, verträumte Mühlen in stillen Seitentälern, moderne Kühnheit technischer Bauten für Straßen und Bahnen. So wechselt es unten mit Überraschungen ab, während droben auf den Hochflächen Verkehr und Industrie sich lärmend in den Städten und den für diese Gegend so bezeichnenden großen Fabrikdörfern zusammendrängen.

Döben, Mulde. Das Schloß.
[425]      Döben (Mulde). Das Schloß.
Ein Tal der Burgen ist die Zwickauer Mulde. Colditz wird von einer mächtigen Schloßanlage überragt. Am Fuße des Rochlitzer Berges liegt Rochlitz im Schutze seines trutzigen, doppeltürmigen Schlosses. Die schöne Kunigundenkirche mit dem riesigen Altarwerk hat der Baumeister des Meißner Schlosses, Arnold von Westfalen, gebaut. Weiter hinauf liegt Wechselburg, das in seiner aus hartem Rochlitzer Sandstein aufgeführten romanischen Schloßkirche Bildhauerwerke birgt, die "unter den edelsten Kleinoden deutscher Kunst zu [490] nennen sind". Vor allem ist es die aus Eichenholz geschnitzte riesige Kreuzigungsgruppe aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts. "Feierliche Ruhe der Linien, Reinheit des Formgefühls, Mäßigung und Verinnerlichung des Pathos und im Zusammenklang aller dieser Eigenschaften eine Monumentalität, die für die deutsche Kunst damals eine Offenbarung war." (Dehio.)

Zu den natürlichen Schönheiten des Gebietes hat Menschenhand künstliche hinzugefügt durch die großen Spiegel der Stauseen. Von den zwölf Talsperren Sachsens, die das Unterland mit Trink- und Nutzwasser versorgen, ist die des Zschopautales bei Waldheim mit neun Kilometer Länge die größte und reizvollste. Unweit davon trägt ein steiler Felsen die trutzige Burg Kriebstein. Zu ihren Füßen wehen die Rauchfahnen einer großen Papierfabrik.

Das Zschopautal.
[426]      Das Zschopautal (Sachsen).

Dieses unmittelbare Nebeneinander von geschichtlich-ehrwürdigen Stätten und modernen Industrieanlagen ist recht bezeichnend für die Eigenart des Erzgebirgsvorlandes, dessen ungefähre Grenze gegen das eigentliche Gebirge hin an der Hauptstrecke (Nürnberg) Plauen - Dresden (Schlesien) verläuft. Es ist die alte Straße, auf der einst die fränkischen Kolonisatoren vordrangen. Drei wichtige Städte liegen daran: Freiberg, Chemnitz und Zwickau.

Von ihnen ist Freiberg die älteste und im Mittelalter war sie die größte, reichste Stadt Sachsens überhaupt. Ein Fürst des 16. Jahrhunderts prägte das bezeichnende Wort: "Wäre Leipzig mein, so wollt' ich's in Freiberg verzehren". Reiche Funde an Silber und Zinn lockten niedersächsische Bergleute aus dem Harz herbei und ließen sie unter Markgraf Otto dem Reichen hier die "Sächsstadt" gründen. Der dichte Wald fiel und wanderte als Holzkohle in die Schmelzöfen. Überall wurde mit Erfolg nach dem begehrten Metall geschürft und das durch's Land gehende "Berggeschrei" rief immer mehr Menschen zusammen, die schnell reich werden wollten. Man muß schon an amerikanische Verhältnisse zur Zeit des Goldfiebers denken, um sich ein Bild vom schnellen Wachstum der Stadt zu machen. 716 Gruben waren im 16. Jahrhundert allein im Freiberger Revier im Betrieb und die größte Ausbeute betrug im segensreichen Jahr 1572 schon 8000 Kilogramm Silber. Die Ergiebigkeit der Vorkommen schien unerschöpflich. Noch 1884 wurden 35 000 Kilogramm ausgebracht. Aber von anderer Seite her setzte der Rückschlag ein. Bereits nach der Entdeckung Amerikas traten die dortigen Lager als schärfster Konkurrent auf. Die billigen Arbeitskräfte der Farbigen ermöglichten einen niedrigeren Preis, der den sächsischen Abbau bald unlohnend machte. Dazu kam am Ende des 19. Jahrhunderts die Einführung der Goldwährung, die eine weitere Entwertung des Silbers mit sich brachte. Kostete noch 1871 das Kilogramm Silber 179 Mark, so war der Preis dafür 1902 bereits auf 71 Mark gefallen. Die Wirtschaftslage, nicht der Mangel an Erz, hat es schließlich dazu kommen lassen, daß 1913 in den staatlichen Gruben die letzte Schicht gefahren wurde und nur noch eine Lehrgrube für die Bergakademie erhalten blieb. Die Notzeit des Weltkrieges brachte eine schwache Belebung, als das Zinn und Wolfram von Altenburg und Ehrenfriedersdorf und das Wismut von Schneeberg und Johann-Georgenstadt gebraucht wurde. Diese Metalle, dazu noch Blei und Kobalt, [491] werden heute in etwa 250 Gruben gefördert und in den staatlichen "Muldenhütten" bei Freiberg verhüttet.

Ist der Bergbau auch zurückgegangen, der Ruhm der 1765 gegründeten Bergakademie ist geblieben. Hier schuf A. G. Werner die Geologie und Bergmannswissenschaft, von der die ganze Welt gelernt hat. Frh. v. Stein, A. von Humboldt, J. W. Ritter und Novalis gehörten zu seinen Schülern. Damals, zur Zeit der Romantik, als eine neue Naturphilosophie gegen Kant und Fichte sich erhob und in Schelling ihren feurigsten Vorkämpfer fand, waren die großen Tage der alten Bergstadt. Für ein Menschenalter war sie der Mittelpunkt deutschen Geisteslebens, und sogar die Leipziger Universität stand hinter ihr zurück. Die jungen und aufstrebenden Geister sahen damals in der Geologie den Schlüssel zu neuen Offenbarungen. Ihre dichterische Verklärung aber fand die Wunderwelt der Schächte und Stollen im Werke Friedrich v. Hardenbergs, der hier im "Heinrich von Ofterdingen" den Roman der Romantik schrieb und keiner hat wieder das Bergmannsleben so empfindsam besungen wie er:

Freiberg, Sachsen. Die goldene Pforte.
[427]      Freiberg (Sachsen). Die goldene Pforte.

Freiberg. Tulpenkanzel im Dom.
[428]      Freiberg (Sachsen). Tulpenkanzel im Dom.

    "Der ist der Herr der Erde,
    Wer ihre Tiefen mißt,
    Und jegliche Beschwerde
    In ihrem Schoß vergißt,

    Wer ihrer Felsenglieder
    Geheimen Bau versteht,
    Und unverdrossen wieder
    Zu ihrer Werkstatt geht...

    Der Vorwelt heil'ge Lüfte
    Umweh'n sein Angesicht,
    Und in der Nacht der Klüfte
    Strahlt ihm ein ew'ges Licht."

Das Stadtbild, umgeben von den Abraumhalden verlassener Bergwerke, hat sich mit Tortürmen, Resten der Ringmauern, winkligen Gassen und schönen Giebelhäusern der Renaissance viel Altertümliches bewahrt und birgt in der Goldenen Pforte der Marienkirche eins der hervorragendsten Kunstwerke aus dem 13. Jahrhundert. "An Pracht und innerem Adel niemals mehr überboten" ist das von neun Bogen überspannte Portal mit der verschwenderischen Fülle seines lebensvollen bildhauerischen Schmuckes, der einst in Gold und bunter Farbigkeit prangte, zu einer gnadenreichen Himmelspforte geworden.

Die Kirche selbst gehört zu jener Gruppe von Bauten, die um 1500 Obersachsens besondere Leistung darstellen und sich durch die lichte Weiträumigkeit ihrer hallenartigen Anlage auszeichnen. Zahlreiche Mitglieder des regierenden Hauses haben hier im Chor unter schön gravierten messingnen Grabplatten ihre letzte Ruhe gefunden und im Langhaus steht die um 1520 entstandene Tulpenkanzel, die seltsamste Blüte, die der üppige Garten sächsischer Kunst hervorgebracht hat.

[492] Wer in die Kirchen auch der kleinen Orte hineingeht, sieht die deutsche Bildhauerkunst der spätesten Gotik hier auf einer Höhe, die man sonst nur in Franken vermutet. Oft sind Werke darunter, die zu dem Besten gehören, was die deutsche Kunst dieser Zeit überhaupt hervorgebracht hat. Großzügigkeit zeichnet solche Figuren aus, die schon umweht sind vom Atem des neuen Weltgefühls froher und tapfer behaupteter Diesseitigkeit. Sei es nun die aus starrem Faltenbruch aufblühende zarte Innigkeit der Heimsuchungsgruppe des Bornaer Altares, wo sich die beiden gesegneten Frauen mit der "Vorsicht menschlicher Geste" zueinander neigen, von stillen Engeln umstanden, - oder die feierliche Erhabenheit der Himmelskönigin im prunkvollen Ehrenfriedersdorfer Schrein, die auf der Mondsichel dahinschwebt, - oder die adlige Schlankheit der Calbitzer Madonna, deren rätselhaft stolzer Blick auf dem anmutigen Kinde ruht. Mit der gleichen Größe in der Auffassung des Menschenbildes treten auch die männlichen Gestalten hervor. Die Herbheit gläubigen Ergriffenseins macht die beiden lockigen Jünglingsfiguren, eines Engels und Diakons in Ebersdorf zu Urbildern deutscher Jugend. Die Freiheit der Haltung und das Ebenmaß ihres Wuchses könnte hellenischem Boden entsprossen sein und die den Blick leise beschattende Schwermut ruft Erinnerungen an unvergeßliche Eindrücke vor den Werken Michelangelos herbei.

Das Schicksal dieser späten Blütezeit sächsischer Kunst - nach ihrer großen Leistung im 13. Jahrhundert - ist es gewesen, daß ihrem erstaunlich schnellen Aufstieg binnen weniger Jahrzehnte ein jähes Ende folgte. Nicht daß die Kräfte aufgebraucht waren, auch hier kam von außen her der Stoß, als unter dem Ansturm der Reformation das alte Kirchengebäude zusammenbrach und die Glaubensinhalte der alten Lehre für die verwandelten Menschen bedeutungslos wurden. Seit 1520 etwa braucht man in den protestantischen Ländern keine Schnitz-Altäre mehr und die eben noch vielbeschäftigten Meister wurden arbeitslos, hungerten oder wurden vom Rat erhalten. Wer sich noch umstellen konnte, ergriff einen anderen Beruf, wie jener Bildhauer, der – Bäcker wurde. So ging das bilderfreudige Mittelalter zu Ende und die Neuzeit war kämpferisch und zunächst bilderlos, worüber auch die Cranachsche Werkstatt in Wittenberg nicht hinwegzutäuschen vermag.

Auch Chemnitz birgt aus der Zeit dieses großen geistigen Umbruches in der Schloßkirche Zeugnisse bedeutender Kunst. Aber von dem Stadtbilde mittelalterlicher Wohlhabenheit ist nach dem großen Brande im 30jährigen Kriege nicht mehr viel übriggeblieben und die Reste stehen merkwürdig einsam in dieser Stadt hämmernder Arbeit. Sachsens bedeutendster Industrieort hat nach der Aufschließung reichlicher Steinkohlenlager eine sprunghafte Entwicklung erfahren, wie sie sonst nur im Ruhrgebiet zu beobachten ist. In den letzten 100 Jahren ist die Einwohnerzahl von 20 000 auf 360 000 gestiegen! Die schon seit dem 14. Jahrhundert hier beheimatete Weberei hat mit den neuhinzugekommenen Spinnereien, Strumpfwirkereien und Färbereien ("Diamantschwarz") die Stadt zum Mittelpunkt der sächsischen Textilindustrie gemacht, der auch die benachbarten Städte Krimmitschau, Glauchau, Werdau [493] und Meerane ihren Ruf verdanken. Im "deutschen Manchester" wurde die Leinenweberei bald durch die Tuchmacherei abgelöst, die aber dem Wettbewerb mit der Baumwolle nicht standhalten konnte. 1770 wurde der Kattundruck eingeführt und bereits 1800 waren über 1000 Meister mit der Herstellung des begehrten Stoffes beschäftigt, und die Möbelstoffindustrie der Stadt ist auch heute noch die bedeutendste in Deutschland. An vorderster Stelle aber steht doch der Maschinenbau, der für die Textilindustrie die immer kunstvoller ausgestalteten Spinn-, Web-, Wirkmaschinen und noch viele andere technische Wunderwerke von Weltruf liefert. Haubold und Schwalbe sind die Begründer, deren Betriebe nur übertroffen werden von der "Sächsischen Maschinenfabrik, vorm. Rich. Hartmann", heute Sachsens größtem Industriewerk. 1837 unterhielt ein schlichter Arbeiter eine kleine Werkstatt und heute bilden die Riesenbauten des Werkes einen Stadtteil für sich. Von den vielen anderen Namen, die für Deutschlands Qualitätsarbeit stehen, seien nur noch die Wandererwerke erwähnt. Düstere Rauchwolken überlagern die rastlose Stadt, deren brausendes Lied der Arbeit Arnold Findeisen in Worte gefaßt hat:

    "Schornstein an Schornstein. Und stumpf über Hallen und Höfen
    Der träge zerfasernde Atem der Kessel und Öfen,
    Klanglos gedehnt. Aber unter ihm wüten die heißen,
    Hungrigen Bohrer ins Eisen.
    Dampfhämmer zürnen.
    Laufkräne stottern. Bessemer Birnen
    Schäumen entfesselt, daß fauchende Funken kreisen.
    Straßenlang toben daneben die tollen
    Treibriemen, Schwungräder, Spindeln und Rollen.
    Bahnhöfe dröhnen mit zehnfachen Gleisen.
    Straßenlang zetert dann wieder gefoltertes Eisen. -
    Friedlos verstrickt, ein rasendes Stimmengewirr,
    Aber gebändigt. Und nicht eine Stimme schreit irr!
    Alle Stimmen lobpreisen."

Der eigentliche Mittelpunkt des Steinkohlenrevieres, das sich über Lugau und Ölsnitz hin ausdehnt, ist Zwickau. Die Kohle gibt dieser Stadt von 80 000 Einwohnern das Gepräge. Schächte und Schutthalden, flammende Koksöfen und ein Wald von Schloten sind ihre Wahrzeichen. Auf den schon im 14. Jahrhundert entdeckten Vorkommen beruht die vielseitige Industrie der Stadt, die Eisenwerke, Dampfmühlen, Ziegeleien, Webereien, Spinnereien und Seilfabriken. Am bekanntesten aber sind wohl die Werke der Auto-Union. Der Silbersegen des Gebirges hatte auch diese Stadt reich gemacht. Der Ratsschatz kündet noch davon wie der steile Backsteingiebel des Gewandhauses daneben, und in der Marienkirche stehen auf Goldgrund die Tafelbilder des großen Altarwerkes so leuchtend, als hätte erst gestern der Nürnberger Meister und Lehrer Dürers, Michael Wohlgemut, die Farben dazu gemischt. In der geschnitzten Beweinung Christi sammelt sich noch einmal kurz vor der Refor- [494] mation die ganze Innigkeit des alten Glaubens zu einem Bildwerk höchsten Adels. Aber schon war in Wittenberg das Wort gesprochen und Thomas Münzer, der Prediger an St. Katharinen, gab es so leidenschaftlich aufreizend weiter, daß Luther selbst herüberkam, um die aufgeregten Tuchmachergesellen zu beruhigen. Von der Lateinschule, der die erste Griechische im Reich angegliedert war, ist viel Bildung ausgegangen, besonders unter ihrem berühmtesten Rektor Georg Agricola, der die Gesteine durchforschte und seine grundlegenden Erkenntnisse in einem Lehrbuch der Berg- und Hüttenkunde niederlegte. Aber auch die deutsche Musik hat von hier aus eine neue Anregung bekommen. Am Hauptmarkt steht das Geburtshaus Robert Schumanns.

Die drei eben betrachteten Städte bilden die Hauptausgangspunkte für den Besuch des Erzgebirges. Von der Schnellzugslinie Dresden - Hof steigen zwölf Stichbahnen bis zum Kamm empor und erschließen so die schöne Waldlandschaft mit den vielen Kurorten und Sommerfrischen dem ständig wachsenden Zustrom der Fremden. Dreimal so lang wie das Riesengebirge dehnen sich seine Bergzüge in einer Breite von etwa 40 Kilometer auf 150 Kilometer vom Elbsandsteingebirge aus südwestlich bis zum Quellgebiet der Weißen Elster. Das schon im 10. Jahrhundert "Grenzwald" und später "Böhmerwald" genannte Gebirge ist, geologisch gesprochen, sehr alt. Daher sind seine Bergformen bis auf wenige Ausnahmen nicht jäh aufgereckt und ungestüm zerrissen, sondern mit weitausholenden, beruhigten Umrissen ziehen die vorwiegend aus Gneis und Granit bestehenden Höhenrücken nebeneinander her, von langen, wasserreichen Tälern begleitet oder durchkreuzt. Vom Norden her als eine gewaltige, schräggestellte Tafel nach Süden gemächlich ansteigend erscheint das eigentliche Gebirge als eine weite, leichtgewellte Hochfläche, deren Durchschnittshöhe von 900 Meter kaum ins Bewußtsein kommt. So kann man es schon "ein Gebirge ohne Berge" nennen, da seine höchsten Erhebungen - im Quellgebiet der Zschopau - der Keilberg (1245 Meter) und der Fichtelberg (1215 Meter) die Umgebung nur um 250 Meter überragen. Von den Gipfeln aus umfängt der Blick, ganz im Gegensatz zur romantisch-pathetischen Bergwelt des Elbsandsteingebirges, hier ein Landschaftsbild großer und einfacher Formen. Blau stehen die dunklen Fichtenwälder darüber, unterbrochen vom hellen Grün der Wiesen. Weiß leuchten die Dörfer herauf, umgeben von den streifigen Breiten der Äcker. Wie anders aber ist das Bild von der böhmischen Niederung des Egertales aus. Hier zeigt sich das Erzgebirge wirklich als Gebirge und versperrt den Blick mit seinem südlichen Steilhang, der sich mauerartig bis zu 700 Meter von der Talsohle aus aufbaut. Hier unten im Schutze der Steilhänge eine warme, lachende und fruchtbare Landschaft und oben auf der deutschen Seite eine schwermütig-einförmige Hochebene mit kargem Boden und rauhem Klima unter wolkenschwerem Himmel, dessen überreiche Niederschläge zur Bildung ausgedehnter Hochmoore geführt haben. Lang hält sich der Winter dort oben und mit ihm der berühmte Wintersport, dem die von weither Zureisenden noch nachgehen können, wenn überall sonst schon Frühling ist. Das einst undurchdringlich dichte Waldkleid des Gebirges hat der Ackerbau [495] und mehr noch der Berg- und Hüttenbau stark gelichtet. Aber um den früher so emsig pochenden und schürfenden Bergbetrieb nach Silber, Kupfer und Zinn ist es still geworden und nur die mächtigen, hier "Bingen" genannten Einbruchsfelder über den zusammengestürzten Stollen und Schächten zeugen noch von der unterirdischen Tätigkeit. Auf den abgeholzten Blößen hat sich die Heide angesiedelt und dazwischen liegen die Ortschaften. Auf der Kammhöhe sind es Streusiedlungen mit meist einstöckigen, weißgetünchten Häusern, deren Wetterseite oft durch Schiefer- oder Schindelbelag in schönen Ziermustern geschützt ist. Der Stolz des Hauses sind die mächtigen Kachelöfen in den Wohnstuben, die, von Ofenbänken umgeben, im langen Winter den Mittelpunkt des Familienlebens und der dörflichen Geselligkeit bilden.

Wenn man hört, daß z. B. am Fichtelberg die mittlere Jahrestemperatur nur 2,6 Grad Celsius bei 183 Frosttagen und 1132 Millimeter Niederschlag beträgt (im Gegensatz zu den Dresdener klimatischen Zahlen von 9,1 Grad, 81 Tagen und 628 Millimeter), so ist man erstaunt, daß auf Fluren über 800 und 900 Meter Höhe überhaupt noch Landwirtschaft getrieben wird. Freilich geht der Ackerbau kaum über Hafer und Roggen hinaus und oft genug gerät im Kammgebiet das noch nicht gereifte Getreide unter den frühen Schnee. Dann bleibt nur noch die Kartoffel, die mit Kuh und Ziege nicht selten die Haupternährungsquelle der Familie ausmacht. Das Heu muß von den hochgelegenen Wiesen im Winter mit dem Schlitten herabgeholt werden, da die steilen Wege für die Wagen nicht befahrbar sind. So ist das Leben für den Gebirgler ein hartes Ringen mit dem Boden.

Wenn das Erzgebirge trotzdem das dichtest bevölkerte Gebirgsland Europas geworden ist, das in seinen westlichen Teilen 250 Menschen auf den Quadratkilometer aufweist, und noch in Höhenlagen über 1000 Meter Mecklenburg-Schwerin übertrifft, so erklärt sich das nur aus dem Erzreichtum, der seit 1200 vorzugsweise fränkische Siedler herbeilockte und sie in dem unwirtlichen Waldgebiet ihre Reihendörfer gründen ließ. Schon im 16. Jahrhundert drängten sich hier so viele Menschen zusammen, daß der Siedelboden für ihren Lebensbedarf nicht ausreichte. Als dann nach dem 30jährigen Kriege die Gruben ausgebeutet waren, trat nun nicht etwa - was zu erwarten gewesen wäre -, eine Abwanderung aus diesem Gebiete ein, sondern die heimattreue Bevölkerung stellte sich auf die Holzwirtschaft und die Herstellung von Glas um, wozu sich später die Weberei und die Klöppelei gesellte. Unter den ungünstigsten Verhältnissen wurden hier damals die Grundlagen der sächsischen Industrie geschaffen, die zu einem großen Teile noch heute auf Heimarbeit beruht und den oft stundenweit die Täler sich hinaufziehenden Walddörfern ihr eigenartiges Gepräge gibt. Wenn das Wort "Humor ist, wenn man trotzdem lacht" irgendwo Berechtigung hat, so bestimmt hier, wo die Menschen ihrem schweren und langen Arbeitstag, der ihnen oft kaum das Nötigste zum Leben gibt, noch so viel Frohsinn entgegensetzen, wo hinter einer rauhen Schale zartes Gemüt sich versteckt und inmitten vieler Armut ein reicher Schatz an Volksliedern sich bewahrt hat. Obenan der "Vuglbärbaam", die Nationalhymne des Erzgebirglers. [496] Der Vogelbeerbaum, die Eberesche, steht hier überall, wo man sonst in milderen Gegenden Obstbäume anzutreffen gewohnt ist. Die Häuser bergen sich unter seinem Schutz, von Ort zu Ort begleitet er die Landstraßen in stattlichen Reihen und bis zum höchsten Kamm hinauf tragen die grauen, sturmgewohnten Stämme im dunklen Grün der zartgefiederten Blätter die brennendrote Last ihrer üppigen Beerendolden. Der einzige frohe Klang vor dem düsteren Schweigen des Hochwaldes.

Schloß Weesenstein.
[430]      Schloß Weesenstein (Sachsen).
Wo im Osten das Erzgebirge an das Elbsandsteingebiet anschließt, thront über dem tiefeingeschnittenen romantischen Tale der Müglitz unweit von Pirna auf steilem Felsen eins der schönsten sächsischen Schlösser: der Weesenstein. Von König Heinrich I. gegründet, ist die mächtige, gebäudereiche Anlage, dem Felsen folgend, in acht Stockwerken übereinander um einen kühn überragenden Turm herumgewachsen und zeigt in der Schloßkirche eine prunkhafte Ausstattung des 18. Jahrhunderts. Für die Gegenwart aber bekannt durch ihre Präzisionsarbeit ist Glashütte über längst verlassenen Stollen die Stadt der Taschenuhren geworden. Altenberg, schon in 700 Meter Höhe gelegen, mit eng ineinander geschachtelten Häuserreihen, hat im Mittelalter viel Zinn geliefert. Die alte Schmelzhütte mit ihrem tief heruntergezogenen Schindeldach und die stattlichen Bürgerhäuser mit den steilen Schieferdächern erinnern an die Blütezeit des Bergbaus im 17. Jahrhundert. Auch der Name Seiffen für das Städtchen in den dichten Wäldern des Schwartenberggebietes nahe der Grenze weist auf den alten Seifenbergbau, die Zinnwäschen, zurück. Als der Ertrag nachließ, wandten sich die Bergleute der Holzbearbeitung zu, aus der sich dann im 18. Jahrhundert die Herstellung von Spielwaren entwickelt hat. Als damals die ersten holzgeschnitzten Erzeugnisse auf der Leipziger Messe ausgestellt wurden, hat sogar Nürnberg, die Stadt des "Tandes", sie anerkannt und eingeführt. Was das erzgebirgische Spielzeug vor dem der anderen Waldgebiete auszeichnet, ist sein Ursprung aus dem tiefreligiösen Empfinden des Bergmannes. So ist es

Weihnachtspyramiden.
[428]      Erzgebirge. Weihnachtspyramiden.
nicht zufällig, daß der allergrößte Teil der Arbeiten weihnachtlich bestimmt ist. Eine echte Volkskunst, wie sie lichterseliger und kindhaftgläubiger nirgend anders gefunden werden kann. Sie wird noch vielfach als Heimindustrie ausgeübt, und dann ist wirklich die ganze Familie mit der Herstellung einer Arche Noah von Tieren, Menschen und phantastischen Gestalten beschäftigt. Das schönste aber sind die figurenreichen Paradiesgärten, Krippen und Weihnachtspyramiden. Sie sind der Stolz jeder Familie, werden von Generation zu Generation weiter vererbt und jede fügt neue Gestalten hinzu. Zur Weihnachtszeit werden diese Kunstwerke in den Dörfern dann öffentlich ausgestellt, um den Bastlern wiederum neue Anregungen zu geben. Wer da durch die tiefverschneiten Dörfer dort oben geht, sieht überall hinter den Fenstern im Schein von vielen Kerzen die Pyramiden strahlen, die durch einen die Lichterwärme sinnreich ausnutzenden Mechanismus den Zug der frommen Gestalten feierlich sich bewegen lassen. Seiffen als Mittelpunkt dieses Handwerks hat eine besondere Fachschule für Spielwaren-Industrie, der ein vielbesuchtes Museum angegliedert ist, das einen lückenlosen Überblick über die in der Gegend an- [497] gefertigte Kleinkunst bietet. Die Herstellung selbst ist merkwürdig genug. Sie geht vom sogenannten Spaltreifen aus, dem der Drechsler an der Drehbank das für den jeweils beabsichtigten Gegenstand erforderliche Profil gibt. Durch Abspalten erhält man dann z. B. eine ganze Herde völlig gleichartiger, scheibenförmiger Tiere, die dann erst vom Schnitzer weiterverarbeitet werden. Dieser technische Hergang unterscheidet das erzgebirgische wesentlich vom alpenländischen Spielzeug, das lediglich aus der Hand des Bildschnitzers hervorgeht.

Annaberg im Erzgebirge.
[431]      Annaberg (Erzgebirge).
Der eigentliche Mittelpunkt des Erzgebirges ist die zu Füßen des Pohlberges gelegene alte Silberstadt Annaberg, die von 600 Metern bis auf 800 Meter zur windumsausten Hochfläche hinaufklettert. 1496 durch Harzer Bergleute gegründet, ist sie heute das Zentrum einer aus der mittelalterlichen Bortenwirkerei entstandenen vielseitigen Posamentenindustrie, deren kunstvolle Erzeugnisse sich den Weltmarkt erobert haben. Für das auf dem glänzenden Aufschwung des Silber- und Zinn-Bergbaus beruhende schnelle Wachstum der Bergstädte ist gerade diese Stadt ein bezeichnendes Beispiel. Schon drei Jahre nach ihrer Gründung wird mit dem Bau der Annenkirche begonnen und 1520 steht der wuchtige breitgelagerte Dom fertig da. Mit drei gleichbreiten und gleichhohen mächtigen Schiffen ist dieser weite, lichtdurchflutete saalartige Innenraum die vollkommenste Schöpfung aus dem neuen Raumgefühl und Schönheitsempfinden der deutschen Spätgotik. Das Äußere ist bewußt schlicht, fast ärmlich gehalten, um den Formenreichtum des Inneren nur noch wirkungsvoller erscheinen zu lassen. Überaus schlank sind die Pfeiler, die in zwei Reihen mit leichten Schritten den luftigen Raum durchmessen und aus ihren Schäften drehen sich in schraubenförmiger Windung die Gewölberippen heraus, um sich in einem wirbelnden Hin und Her zu einem steinernen Gespinst phantastischer Sternfiguren zu finden. Der Pracht dieses Gewölbes steht die übrige Ausstattung mit der von Engeln umrauschten "schönen Tür" den reichen Altären und dem köstlichen Taufstein nicht nach. Chr. Walter, Sachsens großer Bildhauer der frühen Renaissance, hat hier sein Bestes gegeben.

Aber die andere, unfromme Seite des so schnell erworbenen märchenhaften Reichtums war ein Luxusaufwand und Sittenverfall, von dem die Chronisten mit gesträubter Feder nur, aber ausführlich berichten. "Wir Deutschen schmausen uns arm, schmausen uns krank, schmausen uns in die Hölle" klagte Melanchthon. Luther jammerte über den "Saufteufel der Deutschen" und Hutten stellte fest, daß "die Sachsen die allerschlimmsten Trinker" seien.

Erst die Not mußte kommen, die Arbeitslosigkeit durch den sinkenden Ertrag der Gruben. Da war es Barbara Uttmann, die Tochter eines reichen Silberherren, die in den notleidenden Gebieten des Gebirges 1561 das Klöppeln einführte und damit neue Arbeit, neues Brot brachte. Sie war die Unternehmerin, Verlegerin, und in ihrem Auftrage arbeiteten bald 900 "Bortenwirkerinnen" die duftigen, von der damaligen Mode so begehrten Spitzengewebe.

In den engen, verwinkelten, oft von Schwibbogen überspannten Gäßchen der Altstadt träumt noch viel Vergangenheit, aber wenige Schritte davon kommen und gehen die großen Wagen der Kraftomnibuslinien, die über das [498] Obererzgebirge ein dichtes Verkehrsnetz gelegt haben, dessen Hauptknotenpunkt Annaberg ist.

Unweit der Stadt in einem malerisch über das hügelige Gelände verstreuten Dörfchen erinnert der "Frohnauer Hammer" aus dem Jahre 1736 mit seinen Frischöfen an den einstigen emsigen Bergbaubetrieb hier oben. Er ist das einzige der vielen Eisenhammerwerke, das im ursprünglichen Zustande völlig erhalten geblieben und noch betriebsfähig ist. Auch bei Geyer, der alten Zinnstadt, sind die ausgebeuteten Schächte längst verlassen. Einstürzend haben sie das darüber lastende Erdreich nachgezogen und so die Bildung der riesigen trichterförmigen "Bingen" veranlaßt, die an vielen Stellen des Gebirges wie klaffende Wunden in die Landschaft geschlagen sind.

Eine besondere Gabe der Erde bietet das Gebirge dem Heilung suchenden Menschen in dem nahe bei Schneeberg gelegenen Bad Oberschlema, das die beiden stärksten Radiumquellen der Welt besitzt. Schneeberg selbst kann sich rühmen, 1470 das reichste Silbervorkommen angebrochen zu haben. Die Gewinnung stieg hier so schnell an, daß schon nach drei Jahren nicht mehr alles ausgebrachte Silber vermünzt werden konnte und in Barren verteilt wurde. In der reichsten Grube St. Georg konnte damals ein sächsischer Herzog sein Frühstück auf einer 400 Ztr. schweren Stufe gediegenen Silbers einnehmen. Als unvergängliches Sinnbild frommen Dankes für den Bergsegen überragt die riesige Hallenkirche von St. Marien (1515-1526) die breit sich dehnende Stadt, wo an der staatlichen Spitzenklöppelmusterschule die Musterzeichner ihre Ausbildung erhalten.

Weiter hinauf führt das Tal zum Gipfelgebiet des Gebirges, wo von dichten, endlosen Nadelwäldern umhüllt, die wuchtigen, breit gewölbten Gneis- und Schieferrücken des Auersberges, Fichtelberges und Keilberges ungehinderte Fernblicke über die Bergeinsamkeit hinweg

Erzgebirge. Hochmoor um den Kranichsee.
[429]      Erzgebirge. Hochmoor um den Kranichsee.

Oberwiesenthal im Erzgebirge. Deutschlands höchste Stadt.
[429]      Oberwiesenthal (Erzgebirge). Deutschlands höchste Stadt.
bis tief nach Sachsen und Böhmen hinein bieten. Hier ist das schweigende Reich der Hochmoore. Trockenlegung und Torfabbau haben diese Zeugen der Eiszeit bis auf spärliche Reste beseitigt, von denen die eigenartige Urwelt-Schönheit des Kranichseemoores (930 Meter) bei Carlsfeld unter Naturschutz steht. Unter schwankenden Binsenbündeln und vielfarbig leuchtendem Moospolster steht der Torf hier bis zu 15 Meter Mächtigkeit an.

Unmittelbar an der Grenze bilden Johann-Georgenstadt und Oberwiesenthal den langen, schneereichen Winter über und bis weit in den Frühling hinein, wenn unten schon die Krokusse blühen, das ersehnte Ziel Zehntausender von Wintersportlern. Mit 922 Meter Seehöhe nimmt Oberwiesenthal den Ruhm in Anspruch, Deutschlands höchstgelegene Stadt zu sein, während dicht gegenüber auf tschechischem Staatsboden Gottesgab mit 1018 Metern sogar die höchste Stadt Europas ist.

Auf dem Kamm des Gebirges verläuft in 120 Kilometer Luftlinie die Reichsgrenze, meist noch in Gestalt eines breiten Waldsaumes, wie ihn die "Egerer Richtung" schon 1459 großzügig festgelegt hatte. Wenn auch damals die Hoheitsgebiete vielfach beiderseits über die Kammlinie hinübergriffen, [499] so wirkte sich das auf das alltägliche Leben nicht weiter hinderlich aus, denn schließlich gehörten die vielteiligen Gebiete diesseits und jenseits des Gebirges doch alle dem Deutschen Reiche an. Später, dem österreichischen Bruderstaat gegenüber, war die Linie wenig mehr als eine Zollgrenze. Im Volksbewußtsein bestand die Grenze eigentlich nur dem Namen nach. Die kulturelle und wirtschaftliche Verbundenheit beider Teile des von Menschen gleichen Stammes besiedelten Raumes hatte das Gebirge mit seinem sächsischen und böhmischen Vorland zu einem organischen Gebilde volkhafter, überstaatlicher Einheit zusammengefaßt. Als wirkliche Grenze wurde vielmehr tief im Innern Böhmens die Linie empfunden, wo sich die deutsche Sprache gegen die tschechische abhob und sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts der Gegensatz in heftigen Nationalitätenkämpfen auszuwirken begann. Der Pakt von Versailles hat mit brutaler Willkür äußerlich einen Schlußstrich darunter gezogen, indem er drei und eine halbe Million Deutscher (von denen allein zwei und eine halbe Million an der sächsischen Grenze in geschlossener Siedlung wohnen) der 1919 gegründeten tschechoslowakischen Republik ohne Volksabstimmung auf Gnade und Ungnade überantwortete. Viele für ihr Deutschtum offen Eintretende haben damals dieses friedliche Bekenntnis mit dem Tode besiegeln müssen. So ist über Nacht die politische Grenze zu einer strategischen geworden und dadurch Sachsen wieder zur gefährdeten Grenzmark des Reiches wie im Mittelalter. Nur mit dem Unterschied, daß die Lage gegen damals noch bedrohlicher geworden ist, wenn man bedenkt, daß Dresden, Chemnitz, Zwickau, Plauen mit dem gesamten Grenzland - also eins der wichtigsten deutschen Wirtschaftsgebiete - im Feuerbereich weittragender Geschütze liegen und innerhalb einer Viertelstunde von tschechischen Kampf- und Bombenfliegern angeflogen werden können. (Von der Grenze aus ist Dresden in sieben Minuten durch ein Flugzeug erreichbar.) So ragt die Tschechoslowakei wie eine "gepanzerte Faust des Slawentums in der Stoßrichtung auf Sachsen" in das Reichsgebiet hinein. Seit der übersteigerte Nationalismus des tschechischen Volkes keine Maßnahme unterläßt und keine noch so hohen Kosten scheut, um den volksdeutschen Raum innerhalb seines Hoheitsgebietes zu entdeutschen, unsere sudetendeutschen Brüder aber nie ihr durch lange Jahrhunderte bewahrtes Zugehörigkeitsgefühl zum deutschen Muttervolk aufgeben werden, ist ihre Not durch die neugeschaffene politische Lage aufs Äußerste gestiegen. Für das aller Tradition und den verbürgten Rechten der nationalen Minderheiten hohnsprechende Vorgehen war der Raub der Insignien der Prager Universität das bezeichnendste Symbol. Denn Prag war die erste deutsche Universität überhaupt, von der aus die Kultur des gesamten böhmischen Raumes entscheidend beeinflußt worden ist. Der zähe Gewerbefleiß der deutschen Kolonisten, die im Mittelalter die Schätze des Landes aufschlossen, war von den böhmischen Herrschern nicht nur geduldet, sondern sogar begehrt und in höchsten Schutz genommen. Herzog Sobieslaus (1173-1178) versichert in einer denkwürdigen Urkunde "allen Gegenwärtigen und Zukünftigen, daß ich in meine Gnade und in meinen Schutz aufnehme alle die Deutschen, die im Prager Suburbium leben,.... Ich gewähre daher [500] diesen Deutschen, zu leben nach dem Gesetz und der Gerechtigkeit der Deutschen, die sie seit den Zeiten meines Großvaters, des Königs Wratislaus (1061-1092) innegehabt haben." Dieser großzügige Freibrief der Deutschen ist von den Nachfolgern bis auf Karl IV. bestätigt und erweitert worden. "So sitzen denn die Deutschen kraft dreifachen Rechts in den Sudetenländern: durch das des germanischen Vorbesitzes, durch das des königlichen Freibriefes und durch das ihrer erfolggesegneten Arbeit. Das letzte aber ist das größte und nicht verjährbar." (Nadler) In welcher Breite deutsche Kultur im Raume der neugeschaffenen Republik beteiligt gewesen ist, dafür gibt ihr erster Präsident Masaryk selbst das freimütigste Bekenntnis in seiner Tschechischen Nationalphilosophie: "Alle unsere Erwecker schöpften ihre Bildung aus deutscher Kultur: Deutsch haben sie geschrieben, deutsch gesprochen, waren eigentlich deutsche Schriftsteller, und nur mühselig sind sie nationale Lehrmeister ihres Volkes geworden."

Wer einmal die südlichen Steilhänge des Gebirges hinabgestiegen ist, das schöne Egerland durchwandert hat und überall Zeuge sein konnte von der friedlichen Arbeit unserer Stammesbrüder, die auf vorgeschobenem Posten für deutsches Wesen kämpfen, und - allen Anfeindungen trotzend - nicht am Glauben an Deutschland verzweifeln, der spürt eindringlich die starke Verpflichtung, die das Reich dem deutschen Außenvolkstum und dem Grenzland überhaupt gegenüber hat. Ob diesseits oder jenseits der Grenze, es ist deutsches Schicksal, um das es geht, das uns alle betrifft.

Bei Plauen im Vogtland.
[432]      Bei Plauen im Vogtland.
Den westlichen Abschluß des Grenzlandes im Winkel zwischen Erzgebirge, Fichtelgebirge und Frankenwald bildet das Vogtland, eine landschaftlich überaus reizvolle, durchschnittlich 500 Meter hohe flachwellige Hochfläche, die von den tiefen Tälern der oberen Weißen Elster, Göltzsch, Trieb, Zwota und Zwickauer Mulde durchschnitten wird. Im Süden überragt das Gebiet der Granitstock des Elstergebirges, dessen steile Hänge zum Egerland hinunterführen, während es nach Norden mit flachen Schieferkuppen ins Erzgebirgsbecken übergeht. Eine Landschaft, in der die treibenden Kräfte der Erdrinde sich noch nicht beruhigt haben, wo der Erdbebenmesser in Plauen oft genug Beben in unmittelbarer Nähe anzeigt. Unabsehbar sich dehnende Fichtenwälder (die in manchen Bezirken bis zu 60 Prozent der Fläche einnehmen) mit schweigenden Hochmooren dazwischen geben der Landschaft ein ernstes, zuweilen düsteres Gepräge. Seine noch heute verkehrswichtige Lage als Durchgangsgebiet der Hauptstraßen von Wien und Prag über Eger nach Leipzig und von Bayern über Hof, Plauen, Dresden nach dem Osten haben das "Reichsland" im Mittelalter zum Sitz kaiserlicher Vögte bestimmt, die auf festen Burgen die Gebirgsübergänge bewachten. Von diesen Vögten ist ihm der Name geblieben. Das im 12. Jahrhundert im wesentlichen von thüringischen und ostfränkischen Bauern kolonisierte Land mit seinen Waldhufendörfern ist vorwiegend bäuerlich geblieben. Da aber das dichte Waldkleid die Felderwirtschaft stark einengt und die langen Winter nur den Anbau von Sommergetreide zulassen, hat der Vogtländer die üppigen Talwiesen und kräuterduftenden Triften der Berghänge zur Viehzucht ausgenutzt, deren [501] Rinderrasse einen beachtlichen Ruf genießt. Ochsenausfuhr und Gerberei bilden daher einen wichtigen Teil vogtländischer Wirtschaft. Auch der Beerenreichtum der Fichtenwälder ist eine nicht unerhebliche Einnahmequelle für die Bergdörfer, und selbst die Unwirtlichkeit der Moore wird durch den Torfstich ausgenützt. Mehr freilich hört man von der durch die nahe Zwickauer Steinkohle begünstigten Weißwaren-Industrie der Städte, in der ein Drittel der Bevölkerung beschäftigt ist und ihre Dichte immerhin bis zu 275 auf den Quadratkilometer gesteigert hat.

Plauen im Vogtland.
[449]      Plauen (Vogtland).

Der Mittelpunkt des Gebietes in jeder Beziehung ist Plauen im Elstertale. Von hier aus begann schon im frühen 12. Jahrhundert unter dem Naumburger Bischof die Germanisierung und Christianisierung des Gebietes, später unterstützt von den Deutschrittern, deren Komturei zur Ballei Thüringen gehörte. Die Meißener Markgrafen, die Thüringer Landgrafen, wie die böhmischen Könige, sie alle möchten das wichtige Durchgangsgebiet für sich haben, bis es schließlich die reußischen Vögte von Weida als böhmisches Lehen bekommen, das dann an die Wettiner fällt. Das Aussehen einer stark befestigten Stadt hat Plauen längst verloren. Mauern und Tore sind gefallen, auf und ab klettern die Straßen, greifen weit in die schöne Hügellandschaft hinein und außer der Johanniskirche trägt nur noch das bürgerstolze Rathaus das Gesicht des Mittelalters. Ihren Wohlstand verdankt die Stadt der im 16. Jahrhundert aus Cypern eingeführten Baumwolle, die zu Schleierstoffen verarbeitet wurde und besonders im 18. Jahrhundert die "Plauener Schleierherren" reich und mächtig gemacht hat. Kattun- und Musselinweberei halfen mit, den Ruf der Stadt in die Welt zu tragen, bis um 1800 der englische Maschinenbetrieb einen jähen Preissturz brachte und die Not den Reichtum ablöste. Auch hier war es eine Frau, die durch Einführung der Handstickerei einen Ausweg fand. Ein Plauener schuf dann die technischen Wunderwerke zur maschinellen Herstellung der kostbar zarten "Luftspitzen", deren Umsatz 1911 über 130 Millionen betrug. Als verwandte Industriezweige gesellten sich die Gardinen- und Tüllweberei usw. hinzu. Über den wirtschaftlichen Aufschwung gibt die Einwohnerzahl den besten Aufschluß, die von 6800 (1815) auf 128 000 (1912) gestiegen war. Die Kunstschule für Textilindustrie mit der angegliederten Vorbildersammlung kostbarster Spitzen aller Zeiten sorgt dafür, daß die schmückenden Gewebe auf dem Weltmarkt bestehen können.

Das Tal hinauf liegt Ölsnitz, ein Vorort besonders der Teppichweberei, und wollene Tücher aus Treuen, Reichenbach und Elsterberg sind weit in der Welt zu finden. Im Göltzschtal sind Auerbach und Falkenstein zu einer langen Industriesiedlung zusammengewachsen und überall, wo die Reihen der Schlote ihre düsterfarbenen Rauchfahnen aufgezogen haben, künden sie vom rastlosen Fleiß sächsischer Textilindustrie. In der sanften und verträumten Landschaft des oberen Elstertales, wo der Fluß still unter Erlen dahinzieht, werden in seinem klaren Wasser Perlenmuscheln gefunden, die zusammen mit ausländischen in Adorf verarbeitet werden.

Bad Elster. Kurhaus.
[431]      Bad Elster. Kurhaus.
Wo aber die lediglich in den Städten beheimatete Industrie nicht mehr hin- [502] reicht, wo der starke Harzduft der Wälder rein und kräftigend durch die Täler weht, liegt zu Füßen des Elstergebirges gegen die rauhen Winde geschützt das sächsische Staatsbad Elster mit seinen Moor-, Stahl-, Kohlensäure- und Radiumbädern. Auch das benachbarte Bad Brambach zeichnet sich durch starke Radiumquellen aus. Westlich davon um Asch herum greift das tschechische Staatsgebiet mit einem schmalen Zipfel tief in deutsches Land hinein und unweit, die südlichen Hänge hinab, steht die Barbarossapfalz über der einstigen freien Reichsstadt Eger als Symbol kultureller Verbundenheit der Gebiete diesseits und jenseits der Grenze. Aber auch das Vogtland selbst hat seine Kaiserpfalz, von Karl IV. auf steilem Felsen über Mylau bei Reichenbach gegründet. Als der schwarze Tod 1348 in deutschen Landen seine Sense schwang, flüchtete der Kaiser von seinem Prager Hradschin hierher in die reine Luft der Wälder und blieb unangefochten. Zum Danke hat er den Reichenbachern für alle Zeiten das Recht der freien Jagd verliehen, das erst 1849 aufgehoben wurde.

Historischen Rang hat nun inzwischen auch die 1845 - 1851 in unmittelbarer Nähe der Pfalz errichtete Eisenbahnbrücke erhalten, die das Göltzschtal in 80 Meter Höhe und fast 600 Meter Länge überquert. Aus Granitquadern und Ziegelsteinen aufgeführt sind luftige Bogenstellungen in vier gewaltigen Stockwerken aufeinandergetürmt, deren oberstes in schwindelnder Höhe die Fahrbahn trägt. Das an römische Aquädukte erinnernde Bauwerk mit dem strengen Rhythmus seiner stolz von Berg zu Berg schreitenden Bögen ist das kühnste Denkmal, das sich der fortschrittliche sächsische Eisenbahnbau und damit die deutsche damalige Technik überhaupt gesetzt hat. Auch der tiefe Einschnitt des Elstertales wird auf der Strecke nach Plauen von einer gleichen imponierenden Konstruktion überbrückt.

Göltzschtalbrücke im Vogtland.
[450]      Göltzschtalbrücke im Vogtland (erbaut 1846-1851).

Eines abgeschiedenen Winkels hoch oben hart an der Grenze im Aschberggebiet ist noch zu gedenken, der dennoch durch die Namen Klingenthal und Markneukirchen Weltruf erlangt hat. Böhmische Exulanten haben hier 1717 den Bau von Musikinstrumenten eingeführt, und was seitdem in Gestalt von Geigen, Gitarren, Mandolinen, Zithern und allen Arten von Blasinstrumenten die Menschheit aller Erdteile erfreut, stammte wenigstens vor dem Weltkriege fast ausnahmslos aus jenen "klingenden Tälern". Es ist sicher kein Zufall, daß sich das Gewerbe, das zum größten Teil in Heimarbeit ausgeführt wird, gerade hier angesiedelt hat, denn keines paßt besser zur sangesfreudigen und durchaus musikalischen Natur des Vogtländers, der sich seine Volkslieder und Volkspoesie bis heute wirklich lebendig erhalten hat. Das Bezeichnendste davon sind seine Rundas oder Schlumperliedl, (die im Egerland "Stückla" heißen) und nichts anderes sind, als die süddeutschen Schnadahüpfel. Spottlustige, übermütige und zuweilen auch - wie könnte es bei lebensnaher Volkskunst anders sein - rührselige Vierzeiler, die zu Tausenden im Schwange sind und oft genug aus dem Stegreif ergänzt werden. Ein Beispiel nur:

    Mei schatz is ka zucker
    drum bin ich froh
    sunst hätt ich'n längst gessen
    sue ho ich ne no.

[503] Es gibt auch sehr derbe darunter, in denen sich aber die Handfestigkeit und Geradheit des unverfälschten Vogtländers am urkräftigsten ausspricht und gut zusammengeht mit der spröden, dem Fränkischen verwandten Mundart. Querköpfe sind es, untersetzten Wuchses, lärmendem Tanz und kräftigem Schluck nach der Mühsal des Werktages gern hingegeben. Freilich sind sie nur noch zu finden droben in den Bergen und rauh wie ihr Klima, aber von unverwüstlichem Humor, der alles bald versöhnt.

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