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[Bd. 2 S. 124]
Friedrich der Große, 1712-1786, von Willy Andreas

Friedrich der Große. Gemälde von Johann Georg Ziesenis, nach 1763.
[136a]      Friedrich der Große.   [farbig]
Gemälde von Johann Georg Ziesenis, nach 1763. Heidelberg, Kurpfälzisches Museum.
Das Leben Friedrichs des Großen spottet der Beschreibung. Man kann es würdigen, nicht erzählen. Friedrich der Einzige, so wurde er schon von den Zeitgenossen genannt. Eine tiefe geschichtliche Wahrheit liegt darin. Im Werden seiner Persönlichkeit wie in der Meisterung seiner Epoche tritt diese Einzigartigkeit zutage, so auch in der Gestaltung von Erbe und Überlieferung. Deren Ausmaß und tragende Kraft zu ermessen, ist freilich schwer genug!

In Friedrichs Ahnenkette reichen sich die fürstlichen Geschlechter von Brandenburg, Hannover, Pfalz und Jülich, Solms-Braunfels und Hessen-Darmstadt, Oranien und Dänemark die Hand. Unter den preußisch-brandenburgischen Vorgängern befinden sich zahlreiche Regenten von tüchtigem Durchschnitt, manche schwächere und einige wenige von bedeutendem Ausmaß wie Vater und Urgroßvater, von denen der eine der große innere König Preußens, der andere der Große Kurfürst genannt wird. Wahrhaft heldisches Gepräge hatten in der Reihe der Vorfahren Gaspard von Coligny und Wilhelmus von Nassauen. Welche Eigenschaften Friedrichs von diesem oder jenem Glied der Ahnenreihe überkommen und mitbestimmt sind, welche von mütterlicher, welche von väterlicher Seite stammen, ist nicht ergründbar. Die Hälfte der Ahnen, bis zur dreizehnten Generation zurückverfolgt, war deutschen Blutes, etwa ein Viertel Franzosen, wenig über ein Achtel Slawen: der Rest verteilt sich auf Skandinavier, Angelsachsen, Kelten, Bretonen, Italiener und Spanier.

Die Rätsel des Blutes sind vorhanden und uns zur Lösung aufgegeben. Ihre Bedeutung, ihre entscheidende Wirkung zu leugnen, wäre Torheit. Doch entziehen sie sich für den Historiker der klaren Deutung; zum mindesten gestattet der gegenwärtige Stand der geschichtlichen Forschung und ihres in diesen Dingen unentwickelten Verfahrens nicht, solch geheimnisvollen Zusammenhängen faßbare, sichere Ergebnisse zu entreißen; und wer vermöchte oder wagte es, gerade den Genius, da er doch stets aus der Reihe herausfällt, auf dieses oder jenes Blutvermächtnis wie auf eine Formel festzulegen? Vielleicht hat die Mischung nord- und süddeutscher Einschläge die eigenartige geistige Beweglichkeit dieses Menschen gefördert und den schimmernden Reichtum verschiedenster Gaben hervorgelockt. Möglicherweise geht die unvergleichliche Spannweite seines Wesens, die Allseitigkeit seines Wirkens auf die Verbindung romanischer und germanischer [125] Elemente zurück. Denn in Friedrichs Adern floß mit dem Blut edler deutscher auch das französischer Ahnen aus hohem und niederem Adel. Tapferkeit und Heldensinn waren in beiden Reihen dieser Vorfahren lebendig gewesen. Es war in ihm die Helle und Leichtigkeit gallischen Temperaments. Er hatte den messerscharfen Verstand, die Spottsucht, die geistreiche Ironie, die skeptische Haltung, die ihn der romanischen Welt naherücken, und eine geistige Beweglichkeit, die französisch anmutet. Aber in ihm war auch die ganze Schwerlebigkeit, das Ringende und das Himmelstürmertum nordischer Art, neben seiner Vorliebe für französischen Geist und Stil die ganze Zähigkeit des Niederdeutschen. Die weichen und strengen Züge mischen sich im Bilde dieses Mannes, dessen Gesicht nicht nur im Wandel der Jahre und Lebensalter, sondern oft in derselben Stunde, ja im Augenblick den Ausdruck zu wechseln scheint.

Im harten Guß der großen Persönlichkeit mögen sich die unverbrauchten Kräfte der aufstrebenden Hohenzollern und der Starrsinn des uralten Welfenhauses zusammengefunden haben.

Da und dort blitzt eine unmittelbare Ähnlichkeit mit diesem oder jenem Vorfahren auf, mit dem preußischen Vater oder der welfischen Mutter. So glaubt man wenigstens wahrzunehmen. Bestimmte Eigenschaften mögen abzuleiten sein: gewiß hatte er die Bildungsfreudigkeit nicht von dem nüchternen Vater, der ein Märker war und nichts anderes sein wollte, sondern von der Mutter und der geistreichen Großmutter, Sophie Charlotte, Freundin Leibnizens, die schon vom Hannoveranischen Hof geistige Interessen mitgebracht hatte. Ebenso wird wohl der nicht zu erwartende, später so bedeutende Drang zu schöpferischer Arbeit am Staat, in Verwaltung, Heer und Wirtschaft dem Prinzen vom Vater her im Geblüt gewesen sein. Manches ist von der Außenwelt nachweisbar in ihn hineingekommen; er nahm es innerlich auf oder stieß es ab, er steigerte oder überwand es. Immer aber stößt man bei ihm durch alle diese Hüllen, durch alle Anregungen, Einflüsse und Widerstände auf das Urgestein eines gewaltigen Menschen, auf ihn selbst, auf Friedrich den Einzigen, Friedrich den Großen.

Nur darum, weil eine solche letzte Unzerstörbarkeit des Wesens da war und dem Schicksal gegenüber sich behauptete, das ihn zu unterjochen drohte, ist es auch zu begreifen, daß er an seiner Jugend nicht zerbrach. Ein anderer wäre an ihren Nöten zugrunde gegangen, hätte er die Verwundungen seines Ehrgefühls, die Demütigung des mißlungenen Fluchtversuchs, hätte er die Hinrichtung seines Freundes zu verwinden gehabt. Es wurde von ihm gefordert, sich aufzugeben. Er tat es zum Schein, und manches von dem, was ihm lieb war, opferte er wirklich. Er wurde ein anderer und blieb doch er selbst.

Diese Jugend, die erst in den letzten Kronprinzenjahren sich aufzuhellen begann, wurde für ihn die Schule, ohne deren Härte er vielleicht nicht zur vollen geschichtlichen Größe emporgeschritten wäre. Sie bedeutet viel im Aufbau seines Lebens.


[126] Friedrichs Kindheit war nicht so gänzlich freudearm und vergiftet, wie seine Schwester Wilhelmine in ihren dunkel gefärbten Memoiren und ihrem Haß gegen den Vater es hinstellt. Immerhin, der größere Teil der Prinzenzeit wurde ausgefüllt durch stillen oder offenen Kampf gegen den König. Er war begründet in der Verschiedenheit der Persönlichkeiten, der Neigungen und Ziele.

Friedrich Wilhelm hatte keine glückliche Hand in der Erziehung seines Sohnes, obwohl er es gut mit ihm meinte. Auch diejenigen seiner Weisungen und Mahnungen, die trotz ihrer Enge Ersprießliches hätten bewirken können, mußten fehlschlagen, weil sie von einem Zerrbilde des Kronprinzen ausgingen, das sich im Vater festsetzte. Friedrich bedurfte einer straffen, aber einfühlenden Leitung. Die Zügelführung des Königs jedoch war für dieses feinrassige, empfindliche Vollblutpferd zu hart. Der schützende, vermittelnde und ausgleichende Einfluß der Mutter, die milder und heiterer war als der lastende, ewig polternde und schulmeisternde Vater, barg die Gefahr, den Knaben zu verwöhnen. Ohnehin hatte dieser neben einer berechtigten Liebe für schöngeistige Bildung und Musik einen Hang zum Sichgehenlassen, zur Verzärtelung, zu Genuß und Üppigkeit. Leichtsinnige Anwandlungen waren ihm nicht fremd. In seinen Anlagen und Neigungen schlummerte Gefährliches. Die rauhe, aber gesunde Welt des königlichen Drillmeisters, der körperlichen Übung, des soldatischen Gehorsams, der pünktlichen und strengen Lebensführung lehnte er ab, kam aber äußerlich dem Zwange nach, den seine Lehrer unter der Hand zu mildern wußten. Ein Hang zur Heimlichkeit und Verstellung keimte in dem jungen Menschen auf. Vielleicht war dies die erste, notgedrungene Schule der Diplomatie, die Friedrich durchmachte. Familiäre Einflüsse, höfische Parteiungen, politische Gegensätze und Intrigen mengten sich in die Tragödie ein, die zwischen Vater und Sohn sich abspielte. Ihre tiefste Bitterkeit liegt darin, daß zwei Menschen sich bekämpften, haßten, ja gegenseitig den Tod wünschten, die sich liebten! Eben diese geheime Neigung schärfte die Leidenschaftlichkeit des Zusammenstoßes. Im höheren Sinne besteht die Tragik darin, daß sie sich nicht fanden, obwohl jeder auf seine Art an der Größe Preußens arbeitete. Der eine war dem preußischen Staat so notwendig wie der andere. Friedrich Wilhelms geisttötender Drill hätte ihn nicht allein auf die Höhe geführt. Der Genius aber hätte ohne die eiserne Fuchtel, ohne die zuchtvolle Kleinarbeit des königlichen Korporals und Verwaltungspedanten Preußen niemals zur Großmacht erheben können. Das Versöhnende an allem: der Kampf löste sich auf in der höheren Einheit des preußischen Staates. Bis zur Gegenwart trägt er die Züge von Vater und Sohn!

Der Tiefpunkt dieser Jugend war erreicht mit dem vergeblichen Fluchtversuch des Achtzehnjährigen: halb verzweifelt wollte der Prinz einem unerträglich gewordenen Leben entfliehen. Die Folge des Mißlingens war, daß er durch eine neue Hölle wandern mußte. Das Verfahren, das der ergrimmte Vater einschlug, war von unbeschreiblicher Härte. Der Freund und Helfer, Hans Hermann von [127] Katte, sollte vor den Augen des Kronprinzen enthauptet werden. Vor dem tödlichen Streich brach Friedrich ohnmächtig zusammen! Er selbst war der Fahnenflucht angeklagt und als Deserteur behandelt worden. Ihn abzuurteilen, hatte das Kriegsgericht sich geweigert. Schließlich "begnadigte" ihn der König. Daß die ungeheuere seelische Erschütterung den Prinzen nicht vernichtete, war eine Offenbarung seines Lebensmutes.

Es folgte zunächst der Aufenthalt in Küstrin, der als eine Art Straferziehung gedacht war, aber entspannend wirkte. Friedrich unterwarf sich dem väterlichen Willen, ohne sich, wie es der König wollte, innerlich kleinkriegen zu lassen. Indem er sich der Gewalt beugte, rettete er sich, bewahrte sich damit aber auch für seinen Staat, und ihm selbst wurde die persönliche Niederlage zum Auftakt neuen Lebens. Die räumliche Entfernung vom Vater nahm einen Teil des Druckes von ihm. Die Politik der Ohnmacht gegen den Stärkeren bewies die diplomatische Überlegenheit des Willens, der später in der Welt ebenso zäh wie geschmeidig sich durchsetzen wird. Die Arbeit an Kriegs- und Domänenkammer gliederte den Prinzen in die Verwaltung ein, wenn auch in untergeordneter Rolle. Hier kam er mit der großen Erbgutmasse seines Staates und den ureigensten Leistungen seines Vaters in unmittelbare Berührung. Zum Bewußtsein wird es ihm kaum gekommen sein.

Wirklich schätzen lernte er die Arbeit Friedrich Wilhelms erst später mit wachsender Lebensreife. Immerhin, schon jetzt gewann er in begrenztem Rahmen die ersten Ansätze zu dem, was er dereinst in großem Stil ganz von obenher vollbrachte. Es war die erste Regierungsvorbereitung, die ihm bei der Provinzbehörde zuteil wurde. Der Garnisondienst in Ruppin und die Sendung ins Heerlager des Prinzen Eugen von Savoyen, der am Rhein im polnischen Erbfolgekrieg den Befehl führte, machte ihn mit dem Waffenhandwerk etwas vertrauter als zuvor. Die militärische Ausbeute dieses schwunglosen Feldzuges war für Friedrich zwar gering, zumal der große Eugen seine Höhe überschritten hatte. Seine eigentlichen Felderfahrungen sollte Friedrich erst im eigenen Ringen gegen Österreich sammeln. Die beiden ersten Schlesischen Kriege wurden seine Schule! Immerhin, die Schwächen der Kaiserlichen Armee waren ihm vor Augen getreten.

Eine schwere Erkrankung des Königs und die begrenzte Übertragung von Regierungsgeschäften, die sich nach der Rückkehr für ihn ergab, eröffnete dem Kronprinzen die Aussicht auf Besteigung des Thrones. Er fieberte danach, er lebte sich bereits in die neue Würde und Aufgabe hinein. Er schickte sich an, seine Schachfiguren zurechtzustellen. Die unerwartete Genesung des Königs rief Bitterkeit und Enttäuschung hervor. Doch stärkte diese seelische Krisis in dem Kronprinzen, der seinen Tatendurst gehemmt sah, die Kräfte der Verinnerlichung, die ohnehin schon wach geworden waren. An dieser Entwicklung seines Innenlebens hatte die Vermählung mit der Prinzessin Elisabeth Christine von Braunschweig-Bevern keinen tieferen Anteil. Indem er schließlich in diese Verbindung einwilligte, hatte er gleichfalls dem Vater sich gefügt. Die [128] Ehe bedeutete für Friedrich schon zu Anfang nicht viel. Die Beziehungen, die freundlich eingesetzt hatten und sich in zuvorkommenden Formen abspielten, erkalteten bald und führten mit der Zeit zur Trennung der beiden Gatten. Es kam so, wie Friedrich vorausgesagt hatte: durch diese Heirat war nur eine unglückliche Prinzessin mehr in der Welt! In seinem Leben war fortan den Frauen, mit Ausnahme von Mutter und Schwester, keine Rolle gegönnt.


Friedrich der Große als Kronprinz.
[128a]    Friedrich der Große als Kronprinz.
Gemälde von Antoine Pesne, 1739.
Berlin, Kaiser-Friedrich-Museum.

[Bildquelle: Staatliche Bildstelle, Berlin]
Der König hatte dem jungen Paar das Schloß Rheinsberg geschenkt. Über den vier Jahren, die der Kronprinz dort verbrachte, liegt ein Schimmer von persönlichem Glück und der ganze Zauber der Rokokogeistigkeit. Es ist, als ob er nach all den qualvollen Erlebnissen jetzt erst ganz aufatme. Friedrichs Bedürfnis nach Freundschaft fand in dem Umgang mit aufgeklärten, geistreichen und gebildeten Männern wie Jordan, Chasot, Kayserling, Stille, de la Motte-Fouqué und Knobelsdorff, dem Meister des preußischen Rokokostils, reichste Befriedigung. Ein Klang von Harmonie, übereinstimmend mit den innersten Neigungen des Zeitalters und dessen Glauben an die Güte der Menschennatur, rauschte damit in sein persönliches Leben hinein und verband sich mit der Freude an Geselligkeit, an sprühendem Gedankenaustausch, an formvoller Grazie. Diesem verfeinerten Lebensgenuß des Jahrhunderts und dem Geiste des Rokokos hat Friedrich bis ins Alter gehuldigt. Nur daß freilich solcher Strahl von Wärme immer seltener in sein zum Heroischen emporsteigendes Dasein fiel. Zu den ergreifendsten Äußerungen des hart gewordenen Mannes gehören die, in denen er über den Tod von Freunden und die wachsende Leere um ihn herum klagt.

Unvergleichlich für Bildung und Selbsterziehung ausgenutzt, wurden die Rheinsberger Jahre Friedrichs fruchtbarste Studienzeit. Wenn später der König selbst im Feldlager seinen philosophischen und literarischen Neigungen und dem Umgang mit den Musen nie gänzlich untreu wurde, so pflegte er nur, was er in seiner Jugend, namentlich aber in dem Rheinsberger Aufenthalt, sich eingepflanzt und liebgewonnen hatte. Rheinsberg gab dem Kronprinzen nicht nur Sonne. Die größere Muße, die er hier genoß, erschloß ihm Entscheidendes für seinen geistigen Lebensaufbau. Denn in dieser Zeitspanne strömten die Aufklärungsstimmungen in breitem Fluß seiner werdenden Persönlichkeit zu. Friedrichs erstaunliche Fassungsgabe, die ihm sein ganzes Leben hindurch bewahrt bleiben sollte, tritt schon damals hervor. In einem wahren Heißhunger nach Erkenntnis warf er sich auf alles, was die große Zeitmacht Aufklärung ihm entgegenbrachte: die Philosophie Wolffs, die Lehre Newtons, die Gedanken Lockes, Bayles, die Schriften Shaftesburys, Fénelons und Montesquieus, sowie die klassische Poesie und Prosa der Franzosen. Jetzt bahnte sich vor allem der Briefwechsel mit Voltaire an, der überströmend begeistert einsetzte und nach allerlei Mißtönen und Unterbrechungen später so gemessen ausklingen sollte. Die seit den frühesten Jahren [129] Friedrichs sich regende Vorliebe für französische Bildung und französischen Geschmack empfing in dieser Zeit ihre volle Befestigung. Das lief bei ihm freilich, je älter er wurde, auf kein Aufgeben der eigenen Gedanken hinaus, auch übertrug er seine Begeisterung für die französische Kultur niemals auf die französische Politik. Immerhin, die Vorstellung, daß die deutsche Literatur sich mit jener nicht messen könne, schlug in ihm Wurzel, und dies Vorurteil wurde nie ganz von ihm überwunden, obwohl der König im Laufe der Zeit die deutsche Kulturleistung höher schätzen lernte. Es machte ihn an seinem Lebensabend blind gegen den Sonnenaufgang der deutschen Dichtung, der sich vor ihm abspielte. Stets war aber auch in ihm der Ehrgeiz lebendig, wenigstens für seine Person, die Ebenbürtigkeit des Deutschen gegenüber dem fortgeschritteneren Nachbarn zu beweisen. Der witzige Voltaire, an dem Friedrich Glanz und Schwächen des Franzosentums wie in einem aufgeschlagenen Buch ablesen lernte, schrieb denn auch später nach Roßbach: "Jetzt hat er alles erreicht, was er sich immer ersehnt hat, den Franzosen zu gefallen, sich über sie lustig zu machen und sie zu schlagen." Nur zu gut wußte Voltaire, wie widerspruchsvoll die Seele seines königlichen Freundes instrumentiert war, wie verschiedene Stimmen in dessen Brust ums Wort rangen. In die verborgensten Falten des Herzens ließ ohnehin keiner den anderen schauen, und ihre geistige Gemeinschaft wurde in der Folgezeit nicht bloß durch menschliche Enttäuschungen erschüttert, sondern auch durch den Gegensatz des deutschen und des französischen Nationalcharakters, als deren Träger der König und Voltaire aufeinanderstießen.

Friedrich, der sich zum höchsten fürstlichen Repräsentanten der Aufklärung entwickeln sollte, war ihr nie im Sinne eines philosophischen Systems verschrieben, obwohl alle ihre Hauptmotive, Offenbarungskritik und Toleranzforderung, Deismus, Naturrecht, natürliche Moral, Eudämonismus und Utilitarismus in ihm Widerhall fanden. Eher könnte man ihn als einen Eklektiker großen Stils bezeichnen. Die Selbstherrlichkeit seines Geistes gestattete ihm, die verschiedensten Richtungen und Eindrücke, die ihm die große Bewegung seines Jahrhunderts vermittelte, zu verarbeiten und frei darüber zu verfügen. Seine eigenen Stimmungen und weltanschaulichen Bedürfnisse wechselten überdies stark im Ablauf der Lebensalter, sie schwankten oder paßten sich den seelischen Erfordernissen seiner jeweiligen persönlichen Lage an; auch hier blieb er, leidenschaftlich und empfindsam, heiß und kühl zugleich und reich besaitet, wie er war, der Mensch des Augenblicks. Die Philosophie gab ihm einen Schlüssel für die innere Verknüpfung der Dinge, und wenn er sich auch in den schwersten Stunden seines Daseins fatalistisch und heroisch ganz auf sich selber gestellt sah, so schenkte sie ihm doch Entspannung, Zuspruch und Trost.

Er selbst wurde in der Rheinsberger Zeit zum Schriftsteller und blieb es hinfort, ohne daß es ihm zum Hauptanliegen wurde. Es war nur die Begleitmusik seines Lebens, verschönernder Schmuck, Kraftüberschuß und innere Erquickung, [130] zugleich federnde Erprobung seiner geistigen Regsamkeit. In Vers und Prosa strömten sich Friedrichs literarische Neigungen und sein Formsinn aus, jugendlich lebhaft bis zur Schwärmerei, später gehaltener und gezügelter. Durch sein Mitteilungsbedürfnis gab er sich zugleich Rechenschaft von seinem Denken. Denn selten stand ein Mensch sich selbst und der Wirklichkeit wachsamer gegenüber als Friedrich. Der Verstand und der Wille ihn zu gebrauchen, diese großen Impulse der Aufklärung wurden auch von ihm als erhellende und gestaltende Daseinsmächte empfunden. Der Glaube an die Vernunft, an ihr weckendes, lebenformendes Vermögen erglänzte als Leitstern über seinem ganzen Denken und allen Bereichen seines Wirkens in Staat, Wirtschaft, Wissenschaftspflege und Unterricht. Diesem Glauben hing er mit der freudigen Zuversicht seines Zeitalters an. Ganz erlosch die Leuchtkraft dieses Weltanschauungsgestirns niemals in ihm; nur daß sein Glanz mit der Zeit durch Erfahrung und Enttäuschungen, durch Einsicht in die Schranken des Erkennens, in die unberechenbaren Gewalten des Daseins gedämpft, durch Menschenverachtung verdunkelt wurde. Der furchtbare Ernst seiner Weltbetrachtung, der sich im Siebenjährigen Kriege herausbildete, war der Rheinsberger Zeit noch fremd. Alles ist heller, leichter, genußfroher, vertrauensvoller, wie auch die Umrisse seiner Lebensanschauung noch etwas Fließendes haben.

Friedrich II. der Große von Preußen.
Friedrich II. (der Große) von Preußen.
Gemälde von W. von Knobelsdorff, vor 1740.
[Die Großen Deutschen im Bild, S. 159.]
Die Bedeutung der Rheinsberger Jahre für Friedrichs Entwicklung beruhte freilich nicht bloß darin, daß sie wichtige Grundsteine für seinen geistigen Lebensaufbau legten. Seine militärische Schulung machte gleichfalls Fortschritte, er gewann Freude an Dienst und Truppe und war auf dem Wege, ein ausgezeichneter Obrist zu werden. Gleichzeitig wuchs er im stillen der anderen Seite seines Königsamtes entgegen: auch die Welt der Politik trat ihm näher!

Eine gegen das Frankreich Fleurys gerichtete unveröffentlichte Flugschrift über die gegenwärtige Lage der europäischen Staatengesellschaft (1738) verriet eine aufmerksame Beobachtung der europäischen Mächte und ein lebhaftes Gefühl für Preußens Zurücksetzung, die dem Prinzen auch sonst Worte des Unmutes entlockte. Sein Kampfbuch gegen Macchiavellis Principe hingegen führte zur grundsätzlichen Klärung seiner Gedanken über den Herrscherberuf, indem er den Fürsten als ersten Diener des Staates feierte. Diesem Wort sollte er nachleben und Größe verleihen wie kein anderer unter den gleichgesinnten Monarchen Europas. Im strengsten und höchsten Sinn hat sich damit das erleuchtete Herrschertum der Epoche sein Denkmal gesetzt. Hierin lag das Unvergängliche des Buches für Friedrich und die Welt, darin war es tiefster Durchbruch zu sich selber, während andere Zeit- und Modestimmungen des Antimachiavell, der in politischer Tugendhaftigkeit und schönen Humanitätsgefühlen schwelgte, dem Leben nicht gleichermaßen standhielten. Ob die Staatsgesinnung des jungen Philosophen, die sich ebensowohl über dynastische Enge wie über die Genußsucht des Barockfürstentums erhob, seine Kronprinzenzeit überdauern würde, war eine [131] andere Frage. Denn noch waren diese begeistert vorgetragenen Gedanken nicht von Erfahrung durchblutet. Wohl aber schauten in einzelnen Wendungen oder zwischen den Zeilen brennender Ehrgeiz, Herrscherbewußtsein, Führungswille hervor. Der Sinn fürs Kriegshandwerk, die männliche Hingabe an den Staat und das Wirklichkeitsgefühl des geborenen Politikers verleugneten sich auch in der zahmen, friedlichen Sprache des Zeitgeistes nicht, dem der Prinz so eifrig seine Huldigung darbrachte.

Diesen Eigenschaften eines noch weithin unbekannten Friedrich machte der Tod des Vaters die Bahn frei, und zwar im selben Jahr, in dem auch der österreichische Thronwechsel erfolgte und einen ungeheuren Umschwung der Dinge hervorrief. Es ist, als sollte der Herrschaftsantritt eines Genius der Welt durch Donner und Blitze angezeigt werden!


Indem Friedrich den ersten Schlesischen Krieg vom Zaune brach, vertrat er wohl gewisse alte überlieferte Rechtsansprüche seines Hauses, die er jetzt hervorzuholen für gut fand. Aber er verfocht sie durchaus vom Boden natürlicher politischer Erwägungen und auf Grund einer allgemeinen Lage, die er rücksichtslos und listig für seinen Staat zu nutzen gedachte. Vor allem aber folgte er damit seinem innersten persönlichen Antrieb. Es schwangen in diesem Entschluß mit der Groll über die zweideutige, zurücksetzende Behandlung, die Preußen unter dem Vorgänger von seiten des kaiserlichen Hofes namentlich in der Jülich-Bergschen Erbfolgefrage erfahren hatte, und das schon in der Kronprinzenzeit wach gewordene Mißtrauen gegen die Politik des Erzhauses. Die Stunde schien günstig, überall mit alten Sünden abzurechnen und Brandenburg-Preußen eine seinen inneren Kräften angemessene Stellung im Kreis der Mächte zu erringen. In diesem verletzten Staatsgefühl meldeten sich zugleich Ehrgeiz und Tatendrang des jungen Herrschers zu Wort, sagte er doch selber einmal, schon während des letzten Türkenkrieges habe sein Herz, wenn er von Kampf und Sieg hörte, gepocht wie bei einem Schauspieler, der es nicht erwarten könne, bis die Reihe an ihn komme! Sein Stichwort war nun gefallen. Die Nachricht vom Tode des Kaisers gab seiner Unternehmungslust die Richtung auf Schlesien. Das realistische Ansinnen an Maria Theresia, die preußische Hilfe in der Krisis ihres Reiches durch Opferung dieser Provinz zu bezahlen, war abgewiesen worden. So schlug er los. "Leben Sie wohl", rief er seinen Offizieren beim Ausrücken der Berliner Regimenter zu, "brechen Sie auf zum Rendezvous des Ruhmes, wohin ich Ihnen ungesäumt folgen werde!" Es war die Parole dieses Feldzuges und des ersten Abschnitts seiner Regierung überhaupt. [Scriptorium merkt an: mehr zu den Kriegen Friedrichs des Großen gegen Maria Theresia finden Sie hier.]

Bei allem Glauben an seinen Stern, bei aller jugendlichen Kühnheit, mit der Friedrich den Griff nach der Fortuna wagte, ging er doch nicht ohne politische Berechnung vor. Er vertraute dabei auf den alten Gegensatz zwischen Frankreich [132] und England, der eine Hauptachse des Weltgeschehens bildete: eine der beiden Mächte mußte ihm natürlicherweise als Bundesgenosse zufallen. So geschah es. Frankreich wurde sogar sein Waffengefährte. National fühlte der König nicht; er handelte – wie immer, so auch hier – ganz als Vertreter des Einzelstaates und der preußischen Staatsräson, freilich nie ohne die Besorgnis, Frankreich könnte übermächtig werden. Erst die Entwicklung des neunzehnten Jahrhunderts sollte auch Preußen in die Dämonie völkischer Leidenschaft mit hineinreißen, es ihrer Herrschaft unterwerfen, ihm damit aber zugleich die Führung Deutschlands einbringen.

Friedrichs Reichsentfremdung war schon in seinen Jugendjahren aufgekeimt; im Habsburgischen Kaisertum erblickte er lediglich noch das Phantom eines immer blutleerer werdenden Ideals, das einstmals Macht besessen, ein altes Inventarstück und Hausmittel österreichischer Politik. Außer den Franzosen stand dem König die schwache Wittelsbachische Hausmacht des biederen, matten Kurfürsten Karl Albrecht zur Seite, dem die Erlangung der deutschen Kaiserkrone zu glanzlosem Märtyrertum ausschlagen sollte. Nach einigem Schwanken gesellte sich auch Sachsen zu den Gegnern Maria Theresias und meldete seine Ansprüche auf deren Erbschaft an. Entscheidend wurde die Hilfe, die Preußen von seiten Frankreichs, Bayerns und Sachsens fand, nicht für den Ausgang des Ringens; sie erwies sich mehrfach sogar als brüchig, als unzureichend und hemmend. Die Eroberung Schlesiens, das der Breslauer Friede (1742) dem Könige zusprach, hatte er im wesentlichen seiner eigenen Leistung und der seines Staates zu verdanken: im Grunde hatte doch der tote Vater mit dem von ihm zubereiteten Heer, mit dem von ihm zusammengesparten Staatsschatz einen Sieg davongetragen. So nüchtern sein Vermächtnis war, auf den Schlachtfeldern von Schlesien und Böhmen erstrahlte es in glanzvoller Bewährung. Jetzt erst, in den Taten des Nachfolgers, kam seine Riesenarbeit zu Ehren. Friedrich entband lang aufgespeicherte Kräfte und führte sie zu vollem Erfolg. Er löste damit die verborgene Krisis, in der sein Staat sich bisher befunden hatte, und lenkte die auswärtige Politik Preußens mit einer Schnellkraft und Behendigkeit, wie sie keiner seiner Vorgänger aufgebracht hatte.

Friedrich hat in diesem Feldzug politische Fehler gemacht und auch militärisch zulernen müssen. Weder in der Kriegführung noch in der Diplomatie war er schon ein Meister. Bei Mollwitz hatte ihn der brave Schwerin durch sein Eingreifen vor der Gefangenschaft gerettet und die drohende Niederlage in Sieg gewandelt, während bei Chotusitz der König selber durch eine geschickte, überflügelnde Bewegung die Entscheidung zugunsten seiner Waffen herbeiführte. In allem Schwung des Handelns ist noch eine flackernde Unruhe; ungeduldig jagen sich Stimmungen und Pläne: er war im Werden, aber auch im Wachsen.

Eröffnung, Verlauf und Leistung des zweiten Schlesischen Krieges bekunden: er war bedachtsamer, er war reifer geworden.

[133] Als Friedrich kühl rechnend den französischen Bundesgenossen im Stich gelassen hatte und mit Maria Theresia zum Frieden gekommen war, dachte er nicht daran, kämpfend wieder vorzubrechen. Sein Wille, fortan ganz in friedlicher Arbeit am Staate aufzugehen und seinen geistigen Neigungen zu leben, war aufrichtig. Die Beobachtung aber der europäischen Politik und der Reichsverhältnisse, die der Wittelsbachische Kaiser nicht zu meistern wußte, trieb ihn aus der Zuschauerrolle wieder heraus. Die Verschiebung der Kräfte in Deutschland, die zeitweiligen Waffenerfolge der Österreicher unter Karl von Lothringen im Elsaß, die Verhandlungen der Mächte mit Wien, insbesondere dessen Abschlüsse mit England, Sardinien und Sachsen, wirkten sich, so schien ihm, gegen Preußen aus. Er glaubte an einen Anschlag gegen Schlesien. Ein Argwohn, der freilich zu schwarz sah. Daß die diplomatische Vorbereitung und Rückendeckung seines erneuten Eintritts in den allgemeinen Kampf diesmal sorgfältiger, umfassender und feinmaschiger ausfiel als die glänzende Improvisation des ersten Schlesischen Krieges, beweist, daß Friedrich staatsmännischer geworden war. Er selbst hat später einmal gesagt, jener erste Feldzug von ihm gliche einem der Originalbücher, die sich nicht nachmachen ließen; denn die Wiederholung falle schwach aus. Abermals focht er als Bundesgenosse Frankreichs, ohne dieses zu voller militärischer Stoßkraft hinreißen zu können, während Bayern nach dem unerwarteten Tode Kaiser Karls des Siebenten seinen Sonderfrieden mit Maria Theresia machte und Sachsen offen zu ihr überschwenkte. So sank schließlich die Last der Kriegführung in Deutschland allein auf die Schultern Friedrichs. Er bewies in diesem wechselreichen Feldzug eiserne Selbstbeherrschung und Standhaftigkeit, denn sein Heer befand sich damals nach dem Rückzug aus Böhmen in schwerster innerer Erschütterung. Er sah den Untergang klar vor Augen. Daß er, obwohl im Herzen der Verzweiflung nahe, sich selbst nicht aufgab und den gesunkenen Mut seiner Truppen wieder aufzurichten wußte und sie zur Entscheidungsschlacht führte, wandte das drohende Verhängnis. Es war die höchste Erprobung seiner politischen und militärischen Führerkraft, und sie brachte die Rettung aus unhaltbar gewordener Lage: Hohenfriedberg, eine der glänzendsten Schlachten aller Zeiten, romanhaft wie nur je ein Ereignis der Kriegsgeschichte sich entwickelnd, hob den König, der selbst den kühn angelegten Angriff lenkte, auf einen ersten Gipfel wahrer geschichtlicher Größe. Über Soor, das seinen Kriegsruhm unter schwierigsten Umständen neu befestigte, und den Sieg des alten Dessauers bei Kesselsdorf ging sein Weg zum Dresdener Frieden (1745).

Die Reife seiner Staatsmannschaft bewies der König dadurch, daß er sich in wohlberechnetem Maßhalten mit der Behauptung Schlesiens begnügte. Es war damit anerkannt, daß Preußen, jetzt schon in Norddeutschland ohne gleichwertigen Nebenbuhler, als Großmacht neben Österreich getreten war. Tiefer hatte es sich dadurch in den Osten, damit auch nach Deutschland hinein [134] entwickelt, während Österreich einen bedeutenden Schritt daraus zurückgedrängt war und auch strategisch gegenüber dem polnischen und ungarischen Raum eine Einbuße erlitten hatte. Die Anerkennung ihres Gemahls Franz von Lothringen als Kaiser, die Maria Theresia von Friedrich erlangte, bot keinen vollen Ausgleich gegen die Machterhöhung des Nebenbuhlers; denn diese mußte eine weitere Erschütterung des schwankenden Reichsgefüges zur Folge haben, und doch war die Kräftigung Preußens Durchbruch und Verheißung neuen Lebens und späterer Neugestaltung! Beides höchst bedeutungsvoll für die deutsche Zukunft und den heraufziehenden Kampf um die Führung, der mit dem Aufstieg des jüngeren Staates seine Schatten vorauswarf. Dies alles aber, im Sinne persönlichster Leistung, das Werk des einen Mannes!


Leuchtend steht das Wort "Friede" über dem Jahrzehnt zwischen dem Ende der Schlesischen Kriege und dem Siebenjährigen geschrieben: Friedrich hauchte ihm den Odem schöpferischer Arbeit am Staate ein. Halb scherzend sprach er selbst davon, seine Sturm- und Drangzeit habe er nun hinter sich. Diese Jahre setzten seinen Genius nun auch in der inneren Politik durch.

Was er leistete, alles geschah im Zeichen des unumschränkten Herrschertums. Dessen Machtentfaltung, vorbereitet schon durch den Großen Kurfürsten und Friedrich Wilhelm den Ersten, stand auf dem Gipfel: Friedrich erfüllte diesen Vollabsolutismus mit dem Geiste der Herrscherverantwortung, der Volkswohlfahrt und des Staatsdienertums, vor allem aber auch mit der Schlagkraft und der Allgegenwart fürstlicher Selbstregierung aus dem Kabinett. Die Minister, mit denen er im allgemeinen schriftlich verkehrte, waren nur Werkzeuge in seiner Hand. Er entging den Grenzen und Gefahren dieser Herrschaftsweise nicht ganz, wie der wohlgemeinte Mißgriff im Prozeß des Wassermüllers Arnold und andere Erscheinungen zeigten. Denn Friedrich war ebenso wenig unfehlbar wie andere Alleinherrscher, und gerade er bei seinem sprühenden Temperament konnte es nicht sein. Indessen, wie gering ist doch die Zahl der Fehlentscheidungen, wie sicher dagegen der Blick für die nächsten Ratgeber und die Ausführer seines Willens!

Die Schattenseiten des Absolutismus wurden ausgeglichen durch seine überragende Persönlichkeit. Kein Nebenregiment, keine Zwischenschaltung höherer oder niederer Personen konnten unter diesem König aufkommen, wie es unter den schwächeren Nachfolgern dann eintrat. Gleich dem antiken Wagenlenker, der das Viergespann seiner Rosse in gerader Flucht, Stirn bei Stirn dem Ziele zusteuert, hielt er die Zügel aller Verwaltungszweige fest in der Hand. So zeichnet er selber den wahren Herrscher, wie er sein soll, in seinem politischen Testament von 1752, jener großartigsten Staatsschrift seiner Mannesjahre.

Im Sinne ihrer beherrschenden Stellung hielt die Krone auch zwischen den einzelnen Berufskreisen und Geburtsständen Gleichgewicht und Ordnung auf- [135] recht: Ein sinnvolles, einheitlich bezogenes Ganzes! Denn Aller Aufgaben waren auf den Dienst am Staate ausgerichtet und kamen dem militärischen Machtkern Preußens zugute. Der Adel, der im Offizierkorps oder in der Beamtenschaft diente, genoß hierfür Ehre und gehobene gesellschaftliche Stellung sowie die Vorrechte der Gutsherrschaft. Der Bauer leistete Militärdienst, wurde aber dafür nach Kräften gegen Ausschreitungen des Patrimonialherrn geschützt. Dem Bürgertum war Gewerbe und Handel vorbehalten, wobei es die Förderung der Staatsleitung erfuhr; hingegen war ihm der Zugang zum Lande, die Erwerbung von Rittergütern verwehrt. Es war also eine Art politischer Arbeitsteilung gefunden, der ein bestimmtes, wohlabgegrenztes Maß von staatlichen Pflichten und Lasten entsprach. Sie hing aufs innerste mit dem Wesen dieser ständisch gegliederten Gesellschaft zusammen. Diese friderizianische Welt war, wie später die Zeiten der Erstarrung, des Niedergangs und der Zusammenbruch von Jena an den Tag bringen sollten, nicht ohne Künstlichkeit, fand aber im erleuchteten Träger der [136] Krone den gemeinsamen Mittelpunkt, wenn er auch auf die Dauer das Fehlen tieferer Gemeinschaft und die innere Einheit der Volkheit nicht ersetzen konnte.

In der Verwaltung selbst war Friedrich mehr ein Mann der Aktion als der Organisation. Daher behielt er im wesentlichen den Rahmen der väterlichen Behördenordnung bei, indem er sie da und dort im Zuge sachlicher Erfordernisse und Erfahrungen ausbaute; er sonderte ab, er ergänzte und verfeinerte. Auch am Merkantilismus als dem überlieferten System der Volkswirtschaft hielt er fest. Nur daß er alles planmäßiger, grundsätzlicher und weiter ausgreifend noch betrieb als der Vater. Das von Friedrich Wilhelm schon begünstigte Textilgewerbe nahm in Schlesien und den mittleren Provinzen bedeutenden Aufschwung. Die Seidenindustrie, der Friedrich seine besondere persönlichste Sorgfalt widmete, wurde gleichsam aus dem Nichts hervorgezaubert. Wirtschaftlich brachte Friedrich seinem Staate das gleiche wie in der Politik: Vollendung von Unfertigem, Stärkung, Weite und Erhöhung!

Über den Vorgänger hinaus ging vor allem die Justizreform, die der König Cocceji anvertraute: das Werk eines echten Naturrechtlers, eines leidenschaftlichen Aufklärers und eines furchtlosen Mannes. Im Marsch-Marschtempo an den pommerschen Gerichtshöfen begonnen, wo ein ganzer Urwald überständiger Prozesse ausgerodet wurde, führte sie zur Reinigung des Richterstandes, zu einem Neuaufbau der Justizbehörden, einem vereinfachten Zug der Instanzen und gipfelte schließlich im Codex Fridericianus Marchicus, dem Entwurf einer neuen, einheitlichen Prozeßordnung. Die Schaffung eines bürgerlichen Gesetzbuches dagegen blieb dem Großkanzler von Carmer und seinem Rate Svarez vorbehalten, die in der Spätzeit des Königs im Sinne aufgeklärter Humanität daran arbeiteten. Friedrich selbst sollte noch die Carmersche Reform der Prozeßordnung, nicht mehr aber das Erscheinen des Allgemeinen preußischen Landrechtes erleben.

Das Stadtschloß in Potsdam.
[128b]      Das Stadtschloß in Potsdam,
1745–1751 von G. W. von Knobelsdorff für Friedrich den Großen umgebaut.

Die ungewöhnliche Spannweite seiner Begabung, die den Sinn für die Macht mit der Liebe für edle Kultur vereinte, offenbarte sich auch in dieser inhaltreichen Friedenszeit. Die Pflege feiner hochgeistiger Geselligkeit, die Tafelrunde in Sanssouci und die Flötenkonzerte Friedrichs, die Begegnung mit Bach, der ihm die Kunst der Fuge darbrachte, sein sprühender Gedankenaustausch mit dem Italiener Algarotti, mit dem Naturforscher Maupertuis und Voltaire, mit d'Argens und La Mettrie, seine Kunstliebhabereien und Sammlungen wie seine ersten geschichtlichen Aufzeichnungen und poetischen Versuche; für all dies hatten jene Jahre strahlender Lebensbejahung und reifen Genusses ebenso Raum wie für die eiserne Arbeit am Heer.

Flötenkonzert Friedrichs des Großen in Sanssouci.
[144a]      Flötenkonzert Friedrichs des Großen in Sanssouci.
Gemälde von Adolph Menzel, 1852. Berlin, Nationalgalerie.

[Bildquelle: Photographische Gesellschaft, Berlin.]

Planmäßig verarbeitete hier der König die Erfahrungen der Schlesischen Kriege; immer aufs neue erprobte er die Schlagfertigkeit und Schnelligkeit der Truppe im Gelände. Aus jeder Waffengattung holte er ihren Eigenwert und alle Möglichkeiten heraus, indem er sie nach seinem Willen schmiedete und mit seinem Geiste durchglühte. In Gestalt der "Generalprinzipien des Krieges", die der König 1748 [137] verfaßte, ging sein eigenes Erleben, Wissen und Denken über diese Dinge auf seine Unterführer über. Wie im staatlichen Bereich so waltete auch hier der Sinn für Klarheit und Ordnung vor, dem Friedrich als Sohn des Jahrhunderts huldigte. Der vollkommene General, so heißt es in dieser Schrift, sei ein Vernunftwesen! Die Kriegsführung war für Friedrich eine Kunst, die die Macht des Zufalls tunlichst einzugrenzen habe. Von dem Führer verlangte er höchste sittliche Stärke im Unglück und volle Selbstbeherrschung. Dem Gegner aber zwinge man möglichst das Gesetz des Handelns auf. Denn bei aller Gebundenheit an die behutsamen Lehren der älteren, schwerfälligen Strategenschule drang in Friedrichs Auffassung vom Kriege sein Geist der Entschlußfreude, der Kühnheit durch. Auch da stellt er eine Welt für sich dar, in Formeln und Dogmen nicht zu bannen. Es entsprach seinem innersten Wesen, wenn er abweichend von der herrschenden Meinung die lang hingesponnenen Heeresbewegungen und die Ermattungstaktik nicht einseitig bevorzugte, wenn er vielmehr den Willen zur Schlachtenentscheidung und zur Vernichtung des Feindes da, wo es die eigenen Kräfte gestatten und der große Zweck es rechtfertigt, persönlich höher stellte.

Sieben Jahre Krieg sollten Heer, Staat und Feldherrntum des Königs auf die denkbar härteste Probe stellen.


Die gewaltigste Zeit seines Lebens brach an. Friedrich hat den Krieg ursprünglich nicht gewollt; er dachte weder an Angriff noch an Eroberung. Der Kampf war ihm von der weitgespannten Vergeltungs- und Einkreisungsdiplomatie des österreichischen Staatskanzlers Kaunitz aufgezwungen worden. Friedrich zerriß, als er inne ward, was gegen ihn am Werke war, das Netz, das man ihm über den Kopf werfen wollte. Im nächsten Frühjahr wollte man mit vereinten Kräften über Preußen herfallen. Schrittweise nur und verhältnismäßig spät hatte sich ihm die ganze Größe der Gefahr enthüllt, in der sein Staat schwebte; er selbst hatte unfreiwillig bei Beginn des hochkritischen Jahres zur Verschlimmerung seiner eigenen Lage, zur weiteren Annäherung, zum entscheidenden Bündnisabschluß Frankreichs und Österreichs beigetragen, als er durch den vielerörterten Vertrag von Westminster England zum Schutze gegen das angriffslustige Rußland gewinnen wollte: Frankreich und Österreich reichten sich die Hände. Ein umwälzender Frontwechsel! Friedrich war in der politischen Verteidigung, als er dem drohenden Überfall einer wohlgerüsteten, zum Angriff entschlossenen Koalition mit dem militärischen Stoß, dem Einfall in Sachsen zuvorkam. Mehr stand auf dem Spiel als nur die Großmachtstellung Preußens. Es ging um Sein oder Nichtsein! Niemand hat die Entschlossenheit des feindlichen Vernichtungswillens in allem, was nun hereinbrach, so unbarmherzig klar vor Augen behalten wie der König!

Die Übermacht der Gegner war erdrückend: Österreich, Frankreich, Rußland, Schweden, ferner Sachsen und der größere Teil der Reichsstände. Auf seiner [138] Seite nur England-Hannover, und auch dessen militärische Hilfe war begrenzt in Stärke und Wirkungsraum; schließlich, nach dem Ausscheiden des großen Pitt aus der Regierung, löste sich der Bund ganz. Die Anhängerschaft von Zwergstaaten wie Braunschweig-Wolfenbüttel, Hessen-Kassel, Schaumburg-Lippe und Gotha fiel kaum ins Gewicht.

Friedrich mußte gegen mehrere Fronten kämpfen und hatte jeweils nur geteilte Streitkräfte zur Verfügung, obwohl er aus seinem Land fast mehr als das Menschenmögliche herausholte; überdies sank der innere Wert der Truppe mit den Jahren. Selbst nach überwältigenden Siegen schienen dem Gegner die Kräfte nachzuwachsen, wie die Köpfe der Hydra. So hat Friedrich es selber empfunden. Es bleibt das Große seiner Heerführung, daß er auch dann, wenn er in die Verteidigung gedrängt war, die Vernichtung der feindlichen Streitmacht erstrebte. Immer wieder wagte er stärksten Einsatz, den Griff nach dem vollen, dem höchstmöglichen Erfolg. Selbst der Geschlagene flößte seinen Gegnern Furcht ein. Unendliches wirkte sein Name und seine Persönlichkeit. Wenn Clausewitz, der Philosoph des Krieges, später einmal den Satz schrieb, wie ein Obelisk, auf den die Hauptstraßen eines Ortes zuführten, stehe an der Spitze der Kriegskunst gebieterisch und überragend der feste Wille eines stolzen Geistes, so wird ihm dabei die Erscheinung Friedrichs des Großen vor die Seele getreten sein.

Ein Ringen von sieben Jahren! Eine Kette leuchtender Taten: Prag, Roßbach, Leuthen, Zorndorf, um nur einige zu nennen, die heute noch im Gefühl des Volkes weiterleben. Und doch erscheint der König fast noch größer in den Stunden der Not, nach den Tagen von Kolin, Hochkirch und Kunersdorf. Es waren nicht bloß einzelne Fehlschläge, die er zu erleiden und wiedergutzumachen hatte. Der wachsende Ernst der Gesamtlage drückte sich darin aus, daß er während der zweiten Hälfte des Feldzuges sich gezwungen sah, aus der Verteidigung heraus zu fechten, während die Kriegführung der ersten Jahre noch im Zeichen des militärischen Angriffs gestanden hatte. Nach mehr als fünfjährigem Kampf schienen seine Kräfte am Ende zu sein. Der König, ausweglos und verzweifelt, ging mit dem Gedanken um, sich selbst zu opfern und die Trümmer seines Staates für den Thronerben durch Verhandlungen seiner Minister zu retten. Finsterer als je stand das Schicksal vor ihm aufgereckt. Da brachte der russische Thronwechsel und dessen unmittelbare Folge, der politische Umschwung, der den neuen Zaren Peter aus dem Lager Maria Theresias an die Seite des bewunderten Herrschers und zum Sonderfrieden führte, eine fühlbare Erleichterung, vielleicht sogar die Rettung. Allerdings, das eigentliche "Mirakel des Hauses Brandenburg" war nicht diese entspannende Wendung im Osten, sondern Friedrich selbst. Denn das Glück konnte in diesem Falle seine wundertätige Macht nur deshalb entfalten, weil durch jahrelanges heroisches Aushalten des Helden solcher Auswirkung erst Raum gegeben war. Etwas Ungeheures war es ja gewesen, daß der König zu einem Zeitpunkt, da die Kaiserin, gleichfalls der Erschöpfung nahe, mitten im Krieg ihre Truppen hatte vermindern [139] müssen, seine zusammengeschmolzenen Streitkräfte auf die doppelte Zahl brachte und darüber hinaus sogar die Kostendeckung eines Feldzuges im voraus zu sichern wußte. Daß Friedrich, trotz der Hölle von Leiden, durch die er gegangen, die Willensstärke fand, seinem Heer und seinem Staat dieses letzte Opfer aufzuerlegen, daß sie es auf sich nahmen und ertrugen, wurde entscheidend. So schlug die österreichische Ermattungsstrategie, die den Gegner langsam, aber sicher zu Boden drücken wollte, zum Schluß gegen Österreich selber zurück. Die Zeit hatte, allen Erwartungen zuwider, gegen sie gearbeitet.

Mit ihren Bundesgenossen hatte Maria Theresia den Feind nicht in die Knie gezwungen. Ohne die Waffenhilfe Rußlands und des erlahmenden Frankreichs, das gleichfalls abgesprungen war, mußte die Hoffnung auf Sieg ihr gänzlich dahinschwinden. Unbeugsam wie sie den Preußenkönig im Kriege gefunden, sollte sie ihn nun bei Anbahnung des Friedens als Meister zäher Verhandlungskunst kennenlernen. Wie der Beginn und Verlauf des Feldzuges, so war auch der Abschluß ganz und gar sein Werk.

Das Ergebnis des Hubertusburger Friedens (1763) war schlicht, aber großartig und bleibend: die Behauptung Schlesiens und keinen Fußbreit mehr! Das hieß: Preußens Aufstieg zur Großmacht war unwiderruflich geworden. Aus Deutschland und Europa war es hinfort nicht mehr wegzudenken. Indem es einer ganzen Welt trotzte, die ihm Vernichtung geschworen hatte, war auch die Entscheidung über Deutschlands Geschicke in Zukunft an das Sein dieses Staates geknüpft.

Der König selbst kam tief verwandelt zurück. Ohnehin fielen die ungeheuren Erlebnisse des Krieges bei ihm in ein Lebensalter, wo sich die Natur des Mannes umstellt und sein Charakter Veränderungen zu erfahren pflegt. Zwischen Unheilsschlägen und traumhaftem Siegerglück hin und her geworfen, alterte er vor der Zeit. Harte Furchen hatten sich in sein Gesicht gegraben, die Zähne fielen ihm aus; er ergraute auf der einen Seite; sein Rücken krümmte sich; er litt an Darmstörungen und wurde von Gicht geplagt; er ging am Krückstock und vernachlässigte sein Äußeres. So sah der Mann aus, der Europa standhielt. So prägte sich seine Erscheinung Mitlebenden und der Nachwelt ein. Aus dieser furchtbarsten Zeit seines Lebens stammt die Bezeichnung: der Alte Fritz!

Holzschnitt von Adolph Menzel.
[141]      Friedrich der Große auf der Terrasse vor der Gemäldegalerie von Sanssouci.
Holzschnitt von Adolph Menzel zu Kuglers "Geschichte Friedrichs des Großen", 1840.

[Bildquelle: E. A. Seemann Verlag, Leipzig.]

Friedrich aber war gerade in den peinvollsten Erschütterungen dieser Jahre keineswegs von Wärme umgeben. An zaghaften und verständnislosen Ratgebern, an Schwarzsehern, an Schadenfrohen und Nörglern fehlte es ohnedies nie. Prinz Heinrich, tüchtig und begabt, aber menschlich von kleinerem Wuchs, gehörte zu den ungerechtesten, bissigsten Kritikern des großen Bruders und verirrte sich bis zu mörderischem Haß. Friedrichs Mutter starb nach Kolin, seine Bayreuther Lieblingsschwester am Tage von Hochkirch. Seine nächsten Freunde fielen oder wurden ihm durch Krankheit entrissen. Sein Generalstabschef Winterfeldt blieb vor dem Feinde. Mit Voltaire kam es zum Bruch. Es ward einsam und öde um ihn. In so manchem Brief bricht die heiße Schmerzhaftigkeit seines Gefühls durch, denn er [140] war nicht so gefühlskalt wie er oft nach außen hin erschien. Der Drang, sich auszusprechen, war ihm geblieben, so wie er ja auch in Unglück und Sorge nicht aufhörte zu schreiben und zu dichten. Freilich in diesem übermenschlichen Kampf stieg mitunter gleich einer Fata Morgana der Gedanke vor ihm auf, wie schön das Leben sein könnte, wenn man nicht Fürst wäre, wenn man irgendwo mit Freunden, Büchern, Musik ein stilles Dasein nur als Philosoph und Literat führte, fern von Macht, Ehrgeiz, Ruhm und dem Gebot zu handeln. Es waren Träume seiner Jugend, die ihn umgaukelten, Anwandlungen, seinem Königsamte, seinem Schicksal zu entschlüpfen, die er alsbald verbannte. Ihnen nachzugeben, erschien ihm wie Flucht; er blieb doch, und daß er ausharrte, daß er weiterkämpfte, rief die Arme der Götter herbei.

Und es gab noch dunklere Stunden, wo die Dämonen der Tiefe ihn umwitterten, wo sie ihn lockten, seinen Leiden ein Ende zu machen, wo er die Toten beneidete. Er trug stets Gift bei sich. "Ich kann die Tragödie enden, wenn ich will", sagte er zu seinem Vorleser de Catt, der als einziger darum wußte. Er nahm es nicht; denn in der äußersten Not wagte er immer noch ein allerletztes Mittel, fand er schließlich doch wieder den Mut zu sich selber. Der unbedingte Wille, trotz allem und um jeden Preis durchzuhalten, lieber ruhmvoll unterzugehen als sein Land zerstückeln zu lassen, obsiegte. Der Instinkt der Selbstbehauptung triumphierte sogar über die Einsicht in seine mehr als einmal hoffnungslose Lage. Es gibt für diese Unerschütterlichkeit keine andere Erklärung, als daß auch in den Tiefen seiner Natur jene letzte Unbeirrbarkeit lebte, die der Genius selbst dann bewährt, wenn die Stimme der eigenen Vernunft gegen ihn zu zeugen scheint. Sicher ist: sie hat ihn und seinen Staat gerettet.


Heilung der Kriegsschäden und Sammlung neuer Kraft wurde fortan das vornehmste Anliegen der friderizianischen Innenpolitik. Das Wort Wiederaufbau, oder in der Sprache des Königs "Retablissement", gibt die Losung für dreiundzwanzig Jahre der Spätzeit ab. Eine gewaltige Leistung! Denn sie umschließt die Neuordnung der Finanzen und Beseitigung der Münzverwirrung, die Auffüllung des Staatsschatzes, in dessen Bestand der König nächst der Stärke des Heeres eine Vorbedingung sah, um Preußens Großmachtstellung aufrechtzuerhalten, die Einrichtung der Seehandlungsgesellschaft, Vorläuferin der späteren preußischen Staatsbank, den Neuaufbau des Postwesens nach französischem Muster, Neuorganisation der indirekten Steuern in Gestalt der Regie. Sie brachte zwar einen Mehrertrag und eine wesentliche technische Verbesserung der Zollerhebung, war aber französischen Beamten anvertraut und bei der Bevölkerung fast ebenso verhaßt wie das Kaffee- und Tabakmonopol, die der König einführte. Mit vermehrtem Eifer warf sich die Wirtschaftspolitik auf Berg-, Hütten- und Forstwesen, und unter dem tüchtigen Heinitz, dem Lehrer des Freiherrn vom Stein, nahm denn auch das Montangewerbe einen bedeutenden Aufschwung. Hochöfen [141] und Hütten entstanden vor allem in Schlesien. Die Seidenindustrie blühte auf, besonders in Berlin. Die königliche Porzellanmanufaktur trat mit Meißen in erfolgreichen Wettbewerb. Nicht alles glückte; aber zu Beginn der achtziger Jahre sah der königliche Volkswirt, der dem merkantilistischen Glaubensbekenntnis treublieb, seine Mühe belohnt durch eine bedeutende Steigerung der gewerblichen Erzeugung, der ein Ausfuhrüberschuß von mehreren Millionen Taler entsprach. Die Handelsbilanz war somit aktiv. Während in den Regie- und Monopolmaßnahmen Züge fiskalischer Härte hervortreten und auch sonst manche Maßnahmen des Königs Starrheit, Eigensinn, zunehmende Menschenverachtung verraten, atmen andere Leistungen jenen sozialen Geist, der auch im politischen Testament der Spätzeit mit ergreifender Wärme durchbricht. So war es eine Absicht der freilich nicht ganz geglückten Tarifreform, die ärmeren Schichten zu schonen. Die Politik der Getreidemagazinierung, die dem Ausgleich zwischen Verbraucher und Erzeuger diente und eine gewisse Stetigkeit der Preise erzielte, bewährte sich insbesondere in Jahren der Teuerung.

Unvergänglich die Bemühungen um den landwirtschaftlichen Wiederaufbau, der die Anstrengungen der früheren, schon vor dem Siebenjährigen Krieg eingeleiteten Friedensarbeit verdoppelte! Die Bodenkultur wurde gehoben, der Viehstand vermehrt; zur Entschuldung der Rittergüter entstanden Kreditinstitute. Auf [142] breiter Front schritt die innere Kolonisation vorwärts. Dörfer wurden vor allem in der Neumark und in Schlesien gegründet. Warthe und Netzebruch wurden trocken gelegt und mit Siedlungen überzogen. Die Zahl der Einwanderer belief sich für die gesamte Regierungszeit des Königs auf etwa dreimalhunderttausend Menschen. Mehr als je war Friedrich den Bauern in liebevoller Sorge zugetan. Wohl mußte er sein ursprüngliches Programm, in dem sogar die Aufhebung der Erbuntertänigkeit in Aussicht genommen war, aus triftigen Gründen einschränken. Die Erleichterungen, die er dem Landvolk, so auch im Fronwesen zudachte, vermochte er zum Teil nur auf seinen Domänen durchzusetzen und sicherzustellen. Entscheidende und grundsätzliche Eingriffe ins Verhältnis von Gutsherrn und Bauern unterblieben, obwohl der König immer wieder auch da regelnd und mildernd sich einzuschalten wußte. Die Mächte der Überlieferung, verkörpert im Grundadel und im höheren Beamtentum, waren zu stark, die Zusammenhänge des Gesellschaftsgefüges zu kunstvoll, zu dicht und ineinandergreifend, als daß man zu jener Zeit schon wagen konnte, an einem seiner Grundpfeiler zu rütteln, ohne das Ganze von Krone und Staat zu gefährden. Immerhin vermochte dieses soziale Königtum der Unsitte des Bauernlegens erfolgreich zu steuern. Bei aller Begrenztheit war der Bauernschutz, so wie ihn Friedrich ausbildete und in seinen späteren Regierungsjahren noch verschärfte, nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine sittliche, auf die Auswirkung hin angesehen aber eine völkische Tat.

Mochten vor der Machtsicherung und inneren wirtschaftlichen Kräftigung des Staates die Aufgaben der Kulturpolitik etwas zurücktreten, so war es Aufbau im geistigen Sinn und zugleich Entfaltung des Aufklärungsbanners, wenn nun in der Spätzeit das Schulwesen neue Ordnung und Gestalt empfing. Unvollkommen zwar in vielem, aber fruchtbar für alle Bereiche von Erziehung und Bildung, von der Volksschule, dem Gymnasium bis zur Universität und Königlichen Akademie, all dies weitgehend dem pyramidalen und ständischen Gesellschaftsaufbau Preußens angepaßt.

Eine der berühmtesten Randbemerkungen Friedrichs des Großen.
[143]      Eine der berühmtesten Randbemerkungen Friedrichs des Großen auf einer Eingabe, ob neu errichtete katholische Schulen bestehen bleiben sollen.
Berlin, Preußisches Staatsarchiv.

Diese Reform stand unter der Leitung des Grafen Zedlitz, eines Mannes von friderizianischer Schulung; ihm, einem Gönner Kants und Geistesverwandten Lessings, war dabei mehr Spielraum gegeben als anderen Ministern. Blickt man zurück, so ist es, als ob der königliche Sämann in der Spätzeit die Saat weiter und weiter werfe. In allem aber seine Hand, sein Geist, das Adlerauge, das über allem wachte, ein Herrscher ohnegleichen!


In der Außenpolitik ist Selbstbehauptung des Staates die Leistung und das Programm der Spätzeit. Der König wußte sie, gestützt auf die eigenen Machtmittel, zu sichern, nutzte dafür aber auch die europäische Konstellation. Da die Verbindung Österreichs mit Frankreich Tragfähigkeit und Dauer erwies und Friedrich nach den mit Lord Bute gemachten Erfahrungen kein Vertrauen in Englands Beständigkeit [143] setzte, suchte er Anlehnung beim Zarenreich, und in der Tat gelang es, Rußland fünfzehn Jahre lang als Bremshebel gegenüber der österreichischen Politik zu gebrauchen. Die Annäherung wurde mit aller Kühle und wachsamer Vorsicht eingegangen, um unliebsamen Belastungen von seiten des neuen Bündnispartners zu entgehen. Der Zweischneidigkeit dieser Beziehungen blieb sich Friedrich ebenso bewußt wie früher Frankreich gegenüber. Schon gar nicht wünschte er die russische Bürgschaft für seinen preußischen Besitzstand dadurch zu erkaufen, daß er für die polnischen oder für die orientalischen Pläne der Kaiserin Katharina das Blut seiner Landeskinder opfern müsse. In diese Lage kam er nicht. Eigenartige Zusammenhänge des europäischen Kräftespiels gestatteten dem König sogar, einen Landerwerb zu machen, der mit keinem Einsatz verbunden war. In feinem diplomatischem Spiel wurde er Nutznießer der Spannung, die zwischen Wien und Petersburg über Balkanfragen entstand. Österreich und Rußland nämlich konnten nicht über das Ausmaß der Länderbeute an der unteren Donau einig werden, die das Zarenreich auf Grund seines letzten siegreichen Türkenfeldzuges ins Auge faßte. Indem die Besitzgier der beiden Ostreiche auf das schwache, in Zersetzung übergegangene Polen abgeleitet wurde und dort ein Feld friedlicher Verständigung fand, entspannte sich die aufzüngelnde Feindschaft der beiden Nebenbuhler. Die erste polnische Teilung (1772) befriedigte ihren Landhunger, und Friedrich, der ehrliche Makler, gewann dabei durch die Gebiete an Weichsel und Netze etwas Lebenswichtiges, die unentbehrliche Landbrücke zwischen seinen übrigen Besitzungen [144] und dem abgesprengten, sonst in der Luft schwebenden deutschen Ordensland. Erst jetzt wurde Ostpreußen so richtig verteidigungsfähig. Die polnischen Teilungen waren zwar Akte fürstlicher Kabinettspolitik und atmeten den Geist eines Jahrhunderts, das über Länder und Reiche ganz von oben her, ohne Rücksicht auf Sprach- oder Blutsgemeinschaft verfügte; Untertanen und Völker wurden nicht nach ihrem Willen befragt. Offen hat denn auch der König bekannt, er habe einfach die Gelegenheit beim Schopfe ergriffen. "Sollte Preußen mit leeren Händen ausgehen, während Rußland und Österreich zugriffen?" Mit diesen Worten hat später Goethe Friedrichs Handlungsweise gerechtfertigt.

Westpreußen selbst hatte sich nie ganz in die Gemeinschaft mit Polen eingelebt. Die Deutschen, besonders die Protestanten, begrüßten Friedrich, wie einst in Schlesien, als Befreier. Aber auch die stumpfere Masse der Bevölkerung taute auf, als sie endlich nach langer Verlotterung die Vorzüge einer geordneten Rechtspflege und Verwaltung, als sie die wirtschaftliche Aufbauarbeit des preußischen Staates und den Segen der Volksschule kennenlernte. All dies kam besonders dem heruntergedrückten Bauerntum und den vernachlässigten Städten zugute. Ein Ansiedlungsdorf nach dem andern wuchs empor, und obwohl dem König germanisatorische Gesichtspunkte fernlagen, strömte neben ausländischen Einwanderern deutsches Volkstum aus entfernteren Gebieten des Reichs in Gestalt von Pfälzern, Mecklenburgern, Schwaben und Friesen ein. Aber auch den polnischen Bevölkerungsteilen in Stadt und Land wurde ein glücklicheres Los unter der Preußenherrschaft als unter der Mißwirtschaft des polnischen Adels zuteil. So war diese Leistung des Einzelstaates zugleich an Deutschland getan, nicht auf kurze Zeit, sondern – so meinte Lentulus, einer der Gehilfen des Königs bei diesem Aufbauwerk – auf Jahrhunderte!

Friedrichs Politik der Spätzeit wird gern mit der Bismarcks verglichen: auch hier folgt der revolutionären Tatenfülle das Streben nach Erhaltung des Eroberten und die Abweisung feindlicher Koalitionsgefahren, die es erneut in Frage stellen konnten. Noch einmal freilich mußte der alternde König zu den Waffen greifen, als Josephs des Zweiten flackernder Ehrgeiz nach dem Tode des Kurfürsten Max Joseph von Bayern einen Anlauf machte, im Süden Deutschlands die Herrschaft des Hauses Habsburg auf die wittelsbachischen Besitzungen auszudehnen und damit Österreichs Vormacht durchzusetzen. Die drohende Verrückung des Gleichgewichts rief Friedrich auf den Plan, klirrend trat der alte Gegensatz zutage. Wenn der König sich dagegen auflehnte, daß die von ihm selbst erkämpfte neue Machtverteilung in Deutschland umgestoßen werde, so lag das in der Linie seiner gesamten Regierung. Daß er seine Absicht durch den unblutigen Bayerischen Erbfolgekrieg (1778/9) erreichte, dessen matter Verlauf weit hinter den kühner angelegten Plänen des Königs zurückblieb und seinen Spott herausforderte, wurde abermals folgenreich für die gegenwärtige und künftige Stellung seines Staates im Ganzen Deutschlands.

[145] Noch einmal machte Joseph in einer durch Österreichs Annäherung an Rußland inzwischen veränderten europäischen Lage den Versuch, nach jenem alten Ziel habsburgischer Politik zu greifen, indem er sich bereit zeigte, die Niederlande, zum mindesten Teile davon gegen das Bayern Karl Theodors zu vertauschen. Die Gründung des Fürstenbundes (1785), den Preußen mit Hannover, Sachsen und vierzehn weiteren Reichsständen abschloß, war die Antwort des Königs, und tatsächlich gelang es ihm, mit diesem friedlichen Auskunftsmittel die drohende Gefahr zu verscheuchen und dem Kaiser Schach zu bieten. Unter einem Gewitter von Flugschriften trat Joseph den Rückzug in dieser Sache an. Mit feiner Hand, aber fast jugendlich festem Entschluß bediente sich der alte Mann all jener Bestrebungen der mittel- und kleinstaatlichen deutschen Fürstenwelt, die sich gleichfalls durch Josephs auftrumpfende Haltung, durch sein stetes Ausgreifen, durch seine Vorherrschaftsgelüste und seine Reichsbevormundung beunruhigt sah. Indessen, wenn zwei dasselbe tun, ist es doch nie das gleiche; denn die Bemühungen Karl Augusts von Weimar, Karl Friedrichs von Baden und des Fürsten Leopold Friedrich Franz von Dessau um Zusammenschluß gewannen durch den Beitritt des Königs und seine Übernahme der Führung einen anderen Sinn, aber auch einen wirklichen Machtkern, wie ihn diese Kleineren in ihrer Schwäche ohne Preußen nie hätten in die Waagschale werfen können. So wenig Friedrich im Bayerischen Erbfolgekrieg den Don Quichote der übrigen Reichsfürsten hatte spielen wollen, so wenig lag ihm jetzt die Erhaltung des Reichs an sich oder dessen Verjüngung am Herzen, von der einige der Vorläufer und Teilnehmer des Fürstenbundes geträumt hatten. Nichts deutete vorwärts im Sinne einer nationalen Reichsreform. Der Gegensatz zwischen Preußen und Österreich, Anfang und Ende der friderizianischen Regierung beherrschend, hemmte die festere Zusammenfassung und Gesundung des deutschen Volksganzen. Friedrich nutzte jene Gemeinschaft lediglich als Mittel, um einer österreichischen Machterweiterung entgegenzutreten; zugleich trat er damit aus der Vereinsamung heraus, in die er seit Rußlands Loslösung geraten war. Bei alledem dachte er nicht an Deutschland, sondern an Preußen, das Lebensgesetz, unter dem er stand. Mächtig hob sich durch diese letzte Schöpfung des alten Königs, so kurze Dauer sie haben sollte, das Ansehen seines Staates. Früher als ein Aufrührer gegen Kaiser und Reich verabscheut, wurde er jetzt als Beschirmer des Rechts verehrt. In kühlem Glanze stieg nochmals vor dem Verlöschen sein Gestirn empor.


Vor den grauen Haaren des Helden scheine der Tod Respekt zu haben, meinte Friedrichs Gegner und Bewunderer, Kaiser Joseph. Als aber

Totenmaske Friedrichs des Großen.
[144b]    Totenmaske Friedrichs des Großen.
[Bildquelle: Johannes Schulz, Berlin.]

Glasierte Gipsbüste von Johannes Eckstein, 1786.
Friedrich II. (der Große) von Preußen.
Glasierte Gipsbüste
von Johannes Eckstein, 1786.
[Die Großen Deutschen im Bild, S. 161.]
schließlich am 17. August 1786 das Ende kam, sah ihm der König mit Gleichmut ins Auge. Bis zuletzt hatte er den Qualen der Wassersucht Widerstand geleistet und war ungebeugt auf dem Posten geblieben.

[146] Der verwitterte Greis hatte seine Spätjahre in jener Einsamkeit gelebt, womit der geniale Mensch seine Größe bezahlt. Wie ein trüber Wintertag, kalt, hart und ohne Sonne lief sein Alter ab. Seine Hand war nicht leichter geworden, sein Verhältnis zur Umwelt schroffer, sein Tadel schneidender, so wie auch der Ausdruck seines Gesichts nun oft etwas Steinernes hatte. Sein Innenleben schien ausgebrannt zu sein!

Die rosigen Schleier, die fürs Auge des jugendlichen Aufklärungsenthusiasten noch über die Welt gebreitet waren, lagen zerrissen am Boden. Die praktische Moral bedeutete ihm jetzt viel mehr als alle philosophischen Leitsätze, und er war überzeugt, daß nur wenige Menschen der Wahrheit ins Auge zu sehen vermöchten, die Menge aber schon gar nicht. Der Erkenntnisoptimismus, den er mit seinem Jahrhundert geteilt, war weiser Zurückhaltung gewichen. Schicksalsglaube und Sichbescheiden vor den unübersteiglichen Schranken menschlichen Denkens waren an die Stelle getreten. Er verzichtete darauf, in das Undurchdringliche eindringen zu wollen. Aber in aller Skepsis lebte auch Ehrfurcht vor dem Geheimnis der Dinge. Fatalismus und Resignation hatten die Selbstherrlichkeit seines stolzen Geistes nicht gebrochen. Den Kirchen und ihren Glaubensbekenntnissen stand er nach wie vor fern, pfäffischem Geiste mit Abneigung gegenüber. Kühle Duldsamkeit war alles, was er den Kirchen entgegenbrachte, und wenn er überflüssige Eingriffe vermied, so geschah es ebenso aus der Achtung vor der Überzeugung anderer wie aus kluger Selbstbegrenzung staatlicher Macht. Er selber kannte keine grübelnde Sorge wegen eines zukünftigen Daseins; er war ohne Reue über das Vergangene. Auch im Tal des Todes wollte er nicht nach den Stützen greifen, die er auf der Höhe des Lebens verschmäht hatte. Der Mann, der einst für liebenswürdigen Umgang so empfänglich gewesen, war zum Menschenverächter geworden, wenn auch unter der Asche das alte Verlangen nach Freundschaft fortglimmte. Abgestreift war die tändelnde Grazie und der Goldschaum des Rokoko; längst hatte sich der genußfrohe Schwärmer in den politischen Asketen, der Schöngeist in den Kriegsmönch verwandelt, der Epikuräer in den Stoiker. Alles Persönliche und Allzumenschliche war aufgezehrt im Dienste am Staat und im Wirken fürs Volk. Er lebte nur noch in den Sachen, und es entsprach seinem Wirklichkeitssinn, daß er auch in den historischen Schriften, die er über die Geschichte seiner Zeit und den Siebenjährigen Krieg verfaßte, bei aller Leidenschaft und Schärfe in der Vertretung des eigenen Standpunktes Fehler, die er als Staatsmann oder Feldherr gemacht, unbefangen zugab. Er war groß genug, nichts beschönigen zu brauchen.

Einförmig, aber überwältigend dieses Dasein des Alten, des Einsiedlers von Sanssouci, dies eiserne Leben der Pflicht, vom

Holzschnitt von Adolph Menzel.
[135]      Friedrich der Große
in seinem Arbeitszimmer zu Sanssouci.

Holzschnitt von Adolph Menzel zu Kuglers "Geschichte Friedrichs des Großen", 1840.

[Bildquelle: E. A. Seemann Verlag, Leipzig.]
frühesten Morgengrauen bis in die Nacht über Akten und Berichten seines Kabinetts. Feldübungen, Truppenbesichtigungen, Dienstreisen, Empfänge von Ministern, Diplomaten und anderen Personen. Des Dienstes ewig gleichgestellte Uhr! Fridericus Rex: Verkörperung der Staatsräson, der Staat selbst!

[147] Unendliches wirkte dies Beispiel eines nach höchsten sittlichen Maßstäben vorgelebten Herrschertums auf Fürsten und Staatsmänner der Zeit, auf Freunde und Gegner. Überall formten sich Menschen nach seinem Bilde.

Friedrich hatte Preußen den gebührenden Platz im Rate der Mächte erstritten. Ein neuer Rhythmus war mit ihm in die Politik seines Staates eingezogen. Befehl und Gehorsam, Herrschaft und Dienst, diese Grundkräfte staatlicher Gemeinschaft waren der Welt in einer Größe entgegengetreten, die das Jahrhundert überstrahlte. Die Taten des Königs hatten sein Land einheitlicher zusammengeschmiedet; der Existenzkampf auf den Schlachtfeldern hatte es mit lebendiger Staatsgesinnung durchblutet; gestärkt und vergrößert ging es aus dieser Regierung hervor. Freier und selbstbewußter schaute fortan der Preuße um sich, und indem die Welt diesen Staat, der der Kargheit seiner Natur und seiner Mittel den Aufstieg zur Großmacht abgerungen hatte, achten und fürchten lernte, stieg das Ansehen auch des deutschen Namens, so wie das Heldentum der sieben Jahre auch die deutsche Bildung beflügelte, obwohl der König ihr geistig ferne blieb und ihren Aufschwung in seiner Schrift über die deutsche Literatur nur ahnend voraussagte.

Das Gefühl, den großen Mann zu besitzen, weckte den Stolz ja nicht bloß im alten Gleim, sondern in Tausenden von Menschen, die zwar nicht preußisch, aber fritzisch gesinnt waren, wie Goethe in seiner Jugend. Mit Recht hat Kant das Zeitalter nach dem Genius auf dem Thron benannt.

Friedrich hat die seit Heinrich dem Löwen, seit den Tagen des preußischen Ordensstaates und der deutschen Hanse einschneidendste Kräfteverlagerung unserer Geschichte angebahnt, auch darin ein Revolutionär, wie er von vielen Zeitgenossen empfunden wurde: Endlich wieder setzte sich der lange vernachlässigte Osten in voller Wucht innerhalb Deutschlands durch mit allen herben, aber tieflebendigen Seelenkräften kolonialdeutscher Eigenart. Nordisches Stammestum und östliche Staatsbildung auf protestantischer Grundlage begannen der Vormacht des Südens und Westens des Reiches, verkörpert in dem katholischen Österreich, den Rang abzulaufen. Friedrichs Taten, zerstörend und aufbauend zugleich, bereiteten die großen Wendungen der vaterländischen Entwicklung vor, die nun in gewaltigen Kämpfen, Errungenschaften und Opfern die Erschütterungen des achtzehnten Jahrhunderts ins neunzehnte und zwanzigste fortpflanzen sollte, bis heran zu den Bitternissen, Hoffnungen und Forderungen der Gegenwart.

Indem Preußen von Friedrich zur Größe erhoben wurde, war es seitdem als Schicksalsträger in die deutsche Geschichte hineingestellt. Das Volk der Dichter und Denker hatte sich fortan mit der harten, aber erzieherischen Tatsache dieses nüchtern machtvollen Staatswesens auseinanderzusetzen, in dem die Wirklichkeit mehr bedeutete als der Schein, hatte Preußen in sein Bewußtsein und seinen Willen aufzunehmen. Der preußische Geist aber der Einfachheit, der Zucht und der Hingabe, der Wehrhaftigkeit und des Mannesmutes behauptete sich über alle [148] Wandlungen und Brüche der staatlichen Form, über innere Erschlaffung und

Reiterstandbild Friedrichs des Großen.
Reiterstandbild Friedrichs des Großen
in Berlin, von Christian Daniel Rauch.
[Nach wikipedia.org.]
äußeren Niedergang hinweg als etwas Unzerstörbares, indem er ins Idealbild deutschen Wesens mit einging. In allen großen Stunden unseres Volkes, in den Befreiungskriegen, in den Kämpfen der Bismarckschen Reichsgründung, in den Schauern des Weltkrieges und den Tagen nationaler Wiedergeburt war denn auch Friedrich der Große, von jedem politischen Geschlecht neu angerufen, gegenwärtig, sandte sein Werk neue Kraftströme aus.

Die Welt hat sich einst in seinem Zeichen umgebildet und wird sich immer wieder in ihm wandeln, solange sein Andenken Leben und Wirkung erzeugt. So behält Goethes Wort, Friedrich der Große sei der Polarstern geblieben, um den Deutschland, Europa, ja die Welt sich zu drehen scheine, seinen tiefen, seinen unerschütterlichen, seinen ewig sich verjüngenden Sinn, sofern wir nur selbst entschlossen sind, in Friedrich das Große, das Unvergängliche zu verehren, zu wollen und zu tun!




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Die großen Deutschen: Neue Deutsche Biographie.
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