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[Bd. 1 S. 627]
Heinrich Schütz, 1585 - 1672, von Friedrich Blume.

Heinrich Schütz.
Heinrich Schütz.
Gemälde von unbekanntem Künstler.
[Die Großen Deutschen im Bild, S. 111.]
Das Schicksal der deutschen Kunst und Musik entscheidet sich jeweils von neuem im Austrag des beständig währenden Kampfes zwischen germanischem und romanischem Geist. Weltgefühl, Lebensstil und Kunstwollen der beiden Völkergruppen unterliegen fortdauernd gegenseitiger Wechselwirkung, Anziehung und Abstoßung. In gewissen Abständen kehren diese Auseinandersetzungen wieder, deren Wellenzug im wesentlichen auf die gleiche Weise verläuft. Der deutsche Geist, stets empfänglich für die ihm von anderen Völkern zuströmenden Gedanken, eignet sich lebhaft das Fremde an, macht es sich in raschester Folge erst dienstbar, dann gemeingebräuchlich, dann artähnlich und verwandelt es binnen kurzer Frist, oft schon innerhalb einer einzigen Altersschicht so gründlich, daß das deutsche Ergebnis mit dem fremden Urbild nur noch Grundgedanken und Umriß gemein hat, seinem Wesen nach aber unverkennbar eigentümlich deutsche Züge trägt. Im Erobern, Durchdringen und Verwandeln verläuft ständig ein entscheidender Teil deutscher Kunstübung. Die größten Gestalten der deutschen Geschichte erstehen in diesem Ringen. Sie tragen den Kampf in ihrem eigenen Leben und Schaffen aus und fällen Entscheidungen, die jeweils für lange Dauer das Gepräge der deutschen Kunst bestimmen. Ihre Größe liegt in der Verantwortlichkeit und der Kraft, mit der sie die Entscheidung treffen, und mit der sie überzeugend die Führung an sich reißen. Indem sie das tun, werden sie jeweils für ihr Zeitalter die großen Gesetzgeber der deutschen Kunstübung. Diese Stellung hat Heinrich Schütz gemein mit Dürer, Haydn, dem Meister der Naumburger Stifterbildnisse und Fichte.


Für die Jugendzeit Schützens gilt, daß in der Musik "deutsche Art" gleichbedeutend war mit "lutherischer Art". Luthers Anschauung, ältestes christliches Gedankengut neuprägend, sah in der Musik die sittliche Macht, die erziehend und läuternd auf den Menschen einwirkt und ihn, ähnlich Schrift und Lehre, zum Empfang der göttlichen Gnade bereitet. Nur in der Beziehung auf Gott erhält alle Musik Sinn und Wert, geleite sie den Menschen durch Tages- und Jahreskreis, versinnbildliche sie beim Meßopfer die Vereinigung von Gottheit und Menschheit, oder diene sie zur Veredlung des weltlichen Lebensgenusses. Die Gesamtheit ist ihr Träger, an die Gemeinschaft, nicht an den Einzelnen richtet sie sich. Die "Gemeinde der Heiligen", durchwaltet von der Kraft des allgemeinen [628] Priestertums, bildet sich in der Musik ab. Selbstgesetzlichkeit kommt der Musik nur mit Beziehung auf die innere Ordnung des Tonstoffes, Selbstwert kommt ihr nicht zu. Dienerin am Sinn der Welt ist sie und gestattet dem Menschen nicht, sein Menschlichstes und Eigenstes, sein Fühlen und Wähnen auszusprechen. Eine harte Kunst, deren Gesetz die göttliche Weltordnung ist und das, worin diese sich äußert: die Heilige Schrift und ihre gleichwertige Nachbildung im Liede, die gottesdienstliche Form, das Wort. Ihre Aufgabe, Sinnbild solcher Ordnung zu sein, erfüllt sie, indem sie den jeweiligen Inhalt unangetastet und unverwandelt zur Darstellung bringt, ihn in einer Sprache des Nichtwirklichen ausspricht, ihn in einen Daseinskreis des Nichtdiesseitigen erhöht. Form ist Sinnbild. Den sinntragenden und formgebenden Grundweisen wohnt jeweils ein fest umrissener Gedankengehalt inne. Diesen Gehalt gilt es: nicht Selbstgewähltes; darzustellen gilt es: nicht auszudrücken; Form als Sinnbild und Abbild: nicht als Niederschlag des Gefühls; Gesetz: nicht Freiheit; Dienst: nicht Selbstwert.

Aus solcher Artung prägt die Musik ihre Formen und ihre Menschen. Formen, die nur auf die Darstellung einer Gesamtheit und ihres Verhältnisses zur Weltordnung gerichtet sind und keinen Anspruch erheben, selbstwertig aufgefaßt zu werden und die Seele des Einzelnen zu treffen. Menschen, die als Höchstes in sich den Beruf fühlen, die Sprache dieser Gesamtheit zu sprechen, Wort und Lehre aus diesem Geiste jeweils erneut lebendig zu machen, nicht ihr Ich in der Form auszudrücken, ihr eigenes Menschentum der Gesamtheit entgegenzustellen. Die Kirchenliedmotette und der lutherische Kantor sind die Zeugen dieses Geistes. Sie haben gelebt, solange die lutherische Musik in lebendiger Entfaltung blieb. Seb. Bach vollendete in seiner Spätzeit zum letzten Male die Gestalt des lutherischen Erzkantors, die zum ersten Male von Luthers Freund Johann Walther, dann in der umfassendsten Weise von Schützens älterem Zeitgenossen Michael Praetorius ausgeprägt worden war. Bachs späte Liedkantaten sind letzte ragende Zeugnisse des gleichen Geistes, der 200 Jahre früher die lutherischen Liedmotetten prägte, wie sie Georg Rhaw in Wittenberg in umfassender Sammlung gedruckt hatte.

Während alles, was sich aus Luthers Geist für die Musik gebildet hatte, bestehen blieb, wuchsen doch gleichzeitig der deutschen Musik um die Wende des 16. Jahrhunderts aus Italien neue Kräfte zu. Vielfältig verschlungene Vorgänge und Anlasse öffneten dem neuen Wesen das Tor. Die kirchlichen Streitigkeiten um das Erbe Luthers, das Vordringen der Lehre Calvins, die Feindschaft zwischen den Vertretern beider, die zur Abschnürung des Luthertums im Konkordienwerk führte, der landeskirchliche und kleinstaatliche Zerfall, die innere Zersetzung der Lehre durch das Vordringen der Forderung nach ihrer vernunftgemäßen Begründung, der immer nachdrücklicher erhobene Anspruch auf wörtliche Befolgung und erörterungslose Dauergeltung der jetzt als Vorschrift verstandenen Weisungen Luthers, das alles hatte den Boden für die Musik ebenso unterhöhlt wie für die gesellschaftliche und staatliche Ordnung. Wuchs die Volksstimmung immer [629] deutlicher zur heftigen Feindschaft gegen den nachtridentinischen Reformkatholizismus an, so konnten doch die maßgebenden Theologen Kursachsens, Polykarp Leiser und nach ihm Hoë von Hohenegg, der als Kursächsischer Oberhofprediger und Kurator der Dresdner Hofkapelle langjähriger Vorgesetzter Schützens wurde, zweifeln, ob im Falle eines Krieges das Luthertum auf die Seite der römischen Kirche gegen den Kalvinismus gehöre oder alleinzustehen habe – eine Einigung mit den kalvinistischen "Sektierern" lag außer Betracht. Zur gleichen Zeit bewirkte die ständische Umschichtung, daß die deutsch-lutherisch geartete Musik mehr und mehr in die Hände des städtischen Bürgertums überging, während sich in den höfischen und den ihnen nahestehenden geistig führenden Kreisen neue, abgesonderte Ziele bildeten.

Die Spaltung zwischen verschiedenen, die Musik tragenden Schichten bildete eine weitere Einfallspforte für neue Strömungen. Im Bilde der neuen Kunstrichtung tritt scharf die Ausrichtung auf das Einzelmenschentum hervor. Die Persönlichkeit, die den Anspruch erhebt, sich aus eigener Kraft und eigener Vernunft selbstverantwortlich mit der Weltordnung auseinanderzusetzen, und die selbstherrlich der Gesamtheit als Führer und Prediger gegenübertritt, muß sich notwendig in der Musik anders ausprägen als eine Gemeinde, innerhalb deren der Einzelne nur Glied der allgemeinpriesterlichen Gleichberechtigung ist. Endlich wirkt die gesamte, vor dem dreißigjährigen Kriege sich vollziehende Umschichtung sich in einer Verschiebung der weltanschaulichen Grundlage der Musik aus: neben jene gottbezogene und nur aus diesem Bezug sinnvolle tritt eine neue Art von Musik mit dem Anspruch auf Selbstgeltung und Selbstwert, Musik, in der der Einzelmensch sein Erlebnis ausdrückt. Die Willenskundgebung des Einzelnen gilt es: nicht eine allgemeingültige Aussage; die seelische Haltung: nicht den gegebenen Inhalt; die Vermenschlichung des Stoffes: nicht seine Erhöhung in eine jenseitige Welt; Ausdruck: nicht Darstellung; Herrentum: nicht Dienst.

Es liegt notwendig in der Richtung solchen Kunstwillens, daß schließlich die Beziehungsmitte nicht mehr Gott sein kann. Der Ausdruck persönlichen Selbstbewußtseins muß dort gipfeln, wo die Persönlichkeit am reichsten und großartigsten sich entfalten und selbst Mitte werden kann: im Fürsten. Eine Musik, deren Ziel in der Verkörperung fürstlicher Allgewalt liegen sollte, bereitete sich vor. Aber in Deutschland bildete sich der Gegensatz zwischen dieser und einer gottbezogenen Musik nicht so scharf und nicht so einseitig aus wie bei den romanischen Völkern. Die fürstliche Allgewalt wurde in Deutschland zum Gottesgnadentum und behielt auf lange Zeit jenes halbreligiöse Gepräge, das es auch der Musik ermöglichte, Gegensätze, die letzten Endes unvereinbar sind, in sich zu verschmelzen, ja, gerade aus diesem Widerspruch besonderen Reichtum zu ziehen. In die Gestaltgrundlagen der Musik und in die Aufgabe des Musikers griff diese Wendung tief und unmittelbar ein. Dem Bilde des lutherischen Kantors trat der höfische, das will für Deutschland sagen: der vorwiegend religiös gerichtete, seiner Formensprache und Ausdrucksweise nach höfische Musiker, der Liedmotette alten Stils [630] das "Konzert" mit seinen monodischen und konzertierenden Stilmitteln zur Seite. Während aber bei den romanischen Völkern mehr und mehr der geschichtliche und sagenhafte Stoff, in dem man sein eigenes Gesicht hineinspiegelte, bevorzugt und die geistliche Musik zur Nebenform der höfisch-weltlichen wurde, erlebte sich der deutsche Mensch am religiösen Stoff, gegen den noch für lange hinaus weltliche Stoffe in den Hintergrund traten. Durch diesen gemeinsamen Urgrund alles Lebens, Denkens und Fühlens blieben im deutschen Volkstum die höfisch-bildungshaften und bürgerlich-kirchlichen Schichten aufs engste miteinander verbunden und vor dem entschiedenen Auseinanderfall bewahrt, der in Frankreich und Italien sich rasch vollzog. Hierin liegt der reichste Kraftquell der deutschen Musik im 17. Jahrhundert. Der junge Bach und der junge Händel haben das Bild des "höfischen Musikers" zum letzten Male vollendet ausgeprägt, dessen höchste Entfaltung mit dem Namen Schütz verknüpft ist.

Den äußeren Lebensgang prägte die innere Berufenheit. Geboren in Köstritz a. d. Elster (8. Oktober 1585), wuchs der Knabe in Weißenfels in wohlhabenden bürgerlichen Verhältnissen auf. Der Vater besaß und bewirtschaftete dort den Gasthof "Zum Schützen", das Stammhaus der Familie. Die großen religiösen Erschütterungen, die in die Jugend des Pfarrerssohnes Michael Praetorius zur gleichen Zeit tief eingriffen, scheinen an den frühen Jahren Schützens ohne Spuren vorbeigegangen zu sein. Erzogen in den überlieferten Anschauungen seiner Schicht, gebildet an einer humanistischen Lateinschule, beheimatet in einem gefestigten Lebensstil und einer schon damals in sich geschlossenen heimischen Musiküberlieferung, wuchs der junge Schütz heran. Wäre er in dieser Umgebung verblieben, so würde er wohl nie den Musikerberuf ergriffen haben. Der Vater wünschte eine Ausbildung des Sohnes zum Juristen, und sein ganzes Leben hindurch hat Schütz den Verzicht auf diesen Beruf als Verlust betrachtet.

Ein schicksalhaftes Ereignis riß den Knaben aus dem gewohnten Kreise. Landgraf Moritz von Hessen nahm auf einer Reise 1598 im "Schützen" zu Weißenfels Wohnung und fand Gefallen an der Sopranstimme und den musikalischen Fähigkeiten des Kindes. Er wünschte, den Knaben an seinen Hof zu bringen und ihm die damals übliche Musikerlaufbahn dadurch zu eröffnen, daß er ihn als Diskantisten in die Hofkapelle aufnahm und sich verpflichtete, ihn überdies "in allen guten Künsten und löblichen Tugenden" erziehen zu lassen. Nach einigem Zögern brachte der Vater am 20. August 1599 den noch nicht 14jährigen nach Kassel. Der geistig bedeutendste unter den damaligen deutschen Fürsten übernahm damit die Sorge für einen jungen Menschen, der einmal das Schicksal der deutschen Musik für sein Jahrhundert bestimmen sollte. 17 Jahre enger und, wie es scheint, später fast freundschaftlicher Verbindung standen bevor.

Landgraf Moritz war ein in allen Geistesgebieten bewanderter und zum Teil selbst schöpferischer Mann, bedeutend in der religiösen, politischen und militärischen Geschichte Deutschlands, von umfassendem Kunstverständnis und sicherem [631] musikalischem Urteil, selbst auch gern und mit guter Durchschnittsleistung als Komponist tätig. Er und sein Nachbar, Herzog Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel, unterhielten damals die besten Kapellen unter den Mittel- und norddeutschen Fürstenhöfen, denen an Größe nur die Dresdener überlegen war. Der Geist einer neuen Zeit wehte kräftig am Kasseler Hofe. Die Person des Fürsten erscheint hier schon nicht mehr als die des Landesvaters und ständischen Oberhauptes im alten Sinne. Selbstherrlichkeit und ein hohes Maß von Selbstbewußtsein haben Moritz von je ausgezeichnet und ihn später in schweren Kampf mit seinen Ständen und in ein tragisches Ende getrieben. Die Entfaltung eines Höchstmaßes von äußerem Glanze erforderte auch eine reiche Pflege der Musik. Englische Schauspielertruppen und Instrumentisten – deren Musik eben damals für ganz Deutschland vorbildlich zu werden begann –, italienische Gesangs- und Instrumentalvirtuosen wurden beschäftigt, üppige Feste mit allem Glanze begangen, der die Allgewalt des Fürsten erhellen und darstellen konnte. Religiöse Eigenmächtigkeit fehlt dem Bilde des Landgrafen nicht: 1605 zwang Moritz dem größten Teil seines Landes das reformierte Bekenntnis auf. Er selbst verfaßte eine Sammlung vierstimmiger Sätze zu Lobwassers Psalmenliedern für den Gottesdienst. In reichster Fülle entfaltete sich am Kasseler Hofe das geistige Leben der Zeit. Hier hat wohl Schütz, wenn er sich auch später dessen nicht immer bewußt war, die stärksten Antriebe seiner Entwicklung erfahren.

Einen Musiker von höchstem Rang an seinen Hof zu ziehen, mißlang dem Landgrafen mehrfach. Die Hofkapelle leitete Georg Otto, ein feiner und vornehmer Meister, der aus der Schule Johann Walthers hervorgegangen war. Bei ihm mag auch der junge Schütz seine musikalische Ausbildung erhalten haben, deren er freilich in seinem Lebenslauf vom Jahre 1651 nicht eben freundlich gedenkt. Die Grundlage einer um die Jahrhundertwende ausgeprägten, ganz besonderen deutschen Spielart des polyphonen Satzstils, die hier gelegt wurde, hat Schütz zeit seines Lebens nicht verlassen, selbst nicht in denjenigen Werken, in denen er eine scheinbar völlig gegenteilige Richtung einschlug. Weit mehr Gewicht aber dürfte der Heranwachsende auf den wissenschaftlichen Unterricht am "Collegium Mauritianum" gelegt haben, jener berühmten Lehrstätte, die Moritz gegründet hatte, und deren Oberleitung er selbst führte. Dort wurden die Söhne des Adels und der Offiziere zusammen mit den bevorzugten Kapellknaben erzogen, und dort hat Schütz den Grund zu seinen wissenschaftlichen Neigungen gelegt. 22jährig ließ er sich zusammen mit seinem Bruder Georg als Student der Rechte an der hessischen Universität Marburg einschreiben und betrieb seine Ausbildung so, daß er alsbald mit einer lateinischen "Disputation" hervortreten konnte. Der Landgraf aber stellte seiner eigenen Urteilsfähigkeit das beste Zeugnis aus, indem er den Widerstrebenden geradezu nötigte, seine musikalischen Anlagen weiter zu fördern. Das erzählte Schütz später selbst: "Es wurde aber solcher mein fürsatz (sonder zweiffel aus schickung Gottes) mir bald verrücket, In dem, nemblich, [632] Herr Landgraff Moritz einsten nacher Marpurgk kam (welcher die Zeit über, als an seinem Hoffe Ich für einen Capellknaben mich gebrauchen lassen, vielleicht vermercket haben mochte, ob zu der Music Ich von Natur in etwas geschickt were) und nachfolgenden Vorschlag mir thun lies: Weil dero Zeit in Italia, zwar ein Hochberümter, aber doch zimlich alter Musicus und Componist noch am Leiben were, So solte Ich nicht verabseumen, denselbigen auch zu hören, undt etwas von ihm zu ergreiffen, undt ließen hochgedachte Ihre Fstl. Gnaden, zu Vollstreckung solcher Reise, mir zugleich ein Stipendium von 200 thlrn jährlichen anpraesentiren, welchen Vorschlag dann (als ein junger, und die Weld zu durchsehen auch begieriger Mensch) Ich zu unterthenigem Danck ganz willigst annam, und darauff Ao. 1609 gleichsamb wieder meiner Eltern Willen, nacher Venedig fortzog."

Der "zimlich alte Musicus und Componist" war Giovanni Gabrieli, der in Wirklichkeit damals erst 52 Jahre zählte. Schütz genoß seinen Unterricht 2 Jahre lang und blieb, als sein Stipendium ablief, auf eigene Kosten noch ein weiteres Jahr in Venedig, bis zum Tode seines Lehrers (1612), der ihm in freundschaftlicher Gesinnung von seinem Sterbelager aus einen Ring übersandte. Gabrieli war damals der musikalische Lehrmeister Europas. Selbst in engen Beziehungen zu Lasso stehend, befreundet mit H. L. Haßler, wurde er der Bildner einer ganzen Schicht jüngerer Musiker, unter denen sich neben Schütz eine ganze Reihe deutscher und nordischer Namen findet: Hans Nielsen, Mogens Pedersön, Melchior Borchgrevinck, Niels Kolding, Johann Grabbe. Das Gesellenstück, das fast ein jeder von ihnen, so auch Schütz im Jahre 1611, als Zeugnis einer abgeschlossenen Ausbildung vorlegte, war ein Buch italienischer Madrigale. Schütz widmete das seinige dem Landgrafen.

Mit der Rückkehr aus Italien (1613) war ein erster Teil von Schützens Lebensgang abgeschlossen. Für einen Künstler seines Zeitalters außergewöhnlich spät zur Musik gekommen, war er mit 28 Jahren noch nicht zum Beruf entschlossen. Im Gegenteil, fast ein Widerwille spricht aus seinen Worten: "und dahero mich fast sehr gereuet gehabt, das von denen auff den Teutschen Universiteten gebreuchlichen, und von mir albereit ziemlich weit gebrachten Studiis Ich mich abgewendet". Infolgedessen beschloß er, mit seinen "in der Music nunmehr gelegten gueten fundamenten, noch etliche jahr zurücke, und mit denselbigen sich gleichsamb verborgen zu halten" und auf seiner Eltern Rat die Musik "als eine Nebensache zu tractiren", die "vorhin außer handen gelegte Bücher wieder hervorzusuchen" und in Leipzig das Rechtsstudium wieder aufzunehmen. Abermals jedoch, zum dritten Male, griff der Landgraf entscheidend ein und berief den Zweifelnden nach Kassel in die Stellung eines Hoforganisten.

Was die deutsche Musik an lebendigen Überlieferungswerten in sich barg, war in Schütz aufgegangen. Die venezianische Schulung hatte Neues dazugefügt: die Neigung zum Klangschönen und Klangsinnlichen an sich, die Fertigkeit der Satzbehandlung und die Kunst, eine bis dahin ungekannte Fülle vielfältiger und [633] gebrochener Farben auszugießen, einzelne Bilder, Bewegungen, Vorstellungen musikalisch nachzuzeichnen. Die Behandlung großer Besetzungskörper, die Gegeneinanderstellung von Sologesang, mehreren Vokal- und Instrumentalchören, die Kunst der Gegensatzwirkungen schlechthin zur Vergegenständlichung und sinnlichen Veranschaulichung des Stoffes, ja schließlich zu einer Art dramatischer Zuspitzung zu nutzen, durch den Wechsel der Farben, Bewegungsformen, Lagen und Klänge die Teile des Musikwerkes in Spannungsverhältnisse hineinzusteigern, die Fülle der Gesichte und die Ballung der Erregungen aber nicht zerfallen zu lassen, sondern sie in die eherne Gewalt großer Gruppenformen zu bannen, das hat Schütz von Gabrieli gelernt. Dafür legte er mit seinem ersten großen geistlichen Druckwerk, den Psalmen Davids sampt etlichen Moteten und Concerten (1619) Zeugnis ab. Die 26 mehrchörigen Kompositionen dieser Sammlung (zusammen mit einigen ungedruckt gebliebenen und einigen Gelegenheitsarbeiten) entfalteten das Äußerste, was an Pracht und Farbigkeit denkbar war. In ihrer wuchtigen Klarheit und ihrer scharf gemeißelten Sprache wiesen sie voraus auf die Wendung, die bald bei Schütz eintreten sollte. Trotz allem bleiben sie im Grunde überlieferungsgebunden und vereinbar mit deutsch-lutherischer Musikanschauung. Begann auch der Komponist bereits als Prediger und Deuter aus der Gesamtheit herauszutreten, begann die Musik, sich an die Seele des Einzelnen zu richten und sein Erlebnisvermögen anzusprechen, so waren doch alle diese Werke noch aus dem Gefühl der Verpflichtung an das Wort und aus einer Haltung entstanden, die noch die übermenschliche Geltung des Gegenstandes spürbar werden läßt. Deutsch und Italienisch, Überlieferungstreue und Drang zur Selbstgeltung halten sich die Waage. Eine Entscheidung zu alten oder neuen Bahnen ist noch nicht getroffen.

Wieder klingt es wie entsagende Fügung in eine aufgezwungene Bestimmung, wenn Schütz von seiner endgültigen Berufswahl sagt: "Es schickete es aber Gott der almechtige (der mich sonder zweiffel zu der Profession der Music von Mutterleibe an abgesondert gehabt)", daß ihm 1614 vorläufig und 1615 für die Dauer die Leitung der Kurfürstlichen Hofkapelle in Dresden angeboten und hierdurch seinen "umbschweiffenden gedancken ein Ziel gestecket" wurde. Das Amt als Bürde, als von Gott auferlegte Last, das ist ganz lutherisch empfunden, denn es bedeutet den Dienst an einer fordernden Aufgabe und den Verzicht auf die freie Entfaltung der natürlichen Persönlichkeit. Äußerlich war die Berufung an den Hof des Kurfürsten Johann Georgs I. von Sachsen ein beispiellos glänzender Aufstieg. Schütz war Anfänger, ohne praktische Erfahrung, eigentlich noch nicht einmal Berufsmusiker, als ihm die Leitung der bedeutendsten Hofkapelle des protestantischen Deutschland übertragen wurde. Der erhaltene Briefwechsel zwischen Landgraf Moritz und dem Kurfürsten beweist, höchst ehrenvoll für Schütz, wie stark sich beide der Einzigartigkeit dieses Mannes bewußt waren. Das Amt, das der Dreißigjährige übernahm, hat er mit wenigen Unterbrechungen bis zu seinem Tode, 57 Jahre lang, getragen – auch später als Bürde empfunden. In geistiger Hinsicht konnte sich [634] der kursächsische Hof mit dem hessischen so wenig messen wie der Kurfürst selbst mit der weit überlegenen Persönlichkeit des Landgrafen. Zwischen Kleinlichkeit und Prahlerei schwankte das Wesen des Kurfürsten. Kirchliche Streitigkeiten beherrschten das Feld, und von der weltweiten Offenheit und vorausschauenden Großzügigkeit, die Moritz eigen waren, gab es hier keine Spur. Matthias Hoë von Hohenegg, Oberhofprediger und Kapellintendant, war der maßgebliche Mann. Lutherische Anschauung verengte sich in ihm zu gehässiger Streitsucht und aufgeblasener Selbstgerechtigkeit.

Dennoch gab es ein Tor, das Schütz den Weg ins Freie öffnete: der Hang des Kurfürsten zum Prunk und zu barocker Zurschaustellung seiner Person verlangte eine ausgedehnte Kapelltätigkeit und einen glanzvollen Erweis dessen, daß man in Dresden zu schätzen wußte, was neu und kostspielig war. Die Mittel flossen anfangs reichlich. Hindernisse wurden Schütz in keiner Beziehung in den Weg gelegt. In der Verpflichtung geübter Kräfte, im Bezug der neuesten italienischen Musikalien, im Kauf von Instrumenten, in der Ordnung der Kapelle ließ man ihm freie Hand. Prunkreisen, höfische Feste, Fürstentage, Hochzeiten, Taufen boten erwünschte Anlässe zu zeigen, was man vermochte. Kirchenmusik großen Stils wurde weniger gefordert als Kammer- und Tafelmusik, geistlichen und weltlichen Inhalts, vokaler und instrumentaler Besetzung, dazu für die Privatandachten des Hofes eine Art religiöser Kammermusik von erbaulicher Haltung, die weder an eine gottesdienstliche Form noch an die Versinnbildlichung bestimmter Lehrgehalte gebunden war. Das erste größere, für Dresden entstandene Werk, die Historia der fröhlichen und siegreichen Aufferstehung unseres einigen Erlösers und Seligmachers Jesu Christi (1623) ist "in Fürstlichen Capellen oder Zimmern umb die Osterliche zeit zu geistlicher Recreation füglichen zu gebrauchen". Hielt er sich in diesem Oratorium auch der äußeren Form nach an das Vorbild, das einer seiner Amtsvorgänger in Dresden, A. Scandellus, gegeben hatte, so verfolgte Schütz in Einzelheiten deutlich neue Ziele: die wirklichkeitsnahe, bildhafte Vergegenständlichung der Ostergeschichte und, in Ansätzen, die unmittelbare Wirkung auf die Seele des Hörers durch eine erregte, die Worte deutende musikalische Sprache. An weltlicher Unterhaltungsmusik sind aus dieser Zeit einige deutsche Madrigale, zum Teil nach Dichtungen von Martin Opitz, erhalten, die sich noch eng an die Kompositionen der venezianischen Lehrzeit anschließen. Von weltlichen Prunkmusiken ist einiges wenige auf die Nachwelt gekommen, Stücke im mehrchörigen Gabrieli-Stil, während die Musik zu einer Glückwunschkantate (1621) verlorengegangen ist.

Langsam, wie Schützens gesamte künstlerische Entwicklung verlaufen ist, bahnte sich der Weg zur neuen Musik. Während längst die Italiener die musikalische Sprache für den Ausdruck persönlichen Erlebens und seelischer Erregung in ihrer "Monodie", dem lebhaft wechselvollen Sprechgesang, und die Form einer neuen Kammermusik in ihrem von wenigen Stimmen besetzten, ebenfalls in lebhaften [635] Gegensätzen ablaufenden "Konzert" gefunden hatten, zögerte Schütz, dem diese Entwicklung gut bekannt war, noch immer, Ähnliches zu versuchen. Die ältere deutsche Musikanschauung band auch ihn mächtig. Ein ganz unbedeutender Splitter aus seiner Werkstatt, ein Grablied vom Jahre 1623, verrät nur eben Bekanntschaft und Beschäftigung mit den neuen Dingen. Dann aber steht plötzlich ein Meisterwerk in letzter Vollendung da, die lateinischen konzertierenden Motetten ("Cantiones sacrae") von 1625, das mit einem Schlage zeigt, wie weit sich Schütz, nunmehr 40jährig, von jenem älteren Musikwesen wegentwickelt hatte, und welch entschieden neuartige Wirkung nun von hier auf die deutsche Musik ausstrahlen mußte. Erstaunlich schon die äußeren Umstände: der erste Musiker des lutherischsten deutschen Kurfürsten widmete, schon während des großen Krieges, das Werk einem vertrauten Berater Kaiser Ferdinands II., dem Fürsten Ulrich von Eggenberg, und wählte für diese Sammlung die Texte völlig frei aus lateinischen Gebets- und Andachtssammlungen, die ihrer Herkunft nach jesuitisch-reformkatholisch waren, und die für den lutherischen Christen nur den Sinn frommer Betrachtung, mitfühlender Hingabe, bis zur schmerzzerrissenen Selbstzerfleischung oder bis zur wundersüßen Selbstaufgabe in der himmlischen Brautliebe haben, nie aber Ausdruck gemeindehaften Bekenntnisses oder Versinnbildlichung göttlicher Ordnung sein konnten. Der musikalische Stil war neu und in seiner Weise einzigartig: in feingewobenem, kammermusikalischem, vierstimmigem Satze wurde die heiße und leidenschaftliche Sprache der italienischen Ausdruckskunst angewendet. Zum ersten Male geschah es, und nun gleich mit voller Entschiedenheit und einprägsamer Wucht, daß ein deutscher Meister sich selbst, sein Innerstes und Eigenstes, Gefühl und Willen, Erlebnis und Haltung in Musik aussprach und von der Kraft seiner Persönlichkeit aus deutend, aufrüttelnd, erhebend, erschütternd und zermalmend seine Hörer packen und fortreißen wollte. Das Werk bedeutete die Wendung in Schützens Leben und in der Geschichte der deutschen Musik. Schütz hatte die Führung an sich gerissen, der erste Künder eines neuen Menschentums in der deutschen Musik. Während aber mit dem gleichen Schritt seine italienischen Zeitgenossen sich in bildungshafte Schöngeistigkeit und in die Sonderkunst einer bevorzugten Schicht zu verlieren begannen, fand Schütz, und hierin sollte sich alsbald seine volle Größe zeigen, nach diesem äußersten Schritt den Weg zu einer Durchdringung deutscher Überlieferung mit dem Geiste der neuen Zeit und der italienischen Kunst.

Es waren Jahre glückhaften Anstieges, in denen sich die Wandlung vollzog. Der künstlerische Ruhm Schützens mehrte sich. Beziehungen zu Freunden bahnten sich an, zu Joh. Hermann Schein, dem Leipziger Thomaskantor, zu dem Fürsten Heinrich Reuß Postumus, zu Opitz. Zum dänischen Hofe und zum Herzogshause von Wolfenbüttel erwuchsen Verbindungen, die für die Zukunft bedeutungsvoll wurden. 1619 gründete Schütz eine Familie. Seine Gattin, Magdalene Wildeck, schenkte ihm zwei Töchter. Sein Bruder Georg ließ sich als Rechtsgelehrter in [636] Leipzig nieder und vermittelte manche wertvollen Verbindungen; ihm komponierte Schütz 1619 als Hochzeitsmusik den Psalm 133 "Siehe, wie fein und lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen", gewiß nicht ohne Anspielung auf ihr eigenes gegenseitiges Verhältnis. Mit Kassel blieben Beziehungen bestehen; mit seinem dortigen Studiengenossen Christoph Cornet, der eben damals Nachfolger Ottos als Hofkapellmeister wurde, war Schütz durch Freundschaft verbunden. Da griff, auf der ersten Höhe des Glückes, das Schicksal hart ein. Nach 6jähriger Ehe wurde Schütz die Gattin entrissen, der er tief nachtrauerte. Ihm, der allmählich zum Meister und Vater der gesamten deutschen Musikerschaft aufstieg, die sich je länger desto mehr um ihn scharte und ihn uneingeschränkt als Berater, Schiedsrichter und Führer anerkannte, hatte es das Schicksal auferlegt, in seinem eigenen Leben mehr und mehr zu vereinsamen. Wenige Wochen vor dem Tode der Gattin hatte er deren Schwester die Grabmusik geschrieben. 1630 starb Schein in jungen Jahren, und Schütz komponierte ihm eine gewaltige Begräbnismotette auf die Worte "Das ist je gewißlich wahr". Vater und Schwiegervater wurden ihm in den nächsten Jahren entrissen, 1635 der Fürst Reuß, von Schütz mit der großartigsten Totenmusik beklagt, die je einem deutschen Fürsten gesungen wurde ("Musikalische Exequien", 1636). Den hierin verwendeten Text "Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren" mußte Schütz gleich in demselben Jahre 1635 noch einmal auf den Tod seines Freundes Cornet komponieren. Zwei Jahre später verlor er seinen Bruder Georg, ein weiteres Jahr danach seine ältere Tochter. Freude und Lebensgenuß wurden ihm in diesem Jahrzehnt für immer zerstört. Ein schweres menschliches Amt, ausgehend von der Sorge für seine Kapellmusiker und dann sich auf die gesamte Musikerschaft Deutschlands ausdehnend, hatte sich zu dem künstlerischen gesellt. Mußte dieses mit dem Verlust der freien Verfügung über die eigene Person und ihre Anlagen erkauft werden, so jenes mit dem Verzicht auf das Glück von Haus und Herd.

Vielleicht war es der Tod seiner Gattin, der Schütz zur Förderung einer Arbeit anregte, die als einzige Hausmusik unter seinen sämtlichen Kompositionen anzusehen ist, des Psalters nach Cornelius Becker (1628). Die Texte gehören zu der damals verbreiteten Gattung von Psalmennachdichtungen, die im Anschluß an die kalvinischen französischen Psalmlieder und deren deutsche Übertragung durch A. Lobwasser sich auch im lutherischen Bekenntnis einbürgerten und hier zunächst in der Regel auf ältere Kirchenliedweisen gesungen wurden. Bei Schütz handelte es sich aber nicht um Kirchenlieder, sondern um Lieder für Hausandachten: "... habe ich hiebevorn für meine Haußmusic und zu deren mir untergebenen Capellknaben frühe und AbendGebet etliche wenige newe Weisen... auffgesetzet". Ursprünglich waren es nur einzelne Lieder, die Schütz komponierte und mit einfachster vierstimmiger Akkordbegleitung versah. Dann aber "hat es Gott... gefallen, durch ein sonderliches HaußCreutz und durch den unverhofften Todesfall meines Weyland lieben Weibes, Magdalenen Wildeckin, mir solche führhabende andere Arbeit zu [637] verleiden und dieses PsalterBüchlein, als aus welchem ich in meiner Betrübnuß mehr Trost schöpffen könnte, gleichsam in die Hände zu geben". Mit 92 neuen und 11 alten Weisen ging das Buch zum Druck und wurde 1661 von Schütz noch mit den fehlenden Melodien zu den übrigen Psalmliedern versehen, nachdem Kurfürst Johann Georg II. es als Schul- und Kirchengesangbuch eingeführt hatte. In den Gemeindegesang ist keine der Weisen übergegangen, und so meisterhaft sie samt ihren Sätzen in ihrer knappen Klarheit sind, so bleibt doch unverkennbar, daß es sich für Schütz dabei nur um eine beiläufige Arbeit handelte. Eine kühle Sachlichkeit weht aus diesen Liedern: es war nicht die Form, in der eine Persönlichkeit wie er sich aussprechen konnte. Schütz hat denn auch diesen Nebenpfad nicht wieder beschritten.

Heinrich Schütz.
[624b]      Heinrich Schütz.
Zeitgenössisches Gemälde.
Leipzig, Universitätsbibliothek.
Der gerade Weg führte von den "Cantiones sacrae" weiter zu der selbstbewußten und hochgesteigerten Sprache einer Gruppe von Sologesangswerken. Voran stand unter ihnen die Oper "Dafne", deren Text Opitz nach Rinuccini bearbeitet hatte, und die zu einer Hoffestlichkeit in Torgau 1627 zur Aufführung kam. Die Musik ist verschollen, nur Vergleiche mit den mutmaßlichen italienischen Vorbildern lassen ahnen, wie sie geartet war. Wie stark es Schütz drängte, diese Richtung weiterzuverfolgen, lassen die dringlichen Gesuche erkennen, die er an den Kurfürsten um Urlaub zu einer Reise nach Italien richtete. Was ihn anzog, war insbesondere der dramatische Sprechgesang, der von Monteverdi und seinem Kreise, darunter besonders A. Grandi, in Venedig gepflegt wurde, möglicherweise auch schon der jüngste italienische Stil der römischen Schule (Frescobaldi, Carissimi). Schützens Schüler Kaspar Kittel, den er nach Venedig kommen ließ, hatte soeben in Rom seine Ausbildung vollendet. Ein Jahr lang, von 1629 bis 1630, hielt sich der Meister in Italien auf. Wie in seinen ersten Lehrjahren, ließ Schütz auch diesmal noch in Venedig selbst das erste Ergebnis seiner neuen Studien drucken, den ersten Teil der "Symphoniae sacrae", und bald nach seiner Rückkehr nach Deutschland mag deren deutsches Gegenstück, die "Kleinen geistlichen Konzerte", entstanden sein, die infolge der zunehmenden Kriegsnöte erst 1636 und 1639 zur Ausgabe gelangten. Die Bestimmung dieser Gruppe von Werken ist wiederum höfisch-kammermusikalischer Art: es ist auf eindringliche Aussprache einzelmenschlichen Erlebens abgesehen. An biblischen und Kirchenliedtexten erweist sich die selbständige Gewalt persönlichen Deutungswillens. Wie Schütz die Texte wählt, ordnet, gruppiert, ausscheidet, zurechtrückt, wie er die Worte und Sätze in scheinbar einfacher, in Wirklichkeit höchst verfeinerter und anspruchsvoller Weise vorträgt, hier betonend, dort dämpfend, hier vorantreibend, dort hemmend, hier in Schauern süßer Wonne lyrisch ausweitend, dort in die Schärfe schmerzlichen Entsetzens steigernd, überall Gegensätze türmend, Spannungen bis zum Zerreißen erzwingend, das alles aber in knappster und wiederum scheinbar einfachster Form zusammenballend, das läßt auch den heutigen Menschen noch das Feuer eines gewaltig ringenden, in sich widerspruchsvollen, aber zur [638] Einheit höherer Form sich schließenden Geistes nachfühlen. Mit bescheidensten Mitteln, meist einer oder ein paar wenigen Singstimmen, Generalbaßbegleitung oder, wie in den "Symphoniae", einigen wenigen, solistisch besetzten Instrumenten baute sich hier der ganze Reichtum einer völlig neuen musikalischen Welt in berückender Sinnlichkeit, packender Wirklichkeitsnähe, wilden Gefühlsausbrüchen und verstandesklarer Schärfe, dramatischen Verknotungen und befreienden Entladungen auf, unvergleichbar und von keinem anderen – deutschen oder außerdeutschen – Musiker in gleicher Gewalt wieder erreicht oder auch nur geplant. Außerhalb der Druckwerke kommt es zu ganzen musikdramatischen Szenen wie zu "Pharisäer und Zöllner", dem "12jährigen Jesus im Tempel" u. a. Wie im Gebiet der polyphonen Motette, das Schütz für zwei Jahrzehnte zugunsten des Sologesangs verließ, die "Cantiones sacrae", so bedeuten innerhalb des neuen Stils die "Kleinen geistlichen Konzerte" und der erste Teil der "Symphoniae sacrae" die entscheidende und geschichtsbildende Wendung.

Die Beschränkung auf kleine Besetzungen entsprach dem bildungshaften und anspruchsvollen Wesen dieser Musik, hatte aber auch äußere Anlässe. Der Krieg begann auch am Dresdener Hofe die Verhältnisse fühlbar zu beeinträchtigen. Der Kapellbestand sank von gegen 40 Mitgliedern um 1620 auf 10 um 1640. Die Leistungsfähigkeit ging darüber hinaus durch Abwanderung der besten Kräfte zurück. Die Anteilnahme des Kurfürsten verringerte sich in dem Maße, als politische Verwicklungen an die Stelle der früheren Prunkentfaltung traten. Rücksichtslos ließ er die Musiker verelenden. Schütz selbst hatte seine zweite italienische Reise aus eigenen Mitteln bestreiten müssen. 1630 schuldete ihm die Hofkasse 500 Gulden. Seiner eigenen Lage nicht gedenkend, suchte er der Kapelle durch Vorschläge neuer Ordnungen künstlerisch, ihren Mitgliedern durch eigene Opfer in väterlicher Weise wirtschaftlich aufzuhelfen. Er machte Eingaben über Eingaben an den Kurfürsten, er versetzte Wertstücke seiner eigenen Habe, um bei einzelnen Musikern die schlimmste Not zu mildern. Er beschwor das christliche und fürstliche Gewissen seines Brotherrn. Die meisten dieser Schritte blieben vergeblich. In den letzten Lebensjahren Johann Georgs I. (†1656) verschlimmerten sich die Zustände mehr und mehr, obwohl der Krieg vorüber war. Mit ehrlichem Zorn und ungeschminkter Deutlichkeit warf Schütz dem Kurfürsten seine Versäumnisse vor. Der Bassist hatte "aus Armut seine Kleider vor etlicher Zeit wieder verpfändet und ist seithero in seinem Hause, nicht anders als Eine bestie im Walde verwildert". "So vernehme ich, derselbe Stecke wie eine Saw im koben, habe kein bettwerck, liege auf stroh, hette albereit mantel und wambs versetzet". "In summa Ich befinde es weder löblich noch Christlich, daß bey so grossen landen nicht 20 Musicanten können oder wollen unterhalten werden." Ein andermal wußte er dann auch mit schmunzelndem Humor die Schwächen seiner Musiker zu decken: "Ist aber schade und immer schade um solche köstliche Stimme, daß sie aus der Capell verlohren gehen solle, was ists, das sonst an seinem Humor nichts sonder- [639] liches taugliches undt seine Zunge teglich in der Weinkanen will abgewaschen sein, alleine Eine solche weite gurgel bedarff auch mehr nässe als manche enge, und ob der guete Kerl seine geringe besoldung gleich auch richtig bekäme, würde sie doch zu grossen Bancketen nicht ausreichen, und wann man dieses Kerls gubernement und Haushaltung recht erkennen wolle, solle man ihm... sein gering bislein nur zu rechter Zeit geben lassen, als lange aber solches nichts geschieht, kann man ihm gleichwohl für einen grossen Verschwender auch nicht ausruffen".

Schütz selbst konnte sich dem Kriegselend zeitweise entziehen. Er nahm Urlaub nach Wolfenbüttel und Kopenhagen und wurde 1633 von König Christian IV. von Dänemark gegen hohe Besoldung als Oberkapellmeister angestellt. Briefe, durch die der Meister diese Berufung betrieb, lassen erkennen, daß er sich ganz als dramatischer Komponist fühlte. Zu Feierlichkeiten am dänischen Hofe komponierte er Schauspiel-, Ballett- und andere Bühnenmusiken, die aber, wie die "Dafne" und ein 1638 für Dresden komponiertes "Orpheus"-Ballett, ebenfalls verschollen sind. Mit Auszeichnungen überhäuft – der König beschenkte ihn reich und bezeichnete ihn in einem Briefe an den Kurfürsten als "seinen besonders lieben" Oberkapellmeister – verließ Schütz Kopenhagen 1635. Doch befand er sich 1637 schon wieder für kurze Zeit dort und hielt sich zum dritten Male mehr als zwei Jahre (1642–44) am dänischen Hofe auf. An den Güstrower, den Weimarer und den Wolfenbütteler Hof führten ihn mehrere Reisen. Mit dem letzteren verband ihn zeitlebens das Amt eines "Kapellmeisters von Haus aus" und ein fast freundschaftliches Verhältnis zu der Herzogin Sophie Elisabeth.

Inzwischen hatte der sächsische Kurprinz – nachmals Kurfürst Johann Georg II. – eine eigene Kapelle errichtet, die ebenfalls Schützens Oberleitung unterstand und leistungsfähiger war als die seines Vaters, mit der sie nach dem Regierungsantritt des neuen Herrn verschmolzen wurde. Dennoch hatte Schütz das Gefühl, seine Kräfte an einen verlorenen Posten zu vergeuden. Nach einer Erkrankung, die er 55jährig überstand, häuften sich seine Gesuche um Entlastung vom Hofdienst, um Dauerurlaub in seine Heimat Weißenfels, wo er ganz der Komposition und der Sammlung und Herausgabe seiner Werke leben wollte. Aber nur vorübergehend wurde ihm sein Wunsch gewährt. Von zunehmenden Lebensjahren und übermäßiger Anstrengung geschwächt, vermochte Schütz kaum noch, alle seine Pflichten zu erfüllen. 1651 brach er, 66jährig, in die bitteren Worte aus, die noch einmal seinem verlorenen wissenschaftlichen Beruf nachtrauerten: "das für meine person (ohngeachtet auch bey meinem nunmehr herangekommenen hohen alter, ich mir doch noch etwa eine fernere Reichs- oder Hansestadt zu meiner letzten Herberge auff dieser weldt erwehlen könte) Ich weis Gott lieber Einen Cantor oder Organist in einem kleinen Städtlein, als lenger bey solchem Zustand zu sein, da mir meine erste Profession verleidet, gut und mut entzogen wird ..." Aber erst der neue Regent, einer jüngeren Art von Musik zugeneigt, willfahrte [640] seinen Wünschen und entband Schütz vom regelmäßigen Dienst, beließ ihm aber Rang und Einkünfte und verpflichtete ihn, bei außerordentlichen Gelegenheiten zur Verfügung zu stehen.

Während dieser Jahre vollzieht sich eine innere Entwicklung, die von jenem äußersten Maße an Erregtheit des Ausdruckes und an persönlicher Bezogenheit gleichzeitig zu einer Beruhigung und einer allgemeineren Geltung hinführt. Der 2. und 3. Teil der "Symphoniae sacrae" (1647 und 1650; beide im Laufe längerer Zeit entstanden) verändern das Gepräge des ersten im Sinne entschiedener Abklärung und Lyrisierung. Eine größere Breite wird in Anlage und Ausführung sichtbar. Merklich verschiebt sich der erregte Sprechgesang in die Richtung einer mehr kantablen Behandlung der Singstimmen und mehr ariosen Formgebung. Die musikalische Erfindung löst sich von der wortwörtlichen Nachzeichnung ab zugunsten einer selbständigeren Thematik. Die Besetzungen wachsen, Chöre treten häufiger zu den Solostimmen. Damit wird gelegentlich der Anschluß an die "Psalmen Davids" von 1619 wieder erreicht, ohne daß jedoch der Ertrag der dazwischenliegenden Jahre sich verleugnete. Alles bleibt durchdrungen von dem Willen zu leidenschaftlicher Aussprache des Ich, geformt von verstandeshafter Gedankenschärfe, durchglüht vom Gefühl heißen Lebens. Aber das alles mildert sich, wird breiter, ruhiger, musikantischer und damit weniger abhängig von Bildungshöhe und literarischem Verständnis des Hörers. Eine mehr "absolute" Art Musik wird erreicht.

In gleicher Weise kommt es auch in einem oratorischen Werk, den "Sieben Worten Christi am Kreuz" (1645) zu einer mehr musikalisierten und gemeinverständlichen Komposition, die durch eine doppelte Umrahmung mit Liedbearbeitungen fast schon einer gemeindehaften Auffassung sich nähert, und in der die Wirklichkeitsnachbildung der früheren dramatischen Szenen einer Art Sinnbildswirkung weicht. Endlich verändert auf der gleichen Entwicklungsstufe die "Geistliche Chormusik" (1648), eine Sammlung deutscher Motetten zu 5 bis 7 Stimmen, auch für das Gebiet der polyphonen Komposition die Ziele in gleicher Richtung. Gegenüber den betont kammermusikalischen und rednerisch-ausdrucksvollen Wirkungen der "Cantiones" von 1625 zielen die Stücke der "Geistlichen Chormusik" weit mehr auf einfache, großartige, gemeinverständliche und oft geradezu volkstümliche Eindrücke. Dem Bürgermeister und dem Rat der Stadt Leipzig für den Thomanerchor in treuem Gedenken an dessen früheren Leiter, seinen verstorbenen Freund Schein, und mit freundlicher Beziehung auf den bisherigen "Director chori", Tobias Michael, den Sohn seines Dresdener Amtsvorgängers Rogier Michael, gewidmet, tragen diese Motetten äußerlich wie innerlich eine neuartige Bestimmung. Sie sind wirkliche Kirchen- und Gemeindemusik, deutscher Überlieferung und einem darstellenden, gemeindehaften Wortvortrag angenähert. Auch hier gibt es keine Zugeständnisse an Veraltetes: die erworbene Eigenart und der neue Geist prägen sich kräftig aus, unterschiedlich zwar, da die Entstehung der einzelnen Stücke sich über reichlich [641] 15 Jahre verteilt. Mit der "Geistlichen Chormusik" ist die erstrebte Verschmelzung zwischen Deutsch und Italienisch, selbstherrlich und gemeindehaft auf dem gemeinsamen Boden des religiösen Stoffes restlos erreicht und damit die deutsche Motette auf die Höhe ihrer Entwicklung geführt worden. Eine große Zahl weiterer derartiger Stücke, die Schütz in Vorrat hatte, blieb ungedruckt, einer der schmerzlichsten Verluste, den die deutsche Musikgeschichte aufzuweisen hat. Die gleiche Eindringlichkeit und Größe bei gleicher musikalischer Schlichtheit und Gemeinverständlichkeit hat die Gattung nicht wieder erreicht. Händel wurzelt in vielem hier ebenso wie Bach.

Daß die eingeschlagene Richtung nicht Willkür und nicht Zufall war, beweist auf das deutlichste die Gruppe von Schützens Alterswerken, die den Weg folgerichtig zu Ende geht. Sie beginnt mit einem Druckwerk, das 1657 ein Schüler auf Veranlassung des Meisters unter dem Titel Zwölf geistliche Gesänge herausgab. Gegenstand und Stil erweisen gleich unmißverständlich die Absicht. Während alle früheren Werke auf freier Textwahl beruht hatten, vereinigt diese Sammlung eine Reihe liturgischer Stücke, die eine gewisse innere Zusammengehörigkeit aufweisen, und aus denen man fünf heute zu einer "Deutschen Messe" zusammenzustellen pflegt, also Texte, die unmittelbar auf den Gemeindegottesdienst zugeschnitten sind. Dem fügt sich die Komposition, die z. T. aus echten Liedmotetten besteht und damit den Anschluß an die altkirchliche Überlieferung gewinnt, z. T. sich einer zwar freien und motettisch-polyphonen, aber gegenüber der "Geistlichen Chormusik" noch wesentlich vereinfachten Satzweise bedient. Aber auch für diese Sätze gilt, daß die vorhergehende Entwicklung sich nicht verleugnet. Nur ist alles in ihnen auf eine weitere, sehr fühlbare Vereinfachung und Entpersönlichung, eine mehr absolute, textunabhängige und gemeinverständliche Behandlung gerichtet, aus der sich wie von selbst oft ganz erstaunliche Rückwendungen zu einer weit älteren Art von Linienpolyphonie ergeben.

Damit nicht genug, wandte sich um 1660 der 75jährige Meister in bewundernswerter Rüstigkeit und Schaffensfreude mit noch größerer Entschiedenheit der klar erkannten Aufgabe zu, indem er dreimal die Leidensgeschichte komponierte, nach Lukas, Matthäus und Johannes (1665/66, die letztere auch in einer früheren Fassung). Diese Passionen verbinden in einer geschichtlich völlig einmaligen Weise gottesdienstliche Bezogenheit mit persönlicher Ausdrucksgewalt und dramatischer Schlagkraft. Indem sie die uralte kirchliche Vortragsweise der biblischen Geschichte aufgreifen und auf alle Begleitung sowie selbständige Betätigung von Instrumenten verzichten, passen sie sich unmittelbar den gottesdienstlichen Erfordernissen an. Indem sie die alte Vortragsweise im Sinne des neuen Sprechgesanges umgestalten, gelangen sie zu gefühlshafter Vermenschlichung und ergreifender Wirkung. Indem sie mit knappsten Chorsätzen das Volk sprechen lassen, erreichen sie die wuchtige Schlagkraft dramatischer Gestaltungsweise. Letztes und reifstes Ergebnis einer langen Entwicklungsreihe, leiden die Passionen kaum mehr einen Vergleich mit den "Sieben Worten" [642] oder der "Auferstehungshistorie", denen sie doch nach Gattung und äußerer Form nächstverwandt sind, und lösen die Aufgabe der "Historienkomposition" in einer ganz einmaligen Verbindung aller Erfordernisse. Eher läßt sich die Weihnachtsgeschichte, die der greise Meister 1664 im Druck erscheinen ließ, mit dem 2. und 3. Teil der "Symphoniae sacrae" in Verbindung bringen. Hier ist weder spannungsvolle Einheitlichkeit noch gottesdienstliche Haltung beabsichtigt, sondern die Erzählung aufgelöst in eine Abfolge lose gereihter und durch den Bericht des Evangelisten nur locker verbundener lyrischer Bilder, die sich eines breit geformten kantablen Sologesangs bedienen, reichlich Instrumentalfarben verwenden und durch mehrchörige Rahmenstücke zusammengehalten werden. Aber auch die Chormusik findet ihren letzten Abschluß in dieser Altersgruppe mit der riesenhaften (bisher nicht vollständig aufgefundenen) 11teiligen Komposition des 119. Psalms und dem 8stimmigen "Deutschen Magnificat" (beide 1671), das in vollendeter Klarheit und reifer Schönheit noch einmal im Sinne der "Geistlichen Chormusik" lutherisches Wesen und persönliche Ausdruckskunst vereint. Mit diesem Werk legte der 86jährige Meister die Feder aus der Hand. Er starb am 6. November 1672. Seine Freunde umstanden singend das Lager. In der alten Dresdener Frauenkirche (die 1727 abgebrannt ist) setzte man ihn an der Seite seiner Gattin bei.

Die gesamte Musikerschaft Deutschlands trauerte um Schütz, voran seine Schüler, unter denen eine Reihe vorzüglicher Komponisten sich befand. Christoph Bernhard hatte Schütz die Trauermusik komponiert, so, daß der Meister ihm hatte schreiben können: "Mein Sohn, er hat mir einen großen Gefallen erwiesen durch Übersendung der verlangten Motette. Ich weiß keine Note darin zu verbessern." In ihm und vielen anderen wie M. Weckmann, J. Theile, A. Krieger, lebte sein Geist fort, ohne daß eine eigentliche Schulebildung sich ergeben hätte. Die selbstherrliche Eigenart Schützens war eben nicht auf die nachahmende Tätigkeit einer Schülerschaft zu übertragen. Seine Wirkung war weniger eine unmittelbar weiterreichende, als eine richtunggebende und geschichtsbildende. In diesem Sinne sind Bach und Händel seine eigentlichen Nachfahren. In ihnen spaltete sich endgültig, was in Schütz noch eine Einheit gewesen war.


Schütz-Denkmal in Bad Köstritz.
Schütz-Denkmal in Bad Köstritz.
[Nach classical-composers.org.]
Die geschichtliche Sendung Heinrich Schützens beruht in der erstmaligen grundsätzlichen und vollständigen Durchführung einer neuen Anschauung von Sinn und Wesen der Musik. In ihr kam ein "natürliches" Menschentum beherrschend zur Geltung. Neue Ziele und neue Wege wurden gezeigt und gewonnen. Eine grundlegende und durchgreifende Umgestaltung des gesamten deutschen Musikwesens war die Folge. Schütz hatte Vorläufer, wie jede große geschichtliche Erscheinung. Die Entscheidungen aber fielen durch ihn, das Führertum lag in seiner Hand, von den Zeitgenossen freudig anerkannt und geachtet. Bis in die Zeit der Aufklärung [643] reichte seine Nachwirkung. Sie erlosch, als der gemeinsame Boden, auf dem Lebensstil und Geisteshaltung aller Schichten des deutschen Volkes beruhten, das lutherische Christentum als lebensformende und beherrschende Macht, ins Wanken geriet und von anderen Lebensmächten abgelöst wurde. Was auf anderen Gebieten und für andere Völker Descartes, Hugo Grotius, Bernini, das bedeutet Schütz für die deutsche Musik. Aber die Leistung ist eine doppelte. Sie besteht nicht nur in der Entfesselung aus Erstarrtem und im Zerschmettern von Überliefertem, im Durchbruch des freien und selbstverantwortlichen menschlichen Geistes, sondern in der Einschmelzung dieses neuen Lebensgefühls und Kunstwollens in eigentümliche und überlieferte deutsche Anschauung und Haltung. Als nach dem Weltkrieg in der deutschen Jugend die Flammen einer neuen Sehnsucht nach deutschem Wesen und religiöser Verinnerlichung emporschlugen, griff sie unbewußt nach Schütz. Vorher nur ein Name der Geschichte, erwachte er zu neuem Leben und neuer Wirkung. Nach 300 Jahren erneuerte sich ein Teil deutschen Volkstums an ihm, dem Unsterblichen.




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Hg. von Willy Andreas & Wilhelm von Scholz