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Der grenzdeutsche Gürtel (Teil 12)

Das Deutschtum in Elsaß-Lothringen

Das Maß ist voll bis zum Überlaufen! Dies ist das Stichwort, unter dem, siebeneinhalb Jahre nach der Besetzung des einstigen Reichslandes durch die Franzosen, der "Elsaß-Lothringische Heimatbund", eine eben entstandene Vereinigung von geborenen Elsässern und Lothringern, dortselbst an die Öffentlichkeit getreten ist. Damit ist eine Tatsache von noch gar nicht abzusehender Tragweite geschehen, eine Tatsache, die wir bis zur weiteren Klärung der nationalpolitischen Lage in Elsaß-Lothringen für sich allein sprechen lassen. Es ist nötig, daß unsere Volksangehörigen über dem Rhein, deren
Das Straßburger Münster

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      Linol(?)schnitt: Das Straßburger Münster.
gegenwärtiges französisches Staatsbürgertum an ihrer Blutzugehörigkeit zum alemannischen und fränkischen Stamm nichts ändert, unbeeinflußt über ihr Fühlen und Wollen mit sich selbst ins Klare kommen. Geht die Entwicklung so weiter und bleibt es auf der elsaß-lothringischen wie auf der französischen Seite bei der gegenwärtigen Einstellung, so wird das nachstehende Dokument, das vor sieben Jahren sicher niemand für möglich gehalten hätte, nur den Auftakt zu noch ganz anderen Dingen bilden. Es lautet:

"Straßburg, den 7. Juni 1926.

An alle heimattreuen Elsaß-Lothringer!

      In schicksalsschwerer Stunde treten die Unterzeichneten vor das elsaß-lothringische Volk, um es zur Tat aufzurufen.
      Längeres Zögern wäre Verrat an unserm Volkstum, denn das Maß ist voll bis zum Überlaufen. Sieben Jahre lang haben wir zugesehen, wie man uns Tag für Tag in unserer eigenen Heimat entrechtet hat, wie all die Versprechungen, welche man uns feierlich gegeben, mißachtet worden sind, wie man unsere Rasseneigenschaften und Sprache, unsere Überlieferungen und Gebräuche zu erdrosseln suchte. Wir wissen nunmehr, daß die Assimilationsfanatiker es auf Wesen, Seele und Kultur des elsaß-lothringischen Volkes abgesehen haben, wobei sie nicht einmal vor Fragen der inneren Überzeugung und des Gewissens halt machen.
      Wenn wir von natürlichen und erworbenen Rechten und Freiheiten unseres Volkes sprechen, verhöhnt man uns und überschüttet uns mit Verleumdungen und Drohungen.
[249]   All dies Leid wollen und werden wir unter keinen Umständen weiter ertragen.
      Wir haben erkannt, daß fast das ganze elsaß-lothringische Volk, daß alle, die noch echte und aufrechte Elsaß-Lothringer geblieben sind, in ihrem Innersten denken wie wir, mit uns auf dem Standpunkt des elsaß-lothringischen Selbstbewußtseins und der Heimatliebe stehen und die bestehende Zersplitterung durch gegenseitige Achtung und eine tiefe Verwurzelung im Heimatboden ersetzen wollen. Es bedarf nur des Anstoßes, und sie alle werden sich zur langersehnten Einheitsfront zusammenschließen, um eines Herzens und eines Willens Unterdrückung und Untergang von unserem Lande abzuwehren.
      Wir sind der Überzeugung, daß die Sicherung und lebendige Auswirkung der unverjährbaren und unveräußerlichen Heimatrechte des elsaß-lothringischen Volkes und die Wiedergutmachung all des Tausenden und aber Tausenden unter uns zugefügten Unrechts nur garantiert sind, wenn wir als nationale Minderheit die vollständige Autonomie im Rahmen Frankreichs erhalten.
      Diese legislative und administrative Selbständigkeit soll ihren Ausdruck finden in einer vom Volk gewählten Vertretung mit Budgetrecht und einer Exekutivgewalt, mit dem Sitze in Straßburg, welche aus dem elsaß-lothringischen Volke hervorgehen und neben dem für Fragen allgemein französischen Charakters gemeinsamen Parlament in Paris den Zusammenhang mit dem französischen Staate wahren sollen.
      Vor allem muß in den wichtigen und schwierigen Fragen der Weltanschauung eine einheitliche Front hergestellt werden, damit unsere Kampfeskraft nicht durch Weltanschauungsstreit und Parteihader sabotiert und geschwächt werde.
      Daher sind wir in bezug auf das Verhältnis von Kirche und Staat und die Schulfrage für die Aufrechterhaltung des gegenwärtigen gesetzlichen Zustandes, bis das elsaß-lothringische Volk selbst in der Lage ist, über die letzte Form endgültig zu entscheiden. Eine Lösung der Schulfrage sehen wir dann in der Verwirklichung des Grundsatzes, daß es unantastbares Recht der Eltern ist, in entscheidender Weise über die Art der Erziehung ihrer Kinder zu bestimmen.
      Weiter verlangen wir volle Achtung und ehrliche Respektierung der christlichen Weltanschauung, in welcher ja die Mehrzahl unserer Volksgenossen verankert und aus welcher die Kultur unseres Landes geschichtlich erwachsen ist. Ihre vielfältigen kulturellen Kräfte müssen zum Ausbau eines gesunden und reichen Volkslebens verwendet werden.
      Ein richtiges Verständnis dieses Programmpunktes wird alle dazu bringen, jeder andern Weltanschauung ihr Recht zu gewähren, so daß ein Bruderkampf [250] in Zukunft ausgeschlossen bleibt, der von unsern Feinden dazu verwendet wird, uns zu entzweien, um uns ungestört unserer gemeinsamen Volks- und Heimatrechte berauben zu können.
      Wir fordern, daß die deutsche Sprache im öffentlichen Leben unseres Landes den Rang einnimmt, der ihr als Muttersprache des weitaus größten Teils unseres Volkes und als einer der ersten Kultursprachen der Welt zukommt. In der Schule muß sie Ausgangspunkt und ständiges Unterrichtsmittel und Unterrichtsfach mit abschließender Prüfung sein. In der Verwaltung und vor Gericht muß ihr gleiche Berechtigung mit der französischen Sprache zukommen.
      Unser niederes und höheres Schulwesen, wie unsere sonstigen Bildungseinrichtungen sollen in allen ihren Zweigen nicht gemäß Diktat der Pariser Zentralgewalt, sondern der Eigenart und Kulturhöhe des elsaß-lothringischen Volkes entsprechend ausgebaut werden, so wie unser zukünftiges Parlament unter weitgehendem Mitbestimmungsrecht der Eltern und Lehrpersonen es verfügen wird.
      Wir betrachten es als eine unserer Hauptaufgaben, elsässisches und lothringisches Wesen und elsässischen und lothringischen Sinn zu pflegen und dafür zu sorgen, daß bei unserem Volk die Kenntnis von seiner reichen historischen und kulturellen Vergangenheit unverfälscht erhalten bleibt, um es dadurch zu eigener Arbeit aus eigener Kultur heraus anzuspornen.
      Als ureigenstes Recht, aus Selbstbewußtsein, aus sozialen und sprachlichen Gründen verlangen wir Platz an der Sonne für unsere Landeskinder, welche irgendeine Verwaltungslaufbahn eingeschlagen haben. Sie allein können, bis in die höchsten Stellen hinein, die Verwaltungsarbeit leisten, die bei unserer sprachlichen und kulturellen Eigenart doppelt schwierig ist. Sie allein werden uns wieder frei machen von all dem Ballast einer rückständigen Bürokratie und all den schreienden Ungerechtigkeiten, in denen wir ersticken.
      Wir fordern weiter:
      Volle Autonomie des elsaß-lothringischen Eisenbahnnetzes in Eigentum des elsaß-lothringischen Volkes;
      Schutz der elsaß-lothringischen Landwirtschaft, dem Weinbau, Handel und Gewerbe, sowohl in den Handelsverträgen wie gegenüber der innerfranzösischen Konkurrenz;
      Reform des Steuerwesens in ausgleichender sozialer Gerechtigkeit;
      Ausbau unserer seit Jahren erstarrten sozialen Gesetzgebung, deren weitere Entwicklung durch die rückschrittlichen Assimilationsbestrebungen aufgehalten worden ist;
      Wiederherstellung der früheren Gemeindegesetzgebung bei Anpassung derselben an die heutigen politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse.
[251]   Wir sind begeisterte Anhänger der Friedensidee, internationaler Zusammenarbeit und Gegner des Chauvinismus, des Imperialismus und Militarismus in allen ihren Formen.
      Unser Land soll als Treffpunkt zweier großer Kulturen in die Lage versetzt werden, seinen Anteil an der Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland und an der zivilisatorischen Gemeinschaftsarbeit von West- und Mitteleuropa beizutragen.
      Um all diese Forderungen wollen wir das gesamte elsaß-lothringische Volk in einem Heimatbunde scharen, der stark und unerschrocken Schützer und Wegweiser sein soll.
      Wir wollen keine neue Partei sein, nur eine Organisation, welche die bestehenden Parteien des Landes dazu antreiben wird, endlich die Politik des Hinhaltens, der Schwäche und der Täuschung aufzugeben und den Kampf für die elsaß-lothringischen Volks- und Heimatrechte mit rücksichtsloser Tatkraft zu führen.
      Es lebe ein selbstbewußtes, starkes und freies Elsaß-Lothringen!"

Zu diesem Aufruf wurde in der deutschen Presse Elsaß-Lothringens der folgende Kommentar veröffentlicht:

      "Ungeheuer ist die Erregung, die unser Volk seit einem Jahr erfaßt hat. Nach den schweren Kriegsjahren mit ihren zermürbenden Erscheinungen hatten ängstliche, schwächliche und auch verlogene »Führer« unser Volk dem französischen Machtwillen bedingungslos ausgeliefert. Auf unserem Heimatboden mußten wir uns die Kolonialmethoden der Fremden gefallen lassen, mußten unsere deutsche Sprache verhöhnen, unsere Selbstverwaltung zerstören lassen. Elsaß-Lothringen sollte verschwinden, drei französische Departements, »Haut-Rhin, Bas-Rhin, Moselle«, mit einer auf gut französisch dressierten Bevölkerung an die Stelle treten.
      Schon in den Jahren 1919 - 1924 nahmen einzelne Gruppen unserer Bevölkerung Stellung gegen diese Unterdrückung. Man denke an Claus von Bulach, an Camille Dahlet und ihre Anhänger, ferner an die katholische Protestbewegung im Sommer 1924. Aber noch fehlte die Bewegung breiter Massen, es fehlten die richtigen Führer, es fehlte ein grundsätzliches Bekennen zum deutschen Volkstum, ein sich Emporheben aus engen Parteigrenzen.
      Erst die Zukunft, die im Mai 1925 in Zabern gegründete »Unabhängige Wochenschrift zur Verteidigung der elsaß-lothringischen Heimat- und Volksrechte«, hat in aller Klarheit, unabhängig von parteipolitischen Zielen, dem Gedanken eines selbstbewußten Elsaß-Lothringen Ausdruck gegeben.
      Und nun haben am Pfingstmontag 1926 Elsässer und Lothringer, führende Männer aus allen Schichten unseres Volkes, aus allen Teilen Elsaß-Lothringens [252] einen Heimatbund gegründet. Wie es der Zukunft gelungen ist, nach wenigen Monaten in allen Parteien unseres Landes im Sinne eines stolzen Heimatgedankens klärend und stärkend, ja völlig umgestaltend zu wirken, so wird dieser überparteiische Bund alle Kräfte zum Wohle unseres kleinen Volkes zusammenfassen.
      Der elsaß-lothringische Heimatbund hat einen Aufruf an alle Heimattreuen Elsaß-Lothringer gerichtet. Wer dieses klare und großzügige Programm liest, wird anerkennen, daß die Gründung dieses Heimatbundes als ein Geschehnis von größter Tragweite in unserem politischen Leben zu werten ist. Der Aufruf, den man als besten Ausdruck der Stimmung unseres Volkes ohne jeden erläuternden Zusatz in aller Welt verbreiten muß, ist von hundert Elsaß-Lothringern unterzeichnet. Neben vielen evangelischen und katholischen Geistlichen zeichnet Dr. Ricklin, der frühere Landtagspräsident, Generalräte Dr. Gromer - Hagenau, Herber - Weißenburg, das Kreistagsmitglied Antoni - Finstingen (Lothr.), Bürgermeister und Kreistagsmitglied Deichtmann - Neudorf (O.-E.), Gemeinderatsmitglied Dr. Ohlmann - Hagenau, der Vorsitzende der elsaß-lothringischen Beamtenvereinigung Professor Rossé - Colmar, Redakteure Fashauer - Colmar, Ritter - Gebweiler, Heil - Straßburg, Bürgermeister Risy - Gosselming, Chanoine Ismert - Metz, Rechtsanwalt Thomas - Saargemünd.
      Generalsekretär des Heimatbundes ist der Beigeordnete Keppi - Hagenau.
      Es sei besonders darauf hingewiesen, daß ein großer Teil der heutigen elsässischen und lothringischen Abgeordneten bereit war, ihren Namen unter diesen Aufruf zu setzen. Es wurde jedoch davon abgesehen, um die Entscheidung darüber den Delegierten der Parteien in kommenden Versammlungen vorzubehalten."

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Das Versailler Diktat.
Vorgeschichte, Vollständiger Vertragstext, Gegenvorschläge der deutschen Regierung


Deutsches Land: Das Buch von Volk und Heimat, Kapitel "Elsaß und Lothringen."

Das Grenzlanddeutschtum: Elsaß-Lothringen

Zehn Jahre Versailles, besonders Bd. 3, die Kapitel "Gegnerische Gebietsforderungen und ihre Vorgeschichte: Die Franzosen" und "Gebietsverlust durch erzwungene Abtretung oder Verselbständigung: Elsaß-Lothringen."

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Deutschtum in Not!
Die Schicksale der Deutschen in Europa außerhalb des Reiches.
Paul Rohrbach