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Süddeutschland - Eberhard Lutze

Im Frankenland

Was im heutigen Sprachgebrauch gemeinhin Franken heißt, ist nur ein Bruchstück des gewaltigen alten Frankenreiches. Es ist das alte Ostfranken. Und auch dieses Land ist keine Einheit mehr, will man nicht die gänzlich willkürliche Grenzziehung der drei bayerischen Frankenkreise als solche ansehen. Indessen, gemeinsames Stammesgefühl, verwandte Mundart greifen weiter aus in einem Raum, dessen offene Grenzen zwischen Odenwald und Fichtelgebirge, Main und Altmühl auf zahllosen Straßen und Wasserwegen Handel und Wandel, Kunst und Wissenschaft wie in eine lebendig pulsierende deutsche Herzkammer haben einströmen lassen. Dies und die Vielfalt der Landschaft - zerteilen doch Steigerwald und Frankenhöhe sie in die Zweiheit des westlichen Mainfranken mit Würzburg als Mittelpunkt und des östlichen Regnitzfranken mit dem Mittelpunkt Nürnberg - lassen das Frankenland in der ganzen bunten Fülle Süddeutschlands schimmern. Wer zur schönen Sommerszeit ins Land der Franken fährt, der erlebt es mit vollem Bewußtsein oder im Unterbewußtsein des Gefühls: ich bin in Süddeutschland; Menschentum und Landschaft, Dörfer und Städte, das Gesicht des Landes blicken anders als die grünen Berge Thüringens, die noch eben der Zug durcheilte.

Landschaft und Volkstum in Franken fügen sich aus drei Kernen zusammem aus den altbesiedelten Maingauen, "in denen fränkisches Wesen am ursprünglichsten erhalten geblieben ist", dem um die in Nord-Südrichtung strömende Regnitz gelagerten Keupergebiet Mittelfrankens und dem oberfränkischen Schollengebiet. Zwischen den prunkvoll rauschenden Bischofsstädten Würzburg, Bamberg und Eichstätt, den bescheideneren Rokokoresidenzen Ansbach, Bayreuth und Erlangen schwingt fränkisches Wesen. In den Reichsstädten Nürnberg, Weißenburg, Schweinfurt, Rothenburg, Windsheim ist es lebendig. Stolze Vesten wie die Rosenau bei Kronach, wie die Veste Coburg und die Plassenburg oder die Wülzburg bei Weißenburg und der Marienberg in Würzburg zeichnen ebenso das Gesicht des Frankenlandes wie die frommen Barockkirchen von Banz und Vierzehnheiligen, wie das Käppele über Würz- [706] burg oder wie die aus Fachwerkbauten oder Sandsteingiebeln zu "altfränkisch" verträumten, malerisch bunten Kleinstadtbildern zusammengeschobenen Städte, Dörfer und Gehöfte. Im weinfrohen Mainfranken und im hopfenbauenden, biertrinkenden Regnitzfranken leben zwei Seelen dieses selbstbewußten fränkischen Volkstums. Zieht man in Betracht, daß außer den Bistümern als vierte geistliche Herrschaft noch der Deutschritterorden in Franken regiert hat, daß es unzählige Grafschaften gab, zu den Reichsstädten noch Ritterkantone und reichsunmittelbare Dörfer kamen, so versteht man die Buntscheckigkeit des fränkischen Volkes, die so weit geht, daß in Nachbardörfern verschiedene Dialekte gesprochen werden, die Konfession von Ort zu Ort wechselt, und in Brauch und Herkommen noch Nachklänge jener streitsüchtigen Gegensätze lebendig sind, die einst zwischen den Dienern des Krummstabes, den Bürgern der Reichsstädte und den Untertanen der hohenzollernschen Markgrafschaften klafften.

Die Bevölkerung selbst trägt nicht nur nach dem verschiedenen Boden, auf dem sie sitzt, verschiedenartige Züge, sie hat sich auch in den Grenzgebieten vielfach mit den benachbarten Stämmen verzahnt. Dazu kommen noch Durchsetzungen des Stammkerns im Innern, die gelegentlich geradezu den Charakter von "Umrassungen" tragen. Über Coburg, östlich an Bamberg vorüber, um bei Forchheim, am Eingang zur Fränkischen Schweiz, in weiter Schleife nach Osten zurückzuspringen, läuft die Südwestgrenze der slawischen Besiedlung. Teilweise waren Wenden in altbesiedeltes fränkisches Gebiet nachgestoßen, teilweise - in den Gebirgen - sind Slawen an der Rodung der spätbesiedelten Waldgebiete beteiligt. Ihr Anteil ist aber gering. Die germanischen Ortsnamen - allen voran die als geschlossene Haufendörfer und befestigte Plätze angelegten fränkischen "heim"-Orte - überwiegen erdrückend: auf einen slawischen Ortsnamen kommen zwanzig deutsche. Kaiser Heinrich II. gründete 1007 das Bistum Bamberg als politisches Bollwerk gegen die Slawen; die Bekehrung zum Christentum sollte sie aufsaugen. Der Erfolg ist nicht ausgeblieben. Und gleichzeitig begann sich fränkische Eigenart zu prägen: vorher hatte das Gebiet zum Nordgau Baierns gehört.

Eine weitere Umvolkung und Umrassung haben in Mittelfranken die um ihres protestantischen Glaubens willen aus dem Österreichischen vertriebenen Exulanten herbeigeführt. Ihre Nachwirkung läßt sich zwar an keinem Ortsnamen nachweisen, doch wurde errechnet, "daß manches Dorf etwa um 1680 50 bis 60 Prozent und sogar noch mehr Exulanten unter seinen Einwohnern zählte" (K. Gröschel). Das durch den Dreißigjährigen Krieg entvölkerte Franken erhielt so einen kräftigen, sittlich-religiös glaubensstarken protestantischen Menschenschlag. Rassisch ergoß sich aus dem baierischen Stammesgebiet Österreichs ein breiter dinarischer Blutstrom nach Franken. Dasselbe gilt von den 1732 aus Salzburg vertriebenen Protestanten, von denen ein kleiner Teil in Franken eine Heimstätte fand.

Die von den Ansbacher und Bayreuther Markgrafen in ihren Residenzstädten, in Neustadt a. Aisch, Erlangen und Schwabach angesiedelten Hugenotten regten Handwerk und Industrie, Geistigkeit und Geselligkeit fruchtbar an. [707] Erlangens Neustadt, seine Handschuhmacherei, die einstige Strumpfwirkerei, mittelbar auch die Universität sind ohne den Zuzug der französischen Reformierten nicht zu denken. Noch vor 100 Jahren wurden in der Erlanger französisch-reformierten Kirche französische Predigten gehalten.

Wir wollen unsere Skizze über die staatenlose, vielfältige Eigenart des Frankentums schließen mit einem Satz, der in witziger Zuspitzung an dem Beispiel des Mains die verschiedenen Klangfarben der ost-, main- und rheinfränkischen Mundarten widerspiegelt: "Als Maa fließt er bei Bamberg, als Mee bei Würzburg, als Mää bei Aschaffenburg, bis er sich endlich verzweifelt als Moi mit Nasalton in den Rhein stürzt." Und dieser auf seinen Ufern so verschieden ausgesprochene Fluß ist der eigentliche Fluß der Franken. In weiten Schlingen, ein "Kamerad des Rheins", führt sein Weg von Ost nach West, vermehrt um die Zuflüsse von Regnitz, Saale, Tauber und Sinn. Der Main ist der fränkische Widerpart zum baierischen Wassergebiet, das seine Adern in der Richtung zum Schwarzen Meere entsendet. Die Mainlinie - wieviel tragisches deutsches Schicksal hat sich an ihr erfüllt, wieviel engstirniger Partikularismus sich an diesem Begriff die Köpfe heißgeredet, ehe er politisch im neuen Reich für immer begraben werden konnte! Das Maintal bei Lichtenfels: weite frühlingshafte Helle und wolkenklare Fernsicht, wo der schmale Fluß in Kehren durch das breite flache Tal den Weg nach Westen sucht. Das Maintal von Schweinfurt bis unterhalb Würzburgs: reiche, fruchttragende Erfüllung. Auf dem Muschelkalk des Ochsenfurter Gaues wächst bestes deutsches Getreide. Ein einziger Obstgarten deckt das Land. Und hier nun beginnt das rebengesegnete köstliche Gefilde des Frankenweines: in den "Geländen der Vogelsburg mit Escherndorf; am Steilhang des Schwanberges mit Rödelsee und Iphofen; an der reinen Südlage von Frickenhausen mit dem auserlesenen Kappelberg und Fischer; in Randersacker mit Pfülben und Teufelskeller, in Würzburg mit Stein, Harfe, Leisten" bis hin zum Kallmuth bei Lengfurt und zu den Buntsandsteinlagen bei Wertheim und Klingenberg. Der "stahlig fruchtige" Geschmack des im Bocksbeutel abgefüllten Frankenweines hat von jeher seine Freunde gefunden. Längst bevor Mosel- und Pfalzwein ihren Siegeszug begannen, rühmte ein Vers:

    "Zu Klingenberg am Maine,
    Zu Würzburg an dem Steine,
    Zu Bacherach am Rheine
    Wachsen die besten Weine."

Und Goethe hatte im Alter Würzburger Weißwein als "verjährten Sonnenschein eines gnadenvollen Herbstes" im Keller.

Der Main ist die "Pfaffenstraße" des Heiligen Römischen Reiches; Bamberg, Würzburg, Mainz sind seine geistlichen Stationen. Würzburg ist die strahlendste unter ihnen; in seiner brückenverbundenen, burgbeherrschten Flußlage Städten wie Prag und Budapest vergleichbar. Wenn man im Dom die Reihe der fürstbischöflichen Grabmäler abschreitet, wenn man vor der von [708] Tilman Riemenschneiders gemeißelten ewhrwürdigen Greisengestalt Rudolf von Scherenbergs steht, so fällt das doppelte Attribut des Krummstabes und des Schwertes auf: weltliche und geistliche Gewalt waren in der Hand der fränkischen Herzöge und Würzburger Bischöfe vereinigt. In der Veste Marienberg, die im Bauernkrieg vergebens berannt war, steht noch die Wacht der Frühzeit über dem Maintal. Die vermutlich älteste deutsche Rundkapelle ist in die dicken Mauern der schon 704 als thüringische Herzogsburg bekannten Veste eingebaut. Aber dieser dräuende Ernst wird im Stadtbild gelockert durch die Nachbarschaft des großen Barockbaumeisters von Würzburg, Balthasar Neumanns, der in seinem Spätwerk, dem Käppele, der Würzburger Landschaft ein zierlich prangendes Krönlein aufgesetzt hat. Steigen wir herab von den rebenumkränzten Höhen über die schönste altdeutsche Brücke, so treffen wir auf das Rathaus, den Mittelpunkt der Bürger, die jahrhundertelang, in wechselvollen, aber doch vergeblichen Kämpfen gegen die bischöfliche Trutzburg standen. Wenige Schritte weiter ragen Dom und Neumünster auf, im Außenbau ungleiche Brüder, im Innern beide barock, von Weihrauch durchzogen. Still ruht das Grab des Frauenapostels Kilian in der Gruftkirche von Neumünster; ein Kreuzganghof umschloß einst das im nahen Luitpoldmuseum wieder errichtete Lusamgärtlein, die Grabstätte unseres großen frühdeutschen politischen Sängers Walther von der Vogelweide. Und Riemenschneiders Geist waltet über Würzburg. In allen Kirchen und in einer schönen Gedenkhalle des Luitpoldmuseums begegnen wir den holdselig träumenden Mariengestalten seiner Werkstatt und den verhärmten Köpfen seiner duldenden Heiligen. Stadt der Gegensätze: die weiche Welt Riemenschneiders, die schneidende Schärfe der gegenreformatorischen Würzburger Renaissance, der die Universität zu danken ist, treten zurück vor dem überragenden Monument, der das Barock durch Balthasar Neumann im Riesenbau der Residenz errichtet hat. Es ist der "vollkommenste Profanbau des 18. Jahrhunderts"; herrisch, gewaltig und von mitreißendem Schwung des Genies. Strahlende Brennpunkte sind das Treppenhaus mit den berauschenden Deckenbildern des letzten Großmeisters der Venezianer Malerei, Gian Battista Tiepolo, der festliche Kaisersaal, die üppige Hofkirche.

Würzburg. Die Residenz (Gartenseite).
[612]      Würzburg. Die Residenz (Gartenseite).

Man muß oben von der Burg herunter, zu Häupten des weinschweren "Leisten", auf die Stadt herniedersehen, wo die im Gang befindliche meisterhafte Wiederherstellung der Innenräume der Burg dem Besucher in der Erdgeschoßhalle eine Gaststätte mit umfassendem Blick schaffen wird. Von da folgt das Auge geraden Weges der Achse der Alten Brücke zum Dom hinüber und zur Residenz, zum Dom, der über dem mittelalterlichen Kern eine barocke Dekoration wie ein übergeworfenes Gewand trägt und der bleibende geistliche und geistige Mittelpunkt zwischen Burg und Schloß ist. Die Geschichte dieser Stadt begreift man von dieser bastionsbewehrten Höhe über dem Main, von der einst der Fürstbischof am Ende des Mittelalters herabstieg, um inmitten der Stadt seiner Untertanen eine neue Residenz aufzuführen, nicht weniger herrscherlich wie die gewaltige Burg der Vorfahren, gebieterisch - wiederum mehr Ausdruck des Schwertes als des Krummstabes -, die Untertanen in die Grenzen ihrer Bürgerlichkeit zurückweisend.

Würzburg. Blick über die alte Brücke zur Marienburg.
[611]      Würzburg. Blick über die alte Brücke zur Marienburg.

[709] Frivoler und ausgelassener, verspielter und mehr hinter Mauern begegnet dieser fürstbischöfliche Lebensstil wieder im Lustschloß Veitshöchheim bei Würzburg, in dessen von mutwilligen Plastiken belebtem Park man sich zurückversetzt glaubt in die große Zeit der geistlichen Herren in Franken. "Schönbornsche Lande" nannte man wohl im 18. Jahrhundert das ganze Maingebiet. Ein Schönborn verband den Kurhut von Mainz mit der Mitra von Bamberg; er erbaute die Residenz in Bamberg und das Schloß Weißenstein bei Pommersfelden. Sein Neffe vereinigte die Bistümer Würzburg und Bamberg; er ist der wichtigste Bauherr der Würzburger Residenz.

Bamberg ist eine Tochtergründung des älteren Würzburger Bistums. Es hat in raschem Aufstieg Würzburgs Bedeutung überflügelt; der Fußfall, den Kaiser Heinrich II. 1007 vor den Bischöfen hatte machen müssen, um die Genehmigung der Kirchenversammlung für seine Lieblingsstiftung zu erlangen, hat sich verlohnt. Hier sammelte sich, missionierend und das Deutschtum nach Osten vortragend, ein neues Kulturzentrum. Von Bamberg aus hat der heilig gesprochene Bischof Otto eine Missionsreise bis zu den heidnischen Pommern hinauf unternommen.

Als kaiserliche Stadt im Ostraum des staufischen Reiches hat Bamberg seine stolzeste Zeit gehabt. Bischof Ekbert, Graf von Andechs-Meran, ist einer der heldischen Kirchenfürsten gewesen, die als Ratgeber des Kaisers und höchste Würdenträger des Reiches stolz und verantwortungsbewußt an der Bürde des Reichsregiments mitgetragen haben. In dem Dom, der von der Höhe des Berges, darauf sich die alte Hofhaltung und die barocke Residenz ausdehnen, mit dem Vierklang seiner Türme und der Masse seines Schiffes die Stadt heute wie einst beherrscht, hat sich die staufische Bedeutung Bambergs ein für die Ewigkeit gebautes Denkmal gesetzt. Noch gehen die Umfassungsmauern des Domneubaues aus dem 13. Jahrhundert auf den Grundriß des Heinrichsdomes zurück. Und der Kaiser selbst steht als Heiliger der Kirche mit seiner gleichfalls heilig gesprochenen Gemahlin Kunigunde in vollrund gemeißelten steinernen Bildwerken im Statuenportal der Adamspforte. Jahrhunderte später (1499 bis 1513) hat Tilman Riemenschneider für

Bamberg. Der Reiter im Dom.
[613]      Bamberg. Der Reiter im Dom.

Bamberg. Blick nach dem Michelsberg.
[614]      Bamberg. Blick nach dem Michelsberg.
das heilige Kaiserpaar ein rotmarmornes Grabmal geschaffen, darauf die Toten liegend im Krönungsornat dargestellt und auf den Seiten der Grabtumba die frommen Begebenheiten ihres Lebens in treuherzigen Reliefs erzählt sind.

Es ist neuerdings auf die geschichtlichen Hintergründe hingewiesen worden, die zur Entstehung des königlichen Reiters im Dom geführt haben. Er soll wie die Weltgerichtsdarstellung der Gnadenpforte als Sühnemal von Bischof Ekbert errichtet worden sein, in dessen Stadt 1208 der jugendliche Stauferkönig Philipp von Schwaben ermordet wurde. Als jugendlicher Held reitet der königliche Reiter gen Ostland, das Sinnbild eines Wächters des Reiches, voll innerer Spannung die Haltung, voll seelischer Bereitschaft zu Kampf und Abenteuer der Blick, jünglingshaftes Träumen und sieghaften Trutz zu heldischem Wunschbild vereinend.

Wenige Schritte vom Reiter entfernt stehen die Schranken des Georgen- [710] chores mit den Reliefs leidenschaftlich debattierender Propheten und Apostel. Ihr von innerer Erregung kochender Ausdrucksstil verkörpert das Wollen einer älteren Bildhauerwerkstatt in Bamberg. Über die Frauenstatuen der sieghaften Kirche und der gestürzten Synagoge, der prophetischen Seherin Elisabeth und den Statuen der Adamspforte führt der Weg zu der klassischen Größe des Reiters.

Vom Dom muß man nach der Besichtigung der umliegenden Höfe den Weg zum Michelsberg nehmen, um von hier, wo ansehnliche barocke Klosterbauten sich um die Kirche der kunstfreudigen Benediktinerstiftung des 11. Jahrhunderts legen, noch einmal den Blick über die Stadt zu genießen. Diesseits des Flusses löst sich zu Dom und Kloster als dritter Klang die mächtige Baumasse der Oberen Pfarrkirche aus der Menge der niedrigen Bürgerhäuser. Sie umschließt das ergreifende Alterswerk des Nürnberger Schnitzers Veit Stoß: einen Christgeburtsaltar (1937 in den Dom überführt).

Von der Plattform der Pfarrkirche geht es steil zur Regnitz hinab. Der Ebracher Hof macht den Anfang der vornehmen Wohnhäuser, denen man in Bamberg begegnet. Das Rathaus, auf einer Insel gelegen, durch die Obere und Untere Brücke mit den Ufern verbunden, das Böttingerhaus und die Concordia prunken mit üppig schäumendem Schmuckwerk an ihren Schauseiten. Und über dem Fluß, zwischen barocken Plastiken hindurch und über das Bandelwerk schwingender Eisengitter hinweg bleibt der Blick haften an dem malerischen Geschiebe des mittelalterlichen Fischerviertels.

Auch hier, wie in Würzburg, die Begegnung von Mittelalter und Barock, auch hier der rauschend-festliche, der weltliche Zug in den barocken Gebäuden. Nicht weit östlich von Bamberg liegt Seehof; hier haben die Bamberger Bischöfe - noch früher als die Würzburger in Veitshöchheim - in dem Schloß Marquardsburg ein Lustschloß mit figurenreichem Park geschaffen.

Und klingt nicht auch dieser weltmännische Geist in den doppeltürmigen Zwillingskirchen von Banz und Vierzehnheiligen oberhalb von Bamberg an, die die Schönbornschen Baumeister Johann Dientzenhofer und Balthasar Neumann als vornehm abgeschlossene Kloster- und als vielbesuchte Wallfahrtskirche in begnadeter Nutzung der Talrandlage, in echt barocker Krönung und Steigerung der Landschaft wie ein architektonisches Echo über das weite Maintal grüßen lassen?

Banz ist eine alte Benediktinerabtei, gegründet 1071. Die heutige, stattliche Anlage ist eine Schöpfung des Barock, man erkennt in den ernsten Klosterbauten Leonhard Dientzenhofers die gleiche Hand wie in der Bamberger Residenz. Die Kirche, das Werk seines Neffen Johann, zeigt demgegenüber Beschwingung und Steigerung; die Wirkung des Innenraumes beruht auf der Berechnung, daß die Gewölbeformen anderen Gesetzen folgen wie die Führung des Grundrisses. Die Pfeiler stehen schräg, und die Gewölbegurten schlagen ausweichende Korbbögen von Wand zu Wand.

Kloster Banz (Franken). Ehemalige Benediktinerabtei.
[615]      Kloster Banz (Franken). Ehemalige Benediktinerabtei.

Balthasar Neumann hat die glänzende Anlage auf steiler Waldeshöhe über dem Maintal beendet, auf einer tiefer gelegenen Stufe des abfallenden Ge- [711] ländes. 1718 war die Kirche in Banz beendet, 1743 bis 1771 erstand auf dem jenseitigen Ufer, in Hanglage zu dem sanft ansteigenden Staffelberg, das Alterswerk des Würzburger Meisters: Vierzehnheiligen. Er wagt es, die Kirche aus der Achse zu rücken, damit die gigantisch in die Höhe strebende Fassade als wirkliche "Schauseite" sich nach Banz hinüberkehre. Der kultische und künstlerische Mittelpunkt im Innern ist der Gnadenaltar der vierzehn Nothelfer - die hier einst einem Hirtenknaben erschienen waren -, von flacher Ovalkuppel auf freistehenden Pfeilern überwölbt. Das in Kurven der höheren Mathematik schwingende Kirchengehäuse, in das strahlendes Licht einfällt, hat für das Auge keine Statik, jede Linie ist Ausdruck einer höchst geistigen Musikalität. Die Harmonie dieser architektonischen Klänge erreicht Neumann nun aber nicht durch theatralische Effekte, wie oft im Barock, sondern durch das Gesetz von Maß und Zahl, das er wie die mittelalterlichen Meister Bau und Baugliedern als Schlüssel zugrunde legt. Die gelöste, anscheinend jeder Gesetzlichkeit abholde

Pommersfelden. Schloß Weißenstein.
[616]      Pommersfelden. Schloß Weißenstein.
Raumschöpfung, gegen die Banz schüchtern wirkt, sie ist das Geheimnis des Genies ihres großen Meisters, des Ingenieurobristen Balthasar Neumann.

Fränkischer Barock: seine architektonische Wirkung beruht nicht zuletzt auf dem überwältigenden Gegensatz einsam ländlicher Natur und glänzend gequaderter höfischer Großartigkeit. Schloß Pommersfelden, das ehemalige fürstbischöfliche Schloß Werneck bei Schweinfurt, das ehemalige Deutschordensschloß in Ellingen bei Weißenburg, aber auch die einsam im Steigerwalde liegende alte Zisterzienser-Abtei Ebrach sind mit voller Absicht auf die Folie ihrer ländlichen Umgebung abgestimmt.

Pommersfelden wirkt durch die Mächtigkeit seiner Maße, den Abstand heischenden Ehrenhof, die wienerische Anmut des Treppenhauses und die kühle Schönheit seines großen Festsaales. Es ist noch heute im Besitze der gleichen reichsgräflichen Schönbornschen Familie, für die es erbaut wurde. Noch heute hängen im Galerietrakt ansehnliche Bestände der alten Schönbornschen Gemäldesammlung, noch heute birgt die Bibliothek kostbare Handschriftenschätze.

Um so schmerzlicher ist die Profanierung der Bauten in Werneck (Irrenhaus) und Ebrach (Zuchthaus). Die ehemalige Residenz des Deutschkomturs der Ballei Franken in Ellingen hat architektonisch durch die Baumeister des Ordens auf den ganzen Ort Einfluß gehabt, dessen Häuser, an eine Hauptstraße gereiht, von dem entzückenden Rathaus regiert werden. Man kann von einem eigenen Ellinger Barock sprechen.

Stiller und anheimelnd kleinbürgerlicher gegenüber Würzburg und Bamberg geht es in der dritten Bischofsstadt in Franken zu, in dem an der Altmühl schön gelegenen Eichstätt. Der Dom des Hl. Willibald, in romanischer und gotischer Zeit errichtet, enthält eine Fülle schöner Grabmäler, Werke des Spätgotikers Hans Bildschnitzer, treffliche Feinarbeiten aus Solnhofer Kalkstein des Renaissancemeisters Loy Hering. Die ragende Willibaldsburg hat der Augsburger Elias Holl gebaut. Die schöne langgestreckte Gartenfront der bischöflichen Sommerresidenz und das Palais erdachte der aus Wien [712] stammende Gabriel Gabrieli in strengen, von Italien entlehnten Galeriemotiven.

Um einiges nüchterner, knapper und militärischer stehen auch die protestantischen Markgrafenstädte neben dem katholischen Barock Frankens. In Ansbach hat die Regierung Mittelfrankens ihren Sitz. Sein Gesicht ist nicht mehr durch seine geistliche Gründungsgeschichte im Anschluß an das Gumbertusstift bestimmt, sondern es wurde die Markgrafenstadt, das fränkische Potsdam, mit dem schönen Schloß Gabrielis als Mittelpunkt.

Bayreuth ist Ansbachs Schwester in Oberfranken, jetzt Bayerische Ostmark. Es ist die Residenz der Markgrafen, die Wirkungsstätte Jean Pauls, Richard Wagners Wahnfried und Festspielstadt, Kraftzentrum des Nationalsozialismus. Die mittelalterliche Entwicklung, gekrönt durch die Wahl zur Residenz der Markgrafen von Brandenburg-Bayreuth, schwer gehemmt durch die Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges, erfährt eine Neugeburt und stattliche Entfaltung in dem Augenblick, als Christian Ernst 1661 begann, namhafte Künstler an seinen Hof zu ziehen, darunter seit 1712 den Schüler Andreas Schlüters, Paul Decker. Auf ihn geht der erste Plan der Eremitage zurück, wo in schönster ländlicher Umgebung östlich der Stadt der Hof einem seltsamen Eremitenspiel huldigt. Markgräfin Wilhelmine, Friedrichs des Großen Schwester, hat die Eremitage zu einem Kleinod deutscher Bau- und Parkkunst ausgestaltet. Schöngeister und Musiker, Baumeister und Handwerker aller Art läßt die einsame Fürstin sich vom Berliner Hof kommen, und Friedrich hatte recht, wenn er der Schwester schrieb: "Ich bin überzeugt, daß es nichts Schöneres gibt als Bayreuth, seit Du dort residierst." In der Eremitage hat die "Freundin ohne Gleichen" ihre Memoiren geschrieben.

Bayreuth. Die Eremitage.
[617]      Bayreuth. Die Eremitage.

Seit 1737 hatte der Markgraf seiner Gemahlin die Leitung der Oper in Bayreuth übertragen. Wilhelmine ist die Berufung des bedeutendsten Opernbaumeisters, Carlo Bibiena, zu danken, dessen prächtiges Opernhaus nach der verständnisvollen Wiederherstellung 1935/36 wieder in blendender Schönheit erstrahlt. Große musikalische Ereignisse sind noch zu Wilhelmines Zeiten über die Bretter dieser Bühne gegangen, die die größte ihrer Zeit war und für lange blieb.

So war es eine glanzvolle Überlieferung, an die Richard Wagner anknüpfen konnte, als er sich 1873 in Bayreuth niederzulassen beschloß, in der Stadt, wo sein Wähnen Frieden finden sollte. Rastlos hat er an der Idee seiner Bühnenfestspiele gearbeitet, die seither Bayreuth zu einem feststehenden Begriff in der ganzen Welt gemacht haben. "Im Probenjahr 1875 wird die Bayreuther Schule geboren."

Haus Wahnfried hat das Erbe Richard Wagners getreulich gehütet. Aufs engste ist es mit der Geschichte des Nationalsozialismus verknüpft. Als es 1923 Adolf Hitler zum ersten Male betritt, begegnet er dem großen Wahldeutschen Houston Steward Chamberlain, dem Seher und Künder des Dritten Reiches. Seither steht Bayreuth in der Bewegung voran. Unter der mitreißenden Führung Hans Schemms wird der "sterbenden Grenze" der bayrischen Ostmark [713] Hilfe gebracht (wir kommen auf die Ostmark in einem eigenen Kapitel noch zu sprechen). Von Bayreuth aus wurde der Nationalsozialistische Lehrerbund aufgebaut. Das neu erstellte Haus der Deutschen Erziehung gibt dem Erziehungswillen des Neuen Reiches monumentalen baulichen Ausdruck. Die großen Erzieher Jean Paul und Richard Wagner stehen als geistige Ahnen hinter dem Werk. In dem Weiheraum dieses Hauses und der Ludwig-Siebert-Festhalle in dem aus der alten markgräflichen Reithalle gewonnenen Kongreßbau hat das nationalsozialistische Bayreuth seiner neuen Sendung einen vorbildlichen Rahmen geschaffen.

Gegenüber dem liebenswerten Bayreuth wirkt die andere oberfränkische Hohenzollernstadt Kulmbach mit ihrer düster drohenden Plassenburg ernst und mittelalterlich. Sie stellt der Markgräfin Wilhelmine den streitsüchtigen Markgrafen Albrecht

Coburg. Der Schloßhof.
[619]      Coburg. Der Schloßhof.
Alcibiades gegenüber. Die Plassenburg wurde dem Vielbefehdeten 1554 zerstört. Der arkaden- und reliefgezierte, einzigartige "Schönhof", in dem prächtige Turniere abgehalten wurden, erstand nach der Zerstörung. 1603 verlegten die Markgrafen ihre Residenz nach Bayreuth. Spinnerei- und Brauereiunternehmen haben Kulmbach in der jüngsten Zeit zu einer lebhaft exportierenden Industriestadt gemacht.

Coburg vereinigt in sich die mittelalterliche und die neuzeitliche Residenz der ehemaligen Herzöge von Sachsen-Coburg-Gotha: Veste und Ehrenburg. Luther wartete im Schutze der von doppelter Ringmauer mit Zwinger und von vier Bastionen umschlossenen Veste im Jahre 1530 auf die Ergebnisse des Augsburger Reichstages. Weit geht der Blick über thüringische und fränkische Lande, wenn man im Durchwandern der schönen Kunst- und Altertümersammlungen ans Fenster tritt. Als weithin sichtbares Wahrzeichen erhebt sich die Veste über die anmutig in das Itztal gebettete vornehm-stille Residenz- und Beamtenstadt.

Die "freundliche Langeweile" der ehemaligen Residenz hat in Erlangen durch die 1742 gegründete Universität Leben und geistige Bedeutung erhalten. Die kleinen zweigeschossigen Wohnhäuser mit den Mansardendächern, die holländisch wirkenden Kirchen, die Studenten und die um den Hofgarten gelagerten Universitätsgebäude geben Erlangen ein nüchtern-ehrbares Ansehen.

Die landschaftliche Umgebung kann zwar einen Vergleich mit den Engtälern der Wiesent und Pegnitz in der "Fränkischen" und "Hersbrucker Schweiz" nicht aushalten, bietet aber Reize von eigenartig herber Schönheit, so das ebene Knoblauchsland zwischen Erlangen und Nürnberg oder das Hopfengebiet von Hersbruck und Spalt. Diese weiten Gärten der wichtigen Bierwürze sind die nicht minder anmutigen, doch kargeren Gegenstücke zu den Weingärten Mainfrankens. In Franken beginnt das vielgerühmte gute bayerische Bier. Kaum hat man bei der thüringisch-fränkischen Grenzfeste Lauenstein die Grenze überschritten, so hören die in bescheidenem Gemäß ausgeschenkten "ausländischen" Biere auf, und der Maßkrug und das Mindestquantum des "Halben" beginnen die Herrschaft. Nächst der niederbayerischen Hallertau liegt in Franken das größte deutsche Hopfengebiet. Durchschnittlich [714] werden jährlich aus Spalt und Hersbruck 35 000 Zentner Hopfen geliefert. Und wirklich: "In Spalt sieht man nur Hopfen und Himmel." Ringsum ist der die Höhen deckende Wald gerodet, und an radial laufenden Straßen dehnen sich die Hopfengärten bis an den Ortseingang. Die Biererzeugung in Nürnberg betrug 1934 allein 598 184 Hektoliter.

Vollendet harmonisch fügen sich die Hopfenhäuser in das Landschaftsbild. Über einem Sandsteinsockel erhebt sich bis zu fünf Stockwerken der hohe Fachwerkgiebel, der den Hopfenboden enthält. Mit der Ausnahme des anspruchsvollen barocken Steinhauses im Nürnberger Umlande regiert das Fachwerk in allen Teilen Frankens. Am reichsten kommen die "Wilder Mann" genannten Verstrebungen, die Fischgrätenmuster, Zwischendächer und Schmuckformen im Oberfränkischen vor. Überall begegnen wir dem schon im mitteldeutschen Kapitel beschriebenen fränkischen Gehöft, in Unterfranken in der Abart des wohlhabenden Weinbauernhofes. Das Fachwerk beherrscht auch die Flecken und kleinen Städte. Die altfränkische Kleinstadt erschließt den ganzen Zauber altdeutscher Romantik, ob man die vielen idyllisch träumenden Nester am Main abwandert, ob man verwunschene Deutschordensstädte wie den Geburtsort des großen Sängers, Wolframseschenbach, das burgüberragte Pappenheim oder das Nürnberger Dorf Kraftshof mit seiner Kirchenburg besucht. Keine süddeutsche Landschaft birgt so viele ungeahnte Stadt- und Dorfschönheiten, so viel alte Baukultur abseits der

Festtrachten aus Effeltrich, Oberfranken.
[618]      Festtrachten aus Effeltrich (Oberfranken).
Landstraßen und der Schienen, wie gerade Franken. Mit tiefem Recht hat es Adolf Hitler die deutscheste der Landschaften genannt. Gerade das unbekannte Franken wartet mit bleibenden Erlebnissen in Natur und Kultur auf.

Selbst eine Industriestadt wie Schweinfurt umfängt noch ein Hauch alter Tradition. Weit über das Rathaus hinaus reicht sie indessen nicht mehr. Gleichzeitig mit dem Einzug der Industrie in diese protestantische Reichsstadt ist im Umlande die Tracht ausgestorben. Nur in zwei katholischen Gauen Frankens gibt es noch lebendige Frauentrachten: im Ochsenfurter Gau und in der Forchheimer Gegend, mit dem schönen Dorf Effeltrich als Mittelpunkt. Die Ochsenfurter Tracht ist eine der reichsten in ganz Süddeutschland. Seidendamast in dunkelschillernden Farben, Silber- und Goldbesatz, prunkender Goldschmuck, dazu ungefüge gesteifte Ärmelansätze und eine seltsame Haartracht gehören zu den Eigenarten dieser Tracht. Die Effeltricher Tracht ist lebendiger. Über alte, dunkelfarbige Bestandteile haben sich während des letzten Menschenalters neue, süßlich helle, in Fabrikherstellung gewonnene Formen gelegt. Am Walburgistag auf der nahen Ehrenbürg, beim lustigen Fastnachtstreiben der "Fasalecken", aber auch am täglichen Werktag sieht man die in verschiedenen Abstufungen verbreitete Tracht auf den Feldern oder im Dorfe, wo sich um die tausendjährige herrliche Linde angesichts der alten Wehrkirche die durch Jahrhunderte erprobte Dorfgemeinschaft sammelt.

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Deutsches Land: Das Buch von Volk und Heimat,
      besonders die Kapitel "Franken", "Würzburg" und "Bayern".

Das Buch der deutschen Heimat
Hermann Goern, Georg Hoeltje, Eberhard Lutze und Max Wocke