SucheScriptoriumBuchversandArchiv IndexSponsor

[279]
Bayern
H. Tiefenbrunner

I.

Bayrisch Land und Volk gehört in seiner Eigenart unbestritten zum ausgeprägtesten im Deutschen Reich. Diese Eigenart tut sich weniger durch einheitlichen Charakter der Landschaft und der Bevölkerung kund als vielmehr durch die Vereinigung von mehreren ziemlich verschiedenen

Zugspitz-Gipfel.
[294]      Zugspitz-Gipfel.
Das Münchnerhaus (2964 m).
Landschafts- und auch Volkstypen. Schon rein orographisch und geologisch betrachtet, steht der mächtige Alpenwall im Süden etwa zur unterfränkischen Ebene oder zum Pfälzer Weinland in starkem Gegensatz. An Stelle der Alpen wogte in der Triasperiode ein Meer, während das ostbayerische Grenzgebirge, dem Böhmer- und Bayerischer Wald zugehören, bereits als sogenanntes Urgebirge bestand. Auch die zwischen beiden Gebirgen und dem Ablagerungsgebirge des Jura als drittem eingekeilte schwäbisch-bayrische Hochebene war einst Meeresboden; als die Alpen sich emporhoben, wurde aus diesem Meer allmählich ein großer Binnensee. Die unterfränkische Ebene gehört geologisch dem Muschelkalk, also auch der Triasperiode zu, aber die Rheinpfalz hat so ziemlich an allen geologischen Perioden teil, und die Ebene dort verdankt einem Grabeneinbruch während der Tertiärzeit ihr Dasein. Ehemals vulkanisches Gebiet bezieht Bayern in der Rhön und im Fichtelgebirge ein, beide im Nordwesten und Nordosten des rechtsrheinischen Hauptlandes gelegen. Außer diesen Erhebungen und Ausbreitungen gibt es noch manch andre wie das Naabbecken der Oberpfalz, das mittelfränkische Becken, Steigerwald, Spessart, Pfälzerwald, alle mehr oder weniger dem Charakter der Hügelebene bzw. dem Mittelgebirge sich annähernd.

Der das Land bedeckende Pflanzenwuchs ist der Bodengestaltung, dem Klima und der Bewässerung entsprechend wieder recht mannigfaltig. Bis zu 1600 Meter Höhe steigen in den ausgedehnten Alpenwäldern Fichte, Kiefer und Lärche empor, darüber hinaus noch reichen Bergwiesen und Almen. Im Alpenvorland herrscht der Nadelwald vor, der Buchenwald ist stark zurückgegangen, die Eiche tritt nur einzeln, in Gruppen oder in Alleen auf. Die großen Moore Südbayerns sind teils Wiesen-, teils Hochmoore. Getreide wird in den Alpen wenig gebaut, mehr schon im Moränengürtel vor den Alpen und reichtragend in der Ebene zwischen Regensburg und Vilshofen, der größten Kornkammer Bayerns. Der Hopfen ist in der Holledau, d. h. in der Gegend zwischen Schrobenhausen, Pfaffenhofen, Freising, Mainburg eine landschaftbestimmende Pflanze. Tiefe Wälder mit Buche, Eiche, Ahorn, Tanne und Fichte findet man im ostbayerischen Grenzgebirge, aber an Getreide wird hier nur Roggen und Hafer angebaut, dagegen viel Kartoffeln und [280] auch Flachs mehr als im übrigen Bayern. Eine forstliche Merkwürdigkeit ist das bei Eisenstein nach Böhmen hineinreichende Naturschutzgebiet, worin man Urwald in voller Wildheit, wenigstens was die Flora anlangt, sehen kann. Das Waldgebiet Frankens, früher eine fast geschlossene Waldmasse, deutet heute noch in Namen wie Steigerwald, Frankenwald, Fichtelgebirge auf die vorherrschende Bewachsung hin. Das ursprünglichste dieser Waldgebirge ist wohl der Spessart im Mainviereck bei Aschaffenburg, wo mehrhundertjährige Eichenbestände keine Seltenheit sind. Was die Gegend an der Donau unterhalb Regensburg in Altbayern, das ist das unterfränkische Becken in Franken, nämlich ein reichgesegnetes Land. Aber im Maintale wird mehr Obst, Wein, Gemüse, im Donautal mehr Getreide gebaut. Auch das Ries im Jura ist übrigens eine gute Getreidekammer. Die Rheinpfalz gar ist bekannt für ihre Fruchtbarkeit. In der Rheinebene gedeihen außer der Rebe Tabak und Hopfen, ferner Mandel, Pfirsich, Maulbeere, Edelkastanie, bei Deidesheim auch die Feige. Die ausgedehnten Wälder der Pfalz im Haardtgebirge und im Westrich sind vorherrschend gemischten Bestandes. Ein Zehntel der Laubwälder besteht noch aus Eichen, selbst die seltene Eibe kommt vor. Ein richtiger Eibenwald freilich findet sich als der einzige Deutschlands nur mehr bei Paterzell im oberbayerischen Bezirke Weilheim.

Schloß Wiesentfels in der fränkischen Schweiz.
[283]      Schloß Wiesentfels in der fränkischen Schweiz.

Wer lebt nun hier in diesen ernsten, oft düsteren Hochtälern, auf der bald anmutigen, bald einförmigen und schwermütigen Ebene mit ihren vielen Flüssen und Seen, wer an dem Strom, der diese Ebene von der nördlichen Hügellandschaft trennt, in der sandigen Oberpfalz und in dem heiteren und üppigen Maintale, wer in der Fränkischen Schweiz, und wer drüben am bayerischen Rhein? Im wesentlichen sind es Angehörige dreier großer deutscher Volksstämme, der Bayern, Franken und Schwaben, und zwar sitzen die Bayern [281] rechts vom Lech nach Osten zu bis zur österreichisch-bayerischen Grenze, die Schwaben links des Lechs bis zur württembergisch-bayerischen Grenze, die Franken in den drei nordbayerischen Kreisen Ober-, Mittel- und Unterfranken sowie in der Rheinpfalz. Diese Sitze haben die drei Stämme seit dem Ausgang der Völkerwanderung, also seit rund 1400 Jahren, inne. Die Bayern kamen als Teil des alten Markomannenvolkes aus Böhmen, die Schwaben als Teilvolk der Sueven aus dem heutigen Franken und die Franken vom Rheine her.

Der germanischen Besiedelung ging vorauf die Herrschaft der Römer, wenigstens was das Süddonauland betrifft, und dieser wiederum die keltische Besiedelung.

Römischer Wachtturm an der Donau.
[280]      Römischer Wachtturm an der Donau. Relief von der Trajanssäule.

Der Stamm der alten Bayern oder Bajuvaren fand bei seiner Einwanderung im sechsten Jahrhundert n. Chr. von der römischen Kultur nicht mehr allzu viel vor. Sie hatte durch verschiedene Invasionen sehr gelitten, die Bevölkerung war durch Krieg und Auswanderung zusammengeschmolzen. Die Bajuvaren dagegen hatten während ihres jahrhundertlangen Aufenthaltes in Böhmen einen festen Volkstypus herausgebildet. "Man findet kein feines, zierliches, liebeerzwingendes Wesen, vielmehr rauhe Sprache, rauhe Außenseite, Neigung zur Gewalttätigkeit wie zum grobsinnlichen Genuß,Verschlossenheit und Argwohn gegen Fremde." "Man entdeckt aber körperliche und geistige Gesundheit, unverwüstliche Kraft und Waffentüchtigkeit, Schlichtheit und Geradheit, feines Naturempfinden und scharfe Beobachtungsgabe, lebensfrohen, übermütig sprudelnden Volkshumor, wie er sich nicht [282] bloß in Trutzliedern, sondern auch in gewissen Ortsnamen kundgibt, konservativen Sinn und energische Willensbetätigung in dem Festhalten an dem hergebrachten, ebenso Selbstgenügsamkeit und Unabhängigkeitssinn." Im Vergleich hierzu ist der Schwabe von jeher beweglicher, geistig wie körperlich, als der Bayer, von herzhafter Fröhlichkeit und dabei doch auch verschlossen, listig, mißtrauisch, sparsam. Seine Liederpoesie ist zarter als die bayerische, der Sinn für Handel und Gewerbe bei ihm mehr ausgebildet. Den Franken, sofern sie nicht fremdrassisch, vor allem slawisch, gemischt sind, merkt man auch heute noch die Begabung zum politischen Herrenvolk an. Es ist kein rätselhafter Zufall, daß sie unter den Karolingern das römische Imperium erneuerten und dabei in schwere Kämpfe mit dem bayerischen und sächsischen Stammesherzogtum gerieten. Fast selbstverständlich, daß der Franke bei solcher Begabung nicht die Heiterkeit des Bayern und Schwaben haben kann; doch gilt der rheinfränkische Pfälzer allzeit als ein lustiger Bursch.


II.

Trotz ihres Niederganges darf auch der Einfluß der keltisch-römischen Kultur auf die Bayern nicht unterschätzt werden. Römerkastelle und -städte waren nicht alle gänzlich vom Erdboden verschwunden, noch blieben sie völlig verlassen und unbewohnt. So lebten zahlreiche Orte aus der keltisch-römischen Zeit mit ihren Namen oder mit ihren lokalen Traditionen oder mit ihren christlichen Gemeinden und Kultusstätten über die Zeit der Völkerwanderung fort. Regensburg, das alte Regina Castra, konnte demzufolge Sitz des ersten bayerischen, des agilolfingischen Herzogtums werden, andere Römerorte, wie Salzburg, Wels und Linz, wurden als villae publicae Bestandteile des herzoglichen Fiskus. Mit den Resten römischer Städte blieb manches Stadtgewerbe und Kunstgewerbe in Betrieb. Von den Römern oder romanisierten Kelten übernahm man die Salzgewinnung, wie schon das Fortleben der keltischen Bezeichnung Hall für Salz verrät. Auch Handel und Verkehr, selbst die Geldwirtschaft, war mit dem Ausgang der Römerzeit nicht erstorben, und ebensowenig war das römische Straßennetz völlig zerstört. Es blieben zwar nicht die reichen und gebildeten Römer, jedoch genug Romanen zurück, um die alte Tradition im Hauswesen, in der städtischen Wirtschaft, in der Landwirtschaft zu vermitteln. Das beweisen u. a. die große Zahl heutiger Orts-, Wasser- und Bergnamen mit lateinischen oder keltisch-lateinischen Wortstämmen und zahlreiche Lehnwörter, wie Ziegel: tegula; Mauer: murus; Sichel: secula.

Bad Tölz mit Benediktenwand im Fönwetter.
[291]      Bad Tölz mit Benediktenwand im Fönwetter.
Es blieb das Christentum als unerschöpfliche Quelle jeder Gesittung und wurde in Bayern kraftvoll erneuert durch den Benediktinerorden und einen seiner größten Heiligen, durch Bonifatius, den Apostel der Deutschen. Die Mönche des hl. Benedikt "haben die materielle und die geistige Kultur gefördert, sie haben sich um den Bodenbau, um die Jugenderziehung, um die Pflege der Wissenschaften und Künste die größten Verdienste erworben". Ihre Klöster blieben Kulturzentren bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts. Außer den fünf großen Bischofsklöstern zu Regensburg, Salzburg, Freising, Passau und Eichstädt entstanden Filialklöster, wie Martinszell bei Landshut und Engelbrechtsmünster bei Geisenfeld, dann Hugibertsmünster, Isen, Schäftlarn, Schliersee, Scharnitz und Schlehdorf. Die Klöster wurden von den Gründern und anderen kirchlichen Wohltätern mit Stiftungen [283=Foto] [284] reich ausgestattet. Das Verdienst der Agilolfingerherzöge bleibt es, daß sie an Stelle der nicht ohne ihre Schuld verlorengegangenen bajuvarischen Stammesordnung die überweltlich orientierte des Christentums in ihr Land riefen und darin befestigten. "Nun begreifen wir, wie der bayerische Stamm noch unter den beiden letzten Agilolfingern daran gehen konnte, bayerische Herrschaft und bayerisch-christliche Mission ebenso nach dem Südosten hinauszutragen wie der Franke nach Nordosten."

Leider entsprach diesem Aufschwung und dieser Expansion keineswegs eine befriedigende national-politische Konsolidation. Bald nach ihrer Einwanderung erscheinen die Bayern in politischer Abhängigkeit vom Frankenreiche. Ob sie nun in diese Abhängigkeit infolge des Verfalls ihrer alten Stammesverfassung gerieten, oder ob dieser Verfall mitbedingt war durch die Gegnerschaft zum imperialistischen Frankenreich, kurz, der jahrhundertlange Kampf Bayerns um seine Stammesfreiheit endete im Jahre 788 mit der Verurteilung des letzten Agilolfingerherzogs Thassilo III. zum Tode. Er wurde von Karl dem Großen zu lebenslänglicher Klosterhaft begnadigt. Das Stammesherzogtum wurde aufgehoben, Bayern dem Frankenreich einverleibt. Schon vorher war der Widerstand der Alemannen und Schwaben links des Lechs gebrochen, deren Herzog verjagt worden. 120 Jahre später wurde nach dem Niedergang der Karolinger auch die Kulturarbeit der Benediktiner in Bayern großenteils vernichtet, als nach der furchtbaren Niederlage Markgraf Luitpolds an der Ennsburg im Jahre 907 gegen die Ungarn diese sich auf die Ostmark und ganz Bayern stürzten und es jahrzehntelang verwüsteten. Aus der Not solcher Schreckenszeit heraus wurde das verlorengegangene bayerische Stammesherzogtum neu geschaffen, und zwar von dem Geschlechte der Luitpoldinger. Die wechselnden Schicksale dieses Herzogtums im Bündnis und im Kampfe mit den jeweiligen deutschen Königsgeschlechtern der Ottonen, der Salier und Hohenstaufen nähern sich schon oft bedenklich rein dynastischen Streitigkeiten. Die Welfen werden Herren in Bayern, dann die Wittelsbacher. Was geschah aber bei der Belehnung Otto von Wittelsbachs 1180? Auch die Steiermark wurde vom bayerischen Mutterlande losgelöst und zum selbständigen Herzogtum erhoben wie [285] früher schon Kärnten und Osterreich. Der größte Teil der bayerischen Nordmark war 1139 in den Händen der Staufer geblieben. So war das Territorialherzogtum gegründet und das gesamte Markengebiet abgetrennt, welch unselige Zersplitterung in der Zukunft mehr als einmal zum mindesten die mittelbare Ursache von Kriegen der einzelnen Stammesteile untereinander wurde.

Das deutsche König- und Kaisertum des früheren Mittelalters, eine der glanzvollsten Erscheinungen der europäischen Geschichte, endete in einem schauerlichen Zusammenbruch. Obwohl tonangebend in der Gesellschaft und im öffentlichen Leben damals der Ritter war, hatte der Mönch doch seinen Einfluß auf das geistige Leben vor allem kraft verschiedener Regenerationsbewegungen neu begründet. So hat die Kirche - in Bayern wenigstens - auf dem Gebiete besonders der bildenden Kunst die führende Stellung auch noch in einem guten Teil des Ritterzeitalters behauptet. Bayern war reich an romanischen Bauwerken; man neigt heute dazu, den romanischen Stil auf einen älteren germanischen zurückzuführen. Die meisten romanischen Bauten haben sich in Regensburg erhalten, die Krypta des hl. Erhard etwa, dann die St.-Jakobs- oder Schottenkirche. Eine der bedeutendsten Leistungen mittelalterlicher Baukunst in Bayern ist der Freisinger Dom. Stattliche romanische Kirchen erhoben sich in Benediktbeuren, Rottenbuch, Polling, [286] Wessobrunn. Bayern ist in seiner Bautätigkeit nicht neue, schöpferische Wege gegangen. Seine Künstler lernten in Italien und Tirol; lombardische Baumeister und Bauarbeiter waren auf bayerischem Boden tätig. Das Land hielt zäh am Romanismus fest, die Gotik konnte erst um die Mitte des 13. Jahrhunderts eindringen. Eine reiche Entfaltung gewannen besonders als Ornamentik seit dem Beginne des 12. Jahrhunderts Plastik und Malerei. Charakteristisch hierfür sind die Portale der Schottenkirche, des Freisinger

Wolfram von Eschenbach.
[284]      Wolfram von Eschenbach.
Miniatur aus der Manesseschen Liederhandschrift.
Doms, die Kapitale und Basen in den Kreuzgängen zu Steingaden, Berchtesgaden, St. Zeno bei Reichenhall, in der Krypta zu Freising, dann die Steinfigur des thronenden Christus aus dem Kloster Reichenbach oder die Wandmalereien der Allerheiligen-Kapelle im Domkreuzgang zu Regensburg.

Patronin des Ritterstandes und seines Tun und Treibens war immer mehr die Frau Welt, deren Reich besonders unter den mächtigen Hohenstaufenkaisern blühte, und Bayern stand im Mittelpunkt dieses Frühlings. Das Nibelungen- und das Gudrunlied sang man bereits an Höfen wie unter Dorflinden; um die Wende des 12. und 13. Jahrhunderts wurden diese Lieder zu Epen umgewandelt. Der Ritter Wolfram von Eschenbach, der sich selber einen Bayern nennt, dichtete das höfische Epos Parzival, eines der größten Werke der Weltliteratur, formvollendeter nicht, aber tiefgründiger als Dantes Göttliche Komödie, stärker in Leid, Geheimnis und Erlösung als Goethes Faust, reiner und echter als Wagners Parsifal. Der erste ritterliche Minnesänger Deutschlands war der Ritter von Kürenberg an der Donau, und auch der größte Lyriker der ersten deutschen Blüteperiode in der Dichtkunst war ziemlich wahrscheinlich bayerischen Stammes, dichtete wenigstens in bayerischer Mundart: Herr Walther von der Vogelweide. Die älteste deutsche Dorfgeschichte, der Meier Helmbrecht, entstand in Bayern, und der Till Eulenspiegel der bayerischen Minnesänger, Ulrich von Lichtenstein, mit seinen tollen Streichen darf auch genannt werden.

Eschenbach in Bayern.
[285]      Eschenbach in Bayern, der Geburtsort Wolframs, des Parzival-Dichters.

Noch bleibt ein Umstand des damaligen wirtschaftlich-sozialen Lebens zu betrachten, der von größter Bedeutung für die weitere Entwicklung des Landes werden sollte. Gemeint ist das Entstehen und Erstarken der Grundherrschaft. Sie war u. a. in der Aufsaugung freier Kleinbauern begründet, ferner in königlichen Schenkungen von oft ungeheuren Landstrecken, in der Erwerbung von Lehen und Kirchenvogteien, in privaten Schenkungen und Stiftungen. Das Anwachsen der Grundherrschaft, die in gewissem Ausmaße wohl schon unter der altgermanischen Stammesverfassung vorhanden war als Vorrecht adliger Familien, hing eng mit den oben erwähnten Änderungen innerhalb der Landsgemeinde zusammen. Die Grundherrschaft war jedoch keineswegs eine Anstalt der Menschenquälerei; insbesondere der kirchliche Großgrundbesitz hat die Gesamtentwicklung des Bauernstandes unter den gegebenen Verhältnissen eines Obrigkeitsstaates eher gefördert. Sie bildete das Ende der Freibauernschaft. Lesen wir, was der verdienstvolle bayerische Geschichtschreiber M. Döberl, dem wir hier in vielem folgen, darüber schreibt! "Das Streben der Grundherren ging im 10., 11. und 12. Jahrhundert dahin, die ganze Fülle der den staatlichen Beamten zustehenden Gewalt, vor allem die volle Gerichtsbarkeit auch gegenüber den freien Grunduntertanen zu erlangen." "Die Folge dieser grundherrschaftlichen Entwicklung war, daß sich das öffentliche Denken und Fühlen eines großen Teiles [287=Foto] [288] des bayerischen Bauernstandes innerhalb der Grundherrschaft bewegte. An die Stelle des streng öffentlich rechtlich gedachten altgermanischen Staates war der vielfach privatrechtlich gedachte Feudalstaat des Mittelalters getreten. Der grundherrliche Bauer hatte in gewissem Sinne keinen Staat mehr oder aber das Bistum, das Kloster, der weltliche Grundherr war sein Staat geworden. Damit war das Intresse eines großen Teils der bayerischen Bevölkerung auch an dem Schicksal des bayerischen Herzogtums geschwunden, das ehemalige Volksherzogtum hatte seinen volkstümlichen Charakter verloren. Daraus wie aus dem Ausschlusse des gesamten Bauernstandes von den politischen Rechten erklärt es sich, daß das bayerische Herzogtum wie ein geographischer Begriff zerlegt werden konnte, ohne daß sich eine Hand zur Verteidigung rührte."

Die Frauenkirche, Münchens Wahrzeichen.
[289]      Die Frauenkirche, Münchens Wahrzeichen.
Die Zerlegung des bayerischen Herzogtums begann alsbald und dauerte von 1255-1505 unter größten Schädigungen für das Land, besonders im sogenannten schwarzen Jahrhundert 1350 bis 1450. Der Vernichtung des bayerischen wie des gesamten Freibauernstandes lief parallel die Entstehung der städtisch bürgerlichen Kultur. Kein Mensch wird leugnen, daß diese Kultur auf vielen Gebieten gewaltige Schöpfungen hervorgebracht hat. Die Zeugnisse haben wir vor Augen etwa in der gotischen Baukunst, deren Exaltation der rechte Vertreter des stolzen und unruhigen Städtergeistes im Mittelalter war. Einer der schönsten und selbständigsten gotischen Kirchenbauten in Deutschland überhaupt ist der Regensburger Dom, berühmt auch als das "klarste Bauwerk deutscher Zirkelkunst" die Martinskirche in Landshut und weniger ihrer Schönheit als ihrer urwüchsigen Eigenart wegen Jörg Gangkofers Münchner Frauenkirche. Sie alle werden aber besonders an innerem Formreichtum übertroffen durch die Lorenzer- und die Sebalduskirche in Nürnberg. Auch die rein geistige Bildung wurde immer mehr eine Angelegenheit des Städters im späteren Mittelalter, im Zeitalter des Humanismus und der Aufklärung. Entscheidend ist hier auch für Bayern, das in den Jahrhunderten des ausgehenden Mittelalters und der Renaissance manche Verbindung mit Italien anknüpfte, die Abwendung von der fromm religiösen Denkart der alten christlichen Gemeinschaft, das Aufkommen der freien Wissenschaften und Künste, schließlich auch der freien Wirtschaft als Ausdruck des liberalen, selbstwissenden, nur sich selbst und seinem Gewissen verantwortlichen Stadtbürgers. Wir stehen damit schon an der Schwelle unserer Gegenwart, deren zwangsläufige Ausgestaltung auch solch [289] rückwendige oder retardierende Geschichts- und Geistesperioden wie der Absolutismus oder die deutsche Romantik nicht mehr aufhalten konnten. Freilich ist zuzugestehen, daß Bayern in allen seinen heutigen Stammesgebieten dieser ganzen Entwicklung nur langsam gefolgt ist und noch im Rufe steht, ein Bauernstaat zu sein.


III.

Das Gebiet des Freistaates Bayern, wie es mit wenigen Abweichungen seit dem Wiener Kongreß 1815 besteht, umfaßt außer den altbayrischen fränkische, schwäbische und pfälzische Länderstrecken. Das bayrische Franken und Schwaben, ursprünglich Teile selbständiger Herzogtümer, zerfielen im Mittelalter in eine Menge größerer und kleinerer Territorien, wobei in Franken an erster Stelle die hohenzollerischen Fürstentümer standen. An geistlichen Territorien in Franken sind zu nennen die Hochstifter Eichstädt, Bamberg und Würzburg.

Bamberg.
[287]      Bamberg. Blick auf Stadt und Dom vom Rathausturm Geyerswörth.

Augsburg.
[288]      Augsburg. Die Fuggerei.

Dinkelsbühl.
[293]      Dinkelsbühl.
Die freie Reichsstadt Nürnberg erreichte im 15. Jahrhundert ihre höchste Blüte; ihr folgte die schwäbische Reichsstadt Augsburg, welche im 16. Jahrhundert die Reformation einführte. Die bayrische Pfalz setzt sich zusammen aus Bestandteilen der alten Kurpfalz, des Herzogtums Zweibrücken und anderer Herrschaften.

Wirtschaftsgeographisch betrachtet ist dieses Gebiet trotz der starken Zunahme seiner Industrie und seines Handels wirklich noch vorwiegend Agrarland. Die Obstbaumzucht ist besonders in der Bodenseegegend, im Donau- und Maintal, sowie in der Rheinpfalz in stetigem Aufschwung begriffen, der Weinbau dagegen stark zurückgegangen. Ausgezeichnete Getreidegebiete sind neben der niederbayerischen Kornkammer die Täler der Wörnitz und Altmühl, der fränkischen Rezat, der Aisch und des Mains und die pfälzische Rheinebene. Der Anbau von Hopfen, Kartoffeln, Flachs wurde schon im Abschnitt über Pflanzenwuchs erwähnt. Von großer Bedeutung ist ferner die Waldwirtschaft. Ein Drittel der Gesamtfläche ist von herrlichen Forsten bedeckt. Die Viehzucht bildet einen Haupt- [290] ernährungszweig, namentlich in den Alpen und im Alpenvorland. Die Hauptgebiete der Rinderzucht sind das Allgäu, wo graubraunes Gebirgsvieh, dann die Miesbacher, Tegernseer, Tölzer und Rosenheimer Gegend, wo großes Fleckvieh gezüchtet wird, in Nordbayern, Unterfranken und einige Teile von Mittel- und Oberfranken mit gelbem Frankenvieh, endlich das Glan- und Donnersberger Gebiet in der Rheinpfalz mit gelbem Schlag. Schweine- und Ziegenzucht hat sich ausgedehnt, die Pferdezucht ist zurückgegangen, ebenso die Schafzucht. Geflügel wird von den Landwirten mehr im Nebenbetriebe gezogen, emsig betreibt man Fisch- und Bienenzucht. Auch der Wildstand ist gut in Bayern.

An mineralischen Bodenschätzen ist kein großer Reichtum vorhanden. Im Mittelalter und später noch wurde im Fichtelgebirge und auch in Oberbayern auf Gold, Silber und Zinn Bergbau getrieben, heute befaßt man sich hauptsächlich mit Steinkohlen im Saarrevier und mit Braunkohle in Oberbayern. Nennenswert sind ferner ein Erdölvorkommen am Tegernsee und die Graphitgewinnung bei Wegscheid. Sehr gute Eisenerzlager gibt es im Fränkischen Jura, Schwefel- und Magnetkiese im Bayerischen Wald. Die Produktion der Farberden ist im Aufschwung begriffen. Gips, Speckstein, Quarz, Schiefer, Mühlsteine werden in verschiedenen Gegenden gewonnen, und berühmt sind die Solnhofener Lithographiesteine, wohlbekannt das Reichenhaller Salz. Mineralquellen sprudeln in Heilbronn bei Tölz, in Kissingen, Brückenau, im Fichtelgebirge.

Die bayerische Industrie ist nicht zum geringen Teil dem ausgedehnten Wald-, Acker- und Obstbau angegliedert. Da ist vor allem die weltberühmte Bierbrauerei, man könnte sagen, die Leib- und Magenindustrie des Altbayern, der auf seiner zugigen Hochebene einen nahrhaften Trunk haben muß. Hauptproduktionsstätten dieser feuchten Nahrung sind München, Weihenstephan bei Freising, Ingolstadt, Augsburg, Nürnberg, Erlangen, Kulmbach, Hof, Lichtenfels. Eine urwüchsige Sache ist auch die Flößerei in den Alpen und Voralpen, im Bayerischen Wald, Franken- und Steigerwald. Sie liefert das Material zu allerlei Holzwaren, als da ist Resonanz-, Rahmen-, Klaviatur- und Deckelholz. Großartig ist die Spielzeugfabrikation in Nürnberg, Mittenwald ist der Hauptsitz der Geigenmacherei, Berchtesgaden, Oberammergau und Garmisch-Partenkirchen sind die bedeutendsten Orte für Holzschnitzerei. Tabakfabrikation gibt es in Kaiserslautern, Ludwigshafen, Bamberg, Nürnberg, Würzburg und München, Korbwarenindustrie hauptsächlich in Oberfranken. Die Tierzucht in Bayern bedingt eine große Butter- und Käsefabrikation, Lederfabrikation, Schuh- und Handschuhfabrikation. Sehr ausgebildet ist auch die Webindustrie.

Von der Industrie des Mineralreiches sind bedeutend die Nürnberger Bleistiftfabrikation und die Glaserzeugung. Hervorragende Porzellanfabriken gibt es in Hohenberg, Selb, Passau, Nymphenburg, Tonwaren werden hergestellt in Schwandorf und Schwarzenfeld, Töpfereien in Treuchtlingen, Gröningen, Bergzabern. Weltbekannt sind auch die Zinngießereien Nürnbergs, besonders durch die Fabrikation der berühmten Zinnfiguren. Große Fabriken zur Herstellung von Lokomotiven und Eisenbahnwaggons bestehen in München, Nürnberg und Ludwigshafen, für landwirtschaftliche und gewerbliche Maschinen [291] in München und Augsburg, für Nähmaschinen in Kaiserslautern. Bayerns chemische Industrie ist vertreten durch große Farbwarenfabriken in Nürnberg, Teerfarben in Nürnberg und Ludwigshafen, außerdem werden Mineralfarben in Schweinfurt, Öl- und Lackfarben in Augsburg, München und Grünstadt in der Pfalz hergestellt. Zündhölzerfabriken sind in Augsburg, Fürth, Ludwigshafen, Regen, solche für Kunstdünger in Augsburg, Ludwigshafen, Kaiserslautern und Heufeld. Von einschneidender wirtschaftlicher Bedeutung ist in den letzten Jahrzehnten auch die sogenannte Fremdenindustrie in Bayern geworden, namentlich in den Alpen und im Alpenvorland.

[292] Dem Wirtschaftsleben dient ein gut entwickeltes Verkehrswesen. Bayern hat auf seinem Boden die erste deutsche Eisenbahn, die Strecke Nürnberg - Fürth gebaut und 1835 eröffnet. Die allmähliche Elektrifizierung seiner Bahnen und die Einführung vieler Motorpostlinien lassen es auch heute nicht hinter anderen deutschen Ländern verkehrstechnisch zurückstehen. Im Jahre 1918 wurde unter Beteiligung des Staates das Bayernwerk zur Versorgung des rechtsrheinischen Bayern mit Elektrizität durch Wasserkräfte gegründet. Dieses eminent großzügige und moderne Unternehmen befaßt die Wasserkraftwerke Walchensee-, Mangfall-, Soyensee-, Alz-, Kachelt-, Inn- und Viereth-Werk in sich. Umspannwerke oder Transformatorenstationen befinden sich bei München, in Meittingen, Schweinfurt, Stein bei Nürnberg, Würzburg, Landshut, Regensburg, Amberg.

Bayern arbeitet, Bayern genießt, beides in etwas langsamerem Tempo als seine nördlichen und westlichen deutschen Nachbarn. So aber hat es sich wie im Mittelalter auch in der neueren und neuesten Zeit eine umfassende Pflege der Künste und Wissenschaften gönnen können, unterstützt, beraten, geführt dabei von seinen Wittelsbacher Fürsten und von bedeutenden Männern. Gerade auf bayerischem Boden ist das Barock zu solchen Leistungen wie der Münchener Theatinerkirche Barellis und Zuccalis gelangt, wurde das Rokoko erst zu seiner letzten Vollendung gebracht, wovon die Amalienburg, die Dießener Kirche und die Wieskirche bei Steingaden Beispiele geben. Bayern ward ein Pflanzgarten der deutschen Romantik durch die Kunstpflege König Ludwigs I., durch Maximilian II. und seiner Münchener Dichter- und Malerschule, durch Ludwig II. und dessen Förderung Richard Wagners.

Schloß Neuschwanstein.
[281]      Schloß Neuschwanstein bei Füssen in den bayerischen Alpen.

Seiner Lage im Herzen Europas wegen hatte es auch in den letzten 30 bis 40 Jahren vieles in Kunst und Literatur aufzunehmen und zu verarbeiten, was aus Nordostsüdwest kam; man denke an die Kunstrichtungen des Impressionismus und Expressionismus. Beide haben Spuren in den größeren Städten zurückgelassen; sie haben zwar die Architektur nicht unmittelbar befruchtet, aber ihr doch manchen Anstoß gegeben. Das neue Münchener Justizgebäude wäre sicher nicht, aber auch schon das dortige neue Nationalmuseum nicht ohne den Impuls entstanden, der von jenen Bewegungen ausging. Der Einfluß der modernsten Nutzbaurichtung ist u. a. an dem ersten Wolkenkratzer Münchens, einem städtischen Verwaltungsgebäude, an der Oberpostdirektion und an dem neuen Flughafen dort zu ersehen.

Die schweren Zeiten des Weltkrieges, der Revolutionen, der Inflation und der Weltwirtschaftskrise hat auch Bayern zu spüren bekommen. Rund 200 000 Bayern fielen im Weltkriege, die Revolutionen forderten in der Hauptstadt zahlreiche Opfer, durch die Wirtschaftskrise wurde manch große Maschinenfabrik stillgelegt und Hunger und Elend besonders über die arme Bevölkerung im östlichen Grenzgebiete Bayerns gebracht. Das Land hat diese Schicksalsschläge bis heute überstanden dank einer geschickt geleiteten Außen- und Innenpolitik und einer trotz der schwierigen Verhältnisse gut ausgebauten sozialen Fürsorge. Das geistige und kulturelle Leben konnte sich, wenn auch mühsam, durch alle Nöte hindurchretten. Davon zeugt u. a. das Schaffen von Dichtern wie Carossa, Graf, Ortner, Weismantel, davon zeugt das Ringen von bildenden Künstlern und Musikern bayerischer Abkunft um neue Ziele, zeugt die erfolgreiche Tätigkeit bayerischer Wissenschaft und Technik in Erfindung und Ausbau neuer Möglichkeiten der Erkenntnis und Kultur- [293=Foto] [294] beherrschung. Die Vollendung des Deutschen Museums in München, der gewaltigen Schöpfung Oskar von Millers, und anderer Errichtungen für Zwecke der Kunst und Wissenschaft, wie des Erweiterungsbaues der Technischen Hochschule dortselbst sind weitere Zeichen der ungebrochenen kulturellen Widerstandskraft Bayerns.

    Bayrisch Land und Volk,
    Stolz und ehrenfest:
    Bleibt's die alte Art,
    Bleibt's die allerbest.
    Weiß-blau Dein Panier,
    Himmelslicht und Treu.
    B'halten wir's zusamm'!
    Und die Welt wird neu.

Seite zurückInhaltsübersichtnächste
Seite


Das Buch der deutschen Heimat, besonders die Kapitel
      "Im Frankenland", "Drei alte Reichsstädte", "Altbayerisches Volkstum",
      "Bayerische Ostmark", "München" und "Und im Süden die Berge...".

Deutsches Land: Das Buch von Volk und Heimat
Unter Mitarbeit von Schriftstellern aller deutschen Stämme
herausgegeben von Dr. Eugen Schmahl.
Mit einem Geleitwort von Dr. Hans Steinacher,
Reichsführer des Volksbundes für das Deutschtum im Ausland,
und mit einem Geleitschreiben von Hans Grimm.