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1. Teil: Deutsche unter fremder Staatshoheit in Europa.

Weiterführende Verweise:
  • Nordschleswig
  • Das Deutschtum in Nordschleswig
  • Gegnerische Gebietsforderungen
      und ihre Vorgeschichte: Die Dänen
  • Gefährdung und Gebietsverlust
      durch Abstimmung: Nordschleswig
  • Dänemark

    In Nordschleswig sind deutsches und dänisches Volkstum innig miteinander verschmolzen. Wer nicht selbst dort zuhause ist, vermag die Sprachen des Volkes, Plattdeutsch und Plattdänisch, kaum voneinander zu unterscheiden. Selbst die nationalistischen Hetzereien der letzten Jahrzehnte vermochten keinen tiefgreifenden Gegensatz zwischen deutschen und dänischen Schleswigern zu erzeugen. Schleswig und Holstein wurden 1864 von Dänemark getrennt und im Prager Frieden von 1866 wurde seitens Preußens das Zugeständnis gemacht, daß in den nördlichen Teilen Schleswigs eine Volksabstimmung über deren künftige staatliche Zugehörigkeit stattfinden solle. Es fanden Verhandlungen über diese Angelegenheit statt, die jedoch ergebnislos verliefen, weil die deutsche und dänische Regierung sich über die Abgrenzung des Abstimmungsgebietes nicht zu einigen vermochten. Im Herbst 1918 erklärte die deutsche Regierung ihr Einverständnis zur Regelung der nordschleswigischen Frage, aber nach dem Entwurf der Versailler Friedensbedingungen sollte Volksabstimmung über die Zugehörigkeit zu Deutschland oder Dänemark bis an die Schlei und Eider stattfinden. Deutscherseits wurde eingewendet, daß Dänen territorial zusammenhängend mehr als 50% der Bevölkerung bloß innerhalb einer Linie bilden, die wie folgt verläuft: südlich Rön, nördlich Hoyer, südlich Mögeltondern, nördlich Tondern, südwestlich Bohrkarr, südlich Ladelund, nördlich Karlun, südlich Branstedt, südlich Weesby, nördlich Medelby, südlich Jardelund, nördlich Wallebüll, nördlich Ellund, südlich Fröslee, westlich Harrislee, Pattburg, Niehuus, nördlich Krusau, südlich Hönschnap, bei Süderhaff in die Flensburger Förde und mit dieser in die Ostsee.

    Nach dem endgültigen Text des Friedensvertrages folgt die Grenze des Abstimmungsgebietes der Mittellinie der Flensburger Förde, dann trifft sie das Festland etwa 13 km nordöstlich von Flensburg, von wo sie sich südwärts gegen Wanderup und Jodelund und dann nordwärts zur Südgrenze des Kreises [5] Tondern wendet, der sie bis zur Nordsee folgt, schließlich geht sie südlich der Inseln Föhr und Amrum und nördlich der Inseln Oland und Langeneß hindurch. In dem Gebiet, das in der Hauptsache nördlich der Flüsse Süderau und Wiedau liegt, wird zuerst abgestimmt, südlich davon nicht mehr als fünf Wochen später. Die erste Abstimmungszone umfaßt den überwiegend dänischen Teil Nordschleswigs, jedoch auch die rein deutschen Gemeinden Tondern und Hoyer und einige Landgemeinden mit deutscher Mehrheit am Rande des Abschnitts. Zur zweiten Zone gehören Nordfriesland und Flensburg samt den nächsten Landgemeinden, der überwiegend deutsche Teil Mittelschleswigs.

    In allen abzutretenden Gebieten werden die seitherigen deutschen Reichsangehörigen dänische Angehörige. Falls sie über 18 Jahre alt sind, können sie innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten des Friedensvertrages für Deutschland optieren.

    Im ganzen Abstimmungsgebiete ist die dänische Bevölkerung etwas stärker vertreten als die deutsche, aber der Unterschied ist nicht bedeutend. Auf Grund der Volkszählungsergebnisse von 1910 waren nämlich von einer Gesamtbevölkerung von 274 000: 125 000 Deutsche (45,5%), 133 000 Dänen (48,1%), etwa 13 000 Friesen (4,7%) usw.

    In der nördlichen Abstimmungszone gestaltete sich die nationale Gliederung der Bevölkerung im Dezember 1910 wie folgt:

    Muttersprache
        Kreise Bevölkerung   deutsch   friesisch   dänisch  
    1. Hadersleben 63 575 12 203 93   50 610
    2. Apenrade 32 416   7 809 85   23 918
    3. Sonderburg 39 909 10 576 36   28 562
    4. Tondern, Teil 39 820 13 732 5 627   19 925
    5. Flensburg-Land, Teil   5 190   3 875 26     1 265

    zusammen 180 910   48 195 5 867   124 280 
    v. H. —   26,64 3,24     68,70

    In dieser Zone bilden die Dänen mehr als zwei Drittel, die Deutschen nur über ein Viertel der Bevölkerung. Immerhin sind sie auch hier eine starke Minderheit. In der zweiten Abstimmungszone leben jedoch neben 77 000 Deutschen bloß 8500 Dänen (9% der Bevölkerung). Aber, Steuerflucht und Abwälzen der Kriegslasten, wie die Erwartung wirtschaftlicher Freiheit und besserer Lebensverhältnisse, sind lockende Motive für Anschluß an Dänemark: soll doch die abgetretene Bevölkerung keine Kriegslasten Deutschlands tragen, sondern Dänemark nur den Anteil der Friedensschulden von Reich, Staat und Provinz vom 1. August 1914 und den Auskauf alles staatlichen Besitztums übernehmen. Zuungunsten Deutschlands wirken muß auch die Einschränkung der Stimmenberechtigung auf die im Abstimmungsgebiet Geborenen und die seit 31. Dezember 1899 Seßhaften. Es ist klar, daß [6] der Freizügigkeit sich die Deutschen viel mehr bedient haben als die Dänen, daß von diesen weniger abgewandert sind, während an der Zuwanderung vorwiegend Deutsche beteiligt waren.

     
    Weiterführende Verweise:
  • Belgien
  • Das Deutschtum in Belgien
  • Gegnerische Gebietsforderungen
      und ihre Vorgeschichte: Die Belgier
  • Belgien

    Bis zum Friedensschluß gab es in Belgien an der deutschen und luxemburgischen Grenze drei kleine, zum geschlossenen deutschen Sprachbereich gehörige Gebiete: das eine in der Nordostecke der Provinz Lüttich, die beiden anderen in der Provinz Luxemburg. Im Kreis Arel liegen die 19 deutschen Gemeinden Arel, Athem, Attert, Bonnert, Diedenburg, Elcheroth, Girsch, Heischlingen, Herzig, Hewerdingen, Holdingen, Hondelingen, Ibingen, Martelingen, Metzig, Nieder-Elter, Selingen, Törnich und Tontelingen. Im Kreise Bastnach (Bastogne) gehören die Gemeinden Bochholz und Tintingen zum geschlossenen deutschen Sprachgebiet; außerdem liegen dort noch mehrere deutsche Dörfer verstreut. Die Sprache ist hier mittelfränkisch. Im Kreise Verviers der Provinz Lüttich bilden die zehn Gemeinden Aubel, Balen, Gemmenich, Heinrichskapel, Hornburg, Membach, Montzen, Moresnet, Sippenaken und Welkenrath, an der Grenze der holländischen Provinz Limburg, einen Teil des geschlossenen deutschen Sprachgebietes. Für sechs dieser Gemeinden kennt auch das amtliche belgische Ortsverzeichnis, das im allgemeinen bloß französische Namen enthält, nur die deutschen Bezeichnungen. Die Sprache dieser Gemeinden im Kreise Verviers ist niederdeutsch. Ihre Erhaltung unter belgischer Herrschaft beruht zum Teil auf dem starken Verkehr mit der nahegelegenen Stadt Aachen, deren natürliches westliches Hinterland die genannten Gemeinden bilden. Doch ist ein gewisser Einfluß der benachbarten niederländischen Sprache nicht zu verkennen. In den Kreisen Verviers und Arel wurden im Jahre 1910 55 637 deutschsprechende Einwohner gezählt. Dazu kamen noch 1633 deutschsprechende Einwohner der Gemeinden Bochholz und Tintingen im Kreise Bastnach.

    Eine bedeutende Erweiterung erfährt das deutsche Sprachgebiet in Belgien durch die im Frieden von Versailles verfügte Abtretung der Kreise Eupen und Malmedy an Belgien, die bis 1815 Teile der niederländischen Provinzen Limburg, Lüttich und Luxemburg bildeten und nach dem Sturze des ersten Napoleon Preußen zugeteilt wurden. In nationaler Hinsicht ist der Kreis Eupen gegenwärtig so gut wie rein deutsch; von seinen 25 000 Einwohnern haben bei der letzten Zählung nur 98 Wallonisch als Muttersprache angegeben. Der Kreis Malmedy zählt unter seinen 37 000 Einwohnern etwa 9500 mit wallonischer Muttersprache. Die Wallonen sind demnach bedeutend in der Minderheit. Der ebenfalls an Belgien fallende Bezirk Neutral Moresnet hat rund 3500 Einwohner mit größtenteils deutscher Muttersprache. (Deutsche Gegenvorschläge zu den Friedensbedingungen, Abschnitt Belgien.)

    [7] Ob die deutsche Sprache in diesen Gebieten unter belgischer Herrschaft weiterhin bestehen bleiben wird, ist fraglich. Bis zum Weltkrieg machten die belgischen Regierungen keine Anstrengung zur Französisierung der deutschen Gemeinden in Lüttich und Luxemburg. Bald nach der Gründung Belgiens wurde die deutsche Sprache wiederholt als der französischen und der flämischen gleichberechtigt erklärt.1 Schon ein Erlaß der provisorischen Regierung vom 16. November 1830 besagt, daß in den Provinzen, wo die flamische oder deutsche Sprache gebräuchlich ist, die Gouverneure in den Amtsblättern flamische oder deutsche Übersetzungen der für ganz Belgien oder für die betreffenden Provinzen geltenden Gesetze und Verordnungen zu veröffentlichen haben. Auch das Gesetz vom 19. Dezember 1831 enthält die gleichen Bestimmungen. Damals gehörte allerdings das heutige Großherzogtum Luxemburg ebenfalls zu Belgien und das deutsche Sprachgebiet Belgiens war demnach erheblich größer als jetzt. Auch später, und zwar bis in die neueste Zeit, haben Regierung und Parlament mehrfach die Gleichberechtigung der deutschen Sprache anerkannt, so z. B. im Patentrecht, beim Wahlrecht und im Unterrichtswesen. In allen belgischen Schulgesetzen heißt es, daß der Sprachunterricht, je nach der Örtlichkeit, in französischer, flamischer oder deutscher Sprache zu erteilen ist; die praktische Anwendung dieser Bestimmung in der Stadt Arel setzte in den neunziger Jahren der dortige "Deutsche Verein" durch. Auf dem Lande gab es nirgends deutschen Sprachunterricht. Der Vorschlag, die Gesetze Belgiens in einem gleichberechtigten deutschen Text zu veröffentlichen, wurde 1898 von der Abgeordnetenkammer und vom Senat abgelehnt. In der Praxis wurde die deutsche Sprache von den Behörden niemals geachtet. Man erklärte es als eine im Interesse des öffentlichen Dienstes liegende Notwendigkeit, daß es nur eine Dienstsprache gebe, und daß diese in Verviers wie Luxemburg die französische Sprache sein soll.

    Innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten des Versailler Vertrags haben die belgischen Behörden in Eupen und Malmedy Listen auszulegen, in welche sich einzutragen jene Bewohner der beiden Kreise berechtigt sind, die wünschen, daß dieselben ganz oder zum Teil unter deutscher Souveränität bleiben. Näheres über diese sonderbare Art der Ausübung des "Selbstbestimmungsrechts" sagt der Vertrag nicht. Doch ist sicher, daß sich die meisten Einwohner hüten werden, von dem ihnen zugestandenen Recht Gebrauch zu machen, da sie fürchten müssen, sich durch die Eintragung in die Protestlisten bei der belgischen Verwaltung unbeliebt zu machen.

     
    Weiterführende Verweise:
  • Elsaß-Lothringen
  • Das Deutschtum in Elsaß-Lothringen
  • Gegnerische Gebietsforderungen und
      ihre Vorgeschichte: Die Franzosen
  • Gefährdung und Gebietsverlust
      durch erzwungene Abtretung oder
      Verselbständigung: Elsaß-Lothringen
  • Frankreich

    Infolge der Wiederabtretung Elsaß-Lothringens leben nun in Frankreich (auch wenn auf die seit dem Herbst 1918 stattgefundenen Ausweisungen [8] Bedacht genommen wird) etwa 1½ Millionen Deutsche, die teils dem alemannischen, teils dem fränkischen Stamm angehören. Zwischen diesen beiden deutschen Stämmen verläuft die Grenze seit alter Zeit unverändert etwa in der Höhe von Straßburg links und rechts des Rheinstroms; an ihr scheiden sich Sprache, Siedelungs- und Bauart. Im Oberelsaß sowohl wie in Oberbaden findet sich das rauhere südliche Hochalemannisch, wo das ch, ebenso wie das anlautende k, als Gaumenlaut gesprochen wird (Chind, Cheller, Chnabe – für Kind, Keller, Knabe). Fast unmerklich gehen die Mundarten des Elsaß in die von Baden und der angrenzenden deutschen Schweiz über. Wortformen aus uralter deutscher Zeit sind ebenso beiderseits des Stromes erhalten.2

    Im Jahre 1909 waren in Elsaß-Lothringen von 1719 000 Einwohnern (einschließlich 79 000 Militärpersonen) 1 492 000 deutsch, im Jahre 1910 wurden unter 1 874 000 Einwohnern (einschließlich 82 000 Militärpersonen) 1 634 000 Deutsche gezählt. Die deutsch und französisch Sprechenden sind dabei nicht mitgerechnet. Die Zahl der Franzosen wurde 1910 für das Unterelsaß mit 26 400, für das Oberelsaß mit 31 800 und für Lothringen mit 146 100 angegeben. Am schwächsten vertreten waren die Deutschen in den Kreisen Chateau-Salins (27,1%) und Metz-Land (48,7%); in Rappoltsweiler bildeten sie 66,8%; in Metz-Stadt 74,4%, in Diedenhofen-West 75,9%, in Saarburg 76,9% und in Bolchen 87,5%. Beider Sprachen mächtig war besonders in Lothringen ein sehr großer Teil der Einwohner.

    Zur Zeit des Besitzwechsels (1871) bestand in Lothringen eine so gut wie geschlossene Sprachgrenze von Alberschweiler und St. Qirin an den Vogesen bis Deutsch-Oth und Redingen an der lothringischen Grenze, die Metz einschloß. Aber 1910 war Metz eine überwiegend deutsche Stadt; es zählte unter 68 598 Bewohnern nur 13 757 Französischsprechende. Auch wenn man die Besatzung ausscheidet, waren der Deutschen doppelt so viele als der Franzosen. Dazu hat die Umgebung eine Mehrheit deutscher Bewohner, westwärts hinaus bis auf fünf Kilometer. Im Landkreis Metz gab es unter 113 674 Einwohnern nur noch 52 292 Franzosen. Der früher fast rein französische Erzbezirk ist jetzt überwiegend deutsch; der Kreis Diedenhofen-West zählte 1910 unter 88 232 Ortsanwesenden 21 007 Französischsprechende. Auch fehlt es nicht an vereinzelten deutschen Enklaven im überwiegend französischen Sprachgebiet. Bezüglich der Änderungen der deutschen Sprachgrenze im Elsaß sagt Dietrich Schäfer (Grenzen deutschen Volkstums, S. 9, Berlin 1919), daß hier die Verschiebung nicht so stark war wie in Lothringen, doch findet sich eine französische Mehrheit nur noch im oberen Weiß- und Breuschtal, in den Kantonen Schnierlach (La Poutroye), Saales und Schirmeck. Das obere Weiler- und Lebertal, die Kantone Weiler und Maikirch, früher auch zum größeren Teil französisches Sprachgebiet, sind [9] jetzt überwiegend von Deutschen bewohnt. Sonst gibt es im Elsaß nur zerstreut Französischsprechende. Die Bewohner der genannten Täler sprachen, soweit sich feststellen läßt, von jeher französisch; im Leber- und Breuschtal hat sich das Französische in dem Zeitraum vom 16. bis zum 19. Jahrhundert etwas vorgeschoben, im Breuschtal bis unterhalb Schirmeck. Von den 58 200 Franzosen, die 1910 im Elsaß gezählt wurden, trafen auf die eben genannten Vogesentäler mehr als zwei Drittel.

    Darüber, daß die Mehrzahl der Elsässer und Lothringer bei Kriegsbeginn deutsch waren, besteht kein Zweifel und kein Streit. Strittig ist dagegen die Frage, ob die Mehrheit von ihnen einem Verbleiben bei Deutschland zu- oder abgeneigt war. Man gewann bei Kriegsausgang den Eindruck, daß für ein selbständiges Elsaß-Lothringen und sogar für den Anschluß an Frankreich weit mehr Neigung herrschte als für weitere Zugehörigkeit zu Deutschland. Gedanken an materielle Vorteile mögen dabei mitgespielt haben. Aber sie waren nicht ausschlaggebend. Täuschen wir uns nicht länger selbst, sondern sehen wir die Wahrheit: Infolge der grundfalschen Reichslandspolitik im alten Deutschland hat sich der größte Teil der Bevölkerung abgestoßen gefühlt. Überdies ist die vom Ende des 17. Jahrhunderts bis 1870 betriebene Französisierung wirklich schon recht tief gedrungen gewesen. Um sie auszugleichen, wären ganz andere Mittel erforderlich gewesen als die, welche angewandt wurden, die nichts weniger als an Deutschland anzogen. Ein gutes Bild der Verhältnisse vor der Angliederung Elsaß-Lothringens an Deutschland gibt G. Aurich.3 Er schreibt: Von oben nach unten vordringend haben französische Sprache und Kultur sämtliche Schichten des Volkes, wenn auch in sehr verschiedener Weise durchdrungen; besonders am Vorabend des deutsch-französischen Krieges entfalteten sie eine vorher nicht gekannte werbende Kraft. Für die Volksschule ward 1853 das Französische zur Unterrichtssprache erhoben, 1859 wurde der deutsche Unterricht auf täglich 35 Minuten beschränkt; sonst war nur der Religionsunterricht noch teilweise deutsch. In den Kreisen der Notabeln und der höheren Bourgeoisie ist französische Bildung herrschend geworden, vorerst noch mit sehr merklichen Resten deutsch-elsässischen Wesens. Die Generation, die in den sechziger Jahren ihre entscheidenden Jugend- und Bildungseindrücke empfängt, ist die erste von ausgesprochen französischem Gepräge. Kleinbürgertum und Arbeiterschaft sind noch vorwiegend deutsch, nehmen aber für sich und erst recht für ihre Kinder französische Art und Sprache begierig auf als die Sprache des öffentlichen Lebens, der Bildung, des Vorwärtskommens. Selbst der seinem Wesen nach kerndeutsche Bauer bildet sich unendlich viel darauf ein, daß seine Kinder französische Schulbildung erhalten; deutsch brauchen sie ja nicht erst zu lernen, das können sie [10] von Hause. Deutsch war nur noch eine Großmacht des Volkslebens: Kirche und Religion. Das Hochdeutsch blieb bis dahin noch für viele die geweihte Sprache des Gottesdienstes und Gebets. Auch die Kirche hätte in der Sprachenfrage schrittweise kapitulieren müssen, wenn die Ereignisse von 1870–71 nicht gekommen wären.

    In bewußten Gegensatz zu dem allgemeinen Zuge der Kulturentwicklung stellten sich außer den meisten Geistlichen nur kleinere Kreise.

    Das Elsaß wies um 1870 eine Doppelkultur auf mit jeweils recht verschiedener Mischung von deutschen und französischen Bestandteilen; aber diese Doppelkultur stellte keine wirklich harmonische innere Verbindung, geschweige denn einen höheren Ausgleich der beiden Kulturen dar.

     
    Weiterführende Verweise:
  • Südtirol
  • Das Deutschtum in Südtirol
  • Gebietsverlust durch erzwungene
      Abtretung oder Verselbständigung:
      Deutsch-Österreich und seine
      Grenzgebiete
  • Italien

    Jenseits der Alpen ist ungefähr eine Viertelmillion Deutsche unter italienische Staatshoheit gekommen: Die Bevölkerung des Oberetsch- und Eisackgebietes, das ebenso wie das Trentiner Gebiet durch Italien annektiert wurde.

    Die Sprachgrenzen im ehemaligen Südtirol verlaufen heute im wesentlichen noch so wie sie Czoernig in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts festgestellt hat. Nur im Grödnertal hat die deutsche Sprache gegenüber der ladinischen ein wenig Boden gewonnen. Die deutsch-italienische Sprachgrenze beschreibt Czoernig wie folgt:4 "Mit dem sogenannten Ende der Welt (bei Trafoi), den deutschen Wirtshäusern auf der Nordseite der Stilfser Straße und den Eisfeldern der Ortlerspitze und des Suldenferners, sowie mit dem Ultentale, hat auch die deutsche Sprache ihre südliche Grenzlinie erreicht, welche hier zugleich vom Ortler zum Gampenberg mit der Grenze zwischen dem Brixner- und Trienterkreis zusammenfällt. Auf dem Südabhang des Gampens streift die deutsche Sprache gegen das freundliche Nonstal (Val di Noce) über, indem sie die Gemeinden Proves, Laurein (Lauregno) und San Felice (Senale5) samt mehreren Weilern umfaßt. Nun wendet sich die Sprachscheide wieder mit der Kreisgrenze an der Wasserscheide zwischen dem Nons- und Etschtale nach Salurn, indem die deutsche Sprache hier gleichsam einen vielfach aufgelockerten Damm bildet, als dessen südlichster Eckstein Salurn mit seinem Felsenschloß erscheint, während am linken Etschufer die italienische Bevölkerung bis gegen Bozen hin- [11] auf bereits in deutsche Orte gedrungen und Pfatten mit Kreitz und Gmund am rechten Ufer der Etsch ganz welsch sind. Im weiteren Zuge nach Norden folgt die deutsch-italienische Sprachlinie der mehrgedachten Kreisgrenze bis zum Grödnertale (Valle Gradina), nur mit den Orten Altrei (Altariva) und Truden (Trodena), westlich von Cavalese biegt sie in den Trienter Kreis aus." Das ladinische Sprachgebiet, das nach dem Zeugnis der geographischen Namen ehedem den größten Teil Tirols umfaßte, ist nun auf das Grödnertal von St. Ulrich aufwärts, das Gadertal und seine Nebentäler, das Ampezzotal und das Buchensteiner Tal beschränkt. Manche Autoren betrachten überdies die Bewohner des oberen Fassatales bis einschließlich Vigo als Ladiner, doch ist die Sprache südlich des Sellajoches der italienischen ähnlicher als der ladinischen. Strittig ist auch, ob in Westtirol die Bevölkerung des unteren Sulztales und oberen Nonstales als Ladiner oder Italiener zu gelten haben. Unter den neuen politischen Verhältnissen werden die Ladiner jedenfalls den italienischen Einflüssen weit leichter zugänglich sein als den deutschen.

    Im südlichsten Teil des deutsch-tiroler Sprachgebietes gibt es starke italienische Minderheiten, und zwar in dem Gebiet von der Salurner Klause, dem heutigen südlichen Grenztore des deutschen Sprachgebietes, bis über Meran hinaus, fast ausschließlich im Talboden der Etsch. Dieses Gebiet war bis über Bozen in den Jahren 1810–1813 dem italienischen Königreiche angegliedert. Ein durch das Vordringen des Deutschtums geschaffenes Mischgebiet, ein Mischgebiet innerhalb der italienischen Sprachgrenze in Tirol, gibt es nicht.

    Im Bezirk Trient liegt im Fersental nordöstlich von Pergine (Persen) eine deutsche Sprachinsel, welche die Gemeinden Fluorz (Fierozzo), Gereut (Frassilongo) und Palai (Palu) umfaßt. Wie wenig sicher die österreichischen Volkszählungsberichte sind, erhellt daraus, daß eine vierte Gemeinde dieses Gebiets, Falisn oder Falesina, 1880 als rein deutsch, 1890 als vollständig italienisch, 1900 wieder als deutsch und 1910 abermals als italienisch gezählt wurde (Montanus, Die nationale Entwicklung Tirols, 2. Aufl., S. 25 u. 32. Innsbruck 1919). Die Bevölkerung der deutschen Gemeinde Lusern auf der Hochebene von Lavarone wurde im Weltkrieg von den habsburgischen Behörden fortgeschafft; ob sie wieder in ihre zerstörte Heimat zurückgekommen ist, läßt sich gegenwärtig nicht feststellen.

    Die wirtschaftliche Entwicklung der von Italienern bewohnten Teile Südtirols hat in den letzten Jahrzehnten mit der Bevölkerungszunahme nicht Schritt gehalten, woraus sich der Zwang zur Abwanderung ergab, welche der alten Heeresstraße der Etsch entlang durch das Tor der Salurner Klause nach Norden erfolgte. Dazu kommt, daß vielfach deutsche Bauern ihre Höfe verlassen; diese nehmen die aus dem Süden vorrückenden Italiener ein und schaffen sich hier eine dauernde Heimat. Dank ihrer Genügsamkeit finden sie nicht nur selbst ihr Auskommen, sondern auch die Mög- [12] lichkeit, Familien zu gründen und oft zahlreiche Kinder zu erhalten und heranzuziehen. In Zukunft wird die italienische Wanderbewegung nach dem Norden ohne Zweifel noch stärker sein als vor dem Weltkrieg und es ist mit der Romanisierung großer Teile des bisherigen Deutsch-Südtirols zu rechnen. Die Gewährung der Selbstverwaltung an dieses Gebiet vermag die Romanisierung nicht aufzuhalten.

    In dem an Italien gefallenen Südtirol lebten 1890 189 000, 1900 199 000 und 1910 229 000 Deutsche österreichischer Staatsangehörigkeit; die Zahl der Italiener und Ladiner betrug 1890 358 000, 1900 365 000 und 1910 383 000. Die Ladiner wurden nicht besonders gezählt, doch gibt es deren in den vorher erwähnten rauhen Bergtälern sicher nicht über 20 000. Mehr als 80% der Bevölkerung bildeten die Deutschen im Jahre 1910 in der Stadt Bozen (93,8%), sowie in den politischen Bezirken Bozen, Brixen, Bruneck, Meran (96,4%) und Schlanders (99,8%).

    Durch den Frieden von St. Germain kam auch das Kanaltal im südwestlichen Kärnten an Italien, dessen Grenze dem Hauptzug der Karnischen Alpen folgt. Hier leben einige tausend Deutsche um Tarvis, Raibl und Malborghet, sowie in der slowenischen Sprachinsel um Saifnitz.

     
    Weiterführende Verweise:
  • Das Grenzlanddeutschtum
      im polnischen Staate
  • Das Deutschtum in Polen
  • Das Deutschtum in Pommerellen
      und Posen
  • Das Deutschtum in Ost-Oberschlesien
  • Das Deutschtum in Kongreßpolen
  • Das Deutschtum in Polnisch-Wolhynien
  • Das Deutschtum in Galizien
  • Gegnerische Gebietsforderungen
      und ihre Vorgeschichte: Die Polen
  • Gefährdung und Gebietsverlust
      durch Abstimmung: Marienwerder
      und Masuren
  • Gefährdung und Gebietsverlust
      durch Abstimmung: Oberschlesien
  • Gebietsverlust durch erzwungene
      Abtretung oder Verselbständigung:
      Posen und Westpreußen
  • Polen

    Weit mehr Deutsche als im Westen kamen infolge der jüngsten Friedensschlüsse im Osten unter fremde Staatshoheit, namentlich an Polen und Böhmen. Noch sind die östlichen Grenzen des neuen Polen nicht bekannt, aber es ist sicher, daß besonders auf französischer Seite die Neigung besteht, sie möglichst auszudehnen. Die Westgrenze Polens ist zum Teil durch den Friedensschluß mit Deutschland bestimmt, teils durch Volksabstimmungen erst festzulegen.

    Die neue deutsche Reichsgrenze gegen Polen beginnt an der östlich von Neustadt in Schlesien vorspringenden Nordspitze des ehemaligen Österreichisch-Schlesien und verläuft von da gegen Lorzendorf in Mittelschlesien. Der nähere Verlauf der Grenze auf dieser Strecke wird auf Grund der Ergebnisse der Volksabstimmung in Oberschlesien bestimmt, die in dem innerhalb folgender Linie liegenden Gebiete stattfindet: Von dem erwähnten Punkt bei Neustadt nordwärts zur Ostgrenze des Kreises Falkenberg bei Puschine, der Kreisgrenze entlang zur mittelschlesischen Grenze, der ober- und mittelschlesischen Grenze entlang bis zu ihrem Schnittpunkt mit der Straße Städtel–Karlsruhe, von da gegen Lorzendorf, zurück an die Grenze von Ober- und Mittelschlesien, dieser und hierauf der Grenze zwischen Schlesien und Posen folgend zum Treffpunkt mit der früheren deutsch-russischen Grenze, dieser und der ehemaligen deutsch-österreichischen Grenzen entlang bis unmittelbar südlich der Eisenbahnlinie Oderberg–Ratibor, dann nach Nordwesten zu einem Punkt 2 km südlich von Katscher, der Grenze der Kreise Ratibor [13] und Leobschütz folgend zur früheren österreichischen Grenze und ihr entlang zum Ausgangspunkt bei Neustadt in Oberschlesien. Der südliche Teil des Kreises Ratibor fällt sofort an die Republik Böhmen. Für den Fall, daß infolge der deutsch-polnischen Grenzfestsetzung ein Teil des Kreises Leobschütz seinen Zusammenhang mit dem Deutschen Reich verliert, fällt auch ein Gebiet an Böhmen, das jenseits einer Linie liegt, die von der bisherigen Reichsgrenze 5 km westlich von Leobschütz in südöstlicher Richtung zu dem oben angegebenen Punkt 2 km südlich von Katscher verläuft. Das an Böhmen abzutretende Gebiet des Kreises Ratibor wird vorwiegend von Tschechen bewohnt, wogegen im Kreis Leobschütz die Deutschen bei weitem überwiegen; Tschechen bilden dort bloß 7,6% der Einwohner.

    Die deutsch-polnische Grenze zieht von Lorzendorf in Mittelschlesien in nördlicher Richtung zum Schnittpunkt der Verwaltungsgrenze Posens mit dem Flusse Bartsch, wobei die Ortschaften Skorischau, Reichthal, Trembatschau, Kunzendorf, Schleife, Groß-Kosel, Schreibersdorf, Rippin, Fürstlich-Niefken, Pawelau, Tscheschen, Konradau, Johannisdorf, Modzenowe und Bogdaj an Polen fallen. Hierauf folgt die Reichsgrenze der Grenze Posens bis zu ihrem Schnittpunkt mit der Eisenbahnlinie Rawitsch–Herrnstadt, von wo sie zum Schnittpunkt der Straße Reisen–Tschirnau über mittelschlesisches Gebiet geht, so daß der rein deutsche Nordosten des Kreises Guhrau, die deutsche Gegend um Lissa, sowie die Eisenbahnlinie Lissa–Rawitsch polnisch werden. Dann verläuft die Reichsgrenze folgendermaßen: Längs der posenisch-schlesischen Grenze bis zur Ostgrenze des Kreises Fraustadt (der zum größten Teil deutsch bleibt), nach Nordwesten zwischen Kopnitz und Unruhstadt hindurch, zum Nordende des Chlopsees und zum Treffpunkt der Kreisgrenzen von Schwerin, Birnbaum und Meseritz, der Kreisgrenze von Schwerin und Birnbaum entlang bis zur Nordwestgrenze Posens, so daß die deutschen Gegenden nördlich von Tirschtiegel sowie jene im Kreise Birnbaum zu Polen kommen. Von dem erwähnten Punkte folgt die Reichsgrenze der Grenze Posens bis zur Netze, von da geht sie dem Lauf der Netze aufwärts bis zu ihrem Zufammenfluß mit der Küddow und dem Lauf der Küddow aufwärts bis etwa 6 km südöstlich von Schneidemühl; der deutsche Netzebezirk fällt an Polen. Dann verläuft die Reichsgrenze östlich der Eisenbahnstrecke Schneidemühl–Konitz zur Grenze von Posen und Westpreußen, dieser entlang bis zu der etwa 15 km östlich von Flatow vorspringenden Spitze und in ziemlich willkürlicher Linienführung nach Nordosten zum Treffpunkt des Flusses Kamonika mit der Südgrenze des Kreises Konitz (etwa 3 km nordöstlich von Gurnau), hierauf zieht sie nach Norden längs der Kreisgrenze Konitz–Schlochau bis zu ihrem Schnittpunkt mit dem Flusse Brahe; dabei fällt die Stadt Konitz mit der rein deutschen Koschneiderei an Polen. Weiter folgt die neue Grenze genau der Sprachgrenze bis zu dem Punkt, wo die Eisenbahn Rummelsburg–Bütow die Grenze Pommerns schneidet (unweit Briesen, das auf polnischer Seite liegt). Von [14] hier ist die Grenze Pommerns Reichsgrenze bis zum Flusse Rheda; dann zieht diese zum Piasnitzkine ungefähr 1½ km nordwestlich von Warschkau und schließlich verläuft sie durch den Zarnowitzer See und der Piasnitz entlang zur Ostsee. Im Kreise Neustadt werden das rein deutsche Kniewenbruch und die Orte Ockalitz, Werder und Wahlendorf mit 50–70% deutscher Bevölkerung von Deutschland abgeschnitten und fallen an Polen.

    Die Grenze Ostpreußens, das seinen räumlichen Zusammenhang mit dem übrigen Deutschland verloren hat, verläuft von der Ostsee bei Pröbbernau zur östlichen Mündung der Nogat, dieser entlang bis zu dem Punkt, wo sie die Weichsel verläßt, der Hauptfahrrinne der Weichsel aufwärts, dann längs der Südgrenze der Kreise Marienwerder und Rosenberg und der West- und Südgrenze des Kreises Osterode bis zum Fluß Skottau, dessen Lauf abwärts und den der Neide aufwärts bis zu einem Punkt ungefähr 5 km westlich Bialutten nächst der alten russischen Grenze, hernach ostwärts zu dieser Grenze und ihr entlang bis zum Memelstrom, diesem abwärts, und schließlich längs des Skierwietharmes des Deltas zum Kurischen Haff und an der Kreisgrenze über die Kurische Nehrung.

    Volksabstimmung über die Zugehörigkeit zu Deutschland oder zu Polen findet statt in Westpreußen in den Kreisen Stuhm und Rosenberg, den östlich der Nogat liegenden Teilen des Kreises Marienburg und den östlich der Weichsel liegenden Teilen des Kreises Marienwerder; ferner in Ostpreußen in allen Kreisen des Regierungsbezirkes Allenstein6 und im Kreise Oletzko des Regierungsbezirks Gumbinnen. Je nach dem Ergebnis der Abstimmung kann dieses ganze Gebiet oder ein Teil desselben von den verbündeten Hauptmächten an Polen übertragen werden. Außer auf das Abstimmungsergebnis ist dabei auch auf die geographische Lage der einzelnen Orte und ihre wirtschaftlichen Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen. [Scriptorium merkt an: wie genau diese Wunschvorschrift tatsächlich beachtet wurde, lesen Sie bitte beispielsweise hier, hier, hier...]

    Der nördlich des Memelstroms liegende Zipfel Ostpreußens ist vorläufig an die verbündeten Hauptmächte übertragen worden. Er soll später an Litauen fallen, weil der Memeler Hafen dieses Landes einziger Ausgang zum Meer ist. Nach den deutschen Gegenvorschlägen zu den Friedensbedingungen lebten hier im Jahre 1910 68 000 Deutsche und 54 000 Litauer. Außerhalb Memels ergibt sich allerdings eine litauische Mehrheit. Die ostpreußische Grenze bestand hier seit dem Jahre 1422 unverändert.

    Im Regierungsbezirk Allenstein ergab die Volkszählung von 1910 eine Gesamtbevölkerung von 543 500, wovon 274 300 Deutsche waren (50,4%); außerdem wurden gezählt 73 200 Polen (13,5%), 175 000 Masuren (32,2%) und 19 500 Zweisprachige. In den Kreisen Allenstein-Stadt und ‑Land zusammen bilden die Deutschen und Zweisprachigen 60,7% der Bevölkerung, [15] im Kreise Rössel 86,9%, im Kreise Lötzen 68,3% im Kreise Osterode 60,9% und in den Kreisen Sensburg und Lyck je 53,4%. Im Kreise Oletzko waren von 38 900 Einwohnern 27 300 oder 70,2% deutsch; zweisprachig waren rund 10 000 Personen. Es ist nicht anzunehmen, daß sich bedeutende Teile Ostpreußens zugunsten Polens entscheiden werden.

    In Westpreußen hatte der Kreis Rosenberg im Jahre 1910 54 600 Einwohner, wovon 50 200 deutsch und fast 900 zweisprachig waren (93,6%); im Kreise Stuhm waren von 36 500 Einwohnern 20 900 Deutsche (57,3%), im Kreise Marienwerder gab es unter 68 400 Einwohnern 42 500 Deutsche und 800 Zweisprachige (63,2%).

    Fast ganz deutsch (zu 97%) ist der Kreis Marienburg, dessen größerer Teil im Westen des Nogatstromes der Stadt Danzig zugeteilt wurde, die in bezug auf innere Verwaltung selbständig, in bezug auf Zölle, Verkehr und äußere Vertretung aber mit Polen verbunden ist. Das Danziger Gebiet umfaßt überdies das westlich des Nogat liegende Stück des Kreises Elbing, die Kreise Danziger Niederung, Danziger Höhe und Danzig-Stadt, sowie Teile der Kreise Dirschau, Berent, Karthaus und Neustadt. Von mehr als einer Drittelmillion Einwohnern sind nicht ganz 20 000 Slawen.

    In den Polen zugeteilten Gebieten Westpreußens sind von rund 1 015 000 Einwohnern etwa 514 000 Deutsche und Zweisprachige. In den nicht an Polen fallenden Gebieten (einschließlich der Stadt Danzig) sind von rund 700 000 Einwohnern über 600 000 Deutsche und Zweisprachige. In Posen wurden im Jahre 1910 818 000 Deutsche gezählt, einschließlich der nicht ganz 12 000 Zweisprachigen; davon leben in den Polen zugewiesenen Gebieten mehr als 700 000. Mit den abgetretenen Teilen dieser beiden Provinzen, eines Teiles vom Kreise Neidenburg und einigen mittelschlesischen Gemeinden würden ungefähr 1 230 000 Deutsche und Zweisprachige an Polen fallen, doch verringert sich diese Zahl infolge der Rückwanderungen erheblich. (Vgl. S. 45–46.)

    Im west- und ostpreußischen Abstimmungsgebiet lebten 1910 etwa 415 000 Deutsche, im oberschlesischen Abstimmungsgebiet rund 770 000. Bei durchweg ungünstigem Ausfall der Abstimmungen würde Polen noch einen Zuwachs von weiteren 1 185 000 deutschen Einwohnern erhalten. Zusammen mit rund 1 000 000 Deutschen in den früher russischen und österreichischen Gebieten und ohne Bedachtnahme auf die Rückwanderung gäbe es in diesem Fall in Polen etwa 3,4 Millionen Deutsche.

    Die Angliederung Posens und Westpreußens an Polen wird im Ultimatum der Verbündeten vom 16. Juni 1919 weniger mit den nationalen Verhältnissen und den Wünschen der Bevölkerung dieser Länder begründet, als mit historischen Rechten Polens und Grundsätzen der politischen Macht. Es heißt in dem Dokument unter anderem, die Verbündeten hätten bei Festlegung der deutsch-polnischen Grenze "auf geschichtlichen Rechten begründete Ansprüche unbeachtet gelassen, weil sie auch den Anschein der Unge- [16] rechtigkeit vermeiden wollten; sie haben Deutschland die westlichen Gebiete überlassen, die an das deutsche Territorium angrenzen, und in denen in unbestreitbarer Weise das deutsche Element überwiegt. Außerhalb dieser Grenze gibt es allerdings gewisse oft weit von der deutschen Grenze entfernte Orte, wie Bromberg z. B., wo die Deutschen in der Mehrzahl sind. Es wäre unmöglich, eine Grenze zu ziehen, die die umgebenden rein polnischen Gebiete zu Polen schlüge und diese Orte Deutschland überließe. Die eine oder andere Partei muß zu Opfern bereit sein. Wird dieses Prinzip anerkannt, so ist kein Zweifel darüber möglich, welcher Partei ein Vorzugsrecht zuzubilligen ist. So zahlreich die Deutschen in diesen Bezirken sein mögen, die Zahl der beteiligten Polen ist größer. Diese Gebiete Deutschland überlassen, hieße die Majorität der Minorität opfern." Weiter wird gesagt, die Ausbreitung des Deutschtums in den bei den Teilungen Polens an Preußen gefallenen Ländern sei vorzüglich durch Mittel der Gewalt erfolgt, die selbst in Deutschland Proteste hervorgerufen haben: "Wollte man zugeben, daß eine Politik dieser Art dauernde Rechte auf ein Land beschaffen könne, so hieße das, die flagrantesten Handlungen von Ungerechtigkeit und Unterdrückung ermutigen und belohnen." Nun kann man gespannt darauf sein, welche Behandlung die deutschen Minderheiten künftig in Polen erfahren werden! [Scriptorium merkt an: Beispiele dieser Behandlung finden Sie hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier.]

    Es wäre leicht möglich gewesen, den größeren Teil der westpreußischen und posenischen Deutschen bei Deutschland zu lassen, wenn sich die Verbündeten nicht verpflichtet hätten, dem neuen Polen einen Ausgang an das Meer zu verschaffen; denn "eine Brücke überwiegend deutscher Kreise zieht sich an der Netze entlang und durch das Weichseltal von der brandenburgisch-pommerschen Grenze bis nach Ostpreußen; sie wird gebildet durch die Kreise Deutsch-Krone, Filehne, Czarnikau, Kolmar, Wirsitz, Flatow, Bromberg (an den östlich noch der Kreis Thorn anschließt), Schwetz, Graudenz, Marienwerder, Stuhm und Rosenberg. In allen diesen Kreisen haben die Deutschen die Majorität, und zwar in den meisten von ihnen eine sehr erhebliche." (Weiß, M., Die Stellung des Deutschtums in Posen und Westpreußen, S. 14, Berlin 1919.) Im übrigen ist die Mischung der Nationalitäten außerordentlich stark. Weiß zeigt, daß im Jahre 1861, als es eine Polenpolitik noch nicht gab, die bevölkerungspolitisch hätte wirken können, in Westpreußen wie in Posen prozentual mehr Deutsche lebten als 1910. Der Rückgang des Deutschtums, der nirgends bedeutend war, fiel in die Zeit von 1861 bis 1890 und war die Folge der damaligen starken Abwanderung nach Westen und der Auswanderung nach Amerika. In demselben Zeitraum fand in Posen, namentlich im Regierungsbezirk Bromberg, eine starke Zunahme der Polen statt, die nicht anders zu erklären ist, als durch eine starke Einwanderung aus Rußland. Die Polen fanden infolge der deutschen Abwanderung und durch die gleichzeitige Intensivierung der Landwirtschaft, die zunächst auf den deutschen Gütern und Bauernwirtschaften stattfand, Platz und Nahrung. Seit 1890 nahmen die Polen in Westpreußen nur von 34,4 [17] auf 34,8% zu und in Posen von 60,1 auf 61,1%. In letzter Zeit trat neben die deutsche Westwärtswanderung auch die polnische.

    Weiterführende Verweise:
  • Kongreßpolen
  • Das Deutschtum in Kongreßpolen
  • Das Deutschtum in Galizien
  • Im ehemaligen Kongreßpolen, einschließlich des Gouvernements Suwalki, gab es 1919 715 000 Deutsche unter einer Gesamtbevölkerung von 13 Millionen. Die Polen bildeten nur in einem der 84 Kreise über 90% der Einwohner, in 32 Kreisen dagegen weniger als 80%. Über 20% Deutsche gab es im Kreise Lodz, über 10 bis 20% in den Kreisen Wylkowyszki (Suwalki), Lipno, Nieszawa, Gostynin, Slupca, Lonin, Lask, Brzeziny und Cholm. Die Deutschen haben sich zumeist in der Zeit nach der dritten Teilung Polens, in den Jahren 1795–1806, als Warschau und Bielostock zu Preußen gehörten, dort niedergelassen und trotz ihrer Vereinzelung ihr Deutschtum bewahrt. Es ist eine Erscheinung, die einem immer auffällt, daß der Deutsche, umgeben von Russen oder Polen, seine Nationalität nicht aufgibt, während er sich den Briten oder Franzosen eher assimiliert. Besonders in der Gegend nördlich von Lodz findet man häufig rein deutsche Dörfer, die sich von weitem schon dadurch kenntlich machen, daß sie aus Steinhäusern bestehen, während der Pole in strohgedeckten Lehmhäusern wohnt. Die fast zwei Millionen Juden sprechen ein verdorbenes Deutsch schlesischer Mundart, das Jiddisch. Sie können sich mittels desselben stets mit Deutschen verständigen.

    In dem nun wieder zu Polen gehörigen Galizien gaben im Jahre 1910 90 000 Personen, oder etwas mehr als 1% der Bevölkerung, Deutsch als Umgangssprache an. Wie viele nur Jiddisch sprechende Personen dabei mitgezählt sind, läßt sich nicht ermitteln. In Westgalizien wurden im Anschluß an die deutsche Stadtsiedlung von Bielitz-Biala schon im 13. Jahrhundert zahlreiche andere deutsche Kolonien gegründet, aber die meisten wurden im Laufe der Zeit polonisiert (Kenty, Auschwitz, Zator usw.). Nur in dem Großdorf Lipnik gibt es unter 8500 Einwohnern noch 5500 Deutsche, in Alzen deren 2000.7 In Ostgalizien haben sich seit mehr als 100 Jahren deutsche Kolonien erhalten, doch machte in den letzten Jahrzehnten die Polonisierung auch da Fortschritte. Eine Abnahme der Zahl der Deutschen in Galizien fand überdies durch Auswanderung nach Amerika statt. Die Deutschen wohnen in diesem Lande nirgends in geschlossenen Massen, sondern in vereinzelten, weit im Lande zerstreuten Ortschaften, ohne Zusammenhang untereinander.

     
    Weiterführende Verweise:
  • Das baltische Deutschtum
  • Das Deutschtum in Lettland
  • Das Deutschtum in Estland
  • Das Deutschtum im Memelland
      und in Litauen
  • Lettland, Litauen und Estland

    Im letzten Drittel des 12. Jahrhunderts begann die deutsche Einwanderung nach den baltischen Landen, doch war sie zu keiner Zeit sehr aus- [18] giebig und es fehlte ihr ein wichtiges Element: der deutsche Bauer hat den Weg dahin nicht gefunden.8 Seitdem diese Länder unter russischer Herrschaft standen, fand übrigens eine nennenswerte Einwanderung nicht mehr statt. Dennoch ist in der Hauptsache deutsch geblieben, was vordem schon deutsch war, nämlich das städtische Bürgertum und der Grundbesitz. Die deutsche Oberschicht hat die Masse der lettischen und estischen Bevölkerung kulturell gehoben und zur Arbeit erzogen, aber auf ihre Eindeutschung legte sie wenig Gewicht. Die Letten, welche die Bevölkerungsmehrheit in Kurland und Livland bilden, haben unter deutschem Einfluß ihre Bildung und soziale Stellung gehoben, ebenso ihre nördlichen Nachbarn, die Esten. Die Litauer sind dagegen auf einer ziemlich niedrigen Kulturstufe verblieben, die etwa der des russischen Volkes entspricht.9

    Bis in die achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts wurden Versuche zur Russifizierung der Ostseeländer nicht unternommen. In den neunziger Jahren setzten sie aber um so kräftiger ein, und sie dauerten mit einer kurzen Unterbrechung nach der Revolution von 1905 bis zum Ausbruch des Weltkrieges an.

    Die letzten amtlichen Angaben über die Zahl der Deutschen in den Gebieten, die nun die neuen baltischen Republiken Lettland und Estland bilden, beziehen sich auf das Jahr 1897, als bei der russischen Volkszählung die Muttersprachen festgestellt wurden. Die Nationalitätenstatistik der russischen Regierung wurde 1905 veröffentlicht. Ihr Wert ist durch ihr Alter und andere Umstände beeinträchtigt, doch sollen trotzdem einige Zahlen aus ihr hervorgehoben werden.

    In den vier Gouvernements Kowno, Kurland, Livland und Estland war die Bevölkerungszahl und die Zahl der deutschen Einwohner wie folgt:

    Gouvernements   Bevölkerung
    überhaupt
    Deutsche
      überhaupt  
    % der
    Bevölkerung
    Kurland 674 000 51 000 7,6
    Kowno 1 544 600   21 800 1,4
    Livland 1 299 400   98 600 7,6
    Estland 412 700 16 000 3,9

    Im Jahre 1881 wurden in Livland insgesamt 113 400 Deutschsprechende gezählt, worunter 91 500 Nationaldeutsche waren. Die entsprechenden Zahlen für Estland sind 21 900 und 17 100. Da sich die Zahlen aus dem Jahre 1897 auf die deutschsprechende Bevölkerung beziehen, steht ein Rückgang des Deutschtums außer Zweifel.

    Von den angrenzenden Gebieten hatte das vorwiegend litauische Suwalki unter 583 000 Einwohnern 30 500 Deutsche (5,2%), in Grodno gab es unter [19] 1 603 000 Einwohnern 10 300 Deutsche (0,6%) und in Wilna unter 1 591 000 Einwohnern 3900 Deutsche (0,2%).

    In Kurland waren die Deutschen im Kreise Grobin am stärksten vertreten, wo sie 15,3% der Gesamtbevölkerung bildeten; die wenigsten Deutschen wies innerhalb dieses Gouvernements der Kreis Illuxt auf; denn die dort lebenden 1100 Deutschen bildeten nur 1,6% der Bevölkerung. In Livland wurden im Kreise Riga unter 396 100 Einwohnern 72 100 oder 18,2% Deutsche gezählt, im Kreise Dorpat unter 190 300 Einwohnern 8400 oder 4,4% Deutsche; dagegen bildet in den Kreisen Fellin und Ösel die Deutschen bloß etwas über 2% der Bevölkerung. In Estland waren die Deutschen im Kreise Reval mit 11 600 oder 7,4% unter einer Gesamtbevölkerung von 157 700 vertreten; im Kreis Hapsal wurden nur rund 1000 Deutsche bei einer Gesamtbevölkerung von 82 100 Personen gezählt. Im Gouvernement Kowno hatte der Kreis Rossieny die meisten Deutschen (4,4%).

    Bis zum Einsetzen der energischen Russifizierungsbestrebungen hatten die den Bedürfnissen der Landbevölkerung dienenden Volksschulen die lettische und estnische Unterrichtssprache, in allen städtischen Lehranstalten (Bürgerschulen, Gymnasien, Realschulen, mittleren und höheren Töchterschulen usw.) wurde der gesamte Lehrstoff, mit Ausnahme des von der Regierung verlangten russischen Sprachunterrichts, deutsch vermittelt. Diese letzteren Schulen mußte nun der emporstrebende Lette und Este besuchen, dort erhielt er eine Bildung von rein deutscher Prägung, und trat er dann ins Berufsleben ein, so wurde seine endgültige Germanisierung durch den ständigen Verkehr in deutschen Kreisen rasch vollendet.10 Infolge der Russifizierung wurde die Jugendbildung den Deutschen genommen, doch als die Regierung nach der Revolution von 1905 wieder die Eröffnung von Privatschulen mit deutscher Unterrichtssprache gestattete, überzogen die Balten in unglaublich kurzer Zeit ihr gesamtes Land mit einem engmaschigen Netz deutscher Lehranstalten. Dabei wurde der Grundsatz durchgeführt, daß in jedem baltischen Städtchen oder Flecken wenigstens eine deutsche Schule vorhanden sein müsse, um allen deutschen Kindern der örtlichen Bevölkerung und näheren Umgebung den Unterricht in ihrer Muttersprache zu sichern, während in den mittleren und größeren Städten mehrere Schulen verschiedener Bildungstypen eingerichtet wurden. Infolge der Ereignisse nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches im Herbst 1918 sind fast alle deutschen Schulen verschwunden und ein beträchtlicher Teil der Deutsch-Balten ist nach Deutschland ausgewandert. Die Universität Dorpat wurde 1890 russifiziert. Aber auch nachher spielten noch deutsche Akademiker aus dem Baltenland eine wichtige Rolle im Geistesleben Rußlands.

    An den neuen Litauer-Staat soll später der Memelgau fallen, der vorläufig an die verbündeten Hauptmächte abgetreten wurde.

    Weiterführende Verweise:
  • Das Deutschtum in Rußland
  • Deutsche helfen Rußland bauen:
      Der Beitrag der Deutschen in der
      Geschichte Rußlands
  • Die Deutschen in Rußland
  • [20]
    Rußland

    Im letzten Drittel des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts wendeten die russischen Regierungen besondere Aufmerksamkeit der Besiedelung der menschenarmen Gebiete im Süden des Reiches zu. Da die Bevölkerung auch in anderen Teilen Rußlands nicht dicht war, suchte man Kolonisten vom Auslande zu gewinnen. Besonders in Deutschland wurde deshalb eine ziemlich rege Werbetätigkeit entfaltet, die auch Erfolg hatte. Nach und nach sind in den Wolgasteppen und an der Schwarzmeerküste bis Bessarabien, Podolien und Wolhynien hinauf insgesamt über 1500 Kolonistensiedelungen entstanden, die nach den Angaben des früheren Ackerbauministers Kriwoschein bei einer Bauernbevölkerung von 1,87 Millionen Seelen vor dem Kriege etwa 3½ bis 4 Millionen Hektar Land besaßen.

    Die am weitesten ausgedehnten deutschen Siedelungen sind jene an der Wolga, in Saratow und Samara. Sie sind unter Katharina II. gegründet worden. Diese Kolonien gruppieren sich zu zwei aneinanderstoßenden Gebieten von bedeutender Ausdehnung, die 204 große Dörfer und viele kleine Niederlassungen (Chutoras) mit schätzungsweise 600 000 bis 750 000 Einwohnern11 umfassen.

    Der Boden der deutschen Wolgakolonien ist fruchtbar, aber dennoch führen die meisten Kolonisten dieses Gebietes ein ärmliches Leben. Schuld daran ist vor allem die unrationelle Art der Bodenbewirtschaftung und die Gestaltung des Landbesitzes, der zufolge das Land nicht Einzelnen, sondern der ganzen Gemeinde gehört und in bestimmten Zeiträumen neu aufgeteilt wird. Jede männliche Person hat Anspruch auf ein gleich großes Stück Land. Die Lage wurde durch das riesenhafte Anwachsen der Dörfer verschlimmert, deren es einige mit über 10 000 Einwohner gibt. Mit der Übervölkerung der Dörfer schrumpften die Landanteile immer mehr zusammen. Die einzelnen Landanteile einer Familie liegen oft weit auseinander, was die Bewirtschaftung erschwert. In neuester Zeit, nach Einführung der russischen Agrarreform, sind viele deutsche Dörfer an der Wolga zum Einzelbesitz übergegangen. Es besteht dabei die Gefahr, daß das Land in den Händen weniger vereinigt und die an der Wolga so wie so im Gang befindliche Scheidung in Kapitalisten und Proletarier noch beschleunigt wird.12 Das Steppenklima mit seinen unregelmäßigen Niederschlägen bewirkt oft Mißernten. Es herrscht ausgesprochener Raubbau: Jahraus jahrein auf demselben Boden dieselbe Frucht! Und vom Düngen weiß man ebensowenig etwas wie von einer Fruchtfolge; der Dünger wird vielmehr mit Stroh ver- [21] mengt als Heizmaterial verwendet. Die Dörfer gleichen in ihrer Bauart sehr stark den russischen, wie denn auch manche andere Eigenart der Russen von den Kolonisten übernommen wurde. Kirchen und Schulen waren vor dem Weltkrieg in den meisten Dörfern vorhanden, und zwar neben den von den Kolonisten unterhaltenen auch öffentliche russische Schulen. Die deutsche Sprache spielte selbst in den erstgenannten nur noch eine bescheidene Rolle. Dem Fortschritt sind diese Bauern wenig zugetan. Das Leben geht seinen beschaulichen Gang, wie zu Großvaters Zeiten. Nur während der Bodenbestellung und der Ernte herrscht reges Leben.

    Die deutschen Siedlungen in Südrußland entstanden etwa 20 Jahre später als die an der Wolga; einen bedeutenden Aufschwung nahmen sie durch die neuerliche Zuwanderung zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Sie dehnen sich im Norden des Schwarzen und Asowschen Meeres vom Ostufer des Dnjestr bis zu den Quellflüssen der Woltschja aus; einige liegen noch weiter im Osten, im Don- und Kubangebiete. Die Volkszahl ist etwa 600 000. In wirtschaftlicher Beziehung sind die deutschen Siedler in Südrußland weit besser gestellt wie die Wolgakolonisten. Das Privateigentum an Grund und Boden hat sich hier erhalten, wenn es auch nicht ohne Anflug von Gemeinwirtschaft ist; aber diese beschränkt sich in den Stammkolonien auf ein gewisses Mitbestimmungsrecht der Gemeinde bei Kauf und Erbteilung. Bei Neugründungen ist das Verfahren wohl so, daß das Land unter die Teilnehmer nach Maßgabe der von jedem bereitgestellten Mittel verteilt wird und daß nach Ablauf einer gewissen Zeit eine Umteilung stattfinden kann. Das den Stammkolonien zugewiesene Land ist in gleich große Wirtschaften zerlegt. Neue Dörfer werden fortgesetzt angelegt, vor allem zwecks Ansiedlung des jungen Nachwuchses. Nur ein Sohn, höchstens zwei erbten nach altem Brauch das väterliche Grundstück, die anderen wurden abgefunden. Durch diesen ständigen Abfluß des Überschusses wird sowohl dem übermäßigen Anwachsen der Dörfer als auch dem Zusammenschrumpfen der Landstücke ein Riegel vorgeschoben. Auch die allergrößten Dörfer, wie Großliebenthal bei Odessa, zählen kaum mehr als 3000 Einwohner. Dazu gibt es eine nicht geringe Zahl von ganz kleinen Ansiedlungen – die sogenannten "Chutoras" –, in denen sich oft besonders begüterte Kolonisten zusammengefunden haben. Der Ertrag des Bodens ist bei der herrschenden Wirtschaftsweise geringer als bei uns; 10 Zentner Weizen auf den Morgen ist als Höchstertrag anzunehmen. Maschinen werden nahezu überall verwendet. Häufig zieht man russische Knechte heran, von denen manche später seßhaft werden. Der einträgliche Weizenbau drängt alle andere Frucht immer mehr in den Hintergrund. Auch die Viehzucht geht darüber zurück. Schon äußerlich machen südrussische Kolonistendörfer den Eindruck großer Wohlhabenheit: Ansehnliche Steinhäuser (oft samt der Treppe in grellsten Bauernfarben gestrichen) stehen hinter schnurgerade fortlaufenden brusthohen Mauern zu beiden Seiten der auch hier riesenbreiten Steppenstraße – vielleicht halbverborgen [22] unter den hohen Bäumen eines wohlgepflegten Vorgartens. Das kirchliche Leben ist rege und das Schulwesen ist verhältnismäßig gut. Eine Zeitlang schien es, als ob von der Schule her das deutsche Bauerntum im Süden Rußlands einen gewaltigen Aufschwung nehmen wollte, so daß es auch die anderen Schichten deutschen Volkstums aus sich hätte hervorbringen können. Man plante ein groß gedachtes Schulsystem, als nach der Revolution für die deutsche Schule eine bessere Zeit gekommen zu sein schien. Es ist aber dann wenig genug daraus geworden.13

    Evangelische und katholische deutsche Kolonisten leben in voneinander getrennten Siedelungen. Auch sind Nord- und Süddeutsche abgesondert. Die deutsche Sprache hat sich im allgemeinen gut erhalten. Vielfach haben sich zwar einzelne russische Worte eingeschlichen und an der Wolga hat sich mancherorts ein Gemisch von Deutsch und Russisch herausgebildet.

    Den Kolonisten wurde von der russischen Regierung neben dem zum Eigentum überlassenen, später abgelösten Staatsländereien und anderen wirtschaftlichen Vergünstigungen das Recht freier Ansiedelung im Reiche und freien Landankaufs, außerdem Religions-, Schul-, Sprach- und Verwaltungsfreiheit für sie und ihre Nachkommen zugesichert. Die an dem Emporkommen der Ansiedelungen interessierten Regierungskreise gaben sich Mühe, den Kolonisten über die ersten Ansiedlungsschwierigkeiten hinwegzuhelfen und ihnen günstige Bedingungen zu bieten. In wirtschaftlicher Beziehung waren diese deutschen Siedlungen von wohltätigem Einfluß auf ihre weitere Umgebung. Die Kolonisten erwarben die russische Staatszugehörigkeit, und fühlten sich durchaus als Russen, obzwar sie ihre Sprache und größtenteils die heimatlichen Sitten bewahrten. Der Zusammenhang mit der Heimat ging bald verloren. In unerreichbarer Ferne, unter fremder Herrschaft, verstreut über einen Flächenraum, der das Vielfache des Stammlandes ausmachte, hatte sich das Band zwischen den Kolonisten und der Heimat mehr und mehr gelockert. Gelegentlich ein Pfarrer aus dem Reich oder ein schwäbisches Sonntagsblatt, ein paar Ackergeräte deutscher Herkunft – das etwa war das Wenige, was sie noch mit Deutschland verknüpfte. Wußten doch in Deutschland nur wenige etwas von den Stammesbrüdern dort in der slawischen Zerstreuung! Und umgekehrt: was wußten denn die Kolonisten von Deutschland? Höchstens daß man ihnen in der Schule und von der Kanzel davon erzählte. Auch wirtschaftlich fehlte jede Verbindung. Mit dem Erfolg der Arbeit wuchs die Anhänglichkeit an die Scholle, und dieses Empfinden setzte sich ins Geistige, in das Zugehörigkeitsgefühl zum Lande um, ohne daß eigene Sprache und Geisteskultur einen hemmenden Einfluß ausgeübt hätten. Die Stellung zur einheimischen Bevölkerung war lange die denkbar beste. Jedoch seit etwa 20 Jahren hat das gute Einvernehmen, zuerst in Schulfragen, [23] harte Proben bestehen müssen. Der deutschsprachliche Unterricht erfuhr unverhältnismäßige Einschränkungen, die besonders drückend empfunden wurden, weil in der Familie ausnahmslos die deutsche Sprache herrschte, und die sprachliche Freiheit für die Kolonisten als Symbol ihrer Herkunft zum Inhalt ihres Daseins gehörte.

    Nach 1905 sind die Gegensätze auch auf wirtschaftlichem Gebiete zum Ausdruck gekommen. Die Enteignung von Kolonistenländereien im westlichen Rußland wurde durch Gesetz vom 2./15. Februar 1915 bestimmt. Nach diesem Gesetz sollten alle Ländereien der aus Deutschland oder Österreich stammenden Kolonisten russischer Staatsangehörigkeit und deren Nachkommen freiwillig verkauft oder nach kurzer, festgesetzter Frist zwangsweise von der Regierung versteigert werden. Dieses Gesetz bezog sich auf eine Grenzzone von 150 Werst (gleich 160 km), vom Rigaschen Meerbusen bis zur rumänischen Grenze, und von 100 Werst längs der Schwarzmeerküste bis zum Kaspisee. Mit der Ausführung des Gesetzes begann man in Wolhynien und Podolien, indem man über 100 000 Ansiedler evakuierte und sie in eine trostlose Lage versetzte. Viele sind bis Zentralasien gewandert, andere nach Sibirien verschickt, unzählige verschleppt worden und umgekommen. Das Gesetz ist dann auf die schweizerischen wie auf alle Kolonien deutscher Sprache überhaupt ausgedehnt worden. Dem Enteignungsprozeß ist ein großer Teil der Ländereien in den Gouvernements Cherson, Jekaterinoslaw, Taurien mit Einschluß der Krim und weiter im Osten zum Opfer gefallen.

    Viele der nach Kongreßpolen gezogenen deutschen Bauern wurden wegen Nichtbeteiligung an den polnischen Aufständen in den dreißiger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts von den Nationalpolen bedrängt, und es wanderten viele wieder aus. 17 000 sollen den Weg nach Wolhynien genommen haben, wo die arbeitsamen Deutschen der Regierung doppelt willkommen waren. Ein Teil von ihnen kaufte sich als Eigentümer an, andere nahmen Apanagenländereien oder Land von polnischen Gutsbesitzern in Pacht. Eine Anzahl deutscher Dörfer war schon vordem in Wolhynien entstanden. Hier hatten die Kolonisten mit mancherlei Widerwärtigkeiten zu kämpfen und nur ein Teil von ihnen gelangte zu Wohlstand. Die Unterschiede im wirtschaftlichen Erfolg prägen sich an den Siedlungen deutlich aus. Neben dem schmucken Eigentümerdorf auf längst geholzter Fläche findet man Häuschen in kaum gelichtetem Wald oder gar Erdhütten im Dickicht oder am Sumpfrand, noch so wie damals, als die Großväter der Heutigen zum erstenmal den Fuß auf diesen Boden setzten. Die Dörfer sind klein, nur wenige hundert Seelen stark. Viele von ihnen liegen in der Nähe der großen Straßen, andere in unzugänglichem Wald versteckt. Die Gehöfte ziehen sich in gemessener Entfernung die Straße entlang, oder aber sie sind unregelmäßig verstreut, so daß von einem Hof zum anderen ein ordentlicher Weg sein kann. Die Häuser sind einfache, teils weiß getünchte Holzbauten. Die Landstücke sind nicht groß, selbst ein besser gestellter Eigen- [24] tümer hat vielleicht noch keine 20 ka. Land, und es gibt unter den Besitzern solche mit nicht mehr als 5–6 ha. Aber das Land wird mit viel Sorgfalt bearbeitet, auch gedüngt. Der gesamte deutsche Landbesitz in Wolhynien umfaßte nach amtlichen Angaben im Jahre 1910 627 000 ha; dazu kommen noch 58 000 ha. in den Nachbargouvernements Kiew und Podolien. Die Zahl der deutschen Ansiedler in diesem Gebiet beträgt ungefähr 200 000 bis 300 000. Um das Schulwesen ist es bei den Deutschen Wolhyniens schlecht bestellt. Kirchen gibt es nur an den Hauptorten. Die Religion ist durchweg die evangelische.14

    Im Kaukasus liegen einige deutsche Kolonien verstreut, doch sind sie von weit geringerem Umfange als diejenigen in Südrußland und an der Wolga. Die bedeutendsten sind die bei Pjatigorsk, Naltschik, Wladikawskas, Tiflis und Elisabethpol (Georgien).

     
    Weiterführende Verweise:
  • Das Sudetendeutschtum
  • Das Sudetendeutschtum und die
      Deutschen in der Slowakei
  • Der sudetendeutsche Daseinskampf
      gegen die Tschechen
  • Gegnerische Gebietsforderungen
      und ihre Vorgeschichte: Die Tschechen
  • Gebietsverlust durch erzwungene
      Abtretung oder Verselbständigung:
      Hultschin
  • 200 000 Sudetendeutsche zuviel!
      Der tschechische Vernichtungskampf
      gegen 3,5 Millionen Sudetendeutsche
      u. seine volkspolitischen Auswirkungen
  • Die böhmisch-slowakische Republik

    Nirgends in Europa leben so viele Deutsche ohne bestimmenden Einfluß auf den Staat als in der böhmischen Republik. Ihre Zahl beträgt dort über 3½ Millionen und die meisten davon wohnen innerhalb des geschlossenen deutschen Sprachgebietes, das Süd-, West- und Nordböhmen, Nord- und Südmähren, sowie den größten Teil des nun böhmischen Schlesien umfaßt. In Böhmen bildeten im Jahre 1910 die 2 468 000 Deutschen 36,8% der Bevölkerung; in Mähren wurden 719 000 Deutsche gezählt (27,6% der Bevölkerung) und in Schlesien 326 000 (43,9%).

    Ungefähr 200 000 Deutsche leben in der Slowakei, vornehmlich in der Gegend von Theben und Preßburg an der Donau, sowie im ungarischen Erzgebirge und in kleineren Sprachinseln. Die Landschaft Zips hatte ehedem eine vorwiegend deutsche Bevölkerung, doch ist dort die deutsche Sprache zum größten Teil verdrängt worden.

    In Böhmen verläuft die Grenze des überwiegend deutschen Sprachgebietes vom Berge Czerkov (Tschachor) an der bayerischen Grenze bei Waldmünchen mit unregelmäßigen Ausbuchtungen gegen Bischofteinitz, das vollständig deutsch ist; an Tuschkau vorbei zieht sie im Westen der Stadt Pilsen gegen den Osten des Tepler Hochlandes und hierauf in nordöstlicher Richtung gegen Postelberg an der Eger und Leitmeritz an der Elbe. In dem Industriegebiet zwischen Eger und Elbe liegen zahlreiche stark gemischte Gebiete über Brüx und Teplitz hinaus bis an die sächsische Grenze. Östlich der Elbe ist die Scheidung der Sprachen bis in die Reichenberger Gegend klarer ausgeprägt, es gibt hier nur einige kleine ausgesprochene Mischgebiete mit meist deutschen Mehrheiten. Das deutsche Gebiet entlang der böhmisch-sächsischen Grenze ist das größte im böhmischen Staate; hier dringen [25] die sehr stark bevölkerten deutschen Siedlungen weit ins Innere Böhmens. Östlich von Reichenberg erreicht das geschlossene tschechische Sprachgebiet an der Iserquelle seinen nördlichsten Punkt, es berührt dort wieder die deutsche Reichsgrenze. Von der Iserquelle läuft die Grenze zwischen vorwiegend deutschem und vorwiegend tschechischem Gebiet in südöstlicher Richtung gegen Jaromeř–Josefstadt (die tschechisch sind), worauf das tschechische Gebiet nochmals nach Norden ins Heuscheuergebirge ausbuchtet. Hierauf liegt die Grenze zwischen den beiden Völkern im Westen des Adlergebirges, von wo sie gegen Wichstadtl und Schildberg, Schönberg, Sternberg, Alt- und Neu-Titschein in Mähren hinzieht; hier schiebt sich im Norden ein tschechischer Riegel über Troppau vor, das eine deutsche Sprachinsel ist, und über die frühere Grenze Deutschlands hinaus. Von Troppau verläuft die Sprachgrenze nach Nordosten und dann nach Norden durch den preußischen Kreis Ratibor; dort grenzen Deutsche und Polen aneinander. Das tschechische (slowakische) Sprachgebiet erstreckt sich nach Südosten in das oberungarische Gebirge. Im nördlichen Teil Böhmisch-Schlesiens, in Nordmähren und dem angrenzenden Streifen Böhmens liegt das zweitgrößte deutsche Sprachgebiet, das an das Deutsche Reich (Schlesien) anschließt. Jenseits der Karpathen berührt sich deutsches und tschechisches Gebiet wieder im Norden von Preßburg an der Donau, das zur böhmischen Republik gehört. Bis nördlich der Einmündung der Thaya ist das Land im Osten der March slawisch, im Westen deutsch; am Unterlauf der Thaya reichen einige tschechische Zipfel auf das rechte Ufer dieses Flusses herüber. Davon und von einer kurzen Strecke an der Scheletau-Mündung abgesehen, ist das Thayatal deutsch bis südlich von Datschitz. Im mittleren Mähren reicht das geschlossene deutsche Sprachgebiet bis gegen Kanitz an der Iglawa. Nördlich davon liegen das vorwiegend deutsche Brünn und einige kleinere deutsche Sprachinseln.

    An den deutschen Teil des Bezirkes Datschitz schließt sich auch im angrenzenden Böhmen noch deutsches Land, das zum geschlossenen Sprachgebiet gehört. Die Stadt Neuhaus ist tschechisch geworden. Im Nordwesten Niederösterreichs fallen Landes- und Sprachgrenze auf ein kurzes Stück zusammen,15 dann tritt das deutsche Sprachgebiet wieder nach Böhmen hinüber und umfaßt dort die Gegenden von Gratzen, Kaplitz, Krumau, Prachatitz, Winterberg, Hartmanitz, Deschenitz und Neumarkt; westlich davon, jenseits der Bahnlinie Taus–Cham, kommen wir zu unserem Ausgangspunkt am Czerkov.

    In den böhmischen Ländern ohne die Slowakei, die zusammen ein Ausmaß von 79 316 qkm haben, entfallen auf das zusammenhängende deutsche Sprachgebiet rund 28 000 qkm. Auf die deutschen Sprachinseln ist dabei [26] nicht Bedacht genommen. Das Schönhengsterland an der böhmisch-mährischen Grenze allein ist nach tschechischer Angabe16) 1130 qkm groß, die Iglauer Sprachinsel umfaßt 362 qkm, die von Brünn über 100 qkm.

    Die große deutsche Sprachinsel Iglau reicht von Westmähren über die böhmische Grenze hinüber gegen Deutschbrod (das vorwiegend tschechisch ist). Die Iglauer Sprachinsel liegt ihrer Ausdehnung nach zum größeren Teil in Böhmen. Ihren Hauptstützpunkt aber bildet das mährische Iglau. Es zählt unter 25 746 Bewohnern 20 525 Deutsche, 79,7%. Der Landbezirk Iglau hat unter 38 278 Bewohnern noch 7521 Deutsche, 19,7%. Die Gesamtzahl der Deutschen auf der Sprachinsel beträgt in Böhmen und Mähren 39 552. Von dem geschlossenen Sprachgebiet Nordmährens durch einen schmalen vorwiegend tschechischen Streifen geschieden ist das Schönhengsterland, die große Sprachinsel von Mährisch-Trübau, Landskron und Zwittau. Im politischen Bezirk Mährisch-Trübau sind der gleichnamige Gerichtsbezirk und der von Zwittau ganz deutsch, von dem (östlichen) Gerichtsbezirk Gewitsch noch eine Anzahl Orte mit 3024 Deutschen (13,8%). Der östlich angrenzende Gerichtsbezirk Konitz hat auch 29,9% Deutsche. Die Gesamtzahl der Deutschen des Schönhengster Landes beträgt in Böhmen und Mähren 149 180. Andere erwähnenswerte Sprachinseln sind Olmütz und einige Dörfer südlich von Wischau.

    Im deutschen Sprachgebiet des böhmischen Staates liegen nur einige wenig bedeutende tschechische Sprachinseln; die meisten davon sind unter dem Einfluß der Freizügigkeit erst in neuester Zeit entstanden.

    Im geschlossenen deutschen Sprachgebiet Böhmens fand in jüngster Zeit ein bedeutender Zuwachs der Tschechen statt im nordböhmischen Kohlenrevier zwischen Komotau und Aussig, sowie im Industriegebiet von Gablonz, Reichenberg und Warnsdorf. Auch in den Bezirken des Riesengebirges war ein Anwachsen der Tschechen festzustellen. In den tschechischen Bezirken Innerböhmens verschwinden die deutschen Minderheiten nach und nach ganz.

    Die Iglauer Sprachinsel zeigt im böhmischen Teil einen bedeutenden und im mährischen Teil einen geringen Rückgang der Zahl der Deutschen. Auch im Bezirk Brünn-Land und in der Olmützer Sprachinsel sinkt der Anteil der Deutschen. In der Schönhengster Sprachinsel dagegen wurde die deutsche Sprache seit 1900 nicht zurückgedrängt. Beträchtlich zugenommen hat die deutsche Bevölkerung in dem mährischen Industrie- und Kohlengebiet an der deutschen Reichsgrenze.

    Die Verschiebungen der Sprachgrenze beruhen vor allem auf wirtschaftlichen Ursachen. Die Kohlenreviere und die Industrieorte ziehen einen starken Strom tschechischer Zuwanderer an. Die Verdrängung der Deutschen ist um so leichter, als sie im allgemeinen an eine höhere Lebenshaltung gewohnt sind, und deshalb auch höhere Entschädigung für ihre Arbeitsleistung fordern [27] als die Tschechen. Die slawischen Lohnarbeiter ziehen bald Handwerker, Kaufleute, Ärzte und Rechtsanwälte nach sich, womit ihr Volkstum einen festeren Halt gewinnt; denn das Bürgertum schafft nationale Organisationen, gründet Vereine und Schulen, kauft Grundstücke und sucht auf die öffentlichen Angelegenheiten in slawisch-nationalem Sinn einzuwirken. Am Zuzug in die Städte sind die Tschechen in der Regel stärker beteiligt, als ihrem Anteil an der Bevölkerung der betreffenden Städte entspricht. Das macht es begreiflich, daß in den vorwiegend deutschen Städten die tschechischen Minderheiten rasch anwachsen und daß bereits in einigen die deutschen Mehrheiten in Minderheiten umgewandelt wurden. Am leichtesten geht das Zurückdrängen des Deutschtums in jenen Städten vor sich, die deutsche Sprachinseln im tschechischen Gebiet bilden. Doch auch die Grenze des geschlossenen deutschen Sprachgebietes ist an verschiedenen Stellen durch tschechische Zuwanderung zurückgedrängt worden, deren wichtigster Anlaß der Arbeiterbedarf der Industrie ist. Gegenüber der industriellen Zuwanderung fällt die landwirtschaftliche weniger ins Gewicht, da sie sich in kleineren Trupps über weite Gebiete an der Sprachgrenze verteilt. Auf die Dauer wirkt sie aber ebenfalls slawisierend; denn, wo sie auftritt, bröckelt sie langsam aber nachhaltig einem Stein nach dem anderen von der deutschen Grenzmauer ab. Zuerst kommen nur tschechische Dienstboten, dann geht kleiner Grundbesitz an Tschechen über (die in der Sparsamkeit größere Meister sind als die Deutschen); jahrzehntelang dauert dieser Vorgang und schließlich sind die Mehrzahl der Bauern Slawen. Besonders gefährdet sind durch die landwirtschaftliche Zuwanderung die Sprachinseln und die Gegenden an der Sprachgrenze, wo nationale Mischheiraten üblich sind.17 Die Wanderbewegung ist überwiegend aus dem tschechischen in das deutsche Sprachgebiet gerichtet. Die deutsche Zuwanderung nach dem tschechischen Sprachgebiet ist verhältnismäßig wenig umfangreich; namentlich in rein tschechische Gegenden wandern bloß wenige Deutsche.18 Ein erheblicher Teil der tschechischen Zuwanderung ins deutsche Sprachgebiet wurde von den Deutschen aufgesaugt, entnationalisiert. Die Aufsaugung wurde dadurch erleichtert, daß die Tschechen, die sich von der heimatlichen Landwirtschaft dem deutschen Industriegebiet zuwenden, damit in die Kultur einer höheren Wirtschaftsstufe eintraten; die höhere Kultur erleichtert sehr den Anschluß an die Sprachgemeinschaft der neuen Heimat. Das ist hier so wie überall; sind doch auch Millionen Deutscher in Amerika im anglo-amerikanischen Volkstum aufgegangen. Aber so wie der tschechische Nachschub besonders ausgiebig wird, wachsen die tschechischen Minderheiten sprungweise an und es wird schwerer, sie dem deutschen Volkstum anzugleichen. Dieses Angleichen wurde vielfach durch die Haltung der Deutschen selbst erschwert [28] und tschechische Nationalisten waren nicht faul, ihr Möglichstes zu tun, um im gleichen Sinne zu wirken. Zutreffend schreibt Heinrich Rauchberg: Vom deutschen Standpunkt aus gibt es keine bessere Politik, als den Kulturanschluß des tschechischen Zuzuges mit allen Mitteln zu fördern. Der Anschluß, die Einbürgerung, das Aufgehen des Zuzuges in die Lebensgemeinschaft der neuen Heimat, muß freudig begrüßt und kräftig gefördert werden. Alle Kulturmöglichkeiten der höheren Wirtschaft sollen den neuen Bürgern offen stehen. Diese Worte verdienen auch künftig Beachtung.

    Das Zurückdrängen der deutschen Sprache wird dadurch begünstigt, daß der Zustrom zum geistlichen Stande von deutscher Seite schwächer ist als von tschechischer. Viele rein oder vorwiegend deutsche Gemeinden hatten längst tschechische Geistliche, die besonders in den letzten Jahrzehnten zumeist eifrige Werber für ihr Volkstum waren. Da die Bevölkerung der Kirche stark anhängt, erwuchs hieraus den Deutschen ein arger Nachteil, um so mehr als die habsburgische Staatsgewalt gegen alle Bestrebungen auftrat, die eine Schwächung des Katholizismus bewirken hätten können. Auch wurde unter habsburgischer Herrschaft das deutsche Sprachgebiet der Sudetenländer planmäßig mit tschechischen Staatsbeamten überzogen, die fast ausnahmslos ihren "obrigkeitlichen" Einfluß zugunsten der Zurückdrängung der deutschen Sprache ausnutzten. Dabei arbeiteten sie oft mit nichts weniger als anständigen Mitteln, denn sie hatten dank des speziellen Schutzes ihrer Kaste nicht zu befürchten, daß sie zur Verantwortung gezogen würden.

    Das tschechische Sprachgebiet wird von drei Seiten vom deutschen umschlossen, nur im Osten hat es Anschluß an die slawische Welt, während die politische Grenze des böhmischen Staates nun bis an jene Rumäniens vorgetragen wurde. Äußere Einflüsse, die fördernd auf die tschechische Kultur wirkten, strömten ausschließlich vom deutschen Gebiete zu. Der weit rückständige Osten hatte nichts zu vergeben.

    Die Bewohner des Bezirkes Teschen und des Ostrauer Kohlengebiets werden durch Volksabstimmung darüber zu entscheiden haben, ob sie dem neuen polnischen oder dem böhmischen Staat angegliedert werden wollen. In diesem Gebiet wohnen 247 000 Polen (45%), 168 000 Tschechen (30%) und 120 000 Deutsche (25%). Die Entscheidung liegt bei den Deutschen, deren Führer den Anschluß an die böhmische Republik empfehlen; denn dessen 3½ Millionen deutsche Bewohner haben Aussicht, sich volle Gleichberechtigung zu erringen.

     
    Weiterführende Verweise:
  • Das Deutschtum im früheren
      und im jetzigen Ungarn
  • Ungarn

    Im alten Ungarn gab es 1910, trotz der schon jahrzehntelang andauernden Madjarisierung, noch 2 037 000 Deutsche, die 10,4% der Einwohner bildeten. Die Mehrzahl davon lebt aber in Gebieten, die nun an andere Staaten gefallen sind. Doch hat Ungarn immer noch etwa eine Viertelmillion Deutsche, hauptsächlich in den Komitaten Wesprim, Stuhl- [29] weißenburg und Tolnau. Der zum geschlossenen deutschen Sprachgebiet gehörige Teil Westungarns, das Heanzenland, ist Österreich zugewiesen worden, doch die nördlich angrenzende vorwiegend deutsche Stadt Preßburg kam an Böhmen. Die deutsch-madjarische Sprachgrenze beginnt bei dem Orte Pfaffendorf nächst Preßburg. Längs des die große Schüttinsel umschließenden Donauarmes erreicht sie den Hauptstrom eine kurze Strecke unterhalb Preßburg und folgt seinem Laufe bis zum Nordende der kleinen Schüttinsel; dann zieht sie nach Süden zum Waasen oder Hansagsumpf, längs des diesen durchziehenden Hauptkanals nach Westen zum Neusiedler See (wo nur das Südufer madjarisch ist) und gegen die deutsche Stadt Ödenburg, weiterhin über die Grenze des Eisenburger Bezirks nach Güns. Hier bildet der Kamm der Waldberge, deren höchste Erhebung der Hirschenstein ist, die Sprachgrenze, die hierauf südwärts zur Raab läuft. Bei St. Gotthard an der Raab treffen Deutsche, Madjaren und Slowenen zusammen. Die neue politische Grenze folgt in der Hauptsache der Sprachgrenze.

    Am rechten Donauufer erstreckt sich eine große Gruppe deutscher Siedelungen in Form eines Streifens von wechselnder Breite und in einer Längenausdehnung von etwa 130 km durch das Gebiet der Bezirke Tolnau und Baranya und greift auch mit einigen Ausläufern nach Westen in den Bezirk Schimeg über. In 197 Gemeinden gibt es hier über 200 000 Deutsche, in mehr als 100 Gemeinden machen die Deutschen 5–50% der Einwohner aus. Das Gebiet mit deutscher Mehrheit umfaßt einen Flächenraum von 2850 qkm. Die deutschen Siedlungen liegen hier im allgemeinen in dem großen madjarischen Sprachgebiet eingebettet, welches das Land zwischen dem Plattensee, der Donau und Drau erfüllt. Der südlich der Linie Báttaszek–Dombovar liegende Teil dieses Gebiets, wo es auch serbische Gemeinden gibt, fällt an den südslawischen Staat, der nördliche Teil bleibt bei Ungarn. Seit 1890 sind die Deutschen, besonders im Baranyaer und im südlichen Teil des Schimeger Bezirks, an Zahl zurückgegangen. Die Verluste beschränken sich aber im wesentlichen auf die im madjarischen Gebiet versprengten Gemeinden. Das deutsche Hauptgebiet südlich der Mesetberge ist im allgemeinen noch unverändert geblieben.19

    Die Kultur des madjarischen Gebietes ist fast ausschließlich deutschen Ursprungs und bis in die jüngste Zeit waren viele führende Männer Ungarns Deutsche. Budapest war noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine vorwiegend deutsche Stadt.

     
    Weiterführende Verweise:
  • Südslawien (Untersteiermark und
      Südkärnten)
  • Das Deutschtum in Südslawien
  • Gebietsverlust durch erzwungene
      Abtretung oder Verselbständigung:
      Deutsch-Österreich und seine
      Grenzgebiete
  • Südslawischer Staat

    Vom Klagenfurter Becken abgesehen, wo die Entscheidung durch Volksabstimmung erst fallen wird, folgt die neue Grenze zwischen Österreich und [30] dem südslawischen Staat im allgemeinen der deutsch-slowenischen Sprachgrenze. Diese zieht von St. Gotthard bis Unter-Zeming in Westungarn (die beide slowenisch sind) ein Stück der Raab entlang, sodann über die Wasserscheide zwischen Raab und Lim zur steiermärkischen Grenze im oberen Lendvatal und gegen Radkersburg, wo sie die Mur überschreitet. Westlich von Radkersburg fällt die Sprachgrenze zumeist mit der Grenze zwischen der Ebene und den windischen Büheln zusammen. Die Mur bildet nur ein einziges Mal auf eine kurze Strecke bei Siegersdorf die Grenze zwischen Deutschen und Slowenen. Weiterhin verläuft diese der Bezirkshauptmannschaftsgrenze Marburg–Leibnitz entlang, dann zur Grenze des Gerichtsbezirks Arnfels, zum Kamm des Remschnigg, längs der Grenze der Gerichtsbezirke Eibiswald und Mahrenberg bis zum Haderniggberg und von da zur kärntnerischen Grenze bei St. Leonhard. Im geschlossenen deutschen Sprachgebiet Steiermarks gibt es keine einzige slowenische Sprachinsel. Dagegen liegen im slowenischen Gebiet mehrere deutsche Sprachinseln, und zwar sind es immer die größeren Orte, die eine deutsche Mehrheit aufweisen. Wo der Verkehr sich entwickelt und Anlaß zum raschen Wachsen von Siedelungen gibt, herrscht die deutsche Sprache vor. Alle Städte der zum südslawischen Staat gehörigen Untersteiermark, mit Ausnahme von Luttenberg, sind mehr als zur Hälfte deutsch, ebenso ein großer Teil der Märkte. Im geschlossenen slowenischen Sprachgebiet befinden sich zwei deutsch-slowenische Mischgebiete, eines im Drautal zwischen der deutschen Sprachinsel Mahrenberg und der Sprachgrenze, das andere zu beiden Seiten der Südbahn, von der Sprachgrenze bei Spielfeld bis über die Stadt Marburg hinaus; dieses stellt die Verbindung zur Marburger Sprachinsel her.

    In Kärnten zieht die Sprachgrenze vom Südgehänge der Koralpe zur Drau unterhalb des deutschen Ortes Lavamünd und von da in nordwestlicher Richtung nach dem Wölfnitzgraben, dann verläuft sie in unregelmäßigen Ausbuchtungen südwestlich an die Gurk und gegen Klagenfurt, das hart an der Grenze des deutschen Sprachgebiets liegt. Westlich von Klagenfurt buchtet das deutsche Sprachgebiet nach Süden ans, und noch weiter im Westen verläuft die Grenze zwischen Deutschen und Slowenen im Süden des Wörthersees zur Drau und zur Gail, der sie eine kurze Strecke folgt, worauf sie sich nach Süden zur Krainer Grenze wendet. Im Klagenfurter Becken findet Volksabstimmung über die künftige Staatszugehörigkeit statt. Ohne solche Abstimmung fällt nur die Südostecke Kärntens an Südslawien.

    In Krain liegt bloß der Zipfel von Wurzen und Weißenfels im geschlossenen deutschen Sprachgebiet. Von den deutschen Sprachinseln Krains ist die von Gottschee die größte. Bei der Volkszählung von 1910 gaben 28 000 Krainer Deutsch als Umgangssprache an.

    An das Vordringen der deutschen Sprache nach Süden und Osten gemahnen die vielen slawischen Ortsnamen in Teilen Steiermarks und Kärntens, die heute weitab von der slowenischen Sprachgrenze liegen. Im allgemeinen [31] hielt das Zurückweichen der Slowenen bis in die jüngste Vergangenheit an. Die recht oft gehörte gegenteilige Meinung ist irrig, richtig ist dagegen, daß die letzten Jahrzehnte dem deutschen Volkstum in Steiermark und Kärnten Einbußen an politischer Machtstellung brachten, die in dem erwachten und vielfach künstlich gesteigerten Nationalbewußtsein der Slowenen ihre Ursache hatten.

    Ohne das Klagenfurter Becken haben die dem südslawischen Staat angegliederten Teile von Steiermark und Kärnten und das Land Krain nicht über 80 000 deutsche Einwohner.

    Eine starke deutsche Bevölkerung fällt in der Donau-Theißebene des ehemaligen Ungarn an Südslawien: die blühenden deutschen Siedelungen in den Bezirken Schimeg und Baranya, in der Batschka und im Südwesten des Banats, deren Gründung schon über 200 Jahre zurückliegt. Die hierher gekommenen Deutschen waren die ersten Siedler in der von den Türken zurückgelassenen Wildnis. Der Bezirk Batschka (Bacs-Bodrog), jenseits der Donau, der an Südslawien fällt, ist im Westen und Süden im allgemeinen von Deutschen bewohnt. Das Gebiet der Gemeinden mit absoluter oder relativer deutscher Bevölkerungsmehrheit zerfällt in nicht weniger als zehn Gruppen; man kann sie zumeist keine Sprachinseln nennen, weil sie vielfach nicht durch ein fremdes geschlossenes Sprachgebiet voneinander getrennt werden, sondern nur durch lose Gruppen anderssprachiger Gemeinden.20 Fast ausschließlich von einer Nationalität bewohnte Gemeinden gibt es in der Batschka sehr wenige. Stark gemischt sind vor allem die Städte.

    Die deutschen Gemeinden an der Donau und am Franzenkanal sind zumeist sehr volkreich und ihr Wohlstand fällt auf gegenüber den armseligen Dörfern der umwohnenden Serben. Bisher hatten die Angehörigen der beiden Völker wenig gegenseitigen Verkehr, obzwar mindestens bis zum Ausbruch des Krieges auch keine ausgesprochene Abneigung gegeneinander bestand. Die Verschiedenheiten des Kulturbesitzes sind zu groß, als daß in absehbarer Zeit ein Aufgehen der deutschen Ansiedler im serbischen Volkstum zu erwarten wäre. Die Zahl der Deutschen beträgt in den an den Südslawenstaat gefallenen Bezirken Südungarns fast eine halbe Million; sie ist erheblich größer als der Verlust in den österreichischen Alpenländern. Überdies lebten in Kroatien-Slawonien im Jahre 1910 134 000 Deutsche, größtenteils in Siedelungen, die als Tochterkolonien der deutschen Niederlassungen in der Batschka und im Banat entstanden.

    In Bosnien lebten hauptsächlich deutsche Einwanderer aus den letzten Jahrzehnten, die nach dem Zusammenbruch der Habsburger Herrschaft zumeist das Land verließen.

    Die Gesamtzahl der Deutschen, die der südslawische Staat umfaßt, ist etwa 700 000. Es handelt sich hierbei fast ausschließlich um bäuerliche [32] Bevölkerung, die seit Jahrhunderten unter der Oberhoheit fremder Völker steht, ohne ihre Sprache und ihre Sitten eingebüßt zu haben. So wird sie sich auch in Zukunft erhalten, allen feindlichen Gewalten zum Trotz.

     
    Weiterführende Verweise:
  • Das Deutschtum in Rumänien
  • Die Bukowina- und die
      Bessarabischen Deutschen
  • Rumänien

    Bis zum Ausgange des Weltkrieges gab es in Rumänien nur verhältnismäßig wenige Deutsche. Durch die Wiederangliederung der Bukowina und besonders durch die Erstreckung der rumänischen Grenzen über Siebenbürgen und das Banat hinaus wurden aber diesem Staate sehr viele deutsche Siedelungen einverleibt. Die am weitesten ausgedehnten und volkreichsten davon sind jene im Banat, der Landschaft zwischen Donau, Theiß, Marosch und den Karpathen, die nach dem Abzug der Türken im 17. Jahrhundert ein verwüstetes Land war, das aufs neue besiedelt werden mußte. Neben Deutschen wurden Kolonisten anderer Nationalität herangezogen, aber die meisten von ihnen wanderten bald wieder fort. Viele ursprünglich von Bulgaren, Italienern, Franzosen usw. angelegte Kolonien, die von ihren Gründern verlassen worden waren, wurden von Deutschen eingenommen. Die Banater Deutschen, die als "Schwaben" bekannt sind, wohnen zum Teil in rein deutschen Dörfern, zum Teil mit Rumänen und Serben untermischt. Sie sind nicht durchweg Nachkommen von Schwaben. Alle Volksstämme aus dem Südwesten des alten deutschen Reiches und dem Elsaß haben sich im ehemaligen Südungarn zusammengefunden, auch ein paar Steirer und Deutschböhmen. Die vorherrschende Mundart ist aber die schwäbisch-bajuwarische, sie ist nur bereichert durch allerlei Abarten und Neubildungen. Auch haben die Schwaben da ein rumänisches, dort ein serbisches oder madjarisches Fremdwort ihrem Sprachschatz einverleibt, was aber dem Gesamtbild keinen Eintrag tut. Erst in allerjüngster Zeit machte die madjarische Sprache von der Schule aus größere Fortschritte unter der schwäbischen Jugend, die Sprache des Hauses und des dörflichen Verkehrs ist ausschließlich die deutsche geblieben. Nur die nicht bäuerlichen Leute machen davon eine Ausnahme; in den Städten ist das deutsche Leben im Rückgang.21 Immerhin ist Temeschwar noch zu etwa zwei Fünfteln deutsch, Werschetz nahezu zur Hälfte. Das Erhaltenbleiben des Deutschtums wurde dadurch begünstigt, daß dieses Land von der modernen Verkehrsentwicklung und Industrie noch wenig berührt ist. Da aber seit Jahrzehnten das Madjarische allein Amtssprache war, wurde die Entnationalisierung aufstrebender Deutscher begünstigt. Der Mangel an deutschen Mittelschulen zwang die Bauern und Bürger, diejenigen ihrer Söhne, die eine höhere Bildung erhalten sollten, in madjarische Schulen zu schicken. Die Zahl der Deutschen im Banat war 1910: 513 000.

    [33] Die sogenannten Siebenbürger Sachsen, die seit mehr als 700 Jahren zwischen dem kleinen Kokelfluß und dem oberen Alt (Aluta) sitzen, haben neben ihren Dörfern blühende Städte geschaffen, wie Hermannstadt und Kronstadt, die Kulturmittelpunkte Siebenbürgens. Sie haben der Jahrhunderte währenden Türkenherrschaft kräftig widerstanden, an die u. a. die Kirchen der deutschen Dörfer Siebenbürgens gemahnen, die Kirchenkastelle sind, in denen zur Zeit der Türkeneinfälle die Bauern Schutz und die Möglichkeit wirkungsvoller Abwehr fanden. Den Zusammenhang mit der deutschen Heimat verloren diese Kolonisten nie, und als dort Martin Luther auftrat, wurden sie bald evangelisch. Bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts hatten die Siebenbürger Sachsen gewisse Vorrechte in ihrem Lande, die sogenannte "Konzivilität", das heißt, dort konnte kein anderer Mensch als ein Sachse das Bürgerrecht erwerben. Kein siebenbürgischer Fürst und kein ungarischer König hatte das Recht, die Verfassung der Sachsen anzutasten, und diese wahrten sie gegen alle Anfechtungen länger als ein halbes Jahrtausend. Erst Kaiser Josef II. räumte mit den Vorrechten der Sachsen auf und stellte die Rumänen ihnen gleich. Von dem Zeitpunkte an waren die Sachsen Gegner der Wiener Regierung, während sie sich nach 1868 mit der ungarischen Verwaltung gut vertrugen, die wenig unternahm, um diese alten deutschen Siedelungen zu madjarisieren. Es blieben nicht nur die Volksschulen deutsch, sondern auch deutsche Mittelschulen wurden geduldet.

    Die Volkszählung von 1910 ergab in Siebenbürgen 234 100 Deutsche, gegen 233 000 im Jahre 1900.22

    In der Bukowina waren 1910 in der Stadt Czernowitz von 87 100 Einwohnern 41 400 deutsch. Im Bezirk Radautz wurden unter einer Bevölkerung von 91 018 Personen 23 800 Deutsche gezählt, im Kimpolunger Bezirk gab es 18 000 Deutsche unter 60 600 Einwohnern, in Gurahumora 13 700 unter 61 400, in Storozynetz 13 800 unter 69 300 usw. Insgesamt wurden 168 900 Deutsche unter 800 100 Einwohnern gezählt (21,1%); 1880 gab es unter 568 500 Einwohnern 108 800 Deutsche. Die überwiegende Mehrzahl dieser Deutschen sind jüdischen Glaubens. Als im Jahre 1774 Österreich in den Besitz der Bukowina kam, wanderten viele deutsche Kaufleute, Handwerker und Soldaten zu. Kolonisten aus der Zips kamen nach dem gebirgigen Südwesten, Deutschböhmen in das waldige Mittelgebiet und Schwaben nach dem flachen Osten. Die drei sprachlichen Gruppen haben in den Dörfern trotz des außergewöhnlichen Völkergemisches ihre Eigenart und Mundart bisher rein erhalten. Eine zweite deutsche Einwanderungsbewegung gab es in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts, als sich Deutschböhmen im Südosten – von Lichtenberg bis Schwarztal – festsetzten, eine dritte ist ungefähr um das Jahr 1870 feststellbar, als sich im Norden Deutschgalizier auf Privatgütern als Pächter ansiedelten.

    [34] Im alten Rumänien gab es 1911 32 000 Deutsche, davon in Bukarest allein 15 000, in Atmagea in der Dobrudscha 2100, in der Pfarrei Craiova ebensoviele, in Campina 1500, in Braila 1200, in Turn-Severin 1100 usw. Infolge der Ausdehnung seiner Grenzen umfaßt jedoch Rumänien gegenwärtig ungefähr eine Million Deutsche und zwar die Siebenbürger Sachsen und die meisten Banater Schwaben, die 170 000 Deutschen der Bukowina und die deutschen Kolonien in Bessarabien. Von diesen sind die am Kogilnik und seinen Zuflüssen, sowie jene nächst der Stadt Akkerman am Schwarzen Meer, die bedeutendsten.



    1Frese, Arnold, Deutsches Land in Belgien. Berlin 1918. ...zurück...

    2Mayer, Adrian, Das Elsaß. Oldenburg 1919. ...zurück...

    3Aurich, G., "Zwei Jahrhunderte elsäss. Kulturentwicklung." In: Das Elsaß, S. 3–24, Straßburg 1918. ...zurück...

    4Czoernig, Karl, Ethnographie der österreichischen Monarchie. Wien 1857. ...zurück...

    5Die vier deutschen Gemeinden Proves, Laurein, St. Felix und Unsere liebe Frau im Walde hängen wohl, aber nur lose mit dem deutschen Sprachgebiet zusammen und gehören dem welschen Bezirk Cles an. Dasselbe gilt von den deutschen Gemeinden Altrei (Anterivo) und Truden (Trodena) am Eingange des Fleimstales, welche zum welschen Bezirk Cavelese gehören. Sie werden daher gemeiniglich und auch hier als deutsche Sprachinseln behandelt. ...zurück...

    6Ausgenommen den ohne Abstimmung an Polen fallenden Teil des Kreises Neidenburg. ...zurück...

    7Seeliger, G., "Das Deutschtum in den Westbeskiden", Petermanns Mitteilungen, 1916, S. 401 u. f. ...zurück...

    8Höniger, Robert, Das Deutschtum im Ausland, 2. Aufl., S. 52. Leipzig 1918. ...zurück...

    9Hettner, Alfred, Rußland, S. 79. Leipzig 1916. ...zurück...

    10Hermann, Alexander, "Die kulturpolitische Bedeutung der Deutschen in Rußland." Westrußland, S. 218, Leipzig 1917. ...zurück...

    11Keup, Die Deutschrussischen Kolonisten. Berlin 1916. Schleuning, Die deutschen Kolonien im Wolgagebiet, Berlin 1919. ...zurück...

    12Ein im Februar 1919 in Katharinenstadt auf Veranlassung des Rätekommissarfiats für die deutschen Wolgakolonien abgehaltener Kolonistenkongreß verwarf die Einführung des Kommunismus mit großer Mehrheit. ...zurück...

    13Faure, Alexander, "Das deutsche Kolonistentum in Rußland." Westrußland, S. 170 ff. Leipzig 1917. ...zurück...

    14Faure, a. a. O., S. 174 u. folg. ...zurück...

    15In der Nordwestecke Niederösterreichs wurde das Gebiet an den Eisenbahnlinien westlich von Gmünd durch den Frieden von St. Germain an die böhmische Republik abgetreten, ebenso im nordöstlichen Niederösterreich der Zipfel von Feldsberg. ...zurück...

    16Boháč, "Siedlungsgebiete und Statistik der Böhmen." In: Das böhmische Volk, Prag 1916. ...zurück...

    17Zemmrich, J., Sprachgrenze und Deutschtum in Böhmen. Braunschweig 1902. ...zurück...

    18Ausführliche statistische Nachweisungen über Böhmen enthält: Heinrich Rauchberg, Der nationale Besitzstand in Böhmen. Leipzig 1905. ...zurück...

    19Pfaundler, Richard, "Das deutsche Sprachgebiet in Südungarn: Das Siedlungsgebiet am rechten Donauufer." Deutsche Erde, 1911. ...zurück...

    20Pfaundler, Richard, "Das deutsche Siedlungsgebiet in der Batschka." Deutsche Erde 1912. ...zurück...

    21Müller-Guttenbrunn, Adam, Deutsche Sorgen in Ungarn, S. 35–36. Wien 1918. ...zurück...

    22Nach Krisch, A., "Deutsche in Ungarn, 1910." Deutsche Erde, 1911, S. 203 u. f. ...zurück...






    Deutsche in der Fremde.
    Eine Übersicht nach Abschluß des Weltkrieges.

    Hans Fehlinger