SucheScriptoriumBuchversandArchiv IndexSponsor


[137]
Der grenzdeutsche Gürtel (Teil 9)

Das Deutschtum in Polen: in Galizien

Deutsches Wohnhaus in Nadworna in Galizien.

[92b]
      Deutsches Wohnhaus in Nadworna in Galizien.
Der verdienstvolle Deutschtumsforscher Professor R. Kaindl hat in seiner Geschichte des Deutschtums in Galizien für das Jahr 1910 für Galizien 90 469 Deutsche bei einer Gesamtbevölkerung von 8 Millionen Einwohnern angegeben. Außer den Städten Lemberg und Stanislau, wo je 15 000 Deutsche leben, besteht das gesamte übrige Deutschtum in Galizien aus Bauern. Sie sind im ganzen Lande verstreut zu finden. Man zählt gegenwärtig 172 deutsche Kolonien, unter denen sich 82 befinden, die noch rein deutschen Charakter haben. In der sehr lesenswerten kleinen Schrift von Th. Zöckler, Das Deutschtum in Galizien, lesen wir:

      "Eigentümlich ist es, daß diese Kolonien sich fast durchweg konfessionell scharf voneinander abgrenzen. Es gibt katholische Deutsche, oder wie man in Galizien sagt, deutsch-katholische und deutsch-evangelische Kolonien. Nur höchst selten gemischte. Die Zahl der deutsch-katholischen Dörfer beträgt 85, die der evangelischen 87. Unter diesen sind als rein deutsch oder doch fast ganz rein deutsch 42 katholische und 40 evangelische Dörfer zu bezeichnen. Es könnte hier fast den Anschein haben, als ob sich die katholischen Dörfer in nationaler Beziehung widerstandsfähiger gezeigt hätten, da verhältnismäßig eine größere Anzahl katholischer Dörfer sich rein deutsch erhalten hat, als dies bei den protestantischen der Fall ist. Das scheint aber nur so. Tatsächlich haben die deutschen Protestanten ihr Deutschtum treuer und besser gewahrt, als der größere Teil der Katholiken. Der Grund hiervon ist der, daß die deutschen Protestanten von Anfang an deutsche Geistliche hatten und ihren Pfarrerstand auch immer wieder durch den Nachschub junger Theologen aus dem Westen Österreichs und dem deutschen Reiche verjüngten, während die römisch-katholischen Dörfer sehr früh unter den Einfluß polnischer Bischöfe und polnischer, oder doch völlig polonisierter deutscher Geistlicher kamen.
      Wenn gleichwohl bei den Evangelischen von den 87 Dörfern nur 40 rein deutsch sind, so hat dies seinen Grund einerseits in der starken Auswanderung, durch die namentlich in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts manche früher rein deutsche Kolonien mit polnischen oder ruthenischen Bewohnern durchsetzt wurden. Andererseits aber haben die deutschen Protestanten sich vielfach in ihrer Umgebung ausgebreitet und manche, heute als deutsche Kolonien bezeichnete Ortschaften sind ursprünglich polnische oder ruthenische Dörfer, in denen sich eine deutsche Minderheit, die dann oft auch Mehrheit wurde, angesiedelt hatte.
      Es ist oben gesagt worden, daß ein Teil der katholischen Kirchen sich als weniger widerstandsfähig erwiesen habe. Dies sind diejenigen Kolonien, die sich auf die Einwanderung deutscher Bauern zur Zeit Kaiser Josefs II., die sogenannten schwäbischen Kolonisten, zurückführen. Dagegen haben die aus dem Egerland seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts eingewanderten Deutschen, die sich hauptsächlich in der Gegend von Kolomea und in den Bezirken Zydacyow und Dolina befinden, ihr Deutschtum trotz aller Schwierigkeiten treu bewahrt und gehören zu denen, die in den ersten Reihen für die Erhaltung des Deutschtums kämpfen."

[138] Bis zum Jahre 1867 war nicht nur die gesamte Verwaltung Galiziens deutsch, sondern auch das Schulwesen. In diesem Jahre wurde Galizien den Polen zur Verwaltung gegeben, und dabei wurde in unbegreiflichem Leichtsinn von der österreichischen Zentralregierung nicht einmal dafür Sorge getragen, daß die dortige bodenständige deutsche Bevölkerung ihr deutsches Schulwesen von der Provinzialverwaltung bezahlt erhielt. Die evangelische Kirche mit etwa 20
Schule mit Kirche in Engelsberg in Galizien.

[92a]
      Schule mit Kirche in Engelsberg in Galizien.
Pfarrern setzte sofort mit reger Energie zum Abwehrkampf ein und erreichte für ihre deutschen Eingepfarrten, daß überall in den deutschen evangelischen Dörfern evangelische Privatvolksschulen errichtet wurden. Es gibt deren bis auf den heutigen Tag etwa 80, die für die Erhaltung des Deutschtums unendlich segensreich gewirkt haben.

Viel schlimmer stand es mit den katholischen Dörfern. Dort gab es nur wenige deutsche Geistliche, die den Abwehrkampf gegen die Polonisierungsbestrebungen aufnahmen. Dadurch sind die meisten katholischen Schulen in den deutschen Dörfern polonisiert worden. Erst 1907 setzte auch hier die Abwehr ein. In diesem Jahre wurde von evangelischen und katholischen Deutschen der "Bund der christlichen Deutschen in Galizien" gegründet, der bis zum Weltkriege eine sehr segensreiche Tätigkeit ausübte. Er nahm sich besonders der katholischen Dörfer an und gründete in den wenigen Jahren seines Bestehens 7 deutsche katholische Gemeindeschulen, von denen die Roseggerschule im Dorfe Mariahilf bei Kolomea die größte und schönste ist. Wie not diese Gründung tat, kann man erkennen aus folgenden Sätzen eines katholischen Deutschen in einer Sammelschrift Das Deutschtum in Galizien, seine geschichtliche Entwicklung und gegenwärtige Lage. 1914. Dort heißt es in einem Aufsatz über das Kirchenwesen:

      "Gegenüber unseren Volksgenossen evangelischen Glaubens sind wir Deutsche römisch-katholischen Glaubens gerade in den wichtigsten Belangen im Nachteile. Der Entdeutschungsstrom, welcher seit dem Bestehen der Siedlungen, besonders aber seit 1867 die Sprachinseln zu überschwemmen droht, fand nämlich in den deutsch-evangelischen Siedlungen außer der eigentlichen völkischen Widerstandskraft der Bewohner noch zwei mächtige Schirmer und Schützer des Deutschtums: die evangelische Kirche, beziehungsweise den deutschen, mit seinem Volke fühlenden Priester, und die deutsche evangelische Privatvolksschule. In allen deutsch-katholischen Gemeinden bietet hingegen die Kirche keinen Schutz für das Volkstum der Deutschen, in den meisten Gemeinden gefährdet sie vielmehr das Deutschtum, und auch die Schulen sind in den meisten deutsch-katholischen Siedlungen schon in polnische Hände gefallen, so daß nur mehr die eigene völkische Widerstandskraft der Deutschen übrig blieb, welche jedoch leider in vielen Siedlungen den undeutschen Einflüssen, die von außen und von Kirche und Schule einwirkten, nicht standhalten konnte. Durch die polnische Schule und die polnische Kirche wurde die deutsche Jugend mit einer undeutschen, fremden Gesinnung durchtränkt und zu Abtrünnigen, ja sogar zu Deutschfeinden erzogen. Gerade die verzweifelte völkische und schlechte wirtschaftliche Lage der meisten deutsch-katholischen Siedlungen war es daher hauptsächlich, welche zur Gründung des Bundes der christlichen Deutschen in Galizien und des Deutschen Volksblattes für Galizien führte; denn, sollen die deutschen Siedlungen erhalten werden, dann muß mit vereinten Kräften der Entdeutschungsstrom zurückgedrängt und das Deutschtum völkisch und wirtschaftlich gestärkt werden."

[139] Schon nach siebenjährigem Bestehen des "Bundes der christlichen Deutschen" begann der Weltkrieg, der gerade in den deutschen Dörfern Galiziens furchtbare Zerstörungen hervorrief. Als dann Galizien dem polnischen Staate einverleibt wurde, schien jede Hoffnung auf Fortsetzung der Erneuerungsarbeit unmöglich und die lebendige Weiterentwicklung des deutschen katholischen Volkssplitters in Galizien zunichte geworden zu sein. Vollends schien alles verloren zu sein, als nach Aufrichtung der polnischen Staatshoheit der Bund der christlichen Deutschen und der ihm seit Kriegsende zur Seite stehende deutsche katholische Schulausschuß behördlich aufgelöst wurden. Indes - es kam doch anders. Wir lesen im Deutschen Volksblatt für Galizien:

      "Doch wenn die Not am größten, ist Gottes Hilfe am nächsten und diese wurde uns durch unsere Glaubensbrüder und Volksgenossen in Schlesien (Bielitz!) zuteil, denen für ihre brüderliche Hilfeleistung der Dank aller deutschen Katholiken in Galizien gebührt. Angeeifert durch diese edle, selbstlose Hilfe haben auch diese sich wieder aufgerafft und entschlossen, an ihrem Volkstum festzuhalten und für dessen Erhaltung und Entwicklung selbst die notwendigen Opfer aufzubringen. Als Ausdruck dieser Entschließung ist der Verband deutscher Katholiken in der Wojewodschaft Stanislau entstanden. Um dessen Begründung hat sich Herr Oberlehrer Jakob Reinpold die größten Verdienste erworben. Erfüllt von heißer selbstloser Liebe zu seinem Volke hat er mit der ihm eigenen schwäbischen Zähigkeit alle Schwierigkeiten in stiller und rastloser Arbeit überwunden, die der Gründung des Verbandes entgegenstanden. Langsam erwachen die durch die Not der Zeit und die politischen Geschehnisse eingeschüchterten furchtsamen Gemüter, um einander die Hand zu reichen zu gemeinsamer Aufbauarbeit."

Den Mittelpunkt nicht nur des evangelischen Deutschtums, sondern auch des Deutschtums überhaupt bilden die zahlreichen evangelischen Wohltätigkeitsanstalten von Superintendent Th. Zöckler in Stanislau, dessen Arbeit für Erhalt der deutschen evangelischen Kirche und des Deutschtums nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Was dieser evangelische Prediger in den 35 Jahren seiner Tätigkeit in Galizien geleistet hat, grenzt geradezu ans Wunderbare. Mit ganz geringen Mitteln hat er in Stanislau eine Reihe von Anstalten gegründet und trotz Weltkrieg und Zusammenbruch des habsburgischen Staates und der furchbaren Kämpfe zwischen Polen und Ukrainern bis auf den heutigen Tag erhalten und ausgebaut. Diese kirchlichen Institute bilden natürlich auch eine starke Stütze
Deutsches Kinderheim Bethlehem in Stanislau in Galizien.

[92a]
      Deutsches Kinderheim Bethlehem in Stanislau in Galizien.
des Deutschtums in Galizien. Daher hat auch neben Lemberg Stanislau eine deutsche Mittelschule, damit von den deutschen Kindern, die in den Zöcklerschen Anstalten auferzogen werden, keines ohne deutsche Bildung zu bleiben braucht. Pfarrer Zöckler hat hier in der Diaspora eine Reihe von christlichen Wohltätigkeitsanstalten geschaffen, in denen zusammen nicht weniger wie 420 Menschen täglich beköstigt werden. Da ist das Mädchenhaus "Bethlehem"; da ist das Knabenhaus "Nazareth"; da ist "Bethanien" für die Gymnasiastinnen und Kostschülerinnen; da ist das Mittelschülerheim "Martineum", das Kandidatenkonvikt "Paulinum", das Diakonissenhaus "Sarepta", mit den Nebengebäuden "Ebenezer", "Zoar", "Sunem" und "Bethesda", die schwächliche Schulkinder, [140] Alte und Sieche, Krüppel, Blöde und Unheilbare verpflegen. Dazu kommt schließlich noch eine Haushaltungsschule, die Anstaltsökonomie und endlich die landwirtschaftliche Maschinenfabrik "Vis", die den vielen heranwachsenden Jungen der Anstalt handwerkliche Ausbildung bietet.

Deutsches Bauernhaus in Ostgalizien.

[92b]
      Deutsches Bauernhaus in Ostgalizien.
Wenn man die deutschen Bauernkolonien in Galizien besucht, ist man erstaunt, wie schnell sie die Verheerungen des Weltkrieges überwunden haben. Nur macht sich jetzt bei dem Kinderreichtum der deutschen Familien immer stärker eine Überbevölkerung der deutschen Dörfer bemerkbar. Zur österreichischen Zeit gingen die jüngeren Söhne der Bauern zum großen Teil nach dem Dienst im Heere in die niedere Beamtenlaufbahn über. Seitdem Galizien zu Polen gehört, ist das ganz in Fortfall gekommen; die Söhne und die Töchter bleiben beim Vater auf dem Hofe. Geld, um neues Land zu erwerben, ist nach den furchtbaren Verlusten im Weltkriege und in der Inflationszeit nicht vorhanden. Es beginnt sich daher auch in den deutschen Dörfern die Teilung des Bauernhofes unter die Kinder einzubürgern, während ihn früher stets der Älteste ungeteilt erbte. Das birgt natürlich die Gefahr in sich, daß der Besitz bald so zersplittert sein wird, daß die Zwerganteile nicht mehr rationell bearbeitet werden können. Wie groß diese Gefahr für das Deutschtum ist, geht aus folgenden Ausführungen des Deutschen Volksblattes für Galizien hervor:

      "Vor kurzem hat in Lemberg der Verbandstag des Verbandes der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften in Kleinpolen stattgefunden. Wer an diesem teilgenommen oder den im Volksblatt erschienenen Bericht gelesen hat, muß mit großer Betrübnis feststellen, daß der Geist der Selbsthilfe, der bei unseren Vorfahren und früher unter uns gelebt hat, langsam im Aussterben begriffen ist. Der Genossenschaftsgeist ist so gut wie gänzlich aus unseren Reihen verschwunden. Neid und Mißgunst, Selbstsucht und Zwietracht sind oft die Ursache, daß unsere Genossenschaften nicht vorwärts kommen. Gerade dem Genossenschaftswesen verdankt der Landwirt in Deutschland, der Schweiz, Österreich, der Tschechoslowakei seinen Wohlstand, seine gesunde Lage. Kann es bei uns nicht ebenso sein? Von unseren Brüdern in den anderen Gebieten Polens können wir nicht weniger lernen. Ihr gut ausgebautes Genossenschaftswesen macht es ihnen möglich, selbst die schlechtesten Verhältnisse erträglich zu finden. Befolgen wir dieses Beispiel!
      Wir müssen recht bald zur Selbsthilfe schreiten, ehe es vielleicht zu spät wird. Es braucht hier nicht besonders gesagt zu werden, wie es heute in unseren deutschen Gemeinden bestellt ist. Die heranwachsende Jugend kann nicht mehr in neuen Wirtschaften untergebracht werden, die Teilung führt zur Verelendung der Gemeinden, eine Auswanderung nach Amerika oder in andere Länder ist ausgeschlossen. Wir dürfen diese erwachsene Jugend nicht in die Städte verlieren, wo sie geistig und körperlich gefährdet ist und nur allzubald ihr Volkstum abstreift, sie muß an der Scholle haften bleiben. Diese Scholle ihr zu sichern ist aber eine der vornehmsten Aufgaben, die unserm Genossenschaftswesen gestellt ist."

Seite zurückInhaltsübersichtnächste
Seite


Deutschlands Gebietsverluste 1919-1945. Handbuch und Atlas

Gebiets- und Bevölkerungsverluste des Deutschen Reiches und Deutsch-Österreichs nach dem Jahre 1918

Der Tod in Polen. Die volksdeutsche Passion

Das Versailler Diktat.
Vorgeschichte, Vollständiger Vertragstext, Gegenvorschläge der deutschen Regierung


100 Korridorthesen: Eine Auseinandersetzung mit Polen

Auf den Straßen des Todes: Leidensweg der Volksdeutschen in Polen

Der Bromberger Blutsonntag

Die deutsche Volksgruppe in Polen 1934-39

Deutschland und der Korridor

Das Deutschtum in Kongreßpolen

Das Grenzlanddeutschtum im polnischen Staate

Der Marsch nach Lowitsch

Die polnischen Greueltaten an den Volksdeutschen in Polen

Der Tod in Polen. Die volksdeutsche Passion

Volksdeutsche Soldaten unter Polens Fahnen. Tatsachenberichte von der anderen Front aus dem Feldzug der 18 Tage

Zehn Jahre Versailles, besonders Bd. 3 Kapitel "Gegnerische Gebietsforderungen und ihre Vorgeschichte: Die Polen."

Seite zurückInhaltsübersichtnächste
Seite

Deutschtum in Not!
Die Schicksale der Deutschen in Europa außerhalb des Reiches.
Paul Rohrbach