SucheScriptoriumBuecherladenArchiv IndexSponsor


Deutschland und der Korridor

[253-254=Trennblätter] [255]
Danzig und Gdingen (Teil 1)
Kurt Peiser

Das Deutsche Reich hat die 14 Punkte des Präsidenten Wilson angenommen und sich damit einverstanden erklärt, dem polnischen Staat, der geschaffen werden sollte, "einen freien und sicheren Zugang zum Meere" zu geben. Im Juni 1919 erklärte die deutsche Friedensdelegation die Bereitwilligkeit der deutschen Regierung, zur Erfüllung dieser übernommenen Verpflichtung die Häfen von Memel, Königsberg und Danzig zu Freihäfen auszugestalten und in diesen Häfen Polen weitgehende Rechte einzuräumen. Die deutsche Regierung erklärte sich bereit, durch eine entsprechende Vereinbarung dem polnischen Staatswesen jede Möglichkeit zur Errichtung und Benutzung der in Freihäfen erforderlichen Anlagen wie Docks, Anlegestellen, Schuppen, Kais und so weiter vertraglich zu sichern. Die deutsche Regierung erklärte sich weiterhin bereit, durch ein besonderes Abkommen mit dem polnischen Staat hinsichtlich der Benutzung der Eisenbahnen zwischen Polen und anderen Gebieten des ehemaligen Russischen Reiches einerseits und den Häfen von Memel, Königsberg und Danzig andererseits jede erforderliche Sicherheit gegen Differenzierung in den Tarifen und der Art der Benutzung zu geben unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit. Schließlich erklärte die deutsche Regierung unter der gleichen Voraussetzung ihre Bereitwilligkeit, die von Polen, Litauen und Lettland durch Ost- und Westpreußen zur Ostsee führenden schiffbaren Wasserstraßen unter weitgehenden Sicherungen zur freien Benutzung und zum freien Durchgangsverkehr den Polen zur Verfügung zu stellen.

So großzügig dieses Angebot der deutschen Regierung war, nach Meinung der alliierten und assoziierten Mächte reichte es nicht aus, um Polens Forderung nach einem "freien und sicheren Zugang zum Meere" erfüllen zu können. Am 16. Juni 1919 lehnten infolgedessen die alliierten und assoziierten Mächte das Angebot der deutschen Regierung in einer Antwortnote ab, in der der Versuch unternommen wird, das Rad der Geschichte um Jahrhunderte zurückzudrehen, indem man die Erinnerung an die Zugehörigkeit Danzigs zur Hanse wachruft und im Hinblick auf die von den alliierten und assoziierten Mächten geforderte Loslösung Danzigs vom Deutschen Reich einem außerhalb der politischen Grenzen Deutschlands lebenden und in enge wirtschaftliche Beziehung zu Polen zu setzenden Danzig eine neue Handelsblüte in Aussicht stellt. Ohne sich der Mühe zu unterziehen, den Beweis hierfür zu erbringen, erklären die alliierten und assoziierten Mächte, die wirtschaftlichen Interessen Danzigs und Polens seien identisch, sie nennen den Danziger Hafen in völlig unmißverständlicher Weise Polens "einzigen Ausgang zum Meere" und begründen in einer Mantelnote vom 16. Juni 1919 - kein anderer als Clémenceau hat sie mit seiner Unterschrift versehen - ihre Forderung auf Loslösung Danzigs vom Deutschen Reich in aller Form damit, "weil es kein anderes mögliches Mittel gab, jenen 'freien und sicheren Zugang zum Meere' zu schaffen, welchen Deutschland zu überlassen versprochen hatte".

Zwölf Tage später wurde das Diktat von Versailles unterzeichnet.


Der Artikel 104 des Diktats von Versailles enthält die Verpflichtung der alliierten und assoziierten Mächte, ein Übereinkommen zwischen der polnischen Regierung und der Freien Stadt [256] Danzig zu vermitteln, das mit der Errichtung der Freien Stadt Danzig in Kraft treten und unter anderem den Zweck haben soll, Danzig in die Zollgrenzen Polens einzuschließen und Polen eine große Anzahl von Rechten bei der Benutzung des Danziger Hafens im weiteren Sinne des Wortes zu sichern.

Der am 9. November 1920 in Paris unterzeichnete Vertrag zwischen der Freien Stadt Danzig und der Republik Polen stellt dieses Übereinkommen dar. In ihm wird die Frage nach der Verwaltung des Danziger Hafens dahin beantwortet, daß ein zu gleichen Teilen aus Vertretern Danzigs und Polens zusammenzusetzender "Ausschuß für den Hafen und die Wasserwege von Danzig" geschaffen und mit einem im Einvernehmen zwischen der Freien Stadt Danzig und Polen zu wählenden Präsidenten als Verhandlungsleiter und erstinstanzlichem Schiedrichter zwischen den beiden Delegationen ausgestattet werden soll. Dieser Danziger Hafenausschuß soll innerhalb der Grenzen der Freien Stadt Danzig die Leitung, Verwaltung und Ausnutzung des Hafens, der Wasserwege und der gesamten, besonders den Zwecken des Hafens dienenden Eisenbahnen ausüben. Der Danziger Hafenausschuß soll alle Abgaben, Gebühren und Einkünfte, die sich aus der Verwaltung des Hafens, der Wasserwege und der Eisenbahnen ergeben, erhalten, er soll alle Kosten ihrer Unterhaltung, Leitung, Ausnutzung, Verbesserung und Entwicklung bestreiten. Der Hafenausschuß soll verpflichtet sein, Polen die freie Benutzung und den Gebrauch des Hafens ohne jede Einschränkung und in dem für die Sicherstellung des Ein- und Ausfuhrverkehrs nach und von Polen notwendigen Maße zu gewährleisten; der Ausschuß soll verpflichtet sein, alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, die den Ausbau und die Verbesserung des Hafens und der Verbindungswege sicherstellen, um allen Bedürfnissen dieses Verkehrs zu genügen. Noch einmal umreißt der Pariser Staatsvertrag vom 9. November 1920 den Aufgabenkreis des Danziger Hafens als Polens "freier und sicherer Zugang zum Meere", indem der Artikel 28 besagt: "Jederzeit und unter allen Umständen soll Polen das Recht haben, über Danzig Waren, gleichviel welcher Art, einzuführen und auszuführen, soweit dies nicht durch die polnischen Gesetze verboten ist."

Solange es Rechte gibt, enthalten sie - und sei es auch unausgesprochen - Verpflichtungen. Nicht nur die alliierten und assoziierten Mächte haben vom Danziger Hafen als Polens einzigem freiem und sicheren Zugang zum Meere gesprochen, auch Polen hat dies getan. Angesichts dieser Feststellungen ist es kein Zufall gewesen, daß der Engländer Sir Richard Haking in seiner Eigenschaft als Hoher Kommissar des Völkerbundes in Danzig in einer Entscheidung vom 15. August 1921 der Verpflichtung Danzigs, die Interessen Polens bezüglich des freien Zuganges zum Meere zu allen Zeiten zu wahren, die Verpflichtung Polens gegenübergestellt hat, den Hafen von Danzig voll auszunutzen (to make full use of the port of Danzig), welche anderen Häfen die polnische Regierung in Zukunft auch an der Ostseeküste errichten mag.

Aus dieser eindeutigen Rechtslage heraus mußte sich der Weg des Danziger Hafens ergeben. Weite Kreise der Danziger Wirtschaft haben ihm eine günstige Prognose gestellt, sind mit starkem Optimismus an die Arbeit gegangen in der Annahme, daß dem Danziger Hafen nach schweren Kriegsjahren ein rascher Aufstieg, dem Danziger Platz eine schnelle Belebung beschieden sein werde nachdem der Danziger Hafen Polens freier Zugang zur See geworden war und damit eine Monopolstellung in der Abwicklung des polnischen Seehandels erhalten hatte. War vor dem Weltkriege lediglich der Unterlauf der Weichsel, die preußische Weichsel, für Danzig als Binnenwasserstraße von Bedeutung gewesen, weil die russische Regierung an der mittleren Weichsel ebenso geringes Interesse zeigte, wie es bei der österreichischen Regierung an dem Oberlauf der Weichsel der Fall war, so schien der Weichselwasserstraße [257] ein neuer größerer Aufgabenkreis erstanden zu sein, seitdem der ganze Strom mit Ausnahme der kurzen Mündungsstrecke im Staats- und Wirtschaftsgebiet der Republik Polen lag und einer einheitlichen Verwaltung überliefert war.

Doch die ersten Nachkriegsjahre brachten dem Danziger Hafen und dem Danziger Handel bereits ernste Enttäuschungen. Zwar hatte der Danziger Hafen in einer Zeit, in der die reichsdeutschen Häfen noch mehr oder weniger vollständig tot waren, einen Verkehr großer Fahrzeuge aufzuweisen, allein diese Schiffe dienten nicht dem Handelsverkehr sondern brachten lediglich Lebensmittel für die notleidende Bevölkerung Polens. Daß Polen damals noch keinen nennenswerten Seehandel treiben konnte, konnte auch keineswegs überraschen. Dazu hatte der Weltkrieg seine schwere Hand zu lange auf dieses Land gelegt. Als Polen dann an die schwierige Aufgabe heranging, aus den einzelnen Teilgebieten nach Möglichkeit ein einheitliches Staatswesen und Wirtschaftsgefüge zu gestalten, loderte noch einmal in den Sommermonaten 1920 die Kriegsfackel auf, als die bolschewistischen Armeen im Anmarsch auf Warschau waren. Das "Wunder an der Weichsel" brachte am 15. August 1920 den Wendepunkt in dieser für Polen außerordentlich bedrohlichen Lage. Noch gab es Unruhen und Kämpfe um das Schicksal Oberschlesiens, da begann die Zeit der zunehmenden Geldentwertung an den Grundlagen auch des polnischen Wirtschaftslebens zu rütteln und zu schütteln. Im Jahre 1924 geht Polen zur Zloty-Währung über und schafft damit die Voraussetzungen für eine feste Grundlage auch für seine Außenhandelspolitik.

Es ist politisch wie wirtschaftlich für Polen, das durch die Einverleibung des "Korridors" Anliegerstaat der Ostsee geworden ist, von besonderer Bedeutung, daß es nunmehr den Zeitpunkt für gekommen hält, zur Seehandelspolitik überzugehen. Polen, ein ausgesprochenes Binnenland mit 5.394 Kilometern Land- und - einschließlich der Halbinsel Hela - nur 140 Kilometern Seegrenzen, unternimmt den Versuch, seinen Außenhandelsverkehr aus der bis dahin ausschlaggebend gewesenen Ost-West-Richtung in die Süd-Nord-Achse abzudrehen. Zweifellos hat die Zuteilung wertvollster Teile des oberschlesischen Industriebeckens an Polen einen starken Einfluß auf diese Zielsetzung der polnischen Regierung ausgeübt, zumal der polnischen Industrie der Weg zum östlichen Nachbarlande, der Sowjet-Union, verschlossen blieb, und doch kann nicht daran gezweifelt werden, daß ausschlaggebend für diese Achsendrehung der Wunsch der polnischen Regierung gewesen ist, vor der Welt die These der Notwendigkeit eines Zuganges zur See für Polen unter Beweis zu stellen.

Das Jahr 1924 bedeutet für den Danziger Hafen, Polens freien und sicheren Zugang zum Meere, keine wesentliche Veränderung gegenüber den letzten Vorkriegsjahren, was die Menge des Güterumschlages betrifft. Dagegen machen sich Anzeichen für eine ungünstige Gestaltung des Verhältnisses zwischen Ein- und Ausfuhrmenge bemerkbar, die vor dem Weltkriege ausgeglichene Tonnage-Bilanz im Danziger Seeverkehr verschiebt sich zuungunsten der durch die polnische Regierung gedrosselten Einfuhr. Da bringt das Jahr 1925 den Ausbruch des deutsch-polnischen Zollkrieges. Die Verpflichtung des Deutschen Reiches zur Abnahme von monatlich 500.000 Tonnen ostoberschlesischer Kohle erlischt. Für Polens Kohlenbergbau ist eine ernste Situation entstanden, man sucht sie zu lösen, indem der Versuch zur Erschließung der skandinavischen Märkte unternommen wird. Der Weg dorthin führt in der Süd-Nord-Richtung durch den "Korridor" über den Danziger Hafen.

Ein unerhörter Zufall wird zum stärksten Förderer der polnischen Seehandelspolitik: im Jahre 1926 bricht in England der große Bergarbeiterstreik aus. England hört für Monate auf, Kohlenexporteur zu sein. Eine Hochkonjunktur für den ostoberschlesischen Kohlenbergbau be- [258] ginnt, eine Hochkonjunktur auch für den Danziger Hafen. Waren im Jahre 1924 erstmalig rund 41.000 Tonnen Kohle über den Danziger Hafen zur Ausfuhr gelangt, war diese Kohlenausfuhr im folgenden Jahre in Auswirkung des deutsch-polnischen Zollkrieges auf 618.000 Tonnen gestiegen, so schnellt der Kohlenumschlag im Danziger Hafen im Jahre 1926 auf nicht weniger als 3,4 Millionen Tonnen in die Höhe, er steigt im Jahre 1927 auf 4,1 Millionen Tonnen, um im Jahre 1928 mit 5,3 Millionen Tonnen seinen Höhepunkt zu erreichen.

Auch auf die Entwicklung der seewärtigen Einfuhr über Danzig ist der englische Bergarbeiterstreit indirekt von Bedeutung geworden. Aus dem Bestreben heraus, den mit Kohlen aus Ostoberschlesien der Seeküste zurollenden Eisenbahnwagen nach Möglichkeit Rückfracht zu verschaffen, geht Polen vom Jahre 1926 ab dazu über, in verstärktem Maße die Einfuhr von Erzen und Schwefelkies über den Danziger Hafen zu lenken. Diese Einfuhr, die sich im Jahre 1925 erst auf 4.700 Tonnen belaufen hatte, umfaßt im Jahre 1926 207.000 Tonnen, im folgenden Jahre 336.000 Tonnen, im Jahre 1928 bereits 438.000 Tonnen. Der Ablauf des deutsch-polnischen Schrott-Abkommens am 15. Juni 1927 ist sodann der Ausgangspunkt für die Lenkung auch der Schrotteinfuhr auf dem Seewege über den Danziger Hafen. Rund 3.100 Tonnen Schrott waren über den Danziger Hafen im Jahre 1926 zur Einfuhr nach Polen gelangt, im Jahre 1927 sind es 321.000 Tonnen, im Jahre 1928 sogar 477.000 Tonnen.

Mengenmäßig hat damit der seewärtige Warenverkehr über Danzig in dem Jahrfünft von 1924 bis 1928 eine Entwicklung erfahren, wie sie aus folgender Zusammenstellung hervorgeht:

Es betrug in Tonnen:

    die Einfuhr:     die Ausfuhr:     insgesamt:
1924 738 071 1 636 485 2 374 556
1925 690 779 2 031 969 2 722 748
1926 640 695 5 659 604 6 300 299
1927 1 517 194 6 380 419 7 897 613
1928 1 832 409 6 783 273 8 615 682

Im Vergleich zum Durchschnitt der letzten drei Vorkriegsjahre hat der seewärtige Warenverkehr über Danzig im Jahre 1928 mengenmäßig nahezu eine Vervierfachung aufzuweisen, allerdings ist dieser starke mengenmäßige Aufstieg des Güterumschlages im Danziger Hafen der Danziger Wirtschaft nur in verhältnismäßig geringem Umfange zugutegekommen, da in diesem Warenverkehr geringwertige Massengüter wie die Kohle in der Ausfuhr, die Erze und Schrott in der Einfuhr von ausschlaggebender Bedeutung geworden sind, Massengüter, die den Danziger Hafen lediglich im Durchgangsverkehr berührten, ohne dem Danziger Eigenhandel die Möglichkeit zur Einschaltung in diesen Außenhandel zu bieten.

Obwohl man sich in jenen Jahren sehr bald über den grundsätzlichen Unterschied zwischen Handel und Verkehr im klaren war, wurde doch keine Zeit verloren, um die Leistungsfähigkeit des Danziger Hafen den sozusagen über Nacht gestiegenen Anforderungen des Verkehrs anzupassen. Nicht nur der Danziger Hafenausschuß, auch die Danziger Hafenwirtschaft nahm regen Anteil an dem Ausbau des Danziger Hafens und seiner Umschlags- und Lagerungseinrichtungen. Von Bedeutung war dabei der Entschluß des Danziger Hafenausschusses, zur Konzentration des Umschlages von geringwertigen Massengütern in Weichselmünde ein besonderes Massengutbecken zu erbauen, das im Frühjahr 1929 dem Verkehr übergeben wurde, sowie zur Förderung des Stückgüterverkehrs im Freihafen moderne Lagerhallen zu errichten.

Millionen über Millionen waren in die Hebung der Umschlagskapazität, in die Verbesserung und Modernisierung der Anlagen des Danziger Hafens hineingesteckt worden, da bringt [259] das Jahr 1929 eine Stagnation im seewärtigen Warenverkehr Danzigs. Ein kleiner Rückgang gegenüber dem Vorjahre ist eingetreten. Er vergrößert sich im Jahre 1930, um allerdings im Jahre 1931 einer geringfügigen Belebung Platz zu machen. Dann jedoch bringen die nächsten zwölf Monate einen katastrophalen Rückgang um mehr als 2,7 Millionen Tonnen, einen Niedergang, der in verringerten Ausmaßen sich in das Jahr 1933 hinein fortsetzt. Zahlenmäßig bietet der Güterumschlag des Danziger Hafens in dem Jahrfünft von 1929 bis 1933 folgendes Bild:

Es betrug in Tonnen:

    die Einfuhr:     die Ausfuhr:     insgesamt:
1929 1 792 951 6 766 699 8 559 650
1930 1 090 631 7 122 462 8 213 093
1931 754 300 7 576 205 8 330 505
1932 428 103 5 047 949 5 476 052
1933 493 167 4 659 808 5 152 975

Der Gesamtumschlag des Danziger Hafens ist also im Jahre 1933 um 3,46 Millionen Tonnen, das heißt um 40 v.H., geringer gewesen als im Jahre 1928. Was ist geschehen? Trifft es zu, daß die Weltwirtschaftskrise in ihren Auswirkungen auch auf Polen hieran die Schuld trägt? Die amtliche polnische Statistik beweist das Gegenteil, sie gibt das Volumen des polnischen Seehandels wie folgt an:

1929     11,38 Millionen Tonnen
1930 11,84 Millionen Tonnen
1931 13,63 Millionen Tonnen
1932 10,36 Millionen Tonnen
1933 10,64 Millionen Tonnen

Auch in dem Katastrophenjahr des Danziger Hafens, 1932, hat demnach Polens Seehandel, rechnet man den Danziger Eigenhandel dazu, das Doppelte von dem betragen, was dem Danziger Hafen an Umschlag verblieben war. Der Grund
Der Anteil Danzigs und Gdingens am polnischen seewärtigen Außenhandel Der Anteil Danzigs und Gdingens am polnischen seewärtigen
Außenhandel
[Vergrößern]
für den besorgniserregenden Niedergang des seewärtigen Warenverkehrs über Danzig seit dem Jahre 1931 liegt einzig und allein in der Tatsache, daß eine Aufteilung des polnischen Seehandels vor sich gegangen ist, seitdem die polnische Regierung in noch nicht 20 Kilometer Entfernung von Danzig sich einen neuen "freien und sicheren Zugang zum Meere" erbaut hat: den Hafen von Gdingen.

Es ist nicht uninteressant, daran zu erinnern, daß schon im März 1919, in jenen Monaten also, in denen in Paris die polnische Forderung auf Einverleibung Danzigs in den polnischen Staat den stärksten Widerspruch Englands auslöste, eine polnische Delegation die Drohung aussprach, daß, sollte Danzig nicht zu Polen kommen, Polen sich bemühen würde, an dem Teile der Küste, über den Polen das alleinige Verfügungsrecht besitze, sich einen eigenen Hafen zu erbauen.1 Nur wenige Jahre später hat die polnische Regierung diese Drohung wahrgemacht. Es erübrigt sich eine
Polen, der Fremdling an der Ostsee
Entgegen den Verpflichtungen, die Polen durch das Friedensdiktat von Versailles übernommen hat, Danzig, den altbewährten Hafenplatz, für seinen seewärtigen Außenhandel zu benutzen, baut es in der Danziger Bucht einen neuen eigenen Kunsthafen und gestaltet das kleine Dorf Gdingen zu einer wild aufwachsenden Großstadt. Mit Gdingen beginnt Polen, der Fremdling an der Ostsee, seinen Vernichtungskampf gegen Danzig und seinen Angriff gegen das Reich.
jede Erörterung der von Polen im Laufe der Jahre in verschiedenster Gestalt genannten Gründe für die Notwendigkeit des Baues von Gdingen angesichts der Feststellung, daß die polnische Regierung den Entschluß zum Bau eines eigenen Hafens zu einer Zeit faßte, in der von einem systematischen Seehandel Polens überhaupt noch keine Rede war. Man muß sich noch einmal vergegenwärtigen, daß, als die polnische Regierung den Vertrag zum Bau von Gdingen im Sommer 1924 mit einem französisch-polnischen Baukonsortium [260] unterzeichnete, der Güterumschlag des Danziger Hafens erst so groß wie vor dem Weltkriege war, daß der Danziger Hafen in seinem damaligen Zustande infolgedessen voll ausreichte zur Abwicklung des Güterumschlages, um die tieferen Gründe für den Bau von Gdingen erkennen zu können

[261] Hunderte von Millionen Zloty hat der polnische Staat in wirtschaftlich schwerster Zeit aufgebracht, um vor den Toren Danzigs Gdingen zu errichten. Ein Bruchteil dieser Summen hätte genügt, um dem Hafen, der bei seiner Loslösung vom Deutschen Reich die Aufgabe erhalten hatte, als Polens einziger freier Zugang zum Meere zu dienen, eine für alle Zeiten ausreichende Leistungsfähigkeit zu geben. Nachdem Polen, das Weichselland, eine Fülle weitestgehender Rechte im Danziger Hafen, dem
Werft- und Hafenanlagen an der Toten Weichsel
Danzig: Werft- und Hafenanlagen
an der Toten Weichsel.

Werft- und Hafenanlagen an der Toten Weichsel
Weichselmündungshafen, erhalten hatte, erbaute es den Korridorhafen Gdingen. Es verdient, immer wieder mit allem Nachdruck hervorgehoben zu werden, daß die Initiative zu diesem gewaltigen Vorhaben nicht von der Wirtschaft Polens sondern von der polnischen Regierung ausging. Die polnische Wirtschaft fand ja im Danziger Hafen und am Danziger Platz alles das, was für die Abwicklung eines jeden Außenhandelsverkehrs hätte erforderlich sein können. Die polnische Wirtschaft war in jenen schwierigen Nachkriegsjahren keineswegs daran interessiert, riesige Kapitalien aufzubringen, um in geringer Entfernung von dem in die Zollgrenzen Polens einbezogenen Danziger Hafen, der über eine jahrhundertealte Tradition verfügt, einen neuen Hafen zu finanzieren. Der polnische Staat allein war der Träger dieses Gdingen-Projekts, der polnische Staat sah sich dazu gezwungen, der polnischen Wirtschaft den Weg nach Gdingen schmackhaft zu machen, indem bereits im Juni 1927 durch eine Verordnung des Präsidenten der Republik Polen über die "Förderung des Ausbaues und der wirtschaftlichen Entfaltung der Stadt Gdingen und des Hafens von Gdingen" außerordentlich weitgehende steuerliche Vergünstigungen allen den privatrechtlichen Betrieben, die sich zur Niederlassung in Gdingen entschließen, gewährt werden. Die Befreiung von der [262] staatlichen Gewerbesteuer, die Befreiung von jeglichen mit der Gründung von
Eisenbahnverkehr Danzigs und Gdingens mit dem polnischen Hinterland in 1000 t Eisenbahnverkehr Danzigs und Gdingens mit dem polnischen Hinterland in 1000
t
[Vergrößern]
Unternehmen verbundenen Abgaben und Gebühren zugunsten des Staates, die Niederschlagung der staatlichen Einkommenssteuer, die Befreiung von der staatlichen Grund- und Gebäudesteuer für die Dauer von 25 Jahren sind einige der Attraktivmittel der polnischen Regierung gewesen, um die polnische Wirtschaft für Gdingen zu interessieren. Der polnische Staat als Träger des Hafenbaues von Gdingen ging unter Verzicht auf eine entsprechende Verzinsung und Amortisation der im Hafen von Gdingen investierten Kapitalien dazu über, die Hafenabgaben so niedrig zu halten, daß sie unbedingt werbend wirken mußten. Der polnische Staat sorgte dafür, daß die staatliche beziehungsweise halbstaatliche polnische Handelsflotte bedeutende Erleichterungen bei der Benutzung des Hafens von Gdingen erfuhr, wie der polnische Staat auch bestrebt war, ausländische Linien zu regelmäßigem Anlaufen des Hafens von Gdingen durch Gewährung besonderer Subventionen zu veranlassen.

Vor dem Bau von Gdingen
Der Küstenstreifen vor dem Bau von Stadt und Hafen Gdingen.

Die wild aufwachsende Stadt.
Die wild aufwachsende Stadt Gdingen

Waren so erhebliche Voraussetzungen für die Einschaltung Gdingens in den polnischen und den internationalen Seeverkehr geschaffen, so warf der polnische Staat sein ganzes Gewicht in die Waagschale, um dem Hafen von Gdingen unter allen Umständen den ersten Platz im polnischen Außenhandelsverkehr zuzuweisen. Der polnische Staat veranlaßte zu diesem Zwecke, daß die polnischen Staatsmonopole sich fortan nahezu ausschließlich nur noch des Hafens von Gdingen bedienten, alle Gesellschaften und Betriebe, an denen der polnische Staat beteiligt ist [263] beziehungsweise die seiner Kontrolle unterliegen, bemühten sich, diesem Beispiel zu folgen. Darüber hinaus bediente sich der polnische Staat, dessen Einfluß auf die Gestaltung des Außenhandels Polens sich zu einem ausgesprochenen "Etatismus" gesteigert hatte, der mannigfachsten wirtschaftspolitischen Mittel, um einen möglichst großen Teil des polnischen seewärtigen Warenverkehrs auf den Weg zu lenken, den der Staat in mühevoller Arbeit geschaffen hatte, den Weg über Gdingen. Ob es sich dabei um die Gewährung von Einfuhrbewilligungen oder um Zollnachlässe, um die Gewährung von Exportprämien oder Frachtvergünstigungen handelte, die Zielsetzung des polnischen Staates bleib stets die gleiche.




Anmerkungen

1Vgl. "Questions relatives aux territoires polonais sous la domination prussienne." Paris, Mars [März] 1919. ...zurück...

Seite zurückInhaltsübersichtSeite vor

Deutschland und der Korridor