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Bd. 1: Der deutsche Landkrieg, Erster Teil:
Vom Kriegsbeginn bis zum Frühjahr 1915

Kapitel 1: Die politischen Grundlagen für die Entschlüsse
der Obersten Heeresleitung bei Kriegsbeginn
  (Forts.)

Generalmajor Wilhelm v. Dommes

4. Von der Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand bis zur Kriegserklärung Englands.

Am 28. Juni 1914 fielen die beiden Pistolenschüsse, durch die Erzherzog Franz Ferdinand, der österreichisch-ungarische Thronfolger, und seine Gemahlin [18] bei einem Besuche der bosnischen Hauptstadt ermordet wurden. Der Mörder war ein serbischer Student. Dem Morde lag eine Verschwörung zugrunde, deren Fäden nach Belgrad führten.11

Österreich-Ungarn war nicht in der Lage, die großserbische Propaganda, die bis zur Ermordung des Thronfolgers schritt, weiterhin zu dulden, wollte es nicht auf seine Großmachtstellung nicht nur, sondern auch auf jedes Ansehen gegenüber der slawischen Bevölkerung innerhalb der Monarchie verzichten. In fühlbarer Schwüle vergingen der Rest des Juni und die drei ersten Juliwochen.

Am 5. Juli, als der Gang der Untersuchungen über das Verbrechen einen klaren Überblick gestattete, überreichte der österreichische Botschafter dem Deutschen Kaiser in Potsdam ein Handschreiben des Kaisers Franz Joseph. In dem Schreiben war ausgeführt, daß es weder mit der Würde noch mit der Selbsterhaltung der Monarchie vereinbar wäre, dem Treiben jenseits der serbischen Grenze tatenlos zuzusehen. Die österreichisch-ungarische Regierung werde mit der Forderung nach weitgehender Genugtuung an Serbien herantreten.

Die Stellungnahme der deutschen Regierung zu dieser Frage, niedergelegt in einem Bericht des Reichskanzlers an die Bundesregierungen vom 28. Juli 1914,12 sagt: "....Wir waren uns wohl bewußt, daß Serbien Rußland auf den Plan bringen und uns hiermit unserer Bundespflicht entsprechend in einen Krieg verwickeln könnte. Wir konnten aber in der Erkenntnis der vitalen Interessen Österreich-Ungarns, die auf dem Spiele standen, unserem Bundesgenossen weder zu einer mit seiner Würde nicht vereinbaren Nachgiebigkeit raten, noch auch ihm unseren Beistand in diesem schweren Moment versagen. Wir konnten dies um so weniger, als auch unsere Interessen durch die andauernde serbische Wühlarbeit auf das empfindlichste bedroht waren. Wenn es den Serben mit Rußlands und Frankreichs Hilfe noch länger gestattet geblieben wäre, den Bestand der Nachbarmonarchie zu gefährden, so würde dies den allmählichen Zusammenbruch Österreichs und eine Unterwerfung des gesamten Slawentums unter russisches Zepter zur Folge haben, wodurch die Stellung der germanischen Rasse in Mitteleuropa unhaltbar würde. Ein moralisch geschwächtes, durch das Vordringen des russischen Panslawismus zusammenbrechendes Österreich wäre für uns kein Bundesgenosse mehr, mit dem wir rechnen könnten, wie wir es angesichts der immer drohender werdenden Haltung unserer östlichen und westlichen Nachbarn müssen. Wir ließen daher Österreich völlig freie Hand in seinen Aktionen gegen Serbien. Wir haben an den Vorbereitungen dazu nicht teilgenommen....."

[19] Vor Antritt der Nordlandreise hatte der Kaiser den Kriegsminister sowie die Vertreter der auf Urlaub befindlichen Staatssekretäre des Auswärtigen Amts und des Reichs-Marine-Amts, des Generalstabs- und Admiralstabschefs, teils am 5., teils am 6. Juli nach Potsdam kommen lassen und mit ihnen einzeln über die Lage gesprochen.13 In diesen Besprechungen stellte sich der Kaiser auf den vom Reichskanzler vorgetragenen Standpunkt: Es sei kaum zu erwarten, daß Rußland Serbien unterstützen werde. Auch sei damit zu rechnen, daß der Wunsch, den europäischen Frieden zu erhalten, von den anderen Großmächten geteilt werde. Jedenfalls solle nichts geschehen, was Beunruhigung hervorrufen könne. Die abwesenden Ressortchefs sollten ihren Urlaub nicht unterbrechen. - Der Kaiser selbst trat auf dringenden Rat des Reichskanzlers am 6. Juli die gewohnte Nordlandreise an.

Am 23. Juli nachmittags überreichte der österreichisch-ungarische Gesandte in Belgrad der serbischen Regierung eine Note, in der Annahme und Veröffentlichung einer genau vorgeschriebenen Erklärung verlangt wurde. In ihr sollte ausgesprochen werden, daß die serbische Regierung die großserbischen Propaganda verurteile und sich verpflichte, sie mit allen Mitteln zu unterdrücken. Der serbische Volksverein sollte aufgelöst, gegen die in Serbien zu suchenden Teilnehmer an dem Mordanschlage sollte eine gerichtliche Untersuchung eingeleitet werden. Österreichisch-ungarische Organe sollten dabei mitwirken.

Die Note war von außerordentlicher Schärfe. Sie wurde auf zweimal vierundzwanzig Stunden befristet. Vorbehaltlose Annahme wurde gefordert. Die europäischen Großmächte wurden von der Note und von den Gründen, die sie herbeigeführt hatten, verständigt. Groß wird ihre Überraschung kaum gewesen sein. Am 16. Juli bereits hatte Sir Edward Grey den Entwurf des Ultimatums an Serbien in Händen.14 Er war durch verräterische Beamte an die englische Botschaft in Wien verkauft. Vor Rußland gab es in Wien und in Ofen-Pest überhaupt kein Geheimnis. Es ist anzunehmen, daß das Bekanntwerden des Ultimatums bei unseren Feinden den Entschluß gezeitigt hat, es nunmehr sofort zum Kriege kommen zu lassen.

Serbien wandte sich an Rußland. Von Rußland mußte es abhängen, ob die Streitfrage zwischen Österreich-Ungarn und Serbien allein geregelt, oder aber, ob sie größeren und dann unabsehbaren Umfang annehmen würde.

Am 24. Juli antwortete Sasonow dem serbischen Gesandten in Petersburg, daß Rußland keinerlei aggressive Handlungen Österreich-Ungarns gegen Serbien zulassen werde. Der französische Botschafter in Petersburg ließ Herrn Sasonow keinen Zweifel darüber, daß Frankreich nötigenfalls alle durch das Bündnis bedingten Verpflichtungen erfüllen werde.

[20] Die Rückenstärkung, die es durch Rußland erfuhr, setzte Serbien in den Stand, seine Antwort so zu halten, daß Österreich-Ungarn sie als ungenügend ansah. Am 28. Juli erfolgte die österreichische Kriegserklärung an Serbien.

Die deutsche Regierung hatte sich seit der Übergabe des österreichischen Ultimatums bemüht, die Lokalisierung des österreichisch-serbischen Konflikts sicherzustellen. Sie machte sich dabei den österreichischen Standpunkt zu eigen, daß es nicht möglich sei, den Streitfall zum Gegenstand von Verhandlungen und Kompromissen zu machen.

Die politische Leitung Deutschlands legte größten Wert darauf, alles zu vermeiden, was nur irgendwie als Kriegsvorbereitung ausgelegt werden konnte. Sie ging dabei über die Grenzen des Erträglichen hinaus. So hat zum Beispiel der Kaiser das österreichische Ultimatum an Serbien zuerst durch den drahtlosen Pressedienst erfahren. Er faßte sogleich den Entschluß zur Rückkehr. Die Reichsleitung widerriet dem, obgleich das Fernbleiben des Kaisers in diesem kritischen Augenblick in Deutschland nicht verstanden wurde, und obwohl die Möglichkeit bestand, daß er im Kriegsfalle von der englischen Flotte abgeschnitten oder gefangengenommen würde. Auch die Zurückberufung der zu Übungszwecken an der norwegischen Küste befindlichen deutschen Flotte geschah gegen den Willen des Reichskanzlers, obgleich jede Verzögerung die Gefahr erhöhte, daß ihr von der völlig schlagfertig versammelten, überlegenen englischen Flotte der Weg verlegt wurde. Deutschland hat noch im Juli erhebliche Mengen Brotgetreide unter befürwortender Billigung des Reichskanzlers nach Frankreich ausgeführt. Salpeter, Kupfer, Nickel und andere kriegsnotwendige Stoffe fehlten; ihre vorschauende Ergänzung wäre dringend gewesen. Sie wurde unterlassen, während Deutschlands Feinde jede Möglichkeit zur Vervollständigung ihrer Rüstung benutzten.

Am 23. Juli war das österreichische Ultimatum in Belgrad überreicht. Am 25. bereits, am Tage, an dem die der Beantwortung gesetzten Frist ablief, wurde in Rußland der Befehl zum Beginn der "Kriegsvorbereitungsperiode" für das ganze Gebiet des europäischen Rußlands auf den nächsten Tag (26. Juli) beschlossen. Der ausgesprochene Zweck des Befehls der "Kriegsvorbereitungsperiode" an Stelle des Mobilmachungsbefehls war, durch geschickte diplomatische Scheinverhandlungen den Gegner zu täuschen und ihm die Hoffnung zu lassen, daß der Krieg vermieden werden könne. Inzwischen wollte man die eigene Rüstung ungestört vollenden.

Am 25. Juli, 3 Uhr nachmittags, machte Serbien mobil. Daraufhin wurde in Österreich am gleichen Tage abends Teilmobilmachung gegen Serbien befohlen.

Am 27. Juli kehrte der Kaiser von der Nordlandreise zurück. Die Lage hatte bereits eine derartige Verschärfung angenommen, daß der Kriegsausbruch fast unvermeidlich schien. Durch persönlichen Briefwechsel mit dem Zaren und dem König von England versuchte der Kaiser die Fäden wieder aufzunehmen. Die [21] Aufzeichnungen des französischen Botschafters in Petersburg, Paléologue,15 eines Jugendfreundes des Präsidenten Poincaré, die durchweg starken Deutschenhaß atmen, beweisen, daß der Zar unter dem Eindruck des Telegramms des Kaisers vom 30. Juli dem Erlaß des Mobilmachungsbefehls abgeneigt war. Aus dem Suchomlinow-Prozeß ist weiter bekannt, daß der Zar bereits den Befehl gegeben hatte, die schon angeordnete Mobilmachung wieder aufzuheben, und daß es des ganzen Einflusses Sasonows bedurfte, um sie dennoch durchzusetzen.

Alle Versuche der Kaisers, den Frieden zu erhalten, blieben vergeblich, mußten vergeblich bleiben, da die Ententemächte den Krieg eben wollten.

Wie der deutsche Generalstabschef am 28. Juli die Lage beurteilte, geht aus einer kurzen Denkschrift hervor, die der Generaloberst v. Moltke am 29. Juli dem Reichskanzler übergab. In ihr heißt es unter anderem:

      "Österreich hat nur einen Teil seiner Streitkräfte, 8 Armeekorps, gegen Serbien mobilisiert. Gerade genug, um seine Strafexpedition durchführen zu können. Demgegenüber trifft Rußland alle Vorbereitungen, um die Armeekorps der Militärbezirke Kiew und Odessa und Moskau, in Summa 12 Armeekorps, in kürzester Zeit mobilisieren zu können, und verfügt ähnliche vorbereitende Maßnahmen auch im Norden, der deutschen Grenze gegenüber und an der Ostsee. Es erklärt, mobilisieren zu wollen, wenn Österreich in Serbien einrückt, da es eine Zertrümmerung Serbiens durch Österreich nicht zugeben könne, obgleich Österreich erklärt hat, daß es an eine solche nicht denke.
      Was wird und muß die weitere Folge sein? Österreich wird, wenn es in Serbien einrückt, nicht nur der serbischen Armee, sondern auch einer starken russischen Überlegenheit gegenüberstehen, es wird also den Krieg gegen Serbien nicht durchführen können, ohne sich gegen ein russisches Eingreifen zu sichern. Das heißt: es wird gezwungen sein, auch die andere Hälfte seines Heeres mobil zu machen, denn es kann sich unmöglich auf Gnade und Ungnade einem kriegsbereiten Rußland ausliefern. Mit dem Augenblick aber, wo Österreich sein ganzes Heer mobil macht, wird der Zusammenstoß zwischen ihm und Rußland unvermeidlich werden. Das aber ist für Deutschland der casus foederis. Will Deutschland nicht wortbrüchig werden und seinen Bundesgenossen der Vernichtung durch die russische Übermacht verfallen lassen, so muß es auch seinerseits mobil machen. Das wird auch die Mobilisierung der übrigen Militärbezirke Rußlands zur Folge haben. Dann aber wird Rußland sagen können, ich werde von Deutschland angegriffen, und damit wird es sich die Unterstützung Frankreichs sichern, das vertragsmäßig verpflichtet ist, an dem Kriege teilzunehmen, wenn sein Bundesgenosse Rußland angegriffen wird. Das so oft als reines Defensivbündnis gepriesene französisch-russische Abkommen, das nur geschlossen sein soll, um Angriffsplänen Deutschlands begegnen zu können, ist somit [22] wirksam geworden, und die gegenseitige Zerfleischung der europäischen Kulturstaaten wird beginnen.
      Man kann nicht leugnen, daß die Sache von seiten Rußlands geschickt inszeniert ist. Unter fortwährenden Versicherungen, daß Rußland noch nicht "mobil" mache, sondern nur "für alle Fälle" Vorbereitungen treffe, daß es "bisher" keine Reservisten einberufen habe, macht es sich so weit kriegsbereit, daß es, wenn es die Mobilmachung wirklich ausspricht, in wenigen Tagen zum Vormarsch fertig sein kann. Damit bringt es Österreich in eine verzweifelte Lage und schiebt ihm die Verantwortung zu, indem es doch Österreich zwingt, sich gegen eine russische Übermacht zu sichern. Es wird sagen: "Du, Österreich, machst gegen uns mobil, du willst also den Krieg mit uns." Gegen Deutschland versichert Rußland nichts unternehmen zu wollen, es weiß aber ganz genau, daß Deutschland einem kriegerischen Zusammenstoß zwischen seinem Bundesgenossen und Rußland nicht untätig zusehen kann. Auch Deutschland wird gezwungen werden, mobil zu machen, und wiederum wird Rußland der Welt gegenüber sagen können: "Ich habe den Krieg nicht gewollt, aber Deutschland hat ihn herbeigeführt." So werden und müssen die Dinge sich entwickeln, wenn nicht, fast möchte man sagen, ein Wunder geschieht, um noch in letzter Stunde einen Krieg zu verhindern, der die Kultur fast des gesamten Europas auf Jahrzehnte hinaus vernichten wird.
      Deutschland will diesen schrecklichen Krieg nicht herbeiführen. Die deutsche Regierung weiß aber, daß es die tief gewurzelten Gefühle der Bundestreue, eines der schönsten Züge deutschen Gemütslebens, in verhängnisvoller Weise verletzen und sich in Widerspruch mit allen Empfindungen ihres Volkes setzen würde, wenn sie ihrem Bundesgenossen in einem Augenblick nicht zu Hilfe kommen wollte, der über dessen Existenz entscheiden muß.
      Nach den vorliegenden Nachrichten scheint auch Frankreich vorbereitende Maßnahmen für eine eventuelle spätere Mobilmachung zu treffen. Es ist augenscheinlich, daß Rußland und Frankreich in ihren Maßnahmen Hand in Hand gehen.
      Deutschland wird also, wenn der Zusammenstoß zwischen Österreich und Rußland unvermeidlich ist, mobil machen und bereit sein, den Kampf nach zwei Fronten aufzunehmen.
      Für die eintretendenfalls von uns beabsichtigten militärischen Maßnahmen ist es von größter Wichtigkeit, bald Klarkeit darüber zu erhalten, ob Rußland und Frankreich gewillt sind, es auf einen Krieg mit Deutschland ankommen zu lassen. Je weiter die Vorbereitungen unserer Nachbarn vorschreiten, um so schneller werden sie ihre Mobilmachung beendigen können: Die militärische Lage wird dadurch für uns von Tag zu Tag ungünstiger und kann, wenn unsere voraussichtlichen Gegner sich weiter in aller Ruhe vorbereiten, zu verhängnisvollen Folgen für uns führen."

[23] Die Dinge entwickelten sich, wie Generaloberst v. Moltke erwartete.

Die französisch-russische Gesamtkriegshandlung war auf möglichst gleichzeitige Eröffnung der Operationen eingestellt. Die geringere Schnelligkeit der russischen Mobilmachung stand dem entgegen. Zwar hatte Rußland, wie erwähnt, bereits im Frühjahr mit den Vorbereitungen begonnen. Die Ausnutzung der Kriegsvorbereitungsperiode ließ weitere Maßnahmen zu, während Deutschland, um jeden Schein kriegerischer Verwicklungen zu vermeiden, noch untätig zusah.

Die Ausdehnung der russischen Mobilmachung auf das ganze Heer am 30. Juli - die Frankreich, nach Paléologues Aufzeichnungen,16 anscheinend noch zurückhalten wollte - machte den Zweifeln ein Ende. Daß die Mobilmachung und damit automatisch der Aufmarsch des russischen Heeres sich an Deutschlands Grenze vollzog, konnte die deutsche Regierung nicht ruhig hinnehmen. Der deutsche Botschafter in Petersburg erhielt demgemäß den Befehl, Sasonow mitzuteilen, daß Deutschland mobil machen werde, wenn Rußland seine militärischen Maßnahmen gegen Deutschland und Österreich nicht einstelle. Die Mitteilung erging am 31. Juli 11 Uhr abends. Eine Antwort auf sie ist nicht erfolgt.

In einem Telegramm an den Kaiser vom 31. Juli nachmittags suchte der Zar die Mobilmachung des gesamten russischen Heeres damit zu entschuldigen daß es "technisch unmöglich sei, die militärischen Vorbereitungen einzustellen, die durch Österreichs Mobilmachung notwendig geworden wären. Einen Krieg zu wünschen, sei Rußland weit entfernt." In einem weiteren Telegramm (1. August nachmittags) sprach der Zar die Erwartung aus, "der Kaiser möge dieselbe Garantie bieten, wie er es getan. Daß nämlich die Mobilmachung nicht den Krieg bedeute."17

Es ist ausgeschlossen, daß diese Erwartung aufrichtig gemeint war, nachdem die deutsche Regierung am 26. Juli in Petersburg unzweideutig hatte erklären lassen, nach den deutschen Vorbereitungen "bedeute die Mobilmachung den Krieg". Daß das gar nicht anders möglich war, wußten die Ententemächte sehr gut. Für sie stellte jeder Tag der Verzögerung des Beginns der Feindseligkeiten einen Gewinn dar, da er der Einheitlichkeit der Kriegseröffnung zugute kam. Für Deutschland, dessen einzige Erfolgsaussicht in der durch sorgfältige Vorbereitung ermöglichten schnellen Kriegseröffnung nach einer Seite bestand, wäre Abwarten Selbstmord gewesen.

Da Rußland seine kriegerischen Maßnahmen nicht einstellte, wurde am 1. August 5.30 Uhr nachmittags auch deutscherseits die Mobilmachung befohlen. 7 Uhr abends übergab Graf Pourtalès in Petersburg die deutsche Kriegserklärung.

Bereits am 31. Juli, während des Depeschenwechsels zwischen dem Kaiser [24] und dem Zaren, hatten russische Kavallerieabteilungen bei Thorn und im Kreise Kempen die deutsche Grenze überschritten. Weshalb in dem uns aufgezwungenen Verteidigungskriege der Reichskanzler den Erlaß der Kriegserklärung für erforderlich gehalten hat, ist nicht aufgeklärt. Feststeht, daß der Generalstabschef,18 der Kriegsminister und der Staatssekretär des Reichs-Marine-Amts sich gegen eine Kriegserklärung ausgesprochen haben. Den Reichskanzler kann kaum ein anderer Wunsch geleitet haben als der, klare Verhältnisse zu schaffen. Für die Kriegführung - und auf diese konnte es doch nur ankommen - war aber die Lage durchaus geklärt. Eigenartig ist, daß Österreich, um dessentwillen der Krieg entbrannte, erst fünf Tage später an Rußland den Krieg erklärte.

Es besteht kein Zweifel daran, daß für Deutschland die denkbar ungünstigste Lage eintreten mußte, wenn es seinen Feinden gelang, möglichst starke Teile des deutschen Heeres an der Ostfront festzulegen. Frankreich und England war es jederzeit unbenommen, in den Krieg einzutreten. Sie hatten dann leichtes Spiel. War die von der deutschen Regierung heißerstrebte Vermeidung des Krieges mit Rußland unmöglich geworden, so mußten sich nunmehr alle Bemühungen darauf richten, Frankreich gegenüber möglichst bald volle Klarheit zu schaffen und ein weiteres Umsichgreifen des Krieges zu verhindern.

Am 26. Juli nachmittags hatte der deutsche Botschafter in Paris dem stellvertretenden Außenminister Bienvenu-Martin (Minister Viviani befand sich in Begleitung des Präsidenten auf der Rückreise von Petersburg) dargelegt, daß nach Österreichs offizieller Erklärung, den Bestand Serbiens nicht antasten zu wollen, die Verantwortung für einen Krieg auf Rußland falle. Deutschland wisse sich eins mit Frankreich in dem Wunsche um die Erhaltung des Friedens. Es hoffe, daß Frankreich in Petersburg seinen Einfluß in beruhigendem Sinne geltend machen werde. In seiner Antwort hatte Bienvenu-Martin Rußlands Haltung als maßvoll bezeichnet und die Ausübung eines Einflusses auf die russische Regierung abgelehnt. Nichtsdestoweniger setzte Deutschland seine Bemühungen fort, einen Konflikt mit Frankreich zu vermeiden.

Nachdem Rußland (31. Juli abends) das Ersuchen, seine Rüstungen gegen Deutschland und Österreich einzustellen, unberücksichtigt gelassen hatte, erhielt der deutsche Botschafter in Paris Weisung, bei der französischen Regierung offiziell anzufragen, ob Frankreich in dem drohenden deutsch-russischen Kriege neutral bleiben werde. Viviani gab die kurze Antwort: Frankreich werde tun, was seine Interessen ihm geböten. Wenige Stunden später wurde die Mobilmachung der französischen Streitkräfte zu Lande und zu Wasser befohlen. Damit war über Frankreichs Absichten Klarheit geschaffen.

[25] Der Sozialdemokrat Jean Jaurès, der Führer im Kampfe für eine friedliche Lösung des Konflikts, wurde am 31. Juli durch Mörderhand aus dem Wege geräumt.

Der Krieg Deutschland-Österreichs gegen Frankreich war zur Tatsache geworden. Der 2. August war für Deutschland der erste Mobilmachungstag.

Die deutsche Heeresleitung gedachte die Operationen so zu führen, wie es vorstehend19 entwickelt worden ist: Angriff mit den Hauptkräften gegen Frankreich, zunächst Abwehr gegen Rußland. Da nach den vorliegenden Nachrichten kein Zweifel darüber bestehen konnte, daß Belgien Anschluß an die Westmächte suchen würde, kam für den deutschen rechten Heeresflügel nur der Durchmarsch durch Belgien in Frage.

Über die absolute Neutralität der Niederlande bestand kein Zweifel. Die deutsche Heeresleitung wollte dementsprechend jedes Betreten niederländischen Bodens unbedingt vermeiden. Im deutschen Operationsplan war das Vorgehen starker Kräfte nördlich der Maaslinie Lüttich - Namur vorgesehen. Den Marsch dorthin sperrte die Festung Lüttich. Ein Handstreich auf eine moderne Panzerfestung ist ein gefährliches Beginnen. Auf Grund sorgfältiger Untersuchungen glaubte Generaloberst v. Moltke das Wagnis unternehmen zu können. Vorbedingung war aber, daß die Überraschung glückte und es dem Angreifer gelang, durch die Fortslinie hindurchzukommen, bevor die Festung in Verteidigungszustand versetzt, das Zwischengelände ausgebaut war.

Am 30. Juli war in Belgien die Einberufung der drei letzten Jahrgänge der Reserve verfügt und Befehl erteilt worden, die Truppen, die sich auf Übungsplätzen befanden, in ihre Standorte zurückzubefördern. Am 1. August war der Befehl zur allgemeinen Mobilmachung erlassen. Hand in Hand damit ging die Armierung der Festungen. Jeder Tag förderte die Kriegsbereitschaft von Lüttich. Jeder Tag der Verzögerung des Angriffs mußte die Blutopfer, die die Einnahme kostete, vergrößern. Eine erhebliche Verzögerung konnte das Gelingen der ganzen Unternehmung, damit aber auch des ganzen Operationsplanes in Frage stellen.

Für die deutsche Heeresleitung galt es, baldigst über die Haltung der belgischen Regierung Klarheit zu gewinnen. Der deutsche Gesandte in Brüssel erhielt den Auftrag, der belgischen Regierung am 2. August abends eine Note zu überreichen, in der das Ersuchen gestellt war, den Deutschen den Durchmarsch durch belgisches Gebiet zu gestatten. Im Falle des Einverständnisses wurden Unabhängigkeit und Besitzstand des Königreiches ausdrücklich garantiert, sowie die Verpflichtung für Barvergütung aller Kriegsleistungen übernommen. Im Falle der Ablehnung dagegen würde Deutschland zu seinem Bedauern gezwungen sein, Belgien als Feind zu betrachten. Zur Beantwortung war eine Frist von zwölf Stunden gesetzt.

[26] Die Antwort der belgischen Regierung fiel so aus, wie es nach ihrer ganzen Haltung zu erwarten war. Sie lehnte ab und erklärte, daß sie jeder Verletzung der belgischen Neutralität mit Waffengewalt entgegentreten werde.

Am 3. August erhielt der deutsche Botschafter in Paris den Auftrag, zu erklären, daß auf Grund zweifelsfreier feindlicher Handlungen französischer Organe Deutschland sich mit der französischen Republik in Kriegszustand befände. Wie die Kriegserklärung an Rußland, so war auch dieser Schritt geeignet, Deutschland als Angreifer erscheinen zu lassen, was es tatsächlich nicht war. Für die Erklärung des Kriegszustandes an Frankreich durch den Reichskanzler ist ebensowenig ein Grund zu erkennen, wie für diejenige an Rußland. Es kann nur festgestellt werden, daß die militärische Leitung auch in diesem Falle gegen den Erlaß der Kriegserklärung war.20 Der zuweilen angegebene Grund, daß man die Kriegserklärung wegen der Sommation an Belgien gebraucht habe, ist nicht stichhaltig. Man konnte sicher sein, daß die Ereignisse von selbst den Kriegsfall schaffen würden, bevor die deutschen Marschsäulen sich der französischen Grenze näherten.

Daß in der Lage, in der sich Deutschland befand, auf die Neutralität Luxemburgs keine Rücksicht genommen werden konnte, ist selbstverständlich. Dem Großherzogtum wurden aber alle denkbaren Garantien für Unabhängigkeit und Entschädigung gegeben. Es beschränkte sich auf einen feierlichen Protest.

Die Besetzung von Luxemburg durch die 16. Division war für den ersten Mobilmachungstag vorgesehen. Der Aufmarsch der deutschen Hauptkräfte konnte sich dann auf der geraden Linie Aachen - Luxemburg - Metz vollziehen.

Von ausschlaggebender Bedeutung war die Frage, wie England in dem ausbrechenden Kriege sich stellen werde.

Die Erörterungen setzten ein mit einer Unterredung, die der Reichskanzler am 29. Juli abends mit dem britischen Botschafter hatte. In ihr machte der Reichskanzler dem Botschafter Vorschläge für ein Neutralitätsabkommen. Um dieses Ziel zu erreichen, kam er mit Angeboten, deren erstes in dem Versprechen bestand, nach einem glücklichen Kriege keine Gebietserwerbungen auf Kosten Frankreichs machen zu wollen. Sir Edward Goschen erwiderte, daß England sich nicht binden könne.

Die Verhandlungen gingen in Berlin und in London weiter. Obwohl die Parteinahme Englands für Frankreich und Rußland kaum verhüllt wurde, gelang es Sir Edward Grey, den deutschen Botschafter Fürsten Lichnowsky davon zu überzeugen, daß England jede feindselige Absicht fern läge. Auf Lichnowskys Rat wurden England für die Aufrechterhaltung seiner Neutralität Zusicherungen gemacht, die bis an die Grenze des Erträglichen gingen. Nachdem das Angebot der Unverletzlichkeit Frankreichs und seiner Kolonien, sowie der Achtung der [27] belgischen Neutralität als ungenügend abgelehnt worden war, sprach Lichnowsky noch den Verzicht auf militärische Unternehmungen gegen die französische Nordküste aus. England ging auf nichts ein. Es "behielt sich die Hände frei" - um sie gegen Deutschland zu gebrauchen.21

Der Deutsche Kaiser und die deutsche Regierung waren sich nicht im unklaren darüber, eine wie schwere Belastung für Deutschland das Eingreifen Englands bedeute. Um es zu vermeiden, ging man bis an die Grenze dessen, was irgend zu verantworten war, ohne die Kriegführung ernstlich zu gefährden. Ein bezeichnender Vorgang verdient erwähnt zu werden.

Der deutsche Botschafter in London drahtete am 1. August: "er sei von Sir Edward Grey ans Telephon gerufen und gefragt worden, ob er glaube erklären zu können, daß für den Fall, daß Frankreich in einem deutsch-russischen Kriege neutral bliebe, wir die Franzosen nicht angriffen." Er erhielt die Antwort, daß "auf Grund der russischen Herausforderung die deutsche Mobilmachung erfolgt sei, bevor die englischen Vorschläge eintrafen. Infolgedessen sei unser Aufmarsch an der französischen Grenze nicht mehr zu ändern. Deutschland verbürge sich aber dafür, daß die französische Grenze bis Montag, den 3. August, abends 7 Uhr, durch unsere Truppen nicht überschritten werde, falls bis dahin die Zusage Englands erfolgt sei."22

Zur Einleitung der deutschen Operationen gehört, wie schon erwähnt, die Besetzung von Luxemburg durch die 16. Division am ersten Mobilmachungstage (2. August). Die Maßnahme war von großer Wichtigkeit. Sie hinauszuschieben konnte verhängnisvolle Folgen haben. Die schwache und unwahrscheinliche Möglichkeit einer Verständigung mit England genügte gleichwohl, um den Kaiser den Befehl erteilen zu lassen, der die 16. Division anhielt. Glücklicherweise wurde in einem spät abends eintreffenden Telegramm die Anfrage Sir Edward Greys als "Mißverständnis" und als "ohne vorherige Fühlung mit Frankreich und ohne Kenntnis der Mobilmachung erfolgt" bezeichnet. Der Befehl, der die 16. Division anhielt, konnte infolgedessen wieder aufgehoben werden, bevor ein Nachteil eingetreten war.

Der Einmarsch der Deutschen in Belgien diente der englischen Regierung als Vorwand. "...Von der völkerrechtlichen Warte, die es sich durch die belgische Frage geschaffen hatte, erließ England seine Kriegserklärung an Deutschland. Sir Edward Grey hatte England in der Öffentlichkeit durch diese Politik einen unschätzbaren moralischen Vorteil gesichert. Die "Imponderabilien" kamen ihm zu gut, die ganze angelsächsische und romantische Welt stand unter dem Eindruck, daß England "zur Verteidigung Belgiens" das Schwert ziehe. Damit war ein starker, wenn nicht gar der wirksamste offizielle Kriegsgrund gefunden...."21


[28] 5. Die allgemeine Lage bei Kriegsausbruch nach den der deutschen Obersten Heeresleitung vorliegenden Nachrichten.

Rußland: Es war bekannt, daß zur Ergänzung und Ausrüstung des Heeres außerordentliche Anstrengungen gemacht waren (vergleiche Seite 16). Über besondere Pläne war man nicht unterrichtet.23

Frankreich: Neue Nachrichten lagen nicht vor.

England: Eine "Probemobilmachung" der englischen Flotte hatte im frühen Frühjahr begonnen. Seit Anfang Juli lag die englische Flotte in völlig mobilem Zustande bei Portland versammelt.
      Über den vermutlichen Einsatz der englischen Expeditionsarmee waren die Nachrichten widersprechend. Wiesen sie zum Teil noch auf eine Landung an der jütischen Küste (Esbjerg) hin, so mußte doch die Überführung des englischen Expeditionskorps an den französischen Nordflügel und Landung bei Boulogne - Calais die größere Wahrscheinlichkeit haben.
      Deutscherseits war demgegenüber angeordnet, daß das in Schleswig-Holstein aufzustellende IX. Reservekorps zunächst in den Mobilmachungsorten verbleiben sollte. Als die Annahme von der Landung der Engländer an der französischen Nordküste sich bestätigte, wurde seine Nachführung an den rechten deutschen Heeresflügel in Belgien angeordnet.

Belgien: Der belgischen Regierung wurde auf Veranlassung der Obersten Heeresleitung mitgeteilt, daß Deutschland jederzeit bereit sei, mit Belgien ein annehmbares Übereinkommen zu treffen.

Serbien: Die Regierung war aus dem unter den österreichischen Kanonen liegenden Belgrad in das Innere des Landes, nach Nisch, verlegt worden. Die [29] serbische Armee bereitete sich vor, den österreichischen Angriff in einer rückwärtigen Stellung zu erwarten, um bei günstiger Gelegenheit vorzubrechen.

Österreich-Ungarn: Es ist nicht verständlich, weshalb Österreich-Ungarn, als es den Konflikt mit Serbien kommen sah, nicht Maßnahmen getroffen hat, die eine schleunige Durchführung der für nötig erkannten Strafexpedition gestatteten. Am 23. Juli ließ die österreichische Regierung in Belgrad das Ultimatum überreichen. Am 28. Juli folgte die Kriegserklärung. Die militärische Aktion, die schlagartig hätte einsetzen müssen, unterblieb. Hätte Österreich sogleich losgeschlagen, so würde es in den Verhandlungen mit Rußland erheblich günstiger bestanden haben.
      Inzwischen hatte sich herausgestellt, daß der serbische Feldzug von untergeordneter Bedeutung war, die Entscheidung für Österreich im Kampf gegen Rußland fallen mußte. Nichtsdestoweniger sollte an der Durchführung der Operation gegen Serbien festgehalten werden. Die gegen Serbien bestimmten elf Divisionen marschierten an der serbischen Grenze auf. Erst nach vollzogenem Aufmarsch wurde der größere Teil von ihnen auf den nördlichen Kriegsschauplatz abbefördert, die serbische Grenze nur beobachtet.
      Der merkwürdige Umstand, daß Österreich-Ungarn sich bis zum 6. August mit Rußland noch nicht im Kriegszustand befand, ist erwähnt worden. Zur Erklärung des Kriegszustandes mit Frankreich und England war es erst recht noch nicht gekommen.
      Das deutsch-österreichisch-italienische Marineabkommen sah für den Kriegsfall Vereinigung der im Mittelmeer befindlichen Seestreitkräfte der drei Mächte in der Straße von Messina vor.24 Als "Goeben" und "Breslau" nach erfolgreicher Beschießung algerischer Küstenplätze am 5. August vor Messina eintrafen, blieben sowohl die Österreicher wie die Italiener aus - die Österreicher, weil sie sich mit Frankreich und England noch im Frieden befanden. Italienischerseits wurde die Neutralitätserklärung so streng aufgefaßt, daß den Schiffen kaum die einmalige Kohleneinnahme gestattet wurde. - Der Energie ihres Führers, Admirals Souchon, ist es zu danken, daß es den Schiffen am 6. August gelang, durchzubrechen und Konstantinopel zu erreichen.

Italien: Daß das Verhalten Italiens zu Zweifeln darüber Anlaß gab, ob es den aus dem Dreibundvertrage25 ihm erwachsenen Pflichten nachkommen werde, ist erwähnt worden.26 Immerhin mußte nach der unzweideutigen Haltung des Generals Pollio damit gerechnet werden, daß Italien, wenn auch nicht, wie verabredet, eine Armee, so doch einen wenn auch noch so schwachen [30] Truppenkörper schicken würde, um das unveränderte Bestehen des Dreibundes zu beweisen.
      Acht Tage nach dem Mord von Serajewo war General Pollio eines plötzlichen Todes gestorben. Es scheint kaum zweifelhaft, daß er als bekannter Anhänger des Dreibundes einem politischen Attentat zum Opfer gefallen ist. Pollios Nachfolger General Cadorna erweckte gleichwohl den Eindruck, als werde mit seiner Amtsführung eine Änderung nicht eintreten.
      Es war für Deutschland eine Enttäuschung, als die italienische Regierung erklären ließ, sie könne den casus foederis nicht als vorliegend erachten und werde volle Neutralität beobachten.27 Daß die Franzosen schon bald nach Kriegsausbruch bezüglich der Haltung Italiens keinerlei Sorge mehr haben zu müssen glaubten, geht unter anderem daraus hervor, daß Divisionen der französischen Alpengruppe (d. h. der Sicherungstruppen an der italienischen Grenze) bereits an der Marne mitgefochten haben.
      An die Möglichkeit, daß der ehemalige Bundesgenosse auf die Seite des Feindes treten würde, war damals noch kaum zu denken. Weit näher lag die Wahrscheinlichkeit, daß bei günstigem Kriegsausgang Italien sich einstellen werde, um seine Ansprüche an dem zu erhoffenden Siegespreise anzumelden. Immerhin mußte es vom Beginn des Krieges an die ernste Sorge der verbündeten Mittelmächte sein, Italien zum mindesten vom Übertritt zu den Ententestaaten abzuhalten. Besonders die Oberste Heeresleitung vertrat diesen Standpunkt auf das entschiedenste.

Rumänien: Zwischen Österreich-Ungarn und Rumänien bestand der Bündnisvertrag vom 5. Februar 1913, dem unter dem 26. Februar 1913 Deutschland beigetreten war.
      Am 3. August 1914 fand in Bukarest unter dem Vorsitz des Königs ein Kronrat statt, um über die Haltung Rumäniens Beschluß zu fassen. Der König trat warm dafür ein, den Vertrag ins Leben zu setzen. Der Kronrat, der schon unter dem Eindruck der bereits bekannt gewordenen Neutralitätserklärung Italiens stand, erklärte aber mit allen gegen eine Stimme: Keine Partei könne die Verantwortung für eine solche Aktion übernehmen. Nachdem Rumänien über den Schritt Österreich-Ungarns in Belgrad weder befragt, noch auch von ihm in Kenntnis gesetzt sei, bestände der casus foederis nicht. Es sollten jedoch militärische Vorkehrungen zur Sicherung der Grenzen unternommen werden. Darin [31] bestände ein Vorteil für Österreich-Ungarn, da seine Grenzen auf mehrere hundert Meilen dadurch gedeckt würden. Vorausgesezt würde, daß diese Haltung Rumäniens als den freundschaftlichen Beziehungen entsprechend betrachtet werde.28 Es blieb für Deutschland und Österreich-Ungarn nichts übrig, als eine entsprechende Erklärung zu geben.
      Die Betonung freundlicher Haltung hat Rumänien allerdings nicht gehindert, die für die Türkei bestimmten deutschen Transporte in jeder Weise zu erschweren oder ganz zu verwehren, die russischen Transporte nach Serbien aber ungestört durchzulassen.

Türkei: Die große Wichtigkeit eines Bündnisses mit der Türkei war vom Generalobersten v. Moltke von jeher vertreten. Diese Auffassung war in zahlreichen Gutachten an den Reichskanzler zum Ausdruck gekommen.
      Es ist klar, daß der ganze Verlauf des Krieges ein anderer gewesen wäre, wenn das Bündnis der Türkei mit den Mittelmächten nicht bestanden hätte. Von größter Wichtigkeit war die Sperrung der Dardanellen. Wenn der Entente eine gesicherte Verbindung zwischen Mittelländischem Meer und Schwarzem Meer offen gestanden hätte, so hätte Rußland sich in ganz anderer Weise der materiellen Unterstützung der Westmächte erfreut. Die Gründe für seinen schließlichen Zusammenbruch wären damit beseitigt worden. Nur das Bündnis mit der Türkei endlich ermöglichte es, die Engländer in Ägypten und auf dem Wege nach Indien zu bedrohen. Die Engländer wurden gezwungen, an beiden Stellen Land- und Seestreitkräfte - zum Teil in ganz erheblicher Stärke - festzulegen, die naturgemäß an den Stellen der Hauptentscheidung fehlten. Daß die durch die Balkankriege geschwächte Türkei andererseits an Deutschland hohe Anforderungen stellte - an Bewaffnung, Ausrüstung, Verpflegung, Geld nicht nur, sondern auch an Führern, schließlich an Truppen -, mußte demgegenüber in den Kauf genommen werden.
      Die führenden Männer waren dem Anschluß an die Mittelmächte durchaus geneigt. Schon am 2. August war ein formeller Bündnisvertrag fertiggestellt worden. Seine Ratifizierung wurde aber noch abhängig gemacht von dem Beitritt Bulgariens. Es war von der Türkei schlechterdings nicht zu erwarten, daß sie sich, falls Bulgarien sich Rußland anschloß, Angriffen von allen Seiten aussetzte.
      Bei den Verhältnissen, die auf dem Balkan herrschten, war es kein Wunder, wenn die einzelnen Staaten einander nicht trauten. Sie wurden von beiden Parteien - der Entente wie den Mittelmächten - umworben. Von beiden Seiten wurden ihnen Versprechungen gemacht. In dem begreiflichen Bestreben, auf die richtige Seite zu setzen und ein möglichst geringes Risiko zu laufen, waren sie geneigt, die Entscheidung hinauszuschieben, bis die Entwicklung der Lage ein wenig zu übersehen war.
      [32] Es konnte von vornherein als feststehend gelten, daß die Schwäche der Türkei eine längere Aufrechterhaltung der Neutralität nicht gestattete. Das Gelingen des Durchbruchs der "Goeben" und "Breslau" nach Konstantinopel gab der Frage eine schnellere Wendung. Immerhin kam das Oktoberende 1914 heran, bevor das Bündnis abgeschlossen wurde. Die türkische Regierung dachte großzügig genug, um die Ansprüche der Bulgaren zu befriedigen, ihnen den von ihnen heiß ersehnten Gebietsstreifen westlich der Maritza vorläufig zu überlassen.

Bulgarien: Verhandlungen über ein Bündnis Bulgariens mit den Mittelmächten waren bereits in den ersten Augusttagen - gleichzeitig mit den Verhandlungen in Konstantinopel - eingeleitet. Die vorsichtige Haltung der bulgarischen Regierung schob die Entscheidung hinaus. Die Mißerfolge der österreichisch-ungarischen Waffen in Galizien und Serbien, das Festlaufen der deutschen Angriffsbewegung im Westen durch die Marneschlacht ermutigten nicht zur Beschleunigung. Erst als im Juli 1915 deutscherseits der Plan gefaßt wurde, zur Öffnung der Verbindung mit dem Balkan den längst beabsichtigten serbischen Feldzug durchzuführen, wurde der Faden wieder aufgenommen. Inzwischen war Bulgarien zu der Einsicht gekommen, daß es zur Befriedigung seiner auf rumänischem und serbischem Gebiet liegenden nationalen Ansprüche bei der Entente keine Unterstützung finden würde. Am 6. September 1915 wurde die Konvention mit den Mittelmächten abgeschlossen.
      Vorläufig bewahrte Bulgarien seine Neutralität.

Griechenland ließ Anfang August 1914 seine Neutralität erklären, falls nicht die Haltung Bulgariens zu anderen Maßnahmen zwänge. Dieser Kriegsgrund trat nicht ein. Griechenlands Neutralität wurde gebrochen, als Frankreich und England im Jahre 1915 in Saloniki Fuß faßten, um mit den Serben Verbindung aufzunehmen.

Von besonderer Wichtigkeit für die deutsche Kriegführung war die Haltung der Niederlande und der Schweiz. Beide Länder erklärten Anfang August 1914 ihre strikte Neutralität und haben sie bis zum Kriegsende bewahrt.

Eine Neutralitätserklärung erließen gleichfalls Anfang August 1914 die drei nordischen Reiche - Dänemark, Schweden und Norwegen - sowie Spanien. Das unter englischem Einfluß stehende Portugal schloß sich 1916 an die Entente an.

Der Krieg, der in kurzer Zeit ganz Europa ergriff, brachte infolge des englisch-japanischen Bündnisses von außereuropäischen Staaten als ersten Japan auf den Plan.
      Japan erklärte zunächst inoffiziell, es werde sich neutral verhalten, wenn nicht England auf Grund des Bündnisses Ansprüche geltend mache. Das trat [33] bald ein. Am 17. August ließ die japanische Regierung Deutschland eine Note überreichen, in der die Zurückziehung der deutschen Kriegsschiffe aus den japanischen und chinesischen Gewässern sowie die bedingungslose Übergabe des Pachtgebiets von Kiautschou bis zum 15. September gefordert wurde. Zur Beantwortung der Note wurde eine Frist von drei Tagen gesetzt. Am 23. August erhielt der japanische Geschäftsträger in Berlin den Bescheid, daß die deutsche Regierung auf die Note keine Antwort zu geben habe und ihren Botschafter in Tokio abberufe. Damit trat Japan Deutschlands Feinden hinzu.

Als Haltung der Vereinigten Staaten von Nordamerika schien völlige Neutralität gegeben. Zwischen ihnen und Deutschland gab es keine offenen politischen Gegensätze. Die diplomatischen Beziehungen, vom Kaiser besonders gepflegt, waren durchaus gut. Nach Abbruch der Beziehungen zu den feindlichen Staaten wurde die Vertretung der deutschen Interessen in vielen Fällen in amerikanische Hände gelegt.
      Bald zeigte es sich aber, daß die amerikanische Regierung ihre Interessen mehr auf seiten der Feinde Deutschlands sah. Das wird einigermaßen verständlich, wenn man berücksichtigt, daß - beeinflußt durch die englische Lügenpropaganda - nach amerikanischer Ansicht weder England noch Japan eine so große Gefährdung für die Verwirklichung der Weltherrschaftspläne der Vereinigten Staaten bedeuteten, als das wirtschaftlich immer mehr Boden gewinnende Deutschland. Aus diesen Anschauungen heraus ist die Gehässigkeit zu erklären, mit der die gelbe Presse schon lange vor dem Kriege gegen Deutschland gehetzt hatte. Die Kreise der amerikanischen Hochfinanz verstanden es, bereits in den ersten Kriegsjahren England und Frankreich ganz in ihre finanzielle Abhängigkeit zu bringen. Es lag ihnen gar nichts daran, diese aussichtsreiche Entwicklung durch einen deutschen Sieg in Frage gestellt zu sehen.
      Deshalb wandte sich die amerikanische Politik gleich nach Kriegsbeginn gegen Deutschland. Der amerikanische Botschafter in Paris erklärte dem französischen Minister des Auswärtigen: zur Zeit gäbe es in Amerika nur 50 000 einflußreiche Leute, die den Eintritt Amerikas in den Krieg wollten. Man würde so arbeiten, daß es in einiger Zeit 50 Millionen seien.
      Während des mexikanischen Bürgerkrieges hatte Wilson die Ausfuhr von Waffen ausdrücklich verboten. Bei Ausbruch des europäischen Krieges wurde dies Verbot sofort außer Kraft gesetzt. Ganz Amerika arbeitete mit Hochdruck für die Versorgung der Ententeheere mit Kriegsmaterial. Gegen die rechtswidrige englische Blockade hatte Wilson nichts einzuwenden. Aber er fiel Deutschland in den Arm, als es durch den Unterseebootkrieg sich zu wehren suchte. Eine großzügige lügnerische Presseagitation brachte gleich nach Kriegsbeginn in kurzer Zeit das amerikanische Volk gegen Deutschland auf.

[34] Schon bei Kriegsausbruch war zu erkennen, daß die Aufgaben, die der militärischen und politischen Leitung Deutschlands erwuchsen, einen großen Umfang annehmen würden. Der Umfang wuchs ins Unabsehbare, als nach der Marneschlacht die Hoffnung auf eine schnelle Beendigung des Krieges geschwunden war.

Die politische Leitung Deutschlands hatte sich - wie erwähnt - gescheut, Bündnisse anzuknüpfen, um nicht durch Indiskretionen kriegerischer Absichten verdächtigt werden zu können. Generaloberst v. Moltke drang am ersten Mobilmachungstage darauf, daß alles geschah, was in dieser Beziehung noch nachzuholen war. In seiner Denkschrift an das Auswärtige Amt29 legte er zunächst die Notwendigkeit baldiger Klärung der Haltung Englands und Italiens sowie der Verhältnisse auf dem Balkan dar. Sodann wies er auf die Wichtigkeit schleunigen Abschlusses des Bündnisses mit der Türkei hin. Ferner regte er Anbahnung von Bündnissen mit Schweden, mit Norwegen, mit Japan und mit Persien an.

Abgesehen von dem - schon vorbereiteten - Bündnis mit der Türkei ist diesen späten Versuchen ein Erfolg nicht mehr beschieden gewesen.


11 [1/18]Nach einer Mitteilung des amerikanischen Senators Philipp Francis (Milwauk[ee] Herald vom 7. April 1921) hat der serbische Kronprinz in der Trunkenheit in London sich gerühmt, um die Verschwörung und ihren Zweck gewußt zu haben. ...zurück...

12 [2/18]Deutsches Weißbuch, Anlage 2. ...zurück...

13 [1/19]Das ist der sagenhafte sogenannte Potsdamer Kronrat. Vergleiche Die deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch, Anhang zu den Vorbemerkungen. ...zurück...

14 [2/19]Paul Rohrbach, Deutschland unter den Weltvölkern 1921, Seite 248. ...zurück...

15 [1/21]Revue des deux mondes, 15. Januar 1921, Seite 259/260. ...zurück...

16 [1/23]Revue des deux mondes, 15. Januar 1921, Seite 257. ...zurück...

17 [2/23]Die deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch, Nummer 487 und 546. ...zurück...

18 [1/24]Gegenteiligen Behauptungen gegenüber sei darauf hingewiesen, daß auch der Generalstabschef sich gegen die Kriegserklärung ausgesprochen hat. (Vergleiche auch Die deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch, Nummer 662.) ...zurück...

19 [1/25] Seite 17. ...zurück...

20 [1/26]Die deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch, Nummer 662. ...zurück...

21 [1/27]Hermann Stegemann, Geschichte des Krieges, Erster Band, Seite 65. ...zurück...

22 [2/27]Die deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch, Nummer 562 und 578. ...zurück...

23 [1/28]Erst nach dem Kriege ist folgendes bekannt geworden:
      1. In einem Kronrat in Petersburg am 20. Februar 1914 hat der Zar einen Ukas unterzeichnet zur Aufstellung eines Expeditionskorps bei Odessa mit dem Ziel, in naher Zukunft Konstantinopel zu nehmen. (Professor Conybeare in Foreign Affairs, März 1921, Seite 144.) - Vgl. das Zusammenziehen großer Truppenmassen zu Übungen bei Odessa im Frühjahr 1914 (Seite 16).
      2. In dem russisch-englischen Marine-Abkommen vom 26. Mai 1914 war unter Umständen eine Landung russischer Kräfte an der pommerschen Küste in Aussicht genommen. Als Transportschiffe sollten englische Handelsschiffe in die baltischen Häfen geschickt werden. (v. Siebert, Diplomatische Aktenstücke, Seite 819.) Nach Aussage des damaligen Petersburger Lloyd-Agenten Mac Lelland sind in der Tat im Juli leere englische Dampfer in Kronstadt eingetroffen, die für den Transport russischer Truppen bestimmt waren. (Professor Conybeare in Foreign Affairs, März 1921. Seite 144.) ...zurück...

24 [1/29]v. Tirpitz, Erinnerungen, Seite 302/303. ...zurück...

25 [2/29]Letzte Erneuerung 5. Dezember 1912. ...zurück...

26 [3/29]Seite 14. ...zurück...

27 [1/30]Der König von Italien sagte dem Oberstleutnant v. Kleist: "Er persönlich sei mit seinem ganzen Herzen bei Deutschland und habe noch vor Wochen keinen Augenblick bezweifelt, daß im Kriegsfalle Italien den Verbündeten treu aktiv helfen werde. Die für italienisches Volksempfinden unglaubliche Ungeschicktheit Österreichs habe in den letzten Wochen die öffentliche Meinung derart gegen Österreich aufgebracht, daß jetzt aktives Zusammengehen mit Österreich einen Sturm entfesseln werde. Einen Aufstand wolle das Ministerium nicht riskieren....." (Die deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch, Nummer 771.) ...zurück...

28 [1/31]Die deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch, Nummer 811. ...zurück...

29 [1/34]Die deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch, Nummer 662. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte