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Militarismus und Kolonien

In der Mantelnote ist gegen Deutschland der Vorwurf erhoben worden, es habe seine Kolonien verwendet "als Ausgangspunkt für Raubzüge auf den Handel der Erde." Diese Behauptung ist vollständig unrichtig. Deutschland hat vor dem Krieg zu keiner Zeit in seinen Kolonien Einrichtungen geschaffen oder Vorkehrungen getroffen, um sie solchen Zwecken dienstbar zu machen. Es ist bereits oben erwähnt, daß der einzige befestigte Stützpunkt in sämtlichen deutschen Schutzgebieten Tsingtau in China war. Daß die Befestigungen dieses Hafens zu Verteidigungszwecken angelegt waren, nicht um eine Angriffsbasis zu schaffen, ergab sich sowohl aus der Art dieser Befestigungen, als auch aus den Ereignissen des Weltkrieges selbst. Im übrigen waren die sämtlichen deutschen Kolonien in Afrika und der Südsee ohne die geringste Befestigung, welche auch nur zur Verteidigung gegen den Angriff europäischer See- oder Landstreitkräfte geeignet gewesen wäre. Selbst an Geschützen fehlte es. Der Haupthafen der größten Kolonie Deutsch-Ostafrika, Dares- [38] salam, besaß nur einige alte, mit rauchstarkem Pulver schießende Salut-Geschütze, ebenso Duala in Kamerun! In keinem einzigen der übrigen ostafrikanischen Häfen gab es überhaupt Geschütze; ebensowenig in denen der übrigen Kolonien.

Wo waren in den Kolonien die U-Boothäfen, von denen die deutschen U-Boote hätten ausfahren können, wo die Hafenbefestigungen und Strandbatterien, hinter denen sich deutsche Kriegsfahrzeuge hätten für Raubzüge bereitmachen können, wo Stützpunkte, wo sie in Sicherheit liegen und kohlen konnten? Nichts Derartiges war vorhanden. Auch war niemals eine größere Zahl von Kriegsschiffen in den afrikanischen und Südsee-Kolonien stationiert, wie sie zu solchen Unternehmungen erforderlich gewesen wäre. In Deutsch-Ostafrika befand sich ein einziger kleiner Kreuzer, in den übrigen Kolonien waren, wenn überhaupt, in der Regel nur veraltete kleine Kriegsschiffe stationiert. Als der Krieg ausbrach, waren die wenigen in den deutschen Kolonien in Afrika und der Südsee befindlichen kleinen Kriegsschiffe gezwungen, sofort die ihnen keinen Schutz bietenden Häfen der Schutzgebiete zu verlassen. Gewiß hatten sie, soweit sie dafür verwendbar waren, den Befehl von der heimischen Admiralität erhalten, den Kreuzerkrieg zu führen, aber sie waren gerade infolge des Fehlens von Marinestützpunkten in den Kolonien darauf angewiesen, ihre Kohlen und sonstigen Vorräte auf hoher See zu ergänzen. Als dies nicht mehr durchführbar war, vermochte der in Ostafrika stationierte Kreuzer "Königsberg" ungeachtet hervorragender Führung und Leistungen in Ermangelung irgendwelcher Befestigungen an der ostafrikanischen Küste nur dadurch zeitweise Deckung zu erhalten, daß er in die vom Gegner für unpassierbar gehaltene Mündung des Rufijiflusses einlief. In den übrigen afrikanischen und Südsee-Kolonien waren selbst solche Möglichkeiten nicht gegeben. Die deutschen Häfen und Küstenstädte lagen sämtlich offen und ungeschützt vor den Kanonen der feindlichen Kriegsschiffe. Wenn, wie es hier und da geschah, der Versuch gemacht wurde, die Hafeneinfahrten durch Versenkung von Schiffen oder auf sonstige Weise zu sperren, so handelte es sich um primitive Notbehelfe. Es war nichts vorgesehen auch nur für eine Verteidigung gegen Angriffe von See aus, geschweige denn für die Schaffung irgendwelcher Stützpunkte für angriffsweises Vorgehen deutscher Kriegsschiffe. Ist es bei solchen Verhältnissen nicht eine vollkommene Verdrehung der Wahrheit, zu sagen, die deutschen Kolonien seien als Ausgangspunkte für Handelsraubzüge verwendet worden?

Und nun zu der angeblichen Militarisierung der deutschen Kolonien selbst. Zunächst lassen die gesetzlichen Bestimmungen über die Kolonialtruppen und deren geringe Stärke erkennen, daß sie lediglich den Dienst in der Kolonie selbst zu verrichten hatten. [39] Schutztruppen, welche als militärische Truppen organisiert waren, gab es nur in den drei größten Kolonien Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Südwestafrika und Kamerun. Ihr Zweck ist in dem Schutztruppengesetz vom 7. - 18. Juli 1896 dahin festgelegt, daß sie zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in den afrikanischen Schutzgebieten verwendet wurden. Eine Prüfung der Zahl1 ergibt ohne weiteres, daß sie gar keinem anderen Zwecke dienen konnten. Deutsch-Ostafrika, an Ausdehnung fast doppelt so groß wie das Deutsche Reich mit etwa 7¾ Millionen schwarzer Eingeborener, hatte eine Schutztruppe von 2500 eingeborenen Soldaten unter 152 deutschen Offizieren und Unteroffizieren, wozu noch 108 deutsche Sanitätsoffiziere und -unteroffiziere traten. Daneben bestand noch eine Polizeitruppe von 2140 Farbigen unter 4 deutschen Offizieren und 61 Unteroffizieren für die Erfüllung der eigentlichen polizeilichen Aufgaben. Diese Truppen waren bis in den Weltkrieg hinein bewaffnet mit alten Jägerbüchsen, Einladegewehren, die mit rauchstarkem Pulver schossen. Es ist klar, daß diese Waffen nur für die Verwendung gegen Eingeborene berechnet sein konnten, aber nicht gegen die Streitkräfte anderer Nationen, die mit modernen, mit rauchschwachem Pulver schießenden Mehrladegewehren bewaffnet waren. Obwohl in den angrenzenden englischen und belgischen Kolonien die farbigen Truppen bereits vor dem Kriege solche modernen Gewehre führten, folgte Deutsch-Ostafrika nur sehr langsam und hatte, als der Weltkrieg ausbrach, erst den Anfang einer Umbewaffnung mit wenigen Kompagnien gemacht. Artillerie war abgesehen von ganz kleinen, für den Eingeborenenkrieg bestimmten Geschützen und den vorerwähnten alten Salutgeschützen überhaupt nicht vorhanden. Ein Zeugnis für diesen Zustand der Dinge hat uns der Verfasser des Buches Kenya, Norman Leys, abgelegt, welcher als Arzt auf englischem Gebiet in Ostafrika sich befand. Er schreibt in einem Artikel im New Leader vom 24. August 1926:

      "Einen Monat später (nach Kriegsbeginn) sah ich mit meinen eigenen Augen die armen Teufel von deutschen Askari rückständige Gewehre gebrauchen, welche mit schwarzem Pulver feuerten, von dem jede Rauchwolke ein willkommenes Ziel für unsere mit modernen, rauchlosen Gewehren bewaffneten Leute abgab. Der Beweis, daß Deutschland in Afrika nicht Krieg beabsichtigte, ist ebenso komplett wie der, daß das Mandatssystem in seinem Ursprung ein bloßer Mantel war, unter dem drei imperialistische Mächte (England, Frankreich und Belgien) ganze Länder ohne eine Spur von Rechtfertigung stahlen."

[40] Ähnlich lag die Sache in Kamerun, nur daß die Schutztruppe und die Polizeitruppe dort noch erheblich kleiner war als die ostafrikanische. Erstere betrug 1550, letztere 1255 farbige Mannschaften unter einer entsprechenden Zahl deutscher Offiziere und Unteroffiziere.

Für Kamerun erkennt dieses der französische Mandatsbericht 1923 ausdrücklich an, indem er sagt: Die Deutschen hatten in Kamerun keine festen Organisationen geschaffen, die als Befestigung oder als militärische oder Marinebasis hätte qualifiziert werden können.

Deutsch-Südwestafrika war die einzige Kolonie mit weißer Schutztruppe, die insgesamt nicht ganz 2000 Köpfe betrug. Daneben gab es eine weiße Landespolizei von 5 - 600 Köpfen. Es leuchtet ein, daß auch diese kleine Zahl von Truppen und Polizisten nur zur Aufrechterhaltung der Ordnung in dem ausgedehnten, Deutschland um weit mehr als die Hälfte an Größe übertreffenden Lande mit einer nicht sehr zahlreichen aber schwierigen Eingeborenenbevölkerung bestimmt sein konnte.

Die übrigen deutschen Kolonien besaßen überhaupt keine Schutztruppen, sondern nur je eine kleine Polizeitruppe, die in Togo 550 Farbige aufwies, in Deutsch-Neuguinea einschließlich der weitausgedehnten Inselgebiete insgesamt 830 Farbige; Samoa schließlich hatte nur eine kleine, aus etwa 30 Häuptlingssöhnen gebildete Polizeitruppe (Fitafita), die zu dekorativen Zwecken diente.

Die geringen Stärken der in den deutschen Kolonien vorhandenen Truppen lassen es an sich als zweifellos erscheinen, daß sie nur der Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im Lande selbst dienten. Dasselbe ergibt sich, wenn man diese Truppenstärken mit denen der angrenzenden fremden Kolonialgebiete vergleicht. Die deutschen Schutz- und Polizeitruppen hielten sich durchaus im Rahmen dessen, was in den englischen Kolonien mit ähnlichen Verhältnissen üblich war, und blieben zum Teil erheblich hinter den Truppenstärken französischer und belgischer Kolonialgebiete zurück. Dabei fällt noch ins Gewicht, daß England bei schweren Aufständen in der Lage war, wie früher in Britisch-Ostafrika wiederholt geschehen, indische Truppen heranzuziehen, während die deutschen Kolonien keinen solchen Rückhalt hatten. Kein Unparteiischer, der die Verhältnisse solcher Kolonialgebiete kennt, wird leugnen können, daß die Truppen in den deutschen Schutzgebieten nicht größer waren, als für die Schaffung und Erhaltung der Sicherheit für eine ungestörte gedeihliche Entwicklung im Lande selbst nötig war. Für Ostafrika wird dies durch eine englische Autorität bestätigt, den Brigadegeneral C. P. Fendal, welcher in seinem Buche: The East African Force 1915-1919 schreibt:

      "Es war eine Idee vorhanden, daß im Falle zwischen England und Deutschland Krieg ausbrechen [41] würde, kein aktiver Kampf in Afrika stattfinden würde... es wurde befürchtet, daß das Prestige des weißen Mannes erniedrigt werden und daß der Fortschritt der Zivilisation in Afrika um 100 Jahre hinausgeschoben werden würde. Das Vorwiegen dieser Idee führte dazu, daß sowohl in Britisch- wie in Deutsch-Ostafrika nur genügende Truppen gehalten wurden, um mit lokalen Aufständen fertig zu werden."

Der Gedanke, daß man von deutscher Seite mit diesen kleinen Truppen, die im Kriegsfall sofort von jeder Zufuhr aus der Heimat abgeschnitten waren, auf Eroberung in benachbarten Gebieten hätte ausgehen wollen, ist absurd. Tatsächlich hat niemals jemand in Deutschland oder in den deutschen Kolonien an Derartiges gedacht. Hätten solche Pläne bestanden, so wären sicher ganz andere Vorbereitungen getroffen, so wären größere Truppenverbände aufgestellt und mit modernen Waffen, auch mit Artillerie versehen worden, so hätte man auch große Waffen- und Munitionsdepots eingerichtet. An all dem fehlte es. Als der Weltkrieg ausbrach und in die Kolonien hineingetragen wurde, waren weder ausreichende Truppen, noch Waffen, noch Munition in den deutschen Schutzgebieten vorhanden, um dem von allen Seiten eindringenden, weit überlegenen Gegner auf die Dauer erfolgreich Widerstand leisten zu können. Wenn trotzdem so viel geleistet worden ist und besonders die deutsch-ostafrikanische Schutztruppe in ihrem Kern den ganzen Krieg hindurch sich im Felde halten konnte, so beruht das neben der hervorragenden deutschen Führung und dem Halt, den die farbigen Truppen durch die Einberufung deutscher Reservisten erhielten, hauptsächlich auf der Treue der Eingeborenen. Darüber wird weiter unten noch einiges zu sagen sein.

Die Tatsache liegt vor, daß wir weder auf den Krieg in den Kolonien gerüstet waren, noch ihn herbeigeführt haben. Die leitenden Stellen in Deutschland wie in den Kolonien waren sich darüber klar, daß die Entfesselung von Kämpfen in Afrika, bei denen Schwarze unter weißer Führung gegen andere Weiße vorgehen würden, das Prestige der weißen Rasse bei den Schwarzen erschüttern müßte, wie es in der Tat geschehen ist. Sie waren auch der Ansicht, daß die Ausdehnung der Konflikte zwischen europäischen Nationen auf die afrikanischen Völker den Gedanken der Humanität widersprach, von denen die moderne Kolonisation durchdrungen ist, Gedanken, die insbesondere auch in der Kongo-Akte ihren Ausdruck gefunden hatten. Dem entsprach die Haltung des deutschen Kolonialstaatssekretärs, welcher - vergeblich - versuchte, wenigstens für die unter die Kongo-Akte fallenden Gebiete die Neutralität aufrechtzuerhalten, und der deutschen Gouverneure, welche durchweg geneigt gewesen wären, die Ausdehnung des Krieges auf die Kolonien [42] zu verhindern, wenn ihnen das Verhalten der Gegner dazu die Möglichkeit gegeben hätte.

Im Kriege hat die gegnerische Propaganda verbreitet, Deutschland habe den Krieg in den Kolonien begonnen. In Wirklichkeit ist dies nicht zutreffend. Es sind in sämtlichen deutschen Kolonien die ersten feindlichen Handlungen nicht von deutscher Seite vorgenommen, sondern von seiten der Gegner. Doch wichtiger als die Frage, wo und von wem die ersten lokalen Grenzzwischenfälle in den Kolonien hervorgerufen sind, ist die, wer den Krieg überhaupt in die deutschen Kolonien hineingetragen hat und insbesondere in diejenigen Gebiete, welche nach der Kongo-Akte davor bewahrt bleiben sollten. Zu der darin umschriebenen konventionellen Freihandelszone gehörten von den deutschen Kolonien Deutsch-Ostafrika und ein Teil von Kamerun, von England die an Deutsch-Ostafrika angrenzenden Kolonien Britisch-Ostafrika, Uganda, Nyassaland, ein Teil von Nord-Rhodesien, von Frankreich etwa die Hälfte von Französisch-Äquatorial-Afrika (an Kamerun angrenzend).

Durch Artikel II der Kongo-Akte hatten sich deren Unterzeichner, zu denen außer Deutschland auch England, Frankreich und Belgien gehörten, verpflichtet, für den Kriegsfall ihre guten Dienste zu leisten, um eine Neutralisierung der zum Kongo-Becken gehörigen Länder herbeizuführen. Es hieß darin weiter: "Die kriegführenden Teile würden von dem Zeitpunkt ab darauf Verzicht zu leisten haben, ihre Feindseligkeiten auf die also neutralisierten Gebiete zu erstrecken und diese als Basis für kriegerische Operationen zu benutzen."

Auf dieser Grundlage wandte sich die belgische Regierung am 8. August 1914 mit dem Wunsche der Neutralisierung des Kongo-Beckens durch ihren Gesandten in Paris an die französische Regierung.2 Der Gesandte berichtet am 9. August, die französische Regierung sei sehr geneigt, die Neutralität im konventionellen Kongo-Becken zu erklären, und bäte Spanien, dies bei der deutschen Regierung vorzuschlagen. Doch bald änderte sich die Anschauung in Paris. Am 16. August berichtete der dortige belgische Gesandte, der Vertreter der französischen Regierung habe ihm erklärt, daß Spanien noch keine Antwort gegeben habe, weil es die Ansicht Englands noch nicht kenne. Es scheine, daß dieses fortfahre, keine Antwort zu geben. Der französische Vertreter habe weiter der Meinung Ausdruck gegeben, "daß es bei der gegenwärtigen Lage darauf ankomme, Deutschland überall da zu treffen, wo es nur immer zu erreichen sei. Er glaube, daß dies auch die Meinung Englands sei, welches bestimmte [43] Ansprüche geltend machen werde; Frankreich wünsche den Teil des Kongo wieder zu nehmen, den es infolge des Agadir-Zwischenfalls habe abtreten müssen." Am 17. August berichtete der belgische Gesandte in London, daß die britische Regierung sich den belgischen Vorschlägen nicht anschließen könne, die deutschen Truppen von Deutsch-Ostafrika hätten schon die Offensive gegen das englische Protektorat von Zentralafrika ergriffen, anderseits hätten britische Truppen schon den Hafen von Daressalam angegriffen, wo sie die funkentelegraphische Station zerstört hätten. Unter diesen Umständen würde die britische Regierung, selbst wenn sie von der politischen und strategischen Zweckmäßigkeit des belgischen Vorschlags überzeugt sei, diesen nicht annehmen können. Die Regierung in London glaube, daß die Kräfte, die sie nach Afrika senden werde, hinreichen werden, jeden Widerstand zu brechen.

Zu der Begründung der englischen Ablehnung ist zu bemerken, daß der englische Angriff auf den Hafen von Daressalam am 8. August 1914 erfolgte, ein weiterer Angriff an der südwestlichen Binnengrenze Deutsch-Ostafrikas mit Wegnahme eines deutschen Dampfers am 13. August 1914, der erste deutsche Angriff (auf Taveta) dagegen erst am 15. August 1914. Bei der Wegnahme des deutschen Dampfers war der oben erwähnte Dr. Norman Leys zugegen. Er schreibt darüber in dem schon erwähnten Aufsatz im New Leader vom 24. August 1926: "Ich selbst war dabei, wie das deutsche gunboat (in Wirklichkeit handelte es sich um einen unbewaffneten Regierungsdampfer am Nyassasee) genommen wurde, dessen Kapitän selbst dann so wenig davon wußte, daß ein Krieg in Aussicht stand, daß wir ihn gefangennahmen, als er in seiner Kabine seine Hosen anzog."

Von deutscher Seite hat am 23. August 1914 der Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt Zimmermann an den amerikanischen Botschafter in Berlin eine Note gerichtet, in welcher die amerikanische Regierung gebeten wurde, auf Grund der Kongo-Akte das Einverständnis der übrigen kriegführenden Mächte zur Neutralsierung ihrer in der Freihandelszone liegenden Kolonien herbeizuführen. Nach der von dem amerikanischen Botschafter am 7. Oktober übermittelten Antwort der französischen Regierung lehnte diese ab unter der Behauptung, daß Deutsche im konventionellen Kongo-Becken in Feindseligkeiten gegen die französischen und belgischen Besitzungen die Initiative ergriffen haben. Diese Behauptung ist falsch. Die erste feindselige Handlung in jenen Gebieten in Westafrika ist durch den französischen Überfall vom 6. August 1914 auf die ahnungslosen, von dem Ausbruch des Weltkrieges noch gar nicht unterrichteten deutschen Grenzposten Bonga und Singa begangen worden. Auch die Belgier haben zu einer Zeit, zu welcher in Deutsch-Ostafrika die Beteiligung Belgiens am Weltkriege noch gar nicht [44] bekannt war, durch die am 6. August 1914 erfolgte Festnahme eines in friedlicher Mission nach dem belgischen Kongo gesandten deutschen Beamten und Beschlagnahme seiner Dhau (Fahrzeug) die erste Feindseligkeit begangen.

Es liegt für jeden unparteiischen Beurteiler klar zutage, daß die Alliierten die von der Verbindung mit der Heimat abgeschlossenen deutschen Kolonien als leichte Kriegsbeute betrachteten und sich diesen Vorteil nicht entgehen lassen wollten. Demgegenüber trat die von belgischer und zunächst auch von französischer Seite geäußerte Absicht einer Neutralisierung bald zurück, welche von Anfang an in England keine Zustimmung fand. Die Alliierten setzten sich über die Kongo-Akte einfach hinweg. Sie verhinderten durch ihre Seestreitkräfte jeden überseeischen Verkehr der deutschen Schutzgebiete und führten gegen diese isolierten, militärisch schwachen Kolonien weit überlegene Streitkräfte heran. Bei der unbeschränkten Nachschub- und Verstärkungsmöglichkeit gegenüber Kolonien, welche für den Krieg mit einem europäischen Gegner in keiner Weise ausgerüstet waren, mußte ihnen deren Eroberung schließlich gelingen. Es sind bloße Vorspiegelungen, wenn jene Mächte hinterher behauptet haben, der Kolonialkrieg sei von deutscher Seite begonnen.

Dasselbe gilt auch für die Kolonien, welche außerhalb des Kongo-Beckens lagen, bei denen also eine internationale Bindung für Erklärung der Neutralität nicht vorhanden war. Von dem leitenden Beamten einer deutschen Kolonie, Togo, wurde dem Gouverneur der angrenzenden englischen Kolonie der Vorschlag der Neutralisierung der afrikanischen Gebiete gemacht. Er stieß aber auf Ablehnung. Engländer und Franzosen brachen mit ihren überlegenen Streitkräften den Widerstand der kleinen Polizeitruppe und bemächtigten sich Togos. In Deutsch-Südwestafrika war die erste Kriegshandlung der Überfall der Engländer auf den deutschen Grenzort Ramansdrift am 14. September; erst zwei Tage später, am 16. September griffen deutsche Truppen den englischen Ort Nakab an.

In der Südsee war von deutschen Angriffen überhaupt keine Rede. Die Fahrzeuge und Streitkräfte fehlten. Neu-Guinea wurde von den Australiern, Samoa von Neu-Seeland mit einer kriegerischen Expedition heimgesucht und genommen. Der Südsee-Inseln nördlich des Äquators bemächtigten sich die Japaner.

Es gibt, was die beiden größten deutschen Kolonien Deutsch-Ostafrika und Deutsch-Südwestafrika anbetrifft, aber noch Beweise dafür, daß deren Eroberung bereits Jahre vor Ausbruch des Weltkrieges von englischer Seite für den Fall eines deutsch-englischen Krieges vorgesehen und vorbereitet war. Die angesehene Zeitung Die Burger in Kapstadt hat in ihrer Nummer vom 22. Fe- [45] bruar 1923 in einem Leitartikel Enthüllungen über diese kolonialen Kriegsvorbereitungen Englands gebracht. Danach wurde bereits auf der Kolonialkonferenz 1907 in London ein Zusammenwirken der Generalstäbe Englands und der Dominions beschlossen. Auf der Reichskonferenz 1911 wurden die Vertreter der Dominions auf den gefährlichen Zustand in Europa hingewiesen und ihnen von dem Komitee der britischen Reichsverteidigung aufgegeben, einen Kriegsplan aufzustellen, in welchem die im Falle des Ausbruches eines Krieges in Europa von ihnen zu ergreifenden militärischen usw. Schritte festzulegen waren. Von der Regierung der Südafrikanischen Union wurde ein solches Kriegsbuch aufgestellt in Übereinstimmung mit den Wünschen des genannten britischen Komitees und des englischen Generalstabs. Darin war vorgesehen der Einfall in Deutsch-Südwestafrika und die Eroberung von Deutsch-Ostafrika. Die Bothasche Regierung hat 1914-16 lediglich die drei Jahre vorher aufgestellten Pläne ausgeführt.

Auch im einzelnen wurde die Eroberung der beiden Kolonien vorbereitet. In Südafrika wurde eine gegen Deutsch-Südwestafrika gerichtete Propaganda betrieben, welche übertriebene Nachrichten über die angebliche Stärke der deutschen Schutztruppen und deren Angriffsabsichten gegen Südafrika brachte. Das Wehrpflichtgesetz für Südafrika von 1911, welches die Verwendung von Unionstruppen außerhalb Südafrikas, nicht aber außerhalb der Union verbot, war, wie auch im südafrikanischen Parlament zum Ausdruck kam, gegen Deutsch-Südwestafrika gerichtet. Ein planmäßiger Spionage- und Erkennungsdienst in Südwestafrika wurde von einer beträchtlichen Zahl von angeblichen Prospektoren, Reisenden, Händlern usw. betrieben, die später im Kriege als englische Offiziere mit Botha zurückkehrten. Die im Kriege von den Engländern benutzten Karten enthielten, wie sich bei gelegentlicher Erbeutung solcher durch deutsche Truppen herausstellte, genauere Angaben als die deutschen über die Wasser- und Weideverhältnisse und sonst militärisch Wichtiges.3 Der englische Konsul in Lüderitzbucht hatte vor dem Kriege auf monatelangen Reisen im Süden besonders an der Süd- und Südostgrenze, wo später der Einmarsch erfolgte, das Land erkundet. Derselbe Konsul landete im Kriege als militärischer Befehlshaber mit einer Truppe in Lüderitzbucht und brachte alles Nötige, sogar einen Kondensator zur Wasserversorgung des Ortes mit, was nur von langer Hand vorbereitet sein konnte. Auch sonst ergaben sich zahlreiche Beweise für langjährige englische Kriegsvorbereitungen gegen Deutsch-Südwestafrika.

[46] Auch in Deutsch-Ostafrika hatte eine eingehende Erkundung durch einen 1½ Jahre vor Ausbruch des Krieges dort eingesetzten englischen Konsul stattgefunden, dessen Tätigkeit hauptsächlich darin bestanden hatte. Diese fand ihren Niederschlag in den Field notes on German East Africa, General Staff India (Feldnoten über Deutsch-Ostafrika, Generalstab Indien), August 1914, welche den englischen Truppen bei ihrem Feldzuge als Informationsquelle dienten.

Wir besitzen aber auch noch andere Zeugnisse über die englischen Absichten gegen Deutschland und dessen überseeische Besitzungen. Im Jahre 1909 sagte der damalige Premierminister der Südafrikanischen Union, Botha, gelegentlich seines Aufenthaltes in Kissingen zu dem Pfarrer Schowalter, der in enger Beziehung zu ihm stand, er möchte die deutsche Regierung vertraulich darüber informieren, daß sie einem Kriege mit England nicht entgehen könne. Das sei ihm in der Reichskonferenz zur absoluten Gewißheit geworden, der Krieg sei unvermeidlich, gleichviel was Deutschland tue. Der Pfarrer Schowalter versuchte vergeblich durch Vermittlung des bayerischen Gesandten von dem Reichskanzler Fürst Bülow empfangen zu werden, um ihm diese wichtige Nachricht mitzuteilen. Er hat dann später kurz vor Ausbruch des Krieges den Warnruf Bothas veröffentlicht. Botha hatte ihm ausdrücklich gesagt, dieser Warnruf solle der Dank sein für die Guttaten unseres Volkes an seinem Volke.4

Weiter hat im Jahre 1913, also ein Jahr vor Ausbruch des Weltkrieges, ein anderer Bur in hervorragender Stellung der deutschen Regierung auf ähnliche indirekte Weise eine Warnung zugehen lassen, daß auf Betreiben von England die Südafrikanische Union gegen Südwestafrika vorgehen werde und entsprechende Vorbereitungen treffe. Auch diese Tatsache ist mir in zuverlässiger Weise bekannt geworden.

Die Haltlosigkeit des Vorwurfs der Militarisierung der deutschen Kolonien dürfte in den vorstehenden Ausführungen bereits hinreichend nachgewiesen sein. Wenn das deutsche System noch mit dem militärischen System der Franzosen verglichen werden soll, so geschieht das nur, um die Sache in noch helleres Licht zu setzen. Deutschland hatte keine Kolonialarmee, keine farbigen Truppen außerhalb der Kolonien, keine Zwangsaushebung Farbiger, überhaupt keine Einrichtungen, welche die Verwendung von Eingeborenen anders als zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit in der Kolonie, der sie selbst angehörten, ermöglicht hätten. Wie liegt dagegen die Sache in den französischen Kolonien? Es ist eine bekannte Tatsache, daß die Franzosen in weitestem Maße [47] ihre Kolonien militarisieren. Im Kriege hat Frankreich nicht weniger als 537 000 farbiger Soldaten gegen Deutschland ins Feld geführt. Es hat nach dem Kriege in verstärktem Maße die Heranziehung der Eingeborenen seiner Kolonien, besonders auch der Schwarzen Afrikas für den Militärdienst betrieben. Die französische Armee weist gegenwärtig 200 000 Farbige auf. Frankreich zieht die Farbigen heran, um die versagende Volkskraft des Mutterlandes zu ersetzen. Die französische Verordnung vom 21. Februar 1922 (Bulletin officiel du Ministère des Colonies Mars 1922, Nr. 3) bestimmt ausdrücklich, daß die Verwendung sämtlicher als Soldaten eingezogener Eingeborener außerhalb ihrer Heimatskolonie erfolgen kann, ausgenommen allein bestimmt umschriebene Fälle, wie körperliche Untauglichkeit, kurze noch übrigbleibende Dienstzeit u. dgl.

Welches ist die Wirkung dieser Militarisierung auf die Eingeborenen? Die Dépêche Coloniale et Maritime vom 16. Februar 1922 bringt darüber folgende Ausführungen des M. Delafosse:

      "Wir müssen gern oder ungern eingestehen, daß die Rekrutierung im allgemeinen in unseren Kolonien unpopulär ist. Während des Krieges und auch nachher ist es wohl unsern anhaltenden Anstrengungen gelungen, eine ansehnliche Zahl Eingeborener auszuheben, aber in wievielen Fällen war die Rekrutierung eine wirklich freiwillige? In gewissen Bezirken gab es wohl eine Anzahl junger Leute, die sich ohne Widerrede ausheben ließen und selbst solche, die kamen und sich freiwillig stellten, aber die älteren sahen es nicht gern. Oft dagegen waren wiederholte und nachdrückliche Mahnungen und sogar Gewaltmaßnahmen nötig, um das verlangte Kontingent zu erlangen, gar nicht zu sprechen von den Fällen, wo die Rekrutierungen zu Unruhen und Aufruhr führten, deren mehrere durchaus ernst waren. Es ist anzunehmen, daß die obligate Dienstzeit von den Eingeborenen nicht günstiger aufgenommen wird als die freiwillige Rekrutierung."

Soweit Nachrichten vorliegen, ist dies in der Tat der Fall. Die Zwangsaushebung hat das Übel naturgemäß vermehrt. Nach französischen Nachrichten veranlaßt der Wunsch, sich der mitten im Frieden vor sich gehenden Aushebung zu entziehen, viele Tausende von Eingeborenen zur Auswanderung in die britischen Kolonien.5 Daß anderseits die in Europa verwendeten eingeborenen Soldaten nach ihrer Rückkehr in die Kolonie einen üblen Einfluß auf ihre Stammesgenossen ausüben, ist für jeden Kenner afrikanischer Verhältnisse ohne weiteres klar. Darüber liegen auch Klagen französischer Beamten in Afrika selbst vor.6

[48] Für die deutschen Kolonien sollte nach der Völkerbundssatzung im Interesse der eingeborenen Bevölkerung gerade die Militarisierung ausgeschlossen werden. Wie es Frankreich trotzdem fertiggebracht hat, in seine Mandate über Kamerun und Togo die Erlaubnis hineinzubringen, die schwarzen Bewohner jener Gebiete für seine militärischen Zwecke nutzbar zu machen, ist eines der dunkelsten Kapitel der Versailler Verhandlungen und des Völkerbundes. Wir sind über die Vorgänge durch die ausführliche Darstellung in dem bereits erwähnten Wilson-Buch Bakers informiert. Danach beanspruchte bei den Verhandlungen des Rats der Zehn der französische Vertreter Pichon am 10. Januar 1919 das Recht, in den unter französisches Mandat gestellten Gebieten koloniale Truppen auszuheben. Lloyd George sagte,

"was die Dokumente verböten, wäre eine Handlungsweise, wie sie die Deutschen wahrscheinlich einschlagen würden (!), nämlich große schwarze Heere in Afrika zu organisieren, um damit jeden andern aus jenem Lande zu vertreiben... In diesem Dokumente stände nichts, was Frankreich hindern würde, ein Heer zur Verteidigung seiner Gebiete auszuheben. M. Clemenceau erklärte, wenn Frankreich das Recht hätte, in den seiner Herrschaft unterstellten Gebieten Afrikas für den Fall eines großen Krieges Truppen auszuheben, wäre er befriedigt. Mr. Lloyd George sagte, daß, solange M. Clemenceau nicht große Negerarmeen zu Angriffszwecken aushebe, dies alles wäre, was die Klausel zu verhüten beabsichtige. M. Clemenceau bemerkte, daß er dies nicht zu tun beabsichtige. Er nähme daher an, daß Mr. Lloyd Georges Interpretation akzeptiert wäre. Präsident Wilson erklärte, daß Mr. Lloyd Georges Interpretation zutreffend sei. M. Clemenceau sagte, daß er völlig zufrieden gestellt sei".7

Im Ausschuß für den Völkerbund versuchten die Franzosen wieder ihre Forderung durchzudrücken, jedoch fand der Smutssche Wortlaut Annahme und wurde in die Bundessatzung aufgenommen.

Drei Tage bevor der Friedensvertrag den Deutschen überreicht wurde, als sich alles in großer Verwirrung befand und alle Hebel in Bewegung gesetzt wurden, um den Vertrag fertigzustellen, erteilte Clemenceau, ohne Befragen seiner Kollegen im Vierer-Rat oder der Mitglieder des Ausschusses für den Völkerbund, unter deren Obhut sich die Bundessatzung befand, der Schriftleitung durch dessen französisches Mitglied - M. Fromageot - Anweisung, den Wortlaut der Völkerbundssatzung in dem Sinne abzuändern, daß den Mandataren der Kolonien ausdrücklich erlaubt wäre, Truppen nicht nur zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung auszuheben, sondern, wenn erforderlich, auch zum Kampfe für das Mutterland.8

[49] Am 5. Mai fand darauf eine erneute Diskussion zwischen Wilson, Clemenceau und Lloyd George statt. Sir Maurice Hankey, der Sekretär der Schriftleitung, verlas folgenden Bericht: "Die Abänderung im Artikel 22 (der Bundessatzung, handelnd von Kolonien und Mandataren) wurde auf Grund persönlicher Anweisung Clemenceaus, des Präsidenten der Konferenz, an M. Fromageot vorgenommen." Dazu fand folgende Aussprache statt:

      "M. Clemenceau erklärte, es wäre für Frankreich äußerst wichtig, daß einige Worte eingefügt würden, um es Frankreich zu ermöglichen, eingeborene Truppen zur Verteidigung französischer Gebiete zu verwenden, genau wie in diesem Kriege. Er wäre für den tatsächlichen Wortlaut nicht verantwortlich. Präsident Wilson lenkte die Aufmerksamkeit auf die frühere Auseinandersetzung, die am 30. Januar im Zehnerrat stattgefunden hatte, als vereinbart wurde, daß genau der gleiche Wortlaut in der Resolution über die Mandate, nämlich »zu andern als polizeilichen Zwecken und zur Landesverteidigung« Frankreichs Bedürfnissen genügen würde".9

Es wurde entschieden, den französischen Wortlaut nicht zu verwenden, sondern die Klausel in der ursprünglichen Fassung der Bundessatzung wieder herzustellen. Die Franzosen ließen jedoch nicht locker und verlegten nun ihre Bemühungen in die zur Ausarbeitung der Bestimmungen über die Mandate eingesetzte Kommission und in den Völkerbund. Als der Entwurf für das französische Mandat über Kamerun und Togo dem Völkerbundsrat am 20. Dezember 1920 vorgelegt wurde, wurde folgende Bestimmung in Artikel 3 eingefügt: "Es versteht sich jedoch, daß die so ausgehobenen Truppen (in Französisch-Kamerun und Togo) im Falle eines allgemeinen Krieges zur Abwehr eines Angriffs verwendet werden dürften oder zur Landesverteidigung außerhalb des Gebietes, über welches sich das Mandat erstreckt."

Als diese Bestimmung dem Sekretariat des Völkerbundes in Genf unterbreitet wurde, fügte es dem offiziellen Bericht folgenden Kommentar hinzu: "Das Sekretariat zitiert die Klausel zu Artikel 22 des Bundesvertrags, welche mit der vorstehenden Ermächtigung im Widerspruch zu stehen scheint."

Tatsächlich sind die französischen Mandate mit diesem Zusatz versehen worden und so in Kraft getreten. Die Absichten der Völkerbundssatzung wurden damit in das Gegenteil verkehrt. Die Franzosen begannen die eingeborene Bevölkerung ihrer Mandatsgebiete Kamerun und Togo genau so der Militarisierung zu unterwerfen wie die Bewohner ihrer eigenen Kolonien. Dies erhellt einwandfrei aus dem Bericht des französi- [50] schen Abgeordneten, Baron des Lyons de Fenchin in der zweiten Sitzung der französischen Kammer vom 18. März 1924: Auf S. 808 dieses Berichtes wird die Bevölkerung von Kamerun und Togo mit in die Zahl der militärischen Hilfsquellen Französisch-Afrikas eingerechnet und dazu bemerkt: "Die künftige internationale Situation dieser Besitzung muß uns erlauben, sie an der militärischen Anspannung teilnehmen zu lassen, die wir von unserem afrikanischen Reich verlangen."10

Der Bericht hat in der Presse erhebliches Aufsehen erregt. Der Vizepräsident der vorerwähnten Mandatskommission, van Rees, hat in der 6. Sitzung der Permanenten Mandatskommission in Genf im Juni/Juli 1925 den französischen Regierungsvertreter unter Berufung auf jene Presseerörterungen um eine Äußerung gebeten. M. Duchèsne hat darauf erwidert, daß die Ausführungen des Kammerberichtes auf einen Irrtum der militärischen Behörden Französisch-Äquatorial- und Westafrikas zurückzuführen seien, die geglaubt hätten, über die militärischen Streitkräfte der Mandatsgebiete verfügen zu können. Der Fall sei jetzt klar gestellt. Die Streitkräfte Kameruns und Togos unterständen allein dem Kommissar der Republik. Sie bildeten eine Miliz, die vollkommen von der französischen Kolonialarmee getrennt sei.

Auf das Recht, die Truppen der Mandatsgebiete in einem allgemeinen Krieg auch außerhalb dieser Gebiete zu verwenden, hat Frankreich ausdrücklich erklärt, nicht verzichten zu können.

Die Militarisierung der Schwarzen ist ebenso ein Verbrechen gegen die weiße, wie gegen die schwarze Rasse. Die im Laufe der Zeit erfolgende Ausbildung von Hunderttausenden von Schwarzen mit modernen Waffen und in der europäischen Kriegführung, die Übertragung von Aufsichts- und sonstigen Befugnissen an Schwarze gegenüber Angehörigen einer auf ungleich höherer Kulturstufe stehenden weißen Bevölkerung, wie es im Kriege gegenüber deutschen Kriegsgefangenen in Westafrika geschah und später am Rhein und im Ruhrgebiet, die Vergewaltigungen deutscher Frauen und die Zwangseinrichtung von Bordellen mit weißen Weibern für die schwarzen Truppen in den besetzten Gebieten bringen die schwersten Gefahren für die Zukunft der weißen Rasse mit sich. Das Prestige derselben, auf dem zum großen Teil die europäische Herrschaft in Afrika beruht, wird auf diese Weise herabgemindert. Aber auch die eingeborene Bevölkerung der unter dieser französischen Militarisierung stehenden Kolonien wird dadurch schwer geschädigt. Viele nach auswärts verschleppte schwarze Soldaten gehen in den unge- [51] wohnten Klimaten zugrunde, die andern verlieren, wie ein französischer Urteiler11 schreibt, "in Europa ihre angeborenen Vorzüge und bringen nicht selten Laster wie Trunksucht heim; sie verlieren das seelische Gleichgewicht, weil sie ihren ursprünglichen Sphären entwachsen und zudem arbeitsscheu werden und bilden so ein Element, das leicht in politische Erregung geraten und Anlaß zu Unruhen geben kann."




1Vgl. die nach amtlichen Quellen erfolgte Aufstellung in den Artikeln "Schutztruppen" und "Polizeitruppen" in dem Deutschen Koloniallexikon. ...zurück...

2Vgl. hierzu und zu dem Folgenden die im amtlichen Deutschen Kolonialblatt Nr. 1 - 4 vom 28. 2. 20 veröffentlichten belgischen und deutschen amtlichen Urkunden. ...zurück...

3"Wie England den Krieg gegen Deutsch-Südwestafrika vorbereitete" von Geh.-Rat Dr. Hintrager. Deutsch-Südwestafrikanische Zeitung vom 4. 11. 1918. ...zurück...

4Die vorstehenden Angaben beruhen auf den mir von Herrn Oberpfarrer und Superintendenten Schowalter in Wittenberge persönlich gemachten Mitteilungen. ...zurück...

5Vgl. den Artikel des Generals Verrau in L'Oeuvre vom 22. IX. 1923. ...zurück...

6Vgl. African World Nr. 1013 vom 8. April 1923. ...zurück...

7Geheimprotokoll des Rats der Zehn vom 30. 1. 1919, abgedr. bei Baker a. a. O. Bd. I, S. 426 f. (D. A., S. 340 f.) ...zurück...

8Baker a. a. O. Bd. I, S. 429. (D. A., S. 341/2.) ...zurück...

9Geheimprotokoll des Rats der Zehn vom 5. Mai bei Baker a. a. O. Bd. I, S. 430/1. (D. A., S. 342/3.) ...zurück...

10 Documents Parlament. de la Chambre. Annex. Nr. 7333 d. Jour. Officiel de la Republic Française, S. 796-813. ...zurück...

11Der bereits oben erwähnte M. Delafosse in der Dépêche Coloniale vom 16. 2. 22. ...zurück...







Die koloniale Schuldlüge.
Dr. Heinrich Schnee
ehemaliger Gouverneur von Deutsch-Ostafrika