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Kämpfe deutscher Jäger in den Felsen der Dolomiten

I. Auf der Punta dei Bois

Am linken Flügel unserer Stellung auf der Forcella dei Bois, 2330 m, ragte, durch einen kurzen, scharfen Grat und eine Felsenscharte mit der Tofana di Roces, 3225 m, verwachsen, die Punta dei Bois, 2657 m, aus steilen Geröllhalden senkrecht empor (Abb. 49, 50 u. 54).

Es war ein einziger Riesenstock von der Gestalt einer abgestumpften Lanzenspitze, überhöhte das Gelände unserer und der feindlichen Stellung um 300 Meter und hängt an der Tofana di Roces wie der winzigste Zwerg am gewaltigsten Riesen.

Die Gruppe der Drei Tofanen.
[zwischen S. 80 u. 81]      [Vergrößern: Abbildung ist beschriftet!]
Abb. 49: Die Gruppe der Drei Tofanen (Ampezzaner Dolomiten) von der italienischen Seite (Süden). Vgl. die Abbildungen 46, 47, 50 und 54.

Wollte man sie ersteigen, so mußte man von der Stellung ein wenig nach rückwärts gehen und den Geröllhang hinaufklettern bis zu dem Punkte, wo die Wand des Zwerges in die des Riesen überging.

Dort zwängt sich eine schneegefüllte Schlucht herab, die zwischen den beiden Bergen die Grenze bildet und oben dicht unter dem Grat ihren Ursprung nimmt.

In ihrem tieferen Teile waren ein paar steile, vereiste Stellen und einige Klippen zu überwinden, dann legte sie dem Steigenden kein großes Hindernis mehr in den Weg. In einer Stunde konnte er den Grat erreichen.

Dort oben hauste im Felslabyrinth, von uns allen darum beneidet, Leutnant Wendland mit einer 18 Mann starken Feldwache und einem Maschinengewehr.

Die führten ein herrliches Leben!

Wohl dienten ihnen als Unterkunft aus Steinen locker geschichtete und mit Zeltbahnen gedeckte, kaum brusthohe Hütten, die vor Regen und Schneesturm nur notdürftig schützten, wohl mußten sie alle Lebensmittel und jedes Stückchen Brennholz auf stundenlangem, gefährlichem Felsweg täglich hinaufschleppen, wohl war es nachts so kalt, daß den Posten Finger, Füße und Gesicht fast erfroren, aber was bedeutete ihnen das alles im Vergleich zu der Schönheit, die sie täglich umgab!

Von ihrer hohen Warte aus blickten sie weit über die Stellung des Feindes hinüber auf ein Meer von Bergen und blaugrünen Tälern der Dolomiten, weit nach Italien hinein.

Wenn am Morgen die Punta dei Bois im kalten Schatten der Tofana di Roces [48] lag, daß die Wärme des weckenden Tages noch nicht zu ihr hinfand, dann breitete die Sonne zu ihren Füßen ein Bild märchenhafter Pracht aus.

Dann erglänzten die Gipfel im Morgengold, die Nebel leuchteten schneeweiß herüber und die Firnen blitzten auf, als wären sie selbst Sonnen geworden.

Und ganz hinten im Süden, wo keine Höhenzüge dem Fluge des Blickes wehrten, daß er mühelos in die Ebene sich breitete, da schien alles unterzugehen in der Überfülle unendlichen Lichtes.

So weit das Auge reichte, sah es quellende Seligkeit, trunkene Wonne aller Dinge über die eigene Schönheit.

Die Erde glühte und bebte unter dem reifen Glück der ersten Sonnenberührung, warf alles empfangene Licht machtvoll wieder empor und sandte es auf unzähligen Wegen zu seinem Quell zurück.

Das war ein Funkeln und Flimmern ohnegleichen: Die Sonne, die Sonne, die große Zauberin Sonne!

So boten die Berge denen, die für sie kämpften, allmorgendlich ihre ganze Schönheit dar als nie versiegende Quelle der Kraft. Nach durchwachter Nacht war sie den Jägern ein Labsal von wunderbar stärkender Wirkung.

Niemand ging schlafen, bevor er nicht die Pracht des Gebirges unter der aufgehenden Sonne wieder gesehen und von neuem erlebt hatte.

Am Vormittage, wenn beide Fronten am ruhigsten waren, blieben auf dem Gipfel der Punta dei Bois und dem Grat zur Tofana di Roces nur einige Meisterschützen zurück, die mit ihren Zielfernrohrgewehren den Feind überwachten.

Sie durften sich nicht zu offen zeigen, lagen hinter Felsen versteckt und schossen über die äußersten Kanten hinweg. Denn die Italiener hielten den Berg scharf im Auge und versuchten alles nur Erdenkliche, um dem lästigen Jägerposten das Leben dort oben zu erschweren oder ihn gar ganz zu beseitigen.

Die Gewehre der Jäger setzten dem Feind täglich hart zu.

Unermüdlich knallten sie vom Morgen bis zum Abend auf die breite Dolomitenstraße hinab, die sich tief unten weiß durch das Tol zog. Dort fanden sie stets lohnende Ziele; war sie doch der einzige Weg von der feindlichen Etappe zur Front.

Immer wieder versuchten die Italiener, anfangs gruppenweise, später einzeln, die kurze Strecke, die unter dem Feuer der deutschen Feldwache lag, zu durchschreiten. Als aber die Verluste sich häuften und auch Tragtiere den Kugeln zum Opfer fielen, wagten sie den Verkehr nur noch nachts.

Aber auch das wurde ihnen erschwert.

Wenn es dunkelte, stellte Wendland sein Maschinengewehr auf das Straßenband ein, das deutlich durch die Dämmerung heraufschimmerte, und die ganze Nacht über pfiffen die Kugeln in unregelmäßigen, nicht zu berechnenden Pausen hinunter und machten den Weg ungangbar.

[49] Dann verrieten am Morgen die Spuren auf der Wiese jenseits der Straße, daß der Feind an anderer Stelle durchgeschlichen war und das Maschinengewehr hatte für die nächste Nacht ein neues Ziel.

In einen Wildbach abgestürztes, italienisches Fliegerabwehrgeschütz.
[zwischen S. 104 u. 105]      Abb. 67: In einen Wildbach abgestürztes,
italienisches Fliegerabwehrgeschütz.

Einmal entdeckte Wendland in dem Hochwalde, der die zu Tal laufende Straße aufnahm, Bewegungen, aus denen er auf das Leben größerer Truppenmassen unter dem grünen Dach schließen zu können glaubte. Er legte seine sämtlichen Jäger hart an die Kante der Felsen, bediente selbst das Maschinengewehr und bestreute die verdächtigen Wipfel minutenlang mit eisernem Hagel.

Der Erfolg war verblüffend: In allen Richtungen rasten verwundete Pferde, liefen zu Tode erschreckte Menschen aus dem Walde hervor. Die Jäger erfaßten sie mit ihren Zielfernrohren und ihre Kugeln machten ganze Arbeit.

So verblutete ein italienisches Lager zu den Füßen der Punta dei Bois.

Da griff der Feind den Berg an!

Als der Nachtposten auf dem Grat unter sich ein leises Schlürfen und Kratzen vernahm, beugte er sich weit vornüber, um besser hören und den grauschwarzen Grund mit den Augen durchbohren zu können.

Das Geräusch verstummte ab und zu, war dann aber wieder da und kam langsam näher.

Kein Zweifel, dort unten mühte sich jemand an der senkrechten Felswand herauf.

Der Jäger schickte den zweiten Mann des Postens mit der Meldung zu Wendland.

Dann lauschten alle drei gespannt in den Abgrund hinein.

Immer wieder das gedämpfte Geräusch eines Kletternden. Wenn es etwas deutlicher wurde, dann verstummte es im nächsten Augenblicke für Minuten ganz...

Doch da, plötzlich ein Klang, wie Metall gegen Stein!...

Der Feind!

War das denn möglich?! Über Zacken und Klippen, die bei Tage nur unter der Gefahr des Abstürzens zu ersteigen waren, wollte er in finsterer Nacht angreifen? Es war ein tollkühnes Unternehmen.

Den Grat konnte ein Mann gegen eine Kompagnie verteidigen, solange er Patronen hatte!

Denn der letzte Anstieg war nur durch einen schmalen Kamin möglich; da mußte ein Mann über dem anderen klimmen. Und schießen konnte der Angreifer nicht, weil er beide Hände zum Klettern brauchte.

Dennoch stieg eine verwegene feindliche Patrouille zum Grat hinauf, um das Jägerhäuflein zu überfallen und die Punta dei Bois zu erringen!

Wendland befahl seinen Leuten auf ihren Posten zu bleiben. Er selbst stellte sich mit schußbereitem Gewehr auf den Grat und erwartete den Gegner. Vier Mann mit Handgranaten behielt er bei sich.

Die kletternden Italiener kamen näher und machten trotz aller Vorsicht schwachen Lärm.

[50] Jetzt waren sie dem Geräusch nach am Fuße des letzten Spalts. Aber noch hoben sie sich von den grauschimmernden Felsen nicht ab.

Schon hatte sich ihr Führer an den letzten Anstieg gemacht, der für immer sein letzter blieb.

Mühsam rang er sich von Vorsprung zu Vorsprung, jeden Stein auf seine Festigkeit prüfend, nach jedem Tritt sekundenlang lauschend. Aber alle Vorsicht war nutzlos, denn die Nacht und die schweigenden Felsen verrieten ihm nicht, was sie wußten, was in den nächsten Sekunden über ihn hereinbrechen mußte und was für ihn, den Menschen, alles war: verriet ihm nicht sein Schicksal.

Unsichtbar, in tiefen Schatten geschmiegt, hörte Wendland jeden Schritt des unter ihm kletternden Feindes. Schon tauchten die grauen Umrisse der Gestalt aus dem Dunkel hervor. Ein hinabgeworfener Stein hätte sie zerschmettert, aber noch war der günstigste Augenblick nicht gekommen.

Und der tollkühne Italiener keuchte ahnungslos weiter!

Wendland rührte sich nicht. Je länger er zögerte, desto mehr Feinde gelangten in den Kamin. Der Gegner kletterte höher und höher und lauschte sorgfältiger und länger, um jede Gefahr am leisesten Laut zu erkennen.

Jetzt faßte er nach dem Fels neben Wendlands Fuß. Da hob der langsam sein Gewehr, brachte es lautlos in Anschlag, und als ein dunkler Kopf aus dem Kamin hervorragte und fast an die Laufmündung stieß, drückte er ab.

Die Flamme schlug dem Feind grell ins Gesicht.

Ein Körper polterte schwer in die Tiefe und riß die unter ihm Kletternden mit hinab, daß der Lärm anschwoll wie eine Steinlawine. Ein gellender Schrei wurde von vierfachem Krachen übertönt. Dann folgte noch eine Handgranatensalve, und alles war wieder still.

Am nächsten Morgen sah man auf den Schuttreißen am Südfuß der Punta dei Bois die Leichen der Patrouille mit zerschlagenen Gliedern liegen, 500 m tief über die Felswand hinuntergeschmettert. —

Nun suchte der Feind die Feldwache, vor deren Kugeln er sich nirgends sicher fühlte, auf andere Weise zu überwältigen:

Eines Nichts, als die Tofana di Roces im Lichte des ersten Mondviertels dalag, krepierte dicht hinter dem Doppelposten auf dem Grat eine Handgranate und gleich darauf noch eine. Sie richteten kein Unheil an, aber niemand wußte, woher sie gekommen waren.

Die Posten sprangen hinter deckende Felsen und Wendland zog sie in den Schatten der Punta dei Bois zurück, so daß der Felsgrat zwar unbesetzt war, aber mit Feuer bestrichen werden konnte.

Wieder lag eine ganze Handgranatensalve mitten auf dem Grat.

Die kam von der Tofanawand.

Der Gegner hatte sich an der fast senkrechten Wand bis auf Wurfweite herab- [51] gewagt. Nun galt es die silbergrau glänzenden Felsen zu beobachten und das Mondlicht mußte helfen, den Feind dort zu finden.

Das gelang wider Erwarten schnell:

"Seht ihr den steilen Zacken, der über die Tofana-Silhouette hinausragt? Rechts und unterhalb von ihr, in dem schwarzen senkrechten Kamin, wo von links ein heller Felsen so weit vorspringt, daß der Spalt fast geteilt scheint, etwa 200 m über dem Grat, auf diesem Vorsprung, da hat sich's bewegt!"

Der vorstehende mondbeschienene Stein war die hellste Stelle des Tofana-Massivs und leicht zu erkennen.

"Feuer!"

Die Salve klatschte laut gegen die Felsen.

Eine Weile blieb es still. Dann kamen von neuem Handgranaten.

"Jetzt ganz deutlich, 20 m tiefer, wo der Spalt am breitesten ist und nach rechts waagrecht einschneidet, auf diesen schwarzen Einschnitt Schützenfeuer!"

Nun rollten die Schüsse der Jäger ohne Pause gegen die Felsen.

Noch einmal krachten zwei Handgranaten.

Nach geraumer Zeit ließ Wendland das Feuer einstellen und suchte die im Mondschein wieder still träumenden Felsen noch lange mit seinem Fernglas ab. Er konnte auf ihnen keine Bewegung entdecken.

Der Feind hatte den Angriff aufgegeben, wenn es auch zweifelhaft blieb, ob aus Furcht vor den Kugeln der Jäger oder weil er eingesehen hatte, daß der Abstieg an der schier senkrechten Wand der Tofana nicht ausführbar war.

Gegen Morgen aber, zu der Zeit, da das starre Gebirge der Sonne entgegenlauscht, ging es von der Tofana aus wie ein Seufzen, wiederholte sich und wuchs an zu einem langgezogenen furchtbaren Klagelaut, der in unendlicher Schwermut über unsere Stellung dahinzitterte. Wieder und wieder schwebte er herüber, bald starker, eindringender, anklagender, bald zaghafter, flehender.

Wir erstarrten vor Schaudern und fühlten den Ausdruck unsagbarster Qual, der die Luft weit bis ins Tal hinab erfüllte, der unsere Ohren marterte und uns durch Mark und Bein drang, wie nie zuvor ein Laut. In jede Falte des Bodens hätten wir uns verkriechen mögen, um die rätselhafte, wahnsinnige Klage nicht hören zu müssen.

Wie gebannt blickten wir in die Wände der Tofana hinauf.

Bald lief es von Mund zu Mund: Dort oben lag ein verwundeter Italiener, der von seinen Kameraden nicht geborgen werden konnte.

Nun ging es tagelang so: In den Morgen- und Abendstunden flehte der auf der Tofana langsam hinsterbende Soldat laut unsere Hilfe an. Wendland versuchte vergeblich sie ihm zu bringen. Die Wand war auch für den gewandtesten Kletterer nicht ersteigbar. Nur die Italiener selbst konnten helfen, wenn sie von der Tofana herabkamen. Aber das wagten sie nicht, obwohl auch sie die verzweifelten Rufe täglich anhören mußten.

[52] So verfiel der Verwundete hilflos dem Hungertod, seine Stimme verlor von Tag zu Tag an Kraft, bis nur noch ein leises Wimmern zu uns herunterdrang.

Dann, in der fünften Nacht, hörten die Posten Wendlands aus der Tofanawand einen dumpfen Ton, wie wenn ein schwerer Körper hart aufschlägt. Von da ab war das Wimmern verstummt.

Der Sterbende hatte wohl mit seinem letzten verzweifelnden Wollen die Kante des Felsens zu erreichen versucht, um sich besser bemerkbar machen zu können. Oder um seine Qual gewaltsam zu beenden...?

Wir wagten es nicht, seinen letzten Gedanken ergründen zu wollen; wir wußten nur, daß er abgestürzt und an den Felsen zerschellt war.

Vielleicht hatte ein harmloser Beinschuß, der unter günstigen Verhältnissen bald geheilt wäre, seinen Tod verschuldet. —

Der Feind erkannte, daß seine Angriffe auf die Punta dei Bois keinen Erfolg versprachen. Darum belegte er den Berg heftig mit Artillerie.

Aber die Jäger verlachten sie, denn sie sahen das Mündungsfeuer auf den Gipfeln der Berge aufblitzen und hatten bei jedem Schuß Zeit, sich hinter den schützenden Felsen zu decken.

Wendland ermittelte die Batterien und leitete von seiner hohen, alles beherrschenden Beobachtungswarte das Feuer unserer Artillerie.

So wurde manch feindliches Geschütz niedergekämpft.

Eines Tages benahm sich der Feind anders als sonst: Er war aufgeregter, lief viel hin und her und feuerte bald heftig, bald wieder auffallend wenig. Man konnte ihm unschwer anmerken, daß er irgend etwas im Schilde führte.

Das wurde am nächsten Morgen offenbar:

Es war jener spannende Augenblick, da das Tageslicht die nächtliche Arbeit des Gegners zum ersten Male enthüllte. Wendland und seine Posten versuchten, die noch über den feindlichen Stellungen lagernden Nebel mit dem Glas am Auge zu durchdringen.

"Herr Leutnant, dort unten, wo das Schneefeld eben durchschimmert, links davon im Nebel, da wimmelt's!"

Fast gleichzeitig mit seinem Jäger hatte Wendland die Schatten, die undeutlich in dem Grau hin- und herhuschten, erkannt.

Im Nu saß er hinter dem Lauf seines Maschinengewehrs.

Unten zerrissen die Nebel, daß sie in einzelne Wolken aufgelöst über den Feind hinflogen. Dazwischen enthüllten sie die grauen Gestalten, die wie Ameisen über die Felsen krabbelten oder an Stellen, an denen sie geschützt zu sein wähnten, dicht gedrängt auf den Befehl zum Angriff harrten.

Und das Maschinengewehr raste mit seinen Geschossen mitten unter sie. Ohne Pause in die dichtesten Haufen mitten hinein, unaufhörlich mitten hinein!

[53] Die Nebel wurden lichter, blasser, durchsichtiger, die Ziele deutlicher, zahlreicher, und die Maschine raste, arbeitete, mähte.

Mähte allein unter dem in Bataillonsbreite zum Angriff bereitstehenden, durch den Nebel, auf dessen Hülle er gehofft hatte, enttäuschten Feind.

Mähte junge, blühende Menschenleiber und der Tod erntete volle Garben.

Im Augenblick war die Verwirrung beispiellos.

Wir, die wir unten in unserer Stellung auf der Forcella alarmiert waren und jeden Postenstand besetzt hatten, um den Angriff, der kommen sollte, zu empfangen, wußten, daß wir selbst die zehnfache Übermacht des Feindes in unseren Hindernissen aufhalten würden. Aber wir warteten vergeblich, denn es kam nicht so weit, daß wir auch nur einen Schuß lösten.

Wendland arbeitete für uns alle!

Das eine Maschinengewehr!

Sein Rasseln klang wie ein Hohngelächter auf die fast tausendfache Menschenkraft des Feindes, die sich gegen diese kleine Maschine als machtlos erwies und unter ihren Peitschenhieben aus hundert Wunden verblutete.

Maschinengewehrschütze in Winterstellung.
Deutscher Maschinengewehrschütze
in Winterstellung auf dem 2029 Meter hohen
Fedaja-Paß in den Dolomiten
(Marmolata-Gruppe.)      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 480.
Taktaktak... taktaktaktak... Hohngelächter, von den Bergwänden in tausendfachem Echo wiedergegeben.

Italienische Artillerie griff in den Kampf ein, warf Schrapnells und Granaten auf die Punta dei Bois. Aber sie fegten über den Gipfel hinweg und zerkrachten wirkungslos an den starren Wänden der Tofana. Nur eine Batterie war auf den Punkt, wo das Maschinengewehr stand, eingeschossen. Doch Wendland kannte diese Geschütze genau und ließ sie durch zwei Jäger beobachten, die jedes Aufblitzen meldeten. Die Geschosse brauchten bis zur Punta dei Bois 24 Sekunden. Das Maschinengewehr raste unter den Händen Wendlands weiter, unbeirrt durch das Toben und Krachen der Schrapnells. Nur wenn es drüben bei der gut schießenden Batterie aufflammte, trat eine sekundenlange Pause ein:

"Abschuß!" rief dann der seitwärts beobachtende Posten, und die anderen gaben den Ruf laut weiter. Das Maschinengewehr aber nutzte die Flugzeit des Geschosses aus bis zum letzten Augenblick.

"18... 20... hinlegen!" kommandierte der Mann neben Wendland mit der Uhr in der Hand und alle duckten sich blitzschnell und schmiegten sich hinter die Felsen.

Dschurrrr.. . fegten die Schrappnellkugeln über den Gipfel der Punta dei Bois. Aber bevor sie ihr Geräusch noch ausgesummt hatten, wurde es von dem wieder einsetzenden Taktaktak des Maschinengewehres übertönt.

Unermüdlich jagte Wendland den Kugelregen in den Haufen des Feindes hinab, nur in wenigen gefährlichen Sekunden auf die eigene Sicherheit bedacht.

Der Feind suchte hartnäckig der Unordnung in seinen Reihen Herr zu werden. Immer wieder machte er Ansätze zum Angriff auf unsere Stellungen, immer wieder wurden [54] sie von dem einen Maschinengewehr erstickt, von einem einzigen, kaltblütig bedienten Maschinengewehr!

Endlich, nachdem er Hunderte von Toten und Verwundeten verloren hatte, gab der Feind alle weiteren Versuche auf und kehrte in seine Ausgangsstellung zurück.

Da fand die kleine Maschine auf der Punta dei Bois ihre verdiente Ruhe. Sie zischte und dampfte noch lange von der übergroßen Anstrengung und ihr heißes Kühlwasser tropfte auf das Gestein. —

Auf das Gelände unserer Stellung fiel der erste zarte Neuschnee.

Er schmiegte sich jeder Bodenfalte und jeder Form der Felsen wunderbar an, glättete alles Rauhe und zeigte uns diese zackige Bergwelt in einer neuen Schönheit. Dabei half ihm der Vollmond, dessen Zauberlicht über der gleißenden Decke allnächtlich heimliche Märchen spann.

Das war uns nach den langen, entbehrungsreichen Wochen eine wohltuende Erfrischung und unsere Liebe zu den Bergen wurde inniger und größer.

Auch unsere Unterstände wurden allmählich wohnlicher. Mit der Zeit kamen einige Rollen Dachpappe, hin und wieder ein paar Bretter und schließlich sogar kleine eiserne Öfen über die Fanes-Scharte.

Da wir selbst am Ausbau unserer Stellungen vollauf zu tun hatten, stand uns ein kleiner Bautrupp zur Verfügung. Der kam jede Nacht herauf und errichtete die Steinwände der neuen Hütten.

So wurden unsere Unterschlupfe bald geräumiger, wärmer und wetterfester, wenn sie auch immer noch äußerst notdürftig blieben.

Für meinen Feldwebel und mich ließ ich im Schutze eines gewaltigen Felsblockes ein mannshohes Haus erbauen. Obwohl es in der vordersten Linie der Stellung lag, konnte ihm kein feindliches Feuer etwas anhaben, denn der 6 m hohe Block schützte es von zwei Seiten und neigte sich noch ein wenig darüber. Fenster und Türen wurden, so gut es ging, mit Zeltbahnen abgedichtet. Zwar gelang es uns nicht, des Windes, der immer wieder neue Ritzen fand, Herr zu werden, aber wenn am Nachmittag unser Öfchen brummte und glühte und den Rauch sorglos gen Himmel blies, dann war's in seiner Nahe auch ohne Mäntel und Handschuhe ganz behaglich. Diesem Luxus durften wir uns aber, des kostbaren Brennmaterials wegen, nur einmal am Tage hingeben, und auch dann nur kurze Zeit.

Unsere Hilfsmittel im Kampf gegen die Unbilden des Wetters mehrten sich und das Bewußtsein, daß wir's noch lange hier aushalten könnten, wuchs mit der Freude an der immer herrlicher und gewaltiger sich gestaltenden Natur unserer Umgebung.

Daher war uns die Nachricht, daß wir in den nächsten Tagen abgelöst würden, dieses Mal wenig willkommen.

Der Befehl dazu folgte ihr bald. Wir übergaben die Stellung wieder den bayrischen Jägern, von denen wir sie fünf Wochen vorher übernommen hatten.

[55] Als wir auf dem Rückweg zu der schneebedeckten Fanes-Scharte hinaufstiegen, war's tiefe Nacht. Auf unserer langen, unter dem schweren Gepäck mühsam kletternden Reihe lastete ein Schweigen, wie ich es nach einer Ablösung aus der vordersten Stellung nie wieder erlebt habe.

Am nächsten Vormittag erreichten wir das kleine Bergdorf, in dessen freundlichen Häusern wir ausruhen sollten.

 
II. Der Fall der Tofana di Roces, 3225 m

Bei einbrechender Dunkelheit des 17. September 1915 machte ich mich mit 9 Jägern auf den gewohnten Weg, den beschwerlichen Klettersteig über die Felsterrassen hinauf, um die Gipfelbesatzung der Tofana I (Abb. 46, 47 u. 49) auf 3225 m Höhe abzulösen. Wie immer blieben 3 Mann halbwegs bei einer kleinen Felsenhöhle zurück, 3 auf dem Vorgipfel und die letzten 3 nisteten sich auf dem Hauptgipfel ein. Die abgelöste Mannschaft stieg noch in der gleichen Nacht ins Travenanzestal ab. Ich verblieb auf dem Posten auf dem Vorgipfel. Der Rest der Nacht verlief ruhig.

Flugzeugaufnahme eines italienischen Lagers.
[zwischen S. 128 u. 129]      Abb. 87: Flugzeugaufnahme eines italienischen Lagers
auf dem Vallèspaß, 2036 m, in den Dolomiten.

Am 18. gegen 9 Uhr vormittags lag starkes konzentrisches Geschützfeuer auf der ganzen Tofanakuppe. Die Gipfelbesatzung zog sich in eine etwa10 Meter tiefer gelegene Felsnische zurück, die wir erst kürzlich ausgehauen hatten, um bei den täglichen Feuerüberfällen einigermaßen vor der verheerenden Wirkung der Gesteinsplitter geschützt zu sein. Während dieser Artillerievorbereitung stiegen etwa 20 Alpini auf der anderen Seite der Bergkuppe bis zur Gratkante kurz unterhalb dem Gipfel auf. Erwähnen möchte ich, daß die Ersteigung der Tofana I von der italienischen Seite viel leichter ist als über unsere noch dazu feindoffene Zugangsroute. Nach einer Stunde, gegen 10 Uhr vormittags, hörte das Artilleriefeuer plötzlich auf und im Nu hatten die Italiener den Gipfel besetzt. Mit knapper Not erreichten die 3 Mann Besatzung, über das Schneefeld abfahrend, den Vorgipfel. Die ihnen nachgejagten Schüsse verwundeten einen Jäger.

Nun hieß es mit 6 Mann den Vorgipfel bis zum äußersten halten. Die Alpini versuchten im Laufe des 19. verschiedentlich vom Hauptgipfel aus mit Unterstützung durch ein Maschinengewehr uns vom Vorgipfel zu vertreiben. Doch gelang es uns, ihre Versuche abzuschlagen. Hierbei wurde wieder ein Jäger verwundet. Als die Italiener das Aussichtslose ihres Unternehmens sahen, zogen sie sich unter Zurücklassung von 4 Toten außer Schußbereich zurück.

Nach Einbruch der Dunkelheit schickte ich die beiden Verwundeten mit der Meldung über die äußerst kritische Lage ins Tal hinab. Kurz darauf gingen die Alpini zum zweiten Male zum Angriff vor. Wir ließen sie ruhig bis ans Schneefeld vorkommen und empfingen sie, sobald sie dieses betreten hatten mit gut gezieltem Gewehrfeuer. Auf dem [56] hellen Firn boten sie trotz der dunklen Nacht ein ausgezeichnetes Ziel. Auch dieser Vorstoß wurde abgeschlagen, aber wieder schied ein verwundeter Jäger aus. Jetzt waren wir nur noch zu viert. Unsere Munition wurde schon ziemlich knapp und Verstärkung konnte frühestens in der nächsten Nacht heraufkommen. Also hieß es durchhalten. Vorerst waren alle Angriffe glücklich abgeschlagen und es war nicht anzunehmen, daß der Italiener in dieser Nacht nochmals etwas unternehmen würde.

Im Morgengrauen des 20. versuchten die Alpini mit anerkennenswertem Schneid und Zähigkeit wieder herabzustoßen, doch scheiterte ihr Unternehmen in unserem Feuer. Jetzt war aber unsere Munition am Ende. Trotzdem glaubten wir nichts befürchten zu brauchen, denn untertags würde der Italiener keinen neuen Versuch wagen, und in der Nacht mußte unsere Verstärkung heran sein.

Allein der Feind ließ die kostbare Zeit nicht ungenützt. Begünstigt durch seine leichteren Aufstiegsverhältnisse zog er rasch von der Punta Marietta frische Kräfte nach. Den ganzen Tag über wurden wir jetzt mit 2 Maschinengewehren beschossen, die uns jede Bewegungsfreiheit nahmen, so daß wir uns, ohne uns rühren zu können, halb erstarrt vor Kälte hinter Felsblöcken versteckt halten mußten. Als es dunkelte, gingen die Italiener abermals zum Angriffe vor, diesmal in einer Stärke von 60 bis 70 Mann. Unsere Lage wurde von Minute zu Minute brenzlicher. Wohl zwei Stunden hielten wir uns den Feind vom Leibe. Die knappe Munition zwang uns, nur dann zu schießen, wenn ein Italiener bei Betreten des Schneefeldes ein gutes Ziel bot. Bald war unsere letzte Patrone verschossen und damit unser Schicksal besiegelt.

Plötzlich bemerkte ich, daß es den Alpini im einsetzenden Schneetreiben gelungen war, das Firnfeld zu umgehen und uns von der Flanke anzugreifen. Jetzt war unsere Stellung unhaltbar geworden. Bis auf 30 Meter ließen wir die sich heranschleichenden Angreifer nahekommen, dann warfen wir ihnen Handgranaten entgegen. Hierauf mußten wir der Übermacht das Feld räumen. Wir stiegen zum Posten bei der Felshöhle hinunter. Dort trafen wir drei vom Tal inzwischen heraufgekommene Jäger in stark erschöpftem Zustande an. Sie meldeten, daß die Verstärkung zwar unterwegs sei, aber bei dem herrschenden Schneesturm nicht mehr vorwärtskommen könnte.

Unsere Lage wurde verzweiflungsvoll. Keine Hoffnung auf Unterstützung, seit Tagen ohne Verbindung mit dem österreichischen Patrouillenkommando, ohne Nachschub an Munition und Verpflegung. Dabei 30 Meter über uns die zögernd gefolgten Italiener, die allerdings den Abstieg zu uns herunter nicht wagten, da dieser nur durch einen etwa 12 Meter hohen Kamin möglich war, den unsere Gewehre sperrten. Der Schneesturm tobte immer wütender, Hunger und eine unerträgliche Kälte machten sich immer fühlbarer. Es war eine furchtbare Nacht, der ein ebenso schlimmer Tag folgte. Dicht gedrängt suchten wir zehn abwechselnd in der Höhle einigermaßen Schutz vor dem Toben des Unwetters.

Und noch zwei Tage und zwei Nächte hielten wir aus, halbverhungert und zu Tode [57] erschöpft, dann waren wir am Ende unserer Kräfte. Bei dem hohen Schneefall und der Vereisung war an eine Verstärkung nicht mehr zu denken. Unter der Wucht der zwingenden Notwendigkeit entschloß ich mich, um die Besatzung durch eine Gefangennahme nicht unnütz zu opfern, zur Räumung der Stellung. So kletterten wir denn im tiefen Neuschnee unter größter Anstrengung, wobei die erstarrten Hände die vereisten Felsgriffe kaum mehr fassen konnten, ins Tal hinunter.

Die Tofana war verloren.

Lange sollten sich die Italiener ihres Vorteils nicht erfreuen. Nach weiteren zwei Tagen mußten auch sie den Gipfel wieder aufgeben, da es der frühzeitig hereingebrochene Winter unmöglich machte, die 3225 m hohe Kuppe durch einen dauernden Posten besetzt zu halten.






Front in Fels und Eis
Der Weltkrieg im Hochgebirge

Gunther Langes