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Nr. 15:

Erklärung des Britischen Unterstaatssekretärs für die Luftfahrt Sir Philip Sassoon im Unterhaus, 8. März 1934
(Auszug)

... Ich habe das Gefühl, heute nachmittag vor einer durchaus nicht leichten Aufgabe zu stehen. Wie ich weiß, gibt es in diesem Hause zwei diametral entgegengesetzte Richtungen, die mit viel Ernsthaftigkeit und Nachdruck verschiedene Ansichten über die Frage der bewaffneten Macht im allgemeinen und der Royal Air Force im besonderen vertreten. Vielleicht weichen die Ansichten der beiden Richtungen augenblicklich schärfer als je voneinander ab. Auf der einen Seite stehen die, die in der Luftwaffe eine unmittelbare, nahe Gefahr für das Weiterbestehen unserer heutigen Zivilisation sehen und denen es am liebsten wäre, wenn überhaupt alle Militärflugzeuge verschwinden würden. Auf der anderen Seite stehen die, die die Vorsorge, die Seiner Majestät Regierung für die Luftverteidigung dieser Insel getroffen hat, völlig unzureichend finden und die eine sofortige starke Vermehrung unserer Militärflugzeuge wünschen... Ich hoffe, daß es mir gelingen wird, die gemäßigte Gruppe, die die Stütze des Hauses ist, davon zu überzeugen, daß die Regierung unter äußerst schwierigen und heiklen Verhältnissen vernünftig und richtig verfährt. Gelingt mir das, so will ich sehr zufrieden sein...

Im vergangenen Jahr habe ich darzulegen versucht, welche riesigen Möglichkeiten die Luftmacht, obgleich sie eine der schrecklichsten Kriegswaffen ist, auch als Werkzeug des Friedens bietet. Mein Lohn dafür war der gleiche, wie er vielen Menschen zuteil wird, die etwas, was wenige Jahre später schon zu einem Gemeinplatz geworden ist, zu einer Zeit befürworten, wo es noch paradox erscheint. Diejenigen, die anderer Meinung waren, versuchten, mein Argument ins Lächerliche zu ziehen und ihm dadurch den Wind aus den Segeln zu nehmen. Und doch bringt jedes Jahr neue Beispiele für die Wahrheit dessen, was ich gesagt habe. Denn daß die Royal Air Force Heuschrecken bekämpft, wollene Decken abwirft, gefährdete Zivilpersonen evakuiert oder Kranken und Verletzten ärztliche Hilfe bringt, ist ja nicht ihr einziges Friedenswerk, obgleich die Liste dieser menschenfreundlichen Betätigungsarten lang ist. Bei der Errichtung der Herrschaft des Rechts und beim Schutz von Leben, Freiheit und Gut der Untertanen an den Grenzen des Weltreichs geht der Polizist mit dem Philanthropen Hand in Hand.

Vielleicht wird das Haus mir gestatten, zur Erläuterung meiner Ausführungen ein paar typische Fälle anzuführen, die kürzlich vorgekommen sind. Vor wenigen Wochen wurde das Gebiet eines Stammes weit im Hinterland von Aden, der dem Namen nach unter unserem Schutz steht, von Angehörigen eines feindlichen Stammes überrannt, die von jenseits der Grenze kamen. Geiseln wurden genommen, es wurde geplündert, und es schien die Gefahr zu bestehen, daß es zu einem Regime der Unterdrückung von außen her kommen könnte, wie es vor dem Beginn der Luftkontrolle in einem großen Teil des Schutzgebiets bestanden hatte. Es wurde eine strenge Warnung erlassen, daß, wenn die Geiseln und die Beute nicht zurückgegeben würden und nicht sofort jegliche Belästigung aufhörte, Strafmaßnahmen aus der Luft gegen [39] die Grenzforts der Friedensstörer ergriffen werden würden. Die Warnung führte in denkbar kürzester Zeit zu einem völlig zufriedenstellenden Ergebnis. Beute und Geiseln wurden zurückgegeben und alle Angriffe hörten auf, und zwar ohne daß ein einziger Schuß abgefeuert oder eine einzige Bombe abgeworfen worden wäre, und ohne alle Verluste. Ein zweiter Fall erinnert einen an den Kampf, der durch das Buch Alice through the Looking Glass unsterblich geworden ist. Einige unserer Flugzeuge kamen von einem gewöhnlichen Dienstflug zurück, als sie unter sich Stammeskämpfe im vollen Gange sahen. Ein starker Stamm von jenseits der Grenze hatte soeben einen Angriff auf einen unserem Schutz unterstehenden Stamm begonnen, als unsere Flugzeuge durch einen glücklichen Zufall auf der Bildfläche erschienen. Beim bloßen Anblick des Polizisten - der, wie sie meinten, auf wunderbare Weise in noch kürzerer Frist als gewöhnlich herbeizitiert worden war - brachen die Angreifer den Kampf ab und zerstreuten sich schleunigst. Wer seinen Lewis Carroll gelesen hat, wird sich gewiß noch daran erinnern, wie Tweedledum und Tweedledee beschlossen, sich eine Schlacht zu liefern, und wie dann plötzlich ein Ungetüm von einem Vogel hinzukam und beide Helden so in Schrecken versetzte, daß sie ihren Streit ganz darüber vergaßen. In diesem Fall war die Wirklichkeit sogar noch besser als das Märchen, denn nur die Bösen wurden durch den Schreck zur Tugend zurückgeführt.

Fälle wie diese, die an allen unseren Grenzen häufig vorkommen, waren der Anlaß dazu, daß Seiner Majestät Regierung darauf bestand, daß der Bombenabwurf aus der Luft zu polizeilichen Zwecken in entlegenen Bezirken von einem etwaigen allgemeinen Verbot der Luftbombardierung ausgenommen werden soll. Das Abwerfen von Bomben ist schließlich erst das letzte Stadium des polizeilichen Vorgehens, und in den meisten Fällen ist der Friede bald hergestellt, ohne daß überhaupt Gewalt gebraucht wird. Der Gummiknüppel des Polizisten tritt ja auch nur selten in Aktion, und meist genügt es, einfach zu sagen: "Weitergehen!" So hat sich z. B. in einem Fall eine Ansprache aus der Luft durch Lautsprecher - oder vielleicht müßte ich sagen: durch Sehr-Laut-Sprecher - als besonders wirksam erwiesen. Versagt dies, so werden die Friedensstörer auf den Gummiknüppel noch besonders aufmerksam gemacht, ehe er wirklich in Aktion tritt. Mit anderen Worten, wir werfen zunächst zur Warnung blinde Bomben ab. Erst wenn alle diese einleitenden Maßnahmen nicht zu dem gewünschten Ergebnis geführt haben, werden wirklich scharfe Bomben abgeworfen. Im Lauf des letzten Jahres hatte ich Gelegenheit, eine Statistik darüber aufzustellen, wie durch den Einsatz von Luftstreitkräften der "Blutpreis" gesunken und fast ganz weggefallen ist, mit dem wir vor der Zuziehung von Luftstreitkräften einen ungewissen Frieden an den Grenzen unseres Weltreichs in der Regel bezahlen mußten. Ich will das Haus nicht mit Zahlen langweilen, die allen zugänglich und den meisten bekannt sind, aber ich halte es in Anbetracht dieser Zahlen für undenkbar, daß wir nach den Erfahrungen, die wir mit den neuen Methoden gemacht haben, auf die alten zurückkommen. Wenn wir das täten, so könnte es nur ungeheure Opfer von Menschenleben auf beiden Seiten mit sich bringen - bei uns selbst nicht minder als beim Feinde. Gerade die Menschlichkeit fordert, daß wir, wenn das neue Werkzeug sich zehn Jahre lang als wirksam und human erwiesen hat, es nicht leichtfertig fortwerfen...

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Dokumente über die Alleinschuld Englands
am Bombenkrieg gegen die Zivilbevölkerung

Hg. vom Auswärtigen Amt