SucheScriptoriumBuchversandArchiv IndexSponsor

[818]
Süddeutschland - Eberhard Lutze

Streifzug durch Schwaben

"Aufrichtig und gradraus, guatmütig bis dort naus, wenn's sei muaß au saugrob, so ischt d'r Schwôb." Mit diesem Satz August Reiffs hat sich schwäbisches Volkstum selbst sprichwörtlich charakterisiert. Es ist stolz auf seine Eigenart, deren Grundzug Einfachheit und Geradheit, auf sich selbst gestellter, bis zur "Dickköpfigkeit" führender Eigensinn, schwerblütige fromme Besinnlichkeit und dabei ausgesprochener Unternehmungsgeist und schweifende Wanderlust sind. Merkwürdig widerspruchsvoll spiegelt sich schwäbische Art in dem Urteil der anderen deutschen Stämme. Auf der einen Seite hat die Auswanderung unzähliger Schwaben aus der zu eng gewordenen, ackerbautreibenden Heimat im vorigen Jahrhundert diese hart zupackenden Menschen der Arbeit in alle Welt verschlagen, andererseits sind die Sieben Schwaben, die mit der Lanze ausziehen und ein Häslein bejagen, sind das Schwabenalter, die dem Hochdeutschen fernliegende, rauhe alemannische und schwäbische Sprache beliebte Gegenstände hänselnder Neckerei für alle übrigen Stämme. Mag dies alles im besonderen auf die Bewohner der alten Grafschaft Württemberg abzielen, so hat doch vielleicht die landschaftliche Zersplitterung der von den Schwaben bewohnten Gaue zur Herausbildung besonders hart gezeichneter Charaktere und "Originale" ihr Teil beigetragen. Auf keinen Stamm aber kann man die für uns Deutsche geprägte Charakterisierung als ein Volk der Dichter und Denker mit so viel Recht übertragen wie auf das schwäbische Volk.

Marbach, Neckar. Schillers Geburtsstadt.
[777]      Marbach (Neckar). Schillers Geburtsstadt.

Hat eine Landschaft erhabenere Dichter als Söhne aufzuweisen wie die schwäbischen Neckargaue, wo Friedrich Schiller und Friedrich Hölderlin das Licht der Welt erblickten, deren Art und Menschen Ludwig Uhland und Eduard Mörike besungen, die uns die philosophischen Denker Hegel und Schelling schenkte, den genialen Paracelsus, den bahnbrechenden Astronomen Kepler, den Entdecker des Gesetzes von der Erhaltung der Kraft Robert Mayer, den tragisch unverstandenen leidenschaftlichen Vorkämpfer des deutschen Eisenbahnwesens und Zollschutzes Friedrich List? "Das schwäbische Volk, das trotz aller Absonderung und aller scheckigen Vielheit und aller Zurückstauung der Kräfte etwas Eigenständiges und Einmaliges blieb mit einheitlicher geistiger Tracht, mit einem gemeinsamen Lebensstil und vielen wertvollen Anlagen, hat in der Enge und Begrenzung des äußeren Raumes und der Mittel, in dem eigenwilligen Festhalten am alten Kopf und Zopf für seinen lebendigen Geist eine besondere Fähigkeit zur Vertiefung und Verinnerlichung sich erworben. Sie ist wohl oft wunderlich diese schwäbische Sinniererei in religiösen, philosophischen, künstlerischen, auch in wirtschaftlichen Dingen, aber sie hat die Welt oft genug mit einem tüchtigen Kopf, einer meisterlichen Hand, einer besonderen Leistung überrascht und ihren vollwertigen Beitrag zur deutschen Kultur gebracht" (B. Eberl).

Ochsenhausen (Oberschwaben).
[801]      Ochsenhausen (Oberschwaben).

Kein Beispiel für die zähe Willenskraft der Schwaben kann schlagender sein als ihre Umstellung auf die Industrie, die sich im letzten Menschenalter voll- [819] zogen hat. Während noch 1890 fast zwei Drittel der Bevölkerung in der Landwirtschaft ihr Brot fanden, ist die Mehrzahl heute verstädtert, aber in einem Sinne, der die Industriearbeiter fest mit ihrem Boden verwurzelt ließ. So gibt es in Niederschwaben Industriedörfer mit stadtartigem Charakter, oder Industriestädte blicken auf eine sprunghafte Entwicklung aus dem Dorf des 19. Jahrhunderts zurück. Wesentliche Bodenschätze fehlen. So fährt die Arbeiterschaft vielerorts aus ziemlich entfernt liegenden ländlichen Wohnorten zur Arbeitsstätte. Feinindustrie macht den Hauptteil der schwäbischen Fabrikation aus, wobei unentschieden bleiben mag, ob das Fehlen bodenständiger Gewerbe und jeder Schwerindustrie eher aus der handwerklichen, erfinderischen Begabung der Bevölkerung oder aus dem Mangel an Kohle und Rohstoff zu erklären ist.

Die sprichwörtlich bekannte Uhrmacherei im Schwarzwalde, deren Anfänge auf ein paar Schwarzwälder Glasträger zurückgehen, die im 17. Jahrhundert die erste Wanduhr mit heimbrachten, dieses in Heimarbeit ausgeübte Gewerbe beschränkt sich heute nur noch auf wenige Kleinmeister im Gebirge. Dank der Industrialisierung durch Erhard Junghans (gestorben 1870) jedoch haben heute Schramberg und Schwenningen als Uhrenstädte Weltruf erlangt. In Schramberg werden jährlich 3 Millionen Uhren hergestellt. In eine arme Heimarbeitergegend ist damit Wohlhabenheit eingezogen. Umgekehrt hat natürlich der Mittelpunkt der Landeshauptstadt die Industrie begünstigt. Die Baumwollspinnerei und ‑weberei, die Leinenfabrikation - auch sie einst im Haus- und Handbetrieb hergestellt - ist heute weltberühmt. Der Anfang: der Stuttgarter Kaufmann Karl Bockshammer brachte heimlich aus England eine Spinnmaschine mit nach Hause. Die 1810 von ihm in Berg eingerichtete erste mechanische Spinnerei legte den Grund zu der bis in unsere Tage ständig aufblühenden schwäbischen Textilindustrie. Fast alle anderen Industriezweige in Schwaben bauen sich gleichfalls auf der Erfindertat einzelner schwäbischer Männer auf. Der Pfarrer Matthäus Hahn begründete die Feinmechanik. Emil Keßler begann Eßlingens Maschinenindustrie groß zu machen. Die Lokomotivfabrikation steht in den Eßlinger Werken obenan. Wilhelm

Geislingen an der Steige. Kornhaus.
[778]      Geislingen an der Steige. Kornhaus.
Mauser ist der Begründer der Oberndorfer Gewehrfabrik. Gottlieb Daimlers Erfindung des Gasmotors lebt in den Cannstätter Daimler-Benz-Werken fort, deren Mercedes-Benz-Wagen die deutschen Farben überall in der Welt siegreich und unerreicht vertreten. Robert Boschs in Stuttgart gelungene Erfindung des elektromagnetischen Zünders ist untrennbar mit dem Aufschwung der deutschen Automobilmarken verbunden. Die Bosch-Werke, die 1894 eine Belegschaft von 50 Mann beschäftigten, hatten bereits vor dem Kriege fünftausend Arbeiter! Auch die Württembergische Metallwarenfabrik in Geislingen an der Steige - wer kennt nicht auch in den Haushalten des Auslandes ihre Spitzenleistungen! - ist, ebenso wie das Eßlinger Werk, die Gründung eines weitblickenden schwäbischen Unternehmers. Das verwandte Gewerbe der Edelmetallindustrie steht gleichfalls in Schwaben in schöner Blüte.

Schwäbisch-Gmünd.
[783]      Schwäbisch-Gmünd.

Nach dem badischen Pforzheim ist Schwäbisch-Gmünd die führende deutsche Gold- [820] schmiedestadt. Die Herstellung von Silberarbeiten nimmt einen wichtigen Platz in der Industrie von Heilbronn ein, das in lebhaftem Aufblühen begriffen ist. Der Anschluß an Württemberg ist dieser Stadt zweifellos zum Segen ausgeschlagen. Der Neckarhafen ist ein Umschlagsplatz erster Ordnung, der der nachmittelalterliche Erbe der Handelsstadt Ulm geworden ist. Heilbronn wird durch die ihrer Vollendung entgegengehende Neckarregulierung noch weiter als Handelsstadt gewinnen. Ist es doch schon heute "das Einfallstor des Kolonialwarenhandels".

Schwäbisch-Hall.
[782]      Schwäbisch-Hall.

Komburg bei Schwäbisch-Hall.
[770]      Komburg (bei Schwäbisch-Hall).
Eine der wenigen der Ergiebigkeit des Bodens verdankte Fabrikation in Schwaben ist die Salzgewinnung. "Der Ertrag der württembergischen Salzbergwerke Kochendorf und Heilbronn und der Salinen Friedrichshall und Clemenshall bei Jagstfeld, Wilhelmshall bei Rottweil beträgt etwa eine halbe Million Tonnen im Jahr, rund 4 Zentner auf den Kopf der württembergischen Bevölkerung" (R. Gradmann). Schon früh hat die auf dem rechten Kocherufer entspringende Salzquelle Schwäbisch-Hall berühmt gemacht. Zwar wird heute Haller Salz nicht mehr gehandelt, aber als Solbad zieht die Stadt noch immer Segen aus dem "Salz der Erde". Überhaupt dürfte Schwaben einen nicht unwesentlichen Teil seines Fremdenverkehrs den vielen Mineralquellen verdanken, die seinem Boden entsprudeln. Das "schwäbische Karlsbad" ist Mergentheim, dessen Karlsquelle schon - nach Funden zu schließen - in urgeschichtlicher Zeit Opfer- und Dankesgaben erhalten hat, dessen Bekanntwerden als Bad aber erst mit dem Jahre 1826 beginnt, als dem Gemeindeschäfer der Deutschordensstadt in der Nähe des Taubergrundes der schönste Schwabenstreich seines Lebens gelang. Er bemerkte eine brodelnde Quelle, zu der seine Schafe sich gierig drängten und deren Wasser die Kraft hatte, seine kranken Tiere gesund zu machen. Den klugen Schafen und dem wackeren Schäfer, der seine Wunderquelle auf dem Rathaus meldete, ist es zu danken, daß das Mergentheimer Bitterwasser seither Tausenden von Kurgästen ihr Gallen-, Leber- oder Magenleiden gelindert hat...

Die Neckargaue, sind das Land der Straßen und Raine, Gärten und Hänge überziehenden Obstwälder. Diese können geradezu als Wahrzeichen der niederschwäbischen Kulturlandschaft gelten. Wer wüßte nicht das Schwarzwälder Kirschwasser zu schätzen? Und wer wüßte im Schwabenlande nicht den schwäbischen Volkstrunk des "Moschtes" zu loben, der beim Vespern eine gleich wichtige Rolle spielt wie die über alles geliebten "Schpätzle" zu den Hauptmahlzeiten? Die Liebe zu diesem in unglaublichen Mengen vertilgten Getränk ist so groß, daß sogar noch Obst eingeführt werden muß, andererseits auf die Zucht veredelter Sorten wenig Wert gelegt wird. Früher ist offenbar der Württemberger Landwein ausschließliches Volksgetränk gewesen. Viele ehedem mit Reben bestockte Hänge hat sich der lohnendere Obstbaum erobert. Die Neckarhänge jedoch sind nach wie vor von Rebengärten überzogen. Der rote, weiße und Schiller-Landwein ist so süffig, daß er im Lande selbst ausgetrunken wird. Einst gab es in den württembergischen Kanzleien eigens Suppen-, Schlaf- und Untertränke, deren Genuß die Räte und "Schreibersknechte" [821] zu um so emsigerer Arbeit ermuntern sollte! Bei solcher Anteilnahme des Staates ist es kein Zufall, daß die älteste deutsche staatliche Weinbauschule in Weinsberg ihren Sitz hat. Wandert nur einmal den schönen Neckar entlang und vergeßt seine reizenden Nebentäler nicht: ihr werdet den "Neckarwein vor anderen Weinen, sonderlich in heißen Zeiten, anmutig und berühmt" finden! "Pfui Teufel, ischt des guat!" lobt wohl der Schwabe seinen Schoppen.

Der Neckar bei Hornegg.
[779]      Der Neckar bei Hornegg.

Altes Volksgut ist in der kleidsamen Betzinger Volkstracht des Oberamtes Reutlingen und den Fastnachtsbräuchen der Baar lebendig, in der Gegend um Villingen und Rottweil. In klaren altdeutschen Farben auf schwarzem und weißem Grunde leuchtet diese Tracht, die nach protestantischem Brauch eine schwarze Braut und farbige Brautjungfern vorsieht, deren festliche Gemeinsamkeit in niedlichen "Schäpeln" und in Granatschmuck besteht. Ist im schwäbischen Trachtengebiet die Männertracht verschwunden, so bestreitet der Mann ausschließlich die Vermummung, die bei der "Fasnet" seit dem 14. Jahrhundert Brauch ist. In mannigfacher Abwandlung setzt der Narrensprung die vor Vergnügen johlende Bevölkerung in den altertümlichen Straßen in Bewegung. In Rottweil trägt der "Gschellnarr" an sechs Ledergurten 48 bis 56 geschmiedete Rundglocken und als Attribut eine mit Sägemehl gefüllte Leberwurst. Die fratzenhafte "Biß"larve, die anmutigere "Glatt"larve geben den grotesken Gestalten ein dämonisches Ansehen. Das "Fransenkleidle", der auf Stelzen über den Köpfen der Menge stolzierende "Federehannes", der "Schandle" und das von zwei Treibern zu mutwilligen Sprüngen gereizte "Brieler Rößle", damit ist eine ausgelassene, bunte Gesellschaft beieinander, die im rhythmischen Hüpfen des Narrensprunges, bei dem Rasseln der Schellengeläute und dem Gröhlen des Narroverses begeisterten Widerhall findet. Barocker Witz, Jahrhunderte alte Formen, unbeirrt um modische Strömungen feiern alljährlich fröhliche Auferstehung, wenn am Dreikönigstag "das Gschell gerührt wird, indem die Abstauber umhergehen, die Narrenrequisiten feierlich abstauben und leise die Glocken des Gschells erklingen lassen".

Entgegen den althergebrachten Fastnachtssitten wird das Cannstätter Volksfest - ähnlich dem Münchener Oktoberfest - in Verbindung mit einer landwirtschaftlichen Ausstellung erst seit 1818 alljährlich im September gefeiert.

Ulm. Das Münster, 14.-15. Jahrhundert.
[806]      Ulm. Das Münster (14.-15. Jahrh.)
Ein ewiges Denkmal hat sich das Schwabentum in den Städten errichtet, die seinen Lebensraum durchsetzen. Es klingt etwas von dem weitblickenden Unternehmergeist in den Plänen, Straßen und Häusern, in den Kirchen der schwäbischen Stadt, von dem die Wirtschaftsgeschichte Zeugnis ablegt. Ulm und Augsburg sind die beiden Pole, die den schwäbisch-bayerischen Korridor zwischen Iller und Lech flankieren. Ulm, am Einfluß der Iller und Blau in die schiffbar werdende Donau gelegen, hat sich zur zweitgrößten Stadt Württembergs entwickelt. Die gute Verkehrslage - nach Norden mit dem Geißlinger Albübergang, im Süden mit den Paßstraßen nach Italien - hat Ulmer Barchent nach überall vermittelt, und "Ulmer Geld ging durch alle Welt". Ihre höchste Blüte hat die Reichsstadt um die Wende des 14. zum 15. Jahrhundert erlebt; unverändert blieb ihre Bedeutung als Festung und Garnisonstadt bis in unsere [822] Tage, in denen dank der Beseitigung der inneren Festungswerke ein lebhafter industrieller Aufschwung da ist (Neu-Ulm). Die Altstadt aber ist gotisch und winklig, mit Flußarmen, Geschlechterhäusern, malerisch träumenden Plätzen und plätschernden Brunnen. Über Geschichte und Gegenwart, als das Monument der Stadt, reckt sich der Münsterbau über die Dächer, das gewaltigste Denkmal, das je eine altdeutsche Bürgerschaft sich zur Ehre des Höchsten zu errichten wagte. Alles andere trat hinter dieser Bauaufgabe zurück, an die Jahrhunderte ihre beste Kraft gaben. 1377 begannen die Ulmer das Werk, 1890 setzten Söhne desselben schwäbischen Volkes die Kreuzblume auf den 162 Meter hohen, den höchsten Kirchturm der Christenheit.

Waldenburg, Württemberg.
[781]      Waldenburg (Württemberg).

Das goldene Augsburg ist die Stadt der Renaissance. Dem Stadtbilde fehlt die beherrschende Mitte. Zwischen dem Dom und der Stiftskirche St. Ulrich und Afra wogt über die festlich breite, von renaissancehaften Monumentalbrunnen gegliederte Maximiliansstraße das Augsburger Leben der Vergangenheit und der Gegenwart. Mitten inne liegt das Rathaus mit dem Perlachturm, als das Herz der Stadt. Der Stadtbaumeister Elias Holl hat Augsburg seine eigentliche Gestalt geschenkt. Sein ernstes, steil wachsendes Rathaus ist ein wuchtiges Denkmal für das Machtbewußtsein der Stadt, in der die Kaufmannsgeschlechter der Fugger und Welser die Brücke schlugen vom Meer im Norden zu der Handelsmetropole Venedig, deren prachtentfaltende Finanzkraft kaiserliche Gäste beschämte, wo die glänzenden Geister des Humanismus sich mit den Meistern des Pinsels Hans Burgkmair und Hans Holbein fanden zu einer Geistigkeit, der nirgendwo in Deutschland so die Bezeichnung "deutsche Renaissance" gebührt wie in dem Erbe der alten Römerstadt Augusta Vindelicorum. Klassische Atmosphäre beruhigter Harmonie schwingt um die Gestalt dieser sachlich kühlen, aber großzügigen Stadt. Weite Ebene umgibt die türmereiche Anlage auf dem Brühl inmitten von Lech und Wertach. Elias Holls Baumeistertat gibt dem Formgesetz der Augsburger Stadtgestalt seinen Mittelpunkt. Er ist der erste Stadtbaumeister in modernem Sinne gewesen. Seine Leistung hat Schule gemacht: die kleine Reichsstadt Memmingen ist eine Miniaturausgabe Augsburgs. Und während nach südländischem Muster die mit bemalten Schauseiten geschmückten Patrizierhäuser erstanden, wuchs

Augsburg. Die Fuggerei.
[808]      Augsburg. Die Fuggerei,
die erste Kleinsiedlung der Welt,
1591 für bedürftige alte Leute
von den Brüdern Fugger gestiftet.
gleichzeitig die Webersiedlung der Fuggerei, die erste bahnbrechende, aus sozialer Verantwortung des Brotherrn gebaute Mustersiedlung. Sie tut noch heute ihren Dienst; mit einem Sprung stehen wir aus der Geschichte in der Gegenwart. Neben der immer noch rührigen Textilindustrie steht der Maschinenbau. Die drei Buchstaben MAN (Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg) tragen den Ruf des modernen Augsburg ebensoweit wie einst der Handel.

Atmet die schwäbische Stadt dank ihrer untersetzten Steinputzhäuser und behäbigen Straßen im allgemeinen ruhige Stille, so gibt es in den Grenzbezirken deutliche Einwirkungen aus Franken und Bayern. Da sind die malerischen Anlagen von Wimpfen, Backnang und Hall, die schönen Fachwerk-Rathäuser von Markgröningen und Besigheim. Da reihen sich an der [823] Donau die stillen, von Weihrauch und bäuerlichem Leben erfüllten Kleinstädte des bayerischen Schwaben.

    "Wer in Gundelfingen keinen Holzwagen,
    In Lauingen keinen Mistwagen sieht
    Und in Dillingen hört kein Glockenläuten,
    Der kommt zu seltsamen Zeiten"
geht ein Spruch.

Universitätsstadt Tübingen.
[803]      Universitätsstadt Tübingen.

Die Wurmlinger Kapelle bei Tübingen.
[804]      Die Wurmlinger Kapelle bei Tübingen.

Weingarten. Die Klosterkirche.
[805]      Weingarten. Die Klosterkirche.
Die gemütlichste Stadt Niederschwabens ist Tübingen. Ihr Ruhm blüht aus der Landesuniversität, die Eberhard der Rauschebart in der beschaulichen Weingärtnerstadt 1477 gegründet hat. Die Universität und das Tübinger Stift sind der geistige Mittelpunkt Württembergs, von wo Tausende von anhänglichen alten Studenten den Ruhm dieser schönen, tälerbeherrschenden Stadt ins Reich hinaustrugen.

Auf Schritt und Tritt begegnet man den Stätten der Dichter und Denker, die auf dem Tübinger Dichterfriedhof ruhen: dem Turm zwischen den Häusern am Neckar, darin Friedrich Hölderlin 37 Jahre hindurch lichtlose Tage geistiger Umnachtung verbrachte, vor den Toren der Stadt der Wurmlinger Kapelle, die Ludwig Uhland in einem seiner schönsten Gedichte besang.

Tübinger Geist durchwaltet die beiden evangelischen Klosterschulen Maulbronn und Blaubeuren, die einen Hauch mittelalterlichen Geistes in dem theologischen Nachwuchs des protestantisch gewordenen Landes weiterleben lassen. Maulbronn: das stolzeste Denkmal des zur Stauferzeit in unwegsamen deutschen Gauen rodenden Zisterzienserordens. Stimmungsvoll steht der Fachwerkturm des goldsuchenden Dr. Faust neben den wundervoll gequaderten reichen Bauten und Baugliedern von Kirche, Refektorien und Kreuzgang. Das Kloster am Blautopf umschließt die ergreifende Offenbarung, das Farben- und Formenwunderwerk des Hochaltars von Gregor Erhart. Das stille Leuchten der schwäbischen Kunst schimmert aus seiner Plastik und den goldgründigen Flügelbildern.

Nicht weit von Tübingen liegt die führende Stadt des katholischen Schwaben, das bischöfliche Rottenburg. Oberschwaben ist das Land der Klöster und Kirchen, die Welt des Barock. Nur in der Benediktinerabtei Komburg spürt man unter der barocken Verkleidung noch die romanische Strenge der aus einer gräflichen Burg zum Kloster umgebauten aristokratischen Kirchenburg. Dort aber, wo das Allgäu beginnt, wo man meint, die Welt werde grüner unter dem Zauber der nahen Berge, wo im Moränengebiet der Alpen

Ottobeuren (bei Memmingen). Ehemalige Benediktiner-Abtei.
[616]      Ottobeuren (bei Memmingen). Ehemalige Benediktiner-Abtei.
schwermütige Moore dumpf brüten und zerwaschene Flußläufe das Vorland zertalen, dort ist die Welt des schwäbischen Barock. Das strenge Weingarten, Ottobeurens reife, wie Orgelmusik erklingende Feierlichkeit, Zwiefaltens Münster vom gleichen Meister Johann Michael Fischer und Balthasar Neumanns letztes, edel-kühles Meisterwerk Neresheim - diese vornehmsten Kirchenbauten in schwäbischen Landen sind eingegangen in die europäische Kunstgeschichte. "Hier ist zeitlose Erfüllung, von Gottes Geist gesegnet und bestem Menschenblut durchwogt: tiefer Mittelpunkt, wo sich unter ewigen Augen die Achsen kreuzen von Natur und Kunst."

Seite zurückInhaltsübersichtnächste
Seite


Deutsches Land: Das Buch von Volk und Heimat, besonders das Kapitel "Schwaben".

Das Buch der deutschen Heimat
Hermann Goern, Georg Hoeltje, Eberhard Lutze und Max Wocke