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Die geistige Besitzergreifung

Heinrich Barth

Als die Schatten der Kamele länger wurden, befahl der junge Dr. Barth aus Hamburg – er zählte erst fünfundzwanzig Jahre – seinen arabischen Knechten, die Tiere abzuladen und das Zelt aufzuschlagen. Die Gegend erschien ihm hierfür ganz geeignet, eben und übersichtlich, etwas Gras für die Höcker und etwas Gestrüpp für das Kochfeuer. Er wäre gerne noch weiter marschiert, aber der Abstieg zur Küstenebene der Marmarika lag vor ihnen, und diesen Akabet el kebira oder, wie er als klassischer Philologe gern sagte, diesen Katabathmos mußte er am Tage und genauer studieren. Trotzdem hatte er einen Augenblick geschwankt, denn hier am Golfe von Solum befand man sich im Grenzgebiete der Paschaliks Tripolitanien und Ägypten, der beiden Beduinenstämme Haradi und Uelad Ali, und mancherlei Gesindel trieb sich da herum.

Und richtig – er sah grade dem Einschlagen der Zeltpflöcke zu, da gewahrte er zwischen etlichen dünn stehenden Tamariskenbüschen drei, nein fünf Reiter dahersprengen, drei auf Pferden voran und zwei zu Kamel hinterdrein, aber alle fünfe die langen bajonettgespitzten Flinten zum Stoße eingelegt. Doch der junge Doktor verlor den Kopf nicht, sondern rief seine Leute zu den Waffen und trat den Fremden als erster entgegen. Als die Angreifer ihre Hoffnung auf Überrumpelung vereitelt sahen, setzten sie nach arabischer Art eine freundliche Miene auf und grüßten höflich mit Selaam aleekum, ja der älteste, er hieß Bu Berda, reichte dem Franken sogar die Hand. Dieser aber war immerhin schon zehn Monate lang im Morgenlande und hütete sich, die Hand zu nehmen, [40] die ihn sofort festgehalten und wehrlos gemacht haben würde. Der Araber verzog sein falsches bärtiges Gesicht zu einem höhnischen Grinsen und wandte sich ab.

Der junge Reisende, in solchen Vorfällen noch recht unerfahren und ohne den Rat eines älteren Mannes, war sich der Gefahr seiner Lage sofort bewußt. Unter seinen Leuten war Verlaß nur auf Hammed und Salem, die aber selber jung und unbedarft waren, von den übrigen durfte er nichts erhoffen, ja die beiden Führer mochten gar mit den Wegelagerern unter einer Decke stecken. Unklar über das, was hätte getan werden müssen, nämlich sofortiges Vertreiben der Kerle, tat er das Falsche – er ließ sie gewähren und in unmittelbarer Nähe seines Lagerplatzes niederhocken. Und damit begannen für den jungen Doktor vier leidvolle Tage.

Zuerst verlangten die Räuber zu essen, indem sie von dem Franken als einem vornehmen Schech Gastfreundschaft beanspruchten. Nach einer kleinen Mahnrede wurde ihnen Essen und Futter gereicht. Immerhin verhielten sie sich während der Nacht ruhig.

Am andern Morgen sahen die Kerle beim Aufladen des Gepäcks zu und betrachteten mit besonderer Aufmerksamkeit den großen roten Daguerreotypkasten, den der Franke zwecks photographischer Aufnahmen – er war ein sehr moderner Mann – mit sich führte. Es war ihm sofort klar, daß die Beduinen ihn für eine Geldkiste hielten, und suchte ihnen deshalb seinen wirklichen Zweck klarzumachen, aber sie lächelten nur geringschätzig, denn durch so dumme Finten ließen sie sich weder von ihrer Überzeugung noch von ihrem Vorhaben abbringen.

Während des Marsches ritt Bu Berda rechts hinter Barths Maultier und fragte ihn listig, wie viele Schüsse seine Doppelflinte fasse. Dabei zog er vorsichtig seine lange Steinschloßpistole, aber schon schlug der treue Salem die seine auf den Meuchelmörder an, worauf dieser die Waffe mit frechem Lachen wieder einsteckte.

Nachdem die kleine Karawane mitsamt ihren Belästigern den Paß Katabathmos überwunden hatte – das griechische [41] Wort heißt "Abstieg", und es wurde für Barth wirklich ein solcher – mußten sie rasten, da weder Mensch noch Tier am frühen Morgen etwas genossen hatte. Dem wißbegierigen jungen Forscher blutete das Herz, daß er diese in der antiken Geographie so berühmte Gegend nicht näher untersuchen konnte, aber er erkannte immer mehr, daß es hier um Leib und Leben ging. Die Wegelagerer schrien den beiden Führern zu, wie sie sich hätten unterstehen können, einen Christenhund ins Land zu bringen, noch dazu einen solchen, der seinen Gästen ein schlechtes Abendessen vorgesetzt habe. Brüllend und schimpfend rückten die Kerle jetzt näher auf Barth los, aber dessen Diener Hammed und Salem stellten sich entschlossen vor ihn. Es erhob sich ein längeres Streiten mit Waffenschütteln und Worten, während dessen ein alter Araber des Weges kam, der den Räubern unter Aufwand vieler Koransprüche die Gemeinheit ihres Tuns vorhielt. Auf die Vorstellungen seiner Leute hin ließ der Reisende sich bereit finden, den Gaunern Basina zum Essen und Gerste zum Futter auszuhändigen, worauf sie beim Propheten schwuren, aller Krieg solle damit abgetan sein.

Die Karawane setzte ihren Marsch durch ein von Trockentälchen zerschnittenes Gelände fort. Nach einer Weile kamen die Räuber hinterhergeritten und verlangten Wasser. Auch dieses wurde ihnen gegeben.

Über Tag, als beim Bir Adscherud die Schläuche gefüllt werden mußten, versuchten die Araber eine neue List. Bu Berda schritt, seine lange Flinte auf der linken Hand wiegend, scheinbar friedlich auf Barth zu und sagte, sie hätten sich bis jetzt zwar übel aufgeführt, wollten aber fortan als wahre Freunde mitreiten. Dann bat er den Forscher, er möge sein Gewehr nehmen und daraus ersehen, wie gut sie es jetzt meinten. Barth aber bemerkte deutlich, daß der hinterlistige Schurke die Rechte am Kolben der unter dem weißen Mantel steckenden Pistole hielt, und er war sich sofort klar, daß der Kerl sie auf ihn abgedrückt hätte, sobald Barths Hand durch das Ergreifen der Flinte gebunden war. Er sagte deshalb kalt, Bu Berda solle seine Flinte nur behalten, da an seiner freund- [42] schaftlichen Gesinnung kein Zweifel mehr bestünde. Der Beduine zog verblüfft über diesen unerwarteten Ausgang ab.

Es folgte eine schlimme Nacht. Die Räuber ließen sich wieder ein Abendessen rüsten und schossen dann mehrmals ihre Waffen ab, um der Karawane zu zeigen, daß sie mit Pulver und Blei gut versehen seien, und um sie noch mehr einzuschüchtern. Nachdem der Forscher, dem immer unheimlicher zumute wurde, vergeblich versucht hatte, seine Leute zu einem Angriff auf die Wegelagerer mitzureißen, blieb er, die Waffen zur Seite, die ganze Nacht in seinem Zelte wach. Dies war auch sehr gut, denn um Mitternacht gewahrte er im Funkellichte der zahllosen Sterne, wie Bu Berda um das Zelt herumschlich, sich aber zurückzog, sobald er den Franken mit der Pistole in der Hand seine Bewegungen verfolgend erblickte.

Die Räuber heckten nun einen neuen Plan aus. Der Leser, der mit morgenländischen Anschauungen nicht vertraut ist, wird sich wundern, daß die Kerle den Reisenden, der sich nur auf zwei seiner Leute einigermaßen verlassen konnte, nicht offen angriffen. Aber das ist nicht die Art der Orientalen, die zwar liebendgerne Hab und Gut rauben, ihr kostbares Leben aber keinesfalls gefährden wollen. Der Räuber nähert sich allermeist mit freundlicher Miene und wirft die Maske erst dann ab, wenn er seines Vorteils vollkommen gewiß ist.

In diesem Falle machten sie am andern Morgen folgendes. In der Frühdämmerung weckte Barth seine Leute und legte sich dann, völlig zerschlagen von der langen aufregenden Nacht, auf sein Lager. Plötzlich vernahm er den Ruf: "Jetzt reiten sie endlich fort!" Und wirklich, er konnte sehen, daß sie schon zu Pferde saßen, nur einer, ein junger, hagerer Ueled Ali, kam zu dem Zelte und schoß, ehe Barth noch Böses ahnen und sich erheben konnte, seine Steinschloßpistole auf ihn ab. Die Gewalt der Ladung, die aus einer gebissenen Bleikugel und etwa zehn Schrotkörnern bestand, wurde glücklicherweise durch den mehrfach zusammengelegten Burnus abgeschwächt, traf wegen der Eile und Aufregung des Kerls auch nicht den Leib, wohin sie wohl gezielt war, sondern den Oberschenkel, ja die Kugel be- [43] rührte, wie die ärztliche Untersuchung in Alexandrien dann zeigte, den Knochen nur leicht und fuhr aus dem Fleische wieder heraus. Inzwischen waren Barths Leute und freilich auch die Reiter herbeigeeilt, und es entspann sich ein kurzes Handgemenge, an dem Barth trotz seiner starken Blutung teilnahm und in dem er Bu Berda verwundete und ihm die Flinte entriß. Die Feinde zogen sich dann zurück und warteten in einiger Entfernung, was die Karawane nunmehr tun werde.

Man trat den Weitermarsch an, wobei der Überfall in den Reiseplan schon insofern eingriff, als Barth die Absicht, hier nach der Ammonsoase Siwah abzubiegen, aufgeben mußte. Unterwegs schossen die Beduinen mehrfach, und Bu Berda warf mit großen Steinen, worin er eine fabelhafte Gewandtheit entwickelte. Dabei kam er dem jungen Forscher einmal sehr nahe, was diesen veranlaßte, in seinem Grimm mit geschwungenem Säbel auf ihn loszustürzen. Aber der Araber wich gewandt aus und traf Barth durch zwei Steinwürfe äußerst schmerzhaft an Hals und Unterleib. Ebenso wie die meisten seiner Leute kampfunfähig gemacht, mußte der Deutsche jetzt mit ansehen, wie die Räuber sich auf die inzwischen weiter vorgegangenen Tiere stürzten und sie unter Triumphgeschrei forttrieben. Die beiden Führer folgten ihnen zu Fuße, ihre beiden Kamele waren von den Räubern nicht angerührt worden.

Dies wurde immerhin die Rettung, denn die beiden verwundeten Diener Hammed und Mohammed kletterten auf das eine, Barth selber auf das andere, und so zog die Karawane in trübster Stimmung langsam weiter gen Osten. Nach einiger Zeit erschienen auch die beiden Führer wieder, und zwar mitsamt dem Apfelschimmel und dem Maultiere Barths, die sie den Wegelagerern abgebettelt hatten, nämlich mit dem Hinweise, zwei so auffällige Tiere würden sie später doch nur verraten. Aber was halfen dem Forscher diese beiden Tiere, waren doch sein Geld, sein Schießbedarf, sein Mundvorrat, seine Instrumente, seine Zeichnungen und vor allem der größte Teil seiner sehr sorgfältig geführten Tagebücher verloren! Und selbst um ihr Leben mußten die Wanderer noch besorgt sein, denn [44] nach mehrstündigem, mühseligem und schmerzensreichem Marsche erschienen die Räuber schon wieder in vollem Galopp auf der Bildfläche. Glücklicherweise wurde grade jetzt ein kleines Zeltlager ärmlicher Beduinen erreicht, das wenigstens leidliche Sicherheit gewährte. Mit Mühe erhielt man etwas zu essen, aber zu einem Angriff auf die Räuber ließen sich die Beduinen nicht bereit finden, da sie sich mit deren mächtigen Stämmen, den Harabi und Uelad Ali, nicht verfeinden wollten. Es gelang Barth nur, zwei der Beduinen als Schutz für die Weiterreise nach Alexandrien zu gewinnen, wo sie ihre Bezahlung erhalten sollten.

Daß die Räuber aber trotzdem noch nicht von den Verfolgten abließen, zeigte sich noch am selben Tage. Da erschienen nämlich zwei wohlbewaffnete Beduinen und suchten Barth auszuforschen, ob er etwa noch bares Geld gerettet habe. Die Lage sah einen Augenblick so bedrohlich aus, daß Salem mit schußbereiter Pistole neben seinen Herrn trat.

Damit aber hatte die Geschichte schließlich ihr Ende gefunden, denn am 10. Juni, nachdem die Räuber die Karawane fünf Tage lang verfolgt und belästigt hatten, ließen sie sich nicht mehr sehen. Die Weiterreise war jetzt freilich eine offene Flucht geworden, wobei man sich tagsüber in Mulden verborgen hielt und vorwiegend nachts marschierte. Halb verhungert langte man endlich in Alexandrien an.

Der junge Doktor hatte den größten Teil seiner Aufzeichnungen verloren, aber er hat vermöge seines ausgezeichneten Gedächtnisses und der nach Hause geschickten Briefe seine Beobachtungen doch noch in einem starken Bande zu schildern vermocht. Außerdem hat er den Mut nicht verloren, sondern ist, von seinem Vater mit neuen Geldmitteln versehen, noch anderthalb Jahre lang durch Ägypten und Vorderasien gewandert.

 
Der Lebensgang eines Einspänners

Es gibt, von der Arbeitsleistung aus auf die ihr schicksalsmäßig zur Verfügung gestellte Lebenszeit angesehen, intensive und extensive [45] Lebensführung. Mancher braucht achtzig Jahre, um sein Werk aufzubauen, und manchem ist nur die Hälfte davon vergönnt. Letzterem geht das Leben oft in rastloser Arbeit dahin, gleichsam als schwinge im Unterbewußten eine Ahnung mit, daß er sich beeilen müsse, da der Tod schnell näherkommt. So ist es mit Heinrich Barth beschaffen, dem nur vierundvierzig Erdenjahre verstattet waren, der davon den sechsten Teil auf afrikanischer Erde zubrachte und hier den Weltruhm des Bahnbrechers der neueren Afrikaforschung erwarb. Ein Leben der Gedrängtheit und der Fülle, der Sucht nach Arbeit und der Flucht vor Zerstreuung, der Selbstverzehrung und der Selbstbehauptung, der Erfolge und der Enttäuschungen.

Heinrich Barth wurde am 16. Februar 1821 als Sohn eines Kaufmannes zu Hamburg geboren. Er war aber kein blutgebundener Holsteiner, denn der Vater war als vierzehnjähriger verwaister Knabe aus dem Thüringer Walde in die Hansestadt zu einem Verwandten gekommen, und die Mutter stammte aus Hannover. Dem Vater glückte es aus eigener Kraft sowie durch Energie, Fleiß und Sparsamkeit, zu ansehnlichem Wohlstande zu gelangen. Er galt als sehr rechtlich, gewissenhaft und ordnungsliebend, besaß zwar keine geistigen Interessen, achtete aber des Sohnes rein geistig gerichtetes Streben und war jederzeit zu geldlichen Opfern dafür bereit, so daß Barths Lebensweg von dieser Seite her nie Hemmungen erfuhr. Für die drei ersten Reisen gab ihm der Vater das Geld. Von der Mutter ist nur bekannt, daß sie häuslich und sittenstreng war, in Bildungsdingen aber wenig bedeutete. Der Anteil der Eltern an des Sohnes Erziehung bestand in ihrem untadeligen Leben und darin, daß sie ihm gymnasiale Ausbildung zuteil werden ließen – unmittelbaren Einfluß auf seine geistige Entwicklung vermochten sie nicht zu nehmen. Das Verhältnis namentlich zwischen Vater und Sohn war stets ausgezeichnet, und der Vater hatte ein Jahr vor seinem Tode noch die Freude, den Sohn als berühmtesten Afrikaforscher heimkehren zu sehen.

Von dem Gymnasiasten ist bekannt, daß er ein bienenfleißiger und sehr guter Schüler war, daß er aber noch mehr daheim [46] als im Unterricht lernte. Seine Wißbegier wurde durch die Lehrer so wenig befriedigt, daß er die antiken Schriftsteller zu Hause durcharbeitete. Des Vaters Mittel erlaubten ihm, sich frühzeitig eine ansehnliche Bücherei aufzubauen; diese ging übrigens später in seiner Universitätszeit bei dem großen hamburgischen Brande verloren. Schon als Schüler stand er unter seinen Klassenkameraden für sich, schloß sich von ihnen ab und verachtete sie, unter denen wohl keiner war, der mit so früher Zielstrebigkeit seinen Weg ging. Auch die Mitschüler selber wollten nicht viel von ihm wissen, fanden den schweigsamen, schroffen Knaben unleidlich und erklärten ihn in ihrer frischen Unbedarftheit für einen hölzernen Pedanten.

Die Umwelt der Hafen- und Kaufmannsstadt scheint nicht ganz ohne Einfluß auf die Richtung von Barths Interessen geblieben zu sein. Die damals zwar schon 150 000 Einwohner zählende, aber noch ganz altertümliche Stadt mit engen krausen Gassen und malerischen Giebelhäusern, am Hafen mit Segelschiffen und Warenballen angefüllt, diese auf das Weltmeer hinausblickende, vom Binnenlande abgewandte Stadt der Kaufleute und Schiffer beschäftigte nicht nur die Einbildungskraft des Knaben stark, sondern pflanzte eine gewisse Neigung zu Handelsfragen in ihn, die ihn von seiner Studentenzeit an den antiken Mittelmeerhandel und später den innerafrikanischen Handelsverkehr besonders aufmerksam beachten ließ. Dieses Interesse darf aber nicht mit einem angeborenen Triebe verwechselt werden, denn in der ganzen Gestaltung seines Lebensganges haben wirtschaftliche Rücksichten nie eine größere Rolle gespielt, als jedes Lebewesen ihnen nun einmal zuzugestehen gezwungen ist.

Nach gut bestandener Abschlußprüfung bezog Heinrich Barth im Herbst 1839 die Universität Berlin, die er bis zum Sommer 1844 besuchte. Es kann nicht wundernehmen, daß er auch hier jede heitere Zerstreuung und jeden ablenkenden Verkehr mied, um sich ausschließlich den Studien hinzugeben. Ein froher Bursch wie Rohlfs, Nachtigal und Peters ist er nicht gewesen. Sein Bemühen ging dahin, sich eine möglichst all- [47] seitige und eingehende Kenntnis des klassischen Altertums zu verschaffen, weshalb er sich nicht auf das Philologische, Historische und Archäologische beschränkte, sondern auch der Geographie, dem Corpus juris und der Handelsgeschichte sein Augenmerk zuwandte. Von den Professoren nahmen der Altphilologe August Böckh und der Geograph Karl Ritter am meisten Einfluß auf ihn. Mit Hilfe von Böckhs gründlicher klassischer Schulung und mit Blick auf das von Ritter in die Erdkunde eingeführte geschichtliche Element trat er dann in sein Lebenswerk ein, das durch Bereisung weiter fremder Länder mit der Zeit immer mehr von der Archäologie zur Geographie, vom Altertum zur Gegenwart hinführte.

Im Sommer 1844 schloß er seine Studien mit einer sehr gut beurteilten Dissertation ab, deren Titel für den hamburgischen Kaufmannssohn bezeichnend war. Er lautete nämlich: "Corinthiorum commercii et mercaturae historiae particula."

Aber noch während seiner Universitätszeit, und zwar schon in seinem dritten und vierten Semester (1840/41), machte er eine zehnmonatige Studienreise durch Italien, die für seine geistige Lebenslinie richtunggebend wurde. Noch keine zwanzig Jahre alt, lernte er den Süden kennen, erblickte zum ersten Male andere Natur und fremdes Volksleben und stand endlich den Zeugen des klassischen Altertums leibhaftig gegenüber. In Rom blieb er vier Monate lang, woraus sich ersehen läßt, wie ernst er alles schon damals nahm; schrieb er doch auch nach Hause, es käme ihm gar nicht darauf an, vieles zu sehen, sondern gründlich. Für Vergnügen hatte er wenig übrig, er wanderte und beobachtete und arbeitete nur immer.

Der wesentlichste Ertrag der Reise aber war eine Ideenreihe, die ihm in Sizilien auf den Trümmern von Selinunt als Einfall ins Bewußtsein trat. Umfangen von weißen Säulen und dunklen Zypressen, umflutet von rosigem Glast und tiefblauem Meer, erblickte er plötzlich die ganze Antike wie aus einem Grabe auferstehend und zum Bilde sich formend. Aber es blieb nicht bei dieser Vision, sondern aus ihr ergab [48] sich sofort die gebieterische Forderung nach ihrer wissenschaftlichen Gestaltung. Damit war Barth der erste, der die Mittelmeerländer als große organische Einheit sah und der sein ganzes Lebenswerk darauf ausrichtete, jenes Ländergebiet als solches zu schildern. Diese Idee steht wie ein hoher Stern am Beginn seines wissenschaftlichen Lebensweges. Alle seine Reisen, mit Ausnahme jener großen nach Innerafrika, hat er in den Dienst seiner Mittelmeeridee gestellt. Wenn er nicht dazu gelangt ist, das geplante große Mittelmeerwerk zu schreiben, so liegt das lediglich an seinem frühen Tode.

Nach der Promotion lebte Barth ein halbes Jahr lang in der väterlichen Familie in Hamburg, von der er sich vorher zusichern ließ, daß man ihm täglich zehn Stunden Zeit zu wissenschaftlicher Arbeit einräume. Nebenher ging sein Bestreben dahin, eine Stellung zu erlangen, die ihn geldlich unabhängig machte. Hierfür mußte die als Beruf ersehnte Universitätslaufbahn vorläufig ausscheiden, denn es war Brauch, sich nicht vor drei Jahren nach abgelegter Doktorprüfung zu habilitieren. Die Übergangszeit irgendwo als Hauslehrer zu überbrücken, glückte nicht; bei der geringen Einfügsamkeit seines Charakters würde er voraussichtlich bald Schiffbruch erlitten haben. Da schlug ihm ein Freund vor, zu heiraten oder eine – Reise zu machen, etwa nach Griechenland und Kleinasien, wobei er gleich Stoff und Kenntnis für seine Universitätslaufbahn sammeln könne.

Damit freilich war dem jungen Doktor der Star gestochen worden, und der Vater erklärte sich bereit, die Mittel herzugeben. Er fuhr zuerst nach London und hielt sich hier zwei Monate auf, um Arabisch schreiben und sprechen zu lernen und sich in Museen und Büchereien auf den Süden vorzubereiten. In London lernte er den preußischen Gesandten von Bunsen kennen, der vier Jahre später seinen Anschluß an die große englische Innerafrika-Expedition vermittelte.

Mit Empfehlungen an englische Konsuln und Kaufleute gut versehen und mit Instrumenten ausgerüstet, unter denen sogar der erst sieben Jahre vorher erfundene photographische [49] Apparat nach Daguerre nicht fehlte, reiste Barth nach Paris. Länger als vier Monate fuhr er kreuz und quer durch Südfrankreich und Spanien, bis er Anfang August 1845 in Tandscha, Marokko, eintraf. Zehn Monate lang hat er die Nordküste Afrikas mit Ausnahme des marokkanischen Teiles, zu Schiff und im Sattel durchwandert. Etliche Tagereisen vor Alexandrien erlebte er jenen Überfall, den wir eingangs geschildert haben und der ihn des größten Teiles seiner Tagebücher und seiner Habe beraubte. Trotzdem ließ der Fünfundzwanzigjährige sich nicht entmutigen, sondern bereiste noch Ägypten, Syrien, Zypern und Kleinasien bis nach Konstantinopel und besuchte zum Schlusse noch Griechenland. Nach fast dreijähriger Abwesenheit langte er am dritten Weihnachtstage des Jahres 1847 wieder in Hamburg an.

Diese Reise von 1843–1847 ist in der Würdigung Barths immer stark vernachlässigt worden, sie mußte hinter der ihr sehr bald folgenden großen Reise durch Innerafrika vollständig zurücktreten. Und doch hat sie ihre Bedeutung, sowohl an und für sich selber wie auch für seine innere Entwicklung. Barth ist auf dieser Reise zum Manne geworden. Von jeher sich selbständig und überlegen fühlend, gewann er auf der Reise nun ein gültiges Recht dazu. Was vorher nur Anspruch war, ward jetzt vollzogene Leistung. Als Kind eher etwas schwächlich und kränklich, empfand er sich nunmehr stark und spannkräftig, trat hart und geradezu gebieterisch auf, verhielt sich in Gesellschaft schweigend und zurückhaltend.

Außerdem war seine Einstellung zum Mittelmeergedanken wesentlich gefestigt worden. Sagte er doch selber im Vorworte seines Reisewerkes: "Es entwickelte sich bei mir stets lebendiger die Anschauung jenes Bassins, das wie ein großartiger Marktplatz zwischen den drei Ländermassen zwischengelagert die Völker hier zum friedlichen, großartigen Verkehr einladet, als einer Einheit, und es bildete sich der Plan in mir aus, dieses Bassin womöglich in seinem ganzen Umfange zu durchwandern und seine Gestade rund umher aus eigener Anschauung kennenzulernen." Diese Reise betrachtete er nicht als eine Reise schlecht- [50] hin, die der Kenntnisnahme der zurückgelegten Wegstrecken dienen sollte, sondern als eine Vorbereitung oder, besser gesagt, als den Teil einer Vorbereitung, die der großen Überschau des Mittelmeerraumes dienen sollte.

Aber das Werk, das er über die Reise oder vielmehr nur über die nordafrikanische Küste schrieb, hat, für sich selber betrachtet, einen hoch einzuschätzenden Wert. Sein Schwerpunkt liegt in der zwischen der Kleinen Syrte und dem Golf der Araber liegenden Küstenstrecke, die zwar schon vor Barth ein- oder zweimal bereist, aber nie so eingehend wie von ihm war beschrieben worden. Das Werk heißt Wanderungen durch die Küstenländer des Mittelmeeres und trägt für den ersten Band den Sondertitel Wanderungen durch das Punische und Kyrenäische Küstenland oder Mag'reb, Afrika und Barka; es erschien im Sommer 1849 in der Besserschen Buchhandlung von Wilhelm Hertz in Berlin. Das Buch, in Ermangelung der geraubten Aufzeichnungen größtenteils aus dem Gedächtnis geschrieben, ist rein sachlich und gewiß trocken, aber es ist sehr gründlich und verarbeitet viel antikes Material, indem es dieses zu Dingen der Gegenwart in Beziehung setzt. Vor der Fülle der Einzelheiten kommt der Verfasser selten zum Entwerfen größerer Zusammenhänge, geschweige denn lebensvoller Bilder. Bei allem Mangel an Anschaulichkeit bleibt das Werk aber doch eine wichtige Quelle für die Küstengebiete Nordafrikas. Der buchhändlerische Erfolg war, wie dies bei Erstlingswerken sehr oft der Fall ist, äußerst bescheiden.

 
Die große afrikanische Entdeckungsreise

In einem tunisischen Orte hatte ein Haussasklave, mit dem Barth sich über dessen innerafrikanische Heimat unterhielt, zu ihm gesagt: "Inschallah sollst du noch dich aufmachen und Kano besuchen." Diese Prophezeiung mußte damals, 1846, so unwahrscheinlich wie die meisten Prophezeiungen anmuten, denn Barths Interessen gingen über das Mittelmeergebiet nicht hinaus, und doch sollte sie sehr bald Wahrheit werden.

Freilich bis es so weit kam, stand vor dem Heimgekehrten erst [51] noch die große Frage: Was nun? Wenn irgendwann, mußte jetzt nach erfolgreicher Forschungsreise der richtige Zeitpunkt für eine Habilitation sein, mochte auch die revolutionäre Unruhe der Zeit von geistigen Bestrebungen ablenken. Er selber, ganz von seinen morgenländischen Studien gefesselt, hielt sich der Politik vollkommen fern, versagte sich auch trotz Drängens seiner Bekannten einer Teilnahme an den Kämpfen gegen die Dänen, in welchen wenig später der junge Gerhard Rohlfs sich auszeichnete. Lieber bemühte Barth sich, mit Hilfe seines früheren Lehrers Böckh, als Privatdozent an der Universität Berlin zugelassen zu werden, was im Oktober 1848 gelang. Allerdings erlebte er wenig Freude, denn er mußte gleich die erste, für das Sommersemester 1849 angekündigte Vorlesung über die Bodengestaltung Nordafrikas abbrechen, weil ihm die wenigen Hörer, die überhaupt erschienen waren, sehr bald fortblieben. Es heißt, er habe bei den Studenten zuviel vorausgesetzt und ihnen zuviel schwerverständlichen Stoff zugemutet, habe auch nicht zu fesseln verstanden – mag sein. Aber wer Hochschulverhältnisse kennt, der weiß, wie schwer es ein nichtbeamteter und nicht prüfender Dozent hat, sich bei denen durchzusetzen, die nur möglichst billig in die Prüfung und an die Futterkrippe heranwollen. Barth, der allein der Sache hingegeben war, verfiel einer tiefen Enttäuschung und Entmutigung. Dazu kam, daß sein Reisewerk nicht gehen wollte und daß Bemühungen um ein Mädchen von diesem abgewiesen wurden.

In dieser Niedergeschlagenheit traf es sich nun, daß der berühmte Geograph der Universität Berlin, Professor Karl Ritter, Anfang Oktober 1849 seinem früheren Schüler und bedauernswerten Privatdozenten folgendes mitteilte. In England bereite man eine große Expedition vor, die unter Leitung des in Nordafrika schon mehrfach gereisten Missionars James Richardson stehe, um die Handelsverhältnisse des Sudans aufzuklären und dem Sklavenhandel entgegenzuwirken. Der preußische Gesandte von Bunsen nun habe in London angeregt, einen deutschen Gelehrten zuzulassen, und habe sich an ihn, [52] Ritter, um Vorschläge gewandt. Der Teilnehmer müsse aber 200 £ aus eigenen Mitteln zu den Reisekosten zuschießen.

War Barth zwar nur auf die Mittelmeerländer eingestellt, so konnte ihm doch in seiner gegenwärtigen Lage nichts erwünschter kommen. Er griff mit beiden Händen zu und bat seinen Vater brieflich um Bewilligung jener Summe. Wider Erwarten aber verweigerte der Vater sie ihm, und zwar lediglich aus Besorgnis um das Leben des Sohnes, der ja erst drei Jahre vorher in der Marmarika mit genauer Not dem Tode entgangen war. Inzwischen aber hatte das Foreign Office Barths Teilnahme genehmigt und wollte auch nicht von ihm absehen, als er seinen Rücktritt erklärte. Und des weiteren hatte die Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin von sich aus einen anderen Anwärter in Vorschlag gebracht, den jungen Geologen Adolf Overweg, der ebenfalls Hamburger, Barth aber nicht bekannt war. Und als nunmehr der Vater doch noch seine Einwilligung gab, da waren es statt eines zwei junge deutsche Gelehrte, welche die englische Expedition mitmachten. Overweg freute sich sehr, er ahnte nicht, daß nur die anfängliche Weigerung des alten Barth es war, die ihn in den Tod treiben sollte, denn er ist im Sudan geblieben.

Anfang November 1849 fuhren die beiden Deutschen nach London und schlossen mit Richardson den Vertrag ab. Hiernach sollte dieser von Tripolis bis zum Tschad die Leitung des Unternehmens haben sowie Weg und Zeitmaß bestimmen. Vom Tschad sollte Richardson nach Norden zurückkehren, Barth und Overweg aber sollten ostwärts vorzudringen suchen – man überließ ihnen also den gefährlichsten Teil der Reise, denn dort war noch nie ein Weißer gewesen; gewisse Beträge wurden ihnen garantiert. Richardson bekam das Recht, im Namen Englands Verträge mit einzelnen Herrschern abzuschließen, und es wurde ihm zur Pflicht gemacht, Handelsbeziehungen zwischen England und Innerafrika anzuknüpfen, indem er die besten Verkehrswege und die Art von Ein- und Ausfuhrwaren feststellte. Barth selber drang auf stärkere Berücksichtigung wissenschaftlicher Belange, als eigentlich vor- [53] gesehen war, denn Richardson war ziemlich ungelehrt. Übrigens hat dieser sein Ziel, den Tschad, nicht erreicht, sondern starb im März 1851 wenige Tagereisen vor Kuka. Overweg ist anderthalb Jahre später am Ufer des Tschad gestorben.

Als Heinrich Barth am 16. Januar 1850 in Tripolis landete, wo er schon vier Jahre vorher geweilt hatte, da mag ihm sonderbar zumute gewesen sein, denn es sollte diesmal in Länder gehen, in welche die antike Kultur nicht mehr gereicht hat, in die Heimat der langlebenden Äthiopen. Daß er antike Zeugen noch tief in der Sahara antreffen und mit seinem sicheren Griffel zeichnen würde, konnte er nicht ahnen. Aber das wußte er, daß unendliches Neuland vor ihm lag, denn was Hornemann und die Engländer Lyons und Ritchie von Fesan und was ihre Landsleute Denham und Clapperton von den zum Tschad führenden Wegen berichtet hatten, war im ganzen genommen so dürftig, daß man sich kein Bild von der Natur jener Gebiete machen konnte. Und dann: mit Mungo Parks und René Cailliés Schilderungen vom Niger und von Timbuktu war ebenfalls nicht viel anzufangen. In dieses dunkle Innerafrika Licht zu bringen, namentlich die Fluß- und Seenverhältnisse des Sudans aufzuklären, das gab einem doch die Zuversicht einer höheren Sendung.

Zuerst einmal, denn Mister Richardson ließ einige Zeit auf sich warten, durchwanderten Barth und Overweg während dreier Wochen allein den Dschebel des nordwestlichen Tripolitaniens und brachten die erste recht gute Karte und Beschreibung desselben in die Scheuer. In einem farbigen Bilde suchte Barth die Landschaft des Gebirges festzuhalten, doch müssen wir gestehen, daß sein Auge die Art des verkarsteten Gebirges ziemlich mißverstanden hat; es fehlte damals noch die morphologische Schulung.

Endlich am 31. März 1850 brach die stattliche Karawane von Tripolis in die Sahara auf. Nach fünf Jahren und fünf Monaten, am 27. August 1855, marschierte Barth ohne seine beiden Gefährten wieder durch das Oasentor in Tripolis ein. Den Verlauf der Reise möge man auf der Karte verfolgen. [54] Die Hauptpunkte der Ausreise waren Mursuk, Rhat, Agades, Katsena, Kano, Kuka. Von Kuka aus unternahm Barth fünf Expeditionen nach verschiedenen Richtungen. Die erste führte südwärts über den Benue bis Jola in Adamaua; die andere nordostwärts nach Kanem; die dritte südostwärts nach Mandara und ins Land der Musgu; die vierte mehr ostwärts nach Barhirmi zu den Flüssen Logone und Schari bis nach Massenja. Die fünfte und größte Expedition ging von Kuka westwärts nach Sokoto, setzte bei Sai über den Niger und erreichte in grader Linie Timbuktu, von wo sie entlang dem Niger bis nach Sai zurückführte und schließlich wieder in Kuka ausmündete. Im Jahre 1855 endlich kehrte Barth über Kauar, Mursuk und Sokna, also auf ganz anderem Wege nach Tripolis zurück. Er ahnte nicht, daß er der erste Deutsche, ja überhaupt der erste Europäer war, der den Norden des späteren deutschen Schutzgebietes Kamerun betreten hatte.

Heinrich Barth - Karte
[55]            [Vergrößern]

Rein äußerlich war dies eine gewaltige Reise, denn sie umfaßte etwa 22 500 Kilometer zurückgelegter Wegstrecken und brachte darüber hinaus Nachrichten über einen Flächenraum von rund 11 Millionen Geviertkilometern; dieser Raum erstreckt sich von der Syrte bis zum Nigerdelta, von der Westküste der Sahara bis fast an die Nilländer heran. Barth war unterwegs unermüdlich in der Wegaufnahme mit Kompaß und Uhr, und er hat durch seine Itinerare der Karte der durchreisten Gegenden überhaupt erst Inhalt gegeben. Von seinen kritischen Zeitgenossen ist getadelt worden, daß er keine geographischen Ortsbestimmungen angestellt hat; sie übersahen aber dabei, daß die Erfüllung des Kartenbildes mit zahlreichen Einzelangaben schließlich doch das länder- und völkerkundlich weit Wichtigere ist. Nie untersucht worden aber ist, ob Barths Wegaufnahmen wirklich so fabelhaft genau sind, wie stets behauptet wird. Dies ist nämlich, wie wir aus eigener Nachprüfung in Nordtripolitanien sagen können, nicht immer der Fall, so exakt die Karten auch aussehen. Durch unsere Bemängelungen seines zeichnerischen Blickes und seiner Aufnahmekunst soll dem Andenken des Mannes durchaus keine Beeinträchtigung er- [55=Karte] [56] wachsen, denn man muß das ermattende Klima und die überlange Dauer und Eintönigkeit einer solchen Reise in Rechnung stellen, um kleine Unterlassungen zu erklären und zu entschuldigen. Die Routenaufnahme muß während des Marsches ohne Unterbrechung gemacht werden und nimmt den ganzen Menschen so stark in Anspruch, ja sie reibt ihn für die Dauer so auf, daß vorübergehende Ablenkung oder Unlust begreiflich wird. Auf dem Marsche also ununterbrochen in Anspruch genommen, arbeitete Barth die Aufzeichnungen im Lager oder Quartier aus und zog weitgehend Erkundigungen über Nebenwege und abseits gelegene Örtlichkeiten sowie über die Völkerstämme, ihre Geschichte und ihre Sprachen ein, die zu erlernen er sich ebenfalls stets die größte Mühe gab.

Um nicht gar zu sehr aufzufallen, trug Barth einheimische Tracht und führte den arabischen Namen Abd el Keriem, "Diener des Barmherzigen". Er wußte die Eingeborenen anscheinend recht geschickt zu behandeln und spendete reichlich Bachschiesch, was den Verkehr sehr erleichterte. Um in das sagenhafte, sehr fanatische Timbuktu zu gelangen, gab er sich eine Zeitlang als Mohammedaner aus, während er sonst seinen christlichen, genauer gesagt abendländischen Charakter nicht verheimlichte.

Die Ergebnisse der großen Reise brachten der europäischen Wissenschaft eine Fülle länder- und völkerkundlicher, geschichtlicher und sprachwissenschaftlicher Stoffe, die bis in ihre letzten Einzelheiten auch heute noch nicht restlos verarbeitet worden sind. Leider ist Barth selber im allgemeinen nicht von der Form der tagebuchartigen Aufzeichnung abgewichen, vielleicht weil es ihn nach der Rückkehr drängte, der englischen Regierung möglichst schnell die Ergebnisse vorzulegen. So fehlt es an zusammenfassenden Übersichten über die einzelnen Länder, etwa in der Art, wie sie zwanzig Jahre später Gustav Nachtigal in so mustergültiger Weise in die Beschreibung seiner Reise eingliederte. Wahrscheinlich hatten Sahara und Sudan für Barth längst nicht jenes Gesamtinteresse, das er für den geschlossenen, antik unterbauten Raum des Mittelmeerbeckens empfand. So ist sein Reisewerk mehr ein großartiger Torso [57] als ein durchgearbeitetes Kunstwerk. Die fünf starken Bände von 3500 Seiten Umfang, die es umfaßt, erschweren es ungemein, einen Gesamtüberblick über die Leistung zu gewinnen, und stellen an die Anteilnahme des Lesers reichlich hohe Anforderungen, da er in Gefahr gerät, im Einzelstoffe zu versinken. Versuchen wir die Hauptergebnisse der Reise herauszuschälen, so erhalten wir etwa folgende.

Als sein Hauptverdienst nahm Barth selber mit Recht in Anspruch, daß er durch unermüdliche Routenaufnahmen die vorher sehr ungewisse Topographie in Sahara und Sudan als erster gründlich geklärt habe.

Innerhalb der Sahara hat er die erste Karte des Dschebel von Nordwesttripolitanien und der gesamten Karawanenstrecke von Tripolis bis zum Sudan geschaffen. Innerhalb dieser Strecke hat er als erster betreten und beschrieben die wasserlose Hochfläche der Hammada el homra und das Hochland von Aïr. Seine Schilderungen gaben zum erstenmal Aufklärung über die wahre Oberflächengestalt und Natur der Sahara.

Innerhalb des Sudans hat Barth als erster Europäer die Länder Kanem, Barhirmi, Musgu und Adamaua betreten und beschrieben, das Land Bornu, das Gebiet zwischen Tschad und Niger, also das Reich Sokoto, als erster eingehend geschildert und die Geschichte jener innerafrikanischen Reiche aufgezeichnet. Außerdem hat er die Flüsse Benue, Logone und Schari entdeckt und nachgewiesen, daß der Benue vom Tschad unabhängig, sowie daß er die gegebene Wasserstraße zur Aufschließung dieses zentralafrikanischen Raumes sei. Sodann hat er die zwischen Timbuktu und Sai gelagerte Laufstrecke des Nigers als erster gut kartiert und festgelegt. Ferner hat er die Natur des Tschad als seichtes Süßwasserbecken nachgewiesen, das mit dem Meere in keiner Verbindung steht. Und schließlich hat er die ersten guten und ausführlichen Beschreibungen über die Völker der Tuareg und Fulbe, der Haussa und Kanuri, der Sonrhai und Musgu sowie anderer Neger gegeben. —

Als Heinrich Barch Mitte September 1855 über Paris in London eintraf, da war er, kaum fünfunddreißig Jahre alt, ein [58] berühmter Mann. Bereits einmal totgesagt, erschien er nun doch als einziger Überlebender – leider nicht Richardson, mag sich damals mancher Engländer gesagt haben. Und dieser Mann trat nicht als zag dienender, nach huldvollen Blicken haschender kleiner Deutscher auf, sondern als selbstsicherer, seiner Leistung bewußter Mann, denn er hatte den Engländern die Schlüssel von Innerafrika zu überreichen.

Von London eilte Barth nach Hamburg ins Vaterhaus und dann nach Berlin. Es kamen mehrere Orden, von der Vaterstadt Hamburg der Ehrenbürgerbrief, von der Pariser Geographischen Gesellschaft die große Goldene und von Preußen der Rote Adler Dritter. Mit dem Verlage J. Perthes in Gotha schloß er einen Vertrag über das vorhabende Reisewerk ab, der ihm ein Honorar von 5500 Talern in Aussicht stellte – für damalige Zeit eine recht anständige Summe, zumal wenn man bedenkt, daß der Verlag Longmans in London ihm für die gleichzeitig erscheinende englische Ausgabe nur 500 £, also kaum zwei Drittel jener Summe zahlte. Aber sonst – ja sonst stand Barth eigentlich genau an dem gleichen Punkte, an dem er schon acht Jahre vorher nach der großen Mittelmeerreise gestanden hatte, nämlich vor der Wahl einer bürgerlichen Lebensstellung.

Es gab zwei Möglichkeiten, entweder eine Professur an einer deutschen Universität, möglichst Berlin, oder aber eine von der Regierung garantierte Stellung in England.

Nach Verabredung mit Karl Ritter, dem Ordinarius der Geographie, stellte er schon Mitte Oktober 1855 an die Philosophische Fakultät der Universität Berlin den Antrag, das Kultusministerium möge ihm eine Anstellung als Professor Ordinarius der Geographie für das Jahr 1857 mit einem Gehalte von 1500 Talern zusichern, und der König möge ihm eine Unterstützung von 4000–5000 Talern zur Herausgabe des Reisewerkes bewilligen. Gleichzeitig hiermit schlug Humboldt Barth eine Anstellung an der Scharnhorstschen Sammlung vor.

Diese günstigen Aussichten wurden aber von anderer, Barth ebenfalls wohlwollender Seite durchkreuzt. Bunsen nämlich, [59] jetzt nicht mehr Gesandter in London, aber für alles Englische sehr eingenommen, suchte seinen Schützling für – England zu retten, erklärte ihm, daß er es dort viel besser haben werde, und riet ihm, dann freilich die Bemühungen um eine Professur in Berlin einzustellen, da er als deutscher Professor den größten Teil seiner Aussichten in London verlieren und wesentlich geringere Gelder erhalten werde. Er gab ihm auch zu bedenken, daß er jenen Berliner Geographen Heinrich Kiepert, der schon lange auf das Freiwerden von Ritters Lehrstuhl warte, sowie dessen großen Anhang gegen sich haben und damit in sehr unerquickliche Verhältnisse geraten dürfte. (Letzteres sollte sich tatsächlich bewahrheiten, als Barth im Jahre 1863 endlich die Bestallung als Professor gelungen war.) Vor allem aber begründete Bunsen seine Darlegungen damit, daß er bei der englischen Regierung folgende Summen für Barth beantragen wolle: 1600 £ als Entschädigung für Reiseausgaben, 3000 £ an nachträglichem Gehalte, da er ja seit Richardsons Tode Leiter der englischen Handelsexpedition gewesen war, ferner 2000 £ für die Herausgabe des Reisewerkes. Die englische Regierung bewilligte ihm statt der nachgesuchten 6600 £ nur 5280 £, immerhin runde 105 000 Mark.

Solcher Verlockung vermochte Barth nicht zu widerstehen. Diese Summen sahen ja auch wirklich anders aus, als was Berlin ihm zu bieten hatte, nämlich nicht mehr als auf die Dauer von zwei Jahren eine Jahressumme von 1000 Talern, die erst 1861 verlängert und auf 1500 Taler erhöht wurde. Freilich hat Barth das englische Geld mit einer Unsumme von Ärger quittieren müssen.

Ende November 1855 siedelte er nach London über, wo er sich ein hübsches kleines Landhaus mietete. Sogleich machte er sich an die Ausarbeitung seiner Tagebücher für das große Reisewerk, doch fiel es ihm anfangs schwer, sich an das lange Sitzen am Schreibtisch zu gewöhnen. Und sehr bald geriet er in Streit mit der Royal Geographical Society, mit der Anti-Slavery Society – beides sehr angesehene und einflußreiche Gesellschaften – und schließlich noch mit dem Foreign Office [60] selber. Die Geographical Society erhob Anspruch auf seine Tagebücher, den er zurückwies. Der Streit mit ihr spitzte sich so schnell und stark zu, daß Barth von der ihm zu Ehren stattfindenden Sitzung fortblieb und auch die ihm zugedachte goldene Medaille nicht annahm; erst im März 1856 ließ er sich dazu bereitfinden. Die Anti-Slavery Society, eine richtige Muckergesellschaft puritanischen Schlages, beschuldigte ihn, sein Christentum verleugnet, ja sogar – Sklaverei getrieben und begünstigt zu haben. Das Foreign Office versuchte ihn als seinen Angestellten zu behandeln und weiterhin auszunutzen. Auch dies ging dem Privatgelehrten gegen den Strich. Außerdem erbitterte es ihn, daß im Foreign Office seine im Sudan für Englands Handelspolitik geleistete Arbeit jetzt plötzlich vollkommen verneint wurde. Die Handelspolitik, die zu Beginn der Reise auf wirtschaftliche Erschließung des Sudans gerichtet gewesen war, hatte sich inzwischen insoweit vollkommen verändert, als England fortan Rücksicht auf das ihm im Krimkriege verbündete Frankreich nahm und es in Afrika nicht vor den Kopf stoßen wollte. Eine von Barth in auftragsgemäßer Wahrnehmung der englischen Belange veranlaßte Gesandtschaft des Herrn von Timbuktu wurde in Tripolis vom englischen Generalkonsulat angehalten und zur Rückkehr genötigt, ohne bis nach England durchgelassen zu werden; hierdurch empfand Barth sich im Sudan um sein ganzes Ansehen gebracht. Er sah alle seine Wirtschaftsarbeit, die er mit Hingebung geleistet hatte, zur Nutzlosigkeit verurteilt und fühlte sich als das Opfer der Politik. Wie oft ist es doch schon vorgekommen, daß ein Gelehrter mitsamt seinem Lebenswerk schuldlos zwischen den politischen Mühlsteinen zerrieben worden ist! Von den in diesem Buche behandelten Männern haben dies auch Rohlfs, Wissmann, Lüderitz und besonders Peters erfahren müssen.

Angewidert von dem englischen Cant, sich im Mittelpunkte eines wahren Netzes von Intrigen wähnend, lechzte Barth nach anderen, nach heimischen Verhältnissen, nach Selbständigkeit innerhalb eines wenn auch engeren Rahmens. Von seiner früheren Liebe zu England war er gründlich geheilt, er mochte [61] eingesehen haben, daß ein Mann in sein Volk gehört, nirgend woanders hin. Barth selber mag bei seiner kantigen, unverbindlichen Art nicht ganz ohne Schuld an seinem schlechten Verhältnisse zu den Engländern gewesen sein, aber es gab eben in England einflußreiche Kreise, die dem Deutschen die Krone der Afrikaforschung mißgönnten. Im Jahre 1861 hatte er die Genugtuung, daß England sich plötzlich seiner Wirtschaftskenntnisse von Innerafrika erinnerte und ihn zur Rückkehr nach England zu bewegen suchte; ja bald darauf schickte man ihm den schon 1855 versprochenen Bath-Orden. Aber Barth hütete sich, darauf einzugehen, hatte er doch auch sofort erkannt, daß es nur die Besorgnis um den Ausfall der – Baumwolle war, den der drohende amerikanische Bürgerkrieg in Aussicht stellte, was die Engländer zu verspätetem Einlenken bewog.

Damals, im Jahre 1858, verließ Barth, sofort nachdem er den fünften Band seines Reisewerkes abgeschlossen hatte, das unholde Albion.

Das große Reisewerk, auf dem der Glanz seines Namens beruht, trägt den Titel: Reisen und Entdeckungen in Nord- und Central-Afrika in den Jahren 1849–1855. Tagebuch seiner im Auftrage der Brittischen Regierung unternommenen Reise. 5 Bände von zusammen 3504 Seiten mit zahlreichen Bildern und 10 Karten zumeist im Maßstab von 1 : 1 Mill. oder 1 : 0,8 Mill. Eine kleine Ausgabe in 2 Bänden, von Lorentzen bearbeitet, erschien 1859/60. Beide verlegte J. Perthes in Gotha. Als Ganzes genommen ist es ein gründliches und aufschlußreiches Werk, in dem eine Fülle treffender und anschaulicher, durchaus lebendiger Schilderungen enthalten ist. Wenn manche Kritiker es trocken und ermüdend gefunden haben, so ist das nicht ganz richtig, denn eine gewisse Ermüdung und das Gefühl eines Untergehens in Einzelheiten führen mehr auf den riesigen Umfang zurück, als daß sie auch auf einen einzelnen Abschnitt zuträfen.

Als Barth im Herbst 1858 England verließ und nach Deutschland zurückkehrte, konnte der erst Siebenunddreißig- [62] jährige nicht ahnen, daß nur noch sieben Lebens- und Wirkensjahre vor ihm liegen sollten. Und noch weniger ahnte er, daß auch in der Heimat genug Intrigen gesponnen wurden, um ihm das Dasein schwer und bitter zu machen.

Zuerst aber, und zwar zum dritten Male in seinem Leben, stand er erneut vor der Frage eines festen Berufes, wenn er nun auch, weil er inzwischen in den Besitz des väterlichen Erbes gelangt war, keine Not zu fürchten hatte. Da die Fäden mit der Universität Berlin nicht mehr so fest wie früher waren, so dachte Barth anfangs an einen Konsulatsposten im Morgenlande, und er unternahm noch im Jahre 1858 eine Reise dorthin, teils um die fraglichen Verhältnisse, teils um im Dienste seiner Mittelmeeridee Nord-Kleinasien kennenzulernen. Begleitet von dem hanseatischen Konsul in Konstantinopel, Dr. A. Mordtmann, ritt er im November und Dezember, also zu reichlich später Jahreszeit, von Trapezunt über Tokat, Amasia und Angora nach Konstantinopel. Er hat die Reise in dem Buche Reise von Trapezunt durch die nördliche Hälfte Kleinasiens nach Skutari, das 1860 bei J. Perthes erschien, gut und umsichtig beschrieben.

Da die Hoffnungen auf ein Konsulat sich aber zerschlugen, so ließ Barth sich im Januar 1859 in Berlin nieder. Anfangs gefiel es ihm dort recht gut, aber seine alten Gönner Humboldt und Ritter starben noch im selben Jahre, so daß niemand mehr selbstlos um ihn bemüht war. Von der seinerzeit in Aussicht gestellten Professur war keine Rede mehr, und Ritters Nachfolger an der Universität wurde nicht er, sondern Heinrich Kiepert, der sich um die geschichtliche Geographie der Antike und um die Kartenkunde Kleinasiens sehr verdient gemacht hatte, dem heutigen Leben der Länder und Völker aber vollkommen fernstand.

So mußte sich Barth mit einer Tätigkeit innerhalb der Gesellschaft für Erdkunde begnügen, in welcher er Ende 1859 zweiter und 1863 erster Vorsitzender wurde. Hier setzte er sich eifrig für den Fortgang der Erforschung Afrikas ein und erteilte zahlreichen Reisenden Rat und Hilfe. Die Gründung der Karl- [63] Ritter-Stiftung zur Unterstützung von Forschungsreisenden war hauptsächlich sein Werk. Er verstand es, Geld für andere zu sammeln und schoß auch aus eigenem Besitze namhafte Summen dazu. Allein für Eduard Vogel, den er 1854 im Sudan getroffen hatte und der dann in Uadai verschollen war, hat er drei Hilfsexpeditionen zusammengebracht, nämlich die von Th. v. Heuglin, die von M. v. Beurmann und die von K. v. d. Decken. Auch für Rohlfs und Schweinfurth hat er sich noch einsetzen können.

Um so unbegreiflicher ist es für den, der nicht hinter die Kulissen blickt, daß der berühmte Mann, den Ritter schon 1855 als eine glänzende Akquisition für die Universität Berlin erklärt hatte und dessen Namen die ganze gebildete Welt kannte, in der amtlichen Wissenschaft keine besondere Rolle spielte. Als er Ende 1862 der Philologisch-historischen Abteilung der Kgl. Preußischen Akademie der Wissenschaften als ordentliches Mitglied vorgeschlagen wurde, lehnte die Mehrzahl der Akademiker seine Wahl ab, darunter selbst sein alter Lehrer Böckh und sein Studienbekannter Mommsen, außerdem u. a. der Indienreisende Schlagintweit und der Ägyptologe Lepsius, die ihn nicht leiden konnten; Lepsius hat bekanntermaßen vielen aufstrebenden Talenten, so z. B. dem Ägyptologen Brugsch, böse Hindernisse in ihren Lebensweg gewälzt. Die Philologen erklärten, Barth habe sprachwissenschaftlich doch noch nichts geleistet, deshalb liege kein Grund vor, ihn der höchsten Auszeichnung zu würdigen.

Heinrich Barth, ohnehin leicht verletzt, wußte seine Empörung kaum zu bändigen. Vor allem fort von Berlin. Aber als sich die Universität Jena ihm geneigt zeigte, da erinnerte sich auch das Preußische Kultusministerium plötzlich wieder seiner und berief ihn im Mai 1863 wenigstens als ao. Professor mit 1500 Talern Jahresgehalt an die Universität Berlin. Intrigen, in denen u. a. der o. Professor Kiepert eine große Rolle spielte, hatten dies vier Jahre lang zu verhindern gewußt. Wie manchem tüchtigen Gelehrten, und grade wenn er etwas Ungewöhnliches geleistet hat, ist nicht durch Blindschleichen und Maul- [64] würfe der Weg verschüttet und das Leben vergiftet worden, sobald es ihnen gelungen ist, sich in den Vordergrund zu drängen.

Im Wintersemester 1863/64 las Barth zum ersten Male, und zwar über Allgemeine Erdkunde und über Geschichte der geographischen Entdeckungen. Das erstere Kolleg wurde von sechzig, das letztere von zehn Hörern besucht. Er seufzte glücklich auf: "Gott sei Dank, daß ich nun einen wissenschaftlichen Rückhalt habe und vollauf zu arbeiten."

Und daß er zu arbeiten hatte! Da war neben der Vorbereitung der Vorlesungen die Ausarbeitung der zahlreichen sprachlichen Einsammlungen aus dem Sudan, die sich auf die Sprachen der Kanuri, Teda, Haussa, Fulbe, Sonrhai, Wandala, Barhirmi und Maha erstreckten. Das große Werk darüber begann 1862 unter dem Titel Sammlung und Bearbeitung Central-Afrikanischer Vokabularien bei J. Perthes in Gotha zu erscheinen. Welche wichtigen Ergebnisse es enthält, kann man beispielsweise daraus ersehen, daß er den Weg der Einführung des Pferdes in den Sudan auf rein etymologische Weise erschloß. Trotzdem er noch am Tage vor seinem Tode daran arbeitete, ist es doch unvollendet geblieben, und mehrfache spätere Versuche, seine Aufzeichnungen auszuarbeiten (woran sich u. a. auch Nachtigal beteiligte), führten zu keinem Erfolg.

Sodann wirkte er sehr eifrig an der Vorbereitung seines schon seit langer Zeit geplanten großen Werkes über die Mittelmeerländer. In den Jahren 1862–1865 machte er noch vier Reisen dorthin, und zwar zwei durch die Balkanhalbinsel, eine durch Italien und eine durch die Alpen. Zur Bearbeitung jenes Werkes ist er nicht mehr gelangt, denn sieben Wochen nach der Rückkehr aus Albanien und Montenegro erkrankte er urplötzlich unter furchtbaren Magenschmerzen und starb schon am zweiten Tage, dem 25. November 1865, in Berlin. Virchow stellte bei der Sektion eine Zerberstung des Magens infolge akuter Magen- und Darmentzündung fest. Auf dem Jerusalemer Kirchhofe wurden Heinrich Barths sterbliche Reste beigesetzt. Gustav von Schubert, sein Schwager, veröffentlichte 1897 eine Lebensbeschreibung Barths.

[65]
Das Charakterbild

Heinrich Barth war ein sehr eigengearteter Mann, der gefühlsmäßig ganz in sich gekehrt, tathaft aber weit nach außen wirkend seinen Weg durchs Leben als Einsamer ging. Ohne Weib noch Freund, unbegriffen und ungeliebt stand er zwischen seinen Zeit- und Berufsgenossen, argwöhnisch und mißtrauisch gegen andere, die ihm diese Empfindungen mit Unverstehen und Intrige vergalten. Aber er ging seinen Weg fast ohne Schwanken, geistig schon seit seinem zwanzigsten Lebensjahre völlig im klaren über das Lebensziel, nur in der bürgerlichen Berufsfrage ein paarmal zaudernd und ein einziges Mal fehlgreifend.

Aber nicht nur ein einsamer Mensch, auch ein früh vollendeter Mensch war er. Alles kam bei ihm sehr zeitig. Der Primaner war geistig seinen Altersgenossen weit voraus und arbeitete schon für sein späteres Lebenswerk. Der zwanzigjährige Student machte eine zehnmonatige Italienreise und empfing die Intuition der Mittelmeeridee, die hinfort der Leitstern seiner Arbeit blieb. Der achtundzwanzigjährige Privatdozent brach zu einer der größten Entdeckungs- und Forschungsreisen auf afrikanischer Erde auf und kehrte als vierunddreißigjähriger berühmter Mann zurück. Dann kam der Tod schon mit vierundvierzig. Und diese kurzen Jahrzehnte waren mit rastloser Arbeit vollgestopft, die mit einem geradezu unheimlichen Fleiße ausgeführt wurde. Es mutet fast wie die Vorahnung frühen Todes an, die nur darauf bedacht ist, von der Frucht noch möglichst viel in die Scheuer zu bringen. Selten hat größere und selbstlosere Hingabe all das geistige Werk, selten tiefere Überzeugtheit von einer höheren Sendung in einem Manne gelebt als in Heinrich Barth. Und trotzdem, trotz aller Frühvollendetheit, blieb er ein Unvollendeter, da der jähe Tod ihm verwehrte, jenes Werk zu schreiben, welches er seit vierundzwanzig Jahren für die Erfüllung seines Lebens hielt. —

Über die Abstammung von Barths Mutter ist nichts weiter bekannt, als daß sie in Hannover gebürtig war, einer Stadt also, die noch heute auffallend viel hochgewachsene nordische und fälische Menschen hat und damals, Ende des 18. Jahr- [66] hunderts, ihrer verhältnismäßig noch mehr gehabt haben wird. Der Vater wurde zu Willmersdorf bei (heute Groß-)Breitenbach geboren, das 600 m hoch am Nordhange des Thüringer Waldes zwischen Wald, Acker und Talwiese gelegen ist. Er entstammte einer Weberfamilie, die möglicherweise von der Südseite des Thüringer Waldes, von Waffenrod, also aus mehr fränkischem Stammesgebiete herübergekommen ist. Noch heute leben in Willmersdorf Barths, die alle von einem älteren Oheim des Afrikareisenden abstammen und eine Art Intelligenzschicht im Dorfe bilden. In der Kirche von Herschdorf, wohin Willmersdorf früher eingepfarrt war, steht ein eisernes Altarkruzifix mit der Inschrift "J. C. Barth 1849". Möglicherweise hat der Vater des Reisenden es anläßlich der Errettung des Sohnes aus Todesnot oder des Antrittes seiner neuen gefährlichen Reise gestiftet. Wir verdanken diese Angaben dem Pfarramte zu Herschdorf.

Heinrich Barth
[zwischen S. 48 u. 49]      Heinrich Barth, ca. 1860
Bei der Beurteilung von Barths rassischer Zugehörigkeit müssen wir uns an zwei Bilder halten, von denen das eine ihn als etwa achtundzwanzigjährigen Privatdozenten vor Antritt der großen Afrikareise zeigt, während das andere ihn in seinem letzten Lebensjahre, also als Frühvierziger und mit Orden geschmückt darstellt.

Was sich trotz Vollbart sicher erkennen läßt, ist, abgesehen von der etwa mittelblonden Farbe des Haares, die breite und freie Stirn, die blaue Farbe der Augen und, auf dem späteren Bilde, die Breite, die Höhe und das leichte Hervortreten der Jochbögen, wodurch hier die Augen von unten herauf gedrückt, also schmaler erscheinen. Sehr auffallend ist auf dem späteren Bilde der durch die schmalen Augen und durch die von der Nase zum Mundwinkel ziehenden Furchen erzeugte Ausdruck des Argwohns und des Hinter-dem-Berge-Haltens, der den Mann zu isolieren scheint. Um den Mund, dessen Oberlippe unter dem Schnurrbarte verborgen bleibt, spielt es wie Lächeln der Verachtung. Das frühere Bild zeigt noch nichts von dieser charakterlichen Artung, sei es, weil die Enttäuschungen noch fehlten, sei es, daß der Zeichner oder Holzschneider seiner Aufgabe nicht gewachsen war.

[67] An eine rassische Analyse möchten wir uns nur mit Vorsicht heranwagen. Das Antlitz ist nicht rein nordisch und auch nicht rein fälisch, das Ostische könnte immerhin in den hochgezogenen Jochbögen zum Ausdrucke gelangen. Der Körper wird als mittelgroß, fest und gedrungen geschildert – Angaben, mit denen auch nicht viel anzufangen ist. Sein Charakter jedenfalls zeigt entscheidend fälische Züge, denen ein Schuß nordischer Weitzügigkeit beigemischt war. Sein Gesicht wies, nach dem späteren Bilde zu urteilen, einen Ausdruck auf, der mehr thüringisch als niedersächsisch war. Anscheinend haben unausgeglichene blutliche und stammliche Unterschiede, die nicht zum Einhall gelangten, Spannungen in ihm erzeugt, die ihn als zerrissenen, unfrohen Menschen erscheinen ließen. Mehr dürfte sich über das Äußere kaum sagen lassen, dagegen sind wir über sein Charakterbild im einzelnen recht gut unterrichtet. Wir werden es nach seiner Gefühligkeit, Willenhaftigkeit und Geistigkeit genauer betrachten.

Heinrich Barth wirkte auf die meisten Menschen hart und schroff, abweisend und oft abstoßend; er erschien ihnen kalt und herzlos, ohne innere Anteilnahme an Dingen, die nicht sein Ich berührten. Und es ist wirklich so, er wahrte immer den Abstand und verblieb im Mittelpunkte eines kühlen Raumes, dessen Luft die anderen frösteln machte. Nebensächliches und Alltägliches ließen ihn vollkommen unberührt. Zurückhaltend und mißtrauisch gegen alle Welt, vergalt diese es ihm mit Zurücksetzung und Mißgunst. Schon auf dem Johanneum war er unter seinen Mitschülern wenig beliebt, erschien ihnen als trockner Pedant, wohl auch als Streber; dabei war seine eifrige Lektüre der alten Schriftsteller keineswegs dem Dienste der Schule gewidmet, sondern entsprang seiner Liebhaberei, die mit dem schon unklar geahnten Lebensziel in Zusammenhang stand. Später entwickelte sich in ihm eine Unfügsamkeit und Reizbarkeit, die besonders seit der innerafrikanischen Reise zunahm, als er des großen Erfolges stolz und der Besonderheit seiner Bedeutung sich voll bewußt war. Der langjährige Tropenaufenthalt mag seine Reizbarkeit und sein Mißtrauen ge- [68] steigert haben. Jedenfalls sind seitdem, also seit seinem fünfunddreißigsten Jahre, Ärgereien und Mißverständnisse gegenüber die Mitwelt für seine Gefühlslage gradezu bezeichnend gewesen. Der Abgrund, der zwischen seinem Gemüte und der Menschheit klaffte, war unüberbrückbar, denn es scheint Barth an Humor völlig gefehlt zu haben. Er war ohne Frohsinn, lachte selten, verzog sein Antlitz höchstens in spöttischer Verachtung oder bitterem Groll. Findet sich in seinen Reisebeschreibungen einmal ein nicht ganz ernst gemeintes Wort, dann ist es ironisch gemeint. So fehlte seinem Innern eine befreiende Tür nach außen, alle seelischen Vorgänge vollzogen sich in folgerichtiger und unerbittlicher Reihenfolge, es gab keine munteren Sprünge, es gab keine drolligen Fehlgriffe, es gab kein überschäumendes Toben, wie es für Nachtigals Entwicklung so bezeichnend gewesen ist. Barth kannte nur eisernes Pflichtgefühl für sich selber und Mißtrauen gegen die anderen. Wenn er als Knabe, in der Pause und für sich stehend, Freiübungen machte, dann tat er dies nicht aus Freude an der körperlichen Bewegung, sondern weil der Arzt es als heilsam für seine damalige körperliche Schwächlichkeit empfohlen hatte; er tat es mit zusammengebissenen Zähnen und ohne auf die Bemerkungen zu hören, mit denen die Mitschüler sicherlich nicht sparten. Nie hat er, soweit uns bekannt ist, getollt und sich verschwendet, ewig blieb er der unantastbare, ernste Pflichtmensch. Ja, er konnte finster und gewaltsam erscheinen, so wenn er dem Bräutigam seiner Schwester schrieb: "Wenn Sie meine Schwester unglücklich machen, schieße ich Sie tot."

Als er nach fünfeinhalbjahriger Abwesenheit in Afrika zu seiner elterlichen Familie nach Hamburg zurückkehrte, da begrüßte er sie so ruhig, als hätte er einen kurzen Ausflug gemacht. Und doch war er, der schon einmal totgesagt worden war, innerlich von dem Wiedersehen erschüttert. Er war ja gar nicht so gefühlsarm und gefühlskalt, wie die Menschen glaubten. Sein Familiensinn war sogar sehr ausgeprägt, die Liebe besonders zu seinem Vater, dessen er stets mit wärmsten Worten gedenkt, war groß und scheint nie gewankt zu haben. [69] In vertrautem Kreise konnte der sonst so Schweigsame mitteilsam und anregend sein, sobald es große Fragen der Wissenschaft oder der Politik betraf. Dann ging er wohl gar einmal aus sich heraus und fand freimütige und kräftige Worte. Wie empfindsam er zu fühlen und wie aufgeschlossen sein tiefstes Inneres zu sein vermochte, zeigen gelegentliche Stellen seiner Reisewerke, z. B. dort, wo er nach fünfeinhalbjähriger Abwesenheit in Tripolis sein geliebtes Mittelmeer wiedersah. Da "wallte mein Herz vor Freude über" und "fühlte ich mich von solcher Dankbarkeit gegen die göttliche Vorsehung erfüllt, daß ich nahe daran war, von meinem Pferde abzusteigen, um am Gestade des Meeres dem Allmächtigen ein Dankgebet darzubringen".

Sein Verhältnis zur Frau ist anfänglich positiv gewesen, wenigstens hat er sich 1848 um eine solche bemüht, aber freilich einen Korb erhalten, was ihn mit zur Teilnahme an der englischen Expedition bewogen haben soll. Und nach Rückkehr aus Innerafrika hat er nach einer Frau und nach Begründung einer eigenen Familie gradezu gelechzt. Aber sein Selbstgefühl scheint doch in diesem Punkte durch jenen Mißerfolg gelitten zu haben, denn damals in London vertröstete er sich selber auf das Erscheinen des ersten Bandes, der ihm schon Gelegenheit geben werde, "entsprechende Naturen" kennenzulernen. Offenbar aber sind ihm solche niemals begegnet. Nicht verschweigen wollen wir, daß uns im Jahre 1906 in Tripolis der Saharareisende Hanns Vischer, Assistentresident der englischen Bornuprovinz, Northern Nigeria, erzählt hat, in Kuka lebten einige farbige Nachkommen Heinrich Barths.

Über den nationalen Gehalt seiner Gefühligkeit sind wir wenig unterrichtet. Im großen und ganzen scheint er im kosmopolitischen Gelehrtenfahrwasser jener Zeit geschwommen zu sein. Die Märzrevolution von 1848, von der er in Hamburg hörte, dürfte keinen sonderlichen Eindruck auf ihn gemacht haben, und zu einer Teilnahme an den schleswig-holsteinischen Freiheitskämpfen gegen die Dänen ließ er sich trotz Drängens seiner früheren Studiengenossen Mommsen und Droysen nicht bewegen; er war zu sehr auf seine wissenschaftliche Lebensarbeit [70] eingestellt. Dagegen war er, der schon mit vierzehn Jahren gut Englisch verstand, ein Bewunderer des englischen Volkes, was bei einem Hanseaten damaliger Tage nicht ganz unverständlich ist, zumal er die Macht Englands und den Schutz seiner Konsuln auf seiner Mittelmeerreise kennengelernt hatte. Als er freilich die Kälte und Unbeständigkeit der englischen Regierungsmethoden, die Abneigung weiter englischer Kreise gegen alles Fremde, besonders auch die Anmaßung und den Cant aus allernächster Nähe kennenlernte, da ward er sehr bald ernüchtert und begann dieses Volk des schönen Scheines und der eisigen Rechenkunst zu verachten und zu hassen. Hierdurch dürfte er sich auch seines deutschen Herzens erst recht bewußt geworden sein, war doch inzwischen auch die Zeit gekommen, die dann sehr schnell zur Einigung der deutschen Bundesstaaten im Zweiten Reiche führte.

Wir würden seine Gefühligkeit nicht erschöpfend behandeln, wenn wir nicht auch seinen Idealismus hervorheben würden. Hier zeigte sich eine uneingeschränkte und auch für jedermann unmißverständliche leidenschaftliche Hingabe an unmaterielle Ziele, die ihn keine Mühe, keine Gefahr, keine Kosten scheuen ließ. Gewiß wurde ihm dieses Streben durch geldliche Gesichertheit erleichtert, aber wir glauben uns nicht zu täuschen, daß Heinrich Barth auch als armer Teufel seinen Weg in ähnlichem Sinne gemacht haben würde. —

Einer derart angelegten Gefühligkeit entsprach eine Willenhaftigkeit von unbändiger Stärke, die sich nie und vor niemandem beugte. Sein Wille war von urhafter Selbstverständlichkeit, er bedurfte nicht der geringsten Aufsicht oder gar Antriebes durch Überlegung, sondern war einfach da; man möchte sagen, Barths Wille war stärker als Barth selber. Der Körper erschien nur mehr als Hülle, gradezu als Gefängnis dieser urtümlichen Willenhaftigkeit, die ihn zu sprengen drohte. Die meisten Menschen hätten die erste Mittelmeerreise nach Überfall und Verwundung abgebrochen, und sie hätten es mit Anstand tun können, denn die Bereisung der gesamten Nordküste Afrikas allein schon war grade in damaliger Zeit eine [71] hochachtbare Leistung. Aber nein, Barth schloß noch anderthalb Jahre in Ägypten und Vorderasien daran. Und dann die endlosen Jahre im Innern Afrikas, jahrelang ohne Aussprache mit einem weißen Manne, immer beargwöhnt, ohne Geld, nicht selten inmitten lauernder oder offener Gefahren – was denkt ihr, Barth hielt aus, es scheint ihm überhaupt nicht in den Sinn gekommen zu sein, abzubrechen und heimzureisen. Welcher gebildete Europäer vorher hatte so lange im unbekannten Mittelpunkte Afrikas unter Schwarzen verbracht? Livingstone hatte damals immerhin Weib und Kind bei sich.

Mut und Beharrlichkeit zeichneten diesen Mann aus. Er schrak vor nichts zurück, sondern ging dem Ungewissen mit zusammengepreßten Zähnen entgegen. Und er beharrte unerschütterlich in der Verfolgung eines Zieles, wenn er dieses als erstrebenswert erkannt hatte. Eine Entmutigung durch Fehlschläge gab es überhaupt nicht, Fehlschläge waren doch nur dazu da, zu einer ganz besonderen Anstrengung anzuspannen. Sein Mut war nie Tollkühnheit, vielmehr behielt sein Verstand stets eine Stimme dabei. Auf der großen innerafrikanischen Reise begab er sich niemals in neue Gegenden, bevor er nicht in der alten Gegend, die er verließ, einen vertrauenswerten Freund gefunden und zurückgelassen hatte, auf den er sich notfalls zurückziehen konnte.

So eignete er sich nicht nur geistig, sondern auch willensmäßig trefflich zum Entdecker. Nicht allein, daß Reisen seine Leidenschaft war; "nichts in der Welt macht mich so glücklich als eine weite offene Landschaft, ein bequemes Zelt und ein schönes Pferd". Nein, seine Entschlossenheit und Geduld, seine Genügsamkeit und Entsagungsfähigkeit, dies alles ließ ihn bis zur Selbstaufopferung einem gesteckten Ziele nachgehen, das er genau in der Stunde, welche die geeignetste war, zu erreichen wußte. Der Benue und Timbuktu sind hierfür leuchtende Beispiele.

Solche Eigenschaften, unschätzbar für einen Entdecker in wildem Lande, sind oft nicht so schätzenswert für das Leben in der Heimat. Von seiner Mittelmeerreise kehrte der siebenund- [72] zwanzigjährige Privatdozent nicht nur als Mann zurück, sondern auch mit geprägtem Selbstbewußtsein, gebieterisch auftretend, durch seine Leistung vor ihm selber zu Höhen gehoben und in Kanten geschliffen, die zu dem bürgerlichen Kastengeiste einer Universität der Biedermeierzeit nicht gut passen konnten. Dieses Selbstbewußtsein versagte es ihm, sich im richtigen Augenblicke zu beugen. Er, der in der Wahl der Mittel in Afrika nie verlegen war und sich anzupassen wußte, vergriff sich in Europa nur zu oft darin und wußte die Menschen nicht zu nehmen. Da kam es ihm nicht mehr in vorderster Linie darauf an, sein Ziel zu erreichen, sondern sich selber, seinen Willen zu behaupten und seinen harten Schädel durchzusetzen – und wenn er bis zur Zurückweisung der goldenen Medaille der angesehensten geographischen Gesellschaft der Erde gehen mußte. Im selben Augenblick, als er merkte, daß diese Gesellschaft Forderungen stellte, die er als unberechtigt ansah, da bäumte sich seine Selbstheit auf, und er führte von sich aus den Bruch herbei – sollte daraus werden, was auch immer.

Mag dem sein, wie ihm will, mag er nicht in allen Fällen recht gehabt haben – subjektiv war er immer tief überzeugt davon – die grade Linie, die dieses Leben unbeirrbar innehielt, muß Bewunderung erregen. Unerschütterlich und unbeirrbar verfolgte Heinrich Barth seinen Weg zum selbstgesteckten Ziele, stellte seine geistige Arbeit darauf ab, ordnete ihm alles Behagen unter, opferte Geld dafür in jeder notwendigen Menge. Jede Zerstreuung, jeden fröhlichen Genuß empfand er als Beeinträchtigung seiner Lebensaufgabe und mied sie deshalb in strenger Selbstzucht. Und diese Ausschließlichkeit seines Wesens war es vor allem, die vielen Menschen unverständlich, ja unheimlich war und die sie durch die knorrige Eisschale seines Wesens nicht zu seinem edlen Kerne durchdringen ließ. Für seine Ideale und sein Recht war Barth allezeit zu jedem Kampfe entschlossen, sei es mit Räubern oder Universitätspäpsten, sei es mit Gesellschaften oder Behörden.

Ein großer Teil von Barths Zurückhaltung und Kälte im Gegenüber mit anderen erklärt sich nicht durch mangelhaft [73] entwickelte Gefühligkeit, sondern durch seinen ausgeprägten Individualismus, in welchem er ganz und gar Niedersachse war. Auch dieser war ihm angeboren, aber er wurde durch die Erziehung insofern noch begünstigt, als der Knabe meist sich selbst überlassen blieb. Schon als älterer Schüler lebte er in seinem mit Büchern gut versehenen Arbeitszimmer wie ein kleiner Gelehrter abgeschlossen für sich. In den Schulpausen stand er gewöhnlich allein und stumm da, mit Freiübungen beschäftigt. Die langjährigen Reisen, während deren er fast nur mit Farbigen zu tun hatte, verstärkten den Zug zum schweigsamen Alleinsein, zum herben Abstandhalten, zu stolzer, wenn nicht gar hochmütiger Zurückhaltung. Die Nachteile dieses Alleinstehens sah er verstandesmäßig sehr wohl ein, aber er vermochte den Hang nicht zu überwinden, da er ein fester Bestandteil seines Wesens war. So sagte er angesichts seiner in London gemachten bitteren Erfahrungen: "Es ist mein Hauptfehler, dieser Hang zur Einsamkeit und daß ich mich zu leicht von irgendeinem Kreise zurückziehe." Infolgedessen mußte er, nach seiner Ernennung zum Professor, in die Klage ausbrechen: "Anstatt entgegenkommende Hilfe zu finden, habe ich bisher nur Widerstand überwinden müssen, um überhaupt etwas zustande zu bringen."

Das ist eigentlich kaum noch geprägte Form, das ist schon mehr Kerkerhaft in sich selber, das ist die Gefesseltheit eines Ichs, das wohl anders möchte, aber nicht anders kann. Nur sich selber, aber keinem andern vermochte dieses Ich sich einzufügen, sich unterzuordnen, und hier liegt die Quelle vieler Mißerfolge seines äußeren Lebens. Von Hause aus geldlich gut gestellt, war er nie gezwungen, sich unbedingt den Verhältnissen anzupassen, und vermaß sich in gigantischem Trotze, die Verhältnisse sich selber, seinen eigenen Wünschen untertanzumachen. Indem er durch Reisen und Studien Bedeutendes und für damalige Zeit Einzigartiges leistete, indem er seine angeborenen leidenschaftlichen Neigungen zu seinem Berufe machte, glaubte er der Mitmenschheit gegenüber ein Recht auf Alleingültigkeit erworben zu haben, und er fiel in tiefste Enttäu- [74] schung, als er erleben mußte, daß die Welt es ihm nicht zugestand. Sein Herrentum forderte eine Sonderstellung innerhalb der Gemeinschaft, aber diese räumte sie ihm nicht ein. Daß er unmittelbar und mittelbar doch für die Allgemeinheit arbeitete, indem er von seiner überlegenen Geistigkeit spendete und dem Abendlande einen riesigen Teil Innerafrikas erschloß und damit der Kolonialpolitik Englands, Frankreichs und Deutschlands vorarbeitete, das freilich übersahen seine Zeitgenossen. Sie waren fest überzeugt, er böte ihnen nur Geist und nicht Herz. Kein Blender und jedes Mittel, sich in Szene zu setzen verschmähend, stellte er die bloße Leistung vor die erstaunten Augen seiner Zeit und ließ es sich damit genügen, unverbindlich und brüsk; aber die Zeit hätte gern eine freundliche Geste gesehen, und die zeigte er ihr nicht. So blieb er unverstanden und einsam. Man erkannte seine Arbeit an, aber über seine Person ging man einfach hinweg.

Der äußerlich so gefestigt, wie aus Erz gegossen erscheinende Mann, dessen innere Lebenslinie auch ihm selber schon erstaunlich früh feststand, war in Wahrheit eine von Spannungen erfüllte Natur. Nicht ausgeglichen, insofern er anders war, als er erschien, und es nicht fertigbrachte, sein eigentliches Ich klar erkennbar zu machen. Polar, insofern er zwischen Tat und Geist schwankte, vom Arbeitszimmer in die Landschaft und von dieser an den Schreibtisch sich sehnte. Als er in London das fünfbändige Reisewerk ausarbeitete, seufzte er: "Wie sehne ich mich nach einem freien Nachtlager in der Wüste, in jenem unendlichen Raume... Fast bereue ich es, daß ich mich selbst in diese Ketten gelegt habe." Er begriff die Menschheit nicht, und die Menschheit verstand ihn nicht. —

"Meine Philosophie ist nicht von dieser Welt und nicht für diese Welt", schrieb der einundzwanzigjährige Student an seinen Vater. Und kurz darauf: "Freilich kann eifriges Studium der Wissenschaft in ungeheuren Egoismus, in Sorglosigkeit um alles das, was außer einem vorgeht, ausarten. Während man so in seinen eigenen Gedanken alles Vergnügen findet, lernt man die anderen Menschen entbehren, fast verachten." [75] Wir haben es bei Barth mit einem Individualismus zu tun, der zwar angeboren war, den er aber von der geistigen Seite her noch gestützt hat – ein Sonderfall also. Und schließlich anläßlich des Verlustes seiner Bücherei durch den hamburgischen Brand: "Nur das, was man in sich selbst trägt, hat man sicher... Die innere Kräftigung und Geschicklichkeit, die kann einem niemand rauben."

Ebenso wie Barth ein Mann der Tat war, war er auch ein Mann des Geistes, ja die Tat diente ihm schließlich doch nur dazu, seinem Geiste besondere und große Möglichkeiten des Leistens zu erschließen. Auch seine geistige Entwicklung setzte sehr früh ein, wobei die Familie ihm keine Förderung zu geben vermochte. Rastloser Fleiß und Verständnis machten ihn zum Liebling der Lehrer, vorzügliche Sprachbegabung ermöglichte ihm schon mit vierzehn Jahren die Beherrschung des Englischen und trieb ihn etwas später dazu, es auch mit dem Arabischen zu versuchen, was seine Mitschüler für besonders verrückt hielten. Sein Selbststudium der klassischen Schriftsteller, deren Titel und verschiedene Ausgaben er genau kannte, führte ihn weit über das Ziel der Schule hinaus. Natürlich fehlte in diesen tastenden Versuchen des Schülers noch die klare Linie, und deshalb schwankte er bei der Wahl des Studiums zwischen reiner Altertumswissenschaft und, namentlich durch die Italienreise angeregt, Geschichte-Geographie. Aus dieser Weite seines Erkenntniswinkels strebte er nach einem möglichst allseitigen und umfassenden Studium des Altertums. Der Altphilologe Böckh selber wies ihn von der Archäologie auf die Geographie und zu Ritter hin, anfangs freilich ohne Erfolg, bis schließlich die beiden großen Reisen hier freie Bahn schufen und den Hang nach Universalität ins Geographische ausmünden ließen. So wie schon der Schüler heiß nach Büchern verlangte und der Student nach Italien wanderte, so ist der Drang nach Erweiterung und Vertiefung seines Wissens für Barth immer bezeichnend geblieben. Selbst in morgenländischen und innerafrikanischen Sprachen, die doch mit der alten Philologie nichts gemein haben, konnte er sich nicht genugtun.

[76] Barth verstand mit kleinen Mitteln Großes zu leisten – stets ein Kennzeichen des bedeutenden Mannes. Mit einer guten Beobachtungsgabe ausgestattet, die ihn auch zu einem sicheren, freilich nicht durchgeschulten Zeichner machte, entging ihm selbst das Kleinste nicht, und seine Gewissenhaftigkeit fühlte sich auch für dessen Vermerkung verantwortlich. Wenn dabei die Naturwissenschaften etwas zu kurz kamen, so lag das wohl mehr an dem Schulunterrichte jener Zeit, der die Sprachen einseitig bevorzugte. Trotzdem ist es falsch, was früher stets behauptet worden ist, daß Barth in Einzelheiten hängengeblieben sei. Eher ist das Gegenteil richtig, wenigstens wenn man bedenkt, daß alle seine Bücher Reisewerke, d. h. bloße Materialdarbietungen sind und daß das große zusammenfassende Werk über die Mittelmeerländer infolge seines frühen Todes nicht zur Ausführung gelangt ist.

Denn eins ist klar, und wir wundern uns, daß frühere Biographen das nicht erkannt haben: Barth war sowohl einer eingehend zergliedernden Analyse wie auch einer großzügig aufbauenden Synthese fähig. Selbst in seinen Reisebüchern beweisen die Bilder und die gar nicht so seltenen, wenn auch meist kurzen Ausführungen über Landschaften, die oft mit erstaunlicher Sparsamkeit des Ausdruckes klare Anschauung vermitteln, daß diesem Denker und Grübler das Künstlerische nicht so fern lag, wie immer behauptet wird. Seine geistige Entwicklung geht unzweifelhaft von der Analyse zur Synthese hin, ja genau gesagt, steht die Synthese in Gestalt der großartigen Intuition des Mittelmeergedankens sogar im Anfang seiner ganzen wissenschaftlichen Laufbahn!

Mag sein Charakter von Spannungen zerklüftet gewesen sein, seine geistige Leistung ist ein geschlossenes Kunstwerk, das zu steiler Höhe aufsteigt und sicherlich in einer schöngeformten, ragenden Spitze würde gegipfelt haben, hätte nicht der Tod die Vollendung unterbunden. Weder starke Enttäuschungen noch früher Ruhm, der dann durch nörgelnde Kritik angenagt wurde, vermochten ihn im Aufbau seines Lebenswerkes irrezumachen. Seine Kritiker haben in unseren Augen, welche die [77] Synthese über die Analyse, den Einhall des Wissens über das bloße Fachwissen stellen, sich selbst gerichtet, wenn sie, jeder in seinem kleinen Fache steckenbleibend, die Universalität seiner Lebensleistung nicht erkannten.

Betrachten wir zum Schlusse Barth noch als Geograph. Er kam von Karl Ritter aus an die Geographie heran, infolgedessen war ihm Ritters "historisches Element", die Abhängigkeit des Menschen von der Gliederung des Raumes und ihre Erklärung der menschlichen Verhältnisse und Geschichte aus ihm, vollkommen geläufig. Und über diese Auffassung ist er nie hinausgelangt. So sagte er beispielsweise als Achtundzwanzigjähriger: "Eine Veranschaulichung ethnographischen Lebens in die Beschreibung der Gegenden verschmolzen, wo es sich entwickelte, war das Ziel, nach dem ich strebte... Ich schildere die Landschaften nach ihrer topographischen Gestaltung und nach ihren ethnographischen Eigenständigkeiten und suche ihre vergangenen Zustände an den dem Lande eingeprägten Zügen zu veranschaulichen." Und später als Sechsunddreißigjähriger: "Meine Art der Anschauung... ist der historische Zusammenhang des Menschen mit der reichen Gliederung der Erdoberfläche." Die Elastik des Bodens beschäftigte ihn auf der großen innerafrikanischen Reise und noch mehr auf seinen späteren Reisen in den Mittelmeerländern in immer steigendem Maße; ja nachdem er in Berlin von seinem Freunde, dem Geologen Prof. Beyrich, viel über Gesteine gelernt hatte, wandte er zuletzt auch diesen seine Aufmerksamkeit zu.

Die Entwicklung seiner Veranlagung zur Synthese läßt sich an der Mittelmeeridee sehr gut verfolgen. Der zwanzigjährige Student empfing in Selinunt die Intuition der großen Einheit der Mittelmeerländer. Der junge Doktor machte seine weite Umwanderung des Mittelmeeres und schrieb das Reisebuch darüber in der ausgesprochenen Absicht, Vorarbeit zu leisten für "eine umfassende systematische Behandlung des ganzen Bassins des Mittelmeeres mit dem gesamten Kreise seiner Gestadeländer in physischer und ethnographisch-geschichtlicher Hinsicht". In seinen letzten Lebensjahren wurde er als Professor [78] bei der Anlage seiner Vorlesungen immer mehr dahin gedrängt, Einzelheiten zu Übersichten zusammenzuschließen. Schon 1860 hatte er einen im Athenaeum zu Hamburg gehaltenen Vortrag "Das Becken des Mittelmeeres in natürlicher und kulturhistorischer Beziehung" bei Meißner in Hamburg als Sonderschrift von 32 Seiten Umfang drucken lassen. Wenn zwar diese kleine Arbeit von dem gesteckten Ideal, die Einheit des Raumes zu konstruieren, noch ziemlich fern bleibt, so ist sie doch der älteste literarische Niederschlag der Erfassung eines Erdraumes als organische Einheit außerhalb der üblichen schematischen Erdteile! Jene beiden Schriftsteller, die sich später einen Namen als Mittelmeergeographen gemacht haben, erwähnen ihren Vorläufer Barth als Schöpfer dieser Idee nicht mit einem einzigen Worte. Für das Wintersemester 1865/66 kündigte Heinrich Barth eine dreistündige Vorlesung "Physische und historische vergleichende Geographie des Mittelmeerbeckens" an, aber leider ist er nicht mehr dazu gekommen, sie zu halten.

Er schrieb im Jahre 1860: "Ich hoffe, daß, wenn mir ein hinreichend langes Leben geschenkt wird, es mir gelingen soll, einen reichen Einzelstoff auch zu allgemeinen Ideen ganz zu bemeistern." Und er dachte dabei an zwei große Werke, eine Geographie der Mittelmeerländer und eine Geographie von Afrika. Daß er beide nicht mehr hat schaffen können, ist ein Verlust für die Entwicklung der Geographie gewesen. Eine wie hohe Auffassung er von dieser damals noch recht im argen liegenden Wissenschaft hatte, besagt folgender Ausspruch aus seinem letzten Lebensjahre: "Für mich selbst in der Tat ist diese Wissenschaft der Inbegriff, das einigende Band aller übrigen Disziplinen."








Unsere großen Afrikaner
Das Leben deutscher Entdecker und Kolonialpioniere

Ewald Banse