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Die geistige Besitzergreifung

Gerhard Rohlfs

Die Vernichtung einer Expedition

Der berühmte Afrikareisende – er war damals siebenundvierzig Jahre alt – saß beklommenen Herzens in seinem Zelte, und seine drei weißen Begleiter hockten schweigend um ihn herum. In [79] dem mit Palmwedeln umsteckten Lager war ein ununterbrochenes Kommen und Gehen. Die Sujaaraber von Kufra standen herum und musterten gierigen Blickes die Koffer und Kisten, die Lebensmittelsäcke und Wasserschläuche, die Kamele und Pferde. Jedem war anzusehen, wie er sich schon seinen Teil der Beute aussuchte. Die eingeborenen Knechte wagten sich kaum noch zu bewegen, denn sobald man ihrer ansichtig wurde, prasselten Schimpfworte auf sie herab und Vorwürfe, daß sie Christenhunden dienten.

Während die Dämmerung hereinbrach und schnell in Nacht überging, zogen vor dem inneren Blicke des Afrikareisenden die Bilder der letzten Wochen vorbei. Die Unfreundlichkeit des Senussiordens, der in Benrhasi jeden Empfehlungsbrief verweigerte, der kostspielige Vertrag mit diesem Bu Bekr Bu Gwettin, einem der Schechs der Sujaaraber von Kufra, der versprochen hatte, die Expedition für die unglaubliche Summe von 3300 Mark nach Uadai zu führen, ungerechnet die Kosten für Kamele. Und jetzt in seiner Heimat, wo er sich vor dem Zugriffe der Türken sicher fühlte, da warf der Schurke plötzlich die Maske ab, hetzte die Bevölkerung zu Fanatismus und Habgier auf und verlangte immer unverschämter Geld, Geld und stets erneut Geld. Schickte der Reisende einen Boten mit Briefen nach Benrhasi zum türkischen Pascha, dann ließ der Bote sich 200 Mark zahlen und blieb hübsch am Orte. Gut nur, daß der Reisende mit dem Pascha verabredet hatte, daß dieser nicht auf einen arabisch, sondern nur auf einen französisch oder italienisch geschriebenen Brief die vorsorglich als Geiseln eingekerkerten drei Sujaschechs freilassen solle; das gab doch wenigstens etwas Rückhalt gegenüber den Räubern hier.

Und vor einer Woche, seitdem man schon etliche Zeit in dem noch nie von einem Europäer betretenen Oasenlande Kufra weilte, hatte der Bu Gwettin ihn und seine Gefährten plötzlich zu Gefangenen erklärt. Bösartig grinsend hatte er hinzugefügt, er werde in Ketten gelegt werden, wenn solches den Geiseln geschähe, ja er werde getötet werden, wenn die Geiseln [80] getötet würden. Nun ja, Auge um Auge, Zahn um Zahn eben, uraltes Gesetz der Steppe.

Nach einiger Zeit war ein neuer Quälgeist erschienen, ein besonders fanatischer Senussi, Sidi Agil mit Namen, der die Geldgier von der religiösen Seite her noch stärker zu schüren begann. Und heute morgen hatten die beiden Banditen Bu Gwettin und Sidi Agil eine Bande von dreißig Bewaffneten ins Lager geführt und unter lauten Todesdrohungen die erstaunliche Summe von 1000 Mariatheresientalern oder 4000 Mark verlangt. Was war ihm anderes übriggeblieben, als ihrem Toben nachzugeben und Geld herauszurücken, freilich nur 690 Mariatheresientaler – immer noch genug für solche Hungerleider, die kaum einen einzigen blanken Taler besaßen. Den Koffer, dem das Geld entnommen worden war, ließen sie heimlich auch gleich mitgehen.

Aber es gab doch selbst in diesem entlegenen und gesetzlosen Winkel der Welt rechtliche Menschen. Während der Entdecker noch finster vor sich hinbrütete, trat der Schech einer anderen Abteilung des Sujastammes, Krim Bu Abd e'Rba, zu ihm herein, grüßte höflich und ließ sich nieder. Nach der üblichen formvollen Einleitung erklärte er den Fremden, daß Bu Gwettin ihn zu gewinnen gesucht habe, in der kommenden Nacht das Lager zu überfallen und zu plündern sowie die Weißen zu töten. Er fügte aber hinzu, dazu könne er seine Hand nicht bieten, ja er forderte den Bedrohten sogar auf, sich unter seinen Schutz zu stellen und noch heute abend in sein Lager zu Surk zu kommen. Er möge bloß sein Geld mitnehmen, alle anderen Sachen aber ruhig an Ort und Stelle lassen, denn an denen würden sich die Räuber nicht vergreifen.

Gerhard Rohlfs, so hieß der Reisende, schöpfte Hoffnung und ging sofort auf den Vorschlag ein. Als es völlig dunkel geworden war, verließen die vier Deutschen, mit Revolvern bewaffnet und den größten Teil der Silbertaler in einem Sacke schleppend, das Lager und erreichten nach erschöpfendem Irrmarsche um Mitternacht Surk.

Noch am gleichen Abend – die Reisenden waren kaum zwei [81] Stunden fort – stürmte Bu Gwettin mit seiner Horde das Lager. Als man die fremden Vögel ausgeflogen fand, stürzte man sich auf die Zelte, Koffer und Kisten, zerschlug sie und suchte nach dem Gelde. Immerhin wurden noch 300 Mariatheresientaler, also 1200 Mark, gefunden, aber die Enttäuschung war doch so groß, daß die unersetzlichen Instrumente, die Konservenbüchsen, die Zelte und noch vieles andere in sinnloser Wut zerschlagen, zerstampft, zerrissen wurden. Selbst an Weinbrand, Spiritus und Dattelschnaps vergriffen sich die frommen Mohammedaner. Die Männer gebärdeten sich wie die Wahnsinnigen, tanzten im Flackerlichte der Fackeln umher und brüllten und knallten, daß es weit in die leere Wüste hinausschallte. Einer von ihnen schoß sich beim Laden eines ihm unbekannten Revolvers einen Finger ab. Niemand tat ihnen Einhalt, trotzdem die Zuschauer von weither geeilt kamen; nur ein einziger alter Mann war da, der fluchte ihrem unseligen Tun, doch wer hätte auf ihn gehört? Gegen Morgen begannen sie fieberhaft den ganzen Boden des Lagers umzuwühlen, tiefer und immer tiefer, denn sie vermeinten nicht anders, als daß der verdammte Christenhund sein Geld vor der Flucht vergraben hätte.

Die Reisenden hatten die böse Nacht mit einiger Ruhe verbracht, denn sie durften sich – zum ersten Male seit Wochen – in leidlicher Sicherheit fühlen, doch hielt ihr Beschützer es für notwendig, sie durch eine starke Wache gegen Bu Gwettins bald zu erwartende neue Angriffe zu sichern. Aber waren auch Leben und Geld geborgen worden, wo blieben die Instrumente, wo die Tagebücher, wo die Aussicht, weiter vorzudringen durch die Libysche Wüste und nach Uadai? Es war eben doch vieles verloren, ja mit dem erhofften Ziele sogar die ganze Expedition gescheitert!

Aber nun entstand den Reisenden ein neuer Beschützer, der Schech einer dritten Abteilung des Stammes der Sujaaraber, Dschib e'Lab el Abid, der mit den Worten eintrat, jetzt, da der Christ im Unglück sei, wolle er ihm beistehen. Die Tatsache, daß nun zwei einflußreiche Schechs, Krim Bu Abd e'Rba und Dschib e'Lab el Abid, sich offen zu Beschützern der Fremden [82] erklärten, bewirkte einen wesentlichen Umschlag der Stimmung unter den Sujaarabern zugunsten der Beraubten. Der größeren Sicherheit halber veranlaßt Schech Dschib e'Lab el Abid die Reisenden, zu ihm nach dem Orte Dschof zu übersiedeln. Jetzt begannen manche Araber schon Teile der Beute zurückzugeben.

Ein völliger Umschwung freilich trat erst ein, nachdem von Dscharabub, dem Hauptsitze des Senussiordens, zwei heilige Sendboten eingetroffen waren, welche die Grüße Sidi el Mahdis, des Großmeisters, überbrachten, den Christen in Kufra willkommen hießen und ihres Schutzes versicherten. Wieder begannen endlose Verhandlungen zwischen den Parteien. Zwar wurden auf Einwirkung der Senussi viele Stücke des Gepäcks zurückerstattet, doch das Geld rückte Bu Gwettin nicht heraus, und auch die Tagebücher blieben verloren.

Schließlich war es aber wenigstens so weit, daß die Reisenden es wagen konnten, unter einer Bedeckung von sechzig Bewaffneten die Oase zu verlassen. Bu Gwettin verfolgte sie noch eine Zeitlang, kam aber nicht zu dem ersehnten Schusse auf Rohlfs. Wutschnaubend sah er Opfer und Beute entrinnen.

Rohlfs erreichte glücklich wieder die Hafenstadt Benrhasi, aber er war stark gealtert. Der Schreiber dieser Zeilen hat im Jahre 1906 zu Tripolis im Besitze eines alten, durch Whisky fast verkommenen Schotten O'Gready zwei zu Malta aufgenommene Photographien von Rohlfs gesehen; auf der einen stand: "Before going to Kufra", auf der andern "Coming from Kufra". Es war kaum zu glauben, daß der blühende Kopf und der abgemagerte, zergrämte, enttäuschte Kopf eine und dieselbe Person in einem Zeitabstande von nur einem Jahre darstellten.

 
Wie ein Abenteurer entsteht

Haben wir in Heinrich Barth einen äußerst intensiv arbeitenden Gelehrten und Afrikareisenden kennengelernt, dem nur die Kürze des Lebens das letzte Vollenden verwehrt hat, so tritt uns in Gerhard Rohlfs ein Afrikareisender entgegen, schlechtweg ein Afrikareisender, [83] kein Gelehrter, sondern nur ein Reisender, der aus Abenteuerlust und Ehrgeiz hinauszieht, um durch Tilgung einiger weißer Flecke der Landkarte Ruhm zu erwerben. Ein Mann, der sich von anderen Männern Aufgaben stellen läßt, die er durch Wagemut, nicht durch Gelehrsamkeit zu lösen sich bestrebt. Da gibt es keine Probleme von tieferem geistigen Gehalte, wie doch ein solches in Barths Mittelmeeridee intuitiv gefunden war, da gibt es keine Ausrichtung des ganzen Denkens und aller Reisen auf solch ein Problem, sondern der Griff packt hier zu und dort zu, wo grade noch ein weißer Fleck ist – extensive Arbeit eben.

Der Unterschied ist der: Barth wäre auch ohne seine innerafrikanische Reise, den großen Zufall seinen Lebens, und auch zu anderer Zeit ein bedeutender Geograph geworden; Rohlfs dagegen hätte, ein Menschenalter später geboren, ruhmlos gelebt und geendet, weil er keine weißen Flecke mehr dicht vor seiner Haustür, will sagen der Fremdenlegion, gefunden hätte. Gelegenheit macht nicht allein Diebe, nein, auch Entdecker.

Gerhard Rohlfs kam am 14. April 1831 in dem Hafenstädtchen Vegesack an der Unterweser zur Welt. Sein Vater entstammte einer alten bremischen Ärzte- und Pastorenfamilie, die Mutter war in der Gegend von Quakenbrück gebürtig, Rohlfs kann deshalb wohl als reiner Niedersachse angesehen werden. Das elterliche Haus, auf eine gute ärztliche Praxis gegründet, war behäbig und von breiter Lebensführung, man hielt den Kindern einen Hauslehrer, schlachtete allwinterlich seine zwei Schweine, erntete, was in Feld und Garten zuwuchs, und trank selbstgemolkene Milch.

Rund um des Knaben Kindheit stand das winzige Hafenstädtchen Vegesack mit seinen weltweiten Beziehungen, mit seinem von Segelschiffen belebten Strom, mit dem baumgrünen Steilhange, mit seinen gekrümmten Giebelgassen und mit seinen alten Kapitänen, die abends am Strande sitzen und sich die müden Augen vom frischen Winde kühlen lassen, bevor sie daheim mit Grog nachwärmen. Der Knabe wuchs als ein kleines Rauhbein auf, ging kei- [84] nem dummen Streich aus dem Wege, kletterte gewandt, war mutiger Anführer in Raufereien, kurz, er bezeigte jede nur wünschbare Unternehmungslust und noch einiges darüber hinaus. Im Unterricht dagegen, na ja – was ihm nicht gefiel, da konnte er eben nicht heran, war in der Klasse unaufmerksam, machte keine Schularbeiten, versagte in allen mathematischen und altsprachlichen Dingen vollkommen und bezeigte nur etwas Anteilnahme für so unnütze Fächer wie Erdkunde und Geschichte.

Mit fünfzehn Jahren wurde er auf das Gymnasium zu Osnabrück verschickt, rückte aber eines Verweises wegen, der ihm nicht paßte, nach Holland aus, schrieb nach Hause und heuerte als Schiffsjunge an. Mit genauer Not grade noch konnten Mutter und Tante, in höchster Aufregung herbeieilend, den angehenden Weltumsegler zurückholen. Welche Demütigung vor den Jantjes!

Jetzt schleppte man ihn auf das Gymnasium in Celle. Natürlich war es hier nicht schöner; aber wie es in den Geschichtenbüchern immer so trostvoll heißt: Gott verläßt keinen jungen Deutschen nicht. In diesem Falle erregte er in Schleswig-Holstein und auch anderswo allergrößten Zorn gegen die Dänen, welche Holstein vom Reiche trennen wollten, und erweckte in jungen Gemütern glühende Aussichten auf Kampf und Sieg. Nach diesem Strohhalme haschte der Gymnasiast Rohlfs, wanderte im Januar 1849, noch nicht achtzehn Jahre alt, nach Bremen und trat als Freiwilliger in das Füsilierbataillon ein.

Obwohl schon im Mai zum Gefreiten befördert, verschwand Rohlfs noch im gleichen Jahre aus Bremen, da er erkannte, daß er von dort aus nicht ins Feld gelangen würde. In Kiel wurde er gleich als Unteroffizier in das 6. schleswig-holsteinische Infanterieregiment eingestellt, dem auch einer seiner Brüder als Militärarzt angehörte, und rückte bald zum Portepeefähnrich auf.

Endlich im Sommer 1850 kam er ins Feld, machte die erfolgreich beginnende und dann doch verlorengehende Schlacht bei Idstedt mit und wurde noch auf dem Schlachtfelde zum [85] Leutnant befördert. Als aber im Januar 1851 die Elbherzogtümer, von Rußland und Österreich verraten, dann auch von Preußen aufgegeben, auf eine Fortsetzung der Kriegführung verzichten mußten, lösten sie ihr kleines Heer auf. Ende März wurde der Leutnant Rohlfs verabschiedet und stand genau da, wo er schon zweidreiviertel Jahre vorher gestanden hatte.

Ob und wie er die Abschlußprüfung erlangt hat, ist nicht bekannt. Aber wir finden ihn noch im gleichen Jahre als Studenten der Medizin, zuerst in Heidelberg, dann in Würzburg und zuletzt in Göttingen, allwo er im Korps Hannovera aktiv war. Er lebte flott, weit über den bescheidenen väterlichen Wechsel hinaus und geriet oft in drückende Schulden.

Drei Semester hielt er das aus, dann genügte auch das Studentenleben dem unruhigen Sinne nicht mehr, den es wohl unbewußt nach einem Ziele verlangte – aber welchem? – und im Herbst 1852 fuhr er ins Österreichische und wurde wieder – Soldat. Natürlich gefiel ihm der Garnisondienst auch bei den "Holters" nicht, und so desertierte er eines Tages im Jahre 1855.

Es kam eine aufreibende, jämmerliche Wanderung durch die Schweiz nach Frankreich hinein, und dann natürlich, es war in Nimes, der Eintritt in die Fremdenlegion: Deuxième régiment étranger. Noch im gleichen Jahre wurde sein Truppenteil nach Algerien geschickt, Rohlfs anscheinend als eine Art Sanitätssoldat – aber man weiß das nicht genau, denn er hat später nie über die sechs Jahre, die er in der Legion diente, gesprochen. Bekannt ist nur, daß er es bis zum Sergeanten brachte und mehrere Medaillen erhielt. Anscheinend ist er hier nicht ausgerissen, sondern entlassen worden.

Es ist wohl der einzige Fall, daß ein Mann Afrikas Boden als gemeiner französischer Fremdenlegionär betreten und ihn dreißig Jahre später als gefeierter Afrikareisender und deutscher Generalkonsul verlassen hat.

Wer es sechs Jahre in der Legion ausgehalten hat, die schon damals ein Sammelbecken von Gescheiterten und Verbrechern war, der ist gesalzen und hartgebeizt, den schreckt nichts mehr, [86] der kann nur noch gewinnen, denn was hätte er noch zu verlieren?

Rohlfs, damals immerhin schon dreißig Jahre alt, hatte gehört, der Sultan von Marokko wolle nach seinem soeben unglücklich ausgegangenen Kriege mit Spanien sein Heer umgestalten und suche europäische Helfer. Lediglich in dieser Hoffnung ging Rohlfs 1861 nach Marokko, nicht etwa in der Absicht, Entdeckungsreisen zu machen. Die Art solcher Abenteurer und Glücksritter ist es, ihre Hoffnung eher auf ein nebelhaftes und höchst zweifelhaftes Ziel zu setzen, als durch fleißige Arbeit dem Erfolge zuzusteuern.

In Tandscha angekommen, mußte er aber zu seiner Enttäuschung erfahren, daß jene Redereien Unsinn seien, daß der Sultan an so etwas gar nicht dächte und daß auch der im Lande herrschende Fremdenhaß christliche Reformer nicht herein und am Leben lassen würde. Und ins Innere gehen? Wer das wagen wolle, der müsse zuerst einmal Mohammedaner sein und selbstverständlich Arabisch sprechen können.

Wie vor den Kopf geschlagen hockte der Abenteurer in den Kaffeehäusern des kleinen Sokko und zergrübelte sich das Gehirn, was er nun anfangen solle. Aber es war nicht seine Art, lange zu überlegen, er sprang auf und entschloß sich – allein und zu Fuß nach der Hauptstadt Fes zu wandern. Mohammedaner werden? Nun, warum nicht, wer glaubte noch an Kirche und Christentum – er jedenfalls nicht. Arabisch sprechen, hm ja, nur zwei oder drei Redensarten, wie man sie eben in der Legion aufschnappte. Ach was, nur los! Den Hauptbesitz, eine englische Fünfpfundnote, in die Mütze eingenäht, schnell noch zum Islam übergetreten, und zwei, drei Wäschestücke als Bündelchen an einen Stab gebunden und nach heimischer Sitte über die Schulter gelegt – so wanderte der frischgebackene Mohammedaner Mustafa schon nach fünf Tagen aus Tandscha fort. Nur keine Zeit verlieren, das Glück wartet nicht.

Gleich unterwegs fand er schon einen Reisebegleiter, einen Marokkaner hoch zu Maultier. Im ersten Nachtlager schor man ihm, um ihn zum richtigen Moslem zu machen, den Kopf mit [87] einem gewöhnlichen Messer kahl – ach, wie weh das tat – worauf er zum ersten Male in seinem Leben mit der rechten Hand in die gemeinsame Eßschüssel greifen mußte. Am andern Tage verschwand der Begleiter, als Mustafa den Schlaf des Vertrauens und der Erschöpfung schlief, mit dem Wäschebündelchen und mit der in ihm untergebrachten Kappe, allwomit die schöne Fünfpfundnote ebenfalls unsichtbar geworden war. Mustafa stand in Hemd, Jacke und Pantoffeln einsam und allein im weiten Marokko...

Und dies war die Stelle der ernstlichen Prüfung. Er hätte ganz wohl nach Tandscha zurückschleichen können, aber er tat es nicht, denn er schämte sich, so schnell und so dumm übertölpelt dort wieder aufzutauchen. Er schleppte sich weiter, nach der Stadt Alkassar zu, nicht ahnend, daß er sich durch diesen Sieg des Willens das Tor zum Ruhme erschloß.

Schließlich gelangte er in die heilige Stadt Uesan, wo der in Marokko hochverehrte Großscherif Sidi el Haddsch Abd e'Salahm lebte. Dieser Heilige, nicht älter als der fremde Abenteurer, entpuppte sich unerwartet als Freund europäischer Ansichten und Einrichtungen, nahm den Wanderer äußerst zuvorkommend auf und verkehrte täglich mit ihm. Er ließ ihn nur ungern ziehen und gab ihm Maultier, Führer und Empfehlungen nach Fes mit.

In Fes empfing ihn deshalb der Oberbefehlshaber des kleinen marokkanischen Heeres gut und ernannte ihn sofort zum Armeearzt – mit dreißig Pfennig Tagessold, was zum Auskommen grade reichte. Als das Hoflager nach etlichen Wochen nach Mekines verlegt wurde, ließ Rohlfs sich hier als Arzt Mustafa nieder und hängte sogar ein Schild vor seine Haustür, ein in Marokko noch nie gesehenes Etwas. Er stieg auch zum Leibarzte des Sultans empor, als welcher er tagtäglich unter Aufsicht von Eunuchen im Harem Besuche zu machen hatte. Aber Seide war auch damit nicht zu spinnen, und da der Arzt jedes Mittel, das er einem Großwürdenträger verordnete, erst selber nehmen mußte (um zu beweisen, daß es kein Gift war), so blieb die Heilkunde hier nicht ohne Dornen.

[88] Inmitten dieser unbefriedigenden Tätigkeit, die schließlich nichts anderes als Quacksalberei war, empfand er immer drängender das Verlangen, von dem weiten und noch fast unbekannten Lande etwas kennenzulernen, aber man wollte auf seine wertvolle Hilfe nicht verzichten. Erst ein unbedeutender Zufall machte ihm im Sommer 1861 den Weg frei.

Er begab sich nach Uesan zu seinem Freunde, dem Großscherifen, zurück und wurde von ihm mit größter Freude empfangen. Aber von Reisen wollte auch der nichts wissen, bis es Rohlfs schließlich nach einem Jahre gelang, die Erlaubnis zu einer ganz kleinen Reise zu erhalten.

 
Die ersten Forschungsreisen (1862–1869)

Ohne wissenschaftliche Vorbildung, ohne Ahnung von dem Problem der marokkanischen Geographie, ohne Instrumente, nur mit Tagebuch und Bleistift machte sich Mustafa auf den Weg.

Zuerst ging er nach Tandscha und wanderte dann an der ganzen Westküste Marokkos gen Süden. Anfangs begleitete ihn ein Spanier, ebenfalls zum Islam übergetreten, aber nicht lange, denn er verschwand bald unter Mitnahme des Esels und des bescheidenen Gepäcks des angehenden Forschers, natürlich auch mit dem größten Teile seines winzigen Geldsümmchens. Rohlfs stand wieder bettelarm da. Hierzu stellte sich Malaria ein, gegen die er erst in Saffi mit geschenktem Kinin ankämpfen konnte. Trotzdem verlor er auch diesmal den Mut nicht, pilgerte weiter, überstieg den westlichen Teil des Atlasgebirges und kam schließlich in Agadir an.

Von Agadir gelangte er, mit einer Karawane mitlaufend, ins Binnenland. Um Essen zu erhalten, tat er Dienst als Kameltreiber und schleppte sich auf wunden Füßen über brennenden Sand und spitze Steine mit, nie richtig satt und ewig durstend. Über Tarudant ging es im Tale des Ued Sus gen Osten, durch ein noch nie von Europäern betretenes Land, sodann rechts abbiegend über ein kahles Gebirge zur Oase Tansitta, von wo er schließlich in die Oasengruppe Tafilet gelangte. Hier als französischer Spion verdächtigt und beschimpft, wurde [89] er östlich der Oase Bu Amahn überfallen und schwer verwundet.

Der Schech von Bu Amahn nämlich, der bei dem wandernden Mustafa, den er gut aufgenommen, etwas Geld gesehen hatte, folgte ihm heimlich, schoß ihn, als er schlafend dalag, in den linken Oberarm und schlug ihm dann noch die rechte Hand entzwei, da diese nach der Pistole greifen wollte. Als der Überfallene am nächsten Morgen aus langer Ohnmacht erwachte, fand er sich mit neun Wunden bedeckt und vollständig ausgeplündert. Außerstande, sich zu erheben oder nach einem ganz nahen Wasserloch zu rollen, verbrachte er in Wundschmerzen und Durstqualen zwei Tage und zwei Nächte, bis schließlich ein paar Männer über ihn kamen und ihn in ihr Dorf schleppten, wo er sich langsam erholte. Aber aus der Oberarmwunde eiterten noch sechs Jahre lang Knochensplitter heraus.

In jämmerlichstem Zustande erreichte der Reisende schließlich die Oase Figig, von wo es nur noch etliche Tage bis zur französischen Grenze waren. In Alger angelangt, erhielt er sehr bald den Besuch seines ältesten Bruders, des Dr. med. Hermann Rohlfs, der immer sehr um ihn bemüht war und auch später viel für ihn tat. Der Bruder nahm die unterwegs gemachten Aufzeichnungen mit und schickte sie an den Kartographen August Petermann in Gotha, der sie 1863 in Aufsatzform in seinen Geographischen Mitteilungen abdruckte und die Reise auf einer Karte im Maßstabe 1 : 1 Mill. festzulegen suchte. Und er erst war es, der erkannte, daß Rohlfs folgende Entdeckungen gemacht hatte. Er hatte das Dasein des Antiatlas festgestellt, von dem man nichts ahnte, und er hatte die Draa-Oasen sowie die Oasengruppe Tafilet entdeckt und beschrieben, wobei bemerkt sei, daß Tafilet 1828 von René Caillié in einer Ecke flüchtig gestreift wurde. Die ganze Wegstrecke von Tarudant bis Figig war noch nie von europäischen Forschern begangen worden. Die Beschreibung seiner ersten, doch schon 1862/63 gemachten Reise in Buchform gab Rohlfs erst zehn Jahre später heraus, sie trägt den [90] Titel Mein erster Aufenthalt in Marokko und Reise südlich vom Atlas durch die Oasen Draa und Tafilet, Bremen 1873, J. Kühtmann, 468 Seiten. Wer da glaubt, daß diese erlebnisreiche, abenteuerliche Reise höchst anziehend zu lesen sei, befindet sich in einem gewaltigen Irrtum, denn die Schilderung ist langatmig und hölzern und wenig anschaulich, sie trifft auch in der Darstellung oft nicht den Kern der Dinge. Man merkt, daß ein nicht sehr gebildeter Mensch sich an etwas gewagt hat, dem wohl seine Unternehmungslust, nicht aber sein geistiges Können gewachsen war. —

Rohlfs saß in Alger und dachte sich eine neue Reise aus. Besonders stach ihm der von Paris für eine Erreichung Timbuktus ausgesetzte Preis von 8000 Franken ins Auge. Diese sagenhafte Stadt zu betreten, wollte er noch einmal Gut und Blut dranwagen. Blut, nun ja, davon hatte er genug, aber Gut? Und doch kam auch dieses. Es glückte, Petermann, der damals eine große Rolle als Anreger und Förderer von Forschungsreisen spielte, für Rohlfs zu interessieren, und auch Barth ließ sich gewinnen. So gelangte die Summe von 1100 Talern in seine Hände, während der auf Veranlassung von Barth gewährte Zuschuß der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, 275 Taler, den Reisenden nicht mehr erreichte. Und dazu kamen noch etliche wissenschaftliche Instrumente, darunter auch Barometer zur Höhenmessung. Offenbar hat Rohlfs den Aufenthalt in Alger auch dazu benutzt, sich näher darüber zu unterrichten, was und wie man beobachten müsse, denn die Ergebnisse dieser zweiten Reise von 1864 sind schon erheblich besser und klarer als die der ersten.

Um es gleich vorwegzunehmen, sein eigentliches Ziel, Timbuktu, hat Rohlfs nicht erreicht, auf dieser Reise nicht und auf der nächsten ebensowenig. Ja schon der erste Ansatz, der von Alger über Larhuat und Tuat gehen sollte, mißglückte und blieb in El Abiad Sidi Schech am Südrande des algerischen Atlas stecken, da weiter voraus Unruhen ausgebrochen waren. Deshalb kehrte Rohlfs nach Alger zurück und schiffte nach Tandscha, um es von dem ihm besser bekannten Marokko aus [91=Karte] [92] zu versuchen. Zuerst ging er, natürlich wieder als der Mohammedaner Mustafa, nach Uesan zu seinem Freunde, dem Großscherifen, der sich um so mehr freute, als schon die Kunde von seiner Ermordung hierhergedrungen war. Auch diesmal ließ Sidi el Haddsch Abd e'Salahm ihn nur ungern weiterreisen.

Gerhard Rohlfs - Karte
[91]            [Vergrößern]

Rohlfs wanderte südwärts, überstieg den Mittleren, den Hohen und den Antiatlas als erster, der eine eingehende Schilderung zu geben und Höhenmessungen zu machen verstand (auch hier war nur Caillié Vorgänger), und gelangte wieder nach Tafilet. Auf diese Überquerung geht die Erkenntnis zurück, daß der Atlas in Marokko aus drei durch die Talungen der Muluja und des Ued Draa getrennten Parallelketten besteht. Sodann querte er als erster die zwischen Tafilet und Ued Rhir sich ausbreitende Hammadawüste und betrat als erster Europäer die Oasenländer Ued Rhir, Ued Saura, Tuat und Tidikelt mit dem Hauptorte InSalah. Von hier aus nach Timbuktu zu reisen, wurde ihm aber durch den Fanatismus der Eingeborenen, die den Christen in ihm argwöhnten, verwehrt, so daß hier die Reise, soweit es das Ziel Timbuktu anging, scheiterte. Rohlfs wandte sich ostwärts und wanderte über Temassinin nach Rhadames und weiter nach Tripolis. Der Hauptwert dieser Wüstenwanderung von Tafilet bis Rhadames liegt darin, daß sie etliche von Norden her schon früher vorgenommene Vorstöße in durchgehender Querverbindung miteinander verknüpfte und genauere Schilderungen der Oasengebiete Tafilet, Tuat und Tidikelt lieferte.

Was die Menge des neu erkundeten Stoffes angeht, so ist diese Reise eigentlich seine erfolgreichste gewesen, und ihre Schilderung steht schon auf einer wesentlich höheren Stufe als die der vorhergehenden. Ihr Verlauf ist auch durch eine befriedigende Wegaufnahme gestützt, und die Höhenverhältnisse sind barometrisch gemessen worden, so daß die Kenntnis der Bodenplastik großen Gewinn daraus zog. Die Dauer der Reise war nicht sehr lang, sondern betrug nur neuneinhalb Monde. Das Werk auch über diese Reise erschien erst später, nach vier Jahren. Es trägt den Titel Reise durch Marokko, Übersteigung [93] des großen Atlas, Exploration der Oasen von Tafilet, Tuat und Tidikelt und Reise durch die große Wüste über Rhadames nach Tripolis, Bremen 1868, J. Kühtmann, 228 Seiten und 1 Karte. —

Rohlfs hatte sein Ziel Timbuktu noch nicht aufgegeben, und um die zu einer neuen Reise erforderlichen Mittel zu erhalten, fuhr er von Tripolis in die Heimat, die er seit zehn Jahren nicht gesehen hatte. Hier stellte er sich vor allem Petermann und Barth vor, um ihnen seinen neuen Reiseplan zu erläutern. Aber während Petermann, der von orientalischen Verhältnissen nichts verstand, ihn ohne weiteres guthieß, äußerte Barth Bedenken. Er hielt nämlich unserem Reisenden vor, daß er es nicht wagen dürfe, wieder in Rhadames zu erscheinen, da dort und in allen anderen Oasen inzwischen bekanntgeworden sein müsse, daß er in Tripolis die Maske des Mohammedaners abgeworfen habe. Rohlfs aber ließ sich hierdurch nicht beeinflussen, doch sagte ihm bald darauf der türkische Pascha von Tripolis das gleiche, und auch der Verlauf der Reise sollte dem vielerfahrenen Barth recht geben. Immerhin gelang es, die Summe von 2500 Talern zu sammeln, so daß Rohlfs sich in Paris gut ausrüsten und überhaupt diese seine dritte Reise von 1865–1867 etwas behäbiger zu gestalten vermochte.

Barths Warnung hatte aber doch so viel gefruchtet, daß Rohlfs in Tripolis nicht erneut als Moslem auftrat. Er war schon Anfang März 1865 wieder in Afrika, denn die Winterkälte in Deutschland bekam seinen immer noch offenen Wunden nicht. Ende Mai ging er mit einer kleinen Karawane von Tripolis über Misda nach Rhadames, erfuhr hier aber, daß der Mann, der ihn nach Timbuktu bringen sollte, inzwischen nach Alger gereist war und erst nach Monaten zurückerwartet werde. Um nicht so lange untätig dasitzen zu müssen, entschloß er sich, nach Mursuk zu gehen, um von dort den Vorstoß nach Timbuktu zu versuchen. Es sei gleich gesagt, daß auch dieses Vorhaben mißglückte.

So kam denn eine Durchquerung der Sahara auf der Linie [94] Tripolis–Mursuk–Kuka zustande, mithin auf Strecken, die im großen ganzen bekannt waren, wenngleich Rohlfs manchen neuen Seitenweg beschritt und aufnahm. Von Kuka aus, wo Sultan Omar ihn freundlich empfing, ging er über Garori Bautschi, Keffe, Lokodscha und Ibadan nach Lagos an der Gineaküste. Neu aufgenommene Strecken waren in der Sahara Misda–Derdsch, Garia Schergi–Bir Um el Chel; im Sudan Kuka–Uandala, vom Gongula über Kefsi zum Benue, schließlich Ibadan–Lagos. Die Neuentdeckungen waren also verhältnismäßig gering, aber trotzdem war diese Reise es, eine Durchquerung des dunklen Festlandes doch, die seinen Namen bekannt, ja berühmt machte. Zahlreiche Vorträge, die er in den folgenden Jahren hielt, brachten ihn in persönliche Berührung mit der deutschen Öffentlichkeit, die Geographischen Gesellschaften von Paris und London verliehen ihm ihre goldene Medaille, und die Gesellschaft für Erdkunde in Berlin machte ihn zum Ehrenmitgliede. Der König von Preußen empfing ihn und zeichnete ihn aus.

Rohlfs beschrieb die Reise, die genau zwei Jahre gedauert hatte, in zwei größeren Werken. Das eine trägt einen wissenschaftlichen, das andere einen volkstümlichen Charakter. Ersteres heißt Gerhard Rohlfs' Reise durch Nord-Afrika vom Mittelländischen Meere bis zum Busen von Guinea 1865 bis 1867 und erschien 1871/72 als Ergänzungsheft von Petermanns Mitteilungen bei J. Perthes in Gotha. Das allgemeinverständliche Werk trägt den Titel Quer durch Afrika. Reise vom Mittelmeer nach dem Tschad-See und zum Golfe von Guinea, 2 Bde., Leipzig 1874/75, F. A. Brockhaus, 352 und 298 Seiten. Dieses Werk Quer durch Afrika ist sein bekanntestes und auch am meisten fesselndes Buch, es erzählt in anschaulicher Weise und verrät recht gute Beobachtung. Freilich mischt es solche und schiefes Theoretisieren gelegentlich bunt durcheinander, wie denn Rohlfs niemals ein wirklicher geographischer Fachmann geworden ist. —

Im Sommer 1867 nach Deutschland zurückgekehrt, fand Rohlfs sich schon so bekannt und auch von höchsten Stellen [95] beachtet, daß er Ende November auf Wunsch des Königs von Preußen als Beobachter zu der englischen Expedition stoßen mußte, die im Winter 1867/68 in Abessinien eindrang, um den Negus Theodor für schlechte Behandlung und Gefangennahme der dort ansässigen Engländer zu strafen. Rohlfs beschrieb seine Reise in dem Werke Im Auftrage Seiner Majestät des Königs von Preußen mit dem englischen Expeditionskorps in Abessinien, Bremen 1869, J. Kühtmann. Da die Reise für seine Laufbahn als Entdecker nicht von Bedeutung ist, so gehen wir nicht näher auf sie ein, sondern wenden uns seiner vierten eigentlichen Forschungsreise zu. —

Im Sommer 1868 regte Rohlfs beim König von Preußen an, dem Sultan Omar von Bornu, der eine Anzahl deutscher Forschungsreisender gut aufgenommen und gefördert hatte – es handelte sich um Barth, Overweg, Vogel, v. Beurmann und Rohlfs – Geschenke zu schicken. König Wilhelm willfahrte diesem Wunsche und beauftragte Rohlfs, sie nach Tripolis zu bringen und dort einen geeigneten Mann, etwa einen verläßlichen Eingeborenen, mit ihnen nach Kuka abzusenden. Rohlfs gewann dann den damals ganz unbekannten, in Tunis lebenden Arzt Dr. G. Nachtigal dafür, wie auf S. 126 näher geschildert werden wird.

Er selber aber fuhr auf einem Segler nach Benrhasi und trat eine vom Könige finanzierte Reise durch die an antiken Trümmern reiche Kyrenaika an. Von dort wanderte er über die Oasengruppe Audschila-Dschalo und über Siuah nach Alexandrien. Die ganze Reise von Benrhasi nach Alexandrien dauerte nur zweieinhalb Monate. Neben einer ziemlich eingehenden Beschreibung von Tripolis und Tripolitanien sowie einigen aufgenommenen Strecken und neben den ersten genaueren Nachrichten über den christenfeindlichen Orden der Senussi machte er durch barometrische Höhenmessungen die völlig unerwartete Feststellung, daß sich entlang dem Südrande der Libyschen Küstenplatte eine Depression hinzieht, die 25 m unter dem Meeresspiegel liegt. Das diese Reise behandelnde Werk trägt den Titel Von Tripolis nach Alexandrien. Be- [96] schreibung einer im Auftrage Sr. Majestät des Königs von Preußen in den Jahren 1868 und 69 ausgeführten Reise, Bremen 1871, J. Kühtmann, 2 Bde., 197 und 148 Seiten.

Mit der im Jahre 1869 erfolgenden Rückkehr aus Afrika waren fünfzehn Jahre vergangen, die Rohlfs fast ausschließlich in Nordafrika zugebracht hatte. Der Achtunddreißigjährige begann ein Verlangen nach Seßhaftigkeit und Ruhe zu empfinden. Abwechselnd in Bremen und Berlin wohnend, hielt er im Winter 1868/69 die erste jener vielwöchigen Vortragsreisen, die er von nun an jedes Jahr unternahm, um sich den Lebensunterhalt zu verschaffen. In Berlin und Potsdam war er beim Könige und den Prinzen ein gern gesehener, unterhaltsamer Gast.

Auf einer im Frühling 1870 durch Rußland führenden Vortragsreise lernte er in Riga eine Nichte des Afrikareisenden Schweinfurth kennen, verlobte sich, Draufgänger, der er war, nach sechs Tagen mit ihr und heiratete sie nach sechs Wochen. Er ließ sich mit ihr in Weimar nieder, da er Beziehungen zum Großherzog Carl Alexander angeknüpft hatte. Aber schon nach vierwöchiger Ehe mußte er fort und in geheimer Sendung in den Siebziger Krieg. Er erhielt nämlich Auftrag, mit dem Arabisten Wetzstein zusammen nach Tunis zu fahren und von dort aus Aufstände in Algerien anzuzetteln, damit die Franzosen ihre farbigen Truppen und die Fremdenlegion dort lassen müßten. Infolge der Franzosenfreundlichkeit des Beïs von Tunis gelang es aber nicht, über die algerische Grenze zu kommen, ja die beiden Agenten wurden sogar sehr bald nach Sizilien abgeschoben. Hier erfuhren sie die Nachricht von Sedan und erhielten Befehl, heimzukehren, weil ihre Aufgabe jetzt als unnötig erachtet wurde. Zu Weihnachten 1870 wurde Rohlfs, erst neununddreißig Jahre alt, zum Kgl. preußischen Hofrat ernannt.

Aber nach etlichen Jahren geruhigen, gesellschaftlich angeregten Lebens in Weimar litt es den Abenteuerlustigen nicht länger in der Heimat, er mußte wieder hinaus.

[97] Auf Grund seiner Feststellung jener Depression im Norden der Libyschen Wüste kam Rohlfs auf den phantastischen Gedanken, die ganze Libysche Wüste läge möglicherweise bis zum Sudan hin tiefer als der Meeresspiegel und könne somit leicht unter Wasser gesetzt werden, wodurch das Klima weiter Teile Afrikas verbessert werden müßte. Dem war 1872 ein Dr. W. Zenker in einem Aufsatze entgegengetreten, und Rohlfs faßte jetzt den Entschluß, die Libysche Wüste zu bereisen, um ihre Höhenverhältnisse festzustellen. Es gelang ihm mit Hilfe des deutschen Generalkonsuls Dr. Jasmund, den Vizekönig von Ägypten zur Bereitstellung einer Summe von 4000 £ zu veranlassen.

Eine so große Summe hatte dem Forscher noch niemals zur Verfügung gestanden, aber auch ein so scharf umrissenes Problem hatte er noch nie im Auge gehabt. Um die Untersuchungen möglichst sicher zu gestalten, warb er drei jüngere Gelehrte an, den Geodäten Prof. W. Jordan von der Technischen Hochschule Karlsruhe, den Geologen Dr. K. Zittel, den Botaniker P. Ascherson, und dazu den Photographen Remelé. Außerdem gestaltete er die Ausrüstung überaus reich. Die Karawane brauchte in Ägypten fünf Eisenbahnwagen; allein 500 eiserne Wasserkisten nahmen viel Platz fort. Und doch wurde es die am wenigsten ergebnisreiche Expedition des Entdeckers.

Die Reise, die im Winter 1873/74 stattfand, verließ in Siut das Niltal und führte über die Oase Farafrah nach der Oase Dachel. Von hier wurde der Vormarsch westwärts in die Wüste angetreten, aber er kam sehr bald zwischen hundert Meter hohen Dünen zum Stocken, bog zwischen den Dünenketten nordnordwestwärts ab und endete in Siuah. Von hier kehrte man über Farafrah, Dachel und Chargeh nach Esneh am Nil zurück. Die ganze Reise hatte nur dreiundeinhalb Monate gedauert. Ihr Ergebnis war, daß von einer Tiefenlage der Libyschen Wüste gar keine Rede sein koimte, Rohlfs' Überflutungsplan also gegenstandslos war. Außerdem erbrachte sie die erste genaue geologische und botanische Aufnahme der Oasen und der zwischen ihnen liegenden Wüstenstrecken und [98] wies unüberschreitbare Dünenwüsten nach. Rohlfs konnte nicht wissen, daß er grade an die breiteste Stelle des Dünengürtels geraten und daß dessen Westende gar nicht mehr sehr fern war.

Rohlfs selber hat die Reise in seinem Buche Drei Monate in der Libyschen Wüste geschildert (Kassel o. J., T. Fischer, 337 Seiten). Auch seine Begleiter haben in besonderen Werken einzelne Untersuchungen veröffentlicht. —

Von einer längeren Vortragsreise durch die Vereinigten Staaten von Amerika zurückgekehrt, fand Rohlfs eine Einladung Leopolds I., Königs der Belgier, vor, an einer afrikanischen Besprechung in Brüssel teilzunehmen; u. a. wohnten ihr auch Nachtigal und Schweinfurth bei. Auf dieser Tagung wurde die Gründung einer Association internationale zur Erschließung Tropisch-Afrikas beschlossen, wobei hauptsächlich an Errichtung von Stationen gedacht war. Die Gründung des Kongostaates geht auf diese Association zurück. Mit ihrer deutschen Abteilung schloß sich die 1873 gegründete Deutsche Gesellschaft zur Erforschung Äquatorialafrikas zusammen. Und bei dieser regte Rohlfs 1878 eine neue Forschungsreise an, die letzte, die er unternommen hat.

Rohlfs konnte noch nicht von der Libyschen Wüste lassen. Zwar schob er (vielleicht um die Afrikanische Gesellschaft zur Finanzierung zu veranlassen) als Ziel die Feststellung der Wasserscheide zwischen Benue, Schari und Kongo vor, in Wahrheit aber war es ihm wohl um die Libysche Wüste zu tun, denn er wollte von der Mittelmeerküste aus in jene Teile Innerafrikas gehen, die doch vom oberen Nil, vom oberen Kongo oder Benue aus leichter zu erreichen waren. Er gedachte von Benrhasi über Kufra quer durch die Libysche Wüste nach Uadai zu dringen, um dann von hier aus dem eigentlichen oder vorgegebenen Zwecke der Expedition nachzugehen. Einen gefährlicheren Zugang als über das noch nie von einem Europäer betretene und von fanatischen Arabern bewohnte Kufra konnte er sich gar nicht aussuchen. Die Expedition, 1879/80 unternommen, scheiterte denn auch sehr bald und kam nicht über Kufra hinaus.

[99] Rohlfs, jetzt schon achtundvierzig Jahre alt, war diesmal von einem jungen Zoologen, Dr. A. Stecker aus Böhmen, der auch die astronomischen und topographischen Arbeiten ausführte, sowie von zwei deutschen Dienern begleitet. Er ging Mitte Dezember 1878 von Tripolis ins Innere und über Sokna, Sella und Abu Naim nach Audschila; die Strecke Sella–Abu Naim war neu. Von Audschila bog er an die Küste nach Benrhasi ab, um hier den Marsch über Kufra besser vorzubereiten, denn sowohl von seiten der Sujaaraber Kufras wie von seiten des Senussiordens, der dort allergrößten Einfluß ausübte, erhoben sich Schwierigkeiten. Schließlich schienen diese beseitigt, und mit dem Sujaschech Abu Bekr Bu Gwettin war ein Vertrag geschlossen worden, der diesen verpflichtete, Rohlfs nach Uadai zu bringen.

In Battiful, dem äußersten Punkte der Oase Dschalo, betrat Rohlfs völliges Neuland. Zuerst ging es in viereinhalbtägigem Gewaltmarsche täglich 95 km und fast ohne Schlaf über 450 km vollkommen platter Serirwüste nach Taiserbo, dem nördlichsten Teile des Oasenlandes Kufra, und nach notwendiger Rast weiter nach Kebabo, der Hauptoase Kufras. Hier aber kam die Katastrophe, indem der Führer Bu Bekr die Reisenden ausplünderte, so daß sie nur durch Beistand der beiden Sujaschechs Krim Bu Abd e'Rba und Dschib e'Lab el Abid dem Tode entgingen. Zwar retteten sie ihr Leben und einen Teil ihres Besitzes nach Audschila und Benrhasi, aber die Expedition als solche war vernichtet. Im einleitenden Teile dieses Abschnittes (S. 78) haben wir den Vorgang näher geschildert.

Die Kufraexpedition im engeren Sinne, d. h. von Audschila nach Kebabo und zurück, hat zweieinhalb Monate gedauert, und von dieser Zeit entfallen etwa zwei Monate auf den erzwungenen Aufenthalt in Kebabo. Gleichwohl war das Ergebnis der Reise für die Erforschung der Sahara noch bedeutend, denn sie verstattete zum ersten Male einen tiefen Einblick in das Herz der Libyschen Wüste und lehrte das große Oasenland Kufra kennen. Das Werk, das Rohlfs darüber herausgab, trägt den [100] Titel Kufra. Reise von Tripolis nach der Oase Kufra. Ausgeführt im Auftrage der Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland, Leipzig 1881, F. A. Brockhaus, 560 Seiten, 2 Karten.

 
In politischer Sendung

Nicht lange nach der Rückkehr aus Kufra baute Rohlfs sich ein Haus in Weimar an der Belvedereallee, in dem er eine orientalisch breite Gastfreundschaft entfaltete. Die Bücherei ließ er durch den Maler Weihberger mit Fresken der von ihm entdeckten Oasen schmücken – eine stattliche Reihe, waren es doch Ued Draa, Tafilet, Tuat, Tidikelt und Kufra.

Ein Jahr nach der Kufrareise fragte Bismarck den bei ihm zu Gaste weilenden Rohlfs: "Haben Sie alle Lust zum Reisen verloren?" Der fast Fünfzigjährige erwiderte: "Lust bleibt mir immer, aber man wird alt, und Entdeckungen kann ich nicht mehr machen." Hierauf leitete der Reichskanzler das Gespräch auf Abessinien über, dessen Negus mit Ägypten in heftigem Streite lag. Er erklärte, daß er jemanden dorthin schicken möchte, und setzte hinzu: "Ich brauche zu einer solchen Mission einen zuverlässigen, wissenschaftlichen Mann; ich wünsche sehr, daß Sie hingehen." Und Rohlfs entgegnete ohne Bedenken: "Ich stehe wie immer zu Befehl Eurer Durchlaucht."

Wieder in Begleitung Dr. Steckers führte Rohlfs 1881/82 die Sendung durch und durchwanderte ein halbes Jahr lang das Land in verschiedenen Richtungen. Er hat die Reise, mit der er sich Bismarcks Zufriedenheit erwarb, in dem Buche Meine Mission nach Abessinien geschildert, das 1883 im Umfange von 348 Seiten bei F. A. Brockhaus in Leipzig erschien.

Im Jahre 1884 wäre er fast noch ein drittes Mal nach Abessinien gelangt. Rohlfs hatte nämlich in den Times einen Aufsatz veröffentlicht, in dem er zur Rettung des von den Mahdisten in Chartum eingeschlossenen Engländers Gordon Pascha empfahl, in Abessinien ein Expeditionskorps aufzustellen und ihm von dort aus zu Hilfe zu eilen. Ganz unerwartet erhielt er daraufhin von einem englischen Komitee die Anfrage, [101] ob er die Führung und Aufstellung dieses Korps übernehmen wolle. Er hatte große Lust dazu, hielt es aber für erforderlich, Bismarcks Genehmigung einzuholen. Der riet aber dringend ab, und so verzichtete Rohlfs. Eigentlich schade, daß wir den kühnen Abenteurer und Entdecker nicht auch als Heerführer behandeln können.

Dafür aber brachte ihm das gleiche Jahr 1884 eine diplomatische Sendung, und zwar nach Sansibar. Der arabische Sultan von Sansibar, völlig unter englischem Einflusse stehend, leistete den jungen deutschen Kolonialerwerbungen in Ostafrika jeden nur möglichen Widerstand, da er durch sie seine Herrschaft bedroht wähnte. In dem deutsch-englischen Kampfe um den Sultan nun glaubte Bismarck den berühmten Afrikareisenden einsetzen zu sollen und sandte ihn Ende 1884 als Generalkonsul nach Sansibar. Ohne wirkliche Machtmittel hinter sich, auch in den Künsten der Intrige nicht geübt, gelang es Rohlfs nicht, die Engländer beim Sultan auszustechen. Und um den Sultan zur Anerkennung des kaiserlichen Schutzbriefes für die Erwerbungen von Carl Peters zu bewegen, fehlte das von Rohlfs beantragte Geschwader. Nach nur halbjähriger Tätigkeit in Sansibar wurde Rohlfs recht brüsk zurückgerufen. In der Meinung, es handle sich nur um eine Berichterstattung, ließ er Frau und Einrichtung in Sansibar zurück, aber in Aden erfuhr er zu seiner Bestürzung von deutschen Seeoffizieren, daß sein Nachfolger, ein Berufskonsul, schon unterwegs sei. Von amtlicher Seite hat er über die Gründe seiner Kaltstellung nie etwas erfahren. Möglicherweise lag es nur daran, daß er den Beamten des Auswärtigen Amtes als fremder Vogel unbequem war und daß sie einem der ihrigen den schönen Posten zuschieben wollten; Herbert Bismarck soll ihm nicht gewogen gewesen sein. Nach dem Urteil des Grafen Pfeil, der mit Carl Peters zusammen den Grundstein zu unserer Kolonie Ostafrika gelegt hat, ist Rohlfs seinem Nachfolger an Kraft der Entschlossenheit und Überzeugung sowie natürlich an Afrikakenntnis weit überlegen gewesen und würde die schwebenden Angelegenheiten [102] mit geringeren Mitteln zu günstigerem Erfolge geführt haben. Rohlfs war selber der Meinung, daß er mit Unterstützung jenes Geschwaders, das seinem Nachfolger zur Hand war, es ebenfalls geschafft hätte. So mußte er die Faust in der Tasche ballen und sagte: "Als einzelner muß ich leiden, ich tröste mich damit, nur meine Pflicht getan zu haben." —

So war auf Rohlfs' Lebensabend ein düsterer Schatten gefallen, dessen er wohl nie wieder ganz froh wurde. Von Bismarck scheint er nicht mehr eingeladen worden zu sein, und auch zum Berliner Hofe müssen sich die Beziehungen gelockert haben.

Als es gegen die Sechzig ging, begann er sich körperlich weniger frisch zu fühlen, und geistig – ja geistig, was hatte er noch zu geben? Er war kein Gelehrter, der eigene Ideen in großen Werken zu gestalten hatte, er vermochte nur Vorträge zu halten und Aufsätze zu schreiben, die nichts sonderlich Neues brachten und irgendwann einmal als wenig notwendig empfunden werden mußten. In mehreren schmalen Bändchen hat er solche Zeitungsaufsätze gesammelt, aber es ist nichts dabei, was besonderen Wert hat. Seine Rolle war ausgespielt, er hatte Neues auf der Erde finden können, aber er verstand es nicht, Eigenes und Fremdes zu großen Kompositionen zu verschmelzen.

Als der Körper das rauhe Klima von Weimar nicht mehr recht ertrug und als die Einnahmen aus den Vorträgen zurückgingen, wurde das Haus auf der Belvedereallee mit seiner kostspieligen Gastfreundschaft aufgegeben, und man übersiedelte nach Godesberg, wo es keine gesellschaftlichen Verpflichtungen gab. Immerhin ein vom Kaiser ausgesetztes Jahrgeld und die Ersparnisse sicherten ruhige Behaglichkeit.

In Godesberg hatte Rohlfs seinen Sonnabendstammtisch und schrieb Artikel für Zeitungen, jetzt besonders gern über kolonialpolitische Fragen.

Dann traten Lähmungserscheinungen auf, zuletzt versagte das Sprechen, und am 2. Juni 1896 kam in Gestalt von Herzlähmung ein sanfter Tod. Rohlfs war fünfundsechzig Jahre alt geworden – kein Alter, aber um die Wahrheit zu sagen, [103] er hatte sich selber schon ein wenig überlebt. Die Urne wurde auf seinen Wunsch in seiner Vaterstadt Vegesack beigesetzt. Hier hält das Heimatmuseum sein Andenken durch zwei Rohlfszimmer hoch. In ihnen hat Alwin Belger Bücher, Möbel, Ehrenurkunden, Orden, Briefe und noch vieles andere gesammelt und betreut es mit liebevollem Verständnis. In Vegesack, Bremen, Weimar und Godesberg gibt es eine Gerhard-Rohlfs-Straße. Sonderbar ist es, daß der Reisende auf der heute nach ihm benannten Straße geboren und, nach dem langen und mühsamen Umwege über Afrika, auf der gleichen Straße (oder doch ihrer Verlängerung) begraben worden ist. Konrad Guenther veröffentlichte 1912 eine Lebensbeschreibung von Rohlfs.

 
Das Charakterbild

Gerhard Rohlfs war nicht ein Charakter von jener gewaltigen einseitigen Ichhaftigkeit Heinrich Barths, er war auch nicht ein Ringer um schwierige originale Geistesprobleme, nein, er war ein Finder, der in bloßem Abenteuerdrange kam, sah und, da er rechtzeitig kam, auch siegte. Aber er blieb nicht in der primitiven Schichte des Abenteurers stecken, sondern wurde auch geistig ein Selfmademan, der es sich angelegen sein ließ, nachzuholen, was er als Schüler und Student versäumt hatte. Hier aber fand seine starke Willenhaftigkeit in seiner Geistigkeit Grenzen, die er niemals zu überwinden vermochte.

Er ist nicht als Zufrühvollendeter wie Barth gestorben, er hat vielmehr sein Werk, so gut er es vermochte, getan. Aber darüber hinaus ging es nicht. Denn Willensmenschen pflegen ihren Weg schneller zu gehen als Geistesmenschen. Ist jenen das jüngere Mannesalter beste Zeit, so diesen die Reife, welcher der Körper nur noch Träger inneren Leistens bleibt. Kennzeichnet sich Barths Leben durch harmonische Ausgewogenheit von Tat und Traum, von Wille und Geist, so zeigt sich Rohlfs' Dasein als einseitig willenhaft bestimmt, und der Geist läuft mehr nebenher mit. Intensive und extensive Leistungshaftigkeit deutschen Menschentums offenbaren sich hier. —

Gerhard Rohlfs
[zwischen S. 80 u. 81]      Gerhard Rohlfs
[104] Die Eltern von Rohlfs waren Nordniedersachsen, er selber besaß rein nordische Züge, wie sich nach einer ganzen Anzahl von Photographien leicht feststellen läßt. Die hohe schlanke, sehnige Gestalt, die edle Regelmäßigkeit seines Gesichtsschnittes, die tadellose Haltung und eine gewisse Würde im Auftreten fielen stets an ihm auf. Bilder aus seiner marokkanischen Zeit, also aus der ersten Hälfte seines vierten Lebensjahrzehntes, zeigen einen hageren, knochigen Mann mit eingefallenen Wangen, über denen die Jochbeine eckig hervorstehen; man merkt ihm die furchtbaren Leiden und Verwundungen an. Die Bilder des Vierzigjährigen lassen uns einen schönen Männerkopf mit blondem Lockenhaar, waagerecht gewichstem Schnurrbart und Henriquatre erkennen, den Kopf frei erhoben, den Blick offen gradeaus gerichtet. Der Fünfzigjährige, der Kufra hinter sich hatte, erscheint merklich gealtert und macht einen hofrätlichen Eindruck, das kühn Zupackende von früher ist verschwunden, und man kann nicht sagen, daß es durch geistige Bedeutendheit ersetzt worden wäre. Die Altersbilder des Sechzigers stellen einen freundlichen alten Herrn dar, dem Rock und Kragen zu weit werden und der nur noch verzichtend auf das Leben zurückblickt.

Ein unzweifelhaft nordrassischer Mensch, voll Wagemut und Leistungswillen, ein kühner Wiking mit feuerblauen, energieblitzenden Augen und großer Fähigkeit, körperliche Anstrengungen zu ertragen und lange durchzuhalten. Den Eil- und Gewaltmarsch von Dschalo nach Kufra – viereinhalb Tage ohne Rast und Schlaf – hat der Neunundvierzigjährige noch wie jeder andere ausgehalten. Wenn er sich schon vor dieser Zeit, in Hinblick auf seine zwanzig Jahre jüngere Frau, eine morsche Eiche nannte, so wird dies mehr kokett als richtig gewesen sein. Rassisch auffällig ist, daß er während und nach den Marokko- und Saharareisen stets als ungemein dunkelbraun oder bronzefarbig geschildert wird, nie krebsrot, wie es doch die Verbrennungsform rein nordischer Haut ist; er soll dann wie ein Araber ausgesehen haben. Aber vielleicht liegt nur Farbverkennung seitens der Zeitgenossen vor, die ein gebräuntes Rot ein- [105] fach als Braun ansahen. Von seiner Gesamterscheinung wird gesagt, daß er jedermann durch sein Auftreten und seine sympathischen Züge für sich eingenommen, auch bei Vorträgen sofort Kontakt mit den Zuhörern gefunden habe.

Im Gegensatze zu Heinrich Barth hat Rohlfs' Wesen nichts, das die Menschen ihm fernhielt oder gar abstieß, vielmehr trat er allen aufgeschlossen und zu Verkehr willig entgegen. Er gab sich und war von Natur ungezwungen, gefällig, verbindlich, hatte aber durchaus nichts Unterwürfiges, sondern blieb immer Herr. Seine im tiefsten Innern unkomplizierte Natur trat unbefangen unter die Leute, sein gutes Aussehen und der feste klare Klang seiner Stimme nahmen sofort für ihn ein; als Redner hatte er mit seinen einfachen, eindrucksvoll vorgebrachten und frei vorgetragenen Ausführungen stets Erfolg und fesselte die Zuhörer vom ersten Satze an. Gewandt wußte er seine Mitmenschen zu nehmen und für sich zu interessieren, nicht aus Berechnung, sondern aus angeborenem männlichen Scharm. Seine Wirkung beruhte durchaus auf der Macht seiner Persönlichkeit, ja der Großherzog Carl Alexander von Weimar sagte einmal zu ihm, er habe etwas suggestiv Zwingendes. Aber man wird ihm wohl auch angemerkt haben, daß er von lauterer Wahrheitsliebe war, durchaus kein Aufschneider und Großsprecher. Die Beschreibungen seiner doch z. T. sehr gefährlichen Reisen enthalten keine Spur von Aufschneiderei. Sie sind vollkommen strich- und farbecht, immer glaubwürdig und zuverlässig, zeigen ihn nie in der Pose des Helden, sondern offenbaren das Menschlein, das schwere Gefahren auf sich nahm, weil das nun einmal nicht anders ging. Rohlfs konnte einfach nicht lügen, seine Handlungen wurden von seinem Gefühl für das Rechte diktiert: dies war sein sittliches Grundgesetz, nach dem er eben zwangsläufig handeln mußte. Als wahrer Mensch besaß er natürlich auch ein ausgeprägtes Empfinden für Recht und Unrecht. Sein tiefstes Inneres empörte sich gegen ein ihm angetanes Unrecht, aber er wußte auch klaglos zu leiden, wenn die Macht der Verhältnisse größer war als seine eigene Kraft. Er nahm es dann hin, fast wie ein [106] Orientale, der sich mit dem Kismet abfindet. Hatte er selber ein Unrecht begangen, etwa eine Hausgehilfin ausgescholten, deren vermeintliches Vergehen sich dann als irrtümlich aufgefaßt herausstellte, so nahm er keinen Anstand, sich freimütig zu entschuldigen.

Rohlfs rang schon als Knabe nach Selbständigkeit, aber dieses Ringen scheint sich nicht aus einem so ausgeprägten, ausschließlichen Individualismus wie jenem Heinrich Barths herzuleiten, vielmehr dürfte es einfach daher gekommen sein, daß dem Knaben die ihm vom Gymnasium gebotene Geisteskost und wohl auch die Lehrer nicht zusagten. Gegen sie sträubte er sich und riß aus, nicht gegen geistige Dinge als solche, denn er hat später immer gern dazugelernt und sich in wissenschaftliche Fragen einzuarbeiten versucht. Wir wollen mit dieser Auslegung seinen Drang nach persönlicher Freiheit keineswegs anzweifeln. Er ist immerhin dreimal ausgerückt, zweimal von der Schule, und einmal vom österreichischen Militär; auch ist bekannt, daß er als Soldat sehr oft Zapfen gewichst hat und dafür in Arrest geflogen ist. Mit diesem Freiheitsdrange, der doch stets innerhalb der Schranken der menschlichen Gemeinschaft blieb und nicht wie Barth sie zu verneinen suchte, mit diesem Drange paarte sich eine unbändige Abenteuerlust. Die Stufen ihres Suchens nach Neuem, Unbekanntem, Romantischem vermögen wir genau zu verfolgen. Der Fünfzehnjährige brennt durch, um an Bord eines Schiffes zu gehen; der Achtzehnjährige will in den Kampf gegen die Dänen und zeichnet sich dann bei Idstedt aus; der Vierundzwanzigjährige wird Fremdenlegionär; der Dreißigjährige wagt sich mit einem Nichts mitten in das damals noch unerschlossene, europäerfeindliche Marokko hinein; der Dreiunddreißigjährige lechzt danach, in die gleichen Gegenden zurückzukehren, in denen er etliche Monate vorher durch heimtückischen Überfall neun schwere Wunden erhalten hat – und selbst noch der Achtundvierzigjährige zögert nicht, die Reise nach Kufra anzutreten, trotzdem ihm als altem erfahrenen Saharareisenden die Gefahren von vornherein klar sein mußten. Auch Heinrich Barth [107] besaß großen Wagemut und setzte sein Leben unbedenklich ein, aber er ging nicht tollkühn wie Rohlfs in das Unbekannte hinein, sondern suchte sich stets die Möglichkeit des Rückzuges zu sichern. Und noch ein Unterschied: für Barth war das Wagnis nicht Selbstverständlichkeit oder gar Selbstzweck wie für Rohlfs, sondern es blieb immer Diener seines geistigen Dranges, Unbekanntes aufzuhellen, es in klare Erkenntnis umzuwandeln und dadurch für geistige Werke nutzbar zu machen.

Barth war eine haushälterische Natur, Rohlfs eine verschwenderische. Rohlfs gab sich ohne Besinnen hin, wenn ihn ein Verlangen erfüllte. Er überlegte nicht lange, ob das, was er vorhatte, leicht oder schwer zu erreichen, ob es ausführbar oder unausführbar war, er erwog nicht sorgsam die Folgen eines Entschlusses, sondern wagte frisch darauflos; er schonte sich nie, er setzte sich stets ganz ein, er verschwendete sich ohne Besinnen. Alles Kleinliche hassend, schritt er großzügig durchs Leben, später, als seine Einnahmen ihm das gestatteten, orientalisch weitgespannte Gastfreundschaft ausübend und gern Hilfe leistend, wo er darum angegangen wurde.

Voll Wahrheitsliebe und Wagemut machte er aus seiner Gesinnung und aus seiner Ansicht über eine Sache kein Hehl. So finden sich in seinen Büchern zahlreiche Stellen, die sich gegen die Kirche aussprechen. Durch Zufall getaufter Christ und aus Überlegung übergetretener Moslim, mochte er beide Religionen nicht, er war schon in die naturwissenschaftlich aufklärende Zeit des 19. Jahrhunderts hineingeboren und stark darwinistisch beeinflußt, so eine Art Freidenker. Auf das Christentum war er schon deshalb schlecht zu sprechen, weil von kirchlicher Seite mancher Angriff gegen seinen Übertritt zum Islam gerichtet wurde; daß er das Bekenntnis La illaha il Allah, ue Mohammedu rassul Allah nur ausgesprochen hatte, um das verschlossene Land Marokko zu öffnen, ließen die gläubigen Christen als Entschuldigung nicht gelten.

Man darf aus dieser Abneigung gegen die Kirche nicht schließen, daß Rohlfs nicht seinen Glauben hatte. Ist es nicht bezeichnend, daß er während seiner gefahrvollen Reisen stets ein [108] aus dem Haar seiner Mutter gefertigtes Amulett auf der Brust trug? Und wird er nicht jedesmal, wenn es hart auf hart ging, an dieses Heiligtum gefaßt und in inbrünstigem Gebete um Rettung gefleht haben? Daß er von tiefem Gemüte war, erschließt sich auch daraus, daß er Musik liebte, besonders Beethoven, und sich allabendlich von seiner Frau vorspielen ließ – hierbei kämen ihm seine besten Gedanken, pflegte er zu sagen. Während er Opern gern besuchte, ging er nie in Schauspiele, weil er bei erschütternden Stellen mit Tränen zu kämpfen hatte. Franz Liszt war in seinem Hause zu Weimar ein oft und gern gesehener Gast, der es nicht verschmähte, auf dem Flügel der Frau Lony Rohlfs zu spielen. Wie gut Rohlfs sein Musikinteresse mit seiner Tierliebe zu verbinden wußte, erhellt aus der komischen Tatsache, daß er als Generalkonsul nach Sansibar seinen – Kanarienvogel mitnahm.

Ausgeprägt war auch Rohlfs' Sinn für Humor, der aus der inneren Güte, Freiheit und Größe seiner Seele kam. Als Student liebte er derbe und übermütig aufschäumende Lustigkeit, und als reifer Mann machte er gar zu gern mutwillige Späße, die er mit todernstem Gesicht vorbrachte, so daß Fremde nicht gleich aus ihm klug wurden. Als er in den ersten Tagen des weimarischen Aufenthaltes mit seiner jungen Frau das Goethezimmer im Schloß besichtigte, fragte er in den Wortschwall der Kastellanin trocken hinein: "Wer war doch gleich Goethe?" Allworauf die Wortreiche jäh verstummte. Mark Twain hat das in Italien ähnlich gemacht. In ganz niedersächsischer Art liebte er es, komische Quiproquos herbeizuführen, die plötzliches Strahlenlicht auf eine ernste, vielleicht uninteressante Lage warfen. Seine Reisewerke verraten übrigens kaum etwas von seiner humoristischen Ader.

Rohlfs' Stellung zur Frau ist nur aus seiner Ehe bekannt, die fest und glücklich gewesen sein soll. Immerhin scheint die Frau den zwanzig Jahre älteren und welterfahrenen Mann doch oft als eine Art Schulmeister empfunden zu haben, so daß das Wort Tyrannei nicht selten zwischen ihnen gefallen ist. Zu Anfang der Ehe ließ er es sich angelegen sein, sie nach [109] seinem Geschmacke zu erziehen. Achtung vor Frau und Mutter zeigt die oben erwähnte Angelegenheit des Amuletts. Und Familiensinn? Vom Gymnasium in Celle sehnte er sich stark nach Hause, als Student in Würzburg aber klagte er: "Seit vier Jahren bin ich immer allein."

Sein inneres Verhältnis zur Nation und zu den Arabern, Berbern und Negern Afrikas war nicht einfach. Als junger Mensch muß er starke Deutschheit empfunden haben, denn es wird ihn nicht nur Abenteuerlust in den Kampf gegen die Dänen gezogen haben. In Algerien aber scheint er von französischem Wesen angekränkelt gewesen zu sein, denn er schrieb sich damals Gérard und war 1863 vor Antritt der zweiten Marokkoreise bereit, sich als Franzose naturalisieren zu lassen, weil er gehört hatte, daß der von der Pariser Geographischen Gesellschaft für die Erreichung Timbuktus ausgesetzte Preis von 8000 Franken nur einem Franzosen erteilt werden sollte. Später aber, als er wieder ganz dem deutschen Wesen gewonnen war, erwachte sein deutsches Herz, und namentlich die zur Reichsgründung führenden Ereignisse von 1870 erweckten und hoben ausgeprägten Nationalstolz. Fortan vermied er französische Ausdrücke, die ihm in der Legion angeflogen waren. Daß er schließlich noch auf einem deutschen Kriegsschiffe als Vertreter des Reiches, ein Dreiundfünfzigjähriger schon, nach Afrika gehen durfte, galt ihm als der schönste Lohn seines Lebens und Schaffens.

Ganz anders stand er zu den Orientalen. Er lebte viele Jahre lang unter ihnen, hatte in Marokko gelernt, einer der ihrigen zu scheinen, und war sogar Mohammedaner geworden, der in der Moschee sein Gebet verrichtete und hinterher mit der Hand aus gemeinsamer Schüssel aß. Und doch scheint ihm sein nordrassisches Blut nicht erlaubt zu haben, die Formen des Lebens und die arabische Sprache wirklich vollendet zu beherrschen. Er fiel stets als Fremder auf und erregte immer wieder den berechtigten Verdacht, ein verkappter Christ zu sein, woraus sich vielerlei Schwierigkeiten ergaben. Die arabische Sprache hat er, eigenem Eingeständnis nach, nur sehr langsam erlernt [110] und nie richtig beherrscht; letzteres hat dem Schreiber dieser Zeilen im Jahre 1906 zu Tripolis der hier geborene österreichisch-ungarische Konsul Rossi erzählt, der Rohlfs noch gekannt und dessen Vater dem Reisenden mehrfach Kamele gekauft und Leute gemietet hat. Rohlfs mochte die Orientalen auch nicht leiden, er sah von ihrer labilen Seelenhaltung vorwiegend die schlechten Seiten und wurde nicht müde, sie als durch den Islam entartet zu geißeln. Er scheint sich kaum Mühe gegeben zu haben, sie innerlich zu verstehen und das Schöne ihrer Kultur anzuerkennen. Sie waren ihm eine Art Wilde, vor denen man ständig auf der Hut sein muß. —

Rohlfs war eine geborene Kämpfernatur und ein Mann der Tat. Mit festem Willen rang er sich durch widrige Verhältnisse, in die seine Abenteuerlust ihn verstrickt hatte, zu einer ehrenvollen Laufbahn empor. Erst nach dreizehn Jahren abenteuerlichen Tastens als deutscher Soldat und als Fremdenlegionär, als Student und als armer Glückssucher in Marokko, immer in kläglichsten Verhältnissen, fand er seinen Weg als Forschungsreisender. Und jetzt, immerhin schon dreiunddreißig Jahre alt, begann er jene Kenntnisse sich anzueignen, die notwendig waren, um auf dem neuen Lebensweg Erfolge zu erringen. Und er kämpfte sich dann noch eine Reihe von Jahren weiter, indem er lernte und forschte, bis es schließlich dem Mittvierziger einigermaßen genug zu sein schien. Bis dahin blieb Ringen und Arbeiten sein Lebensinhalt, und erst dann setzte langsam ein Hang zu beschaulichem Genießen ein, den sein Wille dann ganz nach seinem höchstpersönlichen Geschmack lenkte, nämlich gut zu essen und zu trinken, zu lesen und zu schreiben, schön zu wohnen und Verkehr mit bekannten Männern zu unterhalten. Er war ein Selfmademan in Gestalt eines Entdeckers, der sich kraft seines Drängens nach Unerforschtem und willens seines Ehrgeizes Ruhm, Auszeichnung, Einkommen erwarb.

Rohlfs' Willenhaftigkeit erstreckte sich vornehmlich in zwei Richtungen, nämlich auf sich selber und auf seine Mitmenschen. An sich selber arbeitete er mit eiserner Energie, um sich vom [111] bloßen Abenteurer und Glücksjäger zum Afrikareisenden von Rang zu entwickeln, und zwar obgleich er damals schon ein- oder zweiunddreißig Jahre alt war und ein Leben hinter sich hatte – fast die ganze erste Hälfte seines Lebens – in dem nahezu alle anderen Menschen verkommen wären. Er hätte doch, wie mancher andere in das Morgenland Verschlagene tat, in Marokko bleiben und ein beschauliches Dasein führen können! Aber er mußte ins Innere gehen, um Land und Leute kennenzulernen und damit das Sprungbrett für weitere Reisen zu schaffen. In der Richtung auf andere Menschen aber gebarte sich sein Wille, indem er lernte sich durchzusetzen, mochten die Widerstände auch noch so groß sein. Kühn, ja tollkühn ging er Menschen und Verhältnisse an, ohne erst lange zu fragen, ob es vernünftig sei oder nicht. Männer solcher Art sind in ihrem Erfolge natürlich davon abhängig, ob zufällig die anderen nachgeben oder widerstehen. Rohlfs mußte beides erfahren, heute Erfolg und morgen Scheitern, aber er ließ sich niemals entmutigen und wagte immer wieder Gut und Blut. Erst als Vierziger wurde er überlegter und vorsichtiger, unterzog sich aber noch als Endvierziger dem Kufrarisiko.

Er hat viele Erfolge gehabt, besonders dann, wenn er nicht lange überlegte, und er ist oft gescheitert, zumal wenn er wägte, ehe er wagte. Die beiden größten Ziele, die er sich auf seinen Saharareisen steckte, hat er niemals erreicht: Timbuktu zu betreten und die Libysche Wüste zu durchqueren. Weder auf der zweiten Reise (1863/64) noch auf der dritten Reise (1865/67) gelang es ihm, einen neuen Weg nach Timbuktu zu erschließen, und weder auf der fünften (1874) noch auf der sechsten Reise (1879) glückte es ihm, die Libysche Wüste zu bezwingen. Und doch war nicht eine dieser Reisen ohne Erfolg, denn es gab eben noch genug andere unbekannte Teile der großen Wüste, die als erster zu betreten und zu beschreiben hohen Ruhm verbürgte.

Gehen wir den letzten Gründen seines Scheiterns nach, so erkennen wir, daß es sich dabei nicht um Mangel an Entschlossenheit oder Mut handelte, sondern höchstens um ein nicht voll ausreichendes Maß an Beharrlichkeit. In solcher nämlich blieb [112] er hinter den anderen beiden Saharareisenden Barth und Nachtigal zurück. Wie groß sein Mut war, ersieht man allein daraus, daß ihn der Diebstahl seines bescheidenen Besitzes gleich am zweiten Tage seiner ersten Einreise in Marokko (1861) nicht davon abhielt weiterzupilgern, ebenso wie ihn die zweite Beraubung im folgenden Jahre nicht von der Bereisung des Landes abhielt. Und wie mancher hätte auf allen Entdeckerruhm verzichtet, nachdem ihm so furchtbare Wunden beigebracht worden waren, wie Rohlfs sie gegen Ende seiner ersten Forschungsreise erhielt! Er aber kehrte dann gar nicht nach Europa heim, sondern drängte trotz offener, Knochensplitter auseiternder Wunde sofort nach Marokko zurück. Nein, an Mut hat es ihm nicht gefehlt, aber er brachte nicht jene schier übermenschliche Geduld und Beharrlichkeit auf, um das gesteckte Ziel unentwegt im Auge zu behalten und auch einmal eine halbjährige Wartezeit an trostlosem Orte daranzusetzen, um die günstige Gelegenheit zum Vorstoß zu benutzen. Auf seiner zweiten Reise 1864 schreckte ihn in InSalah schon eine Wartezeit von vier Monaten, nach deren Ablauf er mit einer Karawane hätte nach Timbuktu gelangen können. Und als er, nun freilich schon neunundvierzig Jahre alt, 1879 in Benrhasi befürchten mußte, er habe längere Zeit zu warten, bis er nach Kufra gelangen könne, da rief er: "Ein solches Opfer zu bringen, war mir unmöglich." Für Barth und Nachtigal, auch für Burckhardt hätte das gar keine Rolle gespielt. Und auf Entdeckungsreisen ist eiserne Geduld oft wichtiger für den Erfolg als tollkühner Wagemut. —

Der Erfolg von Gerhard Rohlfs beruht durchaus auf seinem frisch zupackenden Wagemut und seinem Glück, das ihn zufällig in ein Ländergebiet wies, in dem noch viel zu entdecken war. Demgegenüber tritt seine geistige Leistung zurück. Mit sehr mittelmäßigem Schulwissen und völlig unzulänglichem Universitätsstudium von nur drei Semestern, dann elf Jahre lang als Soldat und Abenteurer aus aller geistigen Beschäftigung herausgerissen, kam Rohlfs erst als einunddreißigjähriger Mann in seine eigentliche Laufbahn – als voll- [113] kommener Dilettant, und Dilettant ist er in Dingen der geographischen Wissenschaft immer geblieben. Wohl lernte er dann eifrig, las Bücher, eignete sich die (bescheidenen) Kenntnisse der Routenaufnahme und Höhenmessung an, aber ein umsichtiger, ideenreicher Geograph vom Range der Barth und Nachtigal oder Schweinfurth ist er niemals geworden. (Sein literarischer Geschmack hat sich nie hoch entwickelt, Romane las er nie, Gedichte nur selten und dann etwa den Mirsa Schaffy seines Freundes Bodenstedt; er behauptete, das Dichten sei nur einem noch im Kindesalter steckenden Volke artgerecht.) Wohl entwickelte er sich von einer Reise zur anderen, was in den Werken über die drei ersten Reisen sehr deutlich zu verfolgen ist, aber seiner geistigen Entwicklungsfähigkeit waren Grenzen gesetzt. Die dritte Reise (1865–1867) offenbarte ihn als einen jener Afrikareisenden, wie sie damals üblich waren – wagemutige Finder neuer Wege, die sie unbeschwert von viel Wissen und ganz äußerlich beschrieben. In der Problemstellung war er meist von dem Kartographen August Petermann abhängig, der ihn deshalb auch förderte; die Tagebücher der ersten drei Reisen übergab er unverarbeitet Petermann, der sie für seine Zeitschrift auswertete und auch die Wegaufnahmen entwerfen ließ. Seine Wegaufnahmen ließen immer viel zu wünschen übrig, erst die beiden libyschen Reisen erhielten durch Jordans und Steckers Routenaufzeichnungen höheren Wert.

Auf Reisen blickte Rohlfs frisch und frei in die fremde Welt hinein, weniger mit der Absicht zu beobachten, als vielmehr zu entdecken; die eingehende Arbeit überließ diese Art Reisender ohne weiteres ihren Nachfolgern. Reisen und Entdecken war ihm, mindestens auf den ersten drei Reisen, Selbstzweck; Ruhm, nicht wissenschaftliche Leistung war das Ziel. So fiel alle Beobachtung ungleichmäßig aus, für die Formen der Landoberfläche hatte er einen sehr unentwickelten Sinn, den Menschen wußte er besser zu erkennen. Die Naturschilderung ist deshalb unscharf und kalt, die Völkerschilderungen sind voller und farbiger, verharren aber ebenfalls an der Oberfläche. Ohne grade einseitig zu sein, blieb er doch immer begrenzt. Da- [114] bei neigte er nach Art der Dilettanten zu schnellem und schroffem Urteil, und in einer gewissen Selbstherrlichkeit merkte er wohl meist gar nicht, wenn er danebenhaute.

Und trotz allem – die sechs Forschungsreisen in Nordafrika haben, besonders wenn man sie als ein Ganzes nimmt, volle Gültigkeit als Unterlage seines Ruhmes. Auf ihnen hat er zwischen 1861 und 1879 in zusammen rund acht Jahren des Wanderns über 15 000 km Wüste zurückgelegt und die Oasen Draa und Tafilet, Tuat und Tidikelt sowie schließlich Kufra, ferner den Mittleren, Hohen und Antiatlas in Marokko als erster Europäer betreten und beschrieben.

Auch als Anreger in kolonialen Fragen darf man Rohlfs nicht unterschätzen. Schon in den siebziger Jahren wies er in Aufsätzen und Vorträgen auf die Bedeutung gewisser Gebiete der Erde für die Gründung deutscher Kolonien hin. Er dachte an Tripolitanien und Kyrenaika, an den mittleren Sudan und Kamerun oder an Somaliland. Sowohl Carl Peters wie Graf Pfeil, sowohl Adolf Lüderitz wie Hermann Wissmann haben sich bei Rohlfs Rat für ihre kolonialen Unternehmungen geholt. Ja zur Unterstützung seines Freundes Lüderitz veröffentlichte Rohlfs ein Heft Angra Pequena. Die erste deutsche Kolonie in Afrika.








Unsere großen Afrikaner
Das Leben deutscher Entdecker und Kolonialpioniere

Ewald Banse