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Deutschlands Kolonialkriege   (Teil 3)
[71-72=Fotos] [73]

Kamelritt in die Kalahari
Hauptmann Artur Schmitt

Im Laufe des Jahres 1907 war es den deutschen Truppen in Südwestafrika gelungen, das Schutzgebiet, in dem seit drei Jahren der Kampfeslärm des Herero- und Hottentottenaufstandes widerhallte, zu befrieden. Lediglich Simon Copper, der Häuptling der bei Gochas sitzenden Franzmann-Hottentotten, stand noch allein im Felde und war nicht willens, die Überlegenheit der deutschen Waffen anzuerkennen. Er hatte sich in die damals noch völlig unbekannte Kalahari ostwärts Gochas zurückgezogen, von wo er jedoch immer wieder gelegentliche Vorstöße nach Westen machte. Er war in der Lage, sich dem Zugriff der deutschen Truppen zu entziehen, da diese wegen des Fehlens von Wasser ihm nicht folgen konnten.

Als Hauptmann v. Erckert den Auftrag erhielt, ein Expeditionskorps zur Niederwerfung Simon Coppers zusammenzustellen, war es ihm klar, daß nur eine auf Kamelen berittene Truppe, die für längere Zeit vom Wasser unabhängig ist, imstande war, Simon Copper in seinen Schlupfwinkeln im Innern der Kalahari aufzusuchen. Dem Kamelreiterkorps Erckerts blieb der Erfolg auch nicht versagt; leider starb dieser hervorragende Führer den Heldentod, noch bevor die Früchte des Sieges gepflückt waren. Seine Tatkraft und Umsicht waren aller Schwierigkeiten Herr geworden, die sich bei der Zusammenstellung dieser Expedition, für welchen die Schutztruppe so gut wie keine Erfahrung besaß, in den Weg gestellt hatten.

Am 16. März 1908 wurde Simon Copper auf englischem Gebiet bei Seatsub von dem Nachfolger Erckerts, Hauptmann Grüner, entscheidend geschlagen. Zwar bequemten sich die Copperleute als einziger Hottentottenstamm nicht dazu, die deutsche Oberherrschaft anzunehmen. Aber ihre Stoßkraft war gebrochen. Sie blieben von nun an in der Regel auf englischem Gebiet und überschritten nur zu Jagdzwecken die Grenze. Nach Beendigung der Kalahariexpedition blieben anfänglich zwei Kamelreiterkompanien bestehen. Sie wurden später in eine Kompanie mit den Standorten Gochas und Arahoab verschmolzen.

Die Patrouillenerkundungen waren der beliebteste Dienstzweig in der Schutztruppe. Waren sie doch willkommene Unterbrechungen des Garnisondienstes; denn sie vermittelten stets neue Eindrücke und boten Gelegenheit zu jagdlichen Abenteuern. Führte der Weg der Patrouillen voraussichtlich in die Nähe der Jagdgründe der Copper-Hottentotten, so mußten sie befehlsgemäß auf mindestens 20 Gewehre bemessen werden, um nicht die Beute eines Hottentottenjagdtrupps zu werden. Jeder Reiter erhält reichlich Munition. An seinem Sattel trägt er zwei Wasserflaschen zu je vier Liter, die bei einem zugestandenen täglichen Wasserverbrauch von zwei Litern für vier Tage ausreichen. Aus diesen zwei Litern muß der Trinkbedarf und das Wasser zum Kochen bestritten werden. [74] Waschen kann nur angedeutet werden oder muß, wie der Soldat sich ausdrückt, "durch stramme Haltung ersetzt werden". Traberpacktiere tragen große, gut verschließbare Eisenbehälter, die mit Wasser gefüllt sind. Unterwegs wird dann nach Verbrauch der Wasserration aus den Sattelflaschen vom Patrouillenführer dieses Wasser auf den Kopf genau zugemessen. An Proviant wird nur das Notwendigste mitgenommen, um das Kamel nicht zu sehr zu belasten, Reis und Brot oder Mehl, Tee oder Kaffee, Zucker und Salz werden in den Satteltaschen mitgeführt. Das Fleisch liefert in der Hauptsache die Jagd. Zeltbahn und Kochgeschirr werden hinten am Sattel angeschnallt. Dazu kommt in der kalten Zeit, nämlich im Juni und Juli, der lange Reitermantel als Schutz gegen die Kälte.

Deutsche Kamelreiter in Deutsch-Südwestafrika.
[71]      Deutsche Kamelreiter in Deutsch-Südwestafrika.
Nachdem die Sattelung und die Verpackung nachgeprüft sind, trabt die Patrouille auf der zunächst noch sichtbaren "Pad" von der Station gen Osten. Für einige Tage sind wir auf uns allein gestellt, ohne jegliche Verbindung mit der übrigen Welt. Reiten wir nossob- oder auobabwärts, so vergrößert sich rasch die Entfernung von der Station; denn wir traben mit durchschnittlich zehn Kilometern Geschwindigkeit in der Stunde. Geht es querfeld, so müssen wir langsamer reiten; denn vor uns liegt ein unendliches Dünenmeer, das z. B. von Gochas nach Osten bis zum Kleinen Nossob rund 200 Dünen zählt. Der günstigste Weg in dem von Wühlmäusen, Erdeichhörnchen, Stachelschweinen, Erdfarken unterwühlten Boden wird ausgesucht. Die Pad, unter der man sich keine europäische Straße vorstellen darf, ist nämlich bald verschwunden. In den Dünentälern wird getrabt, bergauf wird in Schritt übergegangen. Langsam und bedächtig schreitet das Kamel den Dünenkamm hinan, um, auf der Höhe angelangt, den Kopf zuerst neugierig rechts und links zu drehen.

Je weiter unsere Patrouille nach Osten vordringt, um so mehr ist Vorsicht angebracht. Mit dem spurenkundigen Buschmann Fritzi, der sich aber mit Händen und Füßen dagegen wehrt, ein Buschmann zu sein, und mit Isaak, dem Khauashottentotten, meinem treuen Bambusen, trabe ich voraus. Mit Dünenabstand folgt der Rest der Patrouille. Die Augen der Eingeborenen sind scharf und unverbraucht. Es entgeht ihnen kaum etwas, was in der weiten Steppe sich ereignet. Erst mit dem Prismenglas vermag ich ihre Sehleistung zu erreichen. Jede Spur von Mensch und Tier, die unsern Weg kreuzt, wird von Fritzi angesprochen. Es ist erstaunlich, zu welchen Leistungen im Spurenlesen es die Eingeborenen bringen, so daß es den Anschein haben könnte, als sei Karl May bei den Buschleuten in der Kalahari in die Lehre gegangen. Die geringsten Merkmale der Spur geben ihnen wichtige Aufschlüsse. Zwar kann auch der Weiße durch ständige Übung im Spurenlesen Fortschritte erzielen, allein, die Meisterschaft des Buschmannes wird er nie erreichen.

Zwei, drei Reitstunden von der Station entfernt treffen wir schon häufig auf die Spuren von Großantilopen. Es glückt uns zuweilen, die Tierwelt der Steppe zu belauschen, wenn wir vorsichtig den Dünenkamm ersteigen und über die Höhe hinweg ins nächste Dünental lugen. In Gebieten, in denen nur selten Kamel- [75] reiter sich zeigen, ist das Wild meist sehr vertraut. Auf einer Patrouille im Februar 1914, die zum Aufspüren der Mörder eines von Buschleuten erschossenen Reiters abgeschickt wurde, stießen wir, geräuschlos den Elefantenfluß abwärts trabend, im Morgengrauen auf ein Rudel von etwa 30 Oryxantilopen. Sie bequemten sich kaum dazu, uns Platz zu machen, so daß wir auf 10 - 20 Schritt an ihnen vorbeitrabten, ohne daß sie flüchtig wurden. Ja, sie bildeten förmlich Spalier und begleiteten uns eine Strecke Wegs. Kurz nach diesem Vorfall springt der Buschmann Eisip, der von Oberleutnant Kirchheim bei einer Copperbande gefangen worden war und uns jetzt gute Dienste als Spurensucher leistet, vom Kamel. Eine etwa 50 Zentimeter lange Schildkröte hat er entdeckt, die er sofort von allen Seiten untersucht. Er grinst über das ganze Gesicht und ruft in den schnalzenden Lauten der Namaquasprache meinem Bambusen etwas zu, worauf dieser ebenso freudig strahlend mir das Wort "Frumensch" zuruft. Nachdem wir abgesattelt haben, wird mir die Freude der beiden verständlich; denn Isaak bringt mir 15 kugelrunde Eier, so groß wie Enteneier und auch im Geschmack diesen ähnlich. Und zum Essen gibt es heute eine von Isaak zubereitete schmackhafte Schildkrötensuppe.

Während sich aus den besiedelten Gebieten von Deutsch-Südwestafrika die Großantilopenarten meist zurückgezogen haben, ist die Kalahari für sie noch eine gesicherte Zufluchtsstätte geblieben. Nur der Buschmann und das große Raubzeug, Leoparden und die zeitweilig auftretenden Löwen, stellen ihnen hier nach, deren Strecke jedoch vom Bedarf an Fleisch bestimmt wird. Aber sicher sind sie hier vor den Gewehren der weißen Aasjäger, unter denen früher besonders die Buren eine große Rolle spielten. In Großantilopen birgt die Kalahari namentlich Oryxantilopen, vom Buren "Gemsbock" getauft, ferner Gnus (Wildebeester) und Kuhantilopen. Als ich zum erstenmal mit Stabsarzt Dr. Wilde auf dem Weg von Gochas nach Arahoab die Kalahari betrat, stießen wir in der Nähe des Elefantenflusses auf eine starke Herde Oryxantilopen. Wir konnten bis an 200 Stück zählen, bevor die Antilopen flüchtig wurden. Wenn sie mit ihren langen Stangengehörnen elastisch und flink über die Steppe galoppieren, so glaubt man, die Attacke einer Lanzenreiterschwadron zu sehen. Außer von den obengenannten Antilopenarten wird die Kalahari von zahlreichen Springbockherden bevölkert, die den Aufenthalt in den Revieren und in den Brackpfannen bevorzugen. Überall kann man gazellenschlanke, kleine Böcke, den Steinbock und den Doiker, Stachelschweine, Honigdachse, Strauße, Trappen, Gackelhühner feststellen. Zur Nachtzeit schleichen bellend und heulend Hyänen und Schakale ums Lager, die manchmal sehr dreist auftreten, ohne allerdings dem Menschen gefährlich zu werden.

Auf unseren Patrouillen brechen wir so früh als möglich auf, um den Kamelen am Tage Zeit zur Weide zu geben. Dadurch vermeidet man es auch, bei der größten Hitze noch im Sattel zu sein. Ist die Pad leicht zu finden, so kann bei hellem Mondschein noch in der Nacht geritten werden. Nach durch- [76] schnittlich drei, vier Stunden Trab wird ein passender Lagerplatz aufgesucht, für den günstige Baumweide bestimmend ist. Wenn uns das Jagdglück hold ist, so kommen wir jetzt rasch noch auf eine Großantilope zum Schuß, damit wir nicht erst noch die Jagdbeute auf ein Kamel verpacken müssen.

Unter einzelne Bäume verteilt, die uns in der Gluthitze des Mittags Schatten spenden, satteln wir ab. Kaum ist die Patrouille aus dem Sattel, so brennen schon die Feuer, und das Wasser für Kaffee oder Tee brodelt im Kochgeschirr. Die Kamele werden auf die Weide getrieben. Eine Weidewache wird eingeteilt. Falls gewohnheitsmäßige "Ausreißer" unter den Kamelen sind, so legt man ihnen an den Vorderbeinen Spannfesseln an, die so kurz bemessen sind, daß die Tiere nur Schritt gehen können; denn es gehört zu den unangenehmsten Überraschungen, wenn die Reittiere von der Weide weg den Heimweg zur Station allein antreten und den Reiter hilflos in der Steppe zurücklassen.

Nun geht es an das Aufbrechen und Zerlegen der Antilope. Bald schmort der Braten, dessen Größe den Anstrengungen des Rittes durchaus angemessen ist, im Kochtopf. Was zunächst an Fleisch übrigbleibt, wird zu "Fleckfleisch" verarbeitet. Das Fleisch wird dazu in Streifen geschnitten, mit Salz eingerieben und im Schatten eines Baumes zum Austrocknen aufgehängt. Bald werden diese Stücke infolge der feuchtigkeitsarmen Luft hart und schinkenähnlich. Einige Tage müssen wir sie noch nach dem Absatteln zum Trocknen aufhängen; nach einer Woche etwa sind sie vor dem Verderben geschützt. Diese "Bulltong" sind sehr schmackhaft und lassen sich gut in den Satteltaschen mitführen.

Unvergeßlich sind jedem Kalaharireiter die Stunden am Lagerfeuer unter dem afrikanischen Sternenhimmel, der infolge der Reinheit der Luft ganz nahe zu sein scheint. Von besonderer Schönheit sind die mondhellen Nächte. Dies empfanden wir auf Patrouille immer wieder aufs neue. Nachdem wir bis zum Nachmittag gerastet haben, werden die Kamele von der Weide geholt und gesattelt. Wie am Vormittag legen wir in der Regel 20 - 30 km zurück; dann suchen wir uns gegen Abend einen geeigneten Lagerplatz aus, der jetzt nicht durch die Weide, sondern durch die Holzverhältnisse bestimmt wird. In der kalten Zeit meiden wir die Dünentäler, welche Feuchtigkeit anziehen. Die Kamele werden niedergelegt und mit Spannfesseln versehen. Die Zeltbahnen werden ausgebreitet, nachdem der Boden geglättet worden ist. Darüber kommen zwei oder drei Woilachs, die zum Satteln der Kamele benötigt sind, und das "Bett" ist fertig. Hoch flammt der Holzstoß auf, um den sich die Patrouille herumgruppiert. Über uns strahlt das Kreuz des Südens, das Kennzeichen des südlichen Sternenhimmels, der Wegweiser für die Patrouille in der Nacht. Hinter uns liegen mit langausgestrecktem Hals, gespensterhaft umrissen, unsere Dromedare. In der Nähe heulen und bellen Schakale, die das Wildbret im Lager wittern und ihren Anteil heischen. Knisternd brennt das Feuer. Ein kühler Wind läßt des Tages Hitze vergessen. Behaglich liegen wir um das Feuer herum und ruhen von den Anstrengungen des Rittes aus. Ein, zwei Becher Tee, vielleicht sogar [77] mit einem Schluck Rum, stehen jedem Reiter zu. Da kommt dann von selbst die richtige Stimmung, die die Zungen löst und die Herzen öffnet. Manch feines Garn wird da gesponnen. Alle kommen sie zu Wort: der Ostpreuße und der Rheinländer, der Märker und der Bayer, der Schwabe und der Sachse. Wenn die afrikanischen "Stories" erschöpft sind, dann erzählen sie sich von der Heimat, in der "es ein Wiedersehen gibt". Alle lernen sie sich verstehen und sich ergänzen, wo ihnen Gelegenheit dazu gegeben ist. Jeder weiß, daß er sich auf den andern verlassen kann. Das war eine Erkenntnis, die jeder Schutztruppenreiter mit sich in die deutsche Heimat nahm. (Aus "Jambo Watu".)

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Das Buch der deutschen Kolonien
Herausgegeben unter Mitarbeit der früheren Gouverneure
von Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Südwestafrika, Kamerun, Togo und Deutsch-Neuguinea.
Vorwort von Dr. Heinrich Schnee.