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[Anm. d. Scriptorium:
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der deutschen Kolonien
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Land und Leute in unseren Kolonien (T. 1)
[78]

Deutsch-Ostafrika
Dr. Alex Haenicke

Geschichte und Erforschung

Deutsch-Ostafrika nimmt allein infolge seiner geographischen Lage eine Sonderstellung unseren anderen afrikanischen Kolonien gegenüber ein: Seine Lage am Indischen Ozean hat es seit Urzeiten in Verbindung mit der alten orientalischen Kultur gebracht. Die Überlieferung Ostafrikas verliert sich im Dunkel der Zeiten. Dazu kommt, daß unsere Kolonie gerade das Gebiet umfaßt, welches mit der ihm vorgelagerten Inselreihe die natürliche Eingangspforte nach Afrika bildet: denn nirgends sonst greift der Indische Ozean mit tiefen Buchten so weit ins Land. Außerdem aber reichen die periodisch ihre Richtung wechselnden Winde, die Monsune, deren Bedeutung für die Seefahrt auf den arabisch-indischen Meeren stets eine große war, gerade bis nach Ostafrika, für Verkehrsmöglichkeiten und Klima gleich wichtig.

Im frühen Altertum schon finden sich viel Hinweise auf Ostafrika und seine Reichtümer an Gold und Elfenbein. Eine Wanderung semitischer Stämme im 3. Jahrtausend vor Christo hatte auch Afrika in Mitleidenschaft gezogen; wenn es auch den arabischen Völkern nicht gelang, sich dauernd dort festzusetzen, so war doch die Brücke des Handels nach dem Orient geschlagen. Vom Ägypten der Pharaonen aus wurden Expeditionen nach den sagenhaften Goldländern, wie Ophir, unternommen. Der Zug der Königin Hatschepsut ist mit seinen Ergebnissen an gefangenen Negersklaven und allerlei Schätzen heute noch auf den ausgezeichneten Reliefs des Tempels von Dehr-el-Bahri bei Luxor zu sehen. Die märchenhaften Reichtümer des Königs Salomo sollen nach einer alten Sage in einer innerafrikanischen Schatzkammer aufbewahrt werden - der Engländer Rider Haggard hat einen phantastisch-spannenden Roman (Die Herrin des Todes) aus der Idee gemacht; jedenfalls ist Ostafrika im Altertum als lockendes Ziel für viele, die reich werden wollten, verhältnismäßig gut bekannt gewesen - wir besitzen eine Weltkarte des großen, 161 nach Christo gestorbenen Geographen Claudius Ptolemäus; ihre einigermaßen genauen Angaben stützen sich nach seiner Beschreibung auf die Angaben von Arabern, die in Ostafrika Handel trieben. Auf jeden Fall rühren die Nachrichten von Menschen her, die an Ort und Stelle gewesen sind - wenn auch ihre Erzählungen die Geographie etwas durcheinanderbringen, so sind doch folgende Feststellungen sehr bemerkenswert: Gewaltige schneebedeckte Berge erheben sich im Innern, die "Montes lunae", das Mondgebirge, genannt werden - sie kommen noch in Wilhelm Raabes großartigem Roman Abu Telfan vor; eine große [79] Anzahl von Bächen, die von diesen Bergen herabfließen, sammeln ihr Wasser in zwei großen Seen, den Quellen des Nils - also das berühmteste Problem in der Afrikaforschung des 19. Jahrhunderts, die Erforschung des Nilursprungs, ist tatsächlich in der Hauptsache von den Arabern der Antike bereits gelöst worden!

Die Araber blieben während des ganzen Mittelalters und bis in die neue Zeit die Handelsherren an der Küste; die Zeit der Entdeckungen brachte politische Neuerungen, ohne daß an den wirtschaftlichen Bedingungen viel geändert worden wäre. Die Portugiesen gingen zunächst daran, die Gestalt Afrikas zu erforschen; es gelang auch Vasco da Gama, in den Jahren 1497 - 1499 die Umsegelung auszuführen. Er landete in der Gegend von Mombasa und Malindi, bevor er nach Indien weiterfuhr; die Notwendigkeit, zur Sicherung dieses Seeweges nach dem Osten die afrikanische Küste zu besetzen, wurde erkannt. Die Küste wurde besetzt, Forts wurden angelegt, aber heftige Kämpfe mit den Arabern, in denen sich der Admiral Francisco d'Almeida besonders auszeichnete, und das Klima erschütterten ihre Herrschaft immer aufs neue. Sie hielten sich vom Beginn des 16. Jahrhunderts mühselig bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts; 1729 mußten die Portugiesen endgültig Ostafrika räumen und das Gebiet den Arabern überlassen. Die geographische Erforschung des Landes hat in jenen Jahrhunderten, die auf seiten beider Gegner nur dem wirtschaftlichen Vorteil geweiht waren, gar keine Fortschritte gemacht; die Küste wurde bekannt, aber schon wenige Kilometer landeinwärts begann das "große Unbekannte", von dem nur die Ptolemäischen Schnee-Mondberge und Seen halbvergessene Kunde von alter Kenntnis gaben.

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts blieb alles, wie es war: die Araber verdienten hauptsächlich mit Sklavenhandel viel Geld und ließen das Innere Inneres sein, während die Europäer ihr ganzes Interesse auf Amerika sowie die Südsee konzentrierten und Afrika völlig vernachlässigten. Auf der Weltkarte von d'Anville vom Jahre 1871 sind die Ptolemäischen Angaben unverändert übernommen worden.

Dann aber, von 1848 ab, änderte sich das Bild völlig - Ostafrika rückte plötzlich in den Mittelpunkt des geographischen Interesses, nachdem drei württembergische Missionare: Krapf, Rebmann und Erhardt, die schon seit 1830 mißglückte Missionsversuche in Schoa und den südlichen Gallaländern unternommen hatten, im genannten Jahre auf einer von Mombasa aus unternommenen Reise wichtige Entdeckungen vollbrachten. Rebmann erblickte als erster den Schneegipfel des Kilimandscharo, Krapf ein Jahr später den des Kenya. Ihre Mitteilungen, die den Ptolemäus rechtfertigten, begegneten in Europa großem Mißtrauen - Schneeberge am Äquator schienen allzu widersinnig, man nahm an, daß sich die Reisenden durch helles Gestein oder frischgefallenen Hagel hatten täuschen lassen. An ein gewaltiges Binnenmeer, dessen - auch ganz falsche - Skizze Erhardt und Rebmann 1856 in Petermanns Mitteilungen, der klassischen geographischen Zeitschrift, veröffentlichten, [80] glaubte man schon eher; aber das Gewässer erregte hauptsächlich in England viele Debatten, bis sich zwei anglo-indische Offiziere, Richard Burton und John Hanning Speke, entschlossen, selber nachzusehen, was an den Entdeckungen der Missionare Wahres sei. Ihre Reise, von der englischen Regierung unterstützt, begann 1857 in Bagamojo; die Offiziere erreichten ohne besondere Schwierigkeiten am 13. Februar 1857 bei Udjidji das Ufer des Tanganjika. Dort erkrankte Burton, und Speke stieß allein nach Norden vor, wo sich nach Erzählungen von Arabern ein anderer großer See befinden sollte, und kam am 30. Juli 1858 bis zum Südufer des Ukerewe- oder Viktoria-Njansa, in dem der sachkundige Brite sehr richtig einen Quellsee des Nils vermutete. Ptolemäus war wieder einmal glänzend gerechtfertigt.

Burton aber war auf den Einzelerfolg seines Kameraden eifersüchtig und warf ihm nach ihrer Heimkehr öffentlich Schwindel und Phantasterei vor - ein von jeher bei Reisenden beliebtes Mittel, um den Gegner zu erledigen. Speke ließ die Vorwürfe keineswegs auf sich sitzen und erreichte es, daß die Londoner Geographische Gesellschaft, eine der wichtigsten wissenschaftlichen Vereinigungen, ihn noch einmal nach Afrika schickte, um dem Streit ein Ende zu machen und die große Frage der innerafrikanischen Meere klarzustellen. 1860 begann Speke gemeinsam mit einem anderen Offizier, J. A. Grant, den Marsch von Bagamojo aus aufs neue; er hielt erst die alte Route durch Ussagara, Ugogo und Unjamwesi inne, bog aber dann nach Norden zum Westufer des Viktoria-Njansa ab. Dann marschierte er durch die Landschaft Karagwe und gelangte 1862 in das Königreich Uganda und drang weiter nach Osten vor. Im Juli entdeckte er einen großen, nach Norden fließenden Strom, den er bis zu seinem Austritt aus dem Viktoria-Njansa verfolgte. Speke war überzeugt, den Oberlauf des Nils gefunden zu haben und marschierte nun flußabwärts bis Gondokoro, das an eben jenem Flusse liegt - die Verbindung zwischen Mittel- und Oberlauf war hergestellt, und triumphierend konnte Speke die Mitteilung von seiner Entdeckung nach Europa schicken, was er in der unübertrefflich englischen Form tat: "The Nile is settled"...

Etwa zu derselben Zeit wie Speke arbeitete ein anderer englischer Forscher weiter südlich in Ostafrika - eine der merkwürdigsten Pioniergestalten der alten Afrikazeit, Dr. David Livingstone. Ihm war 1856 die erste Durchquerung Afrikas gelungen, die von Loanda an der Westküste nach Quelimane an der Sambesimündung führte. Vom Sambesi aus kam er auf einen Nebenfluß dieses Stromes, dem Schire, zum kleinen Schirwasee und wenige Wochen später zum Njassa (15. September 1859). Die Duplizität der Ereignisse wollte, daß kurze Zeit nach Livingstone ein junger deutscher Forscher, Albrecht Roscher, ganz unabhängig von diesem, den Njassasee erreichte; er endete 1860 auf tragische Weise durch Mord - seine Papiere sind alle verloren. Livingstone war ein gründlicher Arbeiter; er blieb bis 1863 am Njassa und löste seine geographischen Probleme auf das genaueste, ging auf kurzen Urlaub nach Eng- [81] land und kam 1866 wieder nach Ostafrika zurück. Vielleicht hat niemals ein Mensch Afrika heißer geliebt als dieser schottische Reisende. Diesmal nahm er die Rovumamündung zum Ausgangspunkt, durchquerte das später deutsche Rovumagebiet, passierte den Njassa südlich, um die Quellen des Kongo zu erforschen. Zeit spielte bei ihm keine Rolle; er fühlte sich augenscheinlich am wohlsten, wo es auf der Karte "am weißesten" war... Er entdeckte den Bangweolosee und wandte sich dann zum Tanganjika zurück - aber erst nach fünf Jahren (1871). In all dieser Zeit hatte er nicht geschrieben.

Natürlich hielt man ihn in Europa für tot oder verschollen. Die Times ließ sich die gute Gelegenheit für eine sensationelle Artikelreihe nicht entgehen und beauftragte Henry Morton Stanley, der als Reisender ebenso geschickt war wie als Journalist, "Livingstone zu finden" - ein nicht ganz leichter Auftrag, der eine gewisse Ähnlichkeit mit der berühmten "Nadel im Heuhaufen" hatte. Aber Stanley zog aus - und, so märchenhaft es klingt, am Tanganjika fand er Livingstone. Es gibt nichts Englischeres als die Begrüßungsszene der beiden: Die Träger beider Kolonnen waren aufmarschiert, Stanley ging auf Livingstone zu und - brach nicht etwa in ein Triumphgeschrei aus, sondern sagte kühl: "Mr. Livingstone, I [presume]... Allright, I am Mr. Stanley" -, womit denn der Vorfall und eine der glänzendsten Pioniertaten der afrikanischen Forschungen erledigt waren...

Sie befuhren zusammen den Tanganjika und trennten sich dann in Udjidji. Stanley kehrte zur Küste zurück, während Livingstone, der in der Tat nicht genug bekommen konnte, zum Bangweolo zurückkehrte und dort im Mai 1873 starb.

In den folgenden Jahren wechselten deutsche und englische Reisende in der Erforschung Ostafrikas miteinander ab; auch Stanley durchquerte das Gebiet von neuem und widmete sich insbesondere der geographischen Festlegung des Viktoria-Njansa, den er vollständig umfuhr. Außerdem entdeckte er den Kagera als größten Zufluß des Viktoriasees und trat im November 1876 seinen berühmt gewordenen Vor- und Durchmarsch zum Kongo an, womit er aus dem später deutsch gewordenen Gebiet entschwindet.

Die höchste Kuppe im Kilimandscharo-Massiv, der Kibo, 6010 m hoch. 
Deutsch-Ostafrika
[72]      Die höchste Kuppe im Kilimandscharo-Massiv,
der Kibo, 6010 m hoch. Deutsch-Ostafrika.
Das Küstengebiet mit dem Hinterland war schon in den sechziger Jahren von Baron C. C. von der Decken untersucht worden, der den Kilimandscharo und den Kibo bis zur Höhe von 4000 m bestiegen und tatsächlich die Vereisung der Gipfel festgestellt hatte. Er gehört zu den für Afrika Gefallenen; im Sommer 1865 wurde er von Somalileuten ermordet.

Nun traten außer der geographischen Erforschung des Landes auch die anderen Wissenschaftler in ihre Rechte ein; Zoologen, wie R. Böhm, Astronomen, wie E. Kaiser, Geologen, wie der von der Londoner Geographischen Gesellschaft entsandte Joseph Thomson, stellten die auf ihren Gebieten herrschenden Zustände und Bedingungen fest. Die Hamburger Geographische Gesellschaft wollte hinter der englischen Kollegin nicht zurückstehen und rüstete eine Massaiexpedition unter Führung E. Fischers aus, die erst dem Pangani folgend [82] zwischen Kilimandscharo und Meru zum Natronsee durchmarschierte und wichtige geologische Ergebnisse nach Hause brachte. Außerdem studierte er die eigentümlichen Sitten und Gewohnheiten der Massai, die noch wenig bekannt waren, und sammelte reichhaltiges ethnographisches Material - die Zeit wurde reif für den Bau der Völkerkunde-Museen: das Berliner ist im Jahre 1883 eröffnet worden.

Wir haben bereits die Erwerbungsgeschichte der Kolonie besprochen und dabei der Verdienste von Dr. Carl Peters gedacht. Im Zusammenhang mit der genauen Darstellung der Ereignisse sollen hier noch einige Einzelheiten nachgetragen werden.

Als Dr. Peters auf seiner ersten Reise in Ostafrika landete, erfuhr er sogleich, daß er auf irgendwelche Unterstützung des Reiches nicht zu rechnen habe: das Unternehmen wurde als Privatsache der "Gesellschaft für deutsche Kolonisation" betrachtet, deren Abgesandte Peters und seine zwei Begleiter waren. Die Kleinzügigkeit einer solchen Politik erscheint uns gerade in unseren Tagen völlig unfaßlich; glücklicherweise ließ sich Peters nicht entmutigen, rüstete sogleich seine Expedition aus und durchzog den Küstenstreifen, über den der Sultan von Sansibar seine Hoheitsrechte ausübte - oder auszuüben behauptete. Am 23. November 1884 wurde im unabhängigen Gebiet von Unguru der erste jener später viel angefeindeten Verträge mit einem Häuptling abgeschlossen, dem noch eine ganze Anzahl folgten. Am Weihnachtstage war das Endziel Muinin Sagara in Ussagara erreicht. Der Vertrag mit dem Sultan lautete:

      "Muinin Sagara, alleiniger absoluter Herr von ganz Ussagara, und Dr. C. Peters als Vertreter der »Gesellschaft für deutsche Kolonisation« schließen hierdurch einen ewigen Freundschaftsvertrag ab. Sultan Muinin Sagara erhält eine Reihe von Geschenken; weitere Geschenke für die Zukunft werden ihm versprochen, und er tritt hierdurch unter den Schutz der Gesellschaft.
      Dafür tritt der Sultan an Herrn C. Peters als Vertreter der Gesellschaft für deutsche Kolonisation kraft seiner absoluten und unumschränkten Machtvollkommenheit das alleinige und ausschließliche Recht ab, Kolonisten nach ganz Ussagara zu bringen; ferner das alleinige und ausschließliche Recht völliger und uneingeschränkter privatrechtlicher Ausnutzung von ganz Ussagara; endlich alle diejenigen Rechte, welche nach dem Begriff des deutschen Staatsrechtes den Inbegriff staatlicher Oberhoheit ausmachen, unter anderem das Recht der Ausbeutung von Bergwerken, Forsten, Flüssen; das Recht, Zölle aufzuerlegen, Steuern zu erheben, eigene Justiz und Verwaltung einzurichten, und das Recht, eine bewaffnete Macht zu schaffen.
      Der privatrechtliche Besitzstand des Sultan wird von der Gesellschaft anerkannt und garantiert, und die Vertreter der Gesellschaft werden angewiesen werden, diesen Besitzstand mit allen Kräften mehren zu helfen.
      Die Gesellschaft wird mit allen Kräften dahin wirken, daß Sklaven aus dem Gebiet des Sultans Muinin Sagara nicht mehr fortgeschleppt werden dürfen."

Mit einer Reihe solcher Verträge stellte Peters innerhalb von sechs Wochen ein Gebiet von der Größe des Königsreichs und äußerst günstigem Boden mit reicher Ertragsmöglichkeit für das Deutsche Reich sicher - wenigstens insoweit, als er es dem Zugriff der anderen Nationen entzog. Es ist ganz überflüssig, [83] über die moralische oder ethnische Seite solcher "Verträge", deren Inhalt mit seinen juristischen Begriffen den Negerhäuptlingen vollkommen unklar bleiben mußte, zu diskutieren - es ist natürlich, daß der Eingeborene, geblendet durch ein paar Tuchstücke, Messer, Spiegel und bunten Schmuck sich seiner Rechte für nichts und wieder nichts entäußerte. Es ist auch nicht weiter sonderbar, daß später, als eine gewisse Erkenntnis in den Negerhirnen dämmerte, Aufstände ausbrachen, und daß die arabischen Sklavenhändler, die ihre Existenz durch die Kolonisation bedroht oder ruiniert sahen, einen Kampf auf Tod und Leben gegen die Eindringlinge führten.

Die Konflikte, die sich aus der Besitzergreifung Ostafrikas zwischen der mit dem Schutzbrief Kaiser Wilhelms I. versehenen Kolonialgesellschaft und dem Sultan von Sansibar ergaben, hätten fast zu europäischen Verwicklungen geführt. Der Sultan erhob Protest gegen die Erwerbungen in Ussagara, Unguru, Useguka und Ukami:

      "Wir protestieren hiergegen, weil diese Gebiete uns gehören und wir dort Militärstationen halten und jene Häuptlinge, welche die Abtretung von Souveränitätsrechten an die Agenten der Gesellschaft anbieten, dazu nicht Befugnis haben: diese Plätze haben uns gehört seit der Zeit unserer Väter."

Dazu ist zu bemerken, daß dem guten Said Bargasch von Sansibar aus dem Geschlecht der Maskatherrscher diese Gegenden ganz und gar nicht gehörten; die Häuptlinge gehorchten dem Sultanat Sansibar pro forma, aber die unbedingt beherrschende Stellung nahmen bis zum Tanganjika und Viktoria-Njansa die arabischen Händler ein. Aber Said Bargasch hatte Mut und befahl seinen Truppen den Einmarsch in das von den Deutschen in Anspruch genommene Gebiet - so daß sich Fürst Bismarck persönlich gezwungen sah, eine sehr energische Antwortnote loszulassen, die noch zu besserer Wirkung von der Ankunft eines deutschen Geschwaders vor Sansibar unterstützt wurde. Als der Sultan die Mündungen der Kanonen in peinlicher Nähe auf seinen Palast gerichtet erblickte, verließ ihn der Mut mit überraschender Geschwindigkeit, und am 14. August 1885 gab seine Hoheit von Sansibar folgende Erklärung ab:

      "Infolge der Forderung, welche von Seiner Majestät dem Kaiser gestellt ist als Ultimatum und unerläßlich für die Aufnahme freundlicher Beziehungen, anerkennen wir die Schutzherrschaft Deutschlands über die Länder von Ussagara, Nguru, Nseguha, Nkami und über das Gebiet von Witu. Wir übernehmen es, unsere Soldaten zurückzurufen, und machen dies unseren Beamten bekannt, welche die sämtlichen Küstengebiete besetzt halten."

Bis zum Herbst 1886 war es der sehr rührigen Ostafrikanischen Gesellschaft gelungen, große Gebietsteile zu erwerben, und zwar:

  • September 1885: Die Nordostküste des Somalilandes, die Landschaft Usarama, südwestlich von Daressalam.
  • November 1885: Uhehe, Mahenge, Ubena, sowie das Gebiet zwischen Rufidji und Rowuma.
  • Januar 1886: Das Land nördlich und südlich von Sabaki.
  • Herbst 1886: Die Küste des Somalilandes an der Wubuschimündung.

[84] Soweit wäre alles gut gegangen, wenn nun nicht - England auf den Plan getreten wäre, das den Konkurrenten erkannte und sofort beschloß, ihn nicht zu groß werden zu lassen. Man darf allerdings nicht vergessen, daß englische Missions- und Handelsstationen seit Jahrzehnten in Ostafrika tätig waren, und daß englische Reisende und Gelehrte Leben und Gesundheit an die Erforschung des Landes gesetzt hatten: also konnten sie naturgemäß hoffen, eines Tages ihrem Weltreich das ganze Gebiet angliedern zu können. Nun kam ihnen Deutschland in die Quere, und es ging dem Foreign Office auf, daß es die Gefahr nicht rechtzeitig erkannt hatte. Die Deutschen saßen in Ostafrika und konnten nicht ohne weiteres wieder hinausgeworfen werden - also, was konnte geschehen? Ein Vertrag mußte geschlossen werden - ob es eigentlich einen Vertrag gibt, der kein Unheil gestiftet hat? -, da im Hintergrunde europäische Konflikte lauerten, und wegen einiger ziemlich schattenhafter Landstrecken in Afrika ein Krieg nicht ausbrechen durfte. Berlin ging also auf die Londoner Vorschläge ein, und es kam ein Vergleich zustande, nach dem die beiderseitigen Interessensphären genau abgegrenzt wurden und Deutschland auf weitere Gebietserwerbungen im Norden und Süden verzichtete. Auch Portugal als südlicher Nachbar hatte sich zu schützen gewußt.

Am Ende des Jahres 1886 war also mit Ausnahme des Küstenstreifens, der dem Sultan von Sansibar geblieben war, das Gebiet der Kolonie festgelegt: die Westgrenze hielt sich an die Seenkette vom Njassa bis zum Viktoria-Njansa. Stationen wurden im ganzen Lande angelegt. 1888 starb Said Bargasch, sein Bruder Said Khalifa folgte ihm. Mit ihm schloß Peters einen "vorteilhaften und zugleich verhängnisvollen" Vertrag ab, in dem den Deutschen der Küstenstreifen "zunächst probeweise für 50 Jahre" abgetreten wurde: verhängnisvoll, weil er den blutigen Araberaufstand zur Folge hatte, den wir bereits kennengelernt haben. Er wurde zwar mit manchen Opfern siegreich niedergeschlagen - aber die Freude aller Koloniebegeisterten über den Erfolg dauerte nicht lange. Denn wieder erschien England auf dem Plan...

Am 1. Juli 1890 kam es zum Abschluß eines neuen Vertrages, der die Besitzverhältnisse in Ostafrika "endgültig regelte". (Die Realität der Begriffe wird an solchen Worten klar; "endgültig" hieß in jenen Zeiten "bis 1914"...) Der Vertrag bedeutete eine schwere diplomatische Niederlage Deutschlands: denn das Gebiet, das uns zugesprochen wurde, hatten wir schon sowieso durch den Vertrag von 1886 sicher: aber dann bestimmt Artikel II:

      "Um die in dem vorstehenden Artikel bezeichnete Abgrenzung zur Ausführung zu bringen, zieht Deutschland seine Schutzherrschaft über Witu zugunsten Großbritanniens zurück. Deutschland verzichtet ferner auf seine Schutzherrschaft über die an Witu angrenzende Küste bis nach Kismaju und auf seine Ansprüche auf Gebiete des Festlandes nördlich vom Tanaflusse und auf die Inseln Patta und Manda."

Dann im Artikel III:

      "Deutschland verpflichtet sich, die Schutzherrschaft Großbritanniens anzuerkennen über die verbleibenden Besitzungen des Sultans von Sansibar mit Einschluß [85] der Insel Sansibar und Pemba, sowie über die Besitzungen des Sultans von Witu und das benachbarte Gebiet bis Kismaju, von wo die Deutsche Schutzherrschaft zurückgezogen wird."

Endlich der XII. Artikel:

      "Vorbehaltlich der Zustimmung des Britischen Parlaments wird die Souveränität über die Insel Helgoland nebst deren Zubehörungen von Ihrer Britischen Majestät an Seine Majestät den Deutschen Kaiser abgetreten."

Der Sansibarvertrag... Was bedeutete er? Wir traten sehr große, sehr fruchtbare, sehr wichtige Gebiete, die uns einwandfrei gehörten, an England ab, das sich außerdem für seine Vermittlertätigkeit beim Sultan von Sansibar mit Auslieferung von dessen gesamtem Besitz bezahlen ließ. Helgolands Erwerbung schien vom nationalen und flottenstrategischen Standpunkt aus gewiß wichtig - wir haben allerdings im Weltkrieg die Erfahrung gemacht, daß eine Minen- und U-Bootsperre wirksamer ist, als eine schwerbefestigte Insel... Gewiß, das konnte man damals nicht wissen, aber auf der anderen Seite war vermutlich die Gefahr, die von einem englischen Helgoland drohte, nicht sehr groß. Ich erinnere mich sehr genau an den englischen kleinen Zollkutter, den als einzigen Vertreter des englischen Weltreiches ich als Kind im Jahre 1889 bewunderte. Aber vor allen Dingen: es war das Nachgeben, das schwächliche Platzmachen, das in Deutschland alle Afrikafreunde verbitterte und in England mit dem selbstverständlich-verächtlichen Achselzucken des Starken zur Kenntnis genommen wurde. Es zeigt sich immer wieder, wie falsch es ist, Politik ohne Psychologie zu machen!

Am 1. Januar 1891 wurde Ostafrika zur Reichskolonie erklärt, und der Gouverneur von Kamerun, Herr von Soden, zum Leiter bestellt.



Die nächsten Jahre brachten die Expeditionen Emin Paschas, die wir bereits kennen; Dr. Franz Stuhlmann, einer seiner Begleiter, trennte sich nach Erforschung des schneebedeckten Ruwenzori und der Landschaften am oberen Ituri westlich vom Viktoria-Njansa von ihm und kehrte auf vollkommen neuen Wegen zur Küste zurück: seine Reise ist nach ihren wissenschaftlichen Ergebnissen als eine der wichtigsten zu betrachten, die jemals ausgeführt worden sind. 1892 erhielt Oskar Baumann vom Deutschen Antisklavereikomitee den Auftrag, einen Weg zum Viktoria-Njansa durch den nördlichen Teil der Kolonie zu finden und das noch wenig bekannte Gebiet zwischen Kilimandscharo und dem Viktoriasee zu erforschen. Bei Ausführung dieses Auftrages betrat er als erster Europäer das Quellgebiet des Kagera, Urundi, drang dann westlich bis ins Gebirgsland Iraku vor, durchquerte auf dem Rückweg die ganze Massaisteppe und kam am 21. Februar 1893 nach Pangani zurück: zahlreiche geographische und kartographische wichtige Ergebnisse und große Sammlungen "sichern Baumann für alle Zeiten einen Platz in der Reihe der größten Afrikaforscher". (Dr. E. Obst.)

Das Antisklavereikomitee veranstaltete noch verschiedene Expeditionen, verausgabte aber dabei seine Mittel, so daß es 1893 aufgelöst werden mußte. Eine [86] ursprünglich aus sportlichen Motiven unternommene Reise, die Graf Götzen veranstaltete, wurde durch die Gunst der Verhältnisse und die Tatkraft des Führers zur wissenschaftlichen: bei der Durchquerung Afrikas von Pangani (Aufbruch Dezember 1893) zur Kongomündung erreichte die Expedition als erste das sagenhafte Land Ruanda mit seinen mächtigen und grausamen Königen und riesenhaften Einwohnern; dann entdeckte er zwischen Tanganjika und Edward-Njansa den Kiwusee mit einer Reihe tätiger Vulkane - die teilweise bestiegen wurden -, passierte den Urwaldgürtel zwischen Kiwu und Kongo und kam im Dezember 1894 glücklich in Banana an der Westküste an.

Eine weitere große Anzahl ausgezeichneter Forscher und Gelehrter hat das Gebiet Ostafrikas bis in alle Einzelheiten vollkommen unserer Kenntnis zugänglich gemacht.



Das Land

Betrachten wir die klimatischen Verhältnisse Deutsch-Ostafrikas, so glauben wir zunächst auf sehr hohe Temperaturen zu stoßen, da das Gebiet in unmittelbarer Nähe des Äquators liegt: aber wir sehen unsere Erwartungen getäuscht. Ostafrika ist von der heißen Zone der Erde, dem afrikanischen Wüstengürtel, ebenso weit entfernt wie Kleinasien oder die südlichsten Teile von Europa: also sind die Temperaturen keineswegs unerträglich. Im Küstenland beträgt der Jahresdurchschnitt 25 - 26°, im Hochland 18 - 24° Celsius. Hinsichtlich der Maximaltemperaturen wird Ostafrika sogar von Südeuropa übertroffen, da stets Temperaturen unter 40° gemessen worden sind, während in Spanien und Griechenland das Thermometer bis auf 42 - 45° steigen kann. Der nördlichste Teil, etwa bis zum fünften Grad südlicher Breite, weist im Laufe des Jahres zwei Wärmeperioden auf, die erste vom Februar bis März, die zweite im Oktober, während die anderen Monate relativ kühl sind. Mitte und Süden des Gebietes haben nur eine wärmere Zeit vom Januar bis April und eine kühlere vom Mai bis September: der Winter der südlichen Halbkugel.

Die besonderen klimatischen Verhältnisse Afrikas - die mit dem Hitzezentrum des Saharasommers und der Auflockerung der Luft infolge der Glut zusammenhängen, reichen in das Gebiet der Monsune oder Passatwinde nach Afrika hinein: die heiße Luft steigt, und die kühlere vom Indischen Ozean wird mit gewaltiger Kraft angesogen. Daher wehen im Sommer diese Winde besonders stark, wachsen manchmal zum heftigen Sturm und verursachen im Indischen Ozean recht schwere Seen - deren sich jeder erinnern wird, der einmal in dieser Jahreszeit Kap Guardafui passiert hat. Die hohe Monsunsee steht dann so plötzlich da, daß der alte Seemanswitz meint, der Dampfer schwanke vorn schon mächtig, während er hinten noch ganz ruhig liegt...

[87] Die Meteorologen teilen infolge der Einwirkung, welche die Passate haben, Ostafrika in die "Klimaprovinzen": 1. Die Äquatorialprovinz im Nordwesten, 2. die Monsunprovinz im Nordosten und 3. die Wendekreise in der Mitte und im Süden, die je nach den Jahreszeiten verschiedene Witterung haben:

    Juni - September: 1. Niederschlagsarm.
    2. Südwestmonsun, Trockenheit.
    3. Südostpassat, Trockenheit.
    Oktober - Dezember:  1. Kleine Regenzeit.
    2. Kleine Regenzeit.
    3. Starker Südostpassat, Ende der Trockenheit.
    Dezember - März: 1. Niederschlagsarm.
    2. Starker Nordostmonsun, kleine Trockenzeit.
    3. Regenzeit.
    März - Mai: 1. Große Regenzeit.
    2. Große Regenzeit.
    3. Südostpassat, Ende der Regenzeit.

Reisende können nach einer solchen Tabelle ihren Aufenthalt einrichten. Das Klima von Ostafrika ist jedenfalls angenehmer als das Kameruner im Küstengebiet mit seiner Treibhausschwüle und das des tiefer gelegenen Südwestafrikas mit seiner glühenden Sonnenhitze in schattenloser Wüste.

Das Vegetationsbild Ostafrikas können wir auf einer Reise von der Küste nach Udjidji am Tanganjika kennenlernen. Wie in Kamerun, begrüßt uns an den Flußmündungen eine Bekannte von der Westküste: die Mangrove, bei der wir uns also nicht lange aufzuhalten brauchen. Hinter dem leuchtend weißen, aus Korallenkalk-Sandmassen bestehenden Strande zieht sich der niedrige Küstenbusch hin, aus dem verschiedene Palmenarten aufragen. Der Busch besteht zunächst nur infolge der Feuchtigkeit des Meeresklimas aus immergrünen Gewächsen; je weiter wir aber ins Innere kommen, desto häufiger treffen wir auf Bäume, die ihr Laub wechseln, wie mehrere Akazienarten. Nach wenigen Kilometern verschwinden die immergrünen Pflanzen vollkommen, und die Steppe, die typische Vegetationsform Ostafrikas, tut sich auf. Wir sehen also sogleich den Gegensatz zu Kamerun, dessen düster-großartige Urwälder dem Lande etwas von dämonischer Feierlichkeit verleihen, während das offene Gelände Ostafrikas die typischen Waldbeklemmungen des Westens nicht aufkommen läßt. Die meisten Menschen fühlen sich in der Steppe denn auch bedeutend wohler.

Ein "uferloses, blumenarmes Grasmeer mit getrennt stehenden Büscheln und scharfen, kantigen, übermannshohen Halmen breitet sich über die wellige Landschaft aus". Mächtige Affenbrotbäume, schlanke Borassuspalmen oder vereinzelte Sykomoren ragen aus der Fläche auf, bedeutend als Stimmungsmomente und gleichsam poetische Gegenstände: das Ganze ähnelt der Parklandschaft im Kameruner Hochland, nur daß Waldungen, wie sie dort noch vorkommen, hier [88] ganz fehlen. "Busch- oder Bauminseln" bilden die einzigen Unterbrechungen der Steppe.

Nach einigen in der durchaus angenehm-anmutigen Steppe verbrachten Wandertagen kommt ein mächtiger Gebirgszug in Sicht, die von Norden nach Süden gelagerten Uluguruberge, deren Kamm eine Vegetationsgrenze bildet. Die den feuchten Meerwinden ausgesetzte Ostseite ist mit dichtem Tropenwald überzogen; hohe Bäume, Farne, Lianen und Orchideen geben ihm sein Gepräge, obgleich er die erschütternde Vielgestaltigkeit der Kameruner oder anderer, etwa brasilianischer Urwälder nicht erreicht: er ist freundlicher, gemäßigter, gutmütiger. Blicken wir aber nach Durchschreiten des Waldes, der sich am üppigsten zwischen 500 und 1200 m Höhe entfaltet, über den Kamm den Westhang hinunter, so schweift der Blick über ein so gut wie baumloses Grasland auf der dem Regen und der Meeresfeuchte abgekehrten Seite.

Hinter den Ulugurubergen kommen wir in eine neue Vegetationslandschaft Ostafrikas: den Steppen- oder Miombowald, den "Pori", ein hochstämmiges, hauptsächlich aus Schirmakazien und Euphorbien bestehendes Gehölz ohne oder nur mit sehr spärlichem Unterholz. Der Eindruck ist wieder ein ganz neuer: der Wald ist licht, man kann weit hindurchsehen; er erinnert fast ein wenig an unsere deutschen Wälder. Haben wir aber den Pori hinter uns gelassen, wird es wieder sehr afrikanisch: die Mkataebene nimmt uns auf, ein ausgesprochenes Trockengelände mit sehr geringem Pflanzenwuchs - etwas Gras, einige vereinzelte Bäume: Steppe, Sonne und Staub. Indessen winkt schon am Horizont ein Trost: der Steilabfall des ostafrikanischen Hochlandes taucht auf, die Berge von Ussagara und Unguru erheben sich.

Die Hänge dieser nach Osten gewendeten Bergseite unterscheiden sich nicht sehr vorteilhaft vom Ulugurugebirge: der schöne Urwald war, hier wie dort, einmal vorhanden, aber die Eingeborenen haben ihn abgeholzt, so daß jetzt nur ein kümmerlicher Buschwald dasteht, in dessen Lichtungen die Äcker der Eingeborenen liegen. Ein wenig höher hinauf treffen wir das Weideland der Eingeborenen - auch nicht sehr interessant, und erst ganz oben, auf dem höchsten Rücken des 2000 m ansteigenden Randgebirges, steht wieder unberührter Wald und zwar wieder von neuer Form: der "Nebel"-, "Höhen"- oder "Gebirgswald" bildet den letzten Ausläufer des tiefer gelegenen "Regenurwaldes" - sein Merkmal besteht in dem niedrigen, gedrückten, oder breiten Wachstum der Bäume. Die Stämme haben beträchtlichen Umfang und breiten ihre Kronen flach aus, die Äste liegen gleichsam und winden sich schlangenförmig nach oben.

Eine wichtige Tätigkeit: Wassertragen in 
Deutsch-Ostafrika.
[342]      Eine wichtige Tätigkeit: Wassertragen in Deutsch-Ostafrika.
Von Kilossa, das am Fuß des Randgebirges liegt, führt das Tal der Mukondokwa in das Gebirge hinein, - die Zentralbahn nach Tabora führt hier entlang; die Vegetation, also auch die Landschaft, bringt keine Neuigkeiten, bis wir durch die immer trockener werdende Steppe Mpapua, den Hauptort der Landschaft Ugogo erreichen. Die Steppe nimmt infolge der großen Trockenheit - vom Juni bis Oktober fällt niemals Regen - teilweise den Charakter einer steinigen [89-90=Fotos] [91] Wüste an; andere Teile sind mit ödem und unangenehmem Dornbusch bewachsen. Nun - ein Gebiet von solcher Größe wie Ostafrika, das so viele Vorzüge aufzuweisen hat, kann sich auch einmal von der unangenehmen Seite zeigen. Außerdem brauchen wir nicht mehr zu laufen wie die Besucher der früheren Zeit, sondern fahren sehr bequem in sauberen Zügen, und schließlich: ansiedeln muß sich ja hier niemand, da in anderen, schöneren Gegenden noch viel Platz ist.

Also fahren wir ohne weiteren Aufenthalt weiter nach Kilimatinde, der alten deutschen Militärstation an der Westgrenze Ugogos. Nun tritt die Parklandschaft wieder in ihre Rechte, denn nach der Landschaft Unjamwesi hin breitet sich Laubbusch, der schließlich in einen riesigen Miombowald übergeht: ein breites Band vom Südufer des Viktoriasees bis zur Südwestgrenze der Kolonie. Einförmig ist der Wald, das kann niemand leugnen, wenn belebte Natur überhaupt einförmig sein kann, da schließlich das Pflanzen- und Tierleben immer Abwechslung bringt; es ist wohl ein besonderes Verhalten der Seele in manchen Menschen, die in der Gleichförmigkeit nicht die unendlichen Verschiedenheiten sehen - wie etwa auf dem Meere, das von so empfindenden Menschen als "langweilig" erklärt wird, weil "es immer dasselbe sei".

"Eng umfriedete Gärten sind es nicht, die die Natur da draußen geschaffen hat, aber schier unbegrenzte, so weit das Auge nicht mehr reicht, von einem unbeschreiblichen Tierreichtum wimmelnde Riesengebiete. - Und das Reich ist groß, unfaßbar groß und weit! Da kann sich denn auch jegliches Geschöpf das Gebiet auswählen, das ihm zusagt. Was hier lebt, ist strotzendste, wildeste Gesundheit.

Wie schwach und unvollkommen kommt sich da die Krone der Schöpfung, das Menschlein, unter diesen Recken vor!" schreibt Wilhelm Kuhnert bewundernd und fährt fort:

      "So ist das afrikanische Tierparadies in seiner unbeschreiblichen Großartigkeit, in seinem hinreißenden Zauber eine nie versiegende Fundgrube unvergeßlicher Eindrücke. Wollte man all die Lebewesen, die man häufig im Laufe einiger Stunden innerhalb dieses Bannkreises zu Gesicht bekam, - nicht schildern, nur zählen, man käme in Verlegenheit.
      Heller, sonniger Morgenzauber! Wie unendlich weit kann das Auge jetzt in die klare, herrliche Morgenluft sehen. Und es gibt so viel zu sehen, eigentlich viel zuviel, um das alles aufzunehmen, erfassen zu können. - Da ist zunächst einige hundert Meter links von mir ein Rudel großer Säuger, das mich sofort fesselt, - 61 Giraffen zähle ich! Sie sind wahrhaftig das auffallendste Wild der afrikanischen Steppe. Seltsame Tiergestalten! - Da ziehen hoch oben in der Luft 4 Hagedaschibisse mit krächzendem Geschrei über mich hinweg. Ihr prächtig metallgrün, blau und schwarz schimmerndes Gefieder glänzt in der Sonne in scharfen Lichtern. Und ihr Erscheinen erinnert mich daran, daß auch noch andere Tiere da sind. Als meine Blicke über die Steppe schweifen, begegnen sie mehreren Trupps Zebras. Sind die doch häufig die Gesellschafter der Giraffen. In Herden von 20 - 30 Stück stehen sie da. Zu ihnen gesellen sich wie- [92] der Kuhantilopen und Strauße. So macht es mitunter tatsächlich den Eindruck, als hielten alle diese Tiere eine Zusammenkunft ab. Jetzt spazieren auch bei der mir zunächst stehenden Gruppe zwei Schabrackenschakale einher. Weiter südlich steht eine sehr zahlreiche Herde schlanker Swallahantilopen und Grantsgazellen. Dicht daneben befindet sich in flacher Bodensenkung ein Tümpel, in dessem grauem Morast ein stattlicher Jabiru, drei Kronenkraniche und mein Liebling, der prächtige Schreiseeadler sich zu schaffen machen. Letzterer hat es wahrscheinlich auf die im tiefen Schlamm lebenden kleinen Welse abgesehen, denn was hätte er sonst in der Steppe zu suchen? Da entsteht vielstimmiges Geschrei; heilige Ibisse und zahlreiche Nil- und Höckergänse fallen ein. In der Luft aber treiben Kibitze unter vielem Geplärr das aus der Heimat genügend bekannte Gaukelspiel. Welch ein Leben um mich her! Sitze ich hier nicht wirklich wie in einem Tiergarten? Doch da kommt schon wieder etwas Neues. Durch den Lärm hindurch vernimmt mein Ohr starkes Trompeten, wohlbekannte Töne von Elefanten. Na - war das nicht eben mein Freund Leo? Natürlich - jetzt wieder "Huh!" Kaum hörbar klingt's, kurz und dumpf nur, aber der Laut ist mir doch zu vertraut, als daß ich ihn überhören könnte. Jetzt fällt mir auch ein, daß gestern abend Löwen in der Steppe brüllten und dort zweifelsohne gejagt haben. - Noch bin ich nicht weit gekommen, da erheben sich plötzlich einige graue Rücken aus dem gelben Grase - eine Rotte Warzenschweine. Mit erhobenem plumpen Warzenkopfe und langer, gesträubter Rückenmähne trollt die Rotte dahin. Ihnen folgen ganz kleine Frischlinge. Wieder etwas weiter springen blitzschnell kleine Zwergantilopen von Busch zu Busch. Nicht weit von meinem Standorte befinden sich zwei niedrige, sehr verkrüppelte Sträucher. Der vordere ist dicht mit Nimmersatts besetzt. Ich zähle neunzehn der großen weißen Vögel. Auf dem anderen haben sich fünf Marabus niedergelassen. Ganz unten am Fuße des Busches hockt zahlreiches gewöhnliches Geiervolk.
      Dort drüben steht noch anderes Wild. Zwölf Elenantilopen stehen da ganz frei auf der weiten, abgebrannten Blöße und dösen vor sich hin. - Auf dem Rückmarsche beobachte ich noch Büffel und Antilopen. Wasserböcke stehen mit den Rappenantilopen zusammen, eine Beobachtung, die ich sonst noch nie gemacht habe. Ein ganz interessanter Anblick wird mir noch zu guter Letzt zuteil. Mit dem Glase noch einmal die Gegend absuchend, fällt mir etwas Merkwürdiges auf. An einer freien Stelle springt ein großer Vogel, in eigentümlicher Weise hüpfend, fortwährend auf und nieder. Es ist ein Sekretär oder Kranichgeier, ein Raubvogel mit Ständern, so lang wie etwa beim Storch. Häufig sah ich den komischen Vogel ernsthaft in der Steppe daherschreiten. Ganz prächtig sieht er dann aus, wenn er plötzlich sichernd stehenbleibt und den Kopf mit den großen schönen Falkenaugen und der gelüfteten langen Haube zur Seite dreht. - In der Nacht gab es eine leichte Erschütterung des Zeltes, und ich hatte das Gefühl, als wenn die Zelttaue locker geworden wären. Völlig [93] munter, höre ich ein schmatzendes Geräusch. Flußpferde! Und wie ich aus dem Zelt gucke, sind die Störenfriede längst über alle Berge.
      Ich habe mir und den Leuten ausgiebige Ruhe gegönnt. Nun geht es weiter im Pori. Da bringt mir der heutige Tag noch eine Überraschung, die ersten Weißbartgnus. Flüchtig galoppiert die zahlreiche Herde an mir vorüber, in einer dicken Staubwolke verschwindet sie. Und nun erscheint das farbenprächtigste Bild des Tages, ein nach Hunderten zählender Flug rosenroter Flamingos. Auch dieses herrliche Bild zieht, wie alles Schöne, viel zu schnell vorüber!"



Die Bevölkerung

Das ostafrikanische Hochland gehört zu den von allen Seiten zugänglichen Teilen des Kontinents, da völkertrennende Schranken, große Urwaldzonen, schroffe Gebirge, ausgedehnte Wüstengebiete fehlen. Die großen Völkerzüge der Vergangenheit gingen also gern hindurch - von den meisten blieb etwas hängen, und so finden sich alle afrikanischen Rassen hier vertreten: Reste der Urbevölkerung, Neger, Hamiten und Semiten.

Tanz vor einem Häuptling in Kiymbila, Deutsch-Ostafrika.
[90]      Tanz vor einem Häuptling in Kiymbila, Deutsch-Ostafrika.

Beim Zauberer von Itete, Deutsch-Ostafrika. [90]      Beim Zauberer von Itete, Deutsch-Ostafrika.

Am Strande des Njassa-Sees in Deutsch-Ostafrika. [324]      Am Strande des Njassa-Sees in Deutsch-Ostafrika.
Wir erinnern uns der Pygmäen im Kameruner Urwald und der Buschmänner in der Kalahari Südwestafrikas; solche Gesellen, Überbleibsel der ersten Afrikabewohner, finden sich auch in Ostafrika, nämlich die Batua in Urundi, vom Herzog Adolf Friedrich zu Mecklenburg entdeckt, ferner die Wahi, Wanege und Wakindiga am Ejassisee, deren Leben noch verhältnismäßig wenig erforscht ist. Sie führen ein scheues Jägerdasein, ziehen genau wie ihre Verwandten in West und Süd in kleinen Horden herum, wohnen in kleinen, an Bäume gelehnten Grashütten und sprechen die Schnalzlautsprache, die kein Mensch versteht - die Neger im Osten genau so wenig wie die Hereros im Süden oder die Bali im Westen.

Den Haussa im Sudan und Nordkamerun, die hamitischen Ursprungs sind, entsprechen, demselben Stamm entsprossen, in Ostafrika die Wahima oder Watussi im Zwischenseegebiet und die Massai östlich und südöstlich des Viktoriasees.

Das übrige Gebiet bewohnen Bantustämme, die mit dem Anfang des 19. Jahrhunderts von Süden her nach Norden drängten; um die Mitte dieses Jahrhunderts erschienen sie am Rovuma, eroberten den größten Teil des alten Schutzgebietes und siedelten sich hier an: es sind die Mafiti, die Masitu und die Wangoni östlich und nördlich vom Njassa, die Watuta kamen bis zum Viktoriasee. Die Gefahr eines Zusammenstoßes zwischen diesen Kriegsstämmen und den nicht weniger tapferen Massais lag nahe - indessen schob sich [94] gerade damals die Macht des Deutschen Reiches trennend zwischen die zukünftigen Feinde. Außerdem aber verminderte die Geißel Afrikas, die uns schon mehrfach begegnet ist, die Rinderpest, die Herden der Massais und damit das Volk selbst. Die alteingesessenen Neger, die Urbantu, blieben unter diesen Einwanderern von Norden und Süden die Grundschicht der Bevölkerung im Gebiet der Kolonie; sie bilden viele Stämme, deren
Schwarze Damen aus Deutsch-Ostafrika. Wanjamwanga-Gruppe.
[377]      Schwarze Damen aus Deutsch-Ostafrika.
Wanjamwanga-Gruppe.
Namen alle mit "Wa" anfangen, wie die Wasaramo, Wanguru, Wassukuma usw.; manche Dampfer des Ostafrika- und der Woermann-Linie haben sie in Europa bekannt gemacht. Alle diese Stämme werden unter dem Namen Wanjambo zusammengefaßt. Die Verwandtschaft zeigt sich in der Sprache - das charakteristische Merkmal der Bantuidiome besteht darin, daß jedes Wort aus einer Stamm- und einer Vorsilbe zusammengesetzt ist. Es wird uns nun auch der immer gleiche Anfang der Stammesnamen klar - "Wa" bedeutet nichts anderes als "die Leute", die Mehrzahl von "M" gleich Mann: also z. B. M-hehe, ein Angehöriger des Stammes der Hehe oder Wa-hehe; das Land erhält die Vorsilbe U - also U-hehe das Land der Wahehe. Die Bantusprache ist durchaus logisch und keineswegs primitiv - sie übertrifft sogar an Menge der Verbalformen die europäischen Sprachen und kann sehr komplizierte Konstruktionen bilden. Die auf den ersten Blick so schwierigen und schwer merkbaren ostafrikanischen Namen werden plötzlich durch die Vorsilbentechnik sehr klar. Die Bantuworte sind infolge ihres Vokalreichtums sehr klangvoll, z. B. heißt in Suaheli "drei Menschen" = wathu watatu.

Dieses "Suaheli" ist die Landessprache Ostafrikas geworden; es wurde von allen Deutschen, die von Amts wegen in der Kolonie waren, gesprochen. "Aus dem Einfluß, den die Deutschen durch dieses Eingehen auf die sprachlichen Möglichkeiten der Schwarzen hatten, erklärt sich wohl auch zu einem großen Teil der deutsche Erfolg in Ostafrika."

Das "Kisuaheli" hat sich sogar über die Grenzen Deutsch-Ostafrikas hinaus ausgedehnt und wird auch in Britisch- und Portugiesisch-Ostafrika und selbst bis tief in den Kongostaat hinein verstanden. Ja, im Kongogebiet hat sich aus Kisuaheli und den dort gesprochenen Dialekten eine eigene Sprache entwickelt, die man fast als Pidgin-Suaheli bezeichnen könnte. Die englische Mission gibt in dieser Sprache, in der man unbedingt noch den Suahelikern erkennen kann, Bibeln und religiöse Traktate für die Pygmäen heraus...

Der Name der Sprache ist arabisch und bedeutet Küsten(-sprache), ebenso wie Suaheli Küstenbewohner heißt. Die Küste heißt auf arabisch sâhil; durch die Form des gebrochenen Plurals wird "sawahil", Küstengegenden, gebildet. Im Dialekt spricht man entgegen der klassischen Aussprache suâhil oder suâhel. Eine adjektivbildende Endung des Arabischen ist "i", so daß also "suaheli" etwas oder jemand von der Küste, an der Küste bedeutet. Der Suaheli betont nun alle Worte auf der vorletzten Silbe und setzt diesem arabischen Fremdwort die seiner Sprache eigenen Vorsilben voran: so entstanden die Bezeichnungen m-suaheli, ein Suaheli, und Ki-suaheli, die Suahelisprache.

[95] Die Sprache selbst ist eine echte Bantusprache, die eine große Anzahl arabischer Lehnworte aufzuweisen hat, da die meisten Suaheli Mohammedaner sind. Besonders an der Küste sind außerdem viele persische, indische, portugiesische, englische und auch deutsche Worte in den Sprachschatz der Suaheli aufgenommen worden.

Die Suaheli haben heute bereits eine verhältnismäßig umfangreiche Literatur aufzuweisen, bei der die Presse nicht den kleinsten Teil für sich in Anspruch nehmen kann. Allerdings muß mit Bedauern festgestellt werden, daß der Krieg diese blühende Eingeborenenpresse, die für die linguistische Erforschung des "Kisuaheli von großer Bedeutung hätte werden können, zum Tode verurteilte. Erst mehrere Jahre nach dem Krieg begann man wieder, Zeitungen zu gründen, aber die Presse hat heute noch lange nicht den Stand erreicht, wie sie ihn 1914 hatte" (Hilde Lemke, Die Suaheli-Zeitungen und -Zeitschriften in Deutsch-Ostafrika, Leipziger Dissertation 1929).

"Habari za Mwezi" (Monatliche Nachrichten) war die erste in der Eingeborenensprache erscheinende Zeitung, die wichtigste der von der deutschen Regierungsschule herausgegebene "Kiongozi" (Führer, Karawanenführer); den Hauptinhalt bildeten Nachrichten aus allen Ortschaften Ostafrikas, auch die amtliche Bekanntmachungen nahmen einen großen Raum ein. Hilde Lemke gibt ein paar charakteristische Beispiele an:

            1. "Verordnung, welche allen Menschen Freude macht."
      "Es ist durch die Regierung eine Erlaubnis ausgegeben worden, daß alle Menschen Erlaubnis haben, immer die ganze Nacht hindurch spazieren zu gehen. Nicht nur im Monat Ramananzi, sondern auch in allen anderen Monaten.
      Aber es ist verboten, zu lärmen und Unannehmlichkeiten zu machen. Die Leute sollen nur ruhig ihrer Wege gehen.
      Tanga, d. 15. 11. 1906.
Der Kaiserliche Bezirksamtmann
Zache."           

            2. "Verordnung, welche die Gesetzgebung über Palmwein zeigt."
      "Die Palmweinzapfer haben die Erlaubnis, ihren Palmwein alle Tage bis 10 Uhr abends zu verkaufen, das ist die vierte Stunde in Kiswahili.
      Tanga, d. 15. 11. 1906 usw."

      In der Ursprache heißt die zweite Verordnung:
            Tangazo, ionheshayo hukumu za tembo.
      Wagema tembo wana ruhusa kuuza tembo lao siku zote hata saa usiku ya kizungu, saa une ya kiswaheli.

Eine Inhaltsangabe der im Laufe eines Jahres (1910) veröffentlichten belehrenden Aufsätze zeigt die wirklich erstaunliche Höhe, auf die die Zeitungen unter deutschem Einfluß gehoben worden waren:

Eine Reise durch Ruanda. - Der Kreislauf des Wassers. - Die Wurmkrankheit. - Uzaramo, Ukwere und Udowe. - Wie die Baumwolle gepflückt [96] werden soll. - Die Kriegsschiffe des Kaisers, illustriert. - Das deutsche Heer im Kriege, illustriert. - Zeppelin in Berlin. - Luftschiffe, illustriert. - Eine Reise um die Erde, illustriert, in neun Fortsetzungen. - Warum wir unseren Kaiser ehren, illustriert. - Kometen. - Die Massai, illustriert. - Der deutsche Soldat bei der Arbeit, illustriert, in acht Fortsetzungen.

Das Blatt der evangelischen Mission hieß "Pwani na bara", "Küste und Inland"; es wurde von seinem Herausgeber zu ethnologischen Studien benutzt. Nicht alle evangelischen deutschen Missionen beteiligten sich an dem Pwani. "Die Herrnhuter z. B. lehnten die Zeitung ganz ab, wie sie schon vorher den Kiongozi abgelehnt hatten, weil durch die Zeitungen mehr der Islam als das Christentum verbreitet würde... Dafür beteiligten sich aber die englischen Missionen an der Zeitung... Es hat schnell mehr als 1000 Abonnenten gefunden" (Hilde Lemke). 1927 wurde als Nachfolgerin die Zeitung "Ufalme wa Mungu", das "Reich Gottes", gegründet.

Das katholische Blatt hieß kurz und einfach "Rafiki yangu", "Mein Freund".

Der Umfang aller dieser Blätter war 4 - 6 Seiten; ein Zeitungsformat im europäischen Sinne hatte nur der Kiongozi mit 44 x 32 cm. Die übrigen erschienen in kleinerem Format, z. B. 31 x 23,5 cm. Die Redaktionen arbeiteten ganz nach europäischem Muster. Wichtig war der "Kopf", denn "es mußte mit der primitiven Anschauung der Eingeborenen gerechnet werden, die noch mehr auf das Äußere geben, als der kulturell höher stehende Europäer es schon tut"... (Sieht man sich allerdings Filmreklameplakate und Filme selber an, dann ist man sehr im Zweifel, wer eigentlich der primitivere ist - der Bantu oder der Europäer, der jeden unmöglichen Unsinn behaglich aufnimmt.)

Der Kopf der Zeitung "Kiongozi" sah also 1908 so aus:

KIONGOZI
Habari kwa wotu wote wa Deutsch-Ostafrika
Mtu akitaba "Kiongozi" ao akiheta habari aandike kwa anwani hil:
Kwa Kiongozi Schule Tango
Inatolewa kila mwanzo wa m wezi Kiasi cha Kiongozi kwa wa mwaka mmoja kwa muda Deutsch-Ostafrika na Deutschland Rupia 1. Kwa nchi myingine ni Rupia 1 Heller 25. Kiasi cha Nummer moja ni Heller 10.

Die Übersetzung lautet:
Wenn ein Mensch diesen "Kiongozi" wünscht oder Neugikeiten bringt, schreibe er an die Adresse:
Für den Kiongozi Schule Tanga
Erscheint am Ende jedes Monats Der Preis des Kiongozi für den Zeitraum eines Jahres für Deutsch-Ostafrika und Deutschland beträgt 1 Rupie, für andere Länder 1 Rupie 25 Heller. Der Preis einer Nummer ist 10 Heller.

Deutsch-Ostafrikanische Bethel-Druckerei. Wuga.
[378]      Deutsch-Ostafrikanische Bethel-Druckerei. Wuga.

In der Buchbinderei von Wuga, Deutsch-Ostafrika. [378]      In der Buchbinderei von Wuga, Deutsch-Ostafrika.
[97] Über die Mitarbeit der Neger sagte Dr. Hilde Lemke:

      "Fast die gesamte Arbeit an der Zeitung wurde von den Schwarzen selbst geleistet. Der Europäer behielt nur die geistige Oberhand, er gab Anregungen und achtete darauf, daß die Zeitung das blieb, was sie sein sollte, ein Kulturfaktor. Denn nur der Weiße war imstande, die Zeitung den großen Gedankengängen der deutschen Politik unterzuordnen. Aber der Deutsche »machte« nicht die Zeitung, sondern der Eingeborene selbst »machte« sie, d. h. fast jedes Wort, das vor dem Kriege in einer Suahelizeitung stand, war vom Eintauchen der Feder an bis zur Drucklegung Eigentum der schwarzen Rasse."

Alle Arbeiten in der Redaktion und in der Druckerei wurden von Eingeborenen ausgeführt, und auch die Mitarbeiter, die die Berichte aus dem Lande schrieben, waren Schwarze, meist eingeborene Lehrer. Daß aber Eingeborene auch ganz selbständig eine Zeitung leiten konnten, davon zeugt das Beispiel des S. Sehoza, der 1908 die "Habazi za Mwesi" ganz allein wieder ins Leben zurückrief.

      "Es mag für den deutschen Herausgeber einer Suahelizeitung nicht leicht gewesen sein, sich einen geeigneten Mitarbeiterstab heranzuziehen, denn der Suaheli mußte erst zum Schreiben erzogen werden. Viele Streichungen an den Berichten durften nicht vorgenommen werden, da man dadurch den Mitarbeiter verärgert hätte und eine der Haupteigenschaften des Negers seine große Empfindlichkeit ist"...
      "Der Neger hört sich gern sprechen und freut sich sehr, wenn er einen Artikel aus seiner Feder in der Zeitung findet, besonders, wenn er noch seinen Namen unter einen Aufsatz schreiben darf. Damit steigt sein Ansehen in seinem Verwandten- und Freundeskreis, und das schmeichelt seiner Eitelkeit"...

So sehr verschieden scheinen weiße und schwarze Mitarbeiter in der Tat nicht zu sein!

Als Beispiel dafür, wie ein Neger schreiben kann, teilt Hilde Lemke den Brief eines Negers vom 11. August 1928 mit: außer dem Datum ist kein Kommentar nötig. In diesem Schreiben heißt es:

      "... Ich lebe hier in Armut. Das Land ist ohne Segen und Güte; es ist keine Nahrung und kein Geld da. Alles ist durch die Feindschaft und den Weltkrieg zerstört worden. Seit Ausbruch des Krieges arbeite ich nicht mehr bei einem Europäer, sondern nur noch auf meiner Pflanzung. Das bringt allerdings wenig ein... Aber was soll ich machen? Ich stelle es Gott anheim. Was die Pflanzung hervorbringt, wird oft noch von Dieben gestohlen. Zur Zeit tritt das Raubgesindel wie ein Heuschreckenschwarm auf... Der Krieg hat unser Land zerstört. Grämen dürfen wir uns darüber nicht, die Suaheli sagen: »Gott hat keine Fehler«... Wir wissen nicht, wie die Zukunft aussehen wird. Ob Gott uns wohl den früheren Segen und Reichtum wieder bescheren wird?... Wenn Du mich sähest, würdest Du fälschlich glauben, ich sei ein alter Mann geworden: meine Haare sind ganz weiß... aber ich bin erst 38 Jahre. Verstehst Du in diesem Briefe auch alles Kisuaheli gut?
      Ich lege Dir ein trockenes Blatt unseres Landes bei. Möge es Dir ein Erinnerungsblatt unserer Armut sein!
      Verstehst Du?!! Verstehst Du?!!
                  Gruß und Friede sei mit Dir!             N. N."

[98] "Die Deutschen sind unwürdig, Kolonien zu verwalten, weil sie die Eingeborenen schlecht behandelt haben"... so lautet die Kolonialschuldlüge! Ein solcher Brief beweist das Gegenteil!

Alle Bantuneger besitzen dieselben körperlichen Eigenschaften und Merkmale. Die ostafrikanischen Bantus sind in erster Linie Ackerbauer und auf einer frühen Stufe dieser Wirtschaftsform stehengeblieben: das einzige Ackergerät, mit dem sie ihre Felder bearbeiten, ist eine kurzstielige Hacke. Es werden in erster Linie Hirsearten, Bohnen und Bananen angebaut. Neben der Arbeit auf dem Felde wird Viehzucht getrieben.

Die Kunst, Felle herzurichten und aus gewissen Baumrinden Zeug herzustellen, ist bei den Bantu Tradition, ebenso wie eine schon frühzeitig hochentwickelte Eisentechnik, die der hohe Eisengehalt des Bodens entstehen ließ. Schmiedeeisen wird sogar stellenweise in primitiven Hochöfen erzeugt, die allerdings wohl erst später von höher kultivierten Einwanderern zu den Bantu gebracht worden sind. Die ursprünglichen Waffen der Bantu waren wie bei allen Naturvölkern Bogen und Pfeil, Speer und Keule.



Die Musik bei den Bantunegern

Fröhliches Spiel auf einem deutsch-ostafrikanischen Dorfplatz.
[324]      Fröhliches Spiel auf einem deutsch-ostafrikanischen Dorfplatz.

Dorfstraße in Mwakalele, Deutsch-Ostafrika. [341]      Dorfstraße in Mwakalele, Deutsch-Ostafrika.
Der Bantuneger hat wie alle Neger ein stark ausgeprägtes rhythmisches Gefühl, von dessen elementarer Kraft wir Europäer uns kaum eine Vorstellung machen können. Der Takt setzt sich jedoch nicht aus gleichen Teilen zusammen, innerhalb deren eine Gesangsmelodie fest eingefügt daherschreitet. Vielmehr werden zwei- und dreiteilige Glieder zu Gruppen zusammengeschlossen, die Sänger, Spieler und Hörer in lebendigster Spannung halten und den rhythmischen Ablauf des Gesanges oder Tanzes wechselvoll und figurenreich gestalten. Gesangs- und Schlagrhythmus laufen jeder für sich nebeneinander her wie zwei voneinander unabhängige Stimmen. Der meist einstimmige Gesang wird dabei durch Quinten- oder Quartenabstände der sich im Wechselgesang antwortenden Stimmen klangvoller. Den rhythmisch festen Vortrag begleiten und steigern wirkungsvoll Aufstampfen der Füße, Händeklatschen auf den unbetonten Ton, der Synkope, die Marimba (eine Art Xylophon), Holzposaunen oder die vielfach gestaltete Trommel aller Größen. Die Tonstufen der Gesänge fügen sich nicht in die europäischen Tonleitern und erscheinen unseren Ohren ungewohnt. Wir tun sie als "Geheul der Wilden" ab und werden der Negermusik damit nicht gerecht. Das kurze Motiv einer meist absteigenden Melodie wird im Wechselgesang, zahllosen ungleich langen Strophen angepaßt, oft endlos wiederholt, wobei der Rhythmus fest bleibt. Zuweilen begleitete die Melodie auch ein einfacher Summton, oder es läuft ein ständig wiederholtes, kurzes Motiv in verschieden gewandelter Gestalt selbständig darunter. Wie ausgesprochen die Musik das Leben des Negers durchpulst, beweist allein die Tatsache, daß alle gemeinsam ausgeführte Tätigkeit von Gesängen be- [99] gleitet wird. Leo Frobenius schreibt von "der Zeit herzhaften Frühlingsackerns in den Ländern der Mande (Sudannegerstamm)":

      "In früher Morgenstunde zieht alle junge und auch die noch stämmige ältere Mannschaft hinaus auf den Acker. Voran einige Trommler, einige Bläser. Wie Soldaten zum Manöver ziehen sie aus, arbeitsfreudig, frohlaunig, scherzbereit. Am Feld angelangt, treten sie in langer Reihe an, ergreifen Mann für Mann ihre Hacke und - heißa setzt der stramme Rhythmus der Trommeln und Flöten ein! Schlag auf Schlag, Lockruf auf Lockruf! Die Mannschaft rückt vor, die Musikanten tänzeln nach. Juchhe, wie die Erdballen fliegen! Juchhe, wie Mutter Steppe den Schoß öffnet! Arbeit, Frohsinn, Trommeln und Blasen von früh bis spät. - Frau Musika ist eine wahrhaft seelenhaft starke Gutsherrin."

Der Instrumentenschatz der Neger is außerordentlich vielgestaltig, doch sind Schlaginstrumente neben Harfe, Leier, Flöte, Marimba und Holzposaunen mannigfaltigster Ausgestaltung am wichtigsten und zugleich für die Klangverstärkung unentbehrlich. Neben dem einseitigen, mit einem Stäbchen geschlagenen Saiteninstrument, der Grundform des Banjo, ist die dreiseitige "Sese", die ein Art Griffbrett zum Verkürzen der Saiten besitzt und so verschiedene Tonhöhen wiedergibt, allgemein bei den Bantus gebräuchlich. Frobenius schildert den eigentümlichen Reiz dieser Negerinstrumente, die durch den Jazz dem Europäer bekanntgeworden sind:

      "Mir fallen da eben die Trommelkonzerte ein, die so oft meine tiefe Bewunderung erweckt haben. Rümpfe mir nicht die Nase ob solchen Ausdrucks! Trommel und »Konzert«, wie sich das zusammenreimt? - Ein weiter Platz. Rund herum eine große Menschenmenge. Von allen Seiten kommen die Musikanten, diese mit zwei kleinen, halbkugligen, jene mit einer langen, kegelförmigen Trommel. Hier schleppt einer eine Fußpauke, da ein anderer eine Kesselpauke heran. Sie stellen sich im Umkreise auf und stimmen ihre Instrumente, üben einige Rhythmen und spielen sich auf ihre verschiedenen Taktarten ein. Unmerklich geht langsames Hinsummen und anscheinend isolierte Spielweise in ein Allgemeines über. Ein Kapellmeister fehlt. Das Gefüge ist erst unmerklich und kommt als solches nur ganz langsam zur Erscheinung. Dann aber erschüttert es auch wie eine unbeugsame Notwendigkeit. Die Fülle der Töne schwillt. Der Rhythmus des Ganzen fließt immer glatter. Ein Grollen des Donners, ein Beben der Erde. Ein höchster, knallender Paukenschlag. Das erschreckte Gehör erzittert ob des plötzlichen Schweigens nach dem Verstimmen der Elemente. Und tief aufatmet Frau Musika."



Im Gegensatz zu den Bantu, den "Vollblutnegern", stehen die hamitischen, als Gegenspieler der Bantu erkannten Nilhamiten (von denen aber die Haussa nicht rein geblieben sind).

Allein der körperliche Eindruck ist ein ganz anderer als der, den uns die Bantu machen. Die Watussi sind "lange Kerls" nach dem Geschmack Friedrich Wilhelms I., hohe, schlanke Figuren von etwa 2 m Größe; sie haben längliche, schmale Schädel und kluge, feingeschnittene Gesichter, die durch lebhafte Augen, gutgeformte Nasen und Lippen geziert werden. Gliedmaßen und besonders die Gelenke sind von fast übermäßiger Schlankheit, die Knöchel und Handgelenke könnten einen Bildhauer in höchste Begeisterung versetzen: wahrscheinlich hätte [100] übrigens Lehmbruck bei den Watussi die Erfüllung seines Idealtraums gefunden und sich manche Abwegigkeit gespart, wenn er einen solchen Hamiten zu Modell genommen hätte. Ihre Hautfarbe ist ziemlich hell, oft gelbbraun; sie sind als die "Aristokraten", als "der Hirtenadel" Zentralafrikas bezeichnet worden, der die Bantus psychisch und physisch weit überragt. Allerdings bieten sie einen königlichen Anblick, bei dem wir uns, wenn wir einmal ganz ehrlich sind, eigentlich ungewöhnlich mäßig aussehend vorkommen und zwar mit ganz außerordentlicher Berechtigung. Der lächerliche Stolz, den der Europäer und vor allen Dingen der Tropenneuling oft gegen die Eingeborenen empfindet, wirkt niemals törichter, als wenn man einen der wunderbar gewachsenen, Spannkraft, Ausgeglichenheit, Entschlossenheit und natürliche Ruhe in der Haltung wie ein edelstes Vollblutrennpferd vereinenden Watussi oder Somali einem fettleibigen, kurznackigen, sportungeübten, lauten, herumfuchtelnden, dazu bärtigen und bebrillten Vertreter Europas gegenüberstehen sieht.

Das Haar der Watussi ist nicht hart und kraus, wie das der Neger, sondern leicht gewellt und weich; manchmal rasieren sie es ganz kurz ab, manchmal tragen sie es halblang, manchmal rasieren sie den Schädel spiralförmig aus und ziehen die übrigbleibenden Haare senkrecht nach oben - was seltsam berührt. Schmuck tragen die Watussi kaum; nur ein paar Ringe aus Kupferdraht lassen die unwahrscheinliche Schlankheit der Gelenke noch beneidenswerter hervortreten.

Sie sind ein Hirtenvolk, dessen einziger Stolz ihre Herden bilden - langgehörnte Rinder von großer Kraft des Körperbaus. Sie lieben die Tiere, wie die Hereros in Südwest es taten; ihre Nahrung besteht aus Milch und Pflanzenkost, welche ihnen die tributpflichtigen Bantu liefern: sie schlachten nicht gern...

Ihr Nomadenleben läßt sie wenig Sorgfalt auf den Hausbau verwenden. Biegsame Äste werden in den Boden gerammt, oben zusammengebogen und festgebunden, und das so entstandene "reifrockähnliche" Gebilde mit Blättern, Matten, Gras und Buschwerk verkleidet. An einzelnen Orten, wie in Ruanda, wo sich die Watussi einigermaßen seßhaft gemacht haben und ihr Vieh vom Orte aus zu weit entfernten Weiden treiben, finden sich sorgfältig und behaglich gebaute "Bienenkorb"-Hütten.

Die Bewaffnung besteht neben Pfeil und Bogen aus einer Lanze mit schmalem Spitzenblatt und einem Holzschild; für gewöhnlich aber geht der Watussi unbewaffnet mit einem langen Hirtenstab - man denkt an biblische Gestalten. Immer bewahren sie ihre Selbstbeherrschung, niemals geben sie irgendwelchen Gemütsbewegungen Ausdruck - auch hierin ganz im Gegensatz zum Neger und zum Europäer. Sie erlauben sich, je nach ihrer Vermögenslage, Vielweiberei, und sie behandeln ihre Frauen auch hierin im Gegensatz zu den Negern mit Achtung und Ehrerbietung. Ihre Kinder lieben sie zärtlich.

Sie sind Heiden; allerdings ist über ihre religiösen Anschauungen nicht viel bekannt. Jedenfalls verehren sie Dämonen, deren höchster ein Nyawingi genannter Geist ist. Die Ansicht, daß neben diesem Glauben auch noch andere, an das [101] Alte Testament anknüpfende Überlieferungen bestehen, wird von Forschern vertreten. Die Watussi haben die Sprache der Bantu, in deren Gebiet sie eingedrungen sind, angenommen; einer der besten Kenner der Watussi, M. Weiß, berichtet, daß sich eine eigene Sprache in notdürftigen Resten erhalten habe.

Am Ostufer des Viktoriasees wohnt ein Volk, das wohl zu den Negern gehört, aber mit den Bantu gar nichts zu tun hat: die Wagaia, die unbekleidetsten und sittsamsten aller ostafrikanischen Neger. Sie sind tiefbraun und von hohem, kräftigem Wuchs, mit riesigen Speeren und mächtigen Schilden bewaffnet; außerdem lieben sie phantastischen Kopfputz aus Federn und anderen Dingen, der zu vollkommenen Hochbauten aufgetürmt wird.

Das zweite große hamitische Hirtenvolk Ostafrikas sind die Massai, bekannt durch die nach ihnen benannte Steppe, dem größten Freizoo der Welt. Ihre Urheimat ist Arabien; in drei mächtigen Heerhaufen, die sich in längeren Zeitabschnitten folgten, wanderten sie nach Afrika ein. Der erste Trupp, die Wanderobbo, wurden durch Kriege und Viehseuchen so geschwächt, daß sie ihren Nachfolgern, den Wakuasi, im afrikanischen Gebiet weichen mußten; sie wurden teils von diesen aufgenommen, teils fanden sie Zuflucht bei den Bantu, teils führten sie - oder führten wenigstens bis zum Kriege - ein armseliges Wanderleben in Busch und Steppe.

Aber den Wakuasi ging es nicht anders: auch sie wurden gelichtet und waren gezwungen, dem dritten Trupp das Feld zu räumen: denen, die heute noch Massai heißen. Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts sah unaufhörliche und grausame Kriege zwischen den Brudervölkern, in denen die Massai Sieger blieben und die Wakuasi in Gebiete verwiesen, welche sie nicht begehrten. Nun herrschten die Massai ungestört in den weiten Steppen ganz Ostafrikas - bis auch ihnen um die Jahrhundertwende die Stunde schlug und Viehseuchen sowie die europäische Kolonisation sie ihrer Macht beraubten: nicht ohne daß sie verzweifelten Widerstand geleistet hätten.

Sie sind den Watussi im Körperbau ähnlich, nur nicht so überschlank wie diese; die feinen Knochen und schmalen Gelenke sind dieselben. Vor allem zeichnen sich die jungen Mädchen des Stammes durch große Anmut und vollendete Körperformen aus. Auch der Gesichtsschnitt ist so fein, die Nase gestreckt und schmal, vor allem aber finden sich wulstige Lippen so selten, daß sie, wenn sie einmal vorkommen, ihrem unglücklichen Besitzer den Spottnamen "Leleleb", Dicklippe, eintragen. Eine merkwürdige Verunstaltung des Ohres ist beliebt; die Ohrläppchen werden in früher Kindheit mit einem starken Akaziendorn durchstochen und durch Einsetzen immer dickerer Holzpflöcke gedehnt, so daß sie in einzelnen Fällen bis zur Schulter herabhängen. In den Öffnungen wird ein aus zahlreichen Drahtspiralen bestehender Schmuck befestigt. Außerdem werden bei Knaben und Mädchen die zwei oberen Schneidezähne entfernt, sowohl in frühester Kindheit, wie beim Zahnwechsel, wie bei den Hereros dieselben Zähne früher spitz gefeilt wurden. Die seltsame Sitte treffen wir auch bei Naturvölkern anderer [102] Erdteile, z. B. bei den Eingeborenen der Südseeinseln; es ist wohl möglich, daß sie weniger Schönheits- als magischen Beweggründen ihr Dasein verdankt. Die Bekleidung der Massai besteht im allgemeinen aus Tierfellen, dicke rindslederne Sandalen sind für beide Geschlechter Zwangspflicht. Ganz besondere Sorgfalt wird auf die Haartracht der jungen Männer verwendet: diese lassen das Haar lang wachsen, drehen es dann in Strähnen zusammen, flechten Rindenfasern des Baobab hinein, scheiteln das Haar quer über den Kopf von Ohr zu Ohr und teilen die Strähnen der vorderen Hälfte in drei Teile. Die Spitzen der Strähnen werden mit Bast umwickelt, und auf dem Rücken ein bis zur Taille reichender fester Zopf gewickelt. Dafür aber rasieren sich die Massaifrauen jeden Monat das Haar ab: Ausgleich muß sein. Sie entschädigen sich, indem sie sich mit unzähligen schweren Drahtspiralen, Ringen, Ketten und Kettchen behängen, so daß eine Massaifrau in vollem Glanz etwas an einen gepanzerten Ritter erinnern könnte und sich, da natürlich die Beine und Fußgelenke auch ihr Teil an Metall zu tragen haben, genau so schwerfällig fortbewegen kann wie einer der eisenbekleideten Reisigen des Mittelalters.

Die Waffen der Massai sind Speer und Schild, ein zweischneidiges Schwert und eine Keule; Feuerwaffen erscheinen ihnen unritterlich - wie würden sie die Anwendung von Gasbomben verachten —! "Obgleich sich ihnen in zahlreichen Kämpfen mit der Schutztruppe wiederholt Gelegenheit bot, haben es die Massaikrieger stets verschmäht, Feuerwaffen zu gebrauchen"... Und man nennt sie doch Wilde!

Ackerbau ist ihnen fremd; sie lieben ihre Herden über alles - immer wieder finden wir denselben Zug. Ihre Hauptnahrungsmittel sind Milch und Fleisch; auch entnehmen sie Blut vom lebenden Rind - was keine besondere Angelegenheit ist, ein kleiner Aderlaß, den das Tier wohl kaum spürt - und mischen es mit der Milch. Das ist für uns bestimmt keine angenehme Vorstellung, aber das will natürlich nichts besagen, und im übrigen scheint mir gerade diese Mischung einen tiefen symbolischen Sinn zu haben: das lebenerhaltende mit dem lebenspendenden Element gemischt - die Zusammensetzung entbehrt nicht der magischen Wirkung. Es ist vielleicht gerade bei der früheren Forschung nicht genug auf die magischen Einflüsse und Bestimmungen geachtet, oder allzuviel als "Aberglauben", "heidnischer Brauch" und ähnliches verächtlich beiseite geschoben worden, was leicht durch magische Zwecke zu erklären ist.

Zauberpriester in Deutsch-Ostafrika.
[360]      Zauberpriester in Deutsch-Ostafrika.
Wir können an dieser Stelle nicht den Wert oder den Unwert solcher geheimnisvollen Traditionen und Gebräuche erörtern; fest steht jedenfalls, daß eine ganze Anzahl von beobachteten Tatsachen nüchternen Wissenschaftlern viel zu denken gegeben haben - wobei natürlich der Begriff der "Magie" als "Zauberei" nicht in Frage kommt. Die Naturvölker befinden sich noch im Besitz ungebrochener Naturverbundenheit, die dem naturentfremdeten Europäer kaum mehr verständlich und daher unheimlich erscheint. Daß ihre Naturnähe ihnen einige uns unbekannte oder gänzlich verlorene Kräfte verleiht, die im steten Zusammen- [103] leben mit der Natur sich in gleicher Stärke erhalten haben oder noch stärker geworden sind, auch natürlich bei einzelnen Personen mit besonderer Deutlichkeit auftreten, scheint mir keinem Zweifel zu unterliegen. Ich habe selbst einige Fälle, z. B. von sogenanntem "Schlangenzauber" und von Tanzmagien erlebt, die - nun, sehr sonderbar waren. Der "Schlangenzauber" hat nichts mit den üblichen herumziehenden Jahrmarktsgauklern zu tun, die Schlangen nach den Klängen einer Pfeife "tanzen" lassen; es ist eine besondere Fähigkeit einzelner Menschen der farbigen Rasse - ich habe es bei Somalis erlebt -, Giftschlangen mit einem Pfiff anzulocken, sie sich auf die Hand kriechen zu lassen und fast zärtlich zu ihnen zu sein: die Tiere denken nicht an Beißen, und der "Zauberkundige" trägt sie dann an einen sicheren Ort und setzt sie aus... Jedenfalls sehr sonderbar, wenn etwa eine Sandviper an einem vorbeikriecht auf die ausgestreckte Hand des Schwarzen zu: würde man selbst nur einen Finger rühren, führe die Schlange zu, und man wäre zum mindesten in schwerer Lebensgefahr, wenn nicht verloren... Magie? Zauber? Ich weiß es nicht, aber "es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als unsere Schulweisheit sich träumen läßt!" Die "Zauberer" sind naturgemäß die besonderen Gegner der Missionare, durch deren Tätigkeit ihr oft verderblicher Einfluß gebrochen wird.

Die Sprache der Massai hat naturgemäß mit den Negersprachen nichts zu tun, scheint aber verwandt mit dem Urdialekt der Wahima.

Die Negerstämme, mit denen die Massai in Berührung kamen, scheinen von dem sie in jeder Beziehung geistig und körperlich überragenden Volk einen so starken Eindruck davongetragen zu haben, daß sie viel Wert darauf legten, sich mit ihnen zu vermischen; es werden also eine Anzahl von Stämmen als "von den Massai beeinflußte Bantu", oder kurz und schlagend als "Massaiaffen" bezeichnet, da sie sich manchmal nicht ganz dem gewünschten Erfolg entsprechend bemühen, ihrem Ideal ähnlich zu werden. Am wenigsten geschickt gelingt das den Wadschagga, die zwischen Kilimandscharo und Meru sitzen.

Es bleiben die Bewohner des Küstenstrichs, die Wasuaheli oder kurz Suaheli genannt werden; wir haben bereits gesehen, daß ihre Sprache zur herrschenden in Ostafrika geworden ist. Sie sind aus jahrhundertelanger Vermischung der Küstenbantu mit Inlandstämmen, Arabern, Persern, Indern und Europäern hervorgegangen. Ihr Typ wechselt infolgedessen ebenso wie die Hautfarbe, die zwischen lichtem Gelbbraun und Dunkelbraun schwankt. Sie sind Mohammedaner und kleiden sich arabisch; in ihrer Überlieferung hat sich eine Fülle von Sagen und Liedern, Fabeln und Märchen erhalten, die ihrer literarischen Begabung, wie wir sie beim ostafrikanischen Zeitungswesen kennengelernt haben, entspricht und auf den Einschlag des alten, dichterisch-kultivierten Orientalenblutes zurückzuführen ist. Echte Araber, Inder und Goanesen aus der portugiesischen Kolonie in Ostindien vervollständigen das Rasse- und Völkergemisch, das den Landenden an der Küste Deutsch-Ostafrikas empfängt.

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Das Buch der deutschen Kolonien
Herausgegeben unter Mitarbeit der früheren Gouverneure
von Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Südwestafrika, Kamerun, Togo und Deutsch-Neuguinea.
Vorwort von Dr. Heinrich Schnee.