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Deutschlands Kolonialkriege   (Teil 2)
 

Drei Tage Kampf um eine Wasserstelle
Vom großen Ringen bei Groß-Nabas, Januar 1905

Aus den Erinnerungen von Max Schmidt (†)1

Am 2. Januar 1905 wurde der Weitermarsch durch einen Wagen verzögert, der nicht zu folgen vermochte und dessen Hafer auf andere Fahrzeuge verteilt werden mußte. Dann setzten wir den Vormarsch über die steinige, wellige Fläche fort. Die 4. Kompanie, 64 Gewehre stark, und die beiden ersten Geschütze der Batterie bilden die Vorhut.

[64] Das Gesträuch wird dichter, die Hochfläche faltiger, durch beides die Übersicht in bedrohlichem Maße verdeckt.

Neben den Geschützen des Haupttrupps reitend, höre ich auf meine halblaute Frage: "Wieviel Schuß haben wir noch?" von Leutnant Overbeck, dem Führer der Batterie, die besorgte Antwort: "Nur 150!"

Mit kaltblütiger Freundlichkeit hatte er eben vorher seinen Leuten ein paar ermunternde Worte zugerufen und dabei gescherzt:

    "Artilleristen werden in der Schlacht
    wie andere Menschen umgebracht."

Zum Abteilungsstabe vorgeritten, werde ich von Major Meisters neuem Adjutanten angeredet: "Passen Sie auf, in kurzer Zeit liegen wir in schwerstem Gefecht!"

Schon nach wenigen Minuten zischen uns die Kugeln um die Ohren. Im Nu ist alles abgesessen, und kurze, scharfe Befehle setzen die Truppe an.

Rechts von der zuerst ins Gefecht getretenen 4. Kompanie wird die 7. vorgeschickt, links die 5. Die Geschütze kämpfen alsbald zwischen den Kompanien auf beiden Flügeln. Die Wagen und Karren werden nahe herangezogen und zu einer Wagenburg zusammengefahren.

Der Gegner [Scriptorium merkt an: die Hottentotten] weicht eine Strecke zurück, liegt aber dann erst in seiner besten Stellung, in einer Felsenfestung mit klippigen Schluchten und bombensicheren Laufgräben, die von der Natur in den gewachsenen Fels geschnitten sind.

Diese Felsenburg sollte die kleine deutsche Abteilung einer, wie sich herausstellte, fünf bis sechsfachen Übermacht entreißen.

Das stärkste Feuer hatte sich sofort gegen die halbe Batterie der Vorhut gerichtet, der nur ein Zug der 4. Kompanie voraufritt. Durch Schnellfeuer hatte man sich aber Luft geschafft und war mit der ganzen Schützenlinie vorgedrungen. Der Gegner feuerte jedoch aus solcher Nähe, daß er mit etwa viertelstündigem Kartätschenfeuer zurückgejagt werden mußte. Inzwischen waren auch das dritte und vierte Geschütz aufgefahren. Leutnant Overbeck läßt ein Geschütz 500 m weiter nach links rücken, um die gegenüberliegende Höhe unter wirksames Feuer zu nehmen. Wenige Minuten später hat ein Herzschuß diesen jungen, tatkräftigen, besonnenen Batterieführer, unsern allseitig beliebten Kameraden, getötet.

Auch Major v. Nauendorff, der Kommandeur der Artillerieabteilung, war bald nach begonnenem Gefechte, in das er tatenfroh eingegriffen hatte, neben der Lafette des zweiten Geschützes durch einen schweren Unterleibsschuß verwundet. Von den Bedienungsmannschaften lagen schon mehrere tot oder verwundet in der Nähe ihrer Führer.

Stundenlang dauerte der heftige Kampf ohne entscheidende Fortschritte.

Wohl wird von den zwei Kompanien der Versuch gewagt, an buschreicher Stelle gegen den Feind vorzubrechen, aber dessen Feuer ist zu stark. Die 7. Kompanie hat sich bis zum Uferrand und bis zu einer Felsnase vorgekämpft, von der [65] sie einen Teil der feindlichen Stellung flankieren kann, doch die Entscheidung wird dadurch nicht erzwungen.

Als der Feind die Überlegenheit seiner Zahl auszunutzen beginnt und die den Auob in einer Entfernung von etwa 1200 m parallel streichende hohe Düne besetzt, die vorher von einer Patrouille noch frei gefunden war, wird die Lage bedenklicher. Die 5. Kompanie muß ihren linken Flügel zurückbiegen, um eine Umfassung zu verhindern. Zwei Geschütze greifen an ihrer Seite an.

Doch nun muß auch unserer Wagenburg und damit dem Rücken unserer Stellung ein Angriff drohen. Denn Leutnant v. Petersdorff, dessen Zug als Wagendeckung kommandiert ist, sucht alle Pferdehalter für seine Schützenlinie. "Ein Mann hält zehn Pferde", schallt es durch die in flacher Bodensenkung aufgefahrenen Fahrzeuge, bei denen die Pferde in einiger Deckung stehen. Bald werden die Rufe dringlicher: "Ein Mann hält zwanzig Pferde! Vorwärts! Es wird brenzlig; ihr werdet gleich angegriffen!"

Der Leutnant hat diese Gefahr abgewehrt; der Feind wurde sogar durch kühnen Ansturm mit aufgepflanztem Seitengewehr an die Düne zurückgeworfen.

Wieder verrinnt Stunde auf Stunde, und eine Gefechtsstunde dauert lange.

Doch hört man, wenn das Feuer nicht gar zu scharf herüberprasselt, noch Äußerungen gelassenen Humors. Die vorüberpfeifenden Geschosse werden nach dem Gewehrkaliber bestimmt, dem sie entstammen. "Das war eine 71er", bemerkt ein kampfgeübter Unteroffizier zu seinem Nebenmann, als eine Kugel mit tieferem Ton vorbeistreicht. "Das sind 98er", geht das Gespräch weiter, als Geschosse mit kurzem, hellem Pfeifen über den Köpfen hinfliegen. "Es können auch 88er sein", entgegnet einer, "98er und 88er sind nicht zu unterscheiden." Aber eben diese heulenden Pfiffe? "Das müssen Explosivgeschosse sein! Wo die Kerle die wohl herhaben?" - "Oder", äußert einer, "es sind Dum-Dum-Kugeln."

Dann beherrscht das sich verschärfende Gefecht alle Gedanken.

Major v. Nauendorff muß schwer verletzt sein. Mit welchem Feuereifer war er beim Gefecht, und wie lebhaft hat er noch bei Stamprietfontein in der Silvesternacht sein glückliches Geschick gepriesen, das alte Jahr in den allerletzten Stunden mit einem Gefecht abschließen zu können! Nach seiner Verwundung hat er eine Zeitlang hinter einem Busche mit dem gleichfalls verwundeten Sergeanten Wehinger gelegen, und beide hatten durch halblautes Singen ihre Schmerzen zu betäuben, dann wieder durch Bibelsprüche ihr Herz zu stärken gesucht. Der Major ruft mich an sein Schmerzenslager im Schatten eines Ochsenwagens und bestellt für alle Fälle Grüße an die Seinen: "Bringen Sie meiner Mutter meine letzten Grüße, und sagen Sie ihr, daß ich im Glauben an meinen Erlöser sterbe." Dann fragt er nach der Gefechtslage und ob von Deimlings Herannahen noch kein Anzeichen bemerkbar sei. Als er danach eine kurze Beratung darüber hörte, ob unsere Gefallenen sofort oder erst nach dem Gefecht zu bestatten seien, entschied er für meinen Vorschlag, unseren Toten [66] lieber sofort das Ehrengrab zu sichern. Wie wir Leutnant Overbeck als ersten an seine Gruft trugen, rief ihm Nauendorff zu: "Lebe wohl, Overbeck, ich folge bald nach." Oft bin ich an diesem und dem folgenden Tage an das Lager des schwer Leidenden zurückgekehrt.

Das Gewehrfeuer erstarb schließlich, und eine ruhelose Nacht folgte. In der Schützenlinie hieß es, jeder zweite Mann dürfe mit seinem Nebenmanne abwechselnd schlafen, und die Ermattung ließ in einen Halbschlaf sinken, aus dem einer hier und da wirr auffuhr. Die in der Finsternis zugetragenen Nahrungsmittel hat kaum einer zu essen vermocht; alle litten Durst, Durst - aber keinen Hunger. Zwar wurden einige Flaschen Wein von unserem geringen Bestande vorgeschickt, aber was konnten diese helfen? Sehnsüchtig schauten wir nach den Gewitterwolken, die sich am Himmel zusammenballten, breiteten Zeltbahnen über schnell ausgeschaufelte Vertiefungen, stellten jedes erreichbare Gefäß zurecht, legten die Tropenhüte zum Auffangen einiger Tropfen neben uns - allein der aufsteigende Wind verjagte die Wolken und unsere Hoffnungen. Es war wohl niemand, der ohne Gebet dem kommenden Morgen entgegenharrte.



Bei der ersten Dämmerung brach der Kampf mit verstärkter Heftigkeit los und währte bis zur dunklen Nacht. Niemand verhehlte sich an diesem zweiten Tage die vielfache Gefahr. Der Feind war in unverminderter Übermacht in seiner Felsenburg geblieben und wehrte uns die rettende Wasserstelle. Nach wenigen Stunden sengte die Sonne wieder unerbittlich herab.

Beim Verbandsplatz häuften sich die Verwundeten. Einige suchten sich einzureden, die Gebirgsbatterie werde von Rietmond zu Hilfe eilen, andere trösteten sich mit Deimlings Anmarsch. Die beiden Ärzte, die verbinden, Dr. Jäger und Dr. Wels, haben Tag und Nacht den schwersten Dienst.

Major v. Nauendorff leidet schwer. Er bittet um Morphium. Dann forscht er wieder nach dem Gefechte, nach Deimlings Herannahen. Wer ihn doch mit Wasser laben könnte! Er ruft mit ermatteter Stimme: "Tausend Mark für einen Schluck Wasser!" Still kriecht auf diesen Ruf Sergeant Wehinger von der 5. Batterie, selber am Fuß verwundet, zu seinem seufzenden Major und bietet ihm seinen Rotwein, den er - der Reiche - noch besaß! Der Major sieht ihn dankbar an, aber er wehrt mit auflodernder Entschlossenheit ab: "Lieber Sergeant, Sie brauchen das nötiger als ich, Sie müssen wohl noch zu Ihrem Geschütz; mit mir ist's doch bald aus." Es war der letzte Sieg, den der Sterbende errang. Die Schmerzen betäubten hernach seine Sinne, und einige Stunden später war er still eingeschlafen.

Der Schützenlinie brachte die immer glühendere sengende Hitze unerhörte Durstqualen. Wohl denen, die von einem nahen Strauche wenigstens zeitweise Schatten erhielten; sie konnten auch die kleinen, zähen Blätter kauen und so ihren schmachtenden Mund ein wenig erfrischen.

[67] Andere versuchten das Blut erschossener Maultiere zu schlürfen. Vorüberkriechende große Ameisen, die in der Angst des Durstes in den Mund gesteckt wurden, halfen ebensowenig. Es kam sogar vor, daß Schützen vor Ermattung einschliefen und - wie die Verdurstenden in der Wüste - von herrlichem Wasser träumten, das in ihren Wassersäcken durch die Schützenlinie gereicht würde. Der Tod war den Schmachtenden vielfach gleichgültig geworden, aber sie rissen ihre Kraft zusammen und taten ihre Pflicht. Doch traten auch einige Hitzschläge ein.

Zuweilen wurden Einzelrufe zwischen dem Gewehrfeuer hörbar. "Mutter, Mutter!" Ein anderer verwünschte dies Land, in dem er verdursten müsse, aber sein Nebenmann sprach ihm Mut zu und bezeichnete einen Felsblock, hinter dem einer eben auf sie geschossen hätte. Dann hörte man wieder einen Seufzer: "Er führet mich zum frischen Wasser" - es soll ein Gebet sein in dieser Not des Verdurstens.

Dabei locken drüben in Hörweite die Hottentotten mit höhnischen Zurufen: "Dütschmann, banja Dorst? Komm, hier stief Water!" Doch nicht alle Mannen Hendriks gebärdeten sich so zuversichtlich. Bei der Abwehr eines Rückenangriffs hörte einer unserer Bergdamara, der mit in der Schützenlinie lag, deutlich in der ihm geläufigen Namasprache, wie der Kapitän seine Leute mit der Lederpeitsche bedrohte. Als die Unseren einige Sprünge vorwärts machten, hatten die Gelben ängstlich gerufen: "Sie kommen, sie kommen!" worauf der Kapitän sie anherrschte: "Ich schlag euch mit dem Schambock (der gedrehten Lederpeitsche) tot! Gerade wenn sie kommen, sollt ihr liegen bleiben und schießen."

Gegen 1 Uhr, während der stärksten Hitze, kam die gefährlichste Stunde. Die Batterie hat ihre Munition bis auf wenige Schüsse verfeuert, obwohl schon gestern stundenlange Feuerpausen eingeschoben waren. Beim ersten Geschütz rührt sich keine Bedienung mehr. Der Geschützführer, Unteroffizier Pöschel, liegt erschöpft hinter der Protze. Da drängen die Hottentotten gegen die Geschütze heran. Leutnant Semper, der schon einen Arm im Verband trägt, holt seine letzten Leute herbei. Der Unteroffizier Köhler soll ein zweites Geschütz zurückziehen und dann das erste retten helfen. Er hat nur noch acht Schüsse. Als gegen das zurückgehende Geschütz das feindliche Feuer zu stark wird, muß er halten und sich erst durch drei Schüsse Luft schaffen. Jetzt erhält Leutnant Semper seinen zweiten, tödlichen Schuß. Vor dem Bremssporn liegend, weist er die sich um ihn Bemühenden zurück und kommandiert weiter, bis sein Blut und seine Kraft verströmten - ein Beispiel heldenmütiger Pflichttreue. Todesmatt wird er auf den Verbandsplatz geschafft, wo er bald klaren Geistes mit Grüßen der Liebe an die Seinen verscheidet. Mit ihm zugleich sind noch zwei Kanoniere verwundet.

Nun haben sich die Hottentotten auf das bedienungslose erste Geschütz geworfen. Sie sind schon auf zwanzig Schritt heran. Da werden die letzten fünf Schüsse des zweiten Geschützes gegen die Bedränger abgerissen. Leutnant v. Seutter und einige Reiter der 5. Kompanie eilen herbei und helfen dem [68] Unteroffizier Köhler und dem Gefreiten Schulz, der vom ersten Munitionswagen zu Hilfe gekommen ist, auch das erste Geschütz bergen. Bei diesem finden sie noch etwas Munition, aber der Geschützführer Pöschel hat inzwischen den Todesschuß empfangen. Die ganze Bespannung dieses Geschützes war erschossen.

Ebenso versuchte der Feind, auf dem rechten Flügel ein Geschütz zu nehmen, als auch dort die Munition versagte und die Bedienung kampfunfähig dalag. Hier war es die 7. Kompanie, die rechtzeitig Hilfe brachte.

Die Batterie hatte zähesten Heldenmut bewiesen. Ein Richtkanonier z. B., der einen Beinschuß erhalten hatte, bat, ihm nur in die rechte Stellung zu verhelfen, dann könne er sein Geschütz schon weiter richten. Der Tapfere hielt aus, bis ihn ein zweiter Schuß völlig kampfunfähig hinstreckte.

Der drohende, schmähliche Verlust der Geschütze war abgewandt. Allein, die heiße Sonne brannte weiter und drohte die letzte Kraft auszudörren. Nur mit Anspannung allen Pflichtgefühls zwang man sich noch, seinen Dienst zu tun.

Unterdessen hatte Major Meister seinen Versuch, Wasser suchen und herbeischaffen zu lassen, nochmals mit Aussetzung hoher Preise bei unseren eingeborenen Bambusen fortgesetzt; unsere eigenen Reiter aus der immer bedrohlicher gelichteten Schützenlinie auf Wassersuche zu schicken, war ja unmöglich. Ob die Schwarzen rückwärts im Flußbett Wasser finden und ob sie durch die Hottentotten überhaupt hindurchkommen werden?

Mit einem Male verbreitet sich die freudigste Bewegung über den Verbandsplatz. Die abgeschickten Eingeborenen kommen mit gefüllten Wassersäcken zurück. Anderthalb bis zwei Stunden rückwärts im Revier haben sie Regenwasser gefunden. Es gab Wasser! Dieses war zwar lehmig, aber es erfrischte belebend bis in die Fingerspitzen hinein. Zuerst wurden die Verwundeten gelabt. Hernach, als die Eingeborenen und einige mit ihnen entsandte Deutsche den weiten Weg nochmals zurückgelegt hatten, konnten volle Wassersäcke in die Schützenlinie vorgebracht werden. Es gelang sogar, einen Wasserwagen zur Regenpfütze zu schaffen und gefüllt zurück. Dieser Wasserfund war unsere Rettung und gab alsbald der ganzen Abteilung wieder frische Kraft und freudige Zuversicht auf siegreiches Gelingen.

Aus der Schützenlinie durften die einzelnen nacheinander vorsichtig zum Trinken zurückkriechen. Der pflichttreuen Ausdauer der Truppe stellte hierbei der Reiter einer Kompanie ein bewußtes Ehrenzeugnis aus, als er den Zuruf, die Reiter sollten einzeln zum Wassertrinken kommen, entschlossen abwehrte: "Aber Mensch, wir dürfen doch jetzt unsere Stellung nicht verlassen!" Er hatte die Stimme seines Leutnants nicht sofort erkannt, der seinen Leuten die ersten Wassersäcke zutrug.

Trotz des gefundenen Wassers blieb die Lage der Abteilung jedoch bitter ernst. Unsere Batterie konnte noch notdürftig zwei Geschütze bedienen und besaß nur eine ganz geringe, für den äußersten Fall aufgesparte Munition. Die drei schwa- [69] chen Kompanien waren durch den Verlust an Toten und Verwundeten insgesamt auf wenig über 100 Gewehre zusammengeschmolzen.

Wie oft hatten wir schon voll bangen Sehnens nach Südosten gelauscht, ob Deimling noch immer nicht Entsatz und Rettung bringe! Wie lange vermochte unser geschwächtes Häuflein dieser Übermacht noch zu trotzen?

Gegen Abend war ferner Geschützdonner gehört worden. So beteuerten die einen, während es andere für Täuschung der erregten Sinne erklärten. Aber Major Meister mußte von der Schützenlinie die gewisse Meldung haben, er versicherte die Richtigkeit. Deimling ist also im Anmarsch! Gott sei Dank! Aber die Entfernung muß noch sehr groß sein! Was kann bis zu seinem Eintreffen alles geschehen, wenn Hendrik Witboi die Gunst seiner Lage auszukosten versteht?

Das Gefecht tobt mit verstärkter Heftigkeit bis in die tiefe Nacht.

Am späten Abend noch eine aufregende Meldung! Etwa 250 Feinde, meist großwüchsige Gestalten, die Hälfte beritten, die übrigen zu Fuß, sind über das Flußbett gezogen und scheinen sich in unserem Rücken festzusetzen, die langen Orlogleute müssen Herero sein! Will Hendrik morgen von allen Seiten mit seiner großen Überzahl angreifen?

Es kommt die zweite Nacht in diesem Ringen, während der unsere Truppe in der Schützenlinie ausharrt. Wie unsere überlebenden Zugtiere vor Durst brüllen! Sonst ist's so unheimlich still nach dem unaufhörlichen Geknatter.

Nur die Erschlaffung hilft einigen zu leisem, unruhigem Schlaf. Dann wieder ernste, wache Stunden. Jeder Krieger ist allein mit seinen Gedanken und seinem Gott. Von den Lagern der Verwundeten klagt hier und da ein verhaltenes Stöhnen.

Am Morgen des 4. Januar, unseres dritten Gefechtstages, setzte das Feuer schwächer ein. Von der hohen Düne zu unserer Linken fiel kein Schuß mehr. Es ist auch flußabwärts ein Trupp in scheinbarem Abzuge gesehen worden. Zieht der Feind auf den gestrigen Kanonendonner ab, oder hat der alte Schakal Hendrik nur eine Kriegslist ersonnen?

Nach einiger Zeit steht der Leitung jedoch fest, daß große Haufen der Feinde abgezogen sind. Die Wasserstelle ist trotzdem noch so stark besetzt geblieben, daß unsere hungernde und durstende Truppe neuen Qualen, vielleicht trotz alledem ihrem Verderben entgegensieht.

Das Kommando berät mit einigen Offizieren, ob der Zustand in ihren Reihen das Wagnis eines Sturmes noch irgend gestatte. Die Truppe soll möglichst mit Wasser versorgt ihre letzte Kraft zum Sturmangriff sammeln.

Es muß gewagt werden! Aber gefährlich genug sieht's bei der Abteilung aus. Es war eine bange Stunde, die wir mit pochendem und doch gehobenem Herzen durchlebten. Die beiden Geschütze, für die noch Bedienung und Munition übrig war, erhoben wieder ihre langvermißte eherne Stimme und halfen mit einigen Treffern zum Gelingen des Sturmangriffs. Die anfangs zäh und heftig feuern- [70] den Feinde flohen schreiend vor den blitzenden Bajonetten davon, und Geschütze wie Sturmkolonnen stießen erfolgreich nach.

Die Wasserstelle Groß-Nabas war gestürmt, die furchtbare Felsenfeste des Feindes in unseren Händen!

Ein Gefangener berichtet uns über die Stärke der Hottentotten und den Grund ihres Abzuges und bestätigt die eigenen Wahrnehmungen der Truppe. Von 1000 oder 1100 Gewehren sind gestern abend auf die Nachricht von Deimlings siegreichem Vordringen 250 - 300 Herero von Hendrik abgezogen, der alte Häuptling selber hat sich nach Gochas dem Obersten entgegengeworfen.

Jetzt übersahen wir erst völlig die ganze Festigkeit der Hottentottenstellung. Die Massen abgeschossener Patronen bezeichneten die natürlichen wie die künstlichen Verschanzungen des Feindes. Die Stellen, an denen er während der Gefechtstage seine Toten mehr verscharrt als bestattet hatte, verrieten sich durch die lose aufgeschütteten Kiesflächen.

Ein Häuptling hatte beim schnellen Abzug seine kräftige Fleischbrühe im Stiche gelassen. Sogar einige Gewehre wurden gefunden.

In dieser eroberten Stellung bezogen wir mit allen Sicherungen unser Lager.

Nun wurden zuerst die halbverschmachteten Tiere mit Vorsicht zur Wasserstelle geführt. Etwa 150 von ihnen waren schon erschossen worden. Die gequälten Tiere zitterten vor Erregung am ganzen Leibe, als sie mit geblähten Nüstern das Wasser witterten.

Darnach durfte die Truppe, die seit drei Tagen fast nichts mehr gegessen hatte, an sich selber denken.

Der Kampf hat uns 24 Tote und 47 Verwundete gekostet, ein Drittel unserer Stärke, und etliche Verwundete waren sehr schwer verletzt!

Die hartgeprüfte, siegreiche Truppe war von tiefem, dankbarem Ernste beherrscht. Bei einer Kompanie stellte sich nach Erfüllung der ersten Pflichten eine Gruppe zusammen und sang aus matten Kehlen "Nun danket alle Gott". Es war das allbeherrschende Gefühl, das jede Zurückhaltung durchbrach. Wie viele versicherten aus freien Stücken: "Heute haben wir beten gelernt!" Ein Unteroffizier (Einjähriger) rief mir mit leuchtenden Augen zu: "Te Deum laudamus!" (Herr Gott, dich loben wir) und sprach damit nur aus, was alle Herzen erfüllte. Bei einem Häufchen Verwundeter hat einer sein kleines Feldgesangbuch aufgeschlagen, und ein Unteroffizier neben ihm stimmt dem Lesenden zu, er tue recht, in solchen Zeiten gewinne man das Büchlein lieb.

Bald sank die Nacht hernieder, und wer keine Wache hatte, durfte nun wirklich ruhen! Wir dachten still dieser unvergeßlichen Tage - und wir dachten der Toten, der Toten.

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1Dieses Ehrenzeugnis für die Volksgemeinschaft und die Kameradschaft der deutschen Kämpfer verdient es, der Vergessenheit entrissen zu werden. Es ist entnommen dem Erlebnisbuch: Aus unserem Kriegsleben in Südwest. Der Verfasser, eine Führernatur besonderer Art, hat in den Jahren 1900/01 als Felddivisionspfarrer im ostasiatischen Expeditionskorps und 1904/05 in der kaiserlichen Schutztruppe für Südwestafrika das Vertrauen von Offizieren und Mannschaften in hohem Maße gewonnen. ...zurück...

Das Buch der deutschen Kolonien
Herausgegeben unter Mitarbeit der früheren Gouverneure
von Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Südwestafrika, Kamerun, Togo und Deutsch-Neuguinea.
Vorwort von Dr. Heinrich Schnee.