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Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg

Abschnitt: Der Gaskrieg   (Forts.)
Hauptmann Hermann Geyer

6. Blasverfahren und Phosgengeschosse auf feindlicher Seite.

Die Nachahmung des deutschen Blasverfahrens war offenbar nicht leicht. Von deutscher fachmännischer Seite wurde im Frühjahr 1915 vorausgesagt, daß vor September 1915 keine feindlichen Blasangriffe zu erwarten seien. Im Osten werde es noch länger dauern. Die Warnung der deutschen Obersten Heeresleitung, der Feind werde es noch bereuen, die Deutschen auf dem Gebiete der Chemie herausgefordert zu haben, war, wenn die Voraussage zutraf, offenbar berechtigt.

In der Tat traf die Voraussage fast auf den Tag ein. Erst Ende September 1915 traten bei dem großen englisch-französischen Klammerangriff bei Arras und in der Champagne erstmals feindliche Blasangriffe in die Erscheinung. Der Teildurchbruch bei Loos am 25. September 1915 war wesentlich einem englischen Blasangriff zu verdanken.

Die Niederlage wäre wohl zu vermeiden gewesen. Der englische Gaskampfstoff war im Grunde überaus harmlos. Er bestand hauptsächlich aus unschädlichem Phosphorsäurenebel, wie er durch Abbrennen von Phosphor entsteht. Aber die angegriffene deutsche Truppe war auf einen Blasangriff überhaupt nicht gefaßt gewesen, obwohl die oberen Stellen genügend gewarnt hatten. Was die Engländer am 22. April 1915 bei Ypern erfahren hatten, erlebten nun die Deutschen fünf Monate später bei Loos, wenn auch in kleinerem Umfange.

Aus dem bedauerlichen Ereignis suchte man zu lernen. Die Gasdisziplin begann sich zu festigen.

Hierzu mußten allerdings noch weitere bittere Erfahrungen auch auf den anderen Gebieten des Gaskampfes gemacht werden.

Zwar blieben Gashandgranaten, Gasgewehrgranaten und Gasminen auf feindlicher wie auf deutscher Seite zunächst ziemlich bedeutungslos. Nach der Art der damals möglichen oder üblichen Verwendung war man nicht in der Lage, mit ihnen die für erhebliche Wirkung erforderliche Gasdichte zu erzielen.

Dagegen schlugen die Franzosen auf dem Gebiet der Gasgeschosse der Artillerie neue Wege ein, indem sie im Frühjahr 1916 reine Gasgeschosse einführten, d. h. Geschosse, die keine Sprengladung hatten. Die Zündladung genügte [504] zur Zerlegung der Geschosse in grobe Bruchstücke. Der "einzige Zweck" dieser Geschosse war "giftige Gase zu verbreiten".

Das stand in offenem Widerspruch zum Wortlaut der Vorschriften des Völkerrechts (vgl. S. 490). Für den Gaskrieg aber bedeutete es einen großen Schritt. Denn nun konnte man auch für kleinere Kaliber, deren Geschoßhohlräume für Sprengladung und Gasfüllung gleichzeitig nicht groß genug schienen, Gasgeschosse fertigen, die genügend Gas aufnahmen. Damit wurde der Weg frei für die allmähliche Ausstattung der gesamten Artillerie mit Gasgeschossen. Auch die Laborierung war bei reinen Gasgeschossen einfacher als bei gemischten.

Ein Nachteil der reinen Gasgeschosse dagegen war, daß sie sich nur mit ganz leichtem Knall zerlegten. Sie waren von den Splittergeschossen gut zu unterscheiden. Eine in der Gasabwehr durchgebildete Truppe konnte sich rechtzeitig schützen.

Trotzdem hatten die neuen französischen Gasgeschosse gute Aussichten auf Erfolg. Denn sie enthielten ein neues Gas, das besonders giftige Phosgen, gegen das die ursprünglichen deutschen Masken nicht sicher schützten. Die verbesserten Masken aber waren erst in der Einführung begriffen. Außerdem war die deutsche Truppe trotz aller von oben her ergangenen Warnungen in der Gasdisziplin ziemlich sorglos. Sie war bisher durch feindliches Gas mehr belästigt als ernstlich geschädigt worden.

Unter diesen Umständen war es ein Glück, daß die Franzosen die wesentlichen Wirkungsmöglichkeiten des Gases nicht erkannten. Sie strebten nirgends Massenwirkung an und verwandten das Gas auch nirgends in Verbindung mit größeren taktischen Kampfhandlungen. Ihre gelegentlichen Erfolge blieben daher nur zufällige und bedeutungslos für das große Ganze. Sie beschränkten sich darauf, daß bei den Deutschen da und dort überraschend Gasverluste eintraten.

Diese Verluste, so unerheblich sie vom großen Standpunkt aus waren, hatten nun endlich die Folge, daß die Gasdisziplin einen gewaltigen Aufschwung nahm. Es erscheint daher zweckmäßig, an dieser Stelle alle mit Gasschutz und Gasdisziplin zusammenhängenden Fragen im Zusammenhang zu behandeln.

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte