SucheScriptoriumBuchversandArchiv IndexSponsor


Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg

Abschnitt: Die Kampfhandlungen in der Türkei   (Forts.)
Major Erich Prigge

7. Der Feldzug auf Gallipoli.

Wenige Tage, nachdem der Vorstoß der Ententeflotte gegen die Meerenge gescheitert war, befahl Enver Pascha am 24. März in Erwartung einer Landung die Bildung einer 5. Armee auf der Halbinsel Gallipoli und am asiatischen Ufer der Dardanellenstraße. Er übertrug den Oberbefehl über diese Armee dem bisherigen Oberbefehlshaber der 1. Armee, dem Marschall Liman v. Sanders.

Die Versammlung starker englischer und französischer Truppen auf den schon früher genannten Inseln Lemnos und Imbros, sowie die sonst eingehenden Nachrichten über die verschiedenartigsten militärischen Anlagen auf diesen Inseln selbst machten es immer wahrscheinlicher, daß die Dardanellenufer durch eine große Landungsoperation gewonnen werden sollten, um nach erreichtem Erfolge mit Flotte und Landheer gegen Konstantinopel vorzugehen.

Vom türkischen Standpunkt aus war es unverständlich gewesen, daß der Versuch des Flottendurchbruchs am 18. März von vornherein auf die Mitwirkung von Landungstruppen verzichtet hatte, die doch schon in beträchtlicher Anzahl hierfür verfügbar waren. Es steht außer Frage, daß eine größere Landung bei dem artilleristisch niedergekämpften Kumkale und auf dem südlich anschließenden asiatischen Ufer in der Frühe des 18. März sehr wohl durchführbar war, da damals nur schwache türkische Truppen dort im Küstenschutz standen. Das Vorgehen derartiger gelandeter Kräfte gegen die vorgeschobenen Batterien des Oberstleutnants Wehrle hätte eine wesentliche Entlastung der Flotte gebracht.

[432] Auch von russischer Seite war am 18. März nicht einmal eine Demonstration gegen die Bosporus-Mündung unternommen worden. Der Durchbruchsversuch hatte sich auf einen rein artilleristischen Kampf von englischen und französischen Kriegschiffen gegen Uferforts und Uferbatterien sowie gegen Minensperren in einer engen Wasserstraße beschränkt. Der bevorstehende neue Kampf schien etwas ganz anderes bieten zu sollen. Es war vorauszusetzen, daß eine Landungsarmee an einer oder mehreren Stellen der Außenküsten der Halbinsel Gallipoli oder der asiatischen Seite, unter dem Schutze der Flotte, an das Land gesetzt werden würde und schwere Kämpfe zu Lande bevorständen.

Die verschiedensten Vorschläge für die türkischen Gegenmaßregeln wurden laut. Von einer hohen militärischen Stelle wurde eine Zentralstellung im Innern der Halbinsel und eine ebensolche an einer Höhenlinie südwestlich von Tschanakkale in Vorschlag gebracht, also ganz passive Maßregeln. Die verschiedensten Verteidigungsstellungen wurden von anderen Seiten erörtert. Liman v. Sanders wollte aber auf Aktivität und Beweglichkeit nicht verzichten und stellte seine sechs Divisionen - in Summe etwa 60 000 Kombattanten - in drei Gruppen auf, an den drei Stellen, welche dem Feinde einen durchschlagenden Erfolg am ehesten versprechen mußten. Dies waren der obere Sarosgolf, der südliche Teil der Halbinsel, und die asiatische Seite.

Die Engländer und Franzosen verfügten, wie damals angenommen wurde, und wie es sich später auch bestätigte, für die erste Landung über rund 80 000 Mann, aber über eine fast unbeschränkte Artillerie der Flotte, so lange ihre Truppen im Bereiche des Schiffsfeuers blieben. Ein weiterer Vorteil für sie war, daß sie ihre Landungsstellen wählen konnten, während der Verteidiger abwarten mußte, was geschah.

Nachdem die englischen Truppen zur Vollendung ihrer Ausbildung noch zum großen Teil nach Alexandrien und anderen Mittelmeerhäfen für kurze Zeit verbracht worden waren, erfolgte am 25. April die große Landung, auf welche ganz Europa mit Spannung schaute, weil bei ihrem Gelingen voraussichtlich aus dem Dreibund der Mittelmächte ein Zweibund werden und zugleich die kürzeste Verbindung der Entente mit Rußland hergestellt werden konnte.

Vorgehen türkischer Infanterie gegen den landenden Feind.
Vorgehen türkischer Infanterie gegen den
landenden Feind über die unter Schiffsfeuer
liegende Ebene.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 510.
In einem Bericht dieses denkwürdigen Morgens, wie er damals unter dem frischen Eindruck der Ereignisse niedergelegt wurde, heißt es wie folgt:

      "Seit Tagesanbruch war die Südspitze der Halbinsel, wie auf asiatischer Seite Kumkale, in eine Wolke von Rauch, Pulverdampf, Staub, Eisensplittern und Sprengstücken gehüllt.
      Regungslos sitzen die Besatzungstruppen in den Unterständen der Stützpunkte des Küstenschutzes. Reißt auch hier und dort einmal ein Volltreffer eine Gruppe buchstäblich in Stücke, auch nur der Gedanke eines Rückzuges kommt dem türkischen Soldaten nicht. Lehrt ihm doch seine Religion, daß der Tod auf dem Schlachtfelde die Pforte des Paradieses ist.
[433]   Ein Windstoß teilt für Sekunden den Rauch der Geschütze, von den großen Transportdampfern lösen sich Leichter und Schaluppen, Fahrzeuge aller Art, mit Soldaten vollgepfropft.
      Man hatte den Landenden gesagt, daß nach stundenlanger Beschießung von den Verteidigern an Land unmöglich noch einer am Leben sein könnte, und beherzt springen sie aus den Booten. Sie waten an Land. Da, Stolperdraht unter Wasser, einer fällt über den andern, Menschenknäuel, und schon hält das Maschinengewehr der längst vernichtet Geglaubten seine furchtbare Ernte."

So vollzieht sich oder scheitert die Landung bei Seddulbahr, Cap Helles, an der Sigindere-Mündung, an der Mortobucht, im Südteile der Halbinsel - so bei Kumkale auf asiatischer Seite. Ähnlich spielen sich die Landungskämpfe bei Ariburnu und bei Kabatepe ab.

Bei Cap Helles ist es die 29. englische Division, bei Kumkale eine französische Division, bei Ariburnu und Kabatepe zwei Divisionen Australier und Neuseeländer, am oberen Sarosgolf demonstriert eine Division englischer Marineinfanterie, und in der Besikabucht drohen von Kriegschiffen geschützte Transporter mit Landungen.

Türkische Kavallerie reitet gegen eine starke englische Patrouille an.
Türkische Kavallerie reitet gegen eine starke
englische Patrouille an, die über die Stranddünen
vorgedrungen ist.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 511.
Nach tagelangen, heftigen Kämpfen faßten die Engländer nur an der Südspitze der Halbinsel bei Seddulbahr und Cap Helles festen Fuß, sowie die Australier und Neuseeländer auf den Uferhöhen bei Ariburnu. Bei Kumkale wurden dagegen die Franzosen am vierten Kampftage in der Nacht vom 28. zum 29. April durch die 3. Division unter Führung des Oberstleutnants Nicolai gezwungen, sich auf die Schiffe zurückzuziehen und das asiatische Ufer zu räumen. Am 29. April konnte das türkische Große Hauptquartier berichten: "Trotzdem der in der Gegend von Kumkale gelandete Feind erbitterte Anstrengungen gemacht hat, sich unter dem Schutze seiner Kriegschiffe zu behaupten, ist er doch von unseren Truppen vollständig verjagt worden. Zur Stunde steht auch nicht ein einziger Feind auf der asiatischen Küste der Meerengen."

Auch an der Sigindere-Mündung waren die gelandeten Truppen genötigt gewesen, sich wieder einzuschiffen. Und auch bei Kabatepe mißlang die Landung unter erheblichen Verlusten für den Feind.

Der feindliche Oberbefehlshaber Sir Hamilton zog in den nächsten Tagen alle verfügbaren Truppen nach den beiden gewonnenen Kampffronten, welche nunmehr die Basis für das weitere Vorgehen bilden sollten, nach der Südspitze der Halbinsel und nach Ariburnu. Ebenso zog der Oberbefehlshaber der 5. türkischen Armee, Liman v. Sanders, die beiden Divisionen vom oberen Sarosgolf sowie die 11. Division und Teile der 3. Division von asiatischer Seite dorthin zusammen.

Angriffe und Gegenangriffe wechselten an beiden Stellen in nächster Zeit ohne entscheidenden Erfolg, bis die Gegner sich eingraben mußten und im Stellungskriege die erbitterten Kämpfe fortsetzten.

Im Süden der Halbinsel führte vom 29. April ab der Kommandeur der [434] 5. Division, Oberst v. Sodenstern, den Befehl, bis ihn eine schwere Verletzung kampfunfähig machte. Dann ging die dortige Führung an den bisherigen Befehlshaber der Truppen auf asiatischer Seite, Oberst Weber, über, dem Major Perrinet v. Thauvenay als Chef des Generalstabes zur Seite stand. Unter ihm kommandierte der aus dem türkischen Kriegsministerium herbeigeeilte Oberstleutnant Kannengießer die 9. Division, während Major Bienhold als Artilleriekommandeur und Hauptmann Effnert als Pionierkommandeur erfolgreich tätig waren. Bei Ariburnu führte Essad Pascha, der tapfere Verteidiger von Janina, das Kommando.

Der Marschall Liman v. Sanders verfügte mit Ausnahme seines deutschen Adjutanten über einen rein türkischen Stab mit Oberstleutnant Kiazim als Chef des Generalstabes, bis Oberstabsarzt Professor Dr. Mayer als Armeearzt und Rittmeister v. Frese, als Kommandant des Hauptquartiers, beim Oberkommando eintrafen.

Es ist gegenüber deutschen Verhältnissen wohl bemerkenswert, daß der Oberbefehlshaber, welcher die erste Zeit nach der feindlichen Landung im Zeltlager von Essad Pascha geweilt hatte, für den ganzen übrigen Teil des Feldzuges mit dem gesamten Oberkommando ein Zeltlager im Gelände - unweit des Dorfes Bigali - etwa 5 Kilometer von der englischen Front bei Ariburnu entfernt - bezog. Dem Marschall war bekannt, daß der türkische Soldat seine Führer in der Nähe wissen und öfters sehen will, er lehnte daher alle Vorschläge, das Hauptquartier rückwärts in Galata oder Stadt Gallipoli zu belassen oder gar auf die asiatische Seite zu verlegen, ab.

Von der deutsch-türkischen Flotte wurde bald nach der Landung eine Anzahl Maschinengewehre mit deutscher Marinebemannung an die 5. Armee abgegeben. Die Festung Dardanellen stellte verschiedene schwere Geschütze zur Verfügung, und von Konstantinopel trafen allmählich weitere Verstärkungen ein. Die Artilleriemunition der 5. Armee war von Beginn des Feldzuges ab knapp und blieb auch ein Gegenstand dauernder Sorge, da der Weg aus Deutschland durch neutrale Zwischenländer führte, welche die Durchfuhr von Kriegsmaterial nicht gestatteten.

Der Generalinspekteur der türkischen Artillerie, Oberst Schlee, ließ alle irgend verfügbare Artilleriemunition von Smyrna, Damaskus und sogar von Bagdad herankommen und sandte sie nach Gallipoli. Bald erstand eine neue Munitionshilfe. Der Kapitän z. S. Pieper trat im Mai an die Spitze des in Konstantinopel neu gegründeten Waffenamtes und erweiterte die in der Hauptstadt bestehenden Einrichtungen für Munitionsfabrikation mit größter Tatkraft. Maschinen wurden in Adrianopel, in

Gallipoli, November 1915.
Gallipoli, November 1915. Türkische Soldaten
bauen aus Buchenästen und Stacheldraht starke
Hindernisse für den Feind.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 514.
Lüle Burgas, in Brussa und in Smyrna requiriert, Gießereien und Drehereien wurden geschaffen. Am 29. Juni 1915 konnte der erste Guß in dem zur Munitionsfabrik umgeänderten Marinearsenal erfolgen. Der bei weitem größte Teil der neu gefertigten Granaten konnte aber nur als Graugußgranaten mit Schwarzpulverfüllung hergestellt und geliefert werden, da [435] Brisanzfüllung in größerem Maßstabe fehlte. Es fehlte damals in der Türkei an allem, was ein moderner Krieg erforderte, vor allem auch an Hindernis- und Baumaterial, an Eisenschienen für die Unterstände, an Sandsäcken, an Telegraphen- und Telephonmaterial und besonders auch an Bekleidung für die Truppe. So wurde der Feldzug in mancher Richtung für die 5. Armee ein Feldzug von Aushilfen. Um so mehr muß anerkannt werden, was die Türken und was die nur geringe Anzahl der dort vorhandenen Deutschen geleistet haben. Daß es den letzteren oft an der in der Heimat gewohnten Verpflegung mangelte und sie so manchesmal nur die dünne türkische Suppe als einzige Verpflegung hatten, ist willig getragen worden.

In den Monaten Juni und Juli gelang es den Engländern, denen verschiedenste Verstärkungen, darunter auch Gurkhas und Sikhs zugeführt worden waren, nur wenig Gelände auf der Südfront zu gewinnen. Bei Ariburnu blieben sie auf die nahe dem Ufer gelegenen Höhenketten beschränkt. Der bisherige Erfolg war gering.

In England war unterdes an die Stelle des Kriegsrats das Dardanellenkomitee als tatkräftige leitende Behörde getreten. Bis Anfang August konnten von ihm 5 neue Divisionen nach den Dardanellen entsandt werden. Sir Hamilton glaubte nunmehr sicher den entscheidenden Erfolg gewinnen zu können, indem er im Norden der Ariburnufront an der bis zur Suvlabucht reichenden Küste eine neue große Landung plante, um in diesem durch nur schwache Küstenschutztruppen besetzten Abschnitt die beherrschenden Höhen überraschend zu gewinnen. Durch ganz Europa hallten die zuversichtlichen stolzen Worte, welche Winston Churchill über den in naher Aussicht stehenden entscheidenden Erfolg öffentlich sprach.

Die deutschen Unterseeboote, welche von Pola kommend, Ende Mai zwei wichtige Erfolge durch Torpedierung der vor der Westküste von Gallipoli liegenden Kampfschiffe "Triumph" und "Majestic" davongetragen hatten - Kapitänleutnant Hersing war der kühne Führer - waren inzwischen durch die vielfachen Minen- und Netzsperren, die von den Engländern zwischen Imbros und Festland sowie vor allen dortigen Häfen gelegt waren, in ihrer Wirksamkeit außerordentlich beschränkt worden. Die Engländer konnten daher die neue Landung in sicherer Zuversicht wagen. Sie begann am 6. August abends und wurde in den folgenden Tagen und Nächten fortgesetzt.

Gallipoli, Mai 1915.
Gallipoli, Mai 1915. Türkische leichte
Feldhaubitzen feuern aus verdeckter Stellung
hinter den Standdünen der Dardanellen auf
englisch-französische Boote, die weitere
Landungsversuche unternehmen.   [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 512.

Gallipoli, August 1915.
Gallipoli, August 1915. Gegen die fortwährenden
Landungsversuche der Engländer werden von den
Türken an der Dardanellenfront in aller Eile
Abwehrstellungen gebaut.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 513.
Vierzehntägige schwere Kämpfe entspannen sich um das Bergmassiv des Kodja-schimendag, um die Höhen beiderseits von Anaforta und um den Bergrücken westlich der Suwlabucht, den Kireschtepe.

Die Engländer und Franzosen hatten kurz vor Beginn der Landung die Südgruppe heftig angegriffen, anscheinend, um alle dort stehenden Kräfte zu binden. Bald darauf entwickelte sich ebenso ein mehrtägiger Angriff gegen die Nordgruppe bei Ariburnu. Aber auch diese große Schlacht, welche erst am 21. August endete, konnte Sir Hamilton den erwünschten Erfolg nicht bringen. [436] Die von Essad Pascha rechtzeitig entsandte 9. Division unter Oberstleutnant Kannengießer, und die von der Südgruppe mit anderen Truppen auf Forderung Liman v. Sanders' herankommende 4. Division unter Oberstleutnant Djemil Bey, vermochten die Kuppen des Kodja-schimendag und des anschließenden Jongbahir im Kampfe wieder zu gewinnen und zu behaupten. Oberstleutnant Kannengießer wurde hierbei an der Spitze seiner Truppen schwer verwundet und bald auch sein Generalstabsoffizier Holussi Bey, der nach türkischem Gebrauch für ihn das Kommando übernommen hatte. Fast ohne Unterbrechung lag während der Kämpfe das Feuer der schweren Schiffsgeschütze auf den weithin sichtbaren Höhenrücken. Aber die türkischen Truppen wankten nicht.

Auf der Südgruppe wies Wehib Pascha, der im Juli mit Teilen der 2. Armee die dort am schwersten abgekämpften Divisionen abgelöst und damit für Oberst Weber den Befehl übernommen hatte, alle Angriffe zurück. Ebenso scheiterten die feindlichen Anstürme gegen die Truppen Essad Paschas, insbesondere gegen die türkische 16. und 19. Division, bei Ariburnu.

Auf dem nördlichen Teil der neuen Landungsfront, beiderseits von Anaforta und am Kireschtepe, leisteten die nur schwachen Küstenschutztruppen, unter der vortrefflichen Führung des Major Willmer, allerorten gegen die vorgehenden Landungstruppen zähen Widerstand. Die sofort vom Oberbefehlshaber vom oberen Sarosgolf herangezogene 7. und 12. Division konnten noch rechtzeitig eintreffen, um dem Angriff in der Anafortaebene und östlich des Salzsees Halt zu gebieten. Wenn auch die Kuppe des Mestantepe in englischer Hand verblieb, so konnte doch der daran anschließende Ismailtepe von den Türken behauptet werden.

Als dann Mitte August von der Suwlabucht her ein großer englischer Angriff auf dem Kamme des Kireschtepe begann, und die Türken dort vorübergehend schrittweise weichen mußten, trafen noch in letzter Stunde die vom Oberbefehlshaber von der asiatischen Seite herbeigeholten und von ihm selbst eingesetzten Truppen ein, um unter Führung des Major Willmer die Lage wiederherzustellen. Auch der Gipfel dieses wichtigen Höhenzuges blieb in türkischer Hand.

Das Kommando auf der gesamten neuen Landungsfront war vom Oberbefehlshaber bereits am 8. August abends an den bisherigen Führer der 19. Division, Oberst Mustapha Kemal, übertragen worden. Diese Wahl bewährte sich nach jeder Richtung hin. Mustapha Kemal führte bereits am Morgen des 10. August persönlich erfolgreich einen Sturm, der die Engländer am Nordhang des Kodja-schimendag und Jongbahir zurückwarf.

Als am 21. August Sir Hamilton noch einmal versuchte, durch einen groß angelegten Angriff in der Anafortaebene - zu dem auch noch die 29. Division von Kap Helles mit Schiffen herangeholt worden war - das Geschick zu wenden, scheiterte auch dieses Beginnen unter schweren Verlusten an den türkischen Stellungen. Dies war der letzte große Kampftag der ununterbrochenen Kämpfe, welche die neue große Landung gebracht hatte. Die Engländer hatten nirgends [437] die entscheidenden Höhen gewonnen. Ihre Stellungen, die sich lediglich als eine etwa 11 Kilometer messende Verlängerung der Ariburnufront nach Norden darstellten, mußten sämtlichst in Nähe der Küste verbleiben. Auch auf der neuen Front - von den Türken Anafortafront genannt - entwickelte sich nunmehr der Stellungskrieg.

Trotz vielfacher Teilangriffe auf allen Fronten vermochten die Engländer, die Franzosen und ihre Hilfsvölker aus den Kolonien auch in den nächsten Monaten nicht, irgendwelche nennenswerten Fortschritte zu erzielen. Die Leitung des Artilleriekampfes auf türkischer Seite war zum wesentlichen Teile in deutsche Hände übergegangen. Beim Oberkommando übernahm sie Oberst Greßmann, dem Oberstleutnant Wehrle für die schwere Artillerie zur Seite stand. Bei der Anafortagruppe waren Major Vonberg und Major Lierau, der während der Landungskämpfe eingetroffen war und sofort im kritischen Augenblick die Führung einer Haubitzabteilung bei Groß-Anaforta übernommen hatte, Mustapha Kemal unterstellt. Ferner sind die Majore Schmidt-Kolbow und Senftleben neben etwa 40 deutschen jüngeren Offizieren der Feldartillerie zu nennen. Noch manche schwere Stunde war den tapferen Artillerieoffizieren beschieden, die immer weiter mit der Munition sparen mußten. Aber auch schöne Erfolge wurden gegen die feindlichen Stellungen und gegen feindliche Schiffe erzielt, sobald sich diese in die Reichweite der türkischen Geschütze wagten.

Sir Hamilton hatte, nachdem der Erfolg im August versagt geblieben war, in der Heimat noch einmal 100 000 Mann als notwendig zum Siege verlangt. Diese konnten in Rücksicht auf andere Kriegsschauplätze nicht für Gallipoli gewährt werden, das schon ungeheure Menschenopfer gefordert hatte. Zur Aufgabe des großen Unternehmens konnte man sich damals noch nicht entschließen, weil man den Verlust an Prestige im Orient fürchtete. Aus dem Dardanellenkomitee wurde ein Kriegskomitee, in dem die Ansichten über Räumung oder Weiterführung des Feldzuges sich scharf gegenüberstanden.

An der englischen Front wurde der Abzug von vielen für sehr schwierig erachtet, verschiedene der hohen Offiziere glaubten, daß mindestens eine Division dabei geopfert werden müsse. Lord Kitchener, der zuerst ein sehr bestimmter Gegner des Rückzuges von Gallipoli gewesen war, bekehrte sich nachher zu anderer Ansicht. Als er im November auf allen Fronten in Gallipoli gewesen war, vertrat er die Auffassung, daß ein geschickt und sorgsam vorbereiteter Abzug nicht zu große Opfer kosten werde. Die Wahrscheinlichkeit hierfür lag in der nahen Entfernung der englischen Stellungen von der Meeresküste, und in dem Umstande, daß nach den immer weiter verbesserten Vorkehrungen gegen die Unterseeboote, das Meer zwischen der Festlandsküste und den Inseln fast ungefährdet den Engländern gehörte.

Es steht außer jedem Zweifel, daß die moralische Kraft der Ententetruppen vom Herbst ab nur schwer auf der Höhe gehalten werden konnte, und daß die [438] Türken im Gegensatz hierzu immer unternehmender wurden. Auf der türkischen Südfront traten zwar noch einzelne Krisen ein, als die bewährten Truppen Wehib Paschas durch weniger wertvolle Divisionen der 1. Armee ersetzt wurden, und diese, zum Teil aus arabischen Mannschaften bestehend, in ihren ersten Kämpfen nur geringen Halt zeigten. Aber auch diese Krisen wurden überwunden. An Wehib Paschas Stelle trat Djevad Pascha, der bisherige Kommandant der Festung Dardanellen.

Eine harte Probe war für Freund und Feind der ganz überraschend in jenen südlichen Gegenden Ende November einsetzende viertägige Schneesturm.

Trotzdem vom Oberbefehlshaber, der mit seinen Adjutanten in diesen schweren Tagen dauernd unterwegs war, um die Aufmerksamkeit rege zu erhalten, halbstündige Ablösung in den vordersten Gräben befohlen war, erfroren doch in einer Nacht allein über 90 Mann der von Oberstleutnant Heuck befehligten 12. Division, welche an den westlichen Bergabhängen gegenüber dem Salzsee stand. Auch die 11. Division des Major Willmer auf der Höhe des Kireschtepe hatte ernst zu leiden. Beim Feinde, der wesentlich besser ausgerüstet war, dessen Gräben aber durch den tiefsten Teil der Niederung gingen, waren die Verluste noch erheblich höher.

Essad Pascha war im Spätherbst an die Spitze der 1. Armee, für den zum Führer der 6. Armee in Bagdad berufenen Generalfeldmarschall Freiherrn von der Goltz getreten. Die Führung der Nordgruppe war an Ali Risa Pascha übergegangen, dem Major Eggert als Chef des Generalstabs zur Seite stand.

Im November, als durch den serbischen Feldzug der Weg aus Deutschland nach der Türkei frei geworden war, trafen nacheinander zwei österreichische Batterien, als erste aktive Hilfe an Truppen der Mittelmächte, bei der 5. Armee ein. Bald folgten die ersten Raten der ersehnten deutschen Artilleriemunition. Die erhöhte Wirkung machte sich schnell bemerkbar, zeigte doch die aus der Heimat stammende Munition sich der im Orient unter schwierigsten Verhältnissen hergestellten weit überlegen. Im Dezember beschloß endlich das englische Kriegskomitee den Abzug von Gallipoli. Die Aussichten für einen durchschlagenden Erfolg waren durchweg schlechter geworden. Der Plan wurde mustergültig geheimgehalten. Er kam einem großen Angriff zuvor, den die 5. Armee vorbereitet hatte und der zur Ausführung kommen sollte, sobald die technischen Hilfstruppen aus Deutschland eingetroffen waren.

Bei dichtem Nebel zogen die Engländer in der Nacht vom 19./ 20. Dezember von der Ariburnu- und Anaforta-Front ihre gesamten Truppen auf die Schiffe zurück und räumten damit die ganze Westküste der

Dezember 1915.
Dezember 1915. Die Türken bringen
an den Dardanellen ihre Geschütze in
verdeckte Stellung.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 515.
Halbinsel in einer Front von rund 16 Kilometer. Das ganze Kriegsmaterial und alle in vielen Monaten zusammengebrachten Vorräte überließen sie dem Feinde. Dies war ein unbedingt richtiges Opfer, denn auch nur der teilweise Abbau würde dem Gegner die Absicht verraten haben.

[439] Der Weg zur Küste war kurz, das Feuer aus den vordersten Gräben wurde bis zum Abzuge der letzten Truppen unterhalten. Ganze Felder von Tretminen verzögerten das Nachdrängen der Türken, das vom Oberbefehlshaber auf der ganzen Linie befohlen wurde, sobald am 20. Dezember kurz vor 4 Uhr morgens die erste Nachricht über die Räumung der vorderen englischen Gräben und über rückgängige feindliche Bewegungen an ihn gelangten.

Der Feind hatte aber ausreichenden Vorsprung gehabt, um sich einzuschiffen; und die Schiffsgeschütze deckten durch ihr Feuer den Abzug, indem sie nach den verlassenen Befestigungen und in das Zwischengelände feuerten.

Es ist nicht zutreffend, daß der Abzug ganz ohne Mannschaftsverluste erfolgt ist, denn eine Anzahl unbeerdigte Leichen englischer Kolonialtruppen lagen an den Gräben gegenüber der 12. türkischen Division. Der Verlust war aber, in Ansehung der gesamten Rückzugsaktion, aus den vorher genannten Gründen ganz gering. Auch bei der nachdrängenden 11. Division fand noch leichter Feuerkampf mit den allerletzten Teilen des abziehenden Feindes statt. Zahlreiche Boote und mehrere Dampfer mußte der Gegner noch im letzten Augenblick am Ufer im Stich lassen. - In der Nacht vom 8. und 9. Januar 1916 folgte der Abzug des Feindes von der Südfront, nachdem am 7. Januar mittags ein Angriff der 12. Division gegen den äußersten linken englischen Flügel dem Feinde noch ernste Verluste beigebracht hatte. An einigen Stellen war es bei Dunkelheit während des englischen Zurückgehens zu kurzen Kämpfen gekommen. Ehe der Tag am 9. Januar anbrach, standen die türkischen Truppen wieder wie am 25. April 1915 in Seddulbahr, bei Cap Helles und an der Sigindere-Mündung.

Der Feldzug, in dem auf beiden Seiten über 800 000 Mann auf der schmalen Halbinsel Gallipoli um den Besitz der Dardanellenstraße und der Hauptstadt des Osmanischen Reiches gekämpft hatten, war von den Türken gewonnen!

Die "Hölle von Gallipoli" ist der blutgetränkte Boden der Halbinsel von den Engländern genannt worden. Der amerikanische Berichterstatter Shephard schrieb in einem Berichte an den Daily Telegraph: "Gallipoli ist das furchtbarste und blutigste Schlachtfeld, das die Geschichte kennt. Wenn einmal alle Tatsachen bekannt sind, so wird es in den Geschichtsbüchern als eine Stätte des Entsetzens bezeichnet werden."

Zu den 31 389 Mann, welche als Zahl der englischen Toten in diesem Feldzuge offiziell genannt werden, dürfte noch eine weit höhere Zahl hinzuzurechnen sein, die infolge von Wunden und Krankheiten in den großen Lazaretten in Malta, Alexandrien und anderen Mittelmeerhäfen verschieden sind.

Der Unterstaatssekretär Tennants bezifferte am 11. Dezember 1915 im englischen Unterhause die bis dahin bekannten britischen Verluste an den Dardanellen auf 4 915 Offiziere, 108 006 Mann, hinzu kamen 96 683 Mann, die wegen [440] Krankheit in Lazarette übergeführt werden mußten. Die Verluste der farbigen Truppen und diejenigen der Franzosen sind bisher nicht veröffentlicht worden.

Die 5. türkische Armee erlitt vom 25. April 1915 bis zum 9. Januar 1916 218 000 Mann Gesamtverlust, davon etwa 66 000 Tote.

Die Dardanellen blieben während des ganzen Weltkrieges in türkischer Hand, bis der Waffenstillstand vom 31. Oktober 1918 sie der Entente kampflos überantwortete!

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte