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[Bd. 8 S. 358]

8. Kapitel: Der Abstimmungssieg Saardeutschlands.

  Tagung des Völkerbundes  
in Genf, September 1934

1.

Anfang September, zu der Zeit, da in Nürnberg der gewaltige Reichsparteitag sich abrollte, trat in Genf der Völkerbund zu seiner Herbsttagung zusammen. Er fand einen Berg von Denkschriften und Briefen vor, die Knox im Laufe des Sommers nach Genf geschickt hatte. Jetzt erst wurden vor aller Welt die oben angeführten unwahren Tatsachen bekannt, die in bezug auf den Arbeitsdienst von Knox behauptet worden waren. Ein Sturm der Entrüstung ergriff Deutschland und das deutsche Volk. Die Reichsleitung des Freiwilligen Arbeitsdienstes entgegnete sofort, daß an den Behauptungen von Knox kein wahres Wort sei. Am 5. September übersandte Pirro, der Landesleiter der Deutschen Front, dem Völkerbundsrat eine große Beschwerde über Knox. Seine Berichterstattung sei parteiisch, seine Polizeiforderung unzulässig, denn Saarstatut und Versailler Vertrag böten keinerlei Handhaben für die Einrichtung einer internationalen Gendarmerie, die Behauptung einer militärischen Ausbildung des Arbeitsdienstes entspreche keineswegs den Tatsachen. Vier Tage später wies die Reichsregierung Herrn Knox zurecht. Die Note des Auswärtigen Amtes lautete folgendermaßen:

      "Die Regierungskommission des Saargebietes hat sich in einem an den Herrn Generalsekretär des Völkerbundes gerichteten Schreiben vom 17. August mit dem deutschen Freiwilligen Arbeitsdienst befaßt. Sie sucht den Eindruck zu erwecken, als ob die in deutschen Arbeitslagern untergebrachten Arbeitsfreiwilligen aus dem Saargebiet eine militärische Ausbildung erhielten und deshalb die Ordnung im Saargebiet bedrohten. Das Auswärtige Amt stellt fest, daß die Regierungskommission tatsächlich Beweise für ihre Behauptung nicht erbringt, sondern sich lediglich auf eine Schlußfolgerung stützt, die sie aus einem Schreiben der Reichsleitung des Freiwilligen [359] Arbeitsdienstes vom 6. Oktober 1933 ziehen zu können glaubt. Diese Schlußfolgerung ist aber in keiner Weise berechtigt.
      Tatsächlich hat, entsprechend dem völlig unmilitärischen Charakter des Freiwilligen Arbeitsdienstes, niemals ein Arbeitsfreiwilliger aus dem Saargebiet eine militärische Ausbildung erhalten und niemals haben derartige Pläne bestanden. Die Unterbringung der Saardeutschen Arbeitsfreiwilligen östlich der entmilitarisierten Zone ist im Oktober 1933 nur vorübergehend und nur deshalb erwogen worden, weil die Arbeitslager dieser Linie damals überfüllt waren, weil keine besonderen Saarlager gebildet werden sollten und weil den Wünschen der Eintretenden, unbekannte Gegenden ihres Vaterlandes kennenzulernen, nach Möglichkeit entsprochen werden sollte. Der Plan aber ist niemals verwirklicht worden. Vielmehr sind die Saardeutschen Arbeitsfreiwilligen stets unterschiedslos innerhalb und außerhalb der sogenannten entmilitarisierten Zone untergebracht worden. Was die 'besondere Betreuung und Unterrichtung für den Saarkampf' betrifft, so besteht diese ausschließlich in Vorträgen über geschichtliche, kulturelle und wirtschaftliche Fragen, soweit diese die Verbundenheit des Saargebietes mit der deutschen Heimat zum Gegenstand haben.
      Das Auswärtige Amt muß hiernach Verwahrung einlegen gegen die Methoden der Regierungskommission, die unter Verwertung vereinzelter Schriftstücke und mit Hilfe unrichtiger Schlußfolgerungen ein völlig falsches Bild von dem auf hohen sozialen und sittlichen Ideen beruhenden Freiwilligen Arbeitsdienst hervorzurufen geeignet sind. Wenn die Regierungskommission an dem Charakter des Freiwilligen Arbeitsdienstes etwa noch zweifeln sollte, lädt das Auswärtige Amt sie ein, deutsche Arbeitslager im ganzen Deutschen Reich nach freier Wahl und in beliebiger Zahl, insbesondere solche, in denen sich Saardeutsche befinden, zu besichtigen."

Ein weiteres Schreiben des Landesleiters Pirro an den Völkerbundsrat beschäftigte sich mit der Polizei im Saargebiet. Zunächst protestierte er wieder gegen die Forderung der internationalen Polizei, sodann aber machte er Einwendungen gegen die Verwendung der Saarpolizei. Es sei keine [360] Diensteinteilung, daß rund ein Drittel der Polizeibeamten in Saarbrücken im Bürodienst verwendet werde. Auch bei den Landjägern seien erhebliche Abkommandierungen zur Lohn- und Verkehrssteuerkontrolle zu verzeichnen. Vor allem aber liege die Führung der staatlichen Polizei in Saarbrücken in ungeeigneten Händen. Machts und Ritzel hätten noch am 9. November 1933 für den französischen Spionagedienst gearbeitet und drei Wochen später hätten sie leitende Posten bei der Saarbrücker Polizei bekommen. Auch heute noch gingen sie regelmäßig ein und aus bei führenden Leuten des französischen Spionagedienstes in Forbach.

Knox hatte nur eine Antwort auf alle diese Angriffe: Am 9. September traten seine Ankündigungen vom 20. August in Kraft, Verbot des Freiwilligen Arbeitsdienstes und Meldepflicht. Darüber hinaus bedrohte er mit Gefängnisstrafe jeden, der einen Einwohner des Saargebiets zum Freiwilligen Arbeitsdienst werbe, oder den Arbeitgeber, der von seinen Arbeitern oder Angestellten den Nachweis der Tätigkeit im Arbeitsdienst verlange. In Genf aber hatte er es durch sein ewiges Bitten und Drängen und Klagen erreicht, daß die Polizeifrage wieder in den Vordergrund trat. So schickte denn bereits am 3. September der Ratspräsident Benesch ein Rundschreiben an die Mitgliedsstaaten des Völkerbundes, worin er diesen empfahl, der Regierungskommission des Saargebiets ihre Mithilfe zu gewähren und die Einzelanwerbungen für die Polizei und die lokale Gendarmerie im Saargebiet zu erleichtern.

  Frankreichs Ziele an der Saar  

Eine neue Wendung in die Genfer Saarverhandlungen suchte Frankreich zu bringen. Barthou reichte nämlich eine Denkschrift ein – sie wurde am Abend des 4. September von der französischen Regierung bekanntgegeben –, deren Inhalt folgender war: der Völkerbundsrat und in seinem Auftrag der Dreierausschuß solle Entscheidungen treffen hinsichtlich der Staatsangehörigkeit der Bewohner des Saargebietes und der Saargruben. Es solle unter Mitwirkung des Völkerbundes eine deutsch-französische Verständigung in der Frage des deutschen Rückkaufsrechtes der Gruben und der Zahlungsbedingungen ins Auge gefaßt werden. Falls das Saargebiet sich für die Beibehaltung des Völkerbundsregimes entscheiden sollte, sei [361] Frankreich bereit, dem Gebiete unter angemessenen Bedingungen einen größeren Teil der Gruben zu überlassen.

Im einzelnen führte die Denkschrift dazu aus: Im Falle der Vereinigung des Saargebiets mit Deutschland oder Frankreich müßte in bezug auf die (jetzt noch deutsche) Staatsangehörigkeit der verschiedenen Bewohner und in bezug auf ein Optionsrecht entschieden werden. Falls das Saargebiet, oder ein Teil davon (!), an Frankreich falle, würde Frankreich alle Einwohner vor dem Gesetze gleichstellen. Unter allen Umständen möge der Rat eine entsprechende Bestimmung formulieren. Wenn sich das Saargebiet für den Status quo entscheide, solle der Völkerbund die endgültige Ordnung den dauernden Interessen des Gebietes und den allgemeinen Interessen (worunter die der französischen Schwerindustrie und Hochfinanz zu verstehen sind) anpassen. Frankreich erkläre schon jetzt, daß es ihm berechtigt erscheine, wenn die Saarbevölkerung in weitem Maße zur Mitarbeit herangezogen werde, ebenso, wie es schon heute den aus der Bevölkerung heraus geäußerten Wünschen Rechnung zu tragen willens sei, wenn diese Wünsche auf eine Verbesserung des gegenwärtigen Zustandes – Status quo – hinzielten.

Daß Frankreich im Falle der Entscheidung für den Status quo dem Saargebiet Gruben schenken will, ist oben gesagt. Sollte aber das Saargebiet an Deutschland zurückkehren, dann könne Frankreich nicht darauf verzichten, daß Deutschland die Minen zurückkaufe, Frankreich könne auch das Eigentum an den Bergwerken nicht aufgeben, bevor eine zufriedenstellende Regelung gefunden sei. Unter Mitwirkung des Völkerbundsrates solle eine Einigung über die Frage des Rückkaufspreises und die Zahlungsbedingungen herbeigeführt werden, schon vor der Volksabstimmung. Deutschland solle Vorschläge machen, Frankreich wolle sich aber den Wert der Bergwerke bezahlen lassen.

Wenn das Saargebiet an Frankreich falle, bleibe der Frank Landeswährung. Das könne auch so bleiben im Falle des Status quo. In diesem Falle würde Frankreich dem Saargebiet auch Krediterleichterungen gewähren. Kehre das Saargebiet aber an Deutschland zurück, so dürfen die im Saargebiet zir- [362] kulierenden Franken nicht von der Reichsbank reklamiert werden, sondern müßten zur Regelung der öffentlichen und privaten Schulden dienen, die Deutschland im Falle der Rückkehr des Saargebietes zu übernehmen haben würde.

Zur Sicherstellung der von Teilen der Bevölkerung in den letzten 15 Jahren erworbenen Rechte solle ein gemischtes Schiedsgericht eingesetzt werden, das noch 15 Jahre nach der Abstimmung amtieren soll.

Zu dieser Denkschrift gab Barthou im Völkerbundsrat einen längeren Kommentar: die französische Regierung wünsche, daß die Abstimmung unter Achtung des Friedensvertrages vor sich gehen möge. Die französische Regierung werde jedes Ergebnis anerkennen, aber sie habe auf keine der drei Möglichkeiten verzichtet, die im Versailler Vertrag vorgesehen seien. Die Saarbevölkerung solle unter diesen drei Möglichkeiten wählen. Die französische Regierung wolle, daß sich die Volksbefragung in voller Freiheit und Unparteilichkeit vollziehe.

Diese Denkschrift und der Kommentar dazu sind wohl die machiavellistischsten Dokumente, die je dem Völkerbund vorgekommen sind. Scheinbar fügt sich Frankreich in das Unvermeidliche, in die Gesetzmäßigkeit der bevorstehenden Abstimmung, in Wahrheit aber versucht es mit Hilfe der Emigranten und des Völkerbundes von nun an die hintergründige Politik des Status quo zum Siege zu führen. Die materialistischen Lockungen erscheinen Barthou geeignet, die Saarbevölkerung in ihrer Treue zu Reich und Volk wankend zu machen und die Status quo-Bewegung zuverlässig zu untermauern.

Paris war hochbefriedigt: Deutschland werde sehen, daß es nicht mit Frankreich allein über die Saar verhandeln könne. Noch sei der allmächtige Völkerbund höchste Instanz. England war kritisch: es sah Konflikte aufdämmern. Die deutsche Presse des Saargebietes lehnte einmütig ab, die Emigrantenpresse aber lobte die "unparteiliche und objektive Art", den "versöhnlichen Ton", die ideale Lösung des Status quo.

Frankreich setzte alle seine Hoffnungen auf den Völkerbund. Es hoffte, mit Hilfe der Emigranten eine Alarmatmo- [363] sphäre zu schaffen durch systematische Verbreitung unwahrer Behauptungen über bevorstehende deutsche Putschversuche und unter dem Eindruck dieser Alarmnachrichten den Völkerbund dahin zu bringen, daß er von sich aus nicht nur für den Status quo Propaganda treibe, sondern auch die nötigen Machtmittel, Militär und Polizei, für den Status quo einsetze.

Allerdings dies Beginnen Frankreichs war von Anfang an aussichtslos. Schon die bis zum 25. September eingegangenen Antworten auf das Polizeirundschreiben des Benesch vom 3. September waren wenig ermutigend. Die Schweiz lehnte aus Gründen der Neutralität strikte ab. Belgien erklärte sich bereit, Einzelanwerbungen nicht zu verhindern und "gegebenenfalls zu erleichtern". Die italische Regierung wollte "im Gebiete des Königreiches die Verpflichtung italischer Staatsbürger erleichtern", die litauische Regierung antwortete, sie wolle den Vorschlägen des Rates "volle Beachtung" schenken. In England war man der Meinung, daß man von dem Ersuchen des Völkerbundes und der Saarregierung nicht betroffen werde, da ja Knox deutschsprechende Polizisten haben wolle. Auch Holland und Schweden lehnten ab. Das waren wenige und wenig erfolgversprechende Antworten. Knox und Barthou erkannten, daß die Idee von der internationalen Polizei ein Fehlschlag war.

Aus dieser Erkenntnis heraus ist die Rede Barthous vor dem Völkerbundsrat am 27. September zu verstehen. Der Franzose führte aus: Die Saarfrage bestehe aus zwei Teilen, nämlich aus der Vorbereitung der Abstimmung und aus der Beurteilung der Folgen der Abstimmung. Bis jetzt habe sich der Dreierausschuß nur mit dem ersten Teil beschäftigt; dabei handle es sich hauptsächlich um die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung. Aus den Mitteilungen der Saarregierung gehe hervor, daß die Lage ernst sei, und man müsse Zwischenfälle, die die Ehrlichkeit der Abstimmung und das Ansehen des Völkerbundes beeinträchtigen würden, befürchten, wenn die Saarregierung nicht in kürzester Zeit eine Polizeitruppe, auf die sie unter allen Umständen zählen könne, zur Verfügung habe. Frankreich habe hieran ein ganz besonderes Interesse, da es infolge der Ratsbeschlüsse von 1925 und 1926 [364] angerufen werden könne, um besondere Verantwortlichkeiten zu übernehmen; ihnen würde es sich nicht entziehen, wenn es zu ihrer Erfüllung aufgerufen würde. "Aber ich drücke das einstimmige Gefühl meines Landes aus, wenn ich erkläre, Frankreich wünsche lebhaft, daß alles vermieden werde, was sein Eingreifen nötig machen könnte." – Im zweiten Teile seiner Rede forderte Barthou den Völkerbund geradezu zur Wahlpropaganda des Status quo auf, auf der Grundlage der französischen Denkschrift, damit die saarländischen Wähler "eine klare und in loyaler Weise bestimmte Vorstellung von jeder der drei Lösungen" hätten, unter denen sie wählen sollten. Die französische Regierung habe gehofft, daß der Völkerbundsrat schon während dieser Tagung "dieser Erwartung der Saarbevölkerung" entsprechen würde. Da er es nicht getan, müsse man die Gewißheit haben, daß eine neue Tagung so schnell wie möglich einberufen werde, um diese neue Frage zu behandeln und zu regeln. Als Gegenstand dieser Völkerbundspropaganda führte Barthou alle die Stellen seiner Denkschrift an, die von den Geschenken Frankreichs an das Saargebiet im Falle der Entscheidung für den Status quo handelten. Schließlich schlug Barthou die außerordentliche Ratstagung zur Regelung dieser Fragen für den 15. November vor. Aloisi stimmte dem Termin zu. Mit einem besonderen Dank an den Präsidenten Knox, der sich höflich lächelnd verbeugte, beendete Barthou seine Rede.

Während Barthou noch in Genf moralische Reden über die besonderen Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten Frankreichs hielt, setzte seine Regierung diese Theorien bereits in die Praxis um, nachdem sich die Völkerbundsumfrage wegen Beteiligung an der internationalen Polizei als vollkommener Fehlschlag erwiesen hatte. An der Westgrenze des Saargebietes, die seit dem Frühjahr in eine Kette von Kasematten auf französischer Seite verwandelt wurde, entwickelte sich in den letzten Septembertagen ein waffenstarrendes Heerlager. Ununterbrochen rollten Eisenbahnzüge mit Territorial- und Kolonialtruppen heran. Tausende von Arbeitern bauten Straßen, besserten sie aus und erweiterten sie, die von Metz und Straßburg nach Saarbrücken führten. [365] Bei Bitsch, 15 Kilometer von der deutschen Grenze, wurden gewaltige Truppenmassen versammelt. Hunderte von Tanks und schweren Kanonen wurden zusammengezogen, und zur Erhöhung des Eindrucks auf die Saarbevölkerung hielt das Militär nachts Übungen ab und schoß, daß es in den Wäldern krachte. Auf die Frage nach ihrer Aufgabe antworteten die Soldaten: "Unser General sagte uns auf dem Paradeplatz von Bitsch: Die Lage im Saargebiet ist äußerst kritisch. Ihr müßt bereit sein, sofort auf Befehl dem Rufe Frankreichs zu folgen und nach Saarbrücken zu marschieren, um jeden Putsch zu unterdrücken." – Tatkräftige Propaganda für den Status quo!

  Deutschlands Saarpolitik  

2.

Die Stellung Adolf Hitlers und der deutschen Regierung zur Saarfrage war eindeutig und klar: ihre Lösung sollte streng gesetzmäßig, unter Ablehnung aller illegalen Mittel auf der Grundlage des Versailler Vertrages erfolgen. Über den Ausgang war kein Zweifel, die Saarbevölkerung werde für Deutschland stimmen, denn das Reich Adolf Hitlers betrachtete die Saarfrage nicht als eine materialistische Wirtschaftsangelegenheit, sondern als eine Frage des Volkstums. Der Außenminister Neurath erklärte am 19. September, die Saarfrage müsse nach dem Gebote der politischen Vernunft und den geltenden Vertragsbestimmungen erfolgen. Die Volksabstimmung werde der Welt zeigen, wie ungerecht und unnatürlich die Regelung von 1919 gewesen sei. Der gesunde Sinn der Bevölkerung habe von Anfang an erkannt, daß die Wiedervereinigung mit dem deutschen Mutterlande die einzig mögliche Lösung sei und daß alles andere nur eine Wiederholung und Verschlimmerung der verhängnisvollen Fehler von 1919 sein würde. Eine Beeinträchtigung der deutschen Souveränität in Zukunft dürfe nicht stattfinden, dafür biete der Versailler Vertrag keine Handhabe. (Dies war gegen die in der französischen Denkschrift vertretene Auffassung gerichtet, daß im Falle eines Status quo-Sieges die Saardeutschen die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren sollten.) Es würde der Volks- [366] abstimmung widersprechen, wenn ein anderes Regime aufgerichtet werden sollte als das, wofür sich die Bevölkerung entscheide.

      "Ich hoffe, man wird auch bei den andern beteiligten Stellen erkennen, daß solche Pläne, denen wir niemals unsere Zustimmung geben könnten, nicht nur dem Vertrag widersprechen, sondern daß ihre Verwirklichung auch ein politischer Fehler wäre, der für die künftige Entwicklung der internationalen Beziehungen die nachteiligsten Folgen haben müßte."

Diese Worte gefielen der Pariser Presse gar nicht, denn sie taten ja die französische Denkschrift gründlich und restlos ab. Sie tadelte, daß Neurath mit keinem Worte den Völkerbund erwähnt hätte, von dem allein doch alles abhinge – diesen Völkerbund nämlich, auf den Frankreich die Hoffnung auf Verwirklichung des Status quo setzte. Das war ja seit fast einem Jahre der springende Punkt der französischen Politik: sie lehnte die von Deutschland gewünschte unmittelbare Verständigung immer wieder ab und verwies auf den Völkerbund, um damit die Status quo-Richtung zu stärken.

Ja, nun setzte sogar eine umfassende, tückische Propaganda ein, deren Ziel die Verwirrung der Saarbevölkerung war: man sprach in Frankreich und teilweise auch in der englischen Presse davon, daß die Abstimmung am 13. Januar eine vorläufige sei und daß späterhin eine zweite Abstimmung folgen solle. Auf diese Weise versuchte man die Reichstreue der Saarbevölkerung zu erschüttern.

Das Gerücht von der zweiten Abstimmung hatte in den französischen und marxistischen Kreisen um Litwinow Gestalt gewonnen. Da die Tatsache des 13. Januar hingenommen werden mußte, versuchten diese Kreise dem Völkerbund zu suggerieren, daß diese Abstimmung durch den deutschen "Terror" wertlos sei und daß nach unbekannter Frist, etwa nach dem vermeintlichen Sturze Adolf Hitlers, eine zweite Abstimmung stattfinden solle, die das "wahre" Bild ergebe. Den Marxisten kam es darauf an, Zeit zu gewinnen. Sie wollten im Saargebiet im Laufe der Zeit mit Hilfe der Regierungskommission und durch Terror ihren Einfluß so festigen, daß, wenn in der Tat die fragwürdige "zweite" Abstimmung statt- [367] finden sollte, wie gesagt, nach dem erwarteten Zusammenbruch des Nationalsozialismus in Deutschland, das Ergebnis den Marxisten angenehm sein würde. Auch das Geschwätz von der "zweiten" Abstimmung zielte darauf hin, die zu erwartende Vereinigung Saardeutschlands mit dem nationalsozialistischen deutschen Reiche zu verhindern.

Saarbeauftragter Josef Bürckel.
[Bd. 8 S. 240a]
Saarbeauftragter Josef Bürckel.
Photo Scherl.
Um auch diesen Wünschen und Entstellungen jede Grundlage zu entziehen, hielt der Saarbevollmächtigte der Reichsregierung, Gauleiter Joseph Bürckel – er war Ende Juli Papens Nachfolger geworden – auf der großen Saarkundgebung zu Kaiserslautern Mitte Oktober eine eindeutige Rede. Er wies zunächst auf die außerordentliche Ratstagung Mitte November hin, die sich mit der französischen Denkschrift beschäftigen solle. Dann kritisierte er die französische Denkschrift: sie wolle durch Einmischung in innerdeutsche Angelegenheiten die Saarabstimmung so beeinflussen, wie es allein im Interesse der Status quo-Anhänger liege. Da es als eindeutig erwiesen gelte, daß an der Saar nur deutsche Menschen wohnten, sei für Deutschland die bedingungslose Rückgliederung des deutschen Saarlandes eine nackte Selbstverständlichkeit. Inzwischen habe es die französische Politik für richtig gehalten, die innerpolitische Entwicklung Deutschlands dazu zu benutzen, ihrer Saarpolitik eine andere Richtung zu geben, d. h. die französische Propaganda auf die Errichtung eines endgültigen Status quo zu konzentrieren. Mit anderen Worten: die französische Propaganda und Diplomatie versuche, mit Hilfe einer deutschen Regierungsopposition an der Saar eine Scheinminderheit auftreten zu lassen, die die selbstverständliche Rückgliederung verhindern solle. Diese Methode sei eine unzweifelhafte Einmischung in rein innerpolitische, innerdeutsche Angelegenheiten. Deutschland erwarte daher vom Völkerbund eine eindeutige Klarstellung des Begriffes Status quo, eine Klarstellung, die jede Verschiebung der Saarfrage auf ein innerpolitisches Gleis ausschließe und die jedem Abstimmenden zur Kenntnis bringe, daß diese Abstimmung ein für allemal endgültig sei, weil eine zweite Abstimmung gegen den Versailler Vertrag verstoße und theoretisch eine unendliche Kette von [368] Abstimmungen zur Folge haben müßte. Ein Status quo-Saargebiet sei nicht nur ein Hindernis für eine deutsch-französische Verständigung, es wäre nicht zuletzt ein ständiger Gefahrenherd für die nationalpolitische Einheit der französischen Nation selber. Anhänger des Status quo seien in der Hauptsache die aus Deutschland ausgewanderten marxistischen und kommunistischen Anführer. Sie strebten nach einem Aktionszentrum im Herzen Europas. Ein Status quo-Saargebiet wäre der Sieg des internationalen Bolschewismus über alle europäischen Staaten. So gewinne das Saarproblem für die künftige Entwicklung Europas doppelte Bedeutung: es sei entscheidend für das deutsch-französische Verhältnis der Zukunft, es könnte sogar entscheidend werden für die innerpolitische Entwicklung Frankreichs!

Umfassender als in diesen Darlegungen konnte Deutschland seinen Saarstandpunkt nicht formulieren. Kein Gedanke an Gewalt, sondern das Bewußtsein des guten Rechtes gab der Regierung Adolf Hitlers jene Festigkeit, mit der sie furchtlos der Entwicklung des Saarproblems begegnete. Bürckel hatte das frankophile Emigrantenmanöver über die Vorläufigkeit der Abstimmung am 13. Januar zerstört und zugleich ausdrücklich den Völkerbund aufgefordert, sich zu dieser Frage zu äußern. Dieser geraden deutschen Handlungsweise konnte man schwerlich mit Intrigen und Ränken begegnen.

Nun wurde aber in den Giftküchen der Emigranten und Landesverräter eine neue, völlig sinnlose Verleumdung zusammengebraut: Deutschland beabsichtige, nach der Volksabstimmung des 13. Januar mit der SA. das Saargebiet zu überrumpeln. Eine entsprechende Eingabe an den Völkerbund "auf Grund vertraulicher Nachrichten aus glaubwürdiger Quelle" machte die separatistische "Saarwirtschaftsvereinigung". Der Matin und die Times in London verbreiteten diese Mär und machten Knox darauf aufmerksam, daß er im Notfalle französische Truppen ins Saargebiet rufen könne – ein Vorschlag, der im strikten Gegensatz zum Völkerrecht stand.

  Frankreichs Interventionsplan  

[369] 3.

Unter dem Vorwand solcher Phantastereien verstärkten die französischen Militärbehörden in der zweiten Oktoberhälfte den Ende des Sommers begonnenen Aufmarsch an der Saargrenze. Es wurde ein "Abwehrplan" verwirklicht, "für den Fall, daß Deutschland einen Handstreich auf das Saargebiet unternimmt, der französisches Gebiet bedrohen" könne. Die an der Saargrenze versammelten französischen Truppenmassen – es waren zwei motorisierte Armeekorps! – befanden sich Ende Oktober in regelrechtem mobilen Zustande und warteten stündlich darauf, daß Knox sie rufen würde. Im Rücken dieser Truppen aber hetzte und schürte eine gewissenlose französische Presse gegen den "Diktator" Adolf Hitler und seine "Gier nach der Allmacht". Es war von Frankreich eine Lage geschaffen, ähnlich der unmittelbar vor dem Ruhreinbruch 1923.

Am 30. Oktober 1934 teilte der französische Botschafter in London, Corbin, Sir John Simon die "technischen" Vorkehrungen mit, die die französische Regierung getroffen habe, um den Präsidenten der Regierungskommission Knox in eine solche Lage zu versetzen, daß er die erforderlichen Streitkräfte zur Verfügung habe, um jede aufrührerische Betätigung der nationalsozialistischen Organisationen im Saargebiet im Augenblick der Volksabstimmung zu verhindern. Die Pariser Presse wie auch die Times erklärten, Corbin habe England außerdem um militärische Beteiligung gebeten, aber die französische wie die englische Regierung dementierten dies Gerücht. Ob Corbin es doch getan, England aber abgelehnt, wissen wir nicht. Fest steht, daß England nicht an Verwicklungen glaubte und sich lediglich mit den französischen "Vorsichtsmaßnahmen" einverstanden erklärte. Immerhin, es war Frankreich wenigstens zunächst gelungen, sich einen eventuellen Einmarsch von vornherein durch England sanktionieren zu lassen. –

So standen die Dinge Anfang November 1934. Frankreich wartete auf einen Anlaß, den "Notstand" im Saargebiet zu erklären, einzumarschieren und die Volksabstimmung nach Möglichkeit überhaupt zu verhindern. Aber der herbeigesehnte Funke fiel nicht ins Pulverfaß infolge der großartigen Diszi- [370] plin des nationalsozialistischen Deutschland! Sofort als die drohende Gefahr in ihrem ganzen Umfange bekannt wurde, [rief Adolf Hitler die*] ehemaligen SA.- und SS.-Männer des Saargebiets zu strengster Disziplin auf und verbot für die Zeit vom 10. Januar bis 10. Februar 1935 in einer Grenzzone von 40 Kilometer Breite längs des Saargebiets das Tragen jeder Uniform sowie Appelle, Aufmärsche oder Zusammenkünfte jeglicher Art. Pirro gab erneut den Mitgliedern der Deutschen Front bekannt, daß strengste Disziplin zu wahren sei, wer gegen die Disziplin verstoße, provoziere oder terrorisiere, werde der Staatsanwaltschaft übergeben. [Anm. d. Scriptorium: *Satz im Original unvollständig; von uns sinngemäß extrapoliert.]

Der beruhigende Einfluß dieser sofortigen klaren und eindeutigen deutschen Maßnahmen äußerte sich in London. Am Vormittag des 5. November bat der Außenminister Sir John Simon den deutschen Botschafter v. Hoesch zu sich und ließ sich die am 3. November getroffenen Maßnahmen bestätigen und gleichzeitig im Auftrag der Reichsregierung feierlich versichern, daß die Gefahr eines Eindringens in das Saargebiet nicht bestehe. Er berichtete darüber am nächsten Tage im Unterhaus:

      "Ich habe sowohl Herrn von Hoesch wie auch dem französischen Botschafter die Befriedigung der britischen Regierung über diese Mitteilung zum Ausdruck gebracht. Vom französischen Botschafter habe ich die Zusicherung erhalten, daß die französischen Vorkehrungen reine Vorsichtsmaßnahmen darstellen, wie dies bereits angedeutet worden ist. Unter diesen Umständen dürfen wir erwarten, daß die Abstimmung, die der Völkerbundsrat abzuhalten verpflichtet ist, bei angemessener Zurückhaltung auf allen Seiten am 13. Januar ordnungsgemäß durchgeführt werden wird."

Simon ist der Ansicht, daß eine Lage, in der die Regierungskommission die Ordnung aufrechtzuerhalten gezwungen sei, nicht eintreten werde. Im übrigen liege aus dem März 1926 eine Feststellung des Völkerbundes vor, daß die Regierungskommission, wenn notwendig, auf Truppen außerhalb des Gebietes, aber in der Nähe der Gebietsgrenzen, zurückgreifen dürfe. Daraus könne das Unterhaus ersehen, daß die Verwendung britischer Truppen niemals in Frage gekommen und in Aussicht genommen sei.

[371] Infolge der Besonnenheit Adolf Hitlers, seiner ruhigen, willensstarken Führung und der granitenen Disziplin der Saardeutschen wurde also auch dieser geplante Überfall auf die Saar abgewehrt. Die Berliner und Londoner Haltung wirkte abkühlend in Paris. Übrigens hatte Adolf Hitler auch die Regierungen in Rom und Brüssel über die deutsche Haltung und Auffassung bezüglich der französischen Saarpolitik unterrichten lassen. Und schließlich stellte Deutschland auch zu Frankreich wieder die unmittelbare Verbindung her. Seit langem trafen am 6. November in Paris der deutsche Botschafter Köster und der französische Außenminister Laval, der Nachfolger des am 9. Oktober ermordeten Barthou, zum ersten Male wieder zu persönlicher Aussprache zusammen, die nach ausdrücklichem Bericht "sehr höflich" verlief. Eine zweite Begegnung fand am 9. November statt. Die einstündige Aussprache, die in entgegenkommender Form verlief, endete erfolglos, da eine Einigung über die richtige Auslegung der Völkerbundsratsentscheidung vom März 1926 nicht erreicht wurde. Die französische Auflassung war folgende: Frankreich verfolgt im Saargebiet nur die Durchführung der internationalen Verpflichtungen; die grundsätzliche Meinungsverschiedenheit zwischen Deutschland und Frankreich könne nur auf internationalem Boden erörtert werden, sie gehöre in den Bereich des Völkerbundes; wenn die Regierungskommission des Saargebiets den Beistand Frankreichs zur Aufrechterhaltung der Ordnung anfordere, habe die französische Regierung den Wunsch, im Rahmen des Möglichen nur Polizeistreitkräfte einzusetzen. Diesen Standpunkt erklärte die deutsche Regierung für selbstverständlich unannehmbar, da er einseitig sei und Frankreich als Vertragsgegner unzulässig begünstige.

  Arbeit des Dreierausschusses  
des Völkerbundes

4.

Am 6. November traf der Dreierausschuß des Völkerbundes in Rom zusammen. Er hatte die Aufgabe, über die französische Denkschrift, die Anregungen der französischen Regierung bezüglich des Status quo und über die Lösung der Bergwerks- [372] und Währungsfragen zu beraten. Um den deutschen Standpunkt zu vertreten, war Bürckel in Begleitung eines Legationsrates eingetroffen. Er legte dem Dreierausschuß dar, daß niemals eine deutsche Putschabsicht bestanden, eine solche sogar widersinnig sei, da man doch des deutschen Abstimmungserfolges sicher sei. Das Verbot für SA. und SS. solle nur nochmals vor aller Welt unwiderleglich unter Beweis stellen, wie Deutschland bei dem ihm aufgezwungenen

Knox in Rom.
[Bd. 8 S. 288b]      Knox in Rom.
Photo Scherl.
Abstimmungskampf an der Saar für die Aufrechterhaltung des europäischen Friedens kämpfe.
Ein ständiger Unruheherd seien die Emigranten, die unter den Augen der Regierungskommission und mit Unterstützung der französischen Grubendirektion zum regelrechten Bandenkrieg ausgebildet würden. Deutschland fordere Zurücknahme der Einmarschbereitschaft der französischen Truppen und Entfernung der Emigranten aus dem Saargebiet. Am 8. November morgens verließ Bürckel Rom bereits wieder. Am Vortage war Knox eingetroffen. Er berichtete dem Ausschuß über die allgemeine Lage und erklärte, daß bisher die öffentliche Ordnung nicht gestört worden sei. Immerhin habe sich die Regierungskommission mit der Verstärkung der Polizei beschäftigt. Knox wies auch auf die wirtschaftliche Lage hin, die schwierig sei infolge der Unmöglichkeit, vor der Abstimmung noch kurzfristige Kredite zu erlangen. Diese Ausführungen deckten sich mit Eingaben der Saarwirtschaftsverbände, welche sofortige Öffnung der Zollgrenze gegen Deutschland wünschten, um wenigstens einen Handelsausgleich herbeiführen zu können.

Schon in der ersten Sitzung im Palazzo Chigi entschied der Dreierausschuß, daß in dem Falle, daß die Abstimmung für Beibehaltung des Status quo ausfalle, keine weitere Volksbefragung stattfinde, das Saargebiet würde dann wie bisher unter der Verwaltung des Völkerbundes bleiben. Damit war der von Bürckel Mitte Oktober eingenommene Standpunkt von der Endgültigkeit der Abstimmung am 13. Januar durch den Völkerbund bestätigt und das unsinnige Emigrantengerede von der "zweiten" Abstimmung widerlegt.

Im übrigen zogen sich die Verhandlungen in Rom wider Erwarten sehr in die Länge. Es mußten aus Deutschland und [373] Frankreich Finanzsachverständige herangezogen werden, welche bei den Verhandlungen über den Rückkauf der Gruben und die Währungsfragen mitwirken mußten. Am 3. Dezember endlich waren die Verhandlungen in Rom beendet. Die wichtigsten finanziellen Fragen waren im Wege der Einigung zwischen Deutschland und Frankreich geklärt worden.

Am 4. Dezember verfaßte der Dreierausschuß in Genf den Bericht über das Ergebnis der römischen Verhandlungen. Zunächst wurde der Begriff des Status quo definiert. Im Falle der Entscheidung für den Status quo werde der Völkerbund endgültig die Souveränität übernehmen und nicht mehr als Treuhänder fungieren. Von einer zweiten Volksabstimmung könne keine Rede sein. Dann folgten Bestimmungen über Staatsangehörigkeit und Optionsrecht. Im Falle des Status quo würden die Deutschen die saarländische Staatsangehörigkeit mit dem Optionsrecht für Deutschland erhalten. Die Einwohner anderer Länder würden ihre Staatsangehörigkeit beibehalten mit dem Rechte, für die saarländische Staatsangehörigkeit zu optieren. Ferner wurden die Garantien auf die nicht stimmberechtigten Einwohner ausgedehnt. Neurath und Laval ließen am Nachmittag des 4. Dezember entsprechende Erklärungen dem Baron Aloisi in Genf überreichen; die deutsche Reichsregierung verpflichtete sich, keinerlei Repressalien oder unterschiedliche Behandlung gegenüber den seit drei Jahren im Gebiet wohnenden, nicht stimmberechtigten Einwohnern wegen ihrer politischen Haltung auszuüben oder zu dulden. Streitigkeiten sollten dem Haager Schiedsgericht unterbreitet werden. Ein Jahr lang solle jeder nicht stimmberechtigte Einwohner Klage vor das Oberste Abstimmungsgericht bringen können. Eine gleiche Verpflichtung hatte die französische Regierung übernommen. Weiter war vereinbart worden, daß denjenigen Personen, die binnen einem Jahre das Gebiet verlassen wollen, das freie Verfügungsrecht über ihr gesamtes Eigentum garantiert ist. Auch die in der Sozialversicherung erworbenen Rechte sollten gewahrt bleiben. Von den finanziellen Vereinbarungen sind folgende hervorzuheben: Für die Abfindung aller Ansprüche des französischen Staates (Saargruben, Eisenbahnen, Grenzbahnhöfe usw.) sollte Deutschland eine Pauschal- [374] summe von 900 Millionen Franks (= 150 Millionen Reichsmark) zahlen. Außerdem wurde Frankreich die zinsfreie Ausbeutung der Warndtgruben, die aus Schächten erfolgt, die auf französischem Gebiet liegen, zugestanden. Die Ausbeutung wurde auf fünf Jahre beschränkt und dürfte eine durchschnittliche Förderungsmenge von 2,2 Millionen Tonnen Kohle nicht überschreiten. Außerdem war vereinbart, daß durch die Barzahlung der Pauschalsumme eine Verschlechterung der deutschen Devisenlage nicht eintreten solle. Andere Bestimmungen betrafen den Umtausch des französischen Notenumlaufs gegen deutsche Reichsbanknoten und die Einführung der deutschen Währung. Eine Übergangsperiode von einem Monat sollte dem wirtschaftlichen Interesse des Gebietes dienen.

Alle Welt atmete erleichtert auf, als der Völkerbundsrat das römische Ergebnis bekanntgab und am 6. Dezember einstimmig annahm. Es war der Sieg des guten Willens auf beiden Seiten, und man glaubte nun allerorts an eine friedliche Regelung der Saarfrage nach der Volksabstimmung. Am freudigsten bewegt war die Saarbevölkerung selbst: "Der Weg nach Deutschland ist kürzer und freier geworden" schrieb die Saarbrücker Landeszeitung.

  Abstimmungspolizei  

Im unmittelbaren Anschluß an diese Einigung von Rom wurde auch die Polizeifrage erledigt.

Das Dreier-Komitee hatte zwar in der Frage der Aufrechterhaltung der Ordnung im Saargebiet in der Zeit kurz vor, während und nach der Volksabstimmung keinerlei Vorschläge gemacht. Die englische Regierung nun war aber seit den Auseinandersetzungen im November der Ansicht, daß Frankreich als an der Abstimmung beteiligter Staat am ungeeignetsten sei, irgendwie an einer etwa nötigwerdenden Intervention teilzunehmen. Deshalb trat die englische Regierung bereits im November mit neutralen Mächten, Italien, Holland, Schweden, in Verbindung und schlug ihnen vor, daß Italien und England mit je 1500, Holland und Schweden mit je 250 Mann die Aufgabe der Abstimmungspolizei übernehmen sollten. In diesem Sinne auch besprach sich Eden Anfang Dezember in Genf mit Laval. Simon berichtete darüber am 6. Dezember im englischen Unterhaus:

      "Mein ehrenwerter Freund, der [375] Lordsiegelbewahrer (Mr. Eden), griff nach den Instruktionen der Regierung S.M. mit dem glücklichsten Ergebnis ein. Er betonte, daß der richtige Weg, mit der Angelegenheit fertig zu werden, nicht der sei, Truppen nach dem Saargebiet zu schicken, nachdem sich Unruhen ereignet haben, sondern zu sehen, ob es nicht jetzt möglich wäre, – mit Billigung durch den Völkerbundsrat und mit der Zustimmung Frankreichs und Englands – Schritte zu ergreifen, um die Möglichkeit derartiger Geschehnisse überhaupt schon auszuschließen. Dies könnte dadurch geschehen, daß unter Verantwortung des Völkerbundsrates im ganzen in das Saargebiet vor der Abstimmung eine internationale Polizeitruppe geschickt würde, die weder Truppen aus Deutschland noch aus Frankreich umfassen sollte. Die Regierung S.M. würde auf Aufforderung hin bereit sein, dies zu tun, aber nur unter der Voraussetzung, daß andere Staaten, die bequem gelegen sind, ebenso bereit sind, ein Kontingent zu stellen, und zweitens, daß sowohl Frankreich als Deutschland der vorgeschlagenen Regelung zustimmen.
      Die Regierung S.M. ist in Fühlung mit gewissen Mächten wegen dieses Vorschlags gewesen. M. Laval, der der Völkerbundstagung als Vertreter der französischen Regierung beiwohnte, drückte sofort seine Zustimmung aus..."

In der Sitzung des Völkerbundsrats vom 5. Dezember ersuchte Laval selbst den Völkerbundsrat, die Aufgabe der Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung, die sonst Frankreich zugekommen wäre, auf sich zu nehmen. Wenn sein dahingehendes Ersuchen gebilligt werde, so werde Frankreich gern damit einverstanden sein, sich nicht in der einzusetzenden internationalen Polizei vertreten zu lassen mit dem selbstverständlichen Hinweis darauf, daß Deutschland darin auch nicht vertreten sein könne. Diesem Vorschlag stimmten sofort Eden für England und Aloisi für Italien zu: beide Staaten wollten Kontingente für die internationale Polizei stellen. Knox selbst, der mit seiner Polizeiwerbung eine schwere Enttäuschung erlebt hatte – er hatte im Oktober einige englische Offiziere und im November 30 Engländer sowie 15 Tschechen auf eigene Faust angeworben, ein Ergebnis, das im Vergleich zu den geforderten 2000 Mann nicht der Rede [376] wert war – tat sehr erfreut über diese Lösung: denn die Regierungskommission könne bei dem gegenwärtigen Stande der Dinge nicht unter allen Umständen dafür bürgen, daß die Ordnung aufrechterhalten werden könne; bei der Entsendung einer internationalen Truppe aber sei der ruhige Verlauf der Volksabstimmung gewährleistet. Aloisi telegraphierte sofort an die deutsche Reichsregierung und bat um Stellungnahme zu Lavals (eigentlich Edens!) Vorschlag. Am Nachmittag des 6. Dezember überbrachte der deutsche Konsul dem Völkerbunde die von dem ehrlichen Willen zur Verständigung durchdrungene Antwort Neuraths:

      "Die Reichsregierung ist ihrerseits zwar der Ansicht, daß die Verhältnisse im Saargebiet eine Heranziehung auswärtiger Kräfte für die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung nicht notwendig erscheinen lassen; sie will sich aber gleichwohl damit einverstanden erklären, daß, sofern der Rat dies beschließt, neutrale internationale Kontingente in angemessener Stärke zu dem erwähnten Zweck ins Saargebiet entsandt werden."

In seiner Schlußsitzung vom 11. Dezember setzte der Völkerbundsrat die internationale Truppe auf 3300 Mann fest, und zwar 1500 Engländer, 1300 Italier, 250 Holländer und 250 Schweden. Der Oberbefehl wurde dem englischen Generalmajor Brind übertragen. Die Truppenteile sollten möglichst bis zum 22. Dezember im Saargebiet eingetroffen sein.

Holländer an der Saargrenze bei Zweibrücken.
[Bd. 8 S. 272a]   Holländer an der Saargrenze
bei Zweibrücken.
      Photo Scherl.
Engländer an der Saar.
[Bd. 8 S. 272a]      Engländer an der Saar.      Photo Scherl.

Nun erklärte auch Knox schriftlich und in aller Form, daß die Regierungskommission auf die Aufstellung einer eigenen Abstimmungspolizei verzichtete.

  Beginn des Abstimmungskampfes  

5.

Nachdem die Saarfrage in der Hohen Politik zu einer vorläufig befriedigenden Lösung gebracht worden war, wollen wir uns nun den Ereignissen im Saargebiet selbst seit September 1934 zuwenden.

Hier hatte die Regierungskommission am 8. Juli Vorschriften über die Aufstellung der Stimmlisten erlassen. Am 20. Juli gab die Volksabstimmungskommission des Völker- [377] bundes die Richtlinien über die Abstimmungsberechtigung und die Anmeldung der Stimmberechtigten zur Aufnahme in die Stimmlisten bekannt. Danach mußten Stimmberechtigte, die außerhalb des Saargebietes wohnten, einen besonderen Antrag einreichen. Ende September setzte in breiter Öffentlichkeit der Abstimmungskampf ein, und nun begann das Martyrium der Saardeutschen recht eigentlich.

Die erste Versammlung der Deutschen Front konnte die Massen gar nicht fassen. In sechs großen Sälen Saarbrückens hatten sich am Abend des 23. September die Menschen versammelt, viele mußten wieder nach Hause gehen, weil sie keinen Platz mehr fanden. Pirro wurde mit tosendem Jubel begrüßt. Nach ihm sprach Pfarrer Wilhelm:

      "Hie Deutsche Front, da Französische Front, die Front des Status quo ist auch französisch. Eine andere als diese beiden Fronten gibt es nicht. Es ist eine Volksabstimmung, und sie kann sich nur um zwei Dinge drehen: erstens um deutsche Kultur und zweitens um französische Kultur. Ein drittes gibt es nicht. Die Parole der Deutschen Front ist Pflicht und Einsatz, jedes Kind kann sie begreifen und behalten; sie heißt: Unser Deutschland! Der Kampf um die Saar muß herausgehoben werden aus allem Egoistischen auf die Höhe des Deutschtums. Wir müssen den Kampf um die Saar hinausheben auf die Höhe der Volksgemeinschaft, auf die Ebene der deutschen Familiengemeinschaft, denn das deutsche Volk ist nicht mehr ein Volk von Staatsbürgern, sondern ein Volk von Kameraden und Genossen. Wenn wir Alten am 13. Januar unsere Pflicht nicht täten, dann wird diese Jugend, die jetzt noch in die Volksschule geht, unsere Knochen im Grabe verfluchen. 800 000 Deutsche an der Saar rufen: 'Hier ist Deutschland!' Die Kräfte des Herzens und der Seele geben den Ausschlag, wir kapitulieren nicht!"

Dies war der Geist, in dem die Deutsche Front den Abstimmungskampf führte.

  Umtriebe der Separatisten  

Die andere Seite eröffnete den Wahlkampf mit Terror und Gewalttat. So wurde in der nächtlichen Dunkelheit des 15. September der Bergmann Anton Schulz, der Mitglied der Deutschen Front war, überfallen von 8 Männern, schwer miß- [378] handelt und eine Nacht lang gefangengehalten. Das Schreckliche hierbei war, daß all dies unter dem persönlichen Kommando des erst kürzlich berufenen englischen Leiters der Saarpolizei Hemsley geschah und daß sämtliche Wegelagerer, d. h. Polizisten, betrunken waren. Am 3. Oktober endlich übergab die Regierungskommission die Untersuchung des Falles dem Obersten Abstimmungsgericht!

Aus der Fülle der deutschfeindlichen Handlungen, die die Regierungskommission von nun an beging, seien nur einige hier angeführt: In die saarländische Polizei wurden eingestellt der beim Güdinger Überfall auf die Hitlerjugend verhaftete und zu 2½ Jahren Gefängnis verurteilte Nikolaus Conrad, der nach Verbüßung eines Teiles seiner Strafe auf Grund einer Amnestie der Regierungskommission freigelassen wurde; ferner der früher in Deutschland als Kommunistenführer tätige Bitter; die bekannten Obervölklinger Antifaschisten Grün und Bräunig. So wurde die Polizei zu einem Asyl politischer Verbrecher, was um so bemerkenswerter war, als Knox am 17. September eine Bekanntmachung der Abstimmungskommission veröffentlichte, die folgendes bestimmte: die Beamten haben sich jeder unmittelbaren oder mittelbaren Beeinflussung der Stimmabgabe sorgfältig zu enthalten, alle Behörden werden ersucht, jede Zusammenarbeit mit politischen Organisationen sofort einzustellen und in Zukunft alles sorgfältig zu vermeiden, was als behördliche Beeinflussung der Bevölkerung aufgefaßt werden könne; der Beamte, der seine Neutralitätspflicht verletze, werde bestraft werden.

Saarabstimmungskommission.
[Bd. 8 S. 240b]   Saarabstimmungskommission.
Dritter von rechts: Präsident Rodhe.

Photo Scherl.
Es ließ sich auch schlecht mit dieser verordneten Unparteilichkeit vereinbaren, daß die Abstimmungskommission selbst die Lokalbesitzer zwang, ihre Säle auch gegen ihre Überzeugung den Separatisten zur Verfügung zu stellen! Auch das verstieß ohne Zweifel gegen die Unparteilichkeit, wenn Knox Ende September mehrere Versammlungen der Deutschen Front verbot, weil er angeblich nicht genügend Polizeikräfte zur Verfügung habe, um in sämtlichen Lokalen Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten. Daß die Disziplin der Deutschen Front jedes übermäßige Polizeiaufgebot überflüssig machte, wollte Knox nicht anerkennen.

[379] Als nun gar die werbende Kraft der Versammlungen der Deutschen Front sich darin äußerte, daß die Übertritte der Marxisten zu ihr zunahmen und die Reihen der Emigranten dadurch gelichtet wurden, nahm der Terror der Separatisten immer größere und gefährlichere Formen an. Täglich ereigneten sich Überfälle. So schlugen Anfang Oktober zwei berüchtigte Raufbolde und Separatisten in Saarlouis drei Erwerbslose blutig, weil sie kürzlich von der antifaschistischen Front zur Deutschen Front übergegangen waren. In einem anderen Falle überfielen 30 Separatisten eine Anzahl Bergleute und Bürger, weil sie sich weigerten, kommunistische Flugblätter zu kaufen. Im Handgemenge gaben die Kommunisten und Separatisten zahlreiche Pistolenschüsse ab. Als die Polizei schließlich einen Teil der Wegelagerer verhaftete, befand sich unter diesen ein emigrierter Kommunist als Hauptbeteiligter, der im Reiche wegen Sprengstoffanschlägen gesucht wurde.

Eine tief beschämende Tatsache war es, daß in der ehrlosen Front gegen Deutschland ein hoher deutscher Beamter stand. Der Eisenbahnpräsident von Saarbrücken, Nicklaus, als saarländischer Beamter beurlaubter deutscher Beamter, schmiedete, seine Pflicht als Beamter dem Vaterlande wie der geforderten Unparteilichkeit der Saarregierung gegenüber verletzend, im engsten Verein mit Matz Braun und anderen Separatisten, wie Hoffmann, Max Waltz, Prinz Löwenstein, Dörr usw. verbrecherische Pläne gegen Deutschland. In seinem Büro wurden Maßnahmen zur Abwehr eines angeblichen SA.-Putsches besprochen, auf seinen Dienstschreibmaschinen wurden separatistische Zeitungsartikel hergestellt, von ihm wurde die Gründung der Neuen Saarpost angeregt, in seinem Kreise wurde die Fälschung der Abstimmungslisten erörtert. Aber die Gerissenheit dieses Verräters wurde an seiner Spezialität offenkundig: er versuchte nämlich, den Saarländern zu beweisen, daß Deutschland vor einer neuen Inflation stehe und daß die Rückkehr zu Deutschland für das Saargebiet den wirtschaftlichen Untergang bedeute. Um das zu beweisen, kaufte er in der Wechselstelle des ihm unterstellten amtlichen Reisebüros Reichsmark in Hartgeld und Banknoten in Mengen und zu [380] Kursen auf, die den von der Reichsbank herausgegebenen Devisenvorschriften widersprachen, zumal es sich in erster Linie um Beträge handelte, die aus illegaler Registermark stammten. Diese häufig sehr billig erworbenen Markbeträge bot Nicklaus der Reichsbahn zum Zahlungsausgleich an, diese aber lehnte die Annahme ab, da sie diese unehrliche Handlungsweise verurteilte. Daraufhin verweigerte die Wechselstelle des Nicklaus weitere Markannahmen und gab diese Weigerung durch Plakatanschlag bekannt. Die separatistische Presse, von Nicklaus inspiriert, kommentierte diese Vorgänge breit und wohlgefällig mit dem Hinweis, daß in Deutschland die Inflation bevorstehe und daß für das Saarland eine Rückkehr zum Reiche nicht in Frage kommen könne.

Im trauten Verein mit diesem Lumpen arbeitete Rossenbeck, der Außenbeamte der Propagandaabteilung der "Mines domaniales françaises". Er finanzierte im Auftrage Guilleaumes, dessen rechte Hand er war, nicht nur die Neue Saarpost, sondern auch noch eine Reihe anderer separatistischer Zeitungen wie den General-Anzeiger mit französischem Gelde. Im Auftrage ihrer französischen Geldgeber beschimpften diese erbärmlichen Schmierblätter ununterbrochen den Führer und die Staatsmänner Deutschlands in der unflätigsten Weise. Nicht nur, daß diese Beschimpfungen von der Abrüstungskommission und der Regierungskommission geduldet wurden, nein, sie wurden sogar auch vom Straßburger Sender übernommen und verbreitet!

Das Verbrechergremium der Separatisten nannte sich "Freiheitsfront" oder französisch "Front commune". Mit allen Mitteln der Lüge und Hetze arbeitete dies Gesindel. Die Ermordung Barthous am 9. Oktober, so behaupteten sie, sei das Werk Deutschlands, und man verstehe die auswärtigen Mächte nicht, daß sie Deutschland noch nicht den Krieg erklärt hätten! Den Leiter des Verbandes deutscher Rundfunkteilnehmer an der Saar, August Herb, beschuldigten die Verleumder, er hätte am 11. Oktober in einer Versammlung der Deutschen Front zu Oberlinxweiler die Regierungskommission beschimpft, verleumdet und bedroht. Hauptbelastungszeuge war der Kommunistenführer L'Hoste, aber die Anklage brach infolge ihrer [381] Unwahrheit zusammen und das Oberste Abstimmungsgericht sprach Herb frei, der einige Tage verhaftet gewesen war!

Dieser L'Hoste war vor allem auch Spezialist in wahrheitswidrigen Einsprüchen gegen Stimmberechtigte. Das Haus der Arbeiterwohlfahrt in Saarbrücken war sein Hauptquartier. Es glich einem Heerlager. Hier "arbeitete" L'Hoste. Vor seinem Platze lagen hohe Stapel von Einspruchsformularen, die er, ohne sie zu lesen, massenweise unterschrieb. Diese Formulare waren gedruckt: "N. N. Besaß am 28. Juni 1919 nicht die Einwohnereigenschaft im Saargebiet im Sinne der Wahlordnung. Beweisurkunde von Behörden verweigert." Oder eine andere Begründung war die, daß der Stimmberechtigte gestrichen werden müsse, weil er in einer anderen Ortschaft bereits eingetragen sei. Auf diese Weise wurden bei den 532 740 Abstimmungsberechtigten, davon 55 794 außerhalb des Saargebiets, 107 145 Einsprüche bis Ende Oktober fabriziert. Aber die betroffenen Abstimmungsberechtigten waren auf der Hut und widerlegten den Einspruch, so daß die Abstimmungskommission schon bald bei der Mehrzahl die mangelnde Begründung dieser Manöver erkannte. Etwa 50 000 wurden als berechtigt erkannt und bei 7000 auf Streichung aus den Listen entschieden.

Höltermann, der ehemalige Führer des Reichsbanners in Deutschland, traf Ende Oktober im Saargebiet ein. Im Saarbrücker Gewerkschaftshaus in der Brauerstraße schlug er seine Residenz auf. Dort erstreckte sich seine Tätigkeit auf seine Spezialität: er entwickelte Bürgerkriegspläne. Er entwarf Projekte, wie die Antifaschisten einen Einmarsch der SA. am 14. Januar 1935 "zurückschlagen" könnten. Wie bei L'Hoste die Einsprüche fabriziert wurden, so wurden bei Höltermann die Putschgerüchte und Bürgerkriegspläne am laufenden Band produziert.

Um diese antifaschistische Aktion aber auch durchführen zu können, wurden die Arbeitersportvereine zur roten "Einheitsfront des Sportes" zusammengefaßt und den Mitgliedern der Beitritt zu den Staffeln des "Massenselbstschutzes" zur Pflicht gemacht. Sie erhielten regelrechte Waffenausbildung, wurden mit Revolvern, Stahlruten, Knüppeln und Steinen bewaffnet [382] und wurden angewiesen, die Bevölkerung planmäßig zu terrorisieren.

Diese Zustände wurden blitzartig beleuchtet durch einen wahrhaft schamlosen Vorgang. In der Nacht zum 3. November war in Landsweiler bei Neunkirchen die kommunistische Gemeinderatsabgeordnete, Antifaschistin und Dirne Berta Fuchs von verschiedenen Liebhabern, die Emigranten waren, derart verprügelt worden, daß sie vom Arzt dem Krankenhause überwiesen wurde. Diesen Vorfall benutzten die Kommunisten, um durch Flugblätter zu verbreiten, Angehörige der Deutschen Front hätten die Fuchs verprügele und Pirro wolle den Mordüberfall in der für den Abend des 3. November angesetzten Versammlung der Deutschen Front verherrlichen. "Verhindert die Durchführung dieser Versammlung! Sofort heraus auf die Straße!" Schon am Nachmittag trieben sich kommunistische Provokateure, zum Teil mit Stahlruten und Eisenrohren bewaffnet, auf den Straßen herum und versuchten, sich vor dem Versammlungslokal zu postieren. Als die Polizei eingriff, erfolgte das Signal zum Widerstand und die Kommunisten warfen mit großen Steinen nach den Beamten. Als schon der Abend dunkelte, trafen die Überfallkommandos aus Neunkirchen und Saarbrücken ein. Die Kommunisten hatten sich auf eine Anhöhe vor dem Orte zurückgezogen, um dort den erwarteten Wagen Pirros zu überfallen. Verschiedene Kommunisten hatten sich quer über die Straße gelegt, um die ankommenden Wagen zum Halten zu zwingen. In der Tat hielt ein Wagen; ihm entstieg aber der oberste Inspektor der Saarpolizei, Hemsley, mit dem Überfallkommando, und dies jagte die Kommunisten, die 18 Schüsse abgaben, mit dem Gummiknüppel in die Flucht. Im Verlaufe der Untersuchung wurden in den nächsten Tagen mehrere Kommunisten verhaftet und Revolver, Gewehre und Munition beschlagnahmt und aus den Verstecken ans Tageslicht befördert. Als Protest hiergegen hielten die Kommunisten in Saarbrücken, Saarlouis und Neunkirchen kommunistische Demonstrationen ab, zu denen das Überfallkommando reichlich spät erschien. Es schien, als sollte bewußt eine Revolte, ein Chaos heraufbeschworen werden, um beizeiten eine Ab- [383] stimmung überhaupt zu vereiteln. Nur durch das besonnene und disziplinierte Verhalten der Deutschen Front kam es nirgends zu Zwischenfällen.

Es waren seit dem ausgehenden Sommer regelrechte Zustände, daß in rückgliederungsfeindlichen Versammlungen und Zeitungen in maßloser und verleumderischer Weise gegen das deutsche Volk, das deutsche Reich und seinen Führer gehetzt wurde, daß in den Versammlungen der Emigranten und Marxisten ständig die Verordnungen der Regierungskommission übertreten wurden, daß die Emigranten planmäßig zum Bandenkrieg ausgebildet wurden, daß sie das ihnen gegen den Willen der Bevölkerung gewährte Gastrecht schnöde mißbrauchten, daß sie durch Unruhestiftung und täglichen Terror die öffentliche Ruhe und Ordnung gefährdeten, daß sie sich dabei des ausdrücklichen Schutzes der französischen Bergwerksdirektion erfreuten. Demgegenüber zeichnete sich die Deutsche Front durch eiserne Disziplin aus. In ihren Massenversammlungen, in denen Tausende und Abertausende fast jeden Abend zusammenströmten, ereigneten sich keinerlei Zwischenfälle, obwohl Spitzel und Provokateure ihr lichtscheues Unwesen trieben. Pirro wurde nicht müde, täglich, ja stündlich immer wieder die Mitglieder der Deutschen Front an die eiserne Disziplin zu mahnen. Dabei forderte er auch immer lauter und dringlicher, daß die Regierungskommission die Emigranten aus dem Saargebiet entferne – eine Forderung, die Bürckel auch in Rom erhob.

  Schikanen der Saarregierung  

6.

Die Gedankengänge von Knox bewegten sich aber in ganz anderer Richtung. Das bewies der 26 Seiten lange Bericht, den er – im ausdrücklichen Widerspruch zu Koßmann – an den Völkerbund gab in Ergänzung seiner Ausführungen über den Freiwilligen Arbeitsdienst vom August. Knox suchte nachzuweisen, daß die Deutsche Front die Fortsetzung der NSDAP. sei, und erklärte es für seine Pflicht, den Rat über gewisse beunruhigende Seiten der Tätigkeit der Deutschen Front zu unterrichten. Er sei aber weit entfernt, alle im Saargebiet be- [384] gangenen illegalen Akte auf das Konto der Deutschen Front zu buchen! (Die Umtriebe der Emigranten und Marxisten hatten einen solchen Umfang angenommen, daß sie sich nicht mehr verheimlichen ließen!) Immerhin – die Abteilungen der Deutschen Front seien Organe der NSDAP. Sie übten einen Druck auf die deutsche Bevölkerung aus, durch zwangsweise Gleichschaltung, durch Ausspionieren der politischen Parteien und Behörden. In den Archiven der Deutschen Front finde man eine große Zahl von gestohlenen Dokumenten. Den letzten Trumpf spielte Knox aus, indem er behauptete, es bestünden Beziehungen zwischen der Deutschen Front und der Reichsregierung. Die Deutsche Front sei der Reichsregierung unterstellt. Hunderte von Briefen seien in Saarbrücken gefunden worden, die von Ministerien und anderen deutschen Behörden ausgegangen seien. Tatsächlich habe die Reichsregierung sehr häufig im Saargebiet eingegriffen. So sei die Entfernung Pirros in Berlin entschieden worden.

Pirro blieb die Antwort nicht schuldig. Er wies in einem Schreiben an den Völkerbund die unbewiesenen Behauptungen von Knox energisch zurück, um weiter zu sagen: Die Deutsche Front an der Saar sei die Eidgenossenschaft aller deutschen Menschen an der Saar, die, losgelöst von allem Parteilichen, bereit sind, im Rahmen des gesetzlich Erlaubten sich einzusetzen für die Rückgliederung zum Deutschen Reich. Aber die Polizei der Saarregierung bespitzele die Deutsche Front durch Emigranten. Der Oberregierungsrat Ritzel habe den Inhalt des beschlagnahmten Materials der Deutschen Front mit Personen besprochen, die im Solde der deutschfeindlichen Spionage stehen, darum bitte die Deutsche Front den Völkerbund, zu erwägen, inwieweit die Denkschrift der Regierungskommission glaubwürdig sei. Aber die Deutsche Front müsse entschieden die Ausweisung aller nicht abstimmungsberechtigten Personen verlangen. Pirro führte die eidesstattliche Aussage eines früheren Emigranten vor dem Amtsgericht Ulm an, der da erklärte, daß in dem saarländischen Emigrantenlager von der Heydt regelmäßige militärische Übungsstunden unter der Leitung eines ehemaligen Sergeanten aus Metz abgehalten würden. Es sei in diesen Stunden immer wieder betont worden, Ende [385] November oder Anfang Dezember müsse eine revolutionäre Aktion im Saargebiet unternommen werden, um der Regierungskommission die Mittel zu liefern, den Abstimmungstermin zu verschieben und ausländische Truppen für das Saargebiet anzufordern. Emigranten und Kommunisten sollten der Polizei planmäßig Schwierigkeiten bereiten, damit Kundgebungen der Separatisten ungestört stattfinden könnten. Auch sei davon gesprochen worden, daß beim Ausrücken der Polizei mit Fahrzeugen diese mit leicht brennbaren Flüssigkeiten an geeigneten Stellen übergossen werden müßten. Die Aktion müsse so durchgeführt werden, daß auch die Deutsche Front gezwungen werde, sich zu Straßenkämpfen zu stellen. Pirro schloß: Der Völkerbund möge die Regierungskommission veranlassen, sich den vertragwidrigen Beziehungen zwischen Organen des französischen Staates und den Rückgliederungsgegnern künftig stärker zu widmen.

Pressevertretern gegenüber ergänzte Pirro diese Ausführungen noch. Kommunisten und Emigranten hätten die Absicht, den ordnungsmäßigen Ablauf der Saarabstimmung zu gefährden. Zwischen Einheitsfront und französischen Stellen bestünden unmittelbare Verbindungen, so würden im Zimmer 17 der französischen Bergwerksdirektion ganz offen französische Propagandarichtlinien an die Status quo-Leute gegeben.

Natürlich bestritt Knox, daß Regierungsbeamte ihre Neutralitätspflicht verletzt hätten. Die Behauptungen über Heimburger, Ritzel, Lehnert und Lauriot seien falsch. Aber er stellte Strafantrag gegen eine frühere Stenotypistin der Direktion des Innern, Maria Carsenius, wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses, und gegen Pirro sowie die anderen Unterzeichner der Denkschrift, Röchling, Kiefer, Levacher und Schmelzer, wegen Beleidigung. Er versuchte also, aus Anklägern Angeklagte zu machen, um die "Ehre" seiner Beamten wiederherzustellen und seine Gegner mundtot zu machen. Gleichsam um die Einseitigkeit von Knox deutlich zu beweisen, hielt der "Massenselbstschutz" von Saarlouis und Umgebung eine Funktionärsitzung ab, worin die kommunistischen "Richtlinien" ausgegeben wurden, "um einen Putsch der Deutschen Front abzuwehren": es müßten Barrikaden errichtet, die [386] Straßen aufgerissen, Dachrinnen und Fensterbänke mit Steinen und gefüllten Eimern versehen werden!

Um einen Begriff von der drakonischen Rechtsprechung gegen Deutsche zu geben, sei kurz auf die Tätigkeit der Abstimmungsgerichte hingewiesen. Mitte September war das aus fünf Mitgliedern bestehende Oberste Abstimmungsgericht in Saarbrücken gebildet worden, Ende September wurden acht Kreisgerichte eingesetzt. Am 26. Oktober verurteilte das Saarbrücker Abstimmungsgericht den Hausmeister Jäger von der Deutschen Front wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt zu 7 Monaten Gefängnis. Er hatte bei der Haussuchung am 17. Juli in der Aufregung, nicht mit Vorsatz, den Emigrantenkommissar Machts vorübergehend eingeschlossen und an seiner Tätigkeit behindert! In Saarlouis wurde einige Tage später ein Fleischergeselle wegen verbotenen Uniformtragens zu drei Monaten Gefängnis verurteilt! Er trug braunes Hemd, braune Hose und braune Stiefel. Der Prozeß gegen Pirro, Röchling usw. dagegen, der mit großer Propaganda von Knox vorbereitet worden war, wurde Mitte Dezember auf unbestimmte Zeit vertagt, um die Führer der Deutschen Front weiterhin als Angeklagte in der Öffentlichkeit behandeln zu können und ihnen die Möglichkeit zu nehmen, vor Gericht neue Beweise gegen die Tätigkeit von Knox vorzubringen. Der Prozeß hat überhaupt niemals stattgefunden. Er wurde, ehe er begann, im Februar 1935 auf Grund einer Amnestie niedergeschlagen.

Festigkeit der
  Deutschen Front  

Als am 21. November Knox, um der Deutschen Front einen Schlag zu versetzen, unter Hinweis auf die berühmte "Unparteilichkeit" verordnete, daß bei einer Strafe von 3 Monaten Gefängnis und 1000 Franken kein Beamter irgendwelche Parteifunktion oder irgendeine Agitationsarbeit ausüben, politische Versammlungen veranstalten, leiten oder als Redner auftreten oder sonstwie in den Abstimmungskampf eingreifen dürfe, da übten die deutschen Beamten in ihrer gewohnten Weise auch hier Disziplin und schieden – zähneknirschend – aus, ernannten in der großen Volksbewegung ihre Nachfolger und fügten sich ihrem Schicksal, genau wie die große Masse der Deutschen Front. Pirro richtete an die [387] betroffenen Amtswalter diesen kurzen Aufruf:

      "Kameraden! Ihr müßt ausscheiden. Für eure Arbeit gibt es keinen Dank, sondern nur Pflichten. Die Landesleitung drückt euch die Hand. Schweigt und denkt an unsere gemeinsame Sache!"

Eine weitere Behinderung im Abstimmungskampf war die Verordnung des Abstimmungskommissars Anfang Dezember, daß jedes öffentliche Anbringen von Anschriften, Abbildungen und Plakaten bestraft werden sollte. Jede Partei erhielt das Recht, nur ein Werbeplakat anzubringen: das war Gleichberechtigung: 500 000 Deutsche hatten dasselbe Recht wie 5000 Emigranten, Kommunisten und Franzosen!

Rossenbeck bemühte sich übrigens in diesen Tagen, die Front der Separatisten zu verbreitern, indem er ihr den "Deutschen Volksbund" angliederte. Dieser gab sich als eine neue katholische Partei aus. Er behauptete, die Interessen des katholischen Glaubens gegen das gottlose Hitlerdeutschland zu wahren. In Wirklichkeit war dieser Volksbund eine Sammelstätte unversöhnlicher, aber dennoch kläglicher Zentrumssplitter, die der Sturm der großen Reinigung aus Deutschland hierhergeweht hatte. Hier spielte der frühere Zentrumsgewerkschaftsführer Imbusch eine große Rolle und glaubte, die unwahre jesuitische Politik des Erzberger, Stegerwald und Brüning an der Seite der gottlosen marxistischen Genossen zu neuem Leben erwecken zu können. Es gab wohl einige Leute, die, instinktlos wie sie waren, diesen Verführern nachliefen, doch bei der übergroßen Mehrheit des Saarvolkes erregte diese neue Zwergpartei des zentrümlichen Status quo großes Gelächter. Hatte doch die Kurie selbst für sich in der Saarfrage peinliche Neutralität verkündet und hatten doch die Bischöfe von Trier und Speyer den Geistlichen jede Betätigung im deutschfeindlichen Sinne untersagt. Die große Berufung auf das katholische Gewissen konnte also dem Volksbund nicht als Werbemittel dienen. Der Volksbund hatte geschichtlich die einzige Bedeutung, daß er im Saarseparatismus die antinationalsozialistische Front der zertrümmerten und jedes Lebensrechtes entbehrenden jesuitisch-marxistischen Parteiwelt noch einmal vervollständigte.

Doch je härter die Drangsal, desto fester und entschlossener die Treue! An einem Sonntag, dem 9. Dezember, fünf Wochen [388] vor der Abstimmung, veranstaltete die Deutsche Front, bevor der Weihnachtsfrieden einsetzte, ohne öffentliche Ankündigungen, ohne Zeitungsnotizen und Plakate in 159 Orten ungeheure Massenversammlungen. Vor Saarbrücken war das große Zelt vom Nürnberger Parteitag aufgestellt, das am Vormittag von 40 000 Amtswaltern des Saargebiets bis auf den letzten Platz gefüllt war. Peter Kiefer, der Propagandaleiter und Führer der deutschen Gewerkschaftsfront an der Saar, faßte in seiner Ansprache die Bedeutung des 13. Januar in folgenden Worten zusammen:

      "Am 13. Januar werden wir die Ehre wiedererobern, die man uns in Versailles wider unseren Willen raubte. Es geht nicht um kirchliche, religiöse oder sozialpolitische Fragen. Dem deutschen Volke an der Saar geht es nur darum, ob es bei seinem angestammten Volke und Vaterland bleibt oder ewig von ihm getrennt werden wird."

Am Nachmittag war das Zelt abermals von 40 000 Saardeutschen angefüllt. Nietmann, der stellvertretende Landesleiter der Deutschen Front, polemisierte unter größtem Beifall der Versammlung gegen Rossenbecks "neue katholische Partei", ging auf die römische Einigung über, um am Schlusse die Nutzlosigkeit der internationalen Polizei festzustellen: Die Deutsche Front habe stets die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung gewährleistet und werde sie auch weiter garantieren.

Der englische Zeitungsmagnat Lord Rothermere bereiste selbst das Saargebiet und faßte seine Eindrücke folgendermaßen zusammen: Die Abstimmung sei eine bloße Formalität. Das Ergebnis stehe von vornherein fest. In ganz Deutschland gebe es kein deutscheres Gebiet als die Saar. Die Bewohner fühlten instinktiv, daß die Zeit für sie gekommen sei, um ihren Anteil an den Schicksalen des Vaterlandes zu nehmen, das nach Rothermeres persönlicher Ansicht unter der begeisternden Führung des Herrn Hitler glänzender sein werde denn je.

Der Abstimmungstag rückte immer näher, aber auch der Schikanen wurden es immer mehr. Mit Protest nahm es die Deutsche Front auf, daß die Abstimmungskommission bekanntmachte, die Zählung der Abstimmungsergebnisse finde erst am 14. Januar statt. Die Deutsche Front befürchtete hiervon eine [389] Gefährdung der Sicherheit des Abstimmungsergebnisses, aber ihr Einspruch blieb erfolglos. Eine Verordnung des Regierungskommissars vom 21. Dezember 1934 verbot jegliches Flaggen bis zur Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses.

Um die Mitte des Dezember trafen Generalmajor Brind mit den ersten englischen und General Prasca mit den ersten italischen Truppen in Saarbrücken ein. Ein peinlicher Zwischenfall ereignete sich am 16. Dezember morgens 3 Uhr, als ein angetrunkener englischer Offizier mit dem Kraftwagen in eine Menschengruppe auf dem Bürgersteig fuhr und hinterdrein eine Person durch zwei Pistolenschüsse verletzte. Die Menschen verprügelten den Engländer in gerechter Entrüstung. Weitere Verwicklungen wurden durch die Besonnenheit der englischen Regierung vermieden, aber die englische Regierung schärfte ihren Truppen nochmals eiserne Disziplin und Zurückhaltung ein. Der englische Polizeiinspektor Hemsley mußte kurz vor Weihnachten zurücktreten, weil er mit dem Emigranten Fürsten Löwenstein in einen heftigen Streit geraten war. Sein Nachfolger wurde der englische Major Hennessy.

Gelegentlich des Einmarsches der internationalen Polizeitruppen richtete Gauleiter Bürckel nochmals ein Schreiben an Knox folgenden Inhalts:

      "Herr Präsident! Der Aufmarsch der Polizeitruppen für das Saargebiet ist nunmehr erfolgt. Deutschland hat der Bereitstellung der Truppen zugestimmt und damit ein großes Opfer gebracht zu einer friedlichen Regelung der Verhältnisse an der Saar. Aus dieser Sachlage ergeben sich auch für die Regierungskommission notwendige Folgerungen. Wenn die Regierungskommission bisher die Einstellung von Emigranten in die Polizei glaubte mit dem Hinweis darauf begründen zu können, daß die örtlichen Polizeikräfte nicht ausreichen, so fällt dieser Vorwand mit der Bereitstellung der Polizeitruppen selbstverständlich weg. Ich darf mich der Hoffnung hingeben, daß Sie, Herr Präsident, nachdem Deutschland der Entsendung der Polizeitruppen im Interesse einer Entspannung der zwischenstaatlichen Beziehungen zugestimmt hat, auch nun Ihrerseits zur Wiederherstellung der Rechtsordnung im Saargebiet beitragen und die Emi- [390] granten sofort aus dem saarländischen Polizeidienst entfernen."

Am 28. Dezember 1934 fand die letzte Sitzung des Landesrates des Saargebietes statt. Sie brachte die große Abrechnung der Deutschen Front mit den Regierungsmethoden von Knox. Der Abgeordnete Martin führte zunächst an, daß die Deutsche Front den von Knox für die Tage vom 23. bis 27. Dezember verordneten Weihnachtsburgfrieden gewissenhaft eingehalten hätte, die Separatisten aber straflos die Verordnung hätten umgehen können und in weitem Umfange separatistische Hetzschriften verteilt hätten, die die Zeitungen der Deutschen Front nachgeahmt hätten und so die Täuschung der Bevölkerung beabsichtigten. Martin fuhr, auf das Schreiben Bürckels zurückgreifend, fort, nun sei es ja den Separatisten gelungen, fremde Truppen ins Saargebiet zu ziehen, so müsse man aber jetzt verlangen, daß die Emigranten aus der Polizei entfernt würden. Weiter griff Martin das Flaggenverbot an und die irreführende Verbreitung des Gerüchtes von der zweiten Abstimmung, das Litwinow nur deswegen aufgebracht habe, um im Saargebiet eine sichere Keimzelle des Bolschewismus für Westeuropa zu schaffen. Dem Saarvolk genüge eine Abstimmung, das Ziel heiße Deutschland. Nach der Rede Martins wurde abermals aus der Deutschen Front heraus das Flaggenverbot scharf angegriffen und als ungültig betrachtet, da vor seinem Erlaß der Landesrat nicht gehört worden sei. Als ein Regierungsvertreter zu widersprechen versuchte, verließen die Abgeordneten der Deutschen Front geschlossen die Sitzung. –

Die letzten Tage vor der Abstimmung benutzten Emigranten und Kommunisten dazu, um noch einmal verzweifelte Anstrengungen zum planmäßigen Terror zu machen, wodurch sie dem Status quo zum Siege zu verhelfen hofften. Sie wurden dabei von den Regierungsorganen weitgehend unterstützt. Nächtliche Feuerüberfälle auf Lokale oder Angehörige der Deutschen Front waren keine Seltenheiten mehr. Fast in allen Orten war es dasselbe: kein Deutscher durfte sich nach Einbruch der Dunkelheit allein auf die Straße wagen, wenn er [391] nicht von einer verbrecherischen Meute angeschossen oder niedergeschlagen werden wollte.

Die neue, schon stark eingeschränkte Auffassung der Separatisten ging dahin, daß, wenn ein bestimmter Prozentsatz Status quo-Stimmen abgegeben würde, ein entsprechendes Stück des Saargebietes abgetrennt und nicht nach Deutschland zurückgegliedert werden sollte. Diese Auffassung machten sich auch bestimmte Stellen der Saarregierung zu eigen. Insbesondere hatten diese Stellen ihr Augenmerk auf das Warndtgebiet westlich der Saar gerichtet. Aus zwei Gründen war dies wertvoll: erstens war es wirtschaftlich wertvoll wegen seiner Kohlenschätze, zweitens war es strategisch wertvoll wegen seiner hohen Lage: von hier aus war das gesamte Saargebiet zu übersehen.

Hier also, im Warndtgebiete, sollte der Status quo unbedingt siegen, damit es nicht an Deutschland zurückgegliedert werden mußte. Vom 9. Januar 1935 ab zog der Direktor des Innern, Heimburger, sämtliche Polizei- und Landjägerposten, etwa 30, vom linken Saarufer zurück, so daß dieses vollkommen schutzlos war. Auf Lastkraftwagen kamen Kommunisten über die lothringische Grenze, eröffneten eine umfangreiche Werbung, überschwemmten die Ortschaften mit Flugblättern, um sie noch in letzter Minute für den Status quo zu gewinnen. Um das Gebiet vom übrigen Saarland zu trennen, zerschnitten sie die Telephonleitungen. Eine große Unruhe erfaßte die Bevölkerung, denn sie war in großer Sorge, daß am Abstimmungstage die Kommunisten in den schutzlosen Orten Überfälle auf die Wahllokale machen könnten. – Durch die zurückgezogenen Polizeikräfte aber verstärkte die Saarregierung sämtliche Polizeiposten, die auf der Seite nach dem Reiche zu lagen!

  Nahen des Abstimmungstages  

7.

Aber mit den Umtrieben der Separatisten und Marxisten war es aus. Gewaltig war der Aufbruch des deutschen Volkes, gewaltig die Begeisterung für den Führer, sieghaft riß die [392] deutsche Leidenschaft jeden wahrhaft deutschen Menschen mit fort. Noch am letzten Tage des Jahres 1934 erhielten die Separatisten die Absage des Schriftleiters der Neuen Saarpost, Hugo Hagen, der nicht weiter in einer von französischen Geldern finanzierten Zeitung arbeiten wollte; er schrieb: "Ich glaubte, für eine große Idee zu kämpfen, aber ich wollte nie französische Interessen unterstützen." Er halte es für seine Pflicht, der Deutschen Front mitzuteilen, wie es in Wirklichkeit um die Neue Saarpost und den "Deutschen Volksbund" bestellt sei. An den Hauptschriftleiter der Neuen Saarpost, Johannes Hoffmann, schrieb Hagen, er habe bisher geglaubt, daß es Hoffmann um den deutschen Katholizismus ging und um die Kirche. Heute glaube er das nicht mehr. Hoffmann habe ihm vorgetäuscht, daß die Gelder von saarländischen Katholiken kämen und daß hinter der Neuen Saarpost finanziell die Pfarrer stünden. Jetzt aber habe ihm der französische Grubendivisionär Baucher bestätigt, daß Hoffmann ihn und alle Bergleute betrogen und beschwindelt habe. – Solche Absagen ereigneten sich in den nächsten Tagen noch viel öfter und in riesenhaftem Umfange.

Der Zusammenbruch des Separatismus wurde noch dadurch gefördert, daß Anfang Januar 1935 sämtliche Dechanten des Saargebietes in der Saarbrücker Landeszeitung erklärten, die von den Separatisten ausgesprengte Behauptung, ein großer Teil der Saargeistlichkeit werde am 13. Januar für Beibehaltung des gegenwärtigen Zustandes stimmen, sei völlig unwahr. Auch die Führerschaft der katholischen Saarjugend veröffentlichte eine Erklärung gegen den Status quo. Diese Vorgänge veranlaßten die Regierungskommission, den Bischöfen von Trier und Speyer einen Brief zu schreiben, worin sie erklärte, die Stellungnahme der Geistlichen könne eine Beeinflussung der Abstimmung mit sich bringen. Daß es sich bei all diesen Vorgängen lediglich um die Abwehr der lügnerischen Behauptungen des "Deutschen Volksbundes" von Rossenbeck handelte, berücksichtigte Knox in keiner Weise.

358 USA.-Saardeutsche am 4. Januar 1935 in Cuxhaven.
[Bd. 8 S. 240b]      358 USA.-Saardeutsche
am 4. Januar 1935 in Cuxhaven.
  Photo Scherl.

Eintreffen der ersten Auslandsdeutschen vor dem Bahnhof in Saarbrücken zur Abstimmung.
[Bd. 8 S. 272b]      Eintreffen der ersten Auslandsdeutschen vor dem Bahnhof in Saarbrücken zur Abstimmung.      Photo Scherl.

Saararbeiter für Deutschland.
[Bd. 8 S. 272b]   Saararbeiter für Deutschland.
Photo Scherl.
Die letzte Woche vor der Volksabstimmung war eine Volkserhebung, wie Deutschland selten eine erlebt hat. Aus [393] allen Teilen der Welt trafen die Abstimmungsberechtigten in Deutschland ein. Aus Yokohama, Manila und von den Philippinen trafen drei katholische Missionare, aus Ostafrika zwei katholische Ordensschwestern ein. Nachdem bereits am 23. Dezember etwa 350 Saardeutsche aus Nord- und Südamerika in Saarbrücken eingetroffen waren, empfangen vom endlosen Jubel einer unübersehbaren begeisterten Menge, landete Anfang Januar der Dampfer "Deutschland" in Kuxhaven 358 Saardeutsche aus den Vereinigten Staaten. Am 11. Januar erreichten 60 Saardeutsche aus Südamerika ihre Heimat. Am gleichen Tage landeten die letzten hundert Überseedeutschen in Bremerhaven. In diesen Tagen eilten auch 57 Sonderzüge durch Deutschland. Überall mit großer Begeisterung empfangen, brachten sie etwa 55 000 Abstimmungsberechtigte an die Saar; seit dem Mittag des 11. Januar liefen ununterbrochen die Sonderzüge im Bahnhof Saarbrücken ein. Ja, aus Schanghai kam eine Frau; da der Sibirienexpreß wegen der Schneeverwehungen große Verspätung gehabt hatte, stellte ihr Ministerpräsident Göring ein Flugzeug, so daß sie am Mittag des 13. Januar in Saarbrücken eintraf und noch ihre Stimme abgeben konnte. – In einem einzigen heiligen Feuer der Opferbereitschaft flammte ganz Deutschland auf: das einige Volk der Deutschen, das kein Opfer gescheut hatte, um seinen Brüdern an der Saar zu helfen. Die Saarspende im Reiche hatte einen derartigen Erfolg, daß viele Not der zur Abstimmung Reisenden wie der an der Saar selbst Wohnenden gemildert werden konnte.

Noch einmal bei Eröffnung der Saarausstellung in Berlin am 5. Januar legte Minister Goebbels den deutschen Standpunkt klar. In großer Rede bekannte er sich feierlich zur Verständigung über die Rückgliederung der Saar. Saarland und Saarvolk seien immer deutsch gewesen und deutsch geblieben bis auf den heutigen Tag, darum gebe es kein Saarproblem. Sie, die Saardeutschen, folgten der Stimme ihres Blutes, wenn sie entschlossen zur Saar eilten, so wie die 1000 Saarländer in Berlin, auch die mehr als 500 Saarländer aus Übersee, denen besondere Hochachtung gebühre. Der Minister erkannte sodann die entschlossene deutsche Haltung der Kirche an. Den [394] Emigranten, fuhr er fort, werde es trotz allem nicht gelingen, den Frieden zwischen Deutschland und Frankreich zu stören. Es handle sich in der Entscheidung des 13. Januar um mehr als bloß die Rückkehr eines abgesprengten Volkssplitters zum Reiche. Am 13. Januar könne die Epoche vieler Jahrhunderte beendet werden, die ihren Ausdruck gefunden habe in ewigem Haß und Krieg zweier Völker, die das Schicksal Seite an Seite in den Kernraum Europas gestellt habe. Das sei der wahre und tiefe Sinn dieser Volksabstimmung. So könne das Saargebiet, ursprünglich als Zankapfel zwischen Deutschland und Frankreich gedacht, in Wirklichkeit die Brücke einer endlichen Verständigung werden. Es sei die geschichtliche Möglichkeit gegeben, in diesem entscheidungsvollen Augenblicke den unseligen, jahrhundertealten Nachbarkampf, der die ganze europäische Geschichte der Neuzeit verwirrt und gefährdet habe, endgültig abzubrechen und eine neue Linie deutsch-französischer Zusammenarbeit aufzunehmen, die nur ein Segen sein werde für ganz Europa. Nach dem Willen des Führers gebe es keinen territorialen Gegensatz zwischen Deutschland und Frankreich mehr, wenn die Saar zu Deutschland zurückgekehrt sei.

Auf der Berliner Saarkundgebung am Abend des gleichen Tages sprach der Stellvertreter des Führers, Rudolf Heß. In einem großen geschichtlichen Überblick zeigte er, daß die Saar seit tausend Jahren und mehr deutsch sei und daß es vielleicht einmal gut sei, wenn der Welt gezeigt werde, welchem Volkstum die Saardeutschen angehörten und angehören wollten. "Ihr kehrt heim in ein Reich, dem ihr weiter mit Stolz angehören dürft." Von der Lügenflut, welche die Emigranten über das Deutschland Adolf Hitlers verbreiteten, sei nicht ein Wörtchen wahr. Das deutsche Volk von heute sei eine geschlossene Nation, die hinter einem Führer marschiere und in deren Reihen in einer Woche die Saardeutschen an der Stelle mitmarschieren würden, wohin Gott sie haben wolle.

Die gewaltigste Kundgebung aber Saardeutschlands war die des 6. Januar 1935, als auf dem Wackenberge bei Saarbrücken 350 000 Saardeutsche den Treueschwur auf ihre Heimat Deutschland ablegten. Viele Zehntausende blieben zu- [395] rück, da die Saarbahnen statt der angeforderten 81 Sonderzüge nur 32 stellen konnten und alle Omnibusse und Kraftwagen bereits eingesetzt waren. Hunderttausend kamen aus Saarbrückens Umgebung, allein aus Dudweiler 10 000, trotz strömenden Regens zu Fuß anmarschiert. Unverdrossen strebten diese Menschen auf den von Regen und Schnee aufgeweichten Straßen vorwärts, trotz Flaggenverbot wallte eine riesige Wolke von Hakenkreuzfahnen über den begeisterten Scharen und Musikkapellen, die sonst auch verboten waren, spielten die völkischen Lieder, in welche die Menschen ihren leidenschaftlichen, heiligen Sang von Saar und Deutschland und Volk hineinströmen ließen. Im Gedächtnis der 20 000 Saardeutschen, die im Weltkrieg für Deutschland gefallen sind, wurde diese Kundgebung, in deren Mittelpunkt Ansprachen von Karl Brück, Landesorganisationsleiter der Deutschen Front, Peter Kiefer und Nietmann, dem stellvertretenden Landesleiter der Deutschen Front, standen, ein machtvolles Bekenntnis zur deutschen Zukunft, eine stolze Tat deutschen Bekennermutes zu einer Zeit, da die Macht über Leben und Tod in den Händen einer Regierung lag, die den Deutschen nicht wohlwollte, die sie bedrückte, bedrängte, peinigte, verfolgte und ihnen jede Ruhe des äußerlichen Lebens und des Herzens nahm. Selbst Pirro, der seit Wochen schwer krank war, war erschienen, wenn er auch selbst nicht reden konnte.

Wie erbärmlich war aber die Gegenkundgebung der Status-quo-Front! Matz Braun hatte auf 50 000 gerechnet, kaum 20 000 waren gekommen, darunter viele Tausende lothringischer Kommunisten und Sozialdemokraten, die von jenseits der Grenzen eingedrungen waren.

Am 6. Januar 1935 hatte morgens um ½9 Uhr bereits die Saarabstimmung begonnen, an der sich die Polizeibeamten und Landjäger beteiligen mußten, da sie am Wahltage dienstlich verhindert waren. Auch anderen Gruppen von Personen war die Abstimmung freigestellt, z. B. Landräten und Bürgermeistern, Beamten, Angestellten und Arbeitern der Eisenbahn, der Straßenbahnen, der Kraftomnibuslinien, des Post-, Telegraphen- und Fernsprechwesens sowie dem Personal der Kran- [396] kenhäuser und Gefängnisse. Allerdings war die Beteiligung sehr schwach, in Saarbrücken wurden 200 Stimmen abgegeben. Das Volk mißtraute dem Verfahren der Abstimmungskommission und wollte lieber am 13. Januar abstimmen.

Jedoch diente der 6. Januar den Saardeutschen dazu, um praktisch die Methoden und Schikanen der Abstimmungskommission kennenzulernen. In Beckingen und Mettlach wurden von 32 Stimmen fünf für ungültig erklärt, weil die Stimmberechtigten entgegen den Bestimmungen ihrer politischen Meinung Ausdruck gegeben hätten. Hierzu genügte bereits das Erheben der Hand zum deutschen Gruße. Einem alten, kranken Mütterchen, das bettlägerig war und nur mit fremder Hilfe abstimmen konnte, wurde die Stimme für ungültig erklärt, weil die Frau im Wahllokal geäußert habe, sie sei deutsch geboren und wolle auch deutsch sterben. –

Noch einmal, am 9. Januar, hielt Gauleiter Bürckel in Kaiserslautern vor einer gewaltigen Volksversammlung Abrechnung mit den Emigranten und Bonzen und Nutznießern der Status quo-Front: wer Status quo wähle, der wähle Frankreich, und zugleich bot er die Versöhnung all den Volksgenossen, die aus Unkenntnis, von den Emigranten verführt, in der Front der Gegner Deutschlands stünden. Es waren viele von solchen anwesend, und am Schlusse seiner Rede wechselte Bürckel im Namen von Führer und Volk symbolisch den Händedruck mit den anwesenden Vertretern der vom Status quo verratenen Arbeiter. – Der Erfolg des 6. und des 9. Januar war, daß wenige Tage vor der Abstimmung noch Tausende ehemaliger Status quo-Anhänger in die Deutsche Front eintraten.

Vom 10. Januar ab trat Ruhe ein. Die Regierungskommission hatte ein Versammlungsverbot erlassen, so daß der Kampf um die Saar als beendet gelten konnte. Vom nächsten Tage ab trafen die Züge mit den etwa 57 000 auswärtigen Abstimmungsberechtigten ein. Kein festlicher Empfang, keine begeisterte Menschenmenge, keine Fahnen, kein Schmuck – die Deutsche Front hatte sämtliche Demonstrationen untersagt, um Matz Braun, der mit Terror gedroht hatte, nicht noch im [397] letzten Augenblick die Möglichkeit zu geben, die Abstimmung zu vereiteln.

Am Vorabend der Abstimmung hatte das Saarland sein festliches Gewand angelegt. Girlanden von Tannengrün und endlose Lichterketten spannten sich über die Straßen – Fahnen waren ja verboten – und feierliches Glockengeläut klang durch die Nacht. Vom Reiche her leuchteten Hunderte gewaltiger Höhenfeuer nach Saardeutschland hinüber, und das wuchtige Lied der Glocken schwebte von den Türmen der Kirchen des Rheinlandes in die Herzen jenes Sturmtrupps der Fünfhunderttausend, die am folgenden Tage vor Gott und Deutschland Zeugnis ablegen sollten.

Der 13. Januar wurde der Tag des Sieges und der Freiheit. Um ½9 Uhr wurden die 860 Wahllokale eröffnet. Die Menschen strömten in den Ort, wo sie 1919 wohnten, um dort ihre Stimme zu geben. Ganze Familien wurden hierdurch auseinandergerissen, gar mancher mußte acht, neun Kilometer durch tiefen Schnee wandern, um in sein Abstimmungslokal zu kommen. Die Abstimmung vollzog sich in größter Disziplin, völlig lautlos. "Erstes Gebot: Maul halten!" Kein Gruß, kein Wort – nichts. So verlief die Abstimmung ohne nennenswerten Zwischenfall. Einige geringfügige Zusammenstöße wurden von Kommunisten provoziert und blieben ohne jede Folgen, da sie schnell unterdrückt wurden. Die fremden Truppen hielten sich überall zurück. In Saarlouis standen zwei Lastautos mit Italiern, in St. Wendel standen zwei englische Panzerwagen. Um 20 Uhr wurde die Abstimmung geschlossen: 98 Prozent hatten ihre Stimme abgegeben! Die Schlitze der Wahlurnen wurden versiegelt und unter starker militärischer Bewachung in das Lokal "Wartburg" in Saarbrücken gebracht. Zur gleichen Stunde begannen die Sonderzüge mit der Rückbeförderung der auswärtigen Abstimmungsberechtigten.

Kurz nach Mitternacht telegraphierte der Präsident der Abstimmungskommission, Rodhe, an den Generalsekretär des Völkerbundes:

      "Die Abstimmung hat sich in völliger Ruhe vollzogen. Die Bevölkerung hat den Beweis der Disziplin und Würde erbracht. Der Transport der Urnen nach Saarbrücken unter militärischer oder polizeilicher Bedeckung hat [398] sich in normaler Weise vollzogen. Falls nicht Ergänzungstelegramm noch kommt, hat sich alles programmäßig abgespielt."

Abstimmungssieg
  Saardeutschlands  

8.

Die Zählung der Stimmzettel erfolgte am 14. Januar nachmittags 5 Uhr in der "Wartburg" zu Saarbrücken. Es dauerte fast 3 Stunden, ehe die Zähler auf die erste für Frankreich abgegebene Stimme stießen! Am nächsten Morgen um 8 Uhr verkündete Rodhe durch den Rundfunk der Welt den unvergleichlichen deutschen Sieg. Von den 539 541 Abstimmungsberechtigten hatten 528 005 ihre Stimme abgegeben, und zwar 477 119 für Deutschland, 46 513 für den Status quo, 2124 für Frankreich. 2249 waren für ungültig erklärt worden.

Verkündung des Saarabstimmungsergebnisses.
[Bd. 8 S. 320a]      Verkündung des Saarabstimmungsergebnisses durch Rodhe, 15. Januar 1935.
Photo Scherl.

Den Augenblicken höchster Spannung folgte das Aufbrausen unbeschreiblichen Jubels. Der 15. Januar wurde ein großartiger völkischer Feiertag für ganz Deutschland, eingeschlossen das Saargebiet, das nun wieder in der Gemeinschaft des großen Volkes war. Von Neustadt aus richtete Gauleiter Bürckel folgende Ansprache durch Rundfunk an den Führer:

      "Mein Führer! Wir stehen alle im Banne des welthistorischen Augenblicks, da ein Volk seine eigene Sprache spricht. 528 000 Deutsche haben ihre gültige Stimme in die Waagschale der Geschichte gelegt. Davon haben sich 90,5 v. H. aller gültigen Stimmen zu ihrem Vaterlande bekannt. So ist diese Sprache ehern und eindeutig, weil sie das Echo des Gesetzgebers selbst ist.
      Die Welt mag sie verstehen, diese Sprache in ihrer Klarheit und Eindringlichkeit. Sie hallt über die Grenzen und möchte einen tausendjährigen Kampf als endgültig beendet erklären und aller Welt verkünden: 'Der Rhein ist Deutschlands Strom und nicht Deutschlands Grenze!'
      Zwei Nachbarreiche aber wollen zur Ruhe kommen, um in Ehren dem Frieden der Welt zu dienen. – Mein Führer, in tiefster Ergriffenheit darf ich die Deutschen von der Saar an den Altar unserer Einheit und Schicksalsgemeinschaft führen. Dieses Volk hat die Prüfung bestanden und damit zugleich ein [399] Bekenntnis abgelegt zum neuen Deutschland der Kraft, der Treue und der Ehre! Dieses Bekenntnis ist geadelt durch die Jahre nationaler, seelischer und wirtschaftlicher Not. Dazu versuchte internationaler politischer Haß alles Undeutsche zu organisieren gegen das eigene Vaterland. Das Volk blieb stark und voll Inbrunst und Liebe bei Volk und Heimat.
      Erschütternd sind die Zeugnisse deutscher Treue vom 13. Januar. Eine Frau sank in einem Wahllokal tot zusammen. Sie durfte sich zu ihrem Deutschland bekennen. Dieses Glück brach ihr das Herz. Eine andere Mutter starb vor Erregung, noch bevor sie die Wahlzelle erreichte. Ein 92jähriger marschierte 18 Kilometer weit auf vereister Straße, um seine deutsche Pflicht zu erfüllen. Ein nahezu 80jähriger lehnte es ab, sich zur Wahlurne fahren zu lassen und sagte: "Ich habe beim Gardegrenadierregiment Nr. 1 gedient." Er wollte zu Fuß dabei sein, wenn die abgesprengte Kompanie "Saar" sich durchschlägt zum Heimatregiment "Deutschland". Aus China kommt eine saardeutsche Mutter, sie ist 16 Tage unterwegs aus Sibirien, wo ihr Zug zwei Tage im Schnee und Eis steckenbleibt. Sie will heim und dabei sein, wenn ihre Heimat der Welt die Frage nach dem deutschen Charakter beantwortet. In einem kleinen Ort bei Saarbrücken ringen zwei Menschen mit dem Tode. Das Herz wäre ihnen gebrochen, hätte man sie nicht auf der Tragbahre an die Wahlurne gebracht, wo sie unter Tränen – vielleicht ihre letzte Pflicht erfüllten.
      Einem alten Mütterchen fällt bei der Übergabe des Stimmscheines dieser aus den zitternden Händen. Der Vorsitzende erklärt die Stimme für ungültig. Das Mütterchen aber erklärt schmerzlich weinend, daß sie im Kriege zwei Söhne verloren habe und nun noch um die Stimme komme, die doch diesen beiden gehöre.
      Das, mein Führer, sind die von der Saar!
      Ihre Sehnsucht ist Deutschland!
      Ihr Glaube ist Deutschland!
      Ihre Treue ist Deutschland!
      Adolf Hitler, sei Du ihr Schirmherr.
      Denn Du bist ja Deutschland!
      Unser Deutschland!"

[400] Adolf Hitler antwortete:

      "Deutsche! Ein 15ähriges Unrecht geht seinem Ende entgegen! Das Leid, das man so vielen Hunderttausenden von Volksgenossen an der Saar in dieser Zeit zugefügt hat, war das Leid der deutschen Nation! Die Freude über die Rückkehr unserer Volksgenossen ist die Freude des ganzen Deutschen Reiches. Das Schicksal hat es gewollt, daß nicht überlegene Vernunft diesen ebenso sinnlosen wie traurigen Zustand beendete, sondern der Buchstabe eines Vertrages, der der Welt den Frieden zu bringen versprach und doch nur endloses Leid und ununterbrochenes Zerwürfnis zur Folge hatte. Um so größer ist unser Stolz, daß nach 15jähriger Vergewaltigung die Stimme des Blutes am 13. Januar 1935 ihr machtvollstes Bekenntnis aussprach!
      Wir wissen es alle, meine lieben Volksgenossen und Genossinnen von der Saar: Wenn heute in wenigen Stunden im ganzen Deutschen Reich die Glocken läuten werden, um dadurch äußerlich die uns erfüllende stolze Freude zu bekunden, dann verdanken wir dies Euch Deutschen an der Saar, Eurer durch nichts zu erschütternden Treue, Eurer Opfergeduld und Beharrlichkeit, genau sowie Eurer Tapferkeit. Weder Gewalt noch Verführung hat Euch wankend gemacht im Bekenntnis, daß Ihr Deutsche seid, wie Ihr es stets gewesen und wir alle es sind und bleiben werden! So spreche ich Euch denn als des deutschen Volkes Führer und des Reiches Kanzler im Namen aller Deutschen, deren Sprecher ich in diesem Augenblicke bin, den Dank der Nation aus und versichere Euch des Glückes, das uns in dieser Stunde bewegt, da Ihr nun wieder bei uns sein werdet als Söhne unseres Volkes und Bürger des neuen Deutschen Reiches.
      Es ist ein stolzes Gefühl, von der Vorsehung zum Repräsentanten einer Nation bestimmt zu sein. In diesen Tagen und in den kommenden Wochen, da seid Ihr, meine Deutschen von der Saar, die Repräsentanten des deutschen Volkes und des Deutschen Reiches. Ich weiß, Ihr werdet so wie in der Vergangenheit unter den schwersten Umständen auch in den kommenden Wochen glücklichster Siegesfreude nicht vergessen, daß es der heißeste Wunsch mancher wäre, noch nachträglich [401] an Eurer Rückkehr in die große Heimat einen Makel feststellen zu können. Haltet daher auch jetzt höchste Disziplin!
      Das deutsche Volk wird Euch dafür um so mehr danken, als durch Euer Einstehen eine der am schwersten tragbaren Spannungen in Europa beseitigt wird: Denn wir alle wollen an diesem Akt des 13. Januar einen ersten und entscheidenden Schritt sehen auf dem Wege einer allmählichen Aussöhnung, jener, die vor 20 Jahren durch Verhängnisse und menschliche Unzulänglichkeiten in dem furchtbaren und unfruchtbarsten Kampf aller Zeiten getaumelt sind. Eure Entscheidung, deutsche Volksgenossen von der Saar, gibt mir heute die Möglichkeit, als unseren opfervollen geschichtlichen Beitrag zu der so notwendigen Befriedigung Europas die Erklärung abzugeben, daß nach dem Vollzug Eurer Rückkehr das Deutsche Reich keine territorialen Forderungen an Frankreich mehr stellen wird! Ich glaube, daß wir damit auch den Mächten gegenüber unsere Anerkennung ausdrücken für die im Verein mit Frankreich und uns getroffene loyale Ansetzung dieser Wahl und ihrer im weiteren Verlauf ermöglichten Durchführung.
      Unser aller Wunsch ist es, daß dieses deutsche Ende eines so traurigen Unrechts zu einer höheren Befriedung der europäischen Menschheit beitragen möge. Denn: So groß und unbedingt unsere Entschlossenheit ist, Deutschland die Gleichberechtigung zu erringen und zu sichern, so sehr sind wir gewillt, uns dann nicht jenen Aufgaben zu entziehen, die zur Herstellung einer wahrhaften Solidarität der Nationen gegenüber den heutigen Gefahren und Nöten erforderlich sind. Ihr, meine deutschen Volksgenossen von der Saar, habt wesentlich dazu beigetragen, die Erkenntnis über die unlösliche Gemeinschaft unseres Volkes und damit über den inneren und äußeren Wert der deutschen Nation und des heutigen Reiches zu vertiefen.
      Deutschland dankt Euch hierfür aus Millionen übervoller Herzen! Seid gegrüßt in unserer gemeinsamen, teuren Heimat, in unserem einigen Deutschen Reich!"

Saar-Rückgliederungsfeier in Berlin vor dem Reichstag.
[Bd. 8 S. 320b]      Saar-Rückgliederungsfeier in Berlin vor dem Reichstag.      Photo Scherl.

Saarabstimmungsfeier in Berlin, 15. Januar 1935.
[Bd. 8 S. 336a]      Saarabstimmungsfeier in Berlin, 15. Januar 1935.      Photo Scherl.

Das ganze Reich, auch Saardeutschland, hatten sich in ein Meer von Hakenkreuzfahnen verwandelt, ungeheurer Jubel [402] hatte die Massen erfaßt, denn wie kaum ein Tag in der deutschen Geschichte war dieser 15. Januar ein Sieg deutscher Führertreue und deutschen Reichsglaubens. Es war die Persönlichkeit Adolf Hitlers, von der jene Macht des Vertrauens ausströmte, die sich in dem Ergebnis des 13. Januar 1935 sichtbar gestaltete. Zum zweiten Male war der Führer der Retter Europas vor dem Bolschewismus geworden. Die Kraft seiner Persönlichkeit hatte verhindert, daß unter dem Deckmantel des Status quo im Herzen Westeuropas sich eine Keimzelle des Bolschewismus entwickelte, die zu einem schwärenden Aussatz an der Kultur Europas geworden wäre. So steht, im völkischen Kampfe Adolf Hitlers gegen den international-jüdischen Marxismus, der 13. Januar 1935 gleichberechtigt neben dem 30. Januar 1933: der letzte Schlupfwinkel Deutschlands, in den sich die volkszerstörenden Kräfte geflüchtet hatten, war der neuen großen Epoche erschlossen!

Saarabstimmungsfeier in Saarbrücken.
[Bd. 8 S. 384a] 
Saarabstimmungsfeier in Saarbrücken.
Photo Scherl.
Saarabstimmungsfeier in Berlin.
[Bd. 8 S. 384a] 
Saarabstimmungsfeier in Berlin.
Photo Scherl.

Hindenburgturm an der französischen Saargrenze vor der Abstimmung.
[Bd. 8 S. 288a]      Der Hindenburgturm
an der französischen Saargrenze
vor der Abstimmung.
      Photo Scherl.
Abstimmungssieg in Saarbrücken.
[Bd. 8 S. 288a] 
Abstimmungssieg in Saarbrücken.
Photo Scherl.

Das Ausland bewunderte die Disziplin der Saardeutschen bei der Abstimmung. In England gab es nur eine Stimme: unverzügliche Rückgliederung des Saarlandes ans Reich. Alle Welt fühlte und erkannte, daß das Saarergebnis vor allen Völkern das Siegel auf die Zeitenwende in Deutschland war.

Was machten nun aber die Emigranten? Tausende dieses erbärmlichen Gelichters kamen jetzt erst zum Bewußtsein ihres Ausgestoßenseins, da sich auch Frankreich von ihnen absonderte. Seit dem Mittag des 13. Januar hatte Frankreich, wie auch Holland und die Schweiz, eine scharfe Grenzkontrolle angeordnet, die den freien Übertritt dieses Auswurfs außerordentlich erschwerte. Man wollte die Flüchtlinge in Saargemünd sammeln und über Rohrbach in ein Lager nach Bitsch bringen, von da nach Toulouse, wo für 5000 Menschen Platz sei. Man erwog in Paris die Errichtung eines sechsten Fremdenlegionärregimentes, um den Emigranten Gelegenheit zu geben, Frankreich auch weiterhin treu zu dienen! Matz Braun wetterte, die Abstimmung sei vom "Terror" der Deutschen Front beeinflußt worden, die Völkerbundsinstanzen hätten das Militär einsetzen müssen, sie hätten versagt, und darüber werde er sich beim Völkerbund beschweren. Seine letzten Hoffnungen setzte er auf den Belagerungszustand, [403] dessen Verhängung er bewirken wollte. Bis zu welcher Unverschämtheit sich das Gesindel verstieg, beweisen die Absichten der Emigranten Machts, Grumbach, Gericke, Christ. Machts hatte ein Sonderkommando von 120 Polizisten angeworben, von denen 90 Emigranten waren. Am Montag des 14. Januar wurden von dieser Seite Flugblätter verteilt, die zur Bildung eines separatistischen "Ordnungsdienstes" aufforderten. Machts wollte die Separatisten bewaffnen und in der kommenden Nacht einen Putsch machen. Aber der Polizeidirektor, der englische Major Hennessy, erfuhr am Abend die Sache, untersuchte sie sofort und ließ sechs Emigrantenpolizisten verhaften. Die Emigranten mußten erkennen, daß ihr Spiel verloren war. Matz Braun, Hoffmann und der Kommunist Pfördl flohen nach Paris.

Rückgliederungsfeier, 1. März 1935 in Saarbrücken.
[Bd. 8 S. 368b]
Rückgliederungsfeier,
1. März 1935 in Saarbrücken.

Photo Scherl.
Nun hatte der Völkerbundsrat zu sprechen. Alle Mitglieder waren sich einig, daß das deutsche Saarland ungeteilt zum Reiche zurückkehren müsse. So beschloß der Rat in den Abendstunden des 17. Januar, daß das Saargebiet am 1. März 1935 ungeteilt mit Deutschland wieder vereinigt werden solle. Auch Laval stimmte dafür. Doch trat er dafür ein, daß den Flüchtlingen Schutz gewährt werden solle, denn das Problem der Saarflüchtlinge habe und behalte internationalen Charakter. Aus Gründen der Menschlichkeit habe Frankreich den aus dem Saargebiet kommenden Flüchtlingen den Zutritt zu seinem Gebiete nicht versagt. Laval reichte über dieses Thema dem Völkerbundsrat eine besondere Denkschrift ein. Auch Matz Braun, Hoffmann und Pfördl verlangten vom Völkerbund Schutz, sie forderten einen Zufluchtsort und sogar Pensionen! Der Völkerbundsrat nahm die französische Flüchtlingsdenkschrift zur Kenntnis und vertagte die Entscheidung auf den Mai.

Der Dreierausschuß des Völkerbundes hatte die letzte Aufgabe zugewiesen bekommen: die Maßnahmen zu treffen, welche die Überführung des Saargebietes an Deutschland nötig machte. Im Monat Februar wurde auch dies in Neapel getan. Im gleichen Monat verließen die internationalen Truppen das Gebiet. Bedeutsam wurde die Mitternachtsstunde zwischen dem 17. und 18. Februar 1935. Um diese Zeit verschwand der [404] Frank als Landeswährung und machte der deutschen Reichsmark Platz, um diese Stunde fielen auch, nach 16 Jahren, die unnatürlichen Zollschranken zwischen dem Reiche und Saardeutschland.

Schwarze Fahne der NSKOV., Saargebiet, im Ehrenmal. Berlin, 25. Januar 1935.
[Bd. 8 S. 336b]      Schwarze Fahne der NSKOV. (Saargebiet) im Ehrenmal.
Berlin, 25. Januar 1935.
      Photo Scherl.
[Scriptorium merkt an: NSKOV - Nationalsozialistische Kriegsopferversorgung, eine NS-Wohlfahrtseinrichtung
für Schwerkriegsbeschädigte und Frontsoldaten des Ersten Weltkriegs.]

Am Nachmittag des 28. Februar 1935 übergab Knox die Regierungsgewalt im Saargebiet an den Vorsitzenden des Dreierausschusses des Völkerbundes, Baron Aloisi. Dieser selbst erstattete am Vormittag des 1. März um 10 Uhr das Land an Dr. Frick zurück. Während des feierlichen Vorganges zogen die Franzosen in aller Stille die Trikolore ein.

Übergabe des Saargebietes an das Reich, 1. März 1935.
[Bd. 8 S. 384b]      Übergabe des Saargebietes an das Reich, 1. März 1935.      Photo Scherl.

Frick setzte den verdienten Gauleiter Bürckel als Reichskommissar für das Saargebiet ein. War die Stimmung des allezeit gut deutschen Volkes feierlich froh, als überall, auf dem Ständehause, auf anderen öffentlichen Gebäuden und auf der ehemals französischen Grubenverwaltung die deutschen Fahnen unter Glockengeläut emporstiegen, steigerte sie sich zu jubelnder Begeisterung, als in festem Gleichschritt und mit wehenden Hakenkreuzfahnen die braunen SA.- und die schwarzen SS.-Bataillone in das nun freie Saarbrücken einzogen, so erreichte sie ihren gewaltigsten Höhepunkt, als unerwartet gegen 13 Uhr der Führer selbst in Saarbrücken eintraf. Keine Polizei und SA. war imstande, die immer wieder in leidenschaftlichem Jubel an den Wagen des Führers herandrängende ungeheure Menschenmenge zurückzuhalten oder zurückzudrängen.

Der Führer am 1. März 1935 in Saarbrücken.
[Bd. 8 S. 368a]      Der Führer am 1. März 1935 in Saarbrücken.      Photo Scherl.

Das Erscheinen Adolf Hitlers brachte den Saardeutschen erst recht ihre wiedergewonnene Freiheit zum Bewußtsein. Dieser 1. März 1935 war einer der erhebendsten Feiertage des deutschen Volkes, zeigte er doch am Schicksal des Saarlandes gleichsam symbolisch das Schicksal der ganzen Nation. Zum Unterpfande des neuen Reichsglaubens an der Saar und ihrer Verbundenheit mit dem deutschen Volke wurde unmittelbar nach dem ersten März aus den Reihen der Deutschen Front im Saargebiet die unter Völkerbundsherrschaft verbotene NSDAP. neu aufgebaut.



Geschichte unserer Zeit
Dr. Karl Siegmar Baron von Galéra