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Die gestörte Friedhofsruhe

Bis vor kurzem schwieg die Welt über das Inferno im Osten. Allerdings haben in Westdeutschland, in Österreich und in der Schweiz einige tapfere Redakteure den Mut gehabt, in ihren Zeitungen das tschechische Grauen aufzuzeigen. Der Göttinger Arbeitskreis hat eine Reihe von Schriften veröffentlicht, darunter Die Oder-Neisse-Linie. Im Detmolder Verlag Sudetenland-Heimatland erschien die Broschüre Das Sudetenproblem. Von Pater Reichenberger erschien in Düsseldorf Ostdeutsche Passion. Schriften von Wenzel Jaksch, Richard Reizner erschienen im Parteiverlag der SPD in München und im Verlag Das Volk in München. Literarisch behandelt wurde das Sudetenproblem in dem Roman Jenseits der Grenze von Herbert Schober in einem Salzburger Verlag, und Die Gefesselten von Erwin Ott im Burgberg-Verlag in Westdeutschland. In kurzem wird Dr. Heinrich Zinke eine [43] zusammenfassende Aufstellung des Grauens in den Sudeten veröffentlichen.

Sonst aber schwieg die Welt.

Erst in letzter Zeit erheben sich hie und da vereinzelte Rufer in der Wüste, um die Friedhofsruhe dieser menschlichen Tragödie zu durchbrechen. 1946 schrieben bekannte amerikanische Professoren, Geistliche, Gewerkschaftsführer und Schriftsteller unter dem Titel A Tragedy of a People (Die Tragödie eines Volkes) und befaßten sich mit der Austreibung der Sudetendeutschen. Die Schrift ist unterschrieben von: Roger N. Balwin, Charles Upson Clark, George Creel, John Dewey, Christopher Emmet, Varian Fry, John Haynes Holmes, Sidney Hock, Robert M. McIver, Liston Oak, A. Philipp Randolph, David da Sola Pool, Mark Starr, Norman Thomas, Oswald Carrison Villard, Robert J. Watt, Michael Williams, Matthew Woll und L. Hollinworth Wood. Es heißt in ihr:

"Bloßer Protest ist nicht genug, er kann sich auch nicht auf die tschechoslowakische Deportation beschränken, wir müssen an die Regierungen appellieren, sie mögen jede Unze ihrer diplomatischen und ökonomischen Macht daransetzen, Zwangsvertreibungen zu verhindern, wo immer sie vorkommen, weil sie nicht nur unsere eigenen Überlieferungen bedrohen, sondern auch jede Hoffnung auf eine geeinte Welt."

An einer anderen Stelle heißt es:

"Ende August kam ein Transport Deutscher in Berlin an. Er kam von Troppau und war 18 Tage unterwegs. 4200 Kinder und bejahrte Leute zählte man vor Abgang des Transportes aus Troppau, 1350 waren noch am Leben geblieben, als der Transport in Berlin ankam."

Der Leiter der Flüchtlingskommission im Ökumenischen Rat, der Engländer Elfan Rees, gab auf der Amsterdamer Weltkirchenkonferenz zur Frage der Verantwortung der Kirchen den deutschen Ostvertriebenen gegenüber vor etwa 150 Presse- und Rundfunkvertretern aus aller Welt eine Erklärung ab, in der er sagte, daß neben dem Problem der DPs nach 1945 das in seiner Auswirkung weit größere Problem der Ostdeutschen-Vertriebenen geschaffen wurde.

[44] Im amerikanischen Repräsentantenhaus erklärte am 20. Jänner 1948 der Abgeordnete Harold F. Jungblood:

"Die wahre Geschichte dieser Millionen von Ausgewiesenen ist, soviel ich weiß, noch nicht geschrieben. In der Tat ist vielmehr eine organisierte Bestrebung von bestimmten Gruppen ins Werk gesetzt, um sie von der amerikanischen Öffentlichkeit ferne zu halten. Diese Menschen wurden von ihren väterlichen Behausungen nur mit dem, was sie auf ihrem Rücken tragen konnten, binnen wenigen Stunden vertrieben. All das wurde mit der mehr oder weniger stillen Zustimmung der westlichen Demokratien durchgeführt... Unter diesen Ausgewiesenen sind schätzungsweise mindestens 3 Millionen Menschen, die außerhalb der Grenzen des Reiches von 1938 lebten. Diese Menschen waren dort seit Hunderten von Jahren ansässig, sie waren arbeitsame, praktische und oft erfolgreiche Menschen, was sehr wohl die Hauptursache für ihre Vertreibung gewesen sein mag."

O. K. Armstrong schreibt 1948 in Reader's Digest:

"Zwei Gruppen verschärfen alle sozialen und wirtschaftlichen Probleme in Deutschland: ca. 700.000 verschleppte Personen, die nicht heimkehren wollen, und die 12 Millionen Ausgewiesenen, Opfer des unglaublich tragischen Dokumentes von Potsdam und der größten Massenentwurzelung einer Bevölkerung in der Geschichte."

Der Sekretär des nationalen Rates zur Verhinderung des Krieges, James Finuncane, erklärte am 15. Juli 1948 vor dem Senatsausschuß für Rechtsfragen:

"Es muß auch etwas für die Volksdeutschen geschehen. Sie wurden am Ende des Krieges in einer so grausamen und widersinnigen Massenausweisung hinausgeworfen, wie sie die Geschichte bisher nicht gesehen hat. Sie wurden im Grunde nur als kriminell verfolgt, weil sie deutscher Abstammung waren. Ob sie jung oder alt, gut oder böse, loyal oder illoyal waren, hatte wenig oder gar keinen Einfluß auf ihr Schicksal. Mit der gleichen unsinnigen Logik, mit der bei einem Pogrom die Juden verdammt wurden, weil sie Juden waren, wurden sie verdammt, weil sie Deutsche waren... Diese Millionen Volksdeutscher jetzt wie Aussätzige in Elend und Hilflosigkeit zu be- [45] lassen, bedeutet nicht nur, daß unseren eigenen Idealen von der Gerechtigkeit Unrecht widerfährt, es ist auch die Saat eines zweiten Krieges.

Nur wenige heutige Amerikaner sind für diese Menge Hilfloser eingetreten, weil die Volksdeutschen weder Amerikaner noch Juden sind. Keine einflußreichen Gruppen haben an die Tür des Kongresses geklopft oder haben ganzseitige Aufrufe für diese Armen in der Presse veröffentlicht. Statt dessen herrscht ein diskretes, unmenschliches Schweigen. Selbst einige der größten Menschenfreunde drücken sich ängstlich, aus Furcht, als Faschisten beschimpft zu werden und sich damit dem alten Vorwurf auszusetzen, wenn sie es wagen sollten, für die Grundrechte des menschlichen Anstandes einzutreten."

In der New Yorker Staatszeitung stellt am 8. September 1946 Friedrich Stampfer unter dem Titel "Die Sudeten-Tragödie" fest:

"Was sich in dieser Zeit im deutschen Sprachgebiet der Tschechoslowakischen Republik abspielt, ist eine Tragödie nicht nur des deutschen, sondern auch des tschechischen Volkes. Wir sehen dreieinhalb Millionen Deutsche ihrer Menschenrechte beraubt, einer Behandlung unterworfen, bei deren Anblick jedes menschlich fühlende Herz vor Entsetzen erstarren muß..."

Die sudetendeutschen Sozialdemokraten trafen sich am 1. und 2. Mai 1948 in London und nahmen zu dem Problem der Sudetendeutschen wie folgt Stellung:

"Wie wir bereits kurz berichteten, tagte am 1. und 2. Mai in London die Englandgruppe der sudetendeutschen Sozialdemokraten.

Über den Inhalt dieser Tagung wird ein Flugblatt verbreitet, welches wir - ohne Gewähr für seine Richtigkeit - im folgenden auszugsweise wiedergeben:

Über organisatorische Fragen referierten der egerländische Abgeordnete Katz und der ostböhmische Gewerkschaftler Rambauske. Es wurde volle Übereinstimmung darüber erzielt, daß die Auslandsorganisationen der sudetendeutschen Sozialdemokraten in England, Skandinavien und in den überseeischen Ländern für eine gerechte Lösung des Sudetenproblems weiterwirken sollen. Dabei [46] würde ein spezielles Augenmerk der traurigen Lage von hunderttausenden Sudetenarbeitern zuzuwenden sein, die in der Benesch-Gottwald-Republik als Sklavenarbeiter ohne Bürger- und Menschenrechte zurückbehalten wurden. Der American Federation of Labor, welche die Aufmerksamkeit der Vereinten Nationen auf das furchtbare Los dieser Menschen gelenkt hat, wurde der Dank für diesen Solidaritätsakt ausgedrückt. Die Konferenz nahm mit Genugtuung zur Kenntnis, daß der Antrag der A. F. of L. gegen die Sklavenarbeit in der Tschechoslowakei endlich in der Juli-Tagung der sozialwirtschaftlichen Kommission der Vereinten Nationen verhandelt werden wird und daß bei den diesbezüglichen Beratungen in Genf Zeugen aus den Kreisen der Betroffenen geführt werden können.

Die Februarereignisse in Prag kommentierend, erklärte Wenzel Jaksch, sie seien das logische Ergebnis der tschechischen Austreibungspolitik. Dr. Benesch und die Partei der tschechischen Nationalsozialisten glaubten dabei, den politischen Radikalismus der Kommunisten durch die Ungeheuerlichkeiten ihrer Austreibungspolitik übertrumpfen zu können. Heute rechnen die antikommunistischen Tschechen auf Befreiung durch Krieg. Sie sollten aber Stalin nicht mit Kaiser Franz Josef verwechseln! Eine zweimal ohne Kampf aufgegebene Freiheit wird den Tschechen ein drittes Mal nicht mühelos in den Schoß fallen.

Was das Verhältnis der sudetendeutschen Sozialdemokraten zur tschechischen Neu-Emigration anbelangt, erklärte Jaksch, daß mit Leuten kein Paktieren möglich sei, die an den Austreibungsverbrechen teilgenommen haben. Ebenso entschieden lehnen wir aber die Belastung des tschechischen Volkes mit einer Kollektivschuld ab, nachdem wir auch eine Kollektivschuld des deutschen Volkes für den Krieg und verschiedene verübte Verbrechen niemals anerkannt haben.

Politisch gesehen haben die Kräfte des demokratischen Sozialismus und des christlichen Humanismus, welche die Zukunft bestimmen werden, im tschechischen Lager am schlimmsten versagt. Wenn sich dort solche Kräfte neu [47] entwickeln sollten, dann müssen sie erkennen, daß ohne Restitution kein gesundes Verhältnis zu den Nachbarvölkern gefunden werden kann. Wir treten kompromißlos für die Restitution der Menschenrechte und der Eigentumsrechte in den böhmischen Ländern nach dem Stand vom Jahre 1938 ein. Wir verstehen unter Sozialismus Menschenrechte und Planwirtschaft. Auf Dieberei und Faustrecht kann der humanistische Sozialismus nicht begründet sein. Die Bestimmung der zukünftigen Rechts- und Wirtschaftsordnung wäre dann Sache frei gewählter Volksparlamente der Tschechen, Sudetendeutschen und Slowaken.

Zwischen diesen Zeiten und den heutigen Zuständen, so führte Jaksch weiter aus, werden noch Entwicklungen liegen, die von uns nicht beeinflußt werden können. Wir rechnen aber mit einer föderalistischen Neuordnung Europas und hoffen, daß innerhalb einer solchen Regelung auch die Solidarität der Donauvölker einen positiven Ausdruck finden wird.

Zum Programmpunkt "Botschaft an die schuldlos Vertriebenen" sprach der Karlsbader Abgeordnete Eugen de Witte. Er appellierte an die Vertriebenen, wo immer sie auch augenblicklich seien, die gute Tradition der alten Heimat aufrecht zu erhalten und stark zu bleiben in der Überzeugung, daß keine Wahrheit dauernd gebrochen werden kann, wenn die Opfer der Lüge und des Unrechts nicht selber willige Sklaven der Lügner und Diener der Rechtsbrecher werden. Auch er mahnte die Sudetendeutschen, nicht unsinnigen Rachegelüsten zu verfallen. Auch viele Tschechen schämen sich ihrer Beutemacher und erinneren sich des alten Erfahrungssatzes, daß in der Politik die größte Gemeinheit zugleich auch immer die größte Dummheit ist.

Das sudetendeutsche Volk ist dreimal innerhalb dreier Jahrzehnte fremden politischen Entscheidungen und fremden Irrtümern geopfert worden. Vieles kann nicht mehr gutgemacht werden. Unsere ermordeten Heimatgenossen können nicht dem Leben zurückgegeben werden. Alle anderen Werte aber sind ersetzbar. Und nach dieser Wiedergutmachung - nicht nach Rache - rufen wir.

[48] Wir werden nicht müde werden, in der freien Welt Ankläger der Unrechttuer zu sein. Wir - die ersten Vertriebenen, denen die Faschisten alles an materiellen Werten genommen haben - wir wollen das Sprachrohr der schuldlos Vertriebenen draußen in der freien Welt bleiben und einer wirklichen Befriedigung dienen.

Was wir in Erkenntnis der sudetendeutschen Geschichte und unseres Volkes fordern, sagten wir in unserer Schrift an die Potsdamer Mächte:

'...daß der Fall der Sudetendeutschen während der Friedenskonferenz neuerlich und unter Zuziehung frei gewählter Vertreter des Sudetenvolkes erwogen werde; daß diese neuerliche Behandlung das Problem des mit den Sudetendeutschen geborenen Heimatsrechtes im Sudetenland, ihre Heimstätten, ihr Eigentum und ihren zukünftigen Platz in einem friedlichen Europa umfasse; daß schließlich dem Frieden nur dann gedient werden könne, wenn die den Sudetendeutschen nach Kriegsende zugefügten Ungerechtigkeiten wieder gutgemacht würden.'

Abgeordneter de Witte schloß seine Ausführungen mit den Worten, die diese Schrift an die Siegermächte in Potsdam einleiteten: Es ist die feierliche Mahnung des großen Amerikaners Abraham Lincoln an alle, denen eine bedeutende Aufgabe gestellt ist:

Nichts ist endgültig geschlichtet,
es sei denn gerecht geschlichtet!
"



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Tschechische Eingeständnisse

Selbst die Tschechen legen Zeugnis ab für ihre eigenen Schandtaten. In der Zeitung Čas vom 22. Mai 1947 mußte der Justizminister Dr. Drtina selbst zugeben: "Bei den Volksgerichten werden viele nicht deshalb verurteilt, weil sie schuldig sind, sondern aus persönlicher Rachsucht, oder weil sie jemand ihres Eigentums berauben will!"

Am 8. Juni 1948 schreibt Čas unter anderem: "Man kann die Tatsache nicht verschweigen, daß Personen ohne [49] allen Grund ins KZ gesteckt wurden, ebenso Kranke und Arbeitsunfähige."

Laut Strafgesetz, § 145, muß jede Person, die eines Strafaktes verdächtigt wird, binnen 24 Stunden verhört werden und wenn unschuldig, auf freien Fuß gesetzt, wenn schuldig, innerhalb 48 Stunden ins Gefängnis überführt und verurteilt werden. Gegen die Deutschen, aber auch gegen die Ungarn und Slowaken wurde dieser § 145 in keinem Fall angewandt.

Die Zeitung Svobodné novini schreibt mit erstaunlicher Offenheit am 5. Dezember 1945: "Die Untersuchungsmethoden haben sich derart verändert, daß sie keinesfalls mit den bestehenden Gesetzen vereinbar sind, sie müßten entweder legalisiert werden, oder, wenn sie der Humanität nicht entsprechen, abgeschafft werden."

Die Zeitung Čas gibt am 20. Mai 1947 zu: "Wir haben Berichte über unmenschliche Behandlungen, Berichte von Prügeleien und Tötungen während der Untersuchungen."

Dr. Lettrich schrieb in Čas am 3. Juni 1945 wortwörtlich: "Alle Deutschen und Ungarn müssen aus unserem Land rücksichtslos vertrieben werden. Die Juden, die deutsch oder ungarisch sprechen und denken, müssen dieses Los teilen."


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