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I. Allgemeines

8. Das Deutschtum in den Kolonien seit dem Versailler Diktat

Das Versailler Diktat enthielt nicht nur Bestimmungen über Deutschlands überseeische Besitzungen, sondern auch über die Behandlung der in den Kolonien befindlichen Deutschen. Schon während des Krieges waren in einem großen Teil der deutschen Kolonien die Deutschen interniert oder des Landes verwiesen worden. Ihr Eigentum wurde beschlagnahmt. Die Behandlung, welche deutschen Volksgenossen in Westafrika von den Feinden zuteil wurde, bildet ein trübes Kapitel in der kolonialen Geschichte. In Dahomé wurden die dorthin überführten Deutschen einer unwürdigen und in vielen Fällen grausamen Behandlung unterworfen. Sie wurden in schmählichster Weise von Weißen und Farbigen behandelt und erst nach schärfsten Gegenmaßnahmen der deutschen Regierung nach Europa überführt. In Südwestafrika durften nach Abschluß der Kapitulation außer den aktiven Schutztruppenangehörigen alle Deutschen wieder ihren Berufen nachgehen, und früher internierte Zivilisten wurden freigelassen. Hier setzten erst nach Abschluß des [63] Waffenstillstandes im November 1918 Maßnahmen zur Vertreibung von Deutschen ein, während das Eigentum unangetastet blieb.

In Deutsch-Ostafrika wurden die Deutschen in den von den Engländern besetzten Gebieten teils nach Indien oder Ägypten gesandt und dort interniert, teils (hauptsächlich Frauen und Kinder) blieben sie in der Kolonie zurück. Die Belgier sandten aus dem von ihnen okkupierten nordwestlichen Teil bis einschließlich Tabora die Deutschen mit Frauen und Kindern über den Kongo nach der Westküste Afrikas, von wo sie nach Frankreich in Internierungslager überführt wurden. In Deutsch-Neuguinea konnten die deutschen Pflanzer zunächst ihre Arbeit fortführen. Hier erfolgte erst nach dem Versailler Diktat ihre Vertreibung und die Beschlagnahme ihres Eigentums. Von vornherein eine üble Behandlung erfuhren die Deutschen in Samoa. Sie wurden den ganzen Krieg hindurch in Neuseeland interniert gehalten, während die Kolonie unter der hoffnungslosen Mißwirtschaft der Neuseeländer zu leiden hatte.

Das Versailler Diktat traf nun Bestimmungen, welche jene Maßnahmen der Vertreibung Deutscher unter Wegnahme ihres Eigentums, die nicht nur in den deutschen Kolonien, sondern allenthalben in der Welt erfolgte, soweit der Machtbereich der Alliierten reichte, mit einem Schein des Rechts umgeben sollten. Es wurde die Beschlagnahme und Liquidation des deutschen Eigentums als den Alliierten zustehendes Recht erklärt. Die Pflicht zur Entschädigung für das auf diese Weise verlorengegangene Eigentum wurde dem Deutschen Reich auferlegt. Tatsächlich wurde aber durch die sonstigen Bestimmungen des Versailler Diktats und die auf Grund derselben erfolgenden Handlungen Deutschland außerstande gesetzt, diese Entschädigungen zu leisten. So kann das Vorgehen der Alliierten nur als die größte Plünderung bezeichnet werden, welche die Weltgeschichte kennt.

Es machten alle Mächte von dieser durch das Versailler Diktat gegebenen Befugnis Gebrauch mit alleiniger Ausnahme der Südafrikanischen Union, welche Südafrika im Kriege besetzt hatte und dann als Mandat erhielt. Aus Südwestafrika wurden zwar auch zahlreiche Deutsche vertrieben, aber ungefähr die Hälfte konnte im Lande bleiben und ihre Farmen bewirtschaften oder ihren sonstigen Berufen nachgehen. Eine Beschlagnahme und Liquidierung deutschen Eigentums erfolgte nicht. Aus allen anderen Kolonien aber wurden die Deutschen nicht nur vertrieben, sondern es wurde ihnen die Wiedereinreise und Niederlassung verboten. Ihr Eigentum wurde liquidiert, d. h. gewöhnlich im Auktionswege verschleudert [64] zu Preisen, die weit unter dem wirklichen Wert lagen. Die ihrer Existenz beraubten Kolonialdeutschen haben vom Deutschen Reich in den Nöten der Inflation so gut wie nichts erhalten und sehr Schweres durchmachen müssen. Erst Jahre später haben sie Entschädigungen erhalten, die aber, besonders bei den größeren Verlusten, nur Bruchteile des Verlorenen ersetzen konnten und weit hinter dem wirklichen Wert zurückstanden.

Eine Zeitlang schien es, als ob, abgesehen von Südwestafrika, alles Deutsche in den Kolonien restlos verloren und irgendwelche Wiederbetätigung unmöglich sei. Aber allmählich erkannten die Mächte, welche die Kolonien an sich gerissen hatten, daß die dauernde Fernhaltung der Deutschen ihren eigenen Interessen nicht entsprach. Die Einreiseverbote und sonstigen Diskriminierungen gegen Deutsche wurden rückgängig gemacht. Zuerst geschah das im englischen Teil von Kamerun.

Lage von Kamerun in Afrika.
Lage von Kamerun.
In dem unter englisches Mandat gelangten westlichen Teil von Kamerun, in welchem umfangreiche vor dem Kriege blühende deutsche Plantagen lagen, fanden sich überhaupt keine englischen oder sonstigen fremden Käufer, welche jene Pflanzungsgebiete zu übernehmen bereit gewesen wären. Da kam man in England auf den Gedanken, doch wieder die Deutschen zuzulassen, welche früher die Pflanzungen so ausgezeichnet entwickelt hatten. Es wurde 1924 gestattet, daß Deutsche gegen Bargeld die ihnen abgenommenen Pflanzungen wieder erwarben. So kamen einige der früheren Eigentümer, vor allem die große westafrikanische Pflanzungsgesellschaft "Viktoria" wieder in den Besitz ihrer Pflanzungen. Um deren Betrieb zu ermöglichen, wurde natürlich auch den Deutschen wieder die Einreise und Niederlassung gestattet. Deutsche Pflanzungsleiter und das sonstige deutsche Personal konnte wieder ihre Tätigkeit aufnehmen. Sie widmeten sich mit Hingabe dem Wiederaufbau der Pflanzungen, welche in der Zwischenzeit stark gelitten hatten. Dank der guten Stellung, welcher sich die Deutschen von jeher unter den Schwarzen erfreuten, konnten sie auch ohne Schwierigkeiten das nötige Arbeiterpersonal unter den Eingeborenen erlangen. Bedeutendes ist in den vergangenen Jahren in Kamerun geleistet worden. Wenn sich wirtschaftlich und finanziell die Ergebnisse leider nicht entsprechend günstig gestaltet haben, so liegt das an der Weltkrise, die zu einem nie dagewesenen Sturz der Preise vieler Produkte, darunter insbesondere der Hauptprodukte Kameruns, des Kakao, des Palmöl und der Palmkerne, geführt hat.

Lage von Deutsch-Ostafrika.
Lage von Deutsch-Ostafrika.
[65] Dem Beispiel von Kamerun folgten bald andere Kolonien. Auch in Ostafrika zeigte es sich, daß die Vertreibung der Deutschen keineswegs die etwa erhofften Vorteile für englische Staatsangehörige mit sich brachte. Im Gegenteil wurde bald klar, daß im Interesse der Fortentwicklung der Kolonie die Wiederzulassung Deutscher lag, die ja vor dem Kriege auch innerhalb des britischen Kolonialreichs stets als tüchtige, fleißige und loyale Kolonialpioniere geschätzt waren. So wurden 1926 wieder Deutsche im Tanganyika Territory, wie Deutsch-Ostafrika unter englischer Mandatsverwaltung genannt wird, zugelassen. Mit der Wiedererwerbung der den deutschen Besitzern weggenommenen Pflanzungen lag die Sache allerdings hier nicht so günstig, wie in dem englischen Teil von Kamerun. Die wertvollsten deutschen Pflanzungen waren im Wege der Auktion verkauft worden und auf diese Weise in Privatbesitz, zum beträchtlichen Teil von Indern, gekommen. Wenn die neuen Eigentümer überhaupt geneigt waren, solche Pflanzungen an Deutsche zu verkaufen, so waren die Forderungen vielfach sehr hoch. Andererseits aber verfügten die deutschen Firmen und Pflanzer ganz überwiegend nicht über die Kapitalien, die zum Wiedererwerb der großen Pflanzungsgebiete notwendig gewesen wären. So kam nur ein Bruchteil der früheren deutschen Pflanzungen in deutsches Eigentum zurück. Nach den in dem Mandatsgebiet geltenden Bestimmungen kann nur solches Land freies Eigentum werden, das bereits im Eigentum von Europäern gestanden hat. Das sonstige herrenlose oder im Besitz von Eingeborenen stehende Land kann nur auf 99 Jahre verpachtet werden. So kommt es, daß die Mehrzahl der wieder nach Ostafrika zurückgekehrten Deutschen nur Land pachten und nicht zu Eigentum erwerben konnten.

Auch in den übrigen Mandatsgebieten wurde allmählich die Einreise- und Niederlassungsbeschränkung für Deutsche zunächst gemildert und dann aufgehoben. Am längsten dauerte es in der Südsee, bis jene Beschränkungen wieder beseitigt waren. Größere Zahlen von Deutschen befinden sich bisher nur in Südwestafrika (gegenwärtig etwa 13 000 unter einer weißen Bevölkerung von etwa 32 000) und Ostafrika (gegenwärtig etwa 2500 unter einer weißen Bevölkerung, die 1931 im englischen Mandatsgebiet auf 8228 angegeben wurde). In den übrigen Mandatsgebieten ist die Zahl der Deutschen erheblich kleiner, verhältnismäßig am größten noch in dem australischen Mandatsgebiet Neuguinea, wo von 3100 Weißen im Jahre 1932 etwa 400 Deutsche waren. Weiteres über [66] die Lage der Deutschen in den Mandatsgebieten siehe bei den einzelnen Kolonien.






Die deutschen Kolonien vor, in und nach dem Weltkrieg
Dr. Heinrich Schnee, Gouverneur i. R.