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Vorrede

Unter den zahlreichen in deutsche Hand gelangten Dokumenten, die wichtige Aufschlüsse über die britische Politik der Vergangenheit und der Gegenwart geben, befindet sich auch ein umfassendes Werk über die britische Hungerblockade des Weltkrieges, dessen Titel folgendermaßen lautet:

A History of the Blockade of Germany and of the Countries associated with Her in the great war: Austria Hungary, Bulgaria and Turkey 1914-1918 by A. C. Bell, Historical Section, Committee of Imperial Defence.

Das Werk war nach einer vom 1. März 1937 datierten Einleitung des britischen Außenamts (Foreign Office) ursprünglich als ein Teil des britischen amtlichen Werks über die Naval Operations gedacht. Doch wurde später beschlossen, es gesondert vom Außenamt herauszugeben. Das in ihm verwandte Material ist von den Bibliotheken des Außenamts und des Ausschusses für Reichsverteidigung, dem die Herstellung der amtlichen Geschichte des Weltkrieges oblag, zusammengestellt worden. Beide Bibliotheken haben nicht nur das Material aufbereitet, sondern sie haben auch eine gemeinsame Verantwortung für das Werk übernommen und bei seiner Anfertigung eine allgemeine Aufsicht ausgeübt.

Die in dem Werk bearbeiteten Akten stammen aus den Archiven der mit der Durchführung der Blockade betrauten britischen Regierungsstellen, also vor allem aus den Archiven des Außenamts und in einem wesentlich geringeren Umfang der Admiralität. Da die Leitung der Blockade in den Händen des Außenamts lag, wo auch der später ernannte Blockademinister seinen Sitz nahm, so ist es nur natürlich, daß sich das wichtigste Material in den Archiven des Außenamts befand, die auch die Archive der für bestimmte Blockadezwecke geschaffenen Sonderbehörden umfaßten wie z. B. diejenigen des Banngutausschusses, der Abteilung für Kriegshandelsstatistik, der Abteilung für Beschränkung der Feindzufuhren und der Außenhandelsabteilung. Die schriftlichen Unterlagen sind durch mündliche Auskünfte der an der Ingangsetzung der Hungerblockade maßgebend beteiligten Beamten ergänzt worden. Der Rechtsberater (Legal Adviser) und der Bibliothekar und Archivverwalter (Librarian and Keeper of the Papers) des Außenamts haben das Werk, das im Manuskript der Admiralität vorgelegen hatte, vor der Drucklegung geprüft.

Es handelt sich hiernach zweifelsfrei, wie auch die Einleitung zum Ausdruck bringt, um eine "official history written from official archives". Wenn an anderer Stelle der Einleitung betont wird, daß der Verfasser "es für notwendig befunden hat, an gewissen Stellen seinen eigenen Ansichten [10] Ausdruck zu geben" und daß diese "seine persönliche Meinung darstellen, die nicht notwendigerweise vom Außenamt oder irgendeiner anderen Abteilung Seiner Majestät Regierung gutgeheißen wird", so wird dadurch an dem amtlichen Charakter des Werkes nichts geändert.

Das Werk, das ohne jede Einschränkung als eine wissenschaftliche Leistung von Rang bezeichnet werden kann, wurde bisher nicht veröffentlicht. Der der Einleitung vorangestellte Vermerk: "This history is confidential and for official use only, and must be kept under lock and key, it may not be shown to any person not in the service of His Majesty's Government without express permission from the Secretary of State for Foreign Affairs" zeigt, daß wir es nicht mit einer geheimen Staatsschrift im engsten Sinne des Wortes, sondern mit einer Schrift für den Dienstgebrauch zu tun haben, die der Schulung von Stabsoffizieren sowie von Beamten des diplomatischen Dienstes und ihrer Vorbereitung auf den von England schon damals geplanten zweiten Blockadekrieg gegen Deutschland dienen sollte. Das Werk ist hiernach einem relativ großen Personenkreis zugänglich gewesen. Dies hat naturgemäß dazu geführt, daß nur derjenige Akteninhalt, der bei mehrfacher Prüfung als unschädlich befunden wurde, aufgenommen worden ist. Eine vollständige Klarheit über die britische Blockadepolitik des Weltkrieges und die von ihr angewandten Mittel kann das Werk also nicht vermitteln. Dies um so weniger, weil es zweifellos auch die weitere Aufgabe hat, die in England vielfach angegriffene Politik des britischen Außenamts zu rechtfertigen.

Wenn somit das Werk den Schleier, der bis heute über den englischen Blockadepraktiken im Weltkrieg liegt, noch nicht vollständig lüftet, so ist es doch die bisher wichtigste Quelle für unsere Kenntnis von den Beweggründen, den Zielen sowie den Mitteln der englischen Hungerblockade. Es wird in Zukunft für alle unentbehrlich sein, die sich wie der Staatsmann, der Marineoffizier, der Geschichtsschreiber, der Volkswirt oder der Jurist mit dieser interessanten Phase der englischen Weltkriegspolitik beschäftigen wollen, deren Wesen eine von den europäischen Randneutralen, mit rühmlicher Ausnahme Schwedens, geduldete und gebilligte Verletzung ihrer Rechte auf Fortsetzung des friedlichen Handels mit Deutschland und den überseeischen Ländern sowie ein weitgehendes englisches Zusammenspiel mit den Leitern der Außenpolitik der Vereinigten Staaten ausmacht. Namentlich ergibt sich trotz der Versuche des Werkes, mit Hilfe aller erdenklichen Argumente die englische Seekriegsführung zu rechtfertigen, mit voller Deutlichkeit, daß die englischerseits zur Durchführung der Hungerblockade getroffenen Maßnahmen sowie die Mitarbeit der Neutralen daran1 völkerrechtswidrig waren.

[11] In den folgenden Ausführungen soll versucht werden, den wesentlichsten Inhalt des Werkes, das einen tiefen Einblick in die englische Seekriegsrechtsauffassung gibt, zusammenfassend darzustellen. Dabei werden, um jedes Mißverständnis zu vermeiden, die englischen Ansichten möglichst sinngemäß wiedergegeben. Auch wo aus Raummangel eine Übersetzung unmöglich war, lehnt sich die Darstellung eng an den englischen Text an. Sie enthält sich dabei jedes Werturteils und will lediglich ein Auszug des Werkes sein, dessen vollständige Übersetzung wegen seines gewaltigen Umfanges untunlich erscheint.

Die kritische Würdigung der in dem englischen Werk enthaltenen Rechtsausführungen und tatsächlichen Angaben ist in einer Einleitung erfolgt, die zugleich einen Überblick über die wichtigsten Ergebnisse für die historische Forschung und die Rechtswissenschaft geben soll. Nur in dieser Einleitung, nicht aber, um es noch einmal zu wiederholen, in der darauffolgenden Darstellung des englischen Werkes, hat der Bearbeiter Werturteile gefällt.

Seitenzahlen sind am Ende eines jeden Zitats vermerkt. Wenn sich ein Zitat über mehrere Seiten des Werkes erstreckt, so bezieht sich die Seitenangabe in der Mitte eines Zitats auf das Ende einer Seite des Werkes. In der Einleitung bezeichnen die in Klammern gesetzten Zahlen die Seitenzahl des Zitats in der nachfolgenden deutschen Bearbeitung. Hervorzuheben ist ferner, daß die Überschriften der Einzelabschnitte und Kapitel nicht den englischen Überschriften entsprechen, da die Kürzung der Gesamtdarstellung eine Zusammenziehung zahlreicher Kapitel des Werkes erforderlich gemacht hat.

Diese Arbeit enthält nur die erste Hälfte des englischen Werkes und stellt die Kriegsvorbereitungen sowie den Zeitabschnitt bis zum Herbst 1915 dar. Ein Urkundenanhang mit dem Text der in dieser Zeit erlassenen englischen Maritime Orders in Council, der Banngutlisten und der dem Werk beigefügten Tabelle über die Ausfuhrverbote, zu deren Aufrechterhaltung sich die Randneutralen in den Banngutabkommen verpflichteten, ist beigefügt, da er zum Verständnis des Werkes unerläßlich ist.



1Bruns, Der britische Wirtschaftskrieg und das geltende Seekriegsrecht, Berlin 1940, beweist in eingehenden Rechtsausführungen die Neutralitätswidrigkeit des Verhaltens der Randneutralen, d. h. der an Deutschland angrenzenden neutralen Staaten im gegenwärtigen Kriege. Das in dem vorliegenden Werk enthaltene Material bestätigt seine Schlußfolgerungen. Siehe auch Buehler, Ottmar, Neutralität, Blockade und Ubootkrieg in der Entwicklung des modernen Völkerrechts 1940; Grewe, Wilhelm, Der dritte Wirtschaftskrieg 1940; Stoedter, Rolf, Handelskontrolle im Seekrieg 1940. ...zurück...






Die englische Hungerblockade im Weltkrieg 1914-15.
Nach der amtlichen englischen Darstellung der Hungerblockade
von A. C. Bell.
Bearbeitet und eingeleitet durch Dr. Viktor Böhmert,
Professor an der Universität Kiel.