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Guderian - Revolutionär der Strategie.

Sieg im Westen

In einer Tiefe von insgesamt 160 km stoßen am 10. Mai 1940 drei deutsche Armeekorps in die bis dahin für Panzer als ungeeignet angesehenen Ardennen. Innerhalb von nur fünf Tagen ist die Hälfte der den deutschen Verbänden an Zahl und Gefechtstärke deutlich überlegenen französischen Panzertruppen ausgeschaltet. Während dieser ebenso gewagten wie blitzschnell durchgeführten Angriffsoperationen lernen alle Dienstgrade den ungeduldigen Guderian kennen und bewundern. "Der schnelle Heinz" kümmert sich um alle und jeden. Wie Macksey schreibt, "das Ergebnis war ein Gefühl unbedingten gegenseitigen Vertrauens, das die Voraussetzung für eine hervorragende Führung ist."

Immer wieder zeigt sich das wahre Führertalent Guderians besonders in bedenklichen Situationen. Paul Dierichs urteilt über ihn: "Die völlige Beherrschung der Lage und das Vertrauen auf Führung und Truppe verbreiten das Gefühl der militärischen Sicherheit und der persönlichen Ruhe. Es gibt in dieser Umgebung keine Aufregung und erst recht keine nervösen Augenblicke." Und wenn Guderian einer Einheit ein so weitgestecktes Tagesziel setzt, daß seinen Offizieren der Atem vergeht, so weiß er "in knappen, klaren Darlegungen die Notwendigkeit dieses Einsatzes klarzumachen. Er spricht in solchen Momenten faszinierend und überträgt seinen ungestümen Drang nach vorwärts auf seine weitere Umgebung."

Wie sehr die Meinungen der Frontkommandeure und der höheren Befehlsstellen oft auseinanderklafften, zeigt sich am 17. Mai, als v. Kleist den ihm unterstellten Guderian aufsucht und ihm vorwirft, durch sein allzuschnelles Vorrücken eine zu ausgedehnte Flanke geschaffen zu haben. Aber statt den Befehl, sein Eiltempo zu stoppen, einfach hinzunehmen, fordert Guderian aggressiv die sofortige Ablösung von seinem Kommando. Rundstedt befiehlt ihm jedoch zu bleiben und erlaubt ihm, "kampfkräftige Aufklärung" zu treiben, seinen Korpsgefechtsstand jedoch am alten Standort zu belassen. Liddell Hart ergötzt sich darüber, wie Guderian die Befehle seiner Oberen auf seine Weise interpretiert und diese "Aufklärung" offensiv vorwärts treibt. Er läßt ein Telefonkabel zur Befehlsübermittlung nach vorn legen, um es so seinen Vorgesetzten unmöglich zu machen, seine weiteren Befehle an die Angriffsspitzen abzuhören!

Auch Hitler, der sich am selben Tage bei v. Rundstedt eingefunden hatte, wollte sich lieber mit sicheren Erfolgen begnügen, als das Risiko eines Durchstoßes ohne Stopp zum Kanal einzugehen. Zweifellos sprach bei ihm seine Weltkriegserfahrung mit, als es der erstklassigen kaiserlichen Armee in 4½ Jahren nicht gelungen war, Franzosen und Engländer zu Boden zu ringen. Zum Glück für Guderian erweist sich diesmal Halder als unerwarteter Bundesgenosse. Halder, ungehalten über diese übertriebene Vorsicht, plädiert für die Fortsetzung des Vorstoßes zur Küste.

Am 20. Mai, gegen Abschluß des nach Liddell Hart "atemberaubenden Rennens zum Kanal", gelingt Guderians Korps als dramatischer Abschluß dieses Vorstoßes die weiteste Tagesleistung seiner Panzereinheit im ganzen Frankreichfeldzug: 90 km kämpfend vom Canal du Nord bis Abbeville! Den deutschen Panzerkräften steht es frei, entweder nach Süden oder nach Norden gegen Calais und Dünkirchen einzuschwenken. "Rennpferde machen", wie Fuller einmal schrieb, "an der Zielmarke nicht halt". Und Guderian hielt, so Macksey, "niemals ein galoppierendes Rennpferd zurück". Wären Guderian und Reinhardt am 21. Mai sofort weiter auf Boulogne und Calais vorgestoßen, so hätten sie diese so gut wie unverteidigten Hafenstädte im Handstreich nehmen können. Aber OKH und OKW waren von ihrem eigenen Erfolg so überrascht, daß es keine diesbezüglichen Pläne und Befehle gab.

Als Dünkirchen nur noch 25 km entfernt und reif zur Einnahme liegt, erfolgt der berühmte Halte-Befehl für die deutschen Voraustruppen. Es gibt verschiedene Erklärungen für diese - wie sich später zeigen sollte - unselige Entscheidung der deutschen Führung. Es ist keine abwegige Behauptung, daß Deutschland den Krieg nicht erst mit Stalingrad oder Kursk, sondern bereits in dem Augenblick verlor, als man dem englischen Heer erlaubte, fast in Gänze zu entkommen und damit den Grundstock für Englands Durchhalten und die spätere alliierte Invasion zu bilden. Nach Macksey's Meinung hatten Rundstedt und Kluge die Nerven verloren. Hitler soll unentschlossen gewesen sein, dann aber Görings großspurigen Vorschlag, seiner Luftwaffe die Ausschaltung der Hafenstadt zu überlassen, eifrig aufgegriffen haben.

Liddell Hart bringt dagegen eine andere Erklärung. Nach ihm - und seine Ansicht steht keineswegs allein - soll Hitler bewußt das britische Expeditionskorps entkommen lassen haben. Liddell Hart wörtlich: "Hitlers Eingriff rettete sie [die Engländer], als nichts sonst sie hätte retten können." An anderer Stelle zitiert er Blumentritt aus Rundstedts Stab, der Hitlers Gründe wie folgt wiedergibt: "Er wollte einen vernünftigen Frieden mit Frankreich schließen, dann würde der Weg frei sein zu einem Übereinkommen mit England. Und dann setzte er uns in Erstaunen, als er mit Bewunderung vom englischen Empire sprach, und von der Notwendigkeit seiner Existenz, und der Zivilisation, die England der Welt gebracht hatte... Er sagte, daß er von England nur wolle, daß es Deutschlands Stellung auf dem Kontinent anerkennen solle. Die Rückgabe der deutschen Kolonien sei zwar wünschenswert, aber nicht wesentlich, daß er sogar England seine Truppenhilfe anbieten würde, wenn es sie irgendwo benötigen würde." Er schloß mit den Worten, "daß es sein Ziel sei, einen Frieden mit England zu schließen, der seine Ehre wahren würde!" Und mit dieser fantastischen Einstellung (so darf bei nüchterner Beurteilung der durch Verschlagenheit und blindwütig-egoistische Raubkriege geprägten englischen Politik durch die Jahrhunderte festgestellt werden) wollte das deutsche Staatsoberhaupt einen Kampf gewinnen, in dem es für das deutsche Volk um Sein oder Nichtsein ging!

Guderian war sprachlos über den Haltebefehl. Auch Halder war entsetzt, aber beide wurden überstimmt. Görings Luftwaffe erfüllte nicht die so bombastisch von ihm ausgesprochenen Erwartungen. Ihr Eingreifen war kein Ersatz für eine Vernichtungsoffensive zu Lande. Briten und mit ihnen ein Teil der französischen Streitkräfte konnten dank einer von England glänzend improvisierten Rettungsaktion (und mit Hitlers Einwilligung) über den Kanal entkommen.

Auch im weiteren Verlauf des Frankreichfeldzuges, in dem er die "Panzergruppe Guderian" führt, kommt es zu wiederholten Auseinandersetzungen mit Vorgesetzten, die noch immer Ressentiments gegen seine vorwärtsstürmenden Panzer hegen. In einem Brief an seine Frau vom 15. Juni, ein Tag nach der Einnahme von Paris, schreibt er: "...der Kampf gegen die eigenen Oberen macht manchmal mehr Arbeit als der gegen die Franzosen... das Land ist in katastrophaler Verfassung... alles Vieh geht zugrunde..." Das aus diesem Brief sprechende Mitgefühl eines deutschen Generals steht in krassem Widerspruch zu den Mären von deutscher Brutalität. Es waren vielmehr unsere Gegner, die ihre Feldzüge und Flächenbombardements mit mitleidloser Grausamkeit gegen die Zivilbevölkerung führten. Die Vernichtung des Gegners war für Guderian, wie allgemein für den deutschen Soldaten, nicht wie bei unseren Feinden ein Ausfluß von Haß, sondern eher vergleichbar mit der sauber gelungenen Operation eines tüchtigen Chirurgen.

Am 22. Juni erfolgt der Waffenstillstand. Der Name Guderian ist jetzt in aller Munde. Eine dankbare Nation erklärt ihn zu ihrem Volkshelden. Seine Panzergruppe allein hatte in 13 Tagen 250.000 Gefangene gemacht. Doch es ist bezeichnend für Guderians Charakterfestigkeit, daß diese Erfolge ihn nicht überheblich machen.

Am 27. Juni trifft er mit Ritter von Epp, dem Beauftragten für deutsche Kolonialfragen, zusammen. Die beiden weitschauenden Männer erörtern die sich nach dem Sieg über Frankreich und dem von England ausgeschlagenen Friedensangebot (seine Armee war ja gerettet!) ergebenden strategischen Möglichkeiten zur erfolgreichen Beendigung des Krieges. Eine Invasion Englands halten sie wegen der ungeheuren Überlegenheit der englischen Flotte für zu riskant. Wie auch Großadmiral Raeder wollen Guderian und Epp den für England lebenswichtigen Mittelmeerraum zur Operationsbasis machen, um es dadurch zum Frieden zu zwingen. Möglichst im Bündnis mit den Franzosen, die begreiflicherweise erbittert darüber sind, daß sie vom perfiden Albion im Stich gelassen wurden. Mit aktiver oder passiver Beteiligung Frankreichs wären die Ausschaltung des nur schwach verteidigten Maltas sowie ein Vorstoß nach Ägypten höchst erfolgversprechend gewesen, ganz abgesehen von den Chancen eines energisch geführten U-Bootkrieges gegen Englands Lebensader. Erst viel später, als der Gegner dafür gerüstet ist, wird dieser Versuch, und dann vergeblich, unternommen. Bei Hitler fanden solche zeitgemäßen maritimen Pläne wenig Entgegenkommen. Und noch viel weniger bei dem eifersüchtigen Mussolini, der keinen deutschen Einfluß in "seinem" Raum wünschte!




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Unternehmen Barbarossa

An jenem schicksalhaften 22. Juni 1941 - wegen der zuvor plötzlich hereingebrochenen Balkankrise um Wochen zu spät - tritt die Deutsche Wehrmacht mit ihren Verbündeten auf einer Frontbreite von 2.000 km zum Angriff auf die Sowjetunion an.

Nicht eine "friedliche" Sowjetunion, wie die Bewunderer des ehrbaren Genossen Stalin noch heute der Welt weismachen wollen! Es dürfte inzwischen aus zahlreichen in- und ausländischen Quellen bewiesen sein, daß Hitler mit dem bis dahin größten Unternehmen der Geschichte den Angriffsplänen Stalins nur um wenige Wochen zuvorkam.

Guderian ist die gefährliche Überlegenheit der Roten Armee an Panzern, Artillerie und Flugzeugen bekannt. Trotzdem führt er auch in diesem Feldzug seine Panzergruppe von Sieg zu Sieg. Diesmal gegen einen im Vergleich zu den Franzosen ungleich härter kämpfenden Gegner. Hinzu kommen die Riesenentfernungen durch kräfteverzehrendes Gelände, oft mit nur Andeutungen von Straßen, und die damit verbundenen Schwierigkeiten des Nachschubs. Zu allem Überfluß war die deutsche Führung noch vorher gezwungen, beachtliche Kräfte auf den Balkan abzuzweigen, sowie Panzerdivisionen nach Afrika zu entsenden, um den geschlagenen Italienern zu Hilfe zu eilen! Deutschland führt somit nicht nur den tragischen Zweifrontenkrieg. Es ist zusätzlich in weit entfernte Kriegsschauplätze verwickelt. Statt Guderians berühmt gewordene Strategie der Konzentration anwenden zu können, sind die Deutschen zu einer Verzettelung wertvoller Kräfte gezwungen. Der Angriff in die Weiten Rußlands erfolgt daher mit völlig unzureichenden Mitteln. Wie sich bald herausstellen soll, hatten Hitler und das Oberkommando die Franzosen überschätzt, die Kampfkraft Sowjetrußlands jedoch gewaltig unterschätzt!

Teils wegen dieser Fehlbeurteilung der Roten Armee versäumt es die deutsche Führung, die militärischen Operationen durch eine geschickte politische Strategie zu unterstützen. In blindem Vertrauen auf die besten Soldaten der Welt unterläßt man den Versuch, die durch Stalin unterdrückten Völker und seine zahlreichen Gegner als potentielle Freunde zu gewinnen. Eine für diesen alles entscheidenden Kampf viel zu starre, wirklichkeitsferne Ideologie dominiert, vermischt mit überholten imperialistischen Zielen. Die Wirkung zeigt sich bald in Form von starken, hinter den Fronten operierenden Partisanenverbänden sowie einer weiteren Versteifung des sowjetischen Widerstandes.

Guderian befehligt diesmal fünf Panzerdivisionen, doch ist die Gefechtsstärke dieser Divisionen so ausgedünnt, daß er insgesamt zahlenmäßig weniger (wenn auch besser armierte) Panzer als in Frankreich zur Verfügung hat. In Frankreich war der Frontabschnitt für sein Korps nie größer als 40 km, in Rußland dagegen für seine Panzergruppe bis zu 160 km! Trotz aller Schwierigkeiten braucht er für die 440 km von Brest-Litowsk bis Bobruisk nur sieben Tage. Mit einem Tagesrekord von 115 km übertrifft er noch seine Spitzenleistung in Frankreich.

Doch trotz der riesigen Mengen an eingebrachtem Material und Gefangenen nach den großen Kesselschlachten sind die Sowjets noch immer nicht entscheidend geschlagen. Von Stalin mit rücksichtsloser Brutalität angetrieben, kämpfen sie hartnäckig weiter. Am 4. Juli schreibt Guderian an seine Frau: "... als Bremser hat er (v. Kluge) sich sofort äußerst wirkungsvoll bestätigt", und dann, erste Zweifel an der Urteilskraft des deutschen Oberkommandos andeutend, "alles erstirbt in Ehrfurcht vor ganz oben, und keiner wagt etwas zu sagen. Das kostet viel unnötiges Blut!" Die Sowjets waren zu diesem frühen Zeitpunkt in großer Verwirrung, aber das deutsche Oberkommando nutzt diese Lage nicht aus. Während er sich in den ersten Feldzügen mehr zurückgehalten hatte, schaltet Hitler sich in Rußland immer mehr ein, bis zu direkten Befehlen für begrenzte Aufträge einzelner Panzerkorps. Wie Hoth sich ausdrückte, wurde durch diese Aufsplitterung "die Panzerfaust zu einer gespreizten Hand" - das Gegenteil von "klotzen"!

Am 10. Juli fotografiert Guderian bei Tolotschino den ersten russischen T34, ein den deutschen Panzern eindeutig überlegener Kampfwagen, gegen den die deutsche PAK nichts ausrichten kann. Es ist die Zeit der ersten Krisenstimmung auf deutscher Seite. Dicker Staub hatte zu einer beschleunigten Abnutzung der Motoren in den deutschen Fahrzeugen geführt. Die deutschen Mechaniker können nicht so schnell arbeiten, wie Reparaturen nötig werden. Und das russische Eisenbahnsystem ist wegen der größeren Spurbreite erst nach langwierigem Umbau verwendbar.

In Anbetracht all dieser Widerwärtigkeiten zeigt sich Guderians unvergleichliche Führungskunst. Bewundernd schreibt sein Luftwaffenoffizier v. Barsewisch anläßlich einer Befehlserteilung am 11. und 12. Juli: "Wenn Guderian entscheidet, ist es, als ob der Kriegsgott selbst über die Walstatt reitet. Wenn seine Augen wetterleuchten, scheint Wotan Blitze zu schleudern oder Thor den Hammer zu schwingen." Und am Abend hört er Guderian am Telefon, wieder mit den Widerständen des Oberkommandos kämpfend, ausrufen: "Es geht nicht um meinen Ruhm, sondern um das Deutsche Reich!"

Guderians und Hoths Operationen im Raum Smolensk dürfen zu den bewunderungswürdigsten des Ostfeldzuges eingereiht werden. Nur wenn die Panzer bis zu den Türen im Schlamm versinken, gibt es einen Stop. Sonst wird selbst in der Nacht nicht halt gemacht. Benzin und Munition werden knapp, Männer und Maschinen sind von Übermüdung gezeichnet. Aber Guderian ist überall.

Während Guderians Feldherrnkunst auf dem Höhepunkt ist, wächst die Lage den weit hinten gelegenen Stäben zunehmend über den Kopf. Die Panzerkommandeure haben ständig um Nachschub und Verstärkungen für ihre immer schwächer werdenden Verbände zu ringen. OKH und OKW waren nach den vielen deutschen Siegen gefährlich verwöhnt worden und wiegten sich in dem naiven Glauben, daß es immer so weiter gehen müsse. Sie wollten nicht einsehen, daß die Erfolge der deutschen Panzerkeile nahezu militärische Wunder waren. In den Stäben hatte man keine Ahnung, unter welch unsagbar harten Bedingungen die Frontkommandeure zu führen hatten. Keiner von ihnen, die in bequem eingerichteten Quartieren am Kartentisch saßen, hatte je ähnliches mitgemacht. Guderian dagegen ist fast jedem der ihm unterstellten 300.000 Männer von Angesicht bekannt.

Als es Anfang August 1941 immer deutlicher wird, daß die Kräfte der Wehrmacht nur für ein Ziel ausreichen, sind Bock, Kluge, Guderian, Hoth wie auch Brauchitsch und Halder für den Angriff auf das noch 300 km entfernte, kaum verteidigte Moskau. Doch Hitler sollte anders entscheiden. Für ihn hatten wirtschaftliche Aspekte Vorrang vor der militärischen Entscheidung. Statt Moskau einzunehmen, fordert er die Besetzung Leningrads und der Ukraine.

Alles wurde angehalten. In den höchsten Stäben, wo weder Kanonendonner zu hören war noch die Zeit drängte, entwickelt sich eine endlose Debatte über die einzuschlagende Strategie. Während die deutschen Angriffsverbände durch Befehle an Ort und Stelle gefesselt sind, erhält die Rote Armee erstmalig eine Chance, starke Verteidigungsstellungen auszubauen. Halder, der Chef des OKH, ist nahe der Verzweiflung. Ihm ist absolut klar, daß eine verfehlte Strategie in diesem gigantischen Ringen Deutschlands Niederlage einläuten wird. [Hier sieht der Autor, wie wir meinen, die Sache etwas zu oberflächlich. Halders wahres Gesicht und seine Einstellung zu Deutschlands Niederlage wird hier deutlicher! Anm. d. Scriptorium]

Trotz der Opposition seiner Generale befiehlt Hitler endlich nach kritisch langem Zögern die Drehung der Panzerverbände nach Süden, um Kiew zu nehmen. Halder bemerkt dazu, daß die Operation in der Ukraine zwar möglich sei, aber eine nachfolgende Offensive gegen Moskau ausschließe, da das deutsche Heer auf einen Winterfeldzug überhaupt nicht vorbereitet ist! Er weist auf die ungeheuren logistischen Schwierigkeiten bei der Härte des russischen Winters hin. Doch als Hitler dagegenhält, "meine Generale verstehen nichts von Kriegswirtschaft", nickten, wie Guderian berichtet, die Anwesenden nur, "und ich stand mit meiner Ansicht allein".

Das Ergebnis der Ukraineschlacht ist zwar allem äußeren Schein nach überwältigend: fast ½ Million Gefangene, mehr als 800 Panzer und 3.500 Geschütze! Doch während die deutschen Ausfälle an Mensch und Material nur kümmerlich ersetzt werden, fließt für die Rote Armee unaufhörlich Nachschub aus den Werken jenseits des Ural - und schon jetzt zum Teil aus den USA.

Die Richtungsschwenkung um 90° aus dem Kessel um Kiew zum Angriff auf Moskau stellt nach Macksey "eine absolut brillante Leistung in punkto Organisation und Führung - fast ohne Parallelen dar". Die Tage werden kürzer, das Wetter hindert durch Nässe und Kälte. Guderian verfügt nur noch über knapp die Hälfte seiner Panzerstärke. Der Transport auf den verschlammten Wegen wird für die kettenlosen deutschen Fahrzeuge fast unmöglich. Es fehlt an Treibstoff. Die Eisenbahn leidet Mangel an rollendem Material. Die deutschen Fronttruppen wissen, daß sie sich nicht nur in einem Wettrennen gegen die Sowjets, sondern ebenso gegen die Zeit und den russischen Winter befinden.

Wie stets ist Guderian an der Front, um die Truppe vorwärts zu treiben. Noch immer sind er und seine Männer davon überzeugt, daß dieses blutige Ringen nur durch erneuten Angriff zu Ende geführt werden kann. Oberstleutnant v. Barsewisch gibt einen Eindruck von Guderians urwüchsiger Art wieder, seine Soldaten anzusprechen: "Heute erschreckte Guderian die alten Wackelpapas von der Infanterie, die jetzt zu uns gekommen sind und unseren Kommandeur nicht kennen, fürchterlich... '10 km glauben Sie mit Ihrem Bataillon nicht abschirmen zu können? Wie schade! Denken Sie mal, ich habe eine offene Flanke von 300 km, in der nichts steht, und das stört mich gar nicht. Also bitte...'."

Auf der Strecke nach Tula erleiden die deutschen Panzer bei der Begegnung mit überlegenen T34 und den massigen KWI schwere Verluste. Der Vormarsch wird zum Kriechtempo. In der Nacht vom 6. zum 7. Oktober fällt der erste Schnee. Nach jedem Neuschnee macht das anschließende Tauwetter alle Wege grundlos. Der Gegner kann sich immer leichter auf die nächsten Operationen der Deutschen einstellen. Änderungen der Stoßrichtung zur Erzielung von Überraschungsangriffen werden unmöglich. Sorgenvoll an die Lage seiner Soldaten denkend, schreibt Guderian am 21. Nov. an seine Frau: "Die Anforderungen an die Truppe sind enorm. Umso bemerkenswerter sind nach wie vor ihre Leistungen. Jede, aber auch jede Unterstützung von oben fehlt."



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Guderian: Revolutionär der Strategie