SucheScriptoriumBuchversandArchiv IndexSponsor

[Bd. 2 S. 7]
Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, 
1620 - 1688, von Paul Wentzke

Friedrich Wilhelm von Brandenburg-Preußen, der Große Kurfürst.
Friedrich Wilhelm von Brandenburg-Preußen
(der Große Kurfürst).

Gemälde von Govert Flinck, 1653.
[Die Großen Deutschen im Bild, S. 112.]
Zwei Werke eigenster Prägung zeigen dem deutschen Volke Persönlichkeit und Bedeutung dieses ersten großen Hohenzollern. Unter dem unmittelbaren Eindruck seines Heimganges schuf Andreas Schlüter auf der Schloßbrücke in Berlin ein Reiterstandbild von echtester Majestät, von Heldengröße und Willenskraft; vier Menschenalter später riß Heinrich von Kleist mit dem heroischen Ausklang seines "Prinzen von Homburg": "In Staub mit allen Feinden Brandenburgs!" ein ganzes Volk zu neuen Taten. In beiden Fällen sind Höhepunkte des Lebens festgehalten. Eine politische Biographie führt zu den Anfängen zurück. Vor dem Hintergrunde gewaltigster Schicksalswende hat jede Zeit Leben und Taten Friedrich Wilhelms, den schon die Zeitgenossen den Großen nannten, neugestaltet.

Kopf der Reiterstatue von Andreas Schlüter, 1702.
[16a]      Friedrich Wilhelm,
der Große Kurfürst.

Kopf der Reiterstatue von Andreas Schlüter, 1702. Berlin, auf der Langen Brücke.

[Bildquelle: Staatliche Bildstelle, Berlin]
Ungeheure Ereignisse begleiteten seinen Eintritt ins Leben (16. Februar 1620). Vergebens war sein Vater, der schwache, körperlich früh gebrochene Kurfürst Georg Wilhelm, mit dem Austritt aus der "Union" evangelischer Reichsstände einer Parteinahme in der Auseinandersetzung der deutschen und der europäischen Staatenwelt ausgewichen. Nur der Doppelname des Kurprinzen, der "Wilhelm" des Jülicher Herrscherhauses neben dem "Friedrich" der Hohenzollernschen Familienüberlieferung, deutete unverjährbare Ansprüche auf die niederrheinisch-westfälischen Fürstentümer Jülich-Kleve-Berg, Mark und Ravensberg an, als der Zusammenprall katholischer und protestantischer Mächte den Weltbrand eines dreißigjährigen Krieges entzündete, den anfänglichen Erfolg des reformierten, eng verschwägerten Kurfürsten von der Pfalz im gleichen Jahr 1620 in der Schlacht am Weißen Berge vernichtete. Alle Aussichten auf künftigen Gebietszuwachs, die eine kluge Hauspolitik erschlossen hatte, waren zerronnen; alle Fragen, an denen Brandenburg durch seine Außenstellungen an Rhein und Weichsel sowie als Führerstaat des deutschen Protestantismus beteiligt war, schienen durch das Schwert des Siegers gelöst. Völlig vereinsamt teilte der Kurfürst das Schicksal jener zaghaften Landesherren, die sich mit wenigen Ausnahmen dem Gebot der spanisch-österreichischen Habsburger und ihrer Gegner, der über Mitteleuropa hinweg verbundenen Franzosen und Schweden kampflos gebeugt hatten.

Nur einmal trat eine überaus ernste Entscheidung an Georg Wilhelm, dessen Lande schon längst zum Schauplatz ärgster Kriegswirren geworden waren, heran. Als Schweden nach dem Heldentode Gustav Adolfs in der Schlacht bei Nördlingen (1635) zurückgeworfen wurde, erklärte es sich neben dem Verzicht auf seine [8] übrigen deutschen Eroberungen zur Anerkennung der uneingeschränkten Erbfolge Brandenburgs in Pommern bereit. Obwohl Kardinal Richelieu Frankreichs gute Dienste in gleichem Sinne anbot, zog der Kurfürst den Frieden mit dem Kaiser vor. Nach des Vaters Tode übernahm Kurprinz Friedrich Wilhelm am 1. Dezember 1640 das Ergebnis einer Politik, die ohne eigene Rüstung dem Druck einer waffenklirrenden Zeit standzuhalten suchte. Charakter, Erziehung und Umwelt gaben ihm die Kraft, dem Verhängnis zu trotzen.

Wie den Eltern, die zumeist fern von der Hauptstadt weilten und die Erziehung des einzigen Sohnes fremden Händen überließen, hatte die Unruhe dieser Jahre auch ihm einen ständigen Wechsel des Aufenthaltes und des Unterrichtes aufgezwungen. Das Lernen wurde schwer. Das Erlernte, die lateinische, französische und holländische Sprache, saß fest; eine Vorliebe für Zeichnen wird besonders vermerkt. Gewaltigen Eindruck machte ein Besuch bei dem großen Oheim, dem Schwedenkönig Gustav Adolf, der seinerseits den Elfjährigen zum Schwiegersohn auserkor und in der engen Verbindung mit Brandenburg-Preußen Schweden die dauernde Herrschaft über die Ostsee, das heiß umstrittene Dominium maris baltici zu sichern suchte. Vielleicht hat nur der frühe Tod des "Löwen aus Mitternacht" diese Aussichten, die Deutschlands Zukunft in kaum auszudenkende Bahnen geleitet hätten, zerschlagen, die Entwicklung des Kurprinzen in andere Richtung gelenkt. Nicht Schweden, sondern Holland, das dem Jüngling wirtschaftlichen Fortschritt, Kunst, Wissenschaft und Technik in reichster Fülle erschloß, bot die entscheidenden Anregungen. Die brandenburgischen Kernlande, die der eigensüchtige Berater des Vaters, Graf Adam Schwartzenberg, der katholisch-kaiserlichen Partei zugeführt hatte, traten in den Hintergrund. Nur nach Anwendung stärksten Zwanges leistete der Kurprinz dem Befehl zur Rückkehr Folge. In einer Lage, die keinen Vergleich mit den Anfängen späterer Herrscher, am wenigsten mit dem Aufstieg des großen Friedrich zuläßt, fiel ihm mit leeren Kassen, ohne Verfügungsrecht über Festungen und Städte, ohne Heer und ohne eine festgefügte Verwaltung die Regierung zu.

Klügste Vorsicht leiteten die ersten Schritte zur Zusammenfassung des eigenen Erbgutes. Aus den niederländischen Erlebnissen erwuchs der Wunsch, sich und seine Lande in die politische Entscheidung einzuschalten. Als Bindeglieder boten sich dem fürstlichen Ehrgeiz sowie der Zukunft des Staates Anrechte, die sich das Haus Brandenburg nach allen Seiten hin erworben hatte. Neben Kleve, Mark und Ravensberg lockten am Rhein Jülich und Berg; in Pommern schien nach dem Aussterben des Herrscherhauses (1637) die Möglichkeit zur Entfaltung einer Seemacht gegeben. Der alte Ordensstaat Preußen war bereits 1618 als weltliches Herzogtum angegliedert worden; gerade hier aber hinderte die Oberhoheit des polnischen Königs jede selbständige Nutzung. Während andere Aussichten in Mitteldeutschland sowie in Schlesien in den Hintergrund rückten, haben diese drei Fragen neben- und miteinander die Aufmerksamkeit Friedrich Wilhelms vom [9] ersten Tage seiner Regierung an gefesselt. Aus dem engen Kreis brandenburgischer Hausbelange ziehen sie Fürst und Staat in das Ringen der Mächte um ein neues europäisches Gleichgewicht hinüber. Im gleichen Ausmaße empfangen die Forderungen der Innenpolitik, die Neuordnung der Verwaltung, die Entwicklung der wirtschaftlichen Kräfte sowie vor allem der Ausbau der Wehrmacht von den Erfolgen und Bedürfnissen der auswärtigen Angelegenheiten ihren entscheidenden Antrieb. So zwangsläufig diese Wechselwirkung in der Geschichte der letzten Jahrhunderte erscheint: in Wahrheit gab hier wie dort der persönliche Wille des Kurfürsten den Ausschlag.

Ein tragischer Zwiespalt beherrscht diese Anfänge. Jeder Versuch, als gleichberechtigte Macht in die Friedensverhandlungen einzutreten, mißlang. Nicht nur die Persönlichkeit des Ministers Schwartzenberg, den Friedrich Wilhelm in seinem Amte ließ, lähmte seine Schritte; zunächst mußte das Steuer umgeworfen, ein Waffenstillstand mit dem ärgsten und nächsten Gegner, dem Schweden, eingeleitet werden. Die Abdankung der zuchtlosen Söldner, die einen Staat im Staate zu bilden drohten, schloß den vorläufigen Umbau ab. Weder diplomatische Kunst aber noch die Aufnahme von Verhandlungen über die schwedische Heirat konnten nach den Wünschen des jungen Herrschers "das Reich wiederum tranquillieren, die pommerschen Lande bei demselben und Unserem kurfürstlichen Hause halten". Im Westen brach ein Einfall in Jülich-Berg in wenigen Wochen zusammen; der "Kuhkrieg von

Kurfürst Friedrich Wilhelm mit seiner ersten Ehefrau Luise 
Henriette von Nassau-Oranien.
Kurfürst Friedrich Wilhelm mit seiner ersten Ehefrau Luise Henriette von Nassau-Oranien.
Gemälde von Gerrit van Honthorst (1647).
[Nach wikipedia.org.]
Düsseldorf", wie ihn die Zeitgenossen spöttisch nannten, brachte den Brandenburger in den üblen Ruf eines leichtfertigen Streithahns. Selbst die Verbindung mit Luise Henriette von Oranien, der Tochter des Erbstatthalters der Niederlande, die sich trotz ihres rein politischen Hintergrundes zu glücklichster Ehe entwickelte, vermochte die Hilfe Hollands nicht zu gewinnen. Nicht die Anlehnung an die eigenen Glaubensgenossen, sondern die eigensüchtige Freundschaft Frankreichs, das damals bereits durch den Hinweis auf Schlesien Österreich und Brandenburg für immer zu verfeinden suchte, brachte in den letzten Kriegsjahren die Räumung der klevischen Festungen von fremden Truppen. Nur aus eigener Kraft, das war die große Lehre dieser Zeit, konnte sich Brandenburg in die Reihe der selbständigen Mächte aufschwingen. Die Aufgabe war gestellt. Mit der Errichtung eines ständigen Heeres, wie es lediglich Österreich, Frankreich und Schweden besaßen, beschritt der Kurfürst nach dem Rat Konrad von Burgsdorffs den Weg zur Größe.

Im Frieden, der 1648 das unheilvolle Ringen endete, mußte er sich mit dem Gewinn von Hinterpommern, ohne den Ausgang zum Meer, von Halberstadt und Minden sowie mit der Anwartschaft auf Magdeburg begnügen. Sollten die Außenstellungen im Westen und an der Ostsee die Tore zu weltweiter Bedeutung öffnen, so wuchs Brandenburg jetzt ins Innere Deutschlands hinein. Die Lebensgemeinschaft des Reiches jedoch, in die Kurfürst Georg Wilhelm zurückgewichen war, hatte versagt. Weder der Kaiser noch die protestantischen Mitfürsten hatten gegen [10] die fremden Mächte Stich gehalten. Haß gegen die von beiden Seiten, von Frankreich und von Österreich, unterstützten Schweden wurde nach dem Urteil eines französischen Historikers Friedrich Wilhelms großer Gedanke: "das war ein Wunsch, der sein Herz überquellen machte, ein Ehrgeiz, den die Niederlagen nur steigerten, ein Alpdrücken", das dem Kurfürsten den Atem nahm. Ein neues Vorgehen blieb an außenpolitische Möglichkeiten gebunden. Sie auszunutzen war die Begründung der Staatseinheit, die ihrerseits die Grundlage zur Erhaltung einer starken Wehrmacht bilden mußte, die unerläßliche Voraussetzung geworden.

Noch immer lagen die Erblande des Hohenzollernhauses als Streubesitz nebeneinander: von Memel bis zum Rhein Gebiete niederdeutscher Art, aber verschieden nach ihrem Bekenntnis, nach Landesbrauch, wirtschaftlichen Belangen und politischer Überlieferung. In jedem Teilstück waren die Rechte des Kurfürsten durch die Stände beschränkt, die Einkünfte geschmälert oder verpfändet. Lediglich die Persönlichkeit des Herrschers konnte den Vereinigungspunkt bilden. "Es ist das Werk des Kurfürsten, daß er das ganze Gebiet in dem gewaltigen Schmiedefeuer seiner großen Politik zu einem einheitlichen Staatswesen zusammengeschweißt hat."

Der erste innerpolitische Versuch aber, den Friedrich Wilhelm in dieser Richtung wagte, war immer aufs neue Rückschlägen ausgesetzt. Außenpolitische Gefahren, die die Stände in gleicher Stärke wie den Landesherren bedrohten, mußten den inneren Widerstand brechen, die Bewilligung von Steuern, den Unterhalt von Truppen erzwingen. In Preußen, wo die drei in der Residenz Königsberg vereinigten Städte Hand in Hand mit dem Adel gingen, die Krone Polen jede Eigenbrötelei stützte, suchte sich der neue Landesherr zunächst die wirtschaftliche, dann die staatsrechtliche Unabhängigkeit zu erkämpfen. In Kleve mußte er sich dem Willen des Landtages beugen. Nur in der Mark zeigte ein Vergleich, der die Erinnerung an spätere Kämpfe mit dem preußischen und deutschen Parlament weckt, den entscheidenden Ausweg. Hier zuerst stimmten die Stände mit der Bewilligung der nötigen Mittel dem Gedanken des militärischen Großstaates zu; zugleich freilich wurden die Grundlagen der Gutsherrlichkeit und deren obrigkeitliche Rechte über die erbuntertänigen Bauern bestätigt. Auf dem Gebiete seiner wirtschaftlich-sozialen Standesbelange gewann der Adel zurück, was er im politischen Leben verlor; in Heer und Verwaltung ward er ein bevorzugtes Werkzeug der fürstlichen Gewalt. Auf dem Boden der alten Landesverfassungen legte Friedrich Wilhelm den Grundstein zum Absolutismus eines neuen Militär- und Beamtenstaates, den seine Nachfolger zur europäischen Großmacht erhoben.

Nur zur Selbstbehauptung und Erhaltung jedoch war dieser Miles perpetuus geeignet und bestimmt. Die Festungsbesatzungen bildeten den Kern. Brach ein Krieg aus, so mußten große Werbungen die Bildung weiterer Regimenter ermöglichen. Für diese Aufrüstung bildeten die Hilfsgelder fremder Staaten die unerläßliche Voraussetzung. In seiner Spätzeit erst sollte das viel berufene Bündnis [11] mit Frankreich dem Kurfürsten die Möglichkeit zur Aufstellung eines beweglichen stehenden Heeres geben, das in der Schule Friedrich Wilhelms I. zur Kampftruppe des großen Königs erwuchs. Die Selbständigkeit der Regimentsinhaber dagegen, die im Dreißigjährigen Kriege zu einem Unternehmerstand geworden waren, hatte er schon früh beseitigt, die Machtbefugnis des obersten Kriegsherrn zum Rückgrat des Staatskörpers gemacht. Als "Kriegsgefälle", nicht zur Erhaltung der inneren Ordnung, bewilligten die Stände die Steuern, die auf dem platten Lande als "Kontribution" von Grundbesitz und Vermögen erhoben wurden, in den Städten nach holländischem Vorbild als "Akzise" den Verbrauch von Lebensmitteln und Kaufmannsgütern erfaßten. In ihrer Erhebung drängten fürstliche Beamte die Mitglieder der Magistrate und der Landstände zurück. Da sie gleichzeitig für den Unterhalt der Truppen zu sorgen hatten, umschrieb die Amtsbezeichnung als Kriegs- und Steuerkommissar ihre Tätigkeit in den Städten, als Kreiskommissar, Vorgänger des Landrates, auf dem Lande. Auf den fürstlichen Domänen führte die langsame Umwandlung der Naturalabgaben in eine geldwirtschaftliche Pachtordnung zur weiteren Ausgestaltung der gesamten Verwaltung. Vereinigten bisher an der Spitze der einzelnen Landschaften Regierungskollegien die obrigkeitlichen Befugnisse der Stände und des Landesherren, so wurden jetzt die Aufgaben der Heeres- und Finanzverwaltung einer besonderen Hauptstelle in Berlin zugeführt. Ein Geheimer Rat, der bislang nur für die Mark gebildet war, übernahm mit Einschluß des Generalkriegskommissars und des Hofkammerpräsidenten die Leitung des Gesamtstaates. Die Statthalter der Außenländer, von denen Prinz Johann Moritz von Nassau-Oranien, der Begründer des holländischen Kolonialreiches in Brasilien, in Kleve und Mark Wirtschaft und Kunstpflege aufs höchste förderte, wurden zugleich Geheime Räte des Kurfürsten.

Fünf Jahre nach dem Westfälischen Frieden waren die Grundlagen dieser Ordnung verankert. Noch einmal freilich hatte der Versuch eines bewaffneten Eingriffs in die Jülich-Bergische Erbfolge mit einem bösen Mißerfolg geendet; ein Vorstoß im Reichstage, der die Fürsten gegen die Selbstherrlichkeit des Kaisers sammeln sollte, zeitigte geringe Erfolge. Größere Aussichten eröffnete der Beginn eines neuen Ringens um die Beherrschung der Ostsee. Als selbständige Macht trat Brandenburg in den Meinungsaustausch zwischen dem Haag, Stockholm, Wien und Paris ein. Ein Bündnis mit Schweden, das dem Kurfürsten die Befreiung von der polnischen Lehenshoheit über Preußen und eine Landverbindung zwischen Königsberg und Pommern bringen sollte, mißlang. Nur unter ständigem Wechsel der politischen und militärischen Stellung führte die rücksichtslose Ausnutzung der jeweiligen Lage zu dem heiß erstrebten Ziele.

Oft genug haben spätere Geschichtschreiber, denen Zwang und Unruhe einer mühsam um ihr Dasein ringenden Staatsgewalt fremd geworden waren, aus der sicheren Überlegenheit des preußischen und deutschen Staates den Worten des Grafen Georg Friedrich von Waldeck, Friedrich Wilhelms ständigen Beraters, [12] zugestimmt: "Man wollte, was man nicht wollte, und tat, was zu tun man nicht vorhatte." Nach schweren eigenen Erfahrungen, die auch uns wieder nach einem großen, vernichtenden Weltkriege eine gleiche Taktik aufzwangen, sind wir bescheidener im Urteil über die Vergangenheit geworden. Erstaunlich klar treten uns Winkelzüge und Stellungswechsel, Taten und Erfolge Friedrich Wilhelms aus einer Zeit des Überganges entgegen. Der Unterwerfung unter das Machtgebot der Krone Schweden, mit der das Herzogtum Preußen lediglich einen harten Herrn gegen ein schwaches, fremden Einflüssen geneigtes Oberhaupt eintauschte, war der gemeinsam errungene Sieg bei Warschau (Juli 1656) gefolgt; zum ersten Male hefteten brandenburgische Truppen frischen Lorbeer an ihre Fahnen. Als Preis für weitere Waffenhilfe erkämpfte das junge Heer seinem Kriegsherrn die Freilassung zunächst durch den schwedischen Bundesgenossen. Den Vertrag von Labiau (November 1656) löste als Frucht höchster und gefährlichster Staatskunst in Wehlau (September 1657) die Anerkennung der unbeschränkten Staatshoheit des Kurfürsten in Preußen auch seitens des polnischen Königs ab.

Das erste Ziel war erreicht. Ein deutsches Land, bei dessen Erwerbung und Besiedlung alle Landschaften und Kulturkreise des mittelalterlichen Reiches mitgewirkt hatten, war von slawischer Oberherrschaft befreit, nach einem Vierteljahrtausend endloser Verluste die Rückgewinnung und Eindeichung verlorener Grenzmarken begonnen worden. Weit über die Stellung als Reichsstand hinaus wurde die preußische Souveränität der völkerrechtliche Ausdruck einer europäischen Machtstellung. Die Besitznahme Vorpommerns dagegen, um die Friedrich Wilhelm seit der Übernahme der Regierung mit zäher Verbissenheit rang, scheiterte. Vergebens rief aus der unmittelbaren Umgebung des Kurfürsten eine feurige Flugschrift die Gesamtheit der "ehrlichen Teutschen" zu Hilfe. "Wir haben Gut, Blut, Ehre und Namen dahingegeben", so brach eine bisher unerhörte Anklage gegen die Lässigkeit und Gleichgültigkeit des eigenen Volkes hervor, "und nichts ist damit ausgerichtet, als daß wir uns schier zu Dienstknechten, fremde Nationen berühmt gemacht. Was sind Rhein, Weser, Elbe und Oderstrom nunmehr anders als fremder Nationen Gefangene?" Die "öffentliche Meinung", die hier zum ersten Male als Trägerin eines Willens zum Staate in Erscheinung trat, war zu schwach, die Kenntnis von den gemeinsamen Lebensbelangen deutscher Grenzmarken zu gering, um irgendwelche Bedeutung zu erlangen. Erst im Aufbruch eines neuen Reichsgedankens konnten die Worte nach dem Urteil eines Treitschke "wie mächtiger Glockenklang am Morgen einer besseren Zeit das Innerste erschüttern".

Als 1659 der Pyrenäische Friede den Weltmächten im Westen die Hände freigab, stand Brandenburg wieder vereinsamt. Um seine eigenen, in Münster und Osnabrück errungenen Ansprüche im Elsaß zu sichern, ließ Frankreich die im gleichen Vertrag Schweden zugesprochenen Rechte auf Reichsbesitz nochmals bestätigen. Im Kloster Oliva vor Danzig (1660) unterbrach ein neues Diktat den kaum begonnenen Aufstieg. Auch eine Bewerbung um die polnische Krone, die der [13] Kurfürst mit gleichem Eifer wie vordem die schwedische Heirat betrieb, blieb stecken. Die Preisgabe seines protestantischen Glaubens, die als erste Voraussetzung von ihm gefordert wurde, wies der tiefreligiös veranlagte Herrscher zurück. Mit dem Ablauf dieses zweiten lediglich auf Hausbelange gegründeten Zwischenspieles lagen die Lehr- und Wanderjahre hinter ihm; trotz aller Fehlschläge war der deutsche Landesfürst eine Gestalt von europäischer Bedeutung geworden. Wollte er die so begonnene Staatspolitik fortführen, so mußten die Grundlagen tiefer gelegt werden, die für den Einzelfall aufgebotenen Kräfte ständig zur Verfügung stehen. Der Ausbau der Verwaltung war zur wichtigsten Forderung geworden.

Erbhuldigung der Stände vor dem Großen Kurfürsten.
[16b]      Erbhuldigung der Stände vor dem Großen Kurfürsten
im Schloß zu Königsberg, 1663. Zeitgenössischer Kupferstich.

Von Berlin aus, das jetzt der anerkannte Sitz der Behörden und des Hofes wurde, nahm der Kurfürst die neue Arbeit in Angriff. Ein eigener Beschluß des Regensburger Reichstages verpflichtete auf sein Betreiben die Stände ganz allgemein zur Gewährung aller Mittel zur Sicherung des Landes. Nach dem Ausgleich mit der Kurmark befestigte Friedrich Wilhelm in dem widerspenstigen Magdeburg, in den mit sanfter Gewalt zur Ruhe gebrachten rheinisch-westfälischen Landen, vor allem in Preußen, wo er jetzt in voller Unabhängigkeit auch von Kaiser und Reich waltete, seine Herrschaft. Das tragische Schicksal des Schöppenmeisters Roth, der die hartnäckige Verteidigung der alten Gerechtsame mit Kerker und Verbannung büßte, ward warnendes Beispiel. In gleicher Weise zeigte die Hinrichtung des Obersten von Kalckstein, der sich mit hochverräterischen Entwürfen an den polnischen Hof gewandt hatte und vom Kurfürsten unter Bruch des Völkerrechtes in die eigene Gewalt zurückgebracht wurde, den unbeugsamen Willen des Landesherrn. Zum abschließenden Ausbau kam es auch diesmal nicht. In harten Schlägen zerbrach ein neuer, am Rhein entfesselter Weltkrieg die Entwicklung; er fand den Brandenburger wiederum zum Eingreifen in die große Politik bereit. Aus bittersten Erfahrungen heraus war sein Leitspruch geworden: "Neutral zu bleiben ist ein Wurm, der sich selbst verzehrt."


In knappen, klaren Sätzen hatte schon 1667 das politische Testament Friedrich Wilhelms seinem Nachfolger eingeschärft, daß nur "die Balance" zwischen den großen Mächten, zwischen der österreichisch-spanischen Partei und Frankreich-Schweden Brandenburgs Stellung verbürge. Taste der Kaiser mit der "Teutschen Freiheit" die Selbständigkeit der Fürsten oder des Protestantismus an, so sei ein Bündnis mit seinen Gegenspielern erste Pflicht; im übrigen solle er es mit Kaiser und Reich halten, soweit es Nutzen und Belange seines Staates gestatten. Allianzen aber, das war die weitere "väterliche Ermahnung", "seindt zwar gut, aber eigene Kräfte noch besser sind, darauf kann man sich sicher verlassen, und ist ein Herr in keiner Consideration, wenn er nicht selber Mittel und Volk hat". In diesem Sinne einer reinen Machtpolitik schaltete sich der Kurfürst bewußt ein, als Schweden aus der gegen Frankreich gebildeten Front zurücktrat, der Kaiser und [14] die von einer Kaufmanns-Oligarchie geleiteten Niederlande untätig dem aufkommenden Unwetter zusahen. Hatte man sich im Haag, in Stockholm und in Wien nacheinander seinen Wünschen versagt, so hoffte Friedrich Wilhelm jetzt als Verbündeter Frankreichs, das im Westfälischen Frieden wie im Nordischen Krieg in stärkstem Gegensatz zu der Schwäche der übrigen Mächte seinen Freunden treu geblieben war, Einfluß zu gewinnen. Nicht weniger denn acht Verträge bezeichneten von 1664 bis 1684 diesen diplomatischen Passionsweg, ohne Brandenburg dauernd zu binden, die Kräfte eines deutschen Landes fremder Willkür zu unterwerfen.

Bereits der erste Angriff, mit dem Ludwig XIV. 1672 die Reihe seiner "Raubkriege" eröffnete, mit den Vereinigten Niederlanden die Nordflanke des westdeutschen Raumes aufzureißen drohte, fand daher den Kurfürsten erneut auf der Gegenseite als wichtigste, einzige Stütze einer kommenden mitteleuropäischen Gemeinschaft. Während Kaiser und Reich neutral blieben, namhafte katholische und protestantische Fürsten sich offen Frankreich anschlossen, Schweden zur bewaffneten Hilfeleistung rüstete, kam in der Parteinahme des Kurfürsten die klare Erkenntnis von der ungeheuren Gefahr einer dauernden Vorherrschaft des französischen Königs zum Durchbruch. Mit diesem einen Entschluß, der der vorsichtig abwägenden Politik der Mittelmächte in kühnem Anlauf eine neue Wendung geben konnte, zeigte sich Friedrich Wilhelm als ein Staatsmann von seltenster Größe.

Der militärische Aufmarsch dagegen verrann ohne jedes Ergebnis. Die holländischen Generalstaaten suchten sich ihren Verpflichtungen zu entziehen. Im Frieden von Vossem (1673) gab Brandenburg seine aktive Mitwirkung auf. Während jetzt erst der Reichskrieg entbrannte, ein Bündnis des Kaisers mit Spanien und den Niederlanden den Angriff freigab, zog sich der Kurfürst verbittert zurück. Als er nach Jahresfrist nochmals in den Kampf eintrat, ward die alte Vereinbarung zwischen Frankreich und Schweden wirksam. Im Westen und im Norden erschien Friedrich Wilhelm im Vorstreit für die Befreiung deutscher Grenzlande. Mit der Bitte an Gott, dem Vaterlande "den Schlaf der Sicherheit aus den Augen zu wischen", peitschte eine neue Flugschrift "die redlichen Teutschen, deren Voreltern der ganzen Welt formidable gewesen", zur inneren Teilnahme an dieser Entscheidung auf. Dem wenig erfolgreichen Koalitionskrieg im Elsaß, wo sich die Stadt Straßburg zum letzten Male für das Reich einsetzte, das unglückliche Gefecht bei Türkheim den Ruf wenigstens des brandenburgischen Heeres mehrte, folgte der Eilmarsch vom Rhein zum Rhin, um den gefährlichsten und verhaßtesten schwedischen Gegner aus den Marken zu werfen. Der Überfall von Rathenow, mehr noch der Sieg bei Fehrbellin (28. Juni 1675) wurden zum gewaltigen Fanal für alle Feinde Brandenburgs. Der alte Derfflinger, der sich vom österreichischen Bauernburschen zum Reitergeneral und zum geschickten Diplomaten aufgeschwungen hatte, Oberst Henning "von Treffenfeld" und andere Heerführer gewannen volkstümlichen Ruhm; Briefe, die der in mancherlei Kämpfen bewährte Landgraf "mit dem silbernen Bein" in den Schlachttagen an seine Eheliebste [15] sandte, zeigen den Prinzen Friedrich von Homburg ohne die Verklärung der Kleistschen Dichtung. Hatten die Drömlingbauern der Mark unter den brandenburgischen roten Adler ihres Gewalthaufens die Worte geschrieben:

      "Wihr Bauern von geringem Gutt
      Dinen unserm gnädigen Kurfürsten und Herrn mit unserm Blut",

so gab ein elsässisches Volkslied dem Sieger den Ehrennamen des "Großen Kurfürsten".

Da Frankreich am Rhein gebunden war, Holland und Dänemark, Kaiser und Reichsstände das rasche Vordringen der Brandenburger stützten, konnten die Schweden völlig vom deutschen Boden verjagt werden. Einem Einfall in Preußen trat der schwerkranke, von Gicht und Brustschmerzen gepeinigte Kurfürst in einem abenteuerlichen Zuge über das Eis des Frischen und des Kurischen Haffes (Januar 1679) entgegen. Mit Tausenden von Schlitten jagten Fußvolk und Reiter unter den Klängen des Dragonermarsches den Feinden nach. Erst im Herzen Kurlands wurde die Verfolgung aufgegeben. Ein jämmerlicher Haufe des einst so gewaltigen, von Gustav Adolf geschaffenen Heeres erreichte das schützende Riga.

Das wichtigste Ziel langjährigen Strebens schien erreicht, Pommern und damit der Ausgang zur Ostseeküste gewonnen. Unter Führung des Holländers Benjamin Raule sollten eigene Kaperschiffe den Grundstock einer brandenburgischen Seemacht, das Werkzeug einer Handelsgesellschaft und selbst einer kolonialen Betätigung in Westafrika bilden. Um so schmerzhafter zerbrach der Friede von Nimwegen (Februar 1679) alle Hoffnungen und Entwürfe. Die eigenen Bundesgenossen ließen den allzu erfolgreichen Fürsten im Stich.

Noch im politischen Testament von 1667 hat man den Geist des kleinen deutschen Territorialstaates wirksam gesehen. Der Erfolg erst, der im Kriege gegen Frankreich und Schweden Friedrich Wilhelms zielbewußter Machtpolitik beschieden war, stellte ihm neue Aufgaben; der Durchbruch zu europäischer Geltung war vollendet. Zugleich bereiteten die Erfahrungen dieses Friedensschlusses die Lösung vom Reichsgedanken vor, die Friedrich der Große zwei Menschenalter danach aufgreifen, Bismarck fast genau zwei Jahrhunderte später zum Abschluß bringen sollte. Aufs neue sah sich der Kurfürst als Emporkömmling behandelt, im Kreise der Großmächte allenfalls mit tiefem Mißtrauen geduldet. In echtem Krämergeist, lediglich um die eigenen kleinen Belange der unmittelbaren Gegenwart besorgt, hatten zuerst die Niederlande, um deren Rettung der Kampf entzündet war, mit Ludwig XIV. abgeschlossen. Unter Verzicht auf weitere Außenstellungen an der deutschen Westgrenze war Spanien diesem Vorgehen gefolgt. Als sich der Kaiser sowie die am Kriege beteiligten Reichsstände ebenfalls dem Spruch fügten, sah sich der Kurfürst völlig vereinzelt dem Angriff des übermächtigen Frankreich ausgesetzt. Vergebens suchte er in hartnäckigen Verhandlungen wenigstens einen Teil Vorpommerns zu retten, vergebens bot er sogar das [16] Herzogtum Preußen den Schweden, das linksrheinische Kleve Frankreich zum Tausch. Unter schärfstem Druck mußte er alle Eroberungen zurückgeben. Die Schuld an diesem Verrat, der volle dreißig Jahre zielbewußter Politik zunichte machte, schob Friedrich Wilhelm den Niederlanden und dem Kaiser zu. Frankreich dagegen hatte sich wiederum zu seinen schwedischen Freunden bekannt; nur durch Frankreichs Hilfe glaubte der Brandenburger jetzt die Früchte seines Sieges aufs neue zu gewinnen.

Aus nüchternster realpolitischer Erwägung, wie sie uns heute wieder lebensnah geworden ist, riß er das Steuer herum. In tiefstem Geheimnis ward eine "engere Allianz" mit Ludwig XIV. geschlossen. "Sobald Schweden einen Rückhalt am Kaiser fand", so hat bereits Leopold Ranke diesen Entschluß erklärt, "warf sich Brandenburg wie mit Naturgewalt auf die Seite von Frankreich." Eigene Erfahrungen aus Schlachten und Verträgen kamen hinzu: "Eine kühn vorwärtsdrängende Phantasie, eine stark optimistische Ader, eine gewisse Maßlosigkeit und Überlebendigkeit hinderten ihn, den überlieferten staatlichen Zustand Europas als endgültig hinzunehmen. Der alternde Kurfürst strebte seinen Zielen in beschleunigtem Tempo zu."

Selbst der Durchzug durch brandenburgisches Gebiet ward den französischen Truppen gestattet. Bei einem Thronwechsel in Polen verpflichtete sich Friedrich Wilhelm zur Unterstützung des von Frankreich vorgeschlagenen Bewerbers; bei der nächsten, allerdings noch fernen Kaiserwahl sollte er für den französischen König selbst oder für dessen Thronerben eintreten. Als Gegenleistung sagte Ludwig XIV. regelmäßige Jahreszahlungen zu. Hatte bislang das Gefühl fester Zugehörigkeit zum Reich, das Selbstbewußtsein, ein Deutscher zu sein, den Weg des Kurfürsten bestimmt, so setzte er sich jetzt scharf von dieser Überlieferung ab und ordnete alle Entschlüsse der politischen Sendung seines eigenen kleinen Staates, dem Streben nach dem Rest des pommerschen Erbgutes, unter.

Schon die allernächsten Jahre zeigten die tieftragischen Folgen einer solchen Entscheidung. Ohnmächtig sahen Kaiser und Reich zu, wie Frankreich mit dem Gewaltstreich der "Reunionen" die tausendjährige Westgrenze des deutschen Volkstums auflöste, in einer politischen Ermattungsstrategie die Vorstellungen des Staates zermürbte. Vergeblich nahmen beim Fall Straßburgs (1681) Flugschriften und Lieder Gedanken und Worte auf, wie sie gerade Friedrich Wilhelm früher dem deutschen Volke mit schneidender Schärfe zugerufen hatte, vergeblich erweiterte Graf Georg Friedrich von Waldeck, nunmehr in niederländischen Diensten, den älteren Plan eines Fürstenbundes zur Bildung einer großen Verteidigungsfront gegen den französischen Friedensbruch. In eigenwilligem Trotz knüpfte der Kurfürst die Beziehungen zu Ludwig XIV. fester. Der neue, doppelte Angriff, den die Türken nach Wien (1683), Frankreich gegen die Niederlande vortrugen, sah ihn im Bann dieser Verpflichtungen. Nach der Erhöhung der Pariser Hilfsgelder, die ihm für die Aufrechterhaltung von Heer und Verwaltung unentbehrlich waren, hat der [17] Brandenburger die Erklärung des Reichskrieges verhindert. Nicht nur Schwäche und Selbstsucht der kaiserlichen Politik, für die der Schutz der Nord- und Westgrenzen des deutschen Gesamtstaates vor der Deckung der österreichischen Erblande völlig zurücktrat, auch der klägliche Stand der militärischen Vorbereitungen eröffneten dem in Krieg und Frieden bewährten Feldherrn und Staatsmann keinerlei Aussicht auf wirklich durchgreifende Erfolge. Böse Worte des kaiserlichen Kanzlers, der mit seiner Warnung vor einem neuen Königtum der Wenden und Vandalen den Haß des katholischen Hofes gegen den "Kalviner" mehrte, vertieften den Zwiespalt.

Friedrich Wilhelm selbst nützte die Zeit des Friedens zu erfolgreichstem Ausbau im Inneren. In Ehrfurcht und Liebe wandten sich Adel, Städter und Bauern ihrem "weltberühmten genereusen Kurfürsten" zu. Die Ordnung der Verwaltung ward abgeschlossen. Otto von Schwerin und Friedrich von Jena sind die besten Helfer des Landesherrn gewesen. Als Hofkammerpräsident legte Freiherr Dodo zu Inn- und Knyphausen die Entwicklung der Finanzen fest. Für einen künftigen, größeren Kampf, in dem nur Frankreich als Gegner gelten konnte, wurde ein gewaltiger Kriegsschatz in Küstrin "vermauert". Der Ansiedlung niederländischer Kolonisten, die Luise Henriette besonders am Herzen gelegen hatte, folgte der Zuzug von Schweizern. In der Stadt Berlin, der sich die Gunst des Herrschers neben der zweiten Residenz Potsdam zuwandte, führten zahlreiche französische Réfugiés wichtige Gewerbezweige ein. Ein gut entwickeltes Postwesen beschleunigte den Nachrichtenverkehr. Den Austausch von Gütern förderte ein Netz kleinerer Wasserstraßen, unter denen der Friedrich-Wilhelm-Kanal zwischen Oder und Spree den Namen seines Erbauers festhält. "Handlung und Seefahrt", so bekannte sich dieser am Neujahrstage 1686 zu den Grundsätzen des Merkantilismus, "sind die fürnehmsten Säulen eines Staates, wodurch die Untertanen beides, zu Wasser als auch durch die Manufakturen zu Lande, ihre Nahrung und Unterhalt erlangen." In engem Zusammenhang mit der jetzt erst gesicherten Kolonie und Feste Groß-Friedrichsburg an der Guineaküste, die vierzig Jahre später von Friedrich Wilhelm I. aufgegeben wurde, stand die Gründung einer Brandenburgisch-Afrikanischen Kompagnie. In Berlin ward der Grundstock zur heutigen Staatsbibliothek gelegt, in Duisburg bereits 1654 eine reformierte Hochschule für das rheinisch-westfälische Staatsgebiet eröffnet, vor allem die märkische Landesuniversität Frankfurt a. d. O. mit reichen Mitteln unterstützt.

Noch in diesen Jahren jedoch, in denen wirtschaftliche und soziale Bestrebungen die rastlose Arbeitskraft des "Großen Kurfürsten" zu erschöpfen schienen, riß er aufs neue das Steuer der Außenpolitik herum und gab dem Staatsschiff für zwei Menschenalter die entscheidende Fahrt. Nicht nur die Staatsräson, auch ein tiefwurzelndes religiöses Gefühl, in dem Sorgen und Not des reformatorischen Ringens um die Erhaltung der reinen Lehre nachklingen, veranlaßten die offene Aufgabe der französischen Freundschaft. Als Ludwig XIV. im Oktober 1685 das Edikt von Nantes zerriß, seine protestantischen Untertanen wüsten Verfolgungen [18] preisgab, öffnete der Kurfürst wenige Tage danach durch die Erklärung von Potsdam den Hugenotten die brandenburgischen Erblande. Sie erst gab dem kurz zuvor geschlossenen Bündnis mit seinem Neffen Wilhelm von Oranien, der nach den Mißerfolgen der Kaufmannsherrschaft die Leitung der niederländischen Staatsgeschäfte übernahm, die scharfe Spitze gegen Übermacht und Übermut des französischen Absolutismus. Die Annäherung an den Kaiser, die bereits die Türkennot der letzten Jahre innerlich vorbereitet hatte, schloß die Front gegen Westen aufs neue. Weitreichende Pläne über die Erbfolge in Spanien sowie über eine Umgruppierung der europäischen Mächte beschäftigten den durch Gicht und Alterskrankheiten immer stärker gequälten Herrscher.

Der Große Kurfürst begrüßt ankommende Hugenotten.
Der Große Kurfürst begrüßt ankommende Hugenotten.
Relief von Johannes Boese, 1885.       [Nach wikipedia.org.]


Eine weitere Frage, deren Lösung bislang vor der Sorge um Kleve, um Preußen und insbesondere um Pommern zurückgetreten war, schien zugunsten des Brandenburgers geregelt. Gegen den Verzicht auf die Herzogtümer Liegnitz, Brieg und Wohlau sowie auf das Fürstentum Jägerndorf, die dem Kurhause durch Erbverbrüderung zustanden, sollte ein Vertrag mit Leopold I. anderen Gebietszuwachs um so nachhaltiger sichern. Mit der Anwartschaft auf Ostfriesland, die König Friedrich II. erst 1744 antrat, eröffnete sich dem Kurfürsten nochmals die Aussicht auf Teilnahme am Weltverkehr; mit dem Gewinn des Kreises Schwiebus wuchsen die Marken tiefer in das alte Kolonialland des deutschen Mittelalters hinein. Friedrich Wilhelm ahnte nicht, daß Kurprinz Friedrich, der künftige König in Preußen, dem Kaiser gleichzeitig die Preisgabe dieser wichtigen Landschaft zusagte, um sich gegen angebliche und tatsächliche Anfeindungen durch seine Stiefmutter Dorothea von Holstein, die sein Vater nach dem Tode Luise Henriettes heimgeführt hatte, einen Rückhalt zu schaffen. Familienzwist und väterliche Güte, die den alternden Kurfürsten zur Ausstattung auch seiner jüngeren Söhne veranlaßt hatten, drohten die von ihm selbst aufgestellten Anschauungen von der Einheit und Unverletzlichkeit der Erblande zu erschüttern: so stark waren die politischen Erkenntnisse, die die Not der Zeit zum Ansatz gebracht hatte, von einer persönlichen Auslegung des Herrschers abhängig, so schwach im Wesen des Staates verwurzelt!

Friedrich Wilhelm selbst kam dieser Zwiespalt nicht zum Bewußtsein. In stolzer Hoffnung auf die unbedingte Zuverlässigkeit der von ihm aufgerichteten Ordnung ist er am 9. Mai 1688 nach furchtbarem Todeskampfe dahingegangen. Seine letzten Gedanken folgten den Abmachungen, die wenige Wochen danach Wilhelm von Oranien in den Besitz Englands setzten und damit der Abwehr französischer Vormachtgelüste in entscheidender Stunde den festesten Halt gaben. Außenpolitische Sorgen, die Geburt und Jugend beschattet, Taten und Meinungen des Mannes gelenkt hatten, formten seine letzten Tagesparolen: London und Amsterdam!


Bronzerelief von Gottfried Leygebe, 1671
Friedrich Wilhelm von Brandenburg-Preußen,
der Große Kurfürst.

Bronzerelief von Gottfried Leygebe, 1671.
[Die Großen Deutschen im Bild, S. 113.]
[19] In der Tat sind Charakter und Bildung des "Großen Kurfürsten", Gewinn und Verlust seiner Regierung, Stärke und Schwäche dieses Lebens nur aus der Eingliederung seines kleinen verzettelten Erbgutes in die Geschicke Europas verständlich. Nicht die Gunst der Umstände und nicht der Rat seiner Diplomaten und Heerführer, sondern er allein hat seinen Staat aus der kleinen Welt der deutschen Landesgeschichte hinausgeführt in eine weltweite Zukunft.

Eine stark ausgeprägte Religiosität, die im Wesen seiner ersten oranischen Gemahlin eine glückliche Ergänzung fand, bildete den Grundzug seiner Einstellung zu der ihm anvertrauten Gemeinschaft. "Wenn er der ersten Aufwallung nicht Herr wurde", so hat Friedrich der Große Festigkeit und Güte seines bewunderten Ahnherrn umschrieben, "meisterte er sicher doch die zweite, und sein Herz machte überreichlich wieder gut, was sein allzu hitziges Blut etwa verschuldet hatte." Mit tiefem Schmerz ertrug Friedrich Wilhelm den Tod des hochbegabten Kurprinzen Karl Emil, der inmitten des elsässischen Feldzuges in Straßburg einer Heeresseuche erlag, obwohl ihm dessen harter, dem Willen des Vaters wesensähnlicher Charakter schwere Erziehungssorgen bereitet hatte. Der Choral "Jesus, meine Zuversicht", dessen Dichter im engsten Kreise der kurfürstlichen Umgebung zu suchen ist, gibt dieser Stimmung erschütternden Ausdruck. Als protestantische Macht hat Brandenburg Kursachsen damals die Führung der evangelischen Reichsstände entrissen, dem Kaiser wie dem allerchristlichsten französischen Könige Widerpart gehalten, zugleich im eigenen Lande alle vom Reich anerkannten Bekenntnisse geschützt. Die schönen Worte seines politischen Testaments, daß "die Gewissen Gottes sind, kein Potentat der Welt sie zu zwingen vermöge", hat der Kurfürst selbst in die Tat umgesetzt.

Als Kern und Stock der weiteren Entwicklung mußte der Landesherr Schutz und Vertretung der Untertanen gegen jede innere und äußere Unbill übernehmen. Nicht die blasse, zunächst noch blutlose Lehre eines neuen Naturrechtes, sondern ein klares Gefühl für Gerechtigkeit, das die Not der Zeit zu überwinden suchte, bereitete den Durchbruch kommender Jahrhunderte vor. Gegen den Widerstand der Stände riefen die Räte des Kurfürsten den Grundsatz der Staatsräson zu Hilfe. Als dieser persönlich dem Kurprinzen die Worte aufgab: "Ich will das Regiment als eine Sache des öffentlichen Wohles und nicht als meine eigene führen", machte er den Gedanken einer sozialen und nationalen Gemeinschaft, wie ihn unsere Tage bewußt aufnahmen, zur ideellen Grundlage des aufgeklärten Absolutismus. War vordem bereits über dem Streit der Konfessionen die unbedingte Gewißheit vom Eigenwert einer deutschen Kultur geweckt worden, so fand diese Auffassung in Friedrich Wilhelm von Brandenburg einen ersten, festen Halt. Seine starke, der Verantwortung für Volk und Land bewußte Persönlichkeit bildete den Ausgangspunkt dieser Wandlung.




Alphabetische Inhaltsübersicht
Friedrich Wilhelm I. Friedrich Wilhelm I. Friedrich Wilhelm I. alphabetische Inhaltsübersicht der Biographien Jakob Fugger Jakob Fugger Jakob Fugger


Chronologische Inhaltsübersicht
Paul Gerhardt Paul Gerhardt Paul Gerhardt chronologische Inhaltsübersicht der Biographien Hans Jakob v. Grimmelshausen Hans Jakob v. Grimmelshausen Hans Jakob v. Grimmelshausen


Originalgetreue Inhaltsübersicht
Heinrich Schütz Heinrich Schütz Heinrich Schütz Inhaltsübersicht der Biographien in Reihenfolge des Originals Andreas Schlüter Andreas Schlüter Andreas Schlüter





Die großen Deutschen: Neue Deutsche Biographie.
Hg. von Willy Andreas & Wilhelm von Scholz