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Der Nordische Krieg   [Scriptorium merkt an: 1700-1721]

Der Friede von St. Germain en Laye gehörte zu den Verträgen, welche als traurige Durchgangsstation galten, jedoch unerwartete Dauer gewannen. Der Große Kurfürst starb, ehe er sich aufs neue mit den Schweden messen konnte. Sein Sohn verfolgte bestimmte politische Ziele nicht so stetig. An Plänen fehlte es nicht; aber die brandenburgisch-preußische Politik wurde unsicher, sprunghaft und machte allenthalben einen unzuverlässigen Eindruck. Im spanischen Erbfolgekriege leistete der erste Preußenkönig dem Kaiserhofe Hilfe ohne entsprechende Gewinne und besaß für den Nordischen Krieg nicht mehr genug Mittel zum tatkräftigen Eingreifen.

Der Nordische Krieg stellte Preußen ähnliche Aufgaben wie vor 50 Jahren der Angriff Karls X. Wiederum galt es, zwischen Polen und Schweden zu wählen, entweder den Polen die nötigen Verbindungsstücke zwischen Preußen und Brandenburg-Pommern oder den Schweden ihren pommerschen Anteil zu entreißen. Polens Ohnmacht hatte sich vergrößert; die Aussicht auf fremde Hilfe war geringer als vor dem Frieden von Oliva. Anderseits bedeutete das erstarkte Rußland für Karl XII. eine weit ernstere Gegnerschaft, als sie einst Karl X. Gustav vorgefunden hatte. Den begehrlichen Blicken des Berliner Hofes entgingen die Schwächen beider Parteien nicht. Aber er wußte nie genau, was er wollte, und konnte sich in seiner eigenen Ohnmacht zu keiner Tat aufraffen. Senkte sich die Wage zu Ungunsten der Schweden, dann drängten sich die Wünsche nach den Odermündungen hervor. Glaubte der König die Polen im Nachteil, so wurde erörtert, wie die Kluft zwischen Brandenburg-Pommern und Preußen ausgefüllt werden sollte. Am offensten redete die eigenhändige Denkschrift, welche Friedrich I. 1709 dem sächsisch-polnischen Grafen Flemming auf der Durchreise übergeben ließ. Damals war August der Starke seit Jahren aus Polen vertrieben und strebte, einen Teil dieses Landes erblich für sein Haus wieder zu gewinnen. In dieser Lage hätte ihm der König von Preußen "Polen, was um Warschau liegt" und Litauen gern verschafft, wenn er selbst Westpreußen, Ermeland und Kurland bekommen hätte.

[32] Erst nach dem Ende des spanischen Erbfolgekriegs und nach dem Tode Friedrichs I. gewannen die preußischen Eroberungsziele greifbarere Gestalt. Inzwischen hatten sich die Verhältnisse so geklärt, daß die Wahl, ob Polen oder Schweden der Bundesgenosse sein sollte, nicht mehr zweifelhaft war. Friedrich Wilhelm I. von Preußen glaubte sogar, ohne jeden Waffengang den Wunsch seines Großvaters erfüllen zu können. Während Karl XII. noch in der Türkei weilte, verständigte sich Friedrich Wilhelm mit dem schwedischen Thronerben, daß beide gemeinsam Wismar und Vorpommern besetzten. So friedlich vollzog sich die Tat allerdings nicht. Immerhin war Karl XII. nach seiner Rückkehr zu keinem erfolgreichen Widerstande mehr fähig. Doch die Eifersucht des Kaisers, Englands, Frankreichs und Hannovers hinderte den Berliner Hof am vollen Gelingen seines Vorhabens. Er mußte Stettin und Vorpommern bis zur Peene nebst den Inseln Usedom und Wollin den Schweden teuer abkaufen, auf Stralsund und Rügen aber verzichten. Als im Frieden von Nystad (1721) Zar Peter unerwarteterweise ganz Livland beanspruchte, suchte der preußische Gesandte noch einmal auch den Rest Vorpommerns einzuheimsen. Aber trotz der Vorteile, welche er hierbei Rußland versprach, blieb es beim schüchternen Anlauf.

Immerhin hatte Preußen das Wichtigste von Vorpommern gewonnen. Freilich bildeten Stralsund und Rügen für Schweden noch günstige Angriffsstellungen und zwangen den Berliner Hof zu unwirtschaftlichen Verteidigungsmaßregeln, hinderten ihn, in einem Angriffskriege gegen dritte Mächte seine ganze Kraft zu entfalten. Doch abgesehen von diesen strategischen Gründen war die im Westfälischen Frieden geschaffene unhaltbare Lage beseitigt, der brandenburgisch-pommersche Oderhandel nicht mehr durch den schwedischen Besitz des Stettiner Haffs gelähmt. Mit der neuen Grenze konnten sich beide Teile abfinden.






Deutschlands Friedensschlüsse seit 1555:
Ihre Beweggründe und ihre geschichtliche Bedeutung

Professor Dr. Gustav Wolf