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[104]
Nr. 60:

Niederschrift über die Sitzung des Obersten Rates in London, 17. November 1939
(Auszug)
1

An der Sitzung nahmen teil:

für Frankreich:
      Daladier,
      Corbin,
      General Gamelin,
      Admiral Darlan,
      General Vuillemin,
      General Koeltz,
      Admiral Odend'hal,
      General Lelong,
      de Charbonnière;

für England:
      Chamberlain,
      Lord Halifax,
      Lord Chatfield,
      Sir Kingsley Wood,
      Sir Horace Wilson,
      Sir Alexander Cadogan,
      Sir Edward Bridges,
      Luftmarschall Sir Cyril Newall,
      General Ismay,
      F. Roberts.
17. November 1939

Der Premierminister wünscht, dem Französischen Ministerpräsidenten herzlich für die von ihm unternommene lange und schwierige Reise zu danken. Er bedauert, daß er Herrn Daladier habe bitten müssen, nach London zu kommen, da es ihm augenblicklich wegen seines Gichtanfalls unmöglich war zu reisen. Er tröstet sich mit dem Gedanken, daß dieses Leiden eines derjenigen ist, an denen alle guten Premierminister Englands leiden.

Der Ministerpräsident antwortet, daß er stets sehr erfreut ist, sich nach London zu begeben, daß seine Freude dieses Mal jedoch durch den Gedanken an die Krankheit des Premierministers getrübt wird, die jedoch leichter zu ertragen sein muß, da sie bei den britischen Premierministern gewissermaßen traditionell ist.

[105] Chamberlain hofft, daß es ihm bald möglich sein wird, sich nach Frankreich zu begeben. Inzwischen ist eine Frage von großer Bedeutung aufgetaucht, der die jüngsten Ereignisse einen besonders dringenden Charakter gegeben hat. Es sind darüber zwischen dem Französischen und Britischen Generalstab Meinungsverschiedenheiten aufgetaucht, und es schien notwendig, eine Sondersitzung des Obersten Rates zur Lösung der Schwierigkeiten einzuberufen.

Der Premierminister wird versuchen, von seinem Standpunkt aus eine kurze Darstellung dieser Frage zu geben.

Es handelt sich um die Feststellung des wirksamsten Gebrauchs, den man von einem Teil der britischen Luftwaffe unter gewissen Umständen machen soll....

... In folgendem Punkt bestehen Meinungsverschiedenheiten: welche Rolle sollen die britischen Langstreckenbomber spielen? Es scheint nicht angebracht zu sein, sie zu der gleichen Aufgabe zu benutzen, die der Luftwaffe mit geringer Reichweite erteilt ist. Beide Oberkommandos stimmen überein, daß diese beiden Flugzeugtypen für verschiedene Zwecke gebaut wurden, und daß jede von ihnen dafür Besonderheiten aufweist.

Der Britische Luftwaffengeneralstab hat für die Verwendung seiner Langstreckenbomber einen Plan zur Zerstörung des Ruhrgebietes ausgearbeitet....

... Wie ist die Britische Regierung zu dem Gedanken der Bombardierung des Ruhrgebietes gekommen?

Im wesentlichen, weil sich auf einem beschränkten Gebiet Ziele von beträchtlicher Bedeutung zusammengedrängt finden. Man kann schätzen, daß das Ruhrgebiet 60% der deutschen Industrie umfaßt. Es besitzt "Schlüsselindustrien", die Rohstoffe für die gesamte deutsche Industrie liefern. Es ist nicht zweifelhaft, daß eine völlige Zerstörung dieses Industriegebietes in der Praxis die gesamte deutsche Kriegsindustrie und, man kann sagen, das gesamte deutsche Leben lähmen würde.

Außerdem liegt im Ruhrgebiet ein äußerst dichtes Eisenbahnnetz. Fünf der zehn Haupteisenbahnlinien Deutschlands führen durch dieses Gebiet. Es enthält besonders für Deutschland lebensnotwendige Verteilungsbahnhöfe und Eisenbahnknotenpunkte. Das gilt z. B. für Hamm. Der Premierminister weist auf die Tatsache hin, daß alle diese Punkte von größter Bedeutung sich in einem Gebiet von geringer Ausdehnung vereinigt finden.

Ist es möglich, das Ruhrgebiet zu zerstören?

Die britische Luftwaffe hat im Laufe der letzten Wochen eine vollständige Aufklärung über das Gebiet durchgeführt. Sie hat, zum größten Teil aus niedrigen Höhen, zahllose photographische Aufnahmen gemacht. Sie besitzt jetzt eine ganz vollkommene Karte des Gebiets mit allen kleinsten Einzelheiten. Die kleinste Fabrik, das kleinste Elektrizitätswerk, der kleinste Hochofen, der kleinste Kanal sind an der Stelle eingezeichnet, an der sie sich tatsächlich befinden. Und noch mehr. Die technischen Abteilungen haben aus Gips ein Reliefmodell der ganzen Gegend hergestellt, wie sie sich aus der Luft darstellt. Dieses Modell ist so hergestellt und bemalt worden, daß es genau den Eindruck bietet, den das Gebiet bei den darüber fliegenden Flugzeugführern hinterläßt.

[106] Ein Korps außerordentlich tapferer Flieger ist besonders für diese Bombardierung ausgebildet worden. Schon jetzt weiß jeder, mit der Erreichung welchen Ziels er beauftragt werden wird und wie er es erkennen kann.

Nach dem Plan würden die schweren Bombenflugzeuge Belgien in sehr niedriger Höhe überfliegen und mit höchster Geschwindigkeit fast in Höhe der Schornsteine über das Ruhrgebiet hinwegfliegen. Sie würden in kleine Gruppen geteilt werden, von denen jede Maschine sich ausdrücklich auf das ihr bezeichnete Ziel bewegen und das zu erreichen sie sich bemühen würde. Dieses Fliegen in niedriger Höhe hat den Zweck, dem Beschuß der schweren und mittleren Flakbatterien und den Jagdfliegern zu entgehen, die so niedrig nicht zweckmäßig manövrieren können. Die einzigen verwendbaren Abwehrmittel wären die Maschinengewehre oder leichten Flakgeschütze.

Der Entwurf sieht nicht vor, daß der Angriff auf einen Schlag und an einem einzigen Tage durchgeführt werden soll. Er müßte im Gegenteil Woche auf Woche während eines langen Zeitraums fortgesetzt werden, zwei oder vielleicht drei Monate lang. In diesem Zeitraum würde man ständige Einflüge unternehmen, indem aufeinanderfolgende Flugzeugwellen ausgesandt würden. Jeden Tag würde man sich um die Vervollständigung der bereits durchgeführten Zerstörungen bemühen. Die Einflüge fänden in der Nacht wie am Tage statt. Die Bevölkerung des Ruhrgebiets würde keinen Augenblick Ruhe haben. In dieser ständigen Aufeinanderfolge von Alarmen hätte sie keine Möglichkeit zum Schlafen oder zum Arbeiten. Ebensowenig wäre es möglich, zur Ausbesserung der Zerstörungen zu schreiten.

Es handelt sich also im ganzen nicht um eine Improvisation, sondern um einen mit größter Sorgfalt aufgestellten Plan, dessen Einzelheiten alle besonders geprüft wurden. Nach Ansicht der britischen Militärsachverständigen würde das in Aussicht genommene Unternehmen dem Feind weit größeren Schaden verursachen als irgendein anderer Plan. Das Britische Oberkommando hat selbstverständlich andere Möglichkeiten geprüft, z. B. die systematische Bombardierung der Benzinlager, der Flugplätze usw. Es ist jedoch zu der Schlußfolgerung gelangt, daß das bei weitem wirksamste Unternehmen die Bombardierung des Ruhrgebiets sein würde....

... Chamberlain besteht darauf, daß das Unternehmen, um wirksam zu sein, notwendigerweise ohne den geringsten Zeitverlust beschlossen werden müßte. Man darf keine Minute mit Diskussionen verlieren.

Der Premierminister weist darauf hin, daß er den Plan im einzelnen dargestellt habe, und daß seine Zuhörer den Eindruck haben könnten, er persönlich sei dafür begeistert. Tatsächlich ist er überzeugt, daß es sich um einen sehr geschickt vorbereiteten Plan handelt, dessen Gelingen ihm möglich erscheint. Aber zu gleicher Zeit schaudert er vor dem Gedanken, den notwendigen Befehl geben zu müssen, und er hofft, daß dazu niemals eine Notwendigkeit vorliegen wird.

So gut ausgebildet und so geschickt die englischen Flieger auch seien, so gut und schnell auch ihre Maschinen, so kann man doch nicht übersehen, daß die Verluste sehr schwer sein würden. Man kann sie selbstverständlich im voraus nicht berechnen, aber nach Ansicht der Sachverständigen würden sie ein Fünftel bis zur Hälfte der eingesetzten Maschinen und Besatzungen betragen. Das ist eine für den Premierminister um so weniger mit leichtem Herzen in [107] Betracht zu ziehende Aussicht, als es sich bei den geopferten Besatzungen um die Besten der britischen Luftwaffe handeln würde, um die wahre "Blüte" der Royal Air Force, die wahrscheinlich sehr schwer zu ersetzen sein würde.

Falls es sich nach den ersten Tagen zeigen sollte, daß das Unternehmen nicht gelingt, daß man die festgesetzten Ziele nicht erreichen kann, und daß die Verluste schwerer sind, als man voraussah, würde es jedenfalls nicht möglich sein, damit fortzufahren. Einer der Gründe jedoch, deretwegen Chamberlain das Unternehmen nur ungern auslösen würde, ist, daß dadurch die Angriffe gegen offene Städte begonnen würden. Selbstverständlich handelt es sich im wesentlichen darum, militärische Ziele zu zerstören; diese liegen aber so, daß es unmöglich ist, sie ohne Heimsuchung von Zivilpersonen zu treffen. So würde eines zum anderen kommen, bis es fast unvermeidbar wäre, einen Krieg ohne Einschränkungen zu führen. Wenn man alle anderen Betrachtungen, z. B. die moralischen, beiseite läßt, so ist es sicher, daß Frankreich und Großbritannien gegen Luftangriffe nicht so gut geschützt sind, wie sie es wünschen könnten. Die Fabriken und die Industriezentren der Alliierten sind verletzbar und es ist nicht zweifelhaft, daß die Deutschen sofort Repressalien ergreifen würden. Der Premierminister möchte sie vermeiden. Die Wirkung der als Repressalie durchgeführten Bombardierungen durch Deutschland würden auf die Flugzeug-, die Munitionsherstellung usw. sicher bedeutend sein. Wenn die Deutschen selbst beginnen würden, gewisse britische Industriezentren auf dem Luftwege anzugreifen, so brauchte man nicht im geringsten zu zögern, mit den gleichen Mitteln zu antworten; es ist aber etwas anderes, selbst diese Art von Krieg auszulösen.

Es wäre offensichtlich unmöglich, den Verlust menschlichen Lebens unter der Zivilbevölkerung zu vermeiden, so niedrig die Flugzeuge auch flögen und so genau sie ihren Bombenwurf durchführten. Dies würde von der deutschen Propaganda aufs äußerste ausgenutzt werden, obgleich die Deutschen selbst schon Schlimmeres verübt hätten. Trotzdem bleibt der Premierminister von dem Gedanken beunruhigt, welche Wirkung auf die neutralen Länder und besonders auf die Vereinigten Staaten eine deutsche Propaganda haben könnte, die die Alliierten als die Ersten herausstellt, die mit der Bombardierung der Zivilbevölkerung begonnen haben. Chamberlain ist also sicher nicht bereit, leichtfertig an ein Unternehmen zu gehen, das außer seinen Auswirkungen auf rein militärischem Gebiet auch bedeutende Folgen vom politischen Gesichtspunkt aus haben würde....

... Unter diesen Bedingungen wünscht er den französischen Vertretern folgende Frage vorzulegen: Sind Sie bereit, uns zu sagen, daß Sie es unserem Belieben überlassen, den Befehl zur Bombardierung des Ruhrgebiets in dem Fall zu geben, in dem wir die Lage für ernsthaft genug zur Rechtfertigung eines solchen Beschlusses halten?...

... Daladier stimmt der außerordentlichen Bedeutung des Industriegebietes der Ruhr zu. Wenn Deutschland dessen beraubt werden könnte, würde dies sicher ein äußerst furchtbarer Schlag sein. Es müßte vielleicht tatsächlich auf die Fortführung des Krieges verzichten und einen Vergleich suchen. Vielleicht würde dies auch zu einer Volksbewegung führen, die die Hitlerregierung bedroht. Vom militärischen, wirtschaftlichen und politischen Standpunkt zusammen gesehen, würde die Zerstörung des Ruhrgebiets ein Hauptereignis in der Kriegführung bilden.

[108] Der Ministerpräsident hat jedoch sehr schwerwiegende Bedenken.

Er will den moralischen Standpunkt nicht in Betracht ziehen, obgleich er seinen ganzen Wert ermißt. Es ist zweifellos unmöglich, Fabriken zu bombardieren, ohne Arbeiter oder selbst Arbeiterinnen, oder anders ausgedrückt Zivilpersonen, Greise, Frauen und Kinder zu treffen. Daladier gibt sich vollkommen Rechnung von dem Nutzen, den die deutsche Propaganda aus einem solchen Ereignis zu ziehen nicht verfehlen würde....

... Er wird ausschließlich vom militärischen Standpunkt aus urteilen. Er ist sicher, daß der ihm dargestellte Plan sehr sorgfältig aufgestellt wurde, und daß er einen sehr ernsthaften Entwurf darstellt. Bei dieser Gelegenheit wünscht er, dem Mut und den Fähigkeiten der englischen Flieger zu huldigen, die das ganze Ruhrgebiet photographieren und die Unterlagen beschaffen konnten, die die Herstellung des Modells, das Chamberlain soeben erwähnt hat, ermöglichten. Das ist eine schöne Leistung, die die britischen Flugzeuge und Besatzungen ehrt.

Daladier hat die eingehende und vollständige Darstellung des Premierministers mit größter Aufmerksamkeit angehört. Er ist sich vollkommen klar darüber, daß die englischen Flieger, wenn sie den Befehl zur Bombardierung des Ruhrgebiets erhalten, sofort aufbrechen, sich nach den ihnen befohlenen Zielen begeben, so niedrig fliegen, daß sie sich fast in der Höhe der Schornsteine befinden usw.... Darüber hat er nicht den geringsten Zweifel. Er möchte jedoch zwei bündige Fragen stellen: wieviel Langstreckenbomber besitzt die britische Luftwaffe augenblicklich? Wieviel besitzt Deutschland seinerseits. Denn der Ministerpräsident befürchtet, daß die englischen Flieger trotz allem Mut und allem Wert nicht zahlreich genug sind, um eine ziemlich vollständige Zerstörung des Ruhrgebiets durchzuführen. Er stimmt nicht damit überein, daß es möglich wäre, aufzuhören und die Sache auf sich beruhen zu lassen, wenn die Ergebnisse nicht ausreichend und die Verluste zu groß wären....

... Daladier glaubt, er ist dessen sogar sicher, daß das Ruhrgebiet durch die Luftabwehr außerordentlich geschützt ist. Es ist nicht nur mit zahlreicher Artillerie mittleren und schweren Kalibers (Geschütze von 8,8 cm und darüber) ausgerüstet, sondern auch mit einem besonderen Schutz durch Maschinengewehre und auf kurze Entfernung wirkende Geschütze versehen. Von diesem Gesichtspunkt aus sind die Deutschen unleugbar weiter fortgeschritten als die Alliierten. Jede Fabrik ist für sich durch Artillerie leichten Kalibers geschützt, und diesem Schutz ist wieder der des Gesamtgebiets durch schwere Artillerie übergeordnet. Der Ministerpräsident ist überzeugt, daß der vorgesehene Luftangriff mindestens den Verlust der Hälfte der britischen Flugzeuge verursachen würde. Welcher Triumph für Deutschland und welcher Autoritätszuwachs für die Hitlerregierung in Deutschland selbst, wenn das englische Oberkommando beim Vorliegen solcher Verluste auf die Fortführung des Unternehmens verzichten müßte. Wenn die Alliierten ihre Angriffe aufgeben müßten, so wäre das anderseits noch kein Grund für die Deutschen, auf ihre Repressalien gegen Frankreich und Großbritannien zu verzichten. Das Ergebnis dieser Gegenstöße läge in der Lähmung der von beiden Ländern auf dem Gebiet der Luftwaffe und der Rüstungen zu Lande gleichzeitig unternommenen Aufrüstungsbemühungen. Was Frankreich angeht, so bemüht es sich um eine er- [109] hebliche Vermehrung seiner Bombenflugzeuge. Vor und seit Kriegsbeginn hat es eine große Anzahl Maschinen in den Vereinigten Staaten bestellt. Es entwickelt zu gleicher Zeit seine eigene Erzeugung und baut augenblicklich moderne schnelle Flugzeuge, die in jeder Weise zufriedenstellen, aber im Augenblick nicht zahlreich genug sind. Der französische Plan liegt demnach im Gewinn von möglichst viel Zeit, um Bombenflugzeuge bauen zu können, da dies augenblicklich den schwachen Punkt der französischen Militärorganisation bildet. Daladier legt dar, daß die französische Flugzeugindustrie noch nicht vollkommen dezentralisiert ist. Die Fabrikumlegungen sind im Gange, aber noch nicht alle sind durchgeführt. Besonders die Fabrik Gnome & Rhone, eine der wichtigsten für die Motorenerzeugung, befindet sich noch im Pariser Bezirk. Wenn diese Fabriken, die sich in besonders verletzbaren Bezirken befinden, bombardiert würden, würde daraus für die Luftaufrüstung Frankreichs eine Verzögerung von mehreren Monaten, vielleicht sogar von mehreren Jahren entstehen. Das gleiche gilt für alle Gebiete der Kriegsindustrie. Daladier hält es für eine schlechte Politik, ein derartiges Risiko zu übernehmen, ohne des Erfolges sicher zu sein. Wenn man mit Sicherheit die Zerstörung des Ruhrgebiets erreichen würde, könnte man sich vielleicht mit der Vernichtung zahlreicher Fabriken in Frankreich und Großbritannien abfinden. Das ist aber nicht der Fall. In Wahrheit besteht augenblicklich ein zu großes Mißverhältnis zwischen den deutschen und alliierten Bombenfliegern. Das etwaige Risiko liegt darin, daß den letzteren die Zerstörung des Ruhrgebiets nicht gelingt, daß dagegen den Deutschen die Vernichtung der Fabriken in Frankreich und Großbritannien glückt.

Darum würde der Ministerpräsident bei weitem vorziehen, den Deutschen die Initiative und die Verantwortung, als erste mit der Bombardierung der Industriegebiete begonnen zu haben, zu überlassen, so daß sie die ersten sind, die Städte und Fabriken angreifen, Frauen und Kinder treffen. Wenn sie eine solche Initiative ergreifen, würde der geringste Widerspruch gegen den Plan der Britischen Regierung sowohl schwer als ungerecht sein. Die Französische Regierung wäre nicht nur vollkommen einverstanden, sondern würde auch nach Maßgabe der Mittel der französischen Luftwaffe mit der englischen zusammen zu arbeiten versuchen. Daladier wiederholt aber, daß man augenblicklich diese Initiative den Deutschen überlassen müsse, und daß es für die Sache der Alliierten gefährlich und nachteilig wäre, eine Bombardierung des Ruhrgebietes durchzuführen....

... In einigen Monaten wird die Lage zweifellos nicht mehr die gleiche sein. Nach den dem Ministerpräsidenten vorliegenden Angaben wird die englische Luftwaffe bis dahin eine bedeutende Entwicklung erreicht haben. Frankreich seinerseits wird sein in den Vereinigten Staaten bestelltes Material erhalten und seine eigene Erzeugung wird ihren Aufschwung erreicht haben. Die französische Luftfahrt hat z. B. die Modelle Liore und Potez fertiggestellt, die hervorragend sind, aber noch nicht erzeugt werden. Wenn die Fabriken nicht zerstört werden, werden in einigen Wochen interessante Ergebnisse zu verzeichnen und jedenfalls in einigen Monaten eine bedeutende Anzahl von Maschinen in Dienst gestellt sein. Daladier ist einverstanden, daß man in diesem Augenblick, in dem die Alliierten den Deutschen gegenüber nicht mehr in Unterlegenheit sein werden, das von Chamberlain beschriebene Unternehmen in Betracht zieht. Demnach ist der Ministerpräsident weit davon entfernt, die [110] Aufgabe des Planes vorzuschlagen. Er schlägt im Gegenteil vor, daß man ihn beibehält und zu vervollkommnen trachtet. Aber in einer sofortigen Durchführung des Planes sieht Daladier mehr Nach- als Vorteile....

... Der Premierminister dankt dem Ministerpräsidenten für die von ihm gegebene Darstellung, in der er seinen Standpunkt mit der ihm eigenen Klarheit und Kraft entwickelt hat. Die von ihm vorgebrachten Argumente sind unleugbar sehr stark. Welche Meinungsverschiedenheiten aber auch zwischen Franzosen und Engländern auftauchen könnten, sie werden sich jedenfalls über diese Angelegenheit nicht streiten. Zu einem Streit liegt im übrigen nicht der geringste Anlaß vor. Chamberlain verlangt nicht, daß schon jetzt eine Entscheidung getroffen werde....

... Daladier erklärt, daß es tatsächlich klüger sei, die Frage der Bombardierung des Ruhrgebietes aufzuschieben. Zur Vermeidung jedes Mißverständnisses wiederholt er, daß sie seiner Meinung nach nicht vorbereitet werden muß. Er versteht ihre Bedeutung vollkommen. Er hat sie keineswegs verurteilen wollen, sondern ist nur der Meinung, sie in Reserve zu behalten....

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1Von diesem umfangreichen Schriftstück sind nur die auf den britischen Plan der Bombardierung des Ruhrgebiets unmittelbar bezüglichen Ausführungen wiedergegeben. Die weggelassenen Stellen beziehen sich auf die militärischen Voraussetzungen, unter denen der Plan durchgeführt werden soll, sowie Fragen des Orients und der Behandlung der polnischen Exilregierung. ...zurück...

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Dokumente über die Alleinschuld Englands
am Bombenkrieg gegen die Zivilbevölkerung

Hg. vom Auswärtigen Amt