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Nr. 29:

Aufzeichnung über britisch-französische Generalstabsbesprechungen1
(Unsignierte Reinschrift)

Luftfahrtministerium
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Paris (XV.)
Boulevard Victor 26
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Generalstab der Luftwaffe
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2. Büro
Streng geheim!
Nr. 2 - C/S
E. M. A. A.

      Aufzeichnung
für den General und Generalstabschef,
Vizepräsident des Obersten Rates für
die Luftfahrt, Generalinspektor für den
Luftschutz des Staatsgebietes.
 
      Betrifft:
Zusammenarbeit mit dem 2. Büro des Britischen Generalstabs bei der Unterlagensammlung über die Ziele auf deutschem und italienischem Gebiet.

I. Die Generalstabsbesprechungen, deren Einzelheiten in der Aufzeichnung Nr. 398 2 - C/S/EMAA vom 24. Februar in großen Zügen dargestellt sind und die grundsätzlich durch Aufzeichnung Nr. 976/S vom 3. März 1938 des Generals und Vizepräsidenten des Obersten Kriegsrates genehmigt wurden, fanden am 3. und 4. März 1938 beim 2. Büro des Luftfahrtministeriums statt.

Es nahmen daran teil:

  • einerseits Major Burge, Leiter der Abteilung für industrielle Forschungen beim Air Ministry;
  • andererseits die Majore Sallesse (deutsche Abteilung) und Lelarge d'Ervau (italienische Abteilung) vom 2. Büro des Generalstabs der Luftwaffe,

in Gegenwart des Britischen Luftattachés oder seines Vertreters.

Sie bezogen sich:

  • im Laufe einer vorbereitenden Sitzung am Vormittag des 3. März auf die allgemeine Organisation der Arbeiten zur Sammlung von Unterlagen über Ziele, so wie sie zur Zeit in jedem der 2. Büros durchgeführt wird;
  • im Laufe der folgenden Sitzungen auf die verhältnismäßige Verwundbarkeit der deutschen und italienischen wirtschaftlichen Ziele, auf die zur Zeit im Besitz der beiden Generalstäbe befindlichen Unterlagen über diese [56] Ziele und auf die Informationen jeder Art, die in der Folge zwischen diesen Büros auszutauschen sind, um ihre Akten der jeweiligen Ziele zu ergänzen.2

Sie gaben Anlaß zur Abfassung eines Protokolls,3 von dem eine Abschrift hier angefügt wird und das insbesondere die Unterlagen anführt, die in naher Zukunft zwischen den beiden Generalstäben auszutauschen sind. Ein Exemplar dieses Protokolls wurde auf sein Ersuchen dem Britischen Luftattaché, Oberst Collyer, ausgehändigt.



II. Die Unterlagensammlung über die Ziele hatte schon vor den Besprechungen vom 3. und 4. März 1938 mehrfach den Gegenstand eines Austausches zwischen dem 2. Büro des Generalstabs der Luftwaffe und dem 2. Büro des Air Ministry gebildet. Das letztere hatte uns eine gewisse Zahl aufschlußreicher Unterlagen übergeben,4 wozu namentlich gehörten:

  • eine umfassende Untersuchung über die verschiedenen Zweige der deutschen Industrie;
  • anschließend Untersuchungen über die Produktionskapazität der deutschen Luftfahrtindustrie zusammen mit Verzeichnissen von Industrieunternehmungen;
  • eine gewisse Zahl von Auskünften und photographischen und kartographischen Unterlagen über verschiedene Ziele.

Dagegen hatte das 2. Büro des Generalstabs der Luftwaffe dem 2. Büro des Air Ministry geliefert:

  • umfassende Untersuchungen über gewisse Zielgruppen;
  • Zielverzeichnisse;
  • Zielakten.

Dieser Austausch erfolgte unmittelbar zwischen dem Leiter des 2. Büros des Generalstabs der Luftwaffe und dem Britischen Luftattaché (Oberst Collyer).

[57] Er fand nur ab und zu, nicht nach einem bestimmten Plan, statt und schien seitens der britischen Militärbehörden eher symbolische Bedeutung zu haben als einer wirklichen Zusammenarbeit zu entsprechen.5

Er gestattete nicht, die Ansichten beider Büros über den tatsächlichen Grad der Verwundbarkeit der verschiedenen Zielgruppen einander gegenüberzustellen oder eine Dringlichkeitsordnung für den etwaigen Angriff auf diese Ziele aufzustellen.



III. Die Besprechungen vom 3. und 4. März bedeuten auf diesen verschiedenen Gebieten einen erheblichen Fortschritt.

Sie bilden die erste tatsächliche, unmittelbare Zusammenarbeit zwischen Vertretern der mit der Erforschung der Ziele betrauten Organe.

Sie wickelten sich in einer Atmosphäre vollkommener Herzlichkeit ab und scheinen tatsächlich den Ausgangspunkt für eine methodische Zusammenarbeit zu bilden, die in der Zukunft fortgesetzt werden soll.




IV. Die im Laufe dieser Besprechungen erzielten Ergebnisse können bereits als greifbar angesehen werden.

Aus den Informationen über die Bedingungen, unter denen die Engländer ihre Unterlagen über die Ziele ausgearbeitet haben, erscheint es einerseits möglich, wesentliche Hinweise über die durchzuführende Organisation zu gewinnen.

Andererseits werden die Unterlagen, die uns die Engländer vereinbarungsgemäß in Kürze überlassen werden, gestatten,

  • unsere eigenen Unterlagen in glücklichster Weise zu vervollständigen,
  • die bis heute geltenden Ansichten über die Verwundbarkeit gewisser Arten von Zielen und über die Rückwirkungen der Zerstörung derartiger Ziele näher zu umreißen und vielleicht zu ändern,
  • hierauf die Dringlichkeitsordnung für den Angriff auf diese Ziele in Kenntnis der Sachlage genau festzulegen.

V. Es muß betont werden, daß die Besprechungen vom Vertreter des Air Ministry aus freiem Willen streng auf das Gebiet der Beschaffung von Unterlagen über die Ziele und auf die wirtschaftlichen Erwägungen, die sich auf die Verwundbarkeit dieser Ziele beziehen, beschränkt wurden.6

[58] Gewisse Anregungen, wonach jedem Beteiligten eine Zone zur Erforschung zugewiesen und die Tiefe dieser Zone begrenzt werden sollte, wobei die gegenwärtigen Möglichkeiten der beiderseitigen schweren Luftwaffen berücksichtigt werden sollten, wurden absichtlich von ihm fallen gelassen, da sie über die ihm erteilten Weisungen hinausgingen.

Das 2. Büro ist infolgedessen der Ansicht, daß die künftigen Besprechungen über den verhältnismäßig engen und etwas theoretischen Rahmen, der ihnen ursprünglich vom Generalstab der Royal Air Force gesetzt war, hinaus sich zweckmäßigerweise auf das konkretere Gebiet der jeweiligen Aktionszonen erstrecken sollten, die den Forschungsorganen der schweren Bomberformationen zuzuteilen wären.

Dieses Gebiet berührt sich jedoch eng mit der Vorbereitung der französisch-britischen Zusammenarbeit in der Luft. Unter diesem Gesichtspunkt würden die weiteren Besprechungen zu einer Prüfung der Fragen führen, für deren Behandlung die Oberkommandos der beiden Lager zuständig sind; diese Prüfung hätte gemeinsam in aller notwendigen Breite unter Berücksichtigung der gegenwärtigen diplomatischen Lage zu erfolgen.

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1Die undatierte Aufzeichnung ist einem Umschlag entnommen, der "Französisch-britische Generalstabsbesprechungen vom 3. und 4. März 1938" betitelt ist und das Datum 28. März 1938 trägt. ...zurück...

2Die Sitzungen waren fast ausschließlich der Prüfung der auf die deutschen Ziele bezüglichen Fragen gewidmet. Die Fragen bezüglich der italienischen Ziele wurden nur gestreift, da der Vertreter des Air Ministry für dieses Land keinerlei Unterlagen mitgebracht hatte. ...zurück...

3Das Protokoll enthält Einzelheiten über die Modalitäten des geplanten englisch-französischen Nachrichtenaustauschs. ...zurück...

4Daß in Großbritannien ein Zielkomitee schon Jahre vor dem Krieg tätig war, bestätigt ein Brief des früheren Abgeordneten Fletcher, jetzt Lord Winster, vom 18. Mai 1943 an die Times, in dem er sich gegen die Behauptung wendet, ein Emigrant habe die Angriffe auf deutsche Talsperren angeregt, und wörtlich schreibt: "Bei uns tagte ein Zielkomitee jahrelang vor dem Krieg." ...zurück...

5Dieser Austausch erfolgt ganz unabhängig von demjenigen, der schon seit vielen Jahren normalerweise zwischen den Vertretern des französischen Nachrichtendienstes und denjenigen des Intelligence Service stattfindet. ...zurück...

6Major Burge, der Sachverständige für Wirtschaftsfragen, konnte übrigens lediglich Informationen über die industriellen Ziele liefern. Die Informationen über die militärischen Ziele werden durch seine Vermittlung vom 2. Büro der beteiligten Ministerien geliefert werden. ...zurück...

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Dokumente über die Alleinschuld Englands
am Bombenkrieg gegen die Zivilbevölkerung

Hg. vom Auswärtigen Amt