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Thüringen
Waldemar Mühlner

In Luthers Tischreden wird uns erzählt, daß Graf Bodo der Glückselige von Stolberg einmal aus tiefstem Empfinden heraus bekannte: "Geht mir mit dem Gelobten Lande! Ich lasse es jedem gerne. Ich lobe mir dafür meine Goldene Aue."

Die Goldene Aue, eine der fruchtbarsten Gegenden Deutschlands und eine Kornkammer des Mittelalters, zieht sich um den Kyffhäuser herum. Thüringen verläuft in ihr nach Norden zu. Die Aue scheidet Thüringens Berge von den Harzhöhen. Graf Bodos Ausruf drückt den Stolz des Stolbergers auf seine Thüringer Heimat aus. Der Stolz glüht heute noch in jedem Thüringer, ja in jedem Deutschen, der einmal Thüringer Gastfreundschaft genossen hat. Man nennt Thüringen das grüne Herz Deutschlands. Es liegt gar nicht so unbedingt in der Mitte unseres Vaterlandes. Und doch ist der Vergleich eine Ehrenbezeichnung für das Land. Thüringen, das ist für uns: Waldesrauschen und Vogelsang, sanftgeschwungene Berge und liebliche Täler, Frohsinn und Gastfreundschaft; das ist Kulturmittelpunkt, ist Kultursonne und ist mehr als einmal Mittelpunkt deutschen und weltgeschichtlichen Geschehens gewesen.

Freilich, wenn man draußen im Reiche nach Thüringen fragt, so muß man erfahren, daß der Begriff nicht eindeutig feststeht. Die Grenzen fließen. Man faßt Thüringen gern als Mitteldeutschland auf und läßt Orte in ihm liegen, die erdkundlich und stammeskundlich einer andern Landschaft zugerechnet werden müssen. Das kommt wohl daher, daß Thüringen niemals politisch eine Einheit gewesen ist und seine bis heute noch nicht aufgehellten Anfänge im Dunkel der Vorgeschichte ruhen.

Das alte Thüringer Königreich, das bis zum Jahre 531 bestand, reichte im Norden bis an die Elbe, bis ans heutige Mecklenburg, und im Süden bis zur Donau. Im Gegensatz dazu war das neuzeitliche Staatengebilde Thüringen in den vergangenen Jahrhunderten das Urbild deutscher Kleinstaaterei. Es war dermaßen zerrüttet und zerstückelt, daß man im Reiche spöttisch von den thüringischen "Raubstaaten" redete. Thüringens Ruhm hat das in keiner Weise zu schmälern vermocht; denn Thüringen ist für uns Deutsche ein Landschaftsbegriff, dessen Mittelpunkt der Thüringer Wald bildet, ist ein Stammesbegriff, dessen Grenzen durch die Stammes- und Mundart der Bewohner festgelegt sind.

Die Grenze liegt auf einer Linie, die um folgende Orte herumläuft: Altenburg, Greiz, Hirschberg, Koburg, Mellrichstadt, Tann, Berka, Treffurt, Bleicherode, Helmetal, Unstruttal, Naumburg, Zeitz. Erdkundlich gehören zu dem Gebiete der Thüringer Wald, das Thüringer Hügelland mit dem Kyffhäuser, das Saaletal und das Thüringer Vogtland um Greiz. Politisch umschließt es das gesamte Groß-Thüringen, Teile der Provinz Sachsen und kleine Gebiete von Bayern und Hessen. Es wird im Osten begrenzt vom Freistaat [168] Sachsen, im Süden vom bayerischen Franken, im Westen von der Provinz Hessen und im Norden von den Harzlanden.

Blick von der Rudelsburg ins Saaletal.
[169]      Blick von der Rudelsburg ins Saaletal.

Und es ist doch Deutschlands Herz! Nach drei deutschen Strömen schickt das Land seine Abflüsse, zur Elbe, zur Weser und zum Rhein. Sein Hauptfluß ist die burgenreiche, vielbesungene Saale.

Die Kultur des Landes bekommt ihren Charakter von der Eigenart der Bewohner, und die Bewohner sind wiederum geformt worden von der Landschaft und ihren Erscheinungen.

Über die Herkunft der Thüringer hat die Wissenschaft noch nichts Sicheres feststellen können, da die Quellen aus der Frühgeschichte der Thüringer nur sehr, sehr spärlich fließen. Auch über die Deutung des Namens Thüringen gehen die Meinungen weit auseinander. Nur soviel ist gewiß, daß der Kern des Stammes ein am Thüringer Walde sitzendes Volk bildete. Die Mehrzahl der Forscher vertritt die Ansicht, daß dieser ansässige Stamm die Hermunduren waren. Aus dem letzten Teil dieses Wortes sein der Name Thüringer (Düringer) hervorgegangen. Die Hermunduren vermischten sich später mit den von Norden einwandernden Angeln und Warnen, und alle drei verschmolzen zum Stamme der Thüringer, der im 6. Jahrhundert das Königreich innehatte. Das Reich wurde von den Franken und Sachsen zerstört. Beide setzten sich im thüringischen Gebiete fest. Die Sachsen drangen von Norden, die Franken von Westen ein. Die Thüringer sogen die eingedrungenen Elemente auf. Noch ein anderer Einfluß machte sich im Lande geltend. Von Osten kamen Slawen und besiedelten die Landschaft bis zur Saale und darüber hinaus.

Die Thüringer wurden durch diese Einflüsse zum Mischvolke. Sie wuchsen aus germanischen Herrengeschlechtern hervor und nahmen in sich einen Einschlag slawischen Blutes auf. Sie zeigen heute noch alle Vorzüge solcher Blutmischung: geistige Begabung, Beweglichkeit, schnelle Auffassungsgabe, Herrenstolz, wenn auch nicht verkannt werden darf, daß der Thüringer mit den Vorzügen auch gewisse Nachteile der Mischung geerbt hat. Er ist weich, nicht allein im Gefühlsleben, sondern auch im Willen. Zähigkeit ist nicht immer seine Stärke, und das trägt ihm manchmal den Vorwurf, wankelmütig zu sein, ein.

Seinen Grundcharakter empfing der Stamm von der Natur der Landschaft. Das Land vermittelt zwischen der weiten Ebene Norddeutschlands, die bis zum Gestade der Nord- und Ostsee reicht, und den Hochebenen und dem Hochgebirge Süddeutschlands, die den Alpen wie Vorposten vorgelagert sind.

Zwischen beiden Gegensätzen steht Thüringen. Ihm fehlt die Eintönigkeit der flachen Weite, aber auch die Geschlossenheit der Bergenge. Das Land baut sich aus Berg und Tal auf. Doch die Berge sind mäßig, keiner geht über die 1000-Meter-Grenze hinaus. Sie sind in ihrer Form sanft gewölbt und bieten einer Besteigung keine Schwierigkeiten. Wald bedeckt sie bis oben hin und macht eine Wanderung über ihre Höhen zu einem unvergeßlichen Genusse. Steht man auf einem von ihnen, dann schweift der Blick über eine endlose Zahl von Kuppen, und auf allen wogt es und rauscht es wie ein grünes Meer, dessen Anblick einen sinnigen Menschen trunken stimmen kann. Ebenso mild sind die Täler. Schluchtartig sind nur wenige, und wo sie es sind wie im Oberlaufe der Saale und anderer Gewässer oder am Fuße des Wartburgfelsens, da werden sie seit alters als etwas Besonderes besonders gepriesen. Die meisten haben eine breite Talsohle, ihre Ränder sind sanft [169=Foto] [170] geneigt und steigen allmählich zu den begrenzenden Höhen hinauf. Der Talgrund läßt Raum für Besiedlung, läßt Raum für Bodenbewirtschaftung und hindert nicht den Verkehr. So kommt's, daß die Städte und Dörfer überall Platz finden und bis auf die Höhen hinaufkriechen. Ruhla, eine Stadt von 8300 Einwohnern, mitten drin in den Bergen, zieht sich über vier Kilometer weit im Tale des Erbstromes hin, ist nirgends unterbrochen und weckt überall den Eindruck der zusammenhängenden Geschlossenheit. Landstraßen und Eisenbahnen finden zwischen den Bergen ihren Weg, ja die Täler locken sogar und ziehen den Verkehr an. Sie sind, soweit wir in der Geschichte nachweisen können, immer Einfallstore für einbrechende Heere und Durchgangswege für wandernde Völker gewesen. Entscheidungen haben die Berge nie aufgehalten oder verzögert. Öfter sind zwischen ihnen die Würfel über die deutsche Zukunft gefallen.

Der Grundzug im Wesen der Thüringer Landschaft ist Milde. Das Landschaftsbild wird von der geschwungenen Linie beherrscht. Alles in ihm ist Bewegung, ist Leben. Und das hat seine Spuren tief in das Thüringer Volkstum eingedrückt. Der Thüringer wurde bei seiner Grundveranlagung in der Umgebung seiner Berge der Lebensbejaher, dem das Leben Freude macht. Er ist heiter, gesellig, frohgemut, liebenswürdig und vor allem gesangsfreudig und gesangskundig. Seine Berge liebt er mit der ganzen Inbrunst seiner Seele. Mit der Vogelwelt seiner Wälder verbindet ihn ein inniges Band. In vielen Orten trifft man in jedem Hause einen kleinen Sänger im Käfig, und der Besitzer ist glücklich, wenn sein gefiederter Freund in seiner Kunst vollendeter als der des Nachbarn ist. - Mit der Lebensfreude verbindet sich im Thüringer freilich auch die Abhängigkeit von Stimmungen. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt: Das könnte der Dichter den Thüringern ins Lebensbuch geschrieben haben.

Aus solchem Holze werden Künstler und werden vor allem Kunstfreunde, die mit feinem Gefühl Kunstregungen verstehen und sich für sie begeistern, geschaffen. Thüringen ist die Heimat ganzer Künstlergeschlechter. Es sei nur die Familie Bach erwähnt. Und Thüringen hat immer als Kunstmittelpunkt große Anziehungskraft auf schaffende Künstler ausgeübt. Im Mittelalter war die Wartburg eine Freistatt für Dichter und Sänger, und für uns ist Weimar zu einem Programm deutscher Kultur geworden. Man könnte einen Vergleich zwischen Thüringen und dem ebenso kunstfrohen, leichten Wien ziehen.

Im frühen Mittelalter hat Thüringen einmal in unserm Vaterlande eine ausschlaggebende Rolle gespielt. Im 5. und 6. Jahrhundert n. Ch. war es Königreich. Unter König Irminfried umfaßte es mit seiner Macht ganz Mitteldeutschland von der Donau bis zur Unterelbe. Die Franken und Sachsen zerstörten das Reich durch ihren Sieg über die Thüringer bei Burgscheidungen im Jahre 531.

Im zerschlagenen Thüringen wurden die Sachsen Herren. Wie stark sie mit dem Lande verwurzelten, das offenbarte sich, als die sächsischen Herzöge deutsche Könige wurden. Die Sage läßt sich's nicht nehmen, den Finkenherd, an dem Heinrich der Finkler die Nachricht von seiner Wahl zum deutschen Könige erhielt, nach Thüringen zu verlegen. An der Unstrut bei Zingst-Vitzenburg soll er gelegen haben. Heinrich liebte die Unstrutwälder, er jagte gern in ihnen. Noch vertrauter wurde ihm das Land, als er hier die Reichsfeinde, die Ungarn, aufs Haupt schlug und dadurch sein Deutschland befreite. Die [171] Königspfalz Memleben an der Unstrut war eine seiner Lieblingsaufenthalte. Sie wurde sein Schicksal. Auf einer Reise von Merseburg nach Quedlinburg starb er 936 in ihr. Sein Sohn Otto der Große erbte die Liebe zu Thüringens grünen Wäldern und zur Pfalz Memleben. Der Königssitz sah auch seinen Tod, und er hielt den Sohn noch fester als den Vater. In der Klosterkirche neben der Pfalz wurde Ottos Herz beigesetzt. Die Ruine der Kirche, von Friedrich Wilhelm IV. vor dem Verfall gerettet, ist ein geschichtliches Schmuckstück im Unstruttale. Ihre vollständig erhaltene Krypta gehört zu den schönsten ihrer Art.

Jahre und Jahrzehnte kamen und gingen. Thüringen wurde wieder selbständiges Fürstentum, und neuer Glanz brach über das Land herein, als das hochbegabte Geschlecht der Ludowinger in ihm zur Macht gelangte. Ihr Ahn war Ludwig der Bärtige. Seine Nachfolger bilden eine Reihe, in der jedes Glied eine Persönlichkeit mit besonderer Prägung war. Jeder von ihnen war eine Verkörperung seiner Zeit und der in ihr herrschenden Ideen in höchster Vollendung. Das fühlten ihre Zeitgenossen. Die Sage behandelte sie alle wie Lieblinge in einer Fülle von Geschichten und Geschichtchen.

Die Reihe der Fürsten eröffnet Ludwig der Springer. Was kümmert's das Volk, daß er noch nicht Landgraf war, es macht ihn dazu. Heiße Liebe und ein Mord spielen in den Jugendjahren des Fürsten eine bedeutende Rolle. Der Mord am Pfalzgrafen Friedrich von Sachsen im Walde bei der Neuenburg hat ihm nie nachgewiesen werden können. [172] Aber heiß strahlt in der Überlieferung seine Liebe zur schönen Adelheid, der Gemahlin jenes Pfalzgrafen, die er nach dem Tode ihres Gatten heiratete. Um ihretwillen ging er nach der Sage als Gefangener des Kaisers auf den Giebichenstein. Um ihretwillen wagte er von der Höhe der Burg den Sprung in die Saale, der ihm seinen Beinahmen eintrug. Er war der Erbauer der Neuenburg bei Freyburg a. U., der Erbauer der Wartburg bei Eisenach, der Gründer des Klosters Reinhardtsbrunn bei Friedrichroda. In das Kloster trat er im Alter als Mönch ein. Dort wurde er begraben, und nach ihm fanden alle Thüringer Landgrafen an dem heiligen Orte ihre letzte Ruhestätte.

Ludwigs des Springers Sohn, Ludwig I., erhielt vom Kaiser als Auszeichnung den Landgrafentitel.

Dessen Sohn Ludwig II. war der Landgraf, dem in der Schmiede von Ruhla der Meister die Augen öffnete, daß er hart gegen seine Adligen wurde. Er spannte sie auf dem Edelacker bei der Neuenburg vor den Pflug und pflügte mit ihnen das Feld, um ihnen zu zeigen, was Fronarbeit heißt. Weil er unter dem Kleide zum Schutze gegen die Rache der Adligen stets ein eisernes Hemd trug, nannte ihn das Volk den "Eisernen". Die Adligen im Land fürchteten ihn bis über seinen Tod hinaus. Sie trugen seinen Leichnam auf ihren Schultern von der Neuenburg bis Reinhardtsbrunn, wie er's im Testament bestimmt hatte, aus Furcht, er könnte aufstehen und sie züchtigen, wenn sie seinen Willen nicht erfüllten.

Sein Sohn Ludwig der Fromme zog mit Friedrich Barbarossa ins Gelobte Land. Er starb auf der Rückfahrt von dort auf der Insel Cypern.

Ihm folgte sein Bruder Hermann I. Der erwarb für die Treue seines Geschlechts zu den Hohenstaufen zur Landgrafschaft die Würde eines Pfalzgrafen von Sachsen. Die Neuenburg gab er als Herrschersitz auf. Er verlegte seinen Hof auf die Wartburg und begann auf dieser den Bau des Landgrafenhauses, den sein Sohn Ludwig vollendete. Hermann war der Freund der Minnesänger. Unter ihm hat der berühmte sagenhafte Sängerkrieg stattgefunden, an dem alle bedeutenden Sänger jener Zeit beteiligt gewesen sein sollen.

In der Regierung seines Sohnes Ludwigs IV. erreichte die Idee der werktätigen Frömmigkeit im deutschen Volke ihren Höhepunkt. Ein Idealbild dieser werktätigen Liebe war die heilige Elisabeth, die Gemahlin Ludwigs, der selbst unter dem Namen des "Heiligen" in der Geschichte weiterlebt. Geradezu rührend ist es, wie Elisabeth in der Ausübung der Frömmigkeit und der Nächstenliebe aufging. Das Volk konnte sich nicht genug tun, das Schicksal der glücklichen unglücklichen Fürstin mit einem Kranze von Legenden auszuschmücken. Es blüht in ihnen von Rosen und Sonne und Sternen und Engeln und Wundern. Auf der Wartburg zeugt jeder Stein von ihr.

Elisabeths Sohn Hermann starb ganz jung kurz nach der Übernahme der Regierung. Sein Nachfolger wurde sein Oheim Heinrich Raspe, der Bruder seines Vaters Ludwigs des Heiligen. In der deutschen Geschichte kennt man Heinrich Raspe als Gegenkönig des Staufen Friedrichs II. Im Kampfe gegen diesen büßte er bei Ulm sein Leben ein. Da er keine Kinder hatte, starb mit ihm das ludowingische Landgrafengeschlecht aus. Eine böse Zeit brach für Thüringen an. Nur durch Krieg konnte die Herrschaftsnachfolge im [173] Lande geregelt werden. Im Erbschaftskriege blieb 1263 der Markgraf von Meißen, Heinrich der Erlauchte, ein Fürst aus dem Hause der Wettiner, ein Enkel des Landgrafen Hermanns I., Sieger. Mit ihm ergriffen die Wettiner die Regierung in Thüringen, und sie haben sie bis zur Neuordnung 1918 innegehabt.

Das Geschlecht erwarb manchen Neubesitz, u. a. im 17. Jahrhundert die "Pflege Koburg", aber Ruhe hat es infolge immer neuer Teilungen durch zwei Jahrhunderte hindurch nicht immer gehalten. Nach dem Erbfolgekrieg tobten im 14. Jahrhunderte der Thüriuger Grafenkrieg und im 15. Jahrhundert der Sächsische Bruderkrieg. Die Landesteilung vom 26. August 1485 brachte endlich Klarheit. Zwei Brüder setzten sich in dem Vertrage auseinander. Albert erhielt Meißen-Sachsen, Ernst die thüringischen Ämter. [174] Revidiert wurde der Vertrag nach dem unglücklichen Ausgange des Schmalkaldischen Krieges 1547. Die ernestinische Linie mußte damals die Kurwürde an die albertinische Linie abtreten.

Die vielen Teilungen trugen den Kern der kleinstaatlichen Entwicklung Thüringens in sich. Das eigentliche Thüringen, das Gebiet des Thüringer Waldes, der Besitz der ernestinischen Linie teilte in der nächsten Zeit so oft, daß im Raume des einstigen Landgrafenbesitzes ein Großherzogtum, drei Herzogtümer und vier Fürstentümer entstanden. Erst nach dem Weltkriege schlossen sich alle 1920 zum Freistaat Thüringen zusammen, in dem Weimar der Sitz der Regierung wurde.

Mit dem Aussterben der Ludowinger erlosch keineswegs die Sagenfreude des Thüringer Volkes. Auch aus der Zeit der Erbkämpfe wird manche Sage erzählt, besonders von Friedrich mit der gebissenen Wange, der ein Volksliebling wie Ludwig der Springer, Ludwig der Eiserne u. a. war. Der Thüringer fühlte sich zu allen Zeiten mit seinem Fürstenhause verbunden. Wir wissen, daß auch unter den neuzeitlichen Fürsten manche Kerngestalt war und daß es dem Thüringer Freude macht, auch von diesen Geschichten und Schnurren zu erzählen. Es sei nur an den Großherzog Karl August, den Freund Goethes, erinnert.

Doch nicht nur die thüringische Stammessagenwelt ist reich und blühend, eben so groß und von gleicher verschwenderischer Fülle sind die Ortssagen der Landschaft. Um die Burgen flattern die Geister der einstigen Bewohner. In den Dörfern gehen Kobolde und Drachen um. Der Glaube an sie ist nicht so düster und schwer und dämonisch wie im Moor, in der Heide, am Meer. Die Geisterwelt der Thüringer ist in vieler Beziehung hoffnungsfreudiger, lichter.

Die Drei Gleichen bei Arnstadt sind der Schauplatz der innigen Erzählung vom Grafen mit den beiden Frauen. - Im Hörselberge bei Eisenach wohnt die berückend schöne Frau Venus. Zu ihr steigt Tannhäuser, der Sänger, hinab, das erstemal, um am Liebeshofe der Frau Venus Schönheit zu trinken, und das zweitemal aus Verzweiflung, daß der heilige Vater in Rom ihm die Lossprechung von der Sünde der Weltlust versagte. Nach drei Tagen sandte ihm der Papst eine Botschaft nach, daß sein dürrer Hirtenstab grüne, Gott dem Sänger also verzeihe. Die Botschaft erreicht Tannhäuser nicht mehr, nun muß er ewig drinnen im Berge bleiben. - Und in einer Sage wächst die Thüringer Landschaft in Himmelshöhen. Sie wird zum Symbol des deutschen Schicksals in der Sage von der Wiederkunft Barbarossas. Der Barbarossaberg ist der Kyffhäuser. Tief drinnen im Berge schläft der Kaiser, er wartet auf die neue Herrlichkeit des Deutschen Reiches, die erst kommen wird, wenn die deutschen Stämme den Geist der Zwietracht überwunden haben werden.


Was die thüringische Landschaft dem Menschen sein kann, hat niemand tiefer empfunden als Goethe, der von Weimar aus in die Berge floh, sobald die Unrast unter Welt und Menschen ihn zu grauen anfing und er Ruhe für seine Innenwelt brauchte und suchte. In den Bergen Thüringens fand er sie. Er liebte besonders den Kickelhahn bei Ilmenau. In den Abendstunden des 7. September 1783 fand er dort im Angesichte der dunklen Wälder und der hinter den Bäumen verschwindenden Sonne die [175=Foto] [176] Worte zu seinem Nachtliede: "Über allen Wipfeln ist Ruh!" Er schrieb das Gedicht auf die Holzwand im oberen Raume des Jagdhäuschens, das er bei seinen Aufenthalten auf dem Berge bewohnte. Leider ist das Haus abgebrannt. Doch hat man ein gleiches an seine Stelle gesetzt und in ihm eine getreue Nachbildung der Handschrift Goethes an die gleiche Stelle der eigenhändigen Eintragung des Dichters gesetzt.


Große durchgehende Eisenbahnlinien führen von allen Seiten nach Thüringen hinein und ermöglichen dem Reisenden ein bequemes Herankommen an alle landschaftlichen Schönheiten. Schon im Vorlande des Thüringer Waldes im Norden, im Thüringer Hügellande gibt es eine große Anzahl reizvoller Anziehungspunkte. Der Kyffhäuser steht wie ein Wegweiser vor ihnen. Schon von weitem grüßt seine charakteristische Silhouette den Reisenden, der aus der Norddeutschen Tiefebene kommt und die Halle-Kasseler Bahn bei seiner Fahrt nach Thüringen benutzt. Auf der Höhe des Berges steht das wuchtige Barbarossadenkmal. Das Mal wächst aus dem Bergfelsen unmittelbar heraus, und im Verwachsensein von Natur und Kunst liegt seine besondere Schönheit. Die Gestalten der Barbarossasage im Unterbau des gewaltigen Baues sind vom Künstler in den natürlichen, anstehenden Stein gehauen. Herrlich ist der Blick von den breiten Terrassen des Denkmals auf die liebliche Goldene Aue, und man versteht, daß deutsche Kaiser des Mittelalters gern hier weilten, die Kuppen mit Burgen besetzten und in die fruchtbare Ebene ihre Pfalzen bauten. - Südlich vom Kyffhäuser durchfließt die Unstrut das Hügelland. Der einst wild, jetzt gebändigte Fluß sah ein großes Stück der deutschen Geschichte und hat die Erinnerungen alle festgehalten. Eine Wanderung in seinem Tale zur Zeiten der Baumblüte ist höchster Genuß. Etwas Besonderes bietet das Mündungsgebiet des Flusses von Freyburg, der Stadt des Turnvaters Jahn, bis zu Naumburg, der türmereichen. Auf den Höhen dort wächst und gedeiht Wein. Es ist viel über ihn gespottet. Am bekanntesten sind Claudius' und Trojans Verse geworden. Der Wein verdient den Spott nicht, vor allem heute nicht mehr, seit der Staat angefangen hat, Qualitätsweine zu ziehen. Es dürfte auch nicht allgemein bekannt sein, daß gute Jahrgänge des Saaleweines früher schon in die berühmten Gegenden Westdeutschlands gingen und dort zur Verbesserung ausgefallener Gewächse dienten.

Im Mittellaufe der Unstrut schieben sich bei Heldrungen zwei Bergzüge an den Fluß heran, als wollten sie ihm den Weg sperren: im Westen die Hainleite, im Osten die Schmücke-Finne. Die Unstrut hat sich zwischen ihnen hindurchgedrängt. Aber ihr Durchbruch sieht wie ein Tor aus und heißt bezeichnenderweise: Thüringer Pforte. Auf dem Torpfeiler der Hainleite erheben sich trotzig die beiden Sachsenburgen. Hinter der Pforte treten wir in das Kernstück des eigentlichen Thüringens ein. Der Ettersberg bei Weimar, der Steiger bei Erfurt, die Drei Gleichen zwischen Arnstadt und Gotha, der Hörselberg bei Eisenach: das sind die grünen Inseln zwischen den Bergwellen des Thüringer Hügellandes.

Stifterfigur im Dom zu Naumburg.
[175]      Markgräfin Uta.
Stifterfigur im Dom zu Naumburg (13. Jahrh.)
Ebenso reizvoll ist es, im Tale der Saale von Naumburg aus ins grüne Thüringen zu wandern, Auch da verschmelzen Natur, Geschichte und Erinnerung zu einer harmonischen Einheit. In Naumburg lassen wir den einzigen Dom mit seinen kostbaren Stifter- [177] gestalten auf uns wirken. Dann fahren wir vorüber an malerischen Burgruinen, erinnerungsreichen Schlössern und Städten, betriebsreichen Flecken und Dörfern: vorüber am berühmten Schulpforta, an Kösen mit der Rudelsburg, an dem durch Goethe geheiligten Dornburg, an der Kunitzburg, an der Musenstadt Jena mit dem Fuchsturm, an Kahla mit der Leuchtenburg, an Rudolfstadt.

Und dann stehen wir vor den Höhen des Thüringer Waldes.

Von Eisenach steigen wir vorbei an Fr. Reuters Villa hinauf zur Wartburg. Großherzog Karl Alexander von Weimar hat sich ein unsterbliches Verdienst erworben, daß er die Burg erneuern ließ und dadurch die Stätten vor dem Verfall bewahrte, die durch die Geschichte geweiht sind. In der Vorburg liegt die Wohnung des Schloßhauptmanns, liegt das Stübchen, das Martin Luther während seines Wartburg-Aufenthaltes bewohnte, und liegt der Margaretengang, von dem aus die unglückliche Landgräfin Margarete sich herabließ und vor ihrem Gemahl Albrecht dem Unartigen floh. In der Dirnitz zwischen Vorburg und Hofburg ist die Rüstkammer untergebracht, in der Waffen und Rüstungen aus vergangenen Jahrhunderten, darunter viele geschichtlich bedeutende, aufbewahrt werden. Das stolzeste Gebäude der Burg, eine baukunstliche Kostbarkeit seltenster Art, ist das Landgrafenhaus in der Hofburg mit der Elisabeth-Kemenate, dem Speisesaal und der Küche im Erdgeschoß, dem Landgrafenzimmer, dem Sängersaal, der Elisabethengalerie und der Kapelle im ersten Stock, und dem Festsaal im obersten Stock. Meister Schwind und andere Künstler schmückten durch Bilder und Architekturen die [178] Räume und Gänge. Von den Fenstern des Palas, vom Lutherstübchen, vom Pulverturm und von der Mauer der Hofburg schweift der Blick weit hinaus über das Gebirge. Wer die Bergwelt kennen lernen will, wandert von der Wartburg hinunter ins Annatal, windet sich durch die Drachenschlucht und geht über das Gasthaus "Hohe Sonne", über Ruhla zum Inselsberge. Von der "Hohen Sonne" blickt er noch einmal zurück zur Wartburg und genießt den berühmten Wartburg-Blick. In der Sonne glänzt und gleißt das vergoldete Kreuz auf dem Bergfried der Feste.

Die Wartburg.
[171]      Die Wartburg.

Der Inselsberg! Er gehört mit seinen 916 m nicht zu den Riesen Deutschlands. Die beiden Gasthöfe auf ihm, der preußische und der gothaische, liegen inmitten von Bäumen, und Gartenpflanzen der Tiefe kommen in ihrer Umgebung fort, trotzdem das Klima im Jahresdurchschnitt verhältnismäßig rauh ist. Wolken lagern oft über dem Berge, und der Winter bringt zeitig Schnee. Aber die Aussicht von oben gehört zu den umfassendsten in Mitteldeutschland. Bei günstiger Sicht erscheint im Norden der Harz mit dem Brocken im Fernrohr. Im Süden winken Hessen und die Rhön.

Dann das untere Schwarzatal von Schwarzburg bis Blankenburg und Unter-Oberhof mit dem Rennstieg.


Die Einwohner Thüringens sind ein betriebsames Völkchen. Es gibt wohl kaum eine zweite Waldgegend in unserem Vaterlande, in der so viele Industrien nebeneinander getrieben werden wie in Thüringen. Und die Thüringer haben durch ihren Fleiß und ihre Genügsamkeit sich in der Welt Geltung zu verschaffen gewußt. Tabakpfeifen, Puppen und Spielwaren, Schiefertafeln und -griffel, Porzellane, Handwebereien, Erzeugnisse der Glasbläserei, Christbaumschmuck, künstliche Menschen- und Tieraugen, Korbmacherwaren, Holzschnitzereien, Masken, Streichhölzer, billige und teure Uhren, Musikinstrumente, Waffen, Gewehre, Schreibmaschinen, Fahrräder, Automobile gingen von Thüringen ins Land, über See hinaus und trugen den Namen Thüringens in die entlegensten Weltwinkel. Freilich, unter der Not der Gegenwart leidet Thüringen sehr. Der Absatz stockt, und die Not ist im Thüringer Arbeiterhause eingekehrt.


Eine sinnige Form, Geselligkeit zu pflegen, schuf sich der gesellige Thüringer in den Berg- und Waldgemeinden. Die erste, die gegründet wurde, war die Gabelbachgemeinde auf dem Großen Gabelbach bei Ilmenau. Sie ging aus einem Sonnabendstammtisch hervor. Ihr Gemeindepoet war Viktor von Scheffel. Der ersten sind viele andere gefolgt, eine Baumbachgemeinde, eine Triniusgemeinde usw. Sie haben heute alle eine feste Form. Ihr Vorbild ist die alte Thüringer Gemeindeordnung mit Gemeindevorsteher, Gemeindeschöffen, Heimbürgen usw. Ihre Sitzungszimmer, gemütliche Heime in Jagdhäusern, historischen Gasthöfen, sind kleine Museen mit vielen persönlichen Erinnerungen an Dichter, Künstler, Staatsmänner, Wissenschaftler oder Helden des Tages. [179] Denn die Gemeinden sehen ihre ideale Aufgabe darin, die Beziehungen zur deutschen Geisteswelt zu pflegen. Man nimmt aus ihren Sitzungen immer Anregungen mit, wenn man als Gast daran teilnehmen durfte.

Die Vorliebe der Waldgemeinden für Kulturerscheinungen des öffentlichen Lebens beruht im Grunde genommen auch auf Erlebnissen und Beziehungen der gesamten Thüringer Heimat und ihres Volksstammes. Für die deutsche Geschichte und die deutsche Kultur ist Thüringen ebenso Zentrum, wie es das für die landschaftliche deutsche Heimat ist. Wir sind bei unsern Ausblicken oben schon so manchem Namen, so manchem Ereignis begegnet. Beim Weiterschauen stoßen wir überall auf neue Sterne. Thüringen sah den Aufmarsch des Großen Fritz vor dem vernichtenden Schlag gegen die Franzosen. Bei Roßbach an der Grenze Thüringens erfocht er seinen glänzendsten Sieg am 5. November 1757. Thüringen erlebte aber auch Preußens tiefsten Sturz auf dem Schlachtfelde von Jena am 14. Oktober 1806. Thüringen schenkte uns die Familie Luther und erzog Martin Luther in Eisenbach und Erfurt. Auf der Wartburg wurde der Reformator behütet vor der Tücke des Schicksals. In seinem Patmos hoch oben über den Wäldern entstand seine wundervolle Übersetzung des Neuen Testaments. Luthers kräftige, erdhafte Sprachge strömt herbe Bergluft aus. Auf der Feste Koburg erlebte der Reformator (1530) den Kampf seiner Freunde in Augsburg. Der Musikus der Reformation wurde Johann Sebastian Bach mit den Seinen. Schulpforta und Jena wurden Pflegstätten der Wissenschaft und schickten bedeutende Jünger in die Welt. Salzmann gründete in Schnepfenthal bei Friedrichroda eine Erziehungsanstalt. Guts-Muths führte in ihr früher, als der Turnvater Jahn zu seinen Gründungen kam, das Turnen ein. Einer der berühmtesten Schüler Schnepfenthals war der Geograph Karl Ritter. In Ober-Weißbach wurde Friedrich Froebel geboren. Seine erste Schule baute er in Blankenburg. Franz Liszt wohnte von 1847 bis 1861 und von 1869 bis 1886 in Weimar. Die Stadt war in dieser Zeit eine Gralsburg der Tonkunst. Der Dichter Thüringens wurde Otto Ludwig aus Eisfeld, der uns in der "Heitereitei"" und in "Zwischen Himmel und Erde" zwei vollendete thüringische Heimatromane geschenkt hat. Viktor von Scheffel, Rudolf Baumbach, Fritz Reuter, Gustav Freytag, Ernst von Wildenbruch, Friedrich Lienhard, Johannes Schlaf und viele andere waren und sind Gäste im Lande. August Trinius warb heiß in seinen Schriften für die Schönheit Thüringens. Die ausgesprochen thüringischen Erzähler sind Renate Fischer, die 1926 in Erfurt starb, und der noch unter uns weilende Gustav Schröer in Weimar.

Erfurt. Dom und Severikirche.
[173]      Erfurt. Dom und Severikirche.

Zu einem Wallfahrtsziele für Deutschland und die Welt wurde Thüringen durch Weimar und die Großen, die in der Stadt um die Wende des 19. Jahrhunderts lebten und wirkten. Goethe, Schiller, Wieland, Herder und ihre Welt machten Weimar zur klassischen Stadt und schufen aus ihm Ilm-Athen. Wie es dazu kam, erscheint wie ein Wunder der Geisteswelt. Nicht Thüringer wurden die Sonnenmittelpunkte des klassischen Weimar. Die ganze Nation schickte ihre Genien und befruchtete den Weimarer Kreis: Goethe war Frankfurter, Schiller Schwabe, Herder Ostpreuße, und Wieland brachte nach Weimar das Erbe Süd-, West- und Mitteldeutschlands mit. [180] Vielleicht liegt in dem Umstande eins der unerklärlichen Geheimnisse der Natur, die ihre Söhne und Töchter unerforschliche Wege führt. Vielleicht aber ist die Lösung des Geheimnisses gar nicht so weit zu suchen. Sollte das Emporwachsen der Kultur in Weimar nicht gerade auf den Charakter Thüringens zurückzuführen sein? Ein junger begeisterungsfähiger Fürst mit offenem Blicke für die Wirklichkeiten und Schönheiten der Welt, der von einer feinsinnigen, natürlich empfindenden Mutter erzogen wurde, ergreift die Regierung mit dem bewußten Willen, glücklich zu sein und glücklich zu machen, und wird zum Magneten einer schönheitsdurstigen, sinnenfrohen und sehnsuchtstiefen Welt: Das war der Thüringer Karl August. Es war nicht Zufall, daß er als erster deutscher Fürst seinem Lande eine Verfassung gab, und es war ebensowenig Zufall, daß die deutschen Heroen aus Kunst und Wissenschaft seine Freunde wurden und er in harmonischem Einssein mit ihnen Himmelshöhen erklomm.

Der schöngeistige Salon der Herzogin Anna Amalie.
[181]      Der schöngeistige Salon der Herzogin Anna Amalie mit Goethe, Herder und Knebel.

Noch spürt man in Weimar den Geist der Goethe-Schiller-Zeit. Die Stadt hat in vielen Teilen ein neuzeitliches Gesicht erhalten. Aber neben dem Neuen stehen unberührt und behütet die Zeugen aus Karl Augusts Zeit: das Goethehaus, das Schillerhaus, das Schloß, das Wittumspalais, Goethes Gartenhaus, die Landesbibliothek, das Haus der Frau von Stein, Herders Wohnhaus und die vielen Sammlungen alter und neuer Meister, unter ihnen besonders das Goethe-Schiller-Archiv.

Das Goethehaus am Frauenplan in Weimar.
[177]      Das Goethehaus am Frauenplan in Weimar.

Wir betreten mit heiligem Schauer die Räume, in denen sich das Leben unserer Klassiker abspielte. Wohl sind Staatsräume dabei. Doch das, was jene Großen für ihre persönlichen Bedürfnisse benutzten, ist eng und beschränkt und von spartanischer Einfachheit. Und gerade dorthin zogen sie sich zurück, wenn sie an ihrem Geisteswerke bauten. Dabei liebten sie das Leben so heiß, wie nur ein Weltkind lieben kann.

In der Fürstengruft in Weimar ruhen die beiden Größten jener Großen: Goethe und Schiller. Vor dem Nationaltheater erhebt sich das Denkmal für beide. Auf ihm halten die Freunde einen Lorbeerkranz in den Händen. Ob einer ihn dem andern reicht, ob sich beide in ihn teilen, das hat der Schöpfer des Denkmals nicht entschieden. Er hat dadurch den tiefsten Ausdruck gefunden für die Verehrung, die Deutschland beiden Großen entgegenbringt.

Weimar wirkt mit seinem Zauber bis in unsere Tage. Nach den Befreiungskriegen suchte die Jugend die Verbindung zum deutschen Kulturkreise der thüringischen Hauptstadt. Jena und die Wartburg wurden die Wiege der deutschen Freiheits- und Einheitsbestrebungen. 1919 tagte die verfassunggebende Deutsche Nationalversammlung mit Absicht im Nationaltheater in Weimar. Groß ist die Zahl der Künstler, die im Laufe des vergangenen Jahrhunderts in der Stadt einkehrten. Die Feier des hundertsten Geburtstages Goethes am 22. März 1932 wurde zu einem Festtage für ganz Deutschland. Wer Weimar sucht, findet Thüringen. Und daß dem suchenden Menschen hierbei die Augen geöffnet werden für die Seele der deutschen Heimat, das ist das tiefste Erleben bei diesem Suchen und Finden. Thüringen ist Saatland und ist deshalb heiliges Segensland. So wird denn auch das Reichsehrenmal, das künftigen Geschlechtern von unseren Helden aus dem schweren deutschen Schicksalskriege Kunde geben soll, bei Berka [181] in Thüringens Bergen und Wäldern seine Stätte finden. Der Kyffhäuser, das Sinnbild des Traumes von der deutschen Einheit, im Norden - und das Reichsehrenmal, die Verkörperung der Ehrfurcht vor dem Opferwillen des deutschen Volks, in der Mitte des Waldlandes, sie zeugen davon:

Thüringen - es ist das grüne Herz unseres deutschen Vaterlandes!

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Das Buch der deutschen Heimat, die Kapitel "Frankenwald und Saaleland" und "Thüringen".

Deutsches Land: Das Buch von Volk und Heimat
Unter Mitarbeit von Schriftstellern aller deutschen Stämme
herausgegeben von Dr. Eugen Schmahl.
Mit einem Geleitwort von Dr. Hans Steinacher,
Reichsführer des Volksbundes für das Deutschtum im Ausland,
und mit einem Geleitschreiben von Hans Grimm.