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II. 3. Polnische Verdrängungstendenzen (Teil 2)

b) Die Verdrängung vom Boden

Die bisher skizzierten Maßnahmen wurden im ganzen Staatsgebiet Deutschen gegenüber in mehr oder minder scharfer Weise zur Anwendung gebracht. Dazu traten in einigen Siedlungsgebieten noch Besonderheiten in der Ausführung bzw. zusätzliche Spezialmaßnahmen, die sich aus der wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Struktur des dortigen Deutschtums ergaben.


Die Verdrängung in Posen-Westpreußen 1919-1933

In den Westgebieten strebten die Polen in erster Linie zielbewusst die unmittelbare Verdrängung der Deutschen aus dem Staatsgebiet an, wogegen in Mittelpolen und Galizien die Assimilierungsbestrebungen in den Vordergrund traten. Die durch die Verdrängung bewirkte "Entdeutschung Westpreußens und Posens" konnte schon 1930 Hermann Rauschning mit allen in den ersten Jahren des neuen Staatswesens angewandten Maßnahmen anhand unwiderlegbaren Materials schildern, vermittels derer die Deutschenanzahl in diesen Gebieten bis 1926 um 850000 von 1200000 auf 350000 herabgedrückt worden war. Aus Ostoberschlesien wiederum waren von den 332771 im Jahre 1922 dort lebenden Deutschen bis 1925 bereits 117000, bis 1937 insgesamt 150000 ins Reich abgewandert.35

In Posen-Westpreußen war diese Verdrängung u. a. aus dem Grunde möglich gewesen, weil die polnischen Behörden nicht nur gegen Beamte und Militärpersonen, aus dem Altreich Stammende und Optanten, sondern auch gegen den deutschen Landbesitz vorgegangen waren und durch Einziehung von Grund und Boden den landlos gewordenen Bauern, Landwirt oder Ansiedler zur Abwanderung zwangen. Wegen des überwiegend landwirtschaftlichen Charakters des Deutschtums gerade dieses Gebietes war der Kampf um den Boden hier zum beherrschenden [110] Moment geworden. Ohne auf die Einzelheiten des polnischen Vorgehens vor 1934 einzugehen, seien hier die angewandten Maßnahmen wenigstens kurz skizziert und deren Ergebnisse mitgeteilt, da sie sich z. T. noch in der Berichtszeit auswirkten.

Der der deutschen Bevölkerung im späteren Posen-Pommerellen gehörende Privatbesitz belief sich im Jahre 1918 auf 1.535.000 ha. Davon wurde der Besitz derjenigen Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit beibehielten, durch rücksichtslose Anwendung der in Versailles hierzu festgelegten Möglichkeiten liquidiert. Schon durch Bekanntgabe des sogen. ersten Liquidationsbeschlusses wurden viele Deutsche zum angeblich "freiwilligen" Verkauf gedrängt und durch unmittelbare sowie mittelbare Liquidation etwa 10000 Familien betroffen. Durch das "Annullationsgesetz"36 wurden alle diejenigen Erwerber von Ansiedlerrentengütern zur Aufgabe ihres Besitzes gezwungen, die nicht bereits vor dem 11. 11. 1918 als Eigentümer eingetragen worden waren. Die während des Krieges zeitweise zurückgestellten Grundbucheintragungen und Auflassungen waren nämlich z. T. erst nach dem 11. 11. 1918, aber vor Inkrafttreten des Versailler Vertrages (20. 1. 1920) nachgeholt worden, was die Polen nicht an der Durchführung der Annullation hinderte. Durch diese später - erst nach Abwanderung der Betroffenen - vom Haager Gerichtshof und vom Völkerbund für ungerechtfertigt erklärte Maßnahme, die noch in das Jahr 1935 ihre Schatten warf, wurden 3964 Familien um ihren Besitz gebracht. Weiterer Landbesitz ging durch Anwendung bzw. Androhung der Anwendung des auf den polnischen Staat übergegangen Rechtes des Wiederverkaufes von Rentengrundstücken verloren (auf diesen Begriff wird noch näher eingegangen werden).

Infolge aller dieser Vorgänge war eine große Rechtsunsicherheit in allen Fragen des Besitzes an Grund und Boden eingetreten, um so mehr als die Klärung der [111] Staatsangehörigkeit vieler Personen lange Zeit erforderte. Unter diesem Druck wurde gleichfalls beträchtlicher Landbesitz aufgegeben. Über die Ereignisse dieser Maßnahme liegen für die Zeit bis 1929 zweierlei Zahlenangaben vor, die aber nur unwesentlich voneinander abweichen. Die ersten sind im Deutschen Weißbuch; II (DWB) S. 19, die zweiten bei Loesch: Die Verlustliste des Deutschtums in Polen, S. 35/36 enthalten:

Bis 1920 gingen demnach verloren: laut DWB  Loesch
durch unmittelbare Liquidation 153100 ha   152218 ha
durch mittelbare Liquidation 159287 159200
durch Annullation   58700   60120
durch Anwendung des Wiederkaufsrechts   72218   72500
durch Aufgabe infolge der allgemeinen Rechtsunsicherheit   50000   55280

zusammen 493305 ha 499318 ha

Nach anderen zuverlässigen Angaben waren aber bis 1926 schon 510000 ha verloren gegangen,37 so daß wir den Verlust von rund einer halben Million ha, also von einem Drittel des Bestandes von 1918, als gesicherte Angabe übernehmen können, in der allerdings die Ergebnisse der weiter unten behandelten, aber schon 1926 angelaufenen Agrarreform noch nicht mitenthalten sind. Durch diese wurden dem Deutschtum schon bis 1933 weitere 51660 ha entzogen. Gleichfalls ungefähr eine halbe Million ha groß war ferner die Fläche des staatlichen, kommunalen und korporativen Grundbesitzes gewesen, die in Posen-Westpreußen mit dem Wechsel der Staatshoheit bei gleichzeitiger Verdrängung der deutschen Pächter, Beamten und Arbeiter in polnischen Besitz übergegangen war.


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Das Wiederkaufsrecht

Das Wiederkaufsrecht ging auf die Rentengutsverträge zurück, die seinerzeit bei der seit 1886 erfolgten Ansetzung von Ansiedlern durch die preußische Ansiedlungskommission sowie durch die Generalkommission abgeschlossen worden waren. Ebenso wurden die sogen. besitzbefestigten Rentengüter betroffen, d. h. die Höfe, die von der Posener Mittelstandskasse oder Bauernbank in Rentengüter umgewandelt worden waren. In diesen Rentengutsverträgen war dem Staat beim Tode des Eigentümers ein nur für besondere Fälle gedachtes Wiederkaufsrecht vorbehalten. Die polnische Regierung übte dieses Recht aber auf Grund der Art. 256 des Versailler Vertrages regelmäßig bei Todesfällen aus, so daß es bis 1929 schon in 458 Fällen zur Anwendung gekommen war.

Da die damalige Deutsche Regierung gegen diese Handhabung Einspruch erhob, war es im sogen. "Deutsch-Polnischen Liquidationsabkommen" vom 31. 10. 1929 zu einer Regelung dieser Streitfrage gekommen.38 In dem Anhang zu diesem, an sich die Liquidation betreffenden Vertrag im sogen. Schriftwechsel Rauscher-Zaleski (Ulrich Rauscher war deutscher Gesandter in Warschau, August Zaleski polnischer Außenminister), hatte Polen auf die Ausübung des Wiederkaufsrechtes im Erbfall gegenüber Erben erster und zweiter Ordnung verzichtet und sich dieses nur für bestimmte, genaue festgelegte Fälle vorbehalten. Trotzdem wurden sämtliche vor dem 31. 10. 1929 bereits eingeleitete Wiederkaufsverfahren von den polnischen Behörden weiter betrieben, z. T. bis zur letzten Instanz durchgeführt und erst mit der Exmission der Ansiedler beendet. In der Berichtszeit liefen etwa 40 solcher Verfahren. Allein zwischen dem 21. 4. 1936 und dem 28. 7. 1938 wurden in acht solcher Fälle Exmissionen vorgenommen.39 Die exmittierten Siedler hatten die Scholle meistens schon vor ca. 15 Jahren übernommen, hatten [113] die ganze Zeit über den Prozess führen müssen und erhielten jetzt Entschädigungen, die auf Inflationsschätzungen beruhten, so daß dieser "Wiederkauf" einer entschädigungslosen Enteignung gleichkam. So erhielt z. B. ein Exmittierter für eine 16 ha große Wirtschaft im Werte von 20.000 Zloty nur 800 Zl.

Die Bezirkslandämter und später auch die Wojewodschaftsämter gingen so vor, obwohl die deutschen Parlamentarier diese Angelegenheiten laufend den Warschauer Ministerien vortrugen und darauf hinwiesen, daß die Durchführung dieser Verfahren gegen das deutsch-polnische Liquidationsabkommen verstoße. Schließlich konnte die polnische Regierung dazu bewogen werden, ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Erledigung der Verfahren im Vergleichswege zu erklären. Die Erben sollten die z. T. sehr beträchtlichen Verfahrenskosten tragen und dann im Besitz des Grundstückes belassen werden. Die Durchführung der Vergleiche oblag den Wojewodschaftsämtern, die den Erben aber nur in den Fällen "entgegenkamen", in denen sie eine hohe Wiederkaufssumme hätten bezahlen müssen. In den anderen Fällen wurden die Exmissionen weiter betrieben, besonders wenn polnische Interessenten für die Grundstücke vorhanden waren.



"Freijahre" und "freie Aussaat"

Aber selbst die Zurückziehung des Wiederkaufverfahrens oder die Nichtgeltendmachung desselben ermöglichte noch keinen reibungslosen Erbübergang, da bei der Regelung der Erbfolge die polnischen Landämter seit dem Herbst 1933 die Rückerstattung der sogen. Freijahre und der "Freien Aussaat" forderten. In den Rentengutsverträgen hatte sich nämlich die Preußische Ansiedlungskommission die Rückforderung der sogen. Rentenfreijahre - meistens der ersten drei Jahre nach der Ansiedlung - für den Fall vorbehalten, daß der Ansiedler die Stelle innerhalb von zehn oder zwölf Jahren nach [114] Übernahme veräußern würde. Zu der Rückerstattung der freien Aussaat in Naturalien oder Geld war der Ansiedler rechtlich gesehen wohl verpflichtet, doch war der Anspruch des Fiskus nach 30 Jahren verjährt. Da die Ansiedlungskommission letzteres Recht nie geltend gemacht hatte und die Voraussetzung zur Rückforderung der Rentenfreijahre nie vorlag, waren diese Lasten überhaupt nicht mehr geltend zu machen oder aber verjährt. Trotzdem wurden sie von den polnischen Behörden bei Übergabe des Hofes an den Erben, in voller Höhe aufgewertet, auf einmal verlangt. Es handelte sich also um beträchtliche Beträge. Da bei diesen Überschreibungen sowieso schon Notariats- und Gerichtskosten, Steuern und evtl. Auszahlungen an Geschwister zu leisten waren, war der Besitz bei Geltendmachung noch dieser überdies zweifelhaften staatlichen Ansprüche so sehr vorbelastet, daß die Erben vor der Übernahme der Stelle zurückschrecken mussten. Dabei hatte das Liquidationsabkommen ausdrücklich vorgesehen, daß beim Übergang der Grundstücke an Leibeserben keine Schwierigkeiten gemacht werden sollten. Die Verknüpfung der Überlassungsgenehmigung mit der Rückerstattung der freien Aussaat in der aufgezeigten Form stellte somit eine Verletzung dieser Abmachung dar.

Die Erschwerung oder gar Verhinderung des Erbganges auf diese Weise war insofern für das ganze Deutschtum von Bedeutung, als von dem im Jahre 1934 noch in deutschen Händen befindlichen Landbesitz von rund 950.000 ha die Rentengrundstücke 250.000 ha ausmachten,40 so daß die deutschen Parlamentarier und Organisationen in dieser Angelegenheit unzählige Eingaben und Denkschriften verfassten und hartnäckige Vorstöße, u. a. unmittelbar nach der deutsch-polnischen Minderheitenerklärung, unternahmen. Doch erst auf Grund des neuen Rentengüter- bzw. Ansiedlergesetzes vom 9. 4. 1938 sollten alle bestehenden Verpflichtungen gegenüber dem Staat [115] aus dem Titel der Ansiedlungskommission, Rentenbank, Mittelstandskassen, die ewigen Einemarkrenten in eine einzige Anleihe umgewandelt werden, die den Charakter einer Amortisationshypothek trug und in 46½ Jahren getilgt werden sollte. Da vorgesehen war, daß die nicht verjährten Forderungen dem Rentenkapital zugeschlagen werden sollten, wurde die Verjährung der Rentenfreijahre grundsätzlich anerkannt. Mit der Eintragung dieser Anleihe sollten bei den Ansiedlergrundstücken alle bisherigen Eintragungen gelöscht werden. An deren Stelle trat aber die Bestimmung, daß zur Verschreibung, Verpachtung oder Belastung des Grundstückes die Genehmigung des Starosten eingeholt werden musste. Trotzdem bedeutete dieses Gesetz für die Ansiedler eine gewisse Erleichterung, die sich jedoch nicht mehr auswirkte, da die Umstellung erst mit dem 1. 7. 1939 durchgeführt werden sollte.41



Das Vorkaufsrecht

Neben dem Wiederkaufsrecht hatte der polnische Staat Deutschen gegenüber noch das gesetzliche Vorkaufsrecht geltend gemacht, das er auf Grund eines Gesetzes vom 18. Juli 1920 für alle Grundstücke in Posen und Westpreußen besaß, die 1/8 ha überschritten. Dieses Gesetz hatte die gleiche Wirkung wie ein kontraktlich festgelegtes Vorkaufsrecht und war nur bei Verkäufen an Verwandte ersten und zweiten Grades ausgeschlossen. Falls es angewandt wurde, erloschen für den Käufer die Rechte aus dem Kaufvertrag. An seine Stelle trat der Staat, der nun das Recht besaß, sich das Eigentum des gekauften Grundstückes unter den vorher mit dem ursprünglichen Käufer ausgemachten Bedingungen zu übertragen. Der Käufer aber hatte dem Staat gegenüber kein Zurückbehaltungsrecht in Bezug auf den Kaufpreis, da er zu ihm in keinerlei Rechtsbeziehungen stand. Das Vorkaufsrecht unterlag dem freien Ermessen der zuständigen Behörden, die lediglich verpflichtet waren, die [116] formalen Bestimmungen zu beachten, d. h. die Grenzen innezuhalten und die Fristen zu wahren. Er durfte nämlich nur innerhalb von 3 bzw. 6 Wochen nach dem Tage an ausgeübt werden, an welchem die Behörde vom Kauf Kenntnis erhalten hatte. Die Möglichkeit der Anwendung des Vorkaufsrechtes gefährdete alle deutscherseits getätigten Kauf- und Verkaufsverträge. Sobald ein deutscher Bauer ein Grundstück gekauft hatte, übte der Staat auch ohne besonderen Anlass sein Vorkaufsrecht aus. Berufungen waren in allen Instanzen erfolglos, da selbst das Bodenreformministerium diese ohne Begründung zurückwies. Der Fiskus wurde als Eigentümer eingetragen, und das Bezirkslandamt forderte den Käufer zur Räumung auf. Der Kaufpreis wurde vielfach nicht rückerstattet, sondern höchstens die gemachten Aufwendungen, Vertragskosten usw. verrechnet. Der Bauer musste daher um seine Existenz kämpfen und beschritt fast immer den Prozessweg, um sich auf diese Weise gegen die Herausgabe des rechtmäßig erworbenen Grundstückes zu wehren. Die Prozesse dauerten durchschnittlich 10 Jahre und hatten beim Obersten Polnischen Verwaltungsgericht nur dann Erfolg, wenn die Behörden die Fristen nicht innegehalten hatten. In allen anderen Fällen endeten die Prozesse schließlich mit der Exmission der Betroffenen. Bis 1934 waren 165 Fälle dieser Art registriert worden.42

Da die Ausübung des Vorkaufsrechtes vielfach zur Zeit der Inflation erfolgt war und der Staat wie bei den Wiederkaufsfällen bestenfalls nur den abgewerteten Kaufpreis zahlte, kam auch hier die Exmission einer völligen Enteignung gleich. Hierzu trat noch der Umstand, daß der Staat vom Tage der Geltendmachung des Vorkaufsrechtes an gegenüber dem Vorkaufsbetroffenen die sogen. entgangenen Nutzungen berechnete, so daß ein evtl. zu zahlender Kaufpreis mit den Nutzungen aufgerechnet wurde. Es kam sogar vor, daß bei diesen Berechnungen der nicht zugelassene Käufer nicht nur den ganzen [117] seinerzeit entrichteten Kaufpreis verloren hatte, sondern noch eine Zuzahlung von Tausenden von Zloty leisten sollte.

Da die Verfolgung des Rechtsweges im Inlande keinen Erfolg brachte, hatten die deutschen Abgeordneten eine eingehende Beschwerde an den Völkerbund eingereicht, dessen Dreierkomitee sich hierin, wie auch in anderen Fällen, am 23. 5. 1931 mit einer Erklärung begnügte, die der Minderheit zwar recht gab, sich aber hinsichtlich der Zukunft darauf beschränkte, Hoffnungen und Wünsche auszudrücken, die der Staat nur bei gutem Willen zu befolgen brauchte. Dieser Beschluss des Völkerbundkomitees, der auch die uns noch beschäftigende Auflassungsverweigerung betraf, hatte folgenden Wortlaut: "Das Vorkaufsrecht und das Recht der Auflassungsverweigerung wird ausschließlich aus landwirtschaftlichen und wirtschaftlichen Gründen ausgeübt werden. Die Tatsache, daß ein Käufer nicht Landwirt von Beruf ist, wird nicht als ausreichende Begründung einer Ablehnung betrachtet werden. Das Kriterium der Loyalität wird nicht mehr angewandt werden, mit Ausnahme der Fälle, wo eine gerichtliche Verurteilung vorliegt".43 Trotz dieser Stellungnahme des Völkerbundes machten die polnischen Behörden weiterhin, auch nach Abschluss des deutsch-polnischen Nichtangriffspaktes, von dem Vorkaufsrecht Gebrauch, um deutschen Bauern den Ankauf von Grund und Boden, sei es aus deutscher oder aus polnischer Hand, zu versagen.

Auch die deutscherseits unterbreiteten Vergleichsvorschläge hatten ähnlich wie bei dem Wiederkaufsverfahren nur in wenigen Fällen Erfolg. Die Wojewodschaftsbehörden in Posen und Westpreußen beharrten in ihrer unnachgiebigen Haltung, so daß allein in der Zeit zwischen dem 9. 2. 1934 und dem 10. 5. 1938 24 deutsche Bauern auf Grund der angeführten Vorkaufsverfahren exmittiert wurden. In acht Fällen wurden sie ohne jede Entschädigung hinausgesetzt, in einem Falle [118] sollte noch eine Zuzahlung erfolgen, die zuerst 5879,39 Zloty betragen hatte und die mit Zinsen auf rund 6500 Zloty aufgelaufen war. In weiteren fünf Fällen wurde ein Kaufpreis von wenigen hundert Zloty gewährt, und auch die restlichen Entschädigungszahlungen lagen weit unter dem tatsächlichen Kaufpreis. Drei der 24 erwähnten Exmissionen waren erst im Jahre 1938, also noch nach der deutsch-polnischen Minderheitenerklärung erfolgt.



Die Auflassungsverweigerung

Wenn das Deutschtum Posen-Westpreußens so hartnäckig gegen die Anwendung des Wiederkaufs- und Vorkaufsrechtes durch die polnischen Behörden kämpfte, so war das u. a. auf den Umstand zurückzuführen, daß der Neuerwerb von Grund und Boden für Deutsche in diesen Gebieten fast ganz unmöglich geworden war. Dafür sorgte schon die Bestimmung, daß zur wirksamen Auflassung eines landwirtschaftlichen Grundstückes über 5 ha die Genehmigung der zuständigen Verwaltungsbehörde erforderlich war. Es handelte sich hierbei um eine kriegsbedingte deutsche Maßnahme, die durch Bundesratsverordnung vom 15. 3. 1918 erlassen worden war, die aber von den Polen in Posen-Westpreußen nicht nur beibehalten, sondern durch eine ministerielle Verordnung vom 23. 6. 1921 auch auf die Übertragung industrieller und städtischer Grundstücke über 1/8 ha ausgedehnt worden war. Die die Landwirtschaft betreffende deutsche Verordnung hatte das Versagen der Auflassungsgenehmigung nur in bestimmten Fällen vorgesehen, so daß die Entscheidung der Behörden gebunden war. Die die industriellen und städtischen Grundsätze berührende Verordnung enthielt keine weiteren Erläuterungen, so daß die Behörden nach freiem Ermessen entscheiden konnten. Ein Versagen der Genehmigung hatte gemäß der Rechtssprechung das Unwirksamwerden des Kaufvertrages zur Folge. [119] Die Anwendung beider Verordnungen in der Praxis bewies, daß das Genehmigungsrecht der Behörden dazu ausgenutzt wurde, um den Erwerb von ländlichem und städtischem Grundbesitz durch Deutsche zu verhindern.

Der an sich schon durch die Maßnahmen verschiedenster Art, u. a. der weiter unten behandelten Agrarreform, eingeengte Lebensraum des Deutschtums erfuhr durch die Verweigerung der Auflassungsgenehmigung beim Grundstückserwerb weitere, sachlich vollkommen unbegründete Einschränkungen. Zur Begründung der Ablehnung bei ländlichen Grundstücken wurden fast immer die gleichen, sehr anfechtbaren Einwände vorgebracht. Beruflich in jeder Hinsicht gut vorgebildeten Landwirten, deren Eltern und Voreltern tüchtige Landwirte gewesen waren, bzw. noch waren, wurde der Erwerb eines Grundstückes verweigert, weil "die Gefahr besteht, daß sie das erworbene Land zum Schaden der Allgemeinheit nicht ordentlich werden bewirtschaften können". Dabei hatten die Betroffenen das ihnen verweigerte Grundstück oft schon jahrelang auf Grund einer Generalvollmacht des Vorbesitzers bewirtschaftet und manchmal für die vorbildliche Bewirtschaftung Auszeichnungen selbst von polnischen Behörden erhalten. Anderen wieder wurde entgegengehalten, daß, wer ein Grundstück noch nicht besessen habe, beispielsweise heranwachsende Bauernsöhne, landwirtschaftliche Beamte, nicht fähig sei, ein angekauftes Grundstück ordentlich bewirtschaften zu können. Wieder anderen wurde der Landerwerb mit dem Hinweis darauf abgelehnt, daß sie bereits Land besäßen.44 Diese Ablehnungen wurden den Antragstellern oft auf vorgedruckten Formularen mitgeteilt.

Die Folge der ständigen Auflassungsverweigerungen war, daß viele deutsche Bauern aus dieser Notlage heraus den Ankauf von Grundstücken trotz Versagung der behördlichen Genehmigung wagten und die Grundstücke ohne die so genannten Auflassungen [120] und - wie schon angedeutet - nur als Generalbevollmächtigte des Vorbesitzers bewirtschafteten. Natürlich traten bei einer solchen Praxis unhaltbare Rechtszustände ein. Trotzdem blieben alle Versuche erfolglos, bei den unteren Instanzen eine Neuaufnahme der Genehmigungsverfahren zu erreichen. Auch die Vorstellungen der deutschen Parlamentarier bei den Zentralbehörden und die bereits zitierte Stellungnahme des Dreierkomitees des Völkerbundes führten keine Änderung der behördlichen Praxis herbei. Wie wenig die Polen auf die Empfehlung des Völkerbundes, die Auflassung nur aus landwirtschaftlichen Gründen zu verweigern, gaben, beweist am besten die Tatsache, daß einem deutschen Diplomlandwirt die Genehmigung zum Erwerb eines Grundstückes verweigert wurde, während sie bald darauf einem polnischen Kaufmann für dasselbe Landgut erteilt wurde.45

Im Auftrag des Rates der Deutschen in Polen konnte Senator Hasbach in der Mitte 1938 der polnischen Regierung unterbreiteten Denkschrift allein 85 Fälle von Auflassungsverweigerung bei landwirtschaftlichen Grundstücken und 35 Fälle bei städtischen Grundstücken aufführen. Hiervon waren 39 Fälle erst nach der Minderheitenerklärung vom 5. 11. 1937 eingetreten.46

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35Kauder, Viktor (Hrsg.): Das Deutschtum in Polen. T. 1, S. 7. (Ein Bildband Teil 1-5.) Plauen-Leipzig 1937/39. ...zurück...

36"Annullierung" der Kauf- und Ansiedlungsverträge mit dem preußischen Staat. ...zurück...

37Karzel, Karl: Die Posener deutsche Landwirtschaft während der polnischen Herrschaft. S. 133, abgeschl. Posen 1943; - nach Lübbicke, Karl: "Siedlungsgeschichte, Sozial- und Wirtschaftsverfassung der deutschen Landbevölkerung in Polen." S. 153 (aus Sering-v. Dietze: Agrarverfassung der deutschen Auslandssiedlungen in Europa). ...zurück...

38Siehe auch S. 133. ...zurück...

39Die Frage des Besitzes und Erwerbes von Grundstücken durch Angehörige der deutschen Volksgruppe in Westpolen. S. 50. Hrsg. von der Deutschen Vereinigung; Bromberg 1938. ...zurück...

40Nation und Staat. Jg. X, S. 272; Wien 1937. ...zurück...

41Karzel, Karl: Die Posener deutsche Landwirtschaft während der polnischen Herrschaft. S. 191, abgeschl. Posen 1943. ...zurück...

42Eingabensammlung der deutschen Volksgruppe in Westpolen. 1936, S. 6. Hrsg. von der Deutschen Vereinigung; Bromberg 1936. ...zurück...

43Die Frage des Besitzes und Erwerbes von Grundstücken durch Angehörige der deutschen Volksgruppe in Westpolen. S. 26. Hrsg. von der Deutschen Vereinigung; Bromberg 1938. ...zurück...

44Karzel, Karl: Die Posener deutsche Landwirtschaft während der polnischen Herrschaft. S. 189, abgeschl. Posen 1943. ...zurück...

45Die Frage des Besitzes und Erwerbes von Grundstücken durch Angehörige der deutschen Volksgruppe in Westpolen. S. 93. Hrsg. von der Deutschen Vereinigung; Bromberg 1938. ...zurück...

46Die Frage des Besitzes... S. 217. ...zurück...

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Die deutsche Volksgruppe in Polen 1934-1939