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Heimattreu bis zum letzten!
Das Schlußwort hat Dr. med. Studzinski

"Heimattreu bis zum letzten" oder... sich in Sicherheit bringen; so ging es von Mund zu Mund. Mein Weg war mir stets vorgezeichnet. Als örtlicher Führer unserer braven deutschen Bevölkerung hatte ich 20 Jahre lang "Heimattreue" gepredigt, hatte sie verlangt, und, gottlob, ist dieser mein Ruf von den meisten Volksgenossen gehört und befolgt worden; sie blieben der Heimat treu. Ich war mir des Ernstes der Lage vollkommen klar, war aber durch nichts davon abzubringen, bis zur letzten Konsequenz auszuhalten.

Von uns 43 Verschleppten des Kreises waren zwei noch "bevorzugt" behandelt worden. Sie wurden schon am 31. August früh verhaftet und nach Schwetz in Einzelhaft gebracht, während die übrigen Kameraden erst am Freitag, dem 1. September, verhaftet wurden. Es waren dies der Volksgenosse von Maercker-Roblau und meine Wenigkeit. Früh um ¾7 Uhr kamen zwei schwerbewaffnete Polizisten zu mir, hielten – schon zum zweiten Male – eine gründliche Haussuchung, natürlich ohne jeden Erfolg. Dann wurde ich aufgefordert, mit meinem Auto zunächst nach Prust zur Polizei zu kommen und dann nach Schwetz zu fahren. Auf meine ausdrückliche Frage, ob ich mit einer Verhaftung rechnen müsse, wurde mir ganz eindeutig versichert, daß es sich nur um ein Verhör handle, und daß ich in einer Stunde meine Sprechstunde halten könnte. So fuhr ich ohne Mantel, ohne Decke, ohne Proviant, im Jackett, leichter Sommermütze und Windjacke nach unserer Kreisstadt. Dort wurde ich sofort für verhaftet erklärt und im Rathaus in einer Einzelzelle eingesperrt. Mein Auto, meine darin befindlichen Arzttaschen mit ärztlichem Instrumentarium und Arzenei sind seitdem verschwunden, sind gestohlen. Ungefähr um ½10 Uhr schloß sich hinter mir die Tür der Einzelhaft, schlossen sich die schweren, eisernen Riegel.

[96] Nach ungefähr einer Stunde hörte ich Schritte auf dem Hof und bald auch die energische Stimme eines Volksgenossen, der etwas zum Lesen, vielleicht eine Bibel, verlangte. Gegen Abend, als wir einige Minuten zu notwendigem Gange auf den Hof gelassen wurden, standen wir uns gegenüber, drückten uns stumm die Hand. Es war Kamerad von Maercker. Unser Glück war unbeschreiblich, als wir dann am Freitag wegen Überfüllung der Arrestlokale in meiner Zelle zusammen eingesperrt wurden. Hier wurde eine Kameradschaft geschlossen, die auf dem Höllenmarsch die Feuerprobe bestanden hat, und die eine treue Kameradschaft fürs Leben geworden ist. In der Nacht zum Sonnabend wurde dann Kamerad von Maercker abgeholt, während zu mir in die Zeile zwei dunkle Gestalten eingesperrt wurden. Wieder ein stummer Händedruck, wir verstanden uns. –

Gegen ½8 Uhr nachts wurde auch ich von zwei Polizisten abgeholt, erhielt auf der Polizei die mir abgenommene Uhr und das Geld zurück und wurde zur Kaserne gebracht, wo ich, gottlob, den Kameraden von Maercker wiederfand und dazu 41 weitere Kameraden aus dem Kreise Schwetz. Unter ihnen begrüßten wir auch eine Kameradin, die uns von ihrer Tätigkeit in der VV. so gut bekannte Hilde Wendt aus Zappeln. Sie hat brav durchgehalten bis zur glücklichen Heimkehr. Wir begrüßten uns alle und machten von jetzt ab gemeinsam den Höllenmarsch in treuer Kameradschaft bis nach Lowitsch mit; es war bei unserem Abmarsch der 2. September. Alte Herren über 70 Jahre, schwer Herzkranke, sie waren dabei, es gab kein Erbarmen. Unser Senior, Herr Schulz aus Dragaß, hatte, sage und schreibe, ein Alter von 82 Jahren.

Über die Schwarzwasser-Brücke, zwischen der Ordensburg des Heinrich von Plauen und der Ordenskirche, ging dann dieser Zug, bewacht von Polizei und Hilfspolizei, nach der Kulmer Föhre. Dort sahen wir zum ersten Male die panikartige Flucht der polnischen Bevölkerung. Die Chaussee nach der Fähre bis nach Schönau zu verstopft mit Wagen und von mitgetriebenem Vieh. Diese Panikstimmung sagte uns ja, daß die erste Entscheidungsschlacht doch nicht vor den Toren Berlins stattgefunden hatte, wir hörten von der Beschießung von Graudenz, und langsam stieg die Hoffnung in uns auf, daß wir vielleicht nicht mehr über die Weichsel kommen würden. Doch wir wurden wieder "bevorzugt" behandelt: ein Dampfer mit Prahm setzte uns über. Es ging durch die Stadt Kulm bis zum dortigen Landratsamt, wo eine kleine Rast gemacht und weitere Befehle erteilt wurden. Hier, bei dem Spießrutenlaufen durch die Stadt, bekamen wir zum ersten Male die unflätigsten Beschimpfungen und Schmähungen der Bevölkerung zu spüren. "Schlagt doch die deutschen Hunde tot! Wozu transportiert ihr die deutschen Schweine noch weiter? Jagt sie doch in die Weichsel!" So gei- [97] ferte die wilde Horde. Glücklich die Kameraden, die kein Wort polnisch verstanden. Auf der Chaussee nach Unislaw ging es weiter, bis zu einem Bahnhof, wo wieder eine Rast gemacht wurde, und wo wir noch einmal das Auto unseres Landratsamtes aus Schwetz trafen.

Ein Beamter gab den führenden Polizisten Instruktionen. Dann wurden deutsche Bauernwagen requiriert, auf denen wir dann bis Unislaw fuhren. Diese Erleichterung wurde uns meines Erachtens aber nicht aus Mitgefühl geschaffen, sondern aus der Sorge heraus, daß wir den Weg nach Thorn zu Fuß nicht mehr schaffen würden, ohne von deutschen Truppen eingeholt zu werden. Durch Unislaw wurden wir wieder beschimpft, dann auf dem Bahnhof in aller Eile verladen, und weiter ging es per Bahn nach Thorn. Bekamen wir in Kulm und Unislaw schon Schmähungen und Beschimpfungen zu hören, so steigerte sich dieses abscheuliche Betragen der Bevölkerung in Thorn um ein Bedeutendes. Hier gab es schon neben Flüchen Fußtritte und Steinwürfe. Glücklich waren wir erst, als wir auf einem Gefängnishof lagern konnten, wo die Zivilbevölkerung nicht ohne weiteres Zutritt hatte. Bis hierher hatte uns die Schwetzer Bewachungsmannschaft gebracht, und gerechterweise muß man zugestehen, daß sie sich menschenwürdig betragen hat. Auch sie, diese Bewachungsmannschaft, war schlecht verpflegt, nicht bezahlt, so daß wir mit ihnen etwas Fühlung erhielten und es sogar fertigbrachten, durch einen Hilfspolizisten für uns für 40 Zloty zwei Flaschen Kognak zu erhalten. Auf der kahlen Erde des Gefängnishofes lagen wir bis Mitternacht, verfroren, verklammt, und dieses Glück, als ich von Kamerad zu Kamerad kroch und jedem einen Schluck des köstlichen Getränkes reichen konnte. Nach Mitternacht wurden wir in den Vorraum eines Kinos getrieben, wo wir bis zum Morgengrauen blieben.

Mit wüstem Geschimpfe und Geschnauze fremder Polizisten wurden wir geweckt und herausgetrieben auf einen Platz, auf dem uns unsere neue Begleitmannschaft, unter dem Befehl eines Feldwebelleutnants, übernahm. Es war der 3. September. Er hielt uns eine Ansprache, daß wir zu unserer "Sicherung" weitergeleitet werden. Erstaunt waren wir über die Stärke der Begleitmannschaft; es waren, glaube ich, 150 Mann, die uns 43 Verschleppte begleiteten. Der polnische Staat ließ sich unsere "Sicherung" etwas kosten, wir waren also eine wertvolle Sendung! Hier, beim Marsch durch Thorn, vorbei an den Bahnhöfen, sahen wir die ersten deutschen Bombenflieger, hörten die ersten einschlagenden Bomben und konnten auch die sprichwörtlich "polnische Tapferkeit" der uns eskortierenden Bewachungsmannschaft erleben. Allein schon das Motorengeheul eines noch gar nicht sichtbaren Flugzeuges ließ sie volle Deckung nehmen. Durch Wald, durch Sandwüste, durch hohe Lupinenfelder ging es kreuz und quer in Richtung Ciechocinek. [98] Erstaunlich die Leistung unserer alten Herren, vorbildlich ihre Haltung. An einem Luftkurort vor Ciechocinek, an einer Pappelallee, wurde Halt geboten. Polnische Offiziere, darunter ein Oberstleutnant, waren im Kraftwagen hierher geeilt. Beim Lagern hieß es plötzlich: "Koffer, Rucksäcke aufmachen!"

Dann wurden wir unter Aufsicht dieser Offiziere bestohlen: Konservenbüchsen, Dauerwürste, Schmalz, Butter, Zigaretten wurden uns fortgenommen und an die sich schon wie Hyänen ansammelnden Zivilisten verteilt. Mit erleichtertem Gepäck ging es weiter in Richtung Alexandrowo, bald durch Waldwüste, bald auf harter Straße. Die ersten Ermatteten mußten gestützt werden, der Wassermangel machte sich stark fühlbar.

Nach kurzer Rast im Walde konnte unser ältester Kamerad Schulz nicht mehr weiter. Vorbildlich seine Energie, heroisch seine Haltung, aber die müden Beine versagten den Dienst. Ich ging als Arzt zu dem Feldwebelleutnant, um ihm zu sagen, daß der alte Herr am Ende seiner Kräfte sei. "Dann wird er gestützt und getragen", war die abweisende Antwort. Auch das wurde versucht. Zunächst im Mantel, dann in einer Decke trugen wir – vier Kameraden – den alten Herrn ein Stück. Aber wir selbst waren auch bald am Ende unserer Kraft, es ging nicht weiter. Wieder ging ich zu dem Transportleiter. Unter der Aufsicht eines polnischen Ordnungsdienstmannes mit Armbinde lagerten wir den alten Herrn im Walde, von wo ihn ein in der Nähe wohnender deutscher Besitzer nach Alexandrowo nachfahren sollte. Tatsächlich wurde Kamerad Schulz uns nachgefahren, aber erst, nachdem ihn das polnische Gesindel vollständig ausgeraubt hatte. Nach zwölfstündigem Marsch zogen wir halbverdurstet in Alexandrowo ein, liefen Spießruten durch die ganze Stadt, wurden beschimpft, mit Steinen beworfen. Hinter der Stadt neben einer Ziegelei gab es dann etwa drei Stunden Ruhe und – – – Wasser. Die Erschöpfung unserer alten Garde war groß. Unser Senior Schulz war am Ende seiner Kraft. Ich erreichte bei dem Feldwebelleutnant, daß er in ein Lazarett eingeliefert werden sollte. Was aus diesem aufrechten deutschen Mann, dem vorbildlichen Kameraden, geworden ist, wir wissen es leider noch nicht.

Viele andere alte Herren drohten gleichfalls zusammenzubrechen; doch die drohende Haltung der Bevölkerung, auch die Erholung durch die Rast, gab ihnen, diesen alten Kämpfern, neuen Mut, neue Kraft, mit uns weiterzumarschieren. Es hieß, zu einem Bahnhof, auf dem wir verladen werden sollten. Wieder wurden drei Stunden in den Abend und in die Nacht marschiert; die Kranken und Alten wurden gestützt, und, was man nicht glaubte, auch diese drei strapaziösen Stunden wurden von allen durchgehalten. Wir gelangten wirklich auf einen Bahnhof, nicht aber, um [99] weitertransportiert zu werden, sondern in einen Wartesaal von etwa drei mal vier Meter Flächenraum eingesperrt zu werden. Man stelle sich vor: 42 Mann auf diesen engen Raum zusammengepfercht. Fenster und Türen fest verschlossen. Die Öffnung eines Fensters brachte uns ein Donnerwetter der Bahnbeamten und der Bewachungstruppen ein. Doch bald witterten sie an unserem Schrei nach Luft und Wasser ein Geschäft. So wurde uns für 1, 2, 5 Zloty durch ein Fenster Wasser verkauft. Ich bot großzügig für Luft und einen Eimer Wasser 20 Zloty für das Rote Kreuz. In dieser Nacht wurden wir dann von diesen Banditen von Bewachungstruppen systematisch beraubt. Die Uhren mit Ketten, auch Geld wurde uns gestohlen. So versteckten wir in Schuhen und Strümpfen unser gerettetes Geld, es sollte später den nächsten Bewachungsmannschaften beinahe restlos zum Opfer fallen. Am Morgen des 4. September 1939 wurden wir dann in Richtung Wloclawek in zwei Viehwagen verladen, die sich inmitten eines Militärtransportes befanden. Unterwegs blieb der Transport auf offener Strecke stehen, das dort postierte Militär schwärmte aus, auch unsere Bewachungsmannschaft wurde dazu verwandt, aus Furcht vor Fliegerangriffen. Wir mußten zusammengekauert in unserem Viehwagen bleiben.

Die kriegerische Situation schien nicht gerade günstig für Polen zu stehen; denn Offizier und Mann liefen panikartig durcheinander, und jedes Motorengeräusch löste auch hier Schrecken aus. Nach stundenlangem Warten ging es weiter bis Wloclawek, wo wir ausgeladen wurden und wieder Spießruten durch die Stadt laufen mußten bis auf den Hof der Polizeikommandantur. Ein buntes Durcheinander. Zivilisten wurden in Gruppen, auch einzeln, eingeliefert, blitzartig vernommen, wüst geschlagen und eingesperrt. Ein kleiner Trupp Graudenzer Leidensgenossen wurde auch auf den Hof geführt, bald jedoch wieder fortgeschafft.

Bei dem stundenlangen Warten wurden wir dann wieder unter den Augen der Polizei ausgeplündert. Wieder wanderte ein Teil unseres Geldes in die bodenlosen Taschen des Bewachungsgesindels. Gegen Abend wurden wir mit neuer Begleitmannschaft, dem Schützenverband, in Marsch gesetzt, nachdem ein Oberleutnant, ein typischer Jude mit einer Hakennase, an seine Leute eine Ansprache gehalten hatte, in der er die jungen Leute direkt zu Bestialitäten gegen uns aufstachelte. Schon in der Stadt begann neben dem unglaublichsten Beschimpfen das Mißhandeln. Steinwürfe, Kolbenschläge bekam jeder von uns. Mit unglaublicher Roheit wurde Kamerad Alfred Werner aus Groß-Sanskau zerschlagen, nach ihm kam ich an die Reihe. Eine nach meiner Erinnerung in Briefträgeruniform gekleidete Bestie schlug mir ins rechte Auge, man erzählte mir später, er soll mit [100] einem Hammer geschlagen haben. Dies war das Signal für die übrigen, nun ihrerseits mit Kolben auf mich einzuschlagen. Ins Gesicht, auf den Kopf traf man mich, ich brach auf der anderen Seite der Chaussee bewußtlos zusammen, wälzte mich auf der Straße, wurde durch rohe Stöße mit Gewehrläufen in Bauch, Brust und Rücken zum Bewußtsein gebracht und mit repetiertem Gewehr bedroht, erschossen zu werden, falls ich nicht sofort weiterlief.

Der Selbsterhaltungstrieb gab mir die Kraft, aufzuspringen, ich ging wieder in Reih und Glied und merkte nun, daß mein Gesicht, mein Hemd, mein Anzug von Blut überlaufen war, daß das linke Auge gänzlich zugeschwollen war, und daß ich keine Sehkraft mehr darauf hatte. Das rechte Auge war auch halb zugeschlagen, die Sehkraft herabgesetzt. In diesem Zustand mußte ich noch weitere 30 Kilometer marschieren. Als ich mich infolge mangelnder Sehkraft durch Tasten von dem Abstand meines Vordermannes, Kamerad Pfarrer Johst - Schirotzken, überzeugen wollte, brüllte mich sofort der Führer der Eskorte an: "Wozu faßt du, deutsches Schwein, nach deinem Vordermann?" Ich konnte nur die Wahrheit sagen, daß meine Augen beschädigt seien, und daß ich nicht sehen könnte. Er leuchtete mir mit seiner Taschenlampe ins Gesicht, und als er sah, wie ich zugerichtet war, da hatte wohl selbst diese Bestie ein wenig Mitgefühl, denn ich wurde nicht mehr geschlagen. So ging es mir auf diesem Höllenmarsch. Von Kolbenschlägen und anderen Mißhandlungen ist aber keiner aus unserer Schwetzer Kolonne verschont geblieben. Wir alle ertrugen diese schweren Schläge, wir wußten ja, daß wir sie ertrugen für alle unsere deutschen Volksgenossen daheim und für unser geliebtes deutsches Vaterland. Alle diese Wunden werden heilen, aber bluten wird stets unser armes Herz über den Verlust unserer lieben, erschlagenen und erschossenen Kameraden auf diesem Höllenmarsch von Wloclawek.

Als erster wurde von diesen Henkersknechten erschlagen unser lieber Kamerad Bitzer aus Lonk. Mit rohen Kolbenschlägen über Kopf und Rücken wurde er vor unseren Augen zu Boden geschlagen und, noch auf der Erde liegend, stöhnend, mit dem Kolben bearbeitet. Wir durften uns nach unserem armen Kameraden nicht einmal umsehen, hörten nur, wie sein Stöhnen immer schwächer wurde. Das zweite Opfer dieser Mörderbande war unser Kamerad Kohls aus Neuenburg, das dritte Opfer unser Kamerad Nehlipp aus Schönau, das vierte Opfer der arme Kamerad Schroeder aus Deutsch-Westfalen, und als fünftes Opfer wurde der junge Kamerad Brunk aus Neuenburg im Garten der Zuckerfabrik Chodzen erschossen, als er, durch die Schläge und Mißhandlungen gezwungen, einen Fluchtversuch machte.

[101] Diese Opfer des Höllenmarsches schreien gen Himmel! Unser blutendes Herz wird diesen für ihr Volkstum hingeschlachteten Kameraden ein ehrendes Gedenken bewahren. Das Ziel dieses Höllenmarsches war die Zuckerfabrik Chodzen, die als Sammellager für die armen verschleppten Deutschen eingerichtet war. Hier im Garten der Fabrik erlebten wir noch eine Schreckensnacht. Auf der Erde sitzend, wurden wir zur nochmaligen Untersuchung aufgerufen, die letzten Gelder wurden uns gestohlen, ich war sogar Zeuge, wie unserem Kameraden, Pfarrer Boekler, aus Gruppe, auch andern, noch die Trauringe vom Finger gestohlen wurden. Diese Untersuchungen wurden natürlich noch mit Kolbenschlägen und anderen Mißhandlungen bekräftigt. Auch hierbei wurde wieder besonders Kamerad Werner aus Sanskau arg zugerichtet, und als er und andere zum Verhör in das Geschäftszimmer abgeführt werden sollten, um hier hinterrücks erschossen zu werden, sprang er auf, faßte andere Kameraden unter den Arm und brüllte in die stille Nacht hinaus, daß er und wir alle als anständige Deutsche hier lieber zusammengeschossen werden wollten, als meuchlings ermordet zu werden. Der höchste Polizeibeamte gab Werner dann auf Verlangen das Ehrenwort, daß er nicht erschossen werden würde, falls er ins Geschäftszimmer ging. So folgte er denn auf dieses Versprechen mit Kameraden Busch, mit Hilde Wendt und dem jungen Kameraden Daluhn aus Marienhöhe in das Büro. Ringsum im Park und im Hause knallten ununterbrochen Schüsse. Wir armes Häuflein von rund 30 Mann lagen auf der Erde, als plötzlich von einem Polizisten im Dunkeln das Kommando "Aufstehen!" ertönte.

In diesem Moment schlug die vertierte Bande mit Gewehrkolben auf uns arme, wehrlose Menschen ein. Ein entsetzliches Geschrei, ein einziges Stöhnen war zu hören. Wir lagen zusammengeschlagen am Boden. Als wir allmählich zu uns kamen, merkten wir, daß alle am Leben waren. Deutsche Schädel haben mehr ausgehalten als polnische Karabiner! Drei abgeschlagene Gewehrkolben waren die traurige Ernte! – Nicht genug hiermit; jetzt wieder die Kommandostimme aus dem Dunkeln, daß wir zu vieren erschossen würden. Die Kolbenschläge hatten uns zwar arg zugerichtet, hatten uns mürbe gemacht. Doch jetzt kam eine große Stille über uns, wir waren ruhig gefaßt; denn vor der ehrlichen Kugel hatten wir, die wir ja alte Soldaten, meist Offiziere von 1914 waren, keine Bange. Da erscheint in letzter Minute unser Retter. Ein polnischer Oberleutnant, herbeigerufen durch das dauernde Geschieße und den nächtlichen Krach und das Geschrei, greift energisch ein, fragt die Polizei, was los sei, gibt das Kommando, daß die Begleitmannschaft rechts herausmarschiert, und begibt sich in das Geschäftszimmer, wo Werner, blutüberlaufen, mit den [102] andern zum Verhör steht. Er sieht die tobenden Menschen, fragt nach einem Arzt. Ich werde hineingerufen, gefragt, was ich wäre. Als mich dieser Oberleutnant sieht, blutüberströmt, das linke Auge ganz zugeschlagen, das rechte halb, fragte er mich, wie ich zu den schweren Wunden käme? Ich konnte wahrheitsgemäß bestätigen, daß auch ich ein Opfer seiner Leute wäre. Auf sein Geheiß untersuchte ich die Wunden von Kamerad Werner, verband sie notdürftig und erhielt nun von dem Oberleutnant den Befehl, als Vertrauensmann unserer Kameraden dafür zu sorgen, daß die Kameraden das Büro verließen. Sie taten es auch auf meine Bitte, ich war mit dem Oberleutnant allein. Indem ich an seinen Tisch trat, sagte ich: "Im Namen aller meiner Kameraden, die zum größten Teil selbst deutsche Offiziere waren, danke ich Ihnen für Ihre ehrenvolle Haltung als polnischer Offizier; ich danke Ihnen auch dafür, daß Sie uns in letzter Minute das nackte Leben gerettet haben." Die Haltung dieses polnischen Offiziers ist anzuerkennen, denn er stand auf, reichte mir die Hand, ein stummer Händedruck. "Morgen werden wir wohl ein Protokoll schreiben", sagte er noch zu mir. "Ich verhandle nur noch mit Ihnen." Das Protokoll ist natürlich nie geschrieben worden; denn soviel Bestialität konnte ja nicht noch schriftlich festgehalten werden.

Unser trauriges Häuflein wurde in einen großen Zuckerschuppen abgeführt, der nun für zwei Tage unser Quartier werden sollte. Am nächsten Morgen sahen wir uns in dem Schuppen um. Leidensgenossen aus den Kreisen Graudenz, Strasburg, Hohensalza und aus anderen Kreisen konnten wir begrüßen. Schätzungsweise lagen in diesem Schuppen 800 Mann, Männer und Frauen. Die Luft war entsetzlich. Durch einen Spalt in der eisernen Tür wurden wir immer zu zehn Mann vormittags und nachmittags zehn Minuten an die frische Luft gelassen zur Notdurft und zur Erfrischung. Man stelle sich aber vor, daß wir zwei bis drei Stunden Schlange stehen mußten, bis wir wirklich an die frische Luft kamen. Am nächsten Tage ging auch der vorher genannte Oberleutnant durch unsere Baracke. Ich nehme an, daß er auch nach mir sehen wollte; denn als ich aufstand und zu ihm ging, um mit ihm zu sprechen, fragte er teilnehmend nach meinen Augen, und ich konnte ihm glückstrahlend berichten, daß ich schon die Fensterkreuze erkennen könne. Dann richtete auch ich an ihn eine Frage: "Wie geht es unsern fünf Kameraden, die, wie man sagte, gestern auf dem Marsch von Wloclawek ins Krankenhaus eingeliefert wurden?" Darauf die kurze Antwort: "Sie sind beim Fluchtversuch erschossen worden." Meine zweite Frage, ob diese Kameraden wirklich tot seien, beantwortet er ebenso kurz: "Sie leben nicht mehr." Das war für uns die amtliche Bestätigung, daß diese braven deutschen Menschen nicht [103] mehr unter den Lebenden waren. Wie der "Fluchtversuch" dieser Ärmsten in Wirklichkeit aussah, wir hatten es ja mit eigenen Augen gesehen: Erschlagen mit Gewehrkolben, wurden diese armen Menschen noch hinterher erschossen.

Irgendwelche Erleichterungen für uns zusammengepferchte Menschen zu erreichen, war unmöglich und jede Bemühung ja ohne weiteres zur Erfolglosigkeit verurteilt, wenn man bedenkt, daß ja der Befehl bestand, uns zu quälen und langsam zugrunde zu richten. Am 6. September früh beim Luftschnappen konnte ich die Leidensgenossen aus dem Kreise Bromberg begrüßen, die neben unserem Schuppen zwischen zwei Mauern auf engem Platz zusammengetrieben waren. Ich sprach meinen lieben Studienfreund Dr. Staemmler, ich sah unseren Dr. Kuhnert, Gotthold Starke, meinen Nachbarn Otto aus Klarheim, Friede aus Ludwigsfelde, Hinrichsen aus Paulinen und so viele andere. Man merkte ihnen allen das Entsetzen an, als sie mein zerschundenes Gesicht sahen. In aller Frühe des 7. September mußten wir dann in fünf Kolonnen zu je 800 Mann antreten und wurden über Chodecz nach Kutno weitergetrieben. Hier gebärdete sich die Zivilbevölkerung, meist Juden, wie die Wilden. Fortgesetzte Beschimpfungen in der unerhörtesten und gemeinsten Art hörten wir und wurden auch mit Steinen beworfen. Ich war Augenzeuge, wie Herr Superintendent Aßmann aus Bromberg, ein alter Herr von über 70 Jahren, als "verfluchter deutscher Bischof" beschimpft und von einem Leiterwagen in die Kreiskommandantur abgeführt wurde. Tag und Nacht wurde marschiert, bis am 8. September auf einer großen Wiese des Gutes Starawies Halt gemacht wurde. Vier Stunden konnten wir ausruhen, von den letzten, vorhandenen Vorräten essen und erhielten – Wasser. Die trockenen Lippen wurden angefeuchtet, der unerträgliche Durst gestillt. Von dieser Wiese ging es am Nachmittag weiter. Tag und Nacht wurde wieder marschiert, Kolbenstöße, Bajonettstiche warfen die torkelnden, erschöpften Kameraden dann wieder in Reih und Glied zurück. Es zeigten sich bei vielen geistige Störungen. Mit Einbruch der Dämmerung hörte man überall Gewehrschüsse der Begleitmannschaft. Wer nicht mehr weiter konnte, wer infolge geistiger Umnachtung nicht mehr die richtige Orientierung hatte, wurde von den Bewachungsmannschaften kurzerhand erschossen und blieb liegen. Diese unsere "endlose Straße" – so nannte ich unseren Marsch – ist besät mit solchen unglücklichen Opfern polnischer Bestialität. Schon in dieser letzten Nacht vom 8. zum 9. September gab mir überstürztes Vorziehen von Artillerie und Infanterie die Hoffnung, daß die Lage der Polen sich weiter verschlechtert haben müsse. Dazu die bissigen, gehässigen Schmährufe vorüberziehender Infanterie. Sie schlugen auf uns ein, und einer dieser Sol- [104] daten schlug im Vorbeigehen nach meinem Kehlkopf. Gottlob konnte ich die Wucht des Schlages mit dem linken Arm abfangen.

Am Morgen des 9. September trafen wir in Lowitsch ein und sahen gerade, wie ein Leerzug in den Bahnhof einfuhr, mit dem wir – so hieß es – weiter ins Innere des Landes abtransportiert werden sollten. Auf dem Wege nach dem Bahnhof sausten die ersten schweren Granaten unserer deutschen Artillerie über uns hinweg in den Bahnhof, es folgten Fliegerbomben. An ein Weiterschleppen mit dem Leerzug war ja nicht mehr zu denken. Von der Bewachungsmannschaft, die sich schon jetzt teilweise verkrümelten, wurden wir über das Bahngleis nach einem großen Übungsplatz an den Kasernen und dem Pulvermagazin abgedrängt. Uns war die Situation klar, die Befreiung konnte nicht mehr fern sein, von Mund zu Mund ging die Parole: "Langsam gehen, in Granatlöcher und in die vorhandenen Übungsgräben sich hinwerfen und nur der Gewalt der noch wenigen, vorhandenen Polizisten und Schützen weichen, um vorwärts zu gehen." Diese Taktik erwies sich als richtig. Tatsächlich wurden wir – rund 1200 Mann – bald von den deutschen Truppen befreit, während 800 andere Verschleppte durch die Polizei weitergetrieben und erst nach Stunden befreit wurden.

Zu diesen unglücklichen 800 Kameraden, die abgedrängt wurden, gehörte auch mein guter Freund Dr. Staemmler aus Bromberg, der von einem Bromberger Polizisten in den letzten Minuten vor der Befreiung durch Kopfschuß ermordet wurde.

Allgemeines Mitgefühl wurde laut über diese letzte, bestialische Tat an einem Menschen, der nur Gutes in seinem arbeitsreichen Leben getan, der als deutscher Mann und als Arzt stets in vorderster Linie gestanden hatte. Auf einer Wiese sammelten wir uns, wir Kameraden aus dem Kreise Schwetz. Leider mußten wir feststellen, daß auch von uns einige fehlten. Glücklicherweise fanden sich allmählich noch einzelne wieder ein, aber immer noch – bis zum Augenblick dieser Niederschrift – fehlen uns die Kameraden Apotheker Starck aus Bukowitz und Bruno Nickel aus Lubin. Möchte es ein gütiges Geschick also lenken, daß auch sie ihrer Familie und uns Kameraden wiedergeschenkt werden.

Unbeschreiblich war die Freude, als wir unseren deutschen Soldaten entgegenliefen und die Hände drückten. Kein Auge blieb trocken. Es war eine Rettung aus höchster Not. Dankerfüllt sangen wir die deutschen Hymnen und brachten ein "Sieg-Heil" auf unseren geliebten Führer und das deutsche Volk aus.

Am Nachmittag ging es dann in die Stadt Lowicz, wo ich der Kommandantur zugeteilt wurde, in der schnell im großen Sitzungssaal ein Ver- [105] bandsraum eingerichtet wurde. Auch hier gab es für mich keine Ruhe. 50 Stunden hintereinander waren wir mit Kolben und Bajonetten vorwärtsgetrieben worden mit kleinen Pausen, in denen alles zusammensank in dem Staub der Straße und todähnlich einschlief.

Trotz dieser übermenschlichen Strapazen hieß es jetzt für mich: "Kopf hoch! Weiterarbeiten, die armen verwundeten Kameraden versorgen und die eiternden Fußwunden verbinden." Es mußte geschafft werden, und – es ging! Bis ½1 Uhr nachts verband ich im Stehen, im Sitzen, auf allen vieren kriechend, dann sank auch ich todmüde auf mein Lager. Schon in aller Frühe begann wieder das Verbinden, wobei mir neben vier polnischen Rote-Kreuz-Schwestern der Kollege Dr. Hoffmann aus Graudenz und auch der Tierarzt Dr. Grams behilflich waren. Ungezählte, mehr oder weniger Schwerverwundete, gingen durch meine Hände, und innerlich beglückt und zufrieden konnte ich sein, so vielen, wenn auch oft nur behelfsmäßig, geholfen zu haben. Es war ja ein Glück, daß ich von dem Militärbeauftragten für die Verschlepptenhilfe einen Ausweis erhielt, der zu notwendigen Requirierungen berechtigte. Ich requirierte also in einer Apotheke Arznei und Verbandstoffe, die in Lowicz und auf der weiteren Heimreise so manchen armen Kameraden Linderung verschafften. Auch etwas Wein für die Erschöpften konnte ich erhalten. Wie viele dankbare Blicke, wie mancher warme Händedruck wurden mir zuteil! Es waren ja auch viele Kameraden gar zu erbärmlich zugerichtet!

Wie zerschlagen, zerschunden wurde mir der alte Pfarrer Mix aus dem Kreise Hohensalza in die Kommandantur eingeliefert! Wie sah unser Deutscher Konsul Wenger aus Bromberg aus! Am Sonntag nachmittag, dem 10. September, ging es auf Panjewagen und 800 requirierten Rädern über Glowno, wo übernachtet wurde, nach Lodz. Einen schmerzlichen Ausfall hatten wir an diesem Abend noch zu ertragen: Unser Dr. Kohnert wurde, nachdem er mich kurz zuvor im Vorbeigehen begrüßt hatte, von einem Militärauto angefahren und erlitt einen komplizierten Bruch des linken Unterschenkels. Eine meiner Verbandkisten wurde auseinandergeschlagen, ich fertigte provisorische Schienen an, verband die stark blutende Wunde und legte in dunkler Nacht, ohne jede Beleuchtung, im Chausseegraben nach Einrichtung des Bruches einen Schienenverband an. Noch einige Zeit dauerte es, bis Dr. Kohnert von einem Militär-Sanitätsauto abtransportiert wurde. Unsere besten Wünsche gaben wir ihm mit auf den Weg: sie sind heute bis zur endgültigen Gesundung ebenso aufrichtig und herzlich.

In Lodz waren wir in einer Kaserne untergebracht, hatten wieder strenge Parole ausgegeben, im Verband des Kreises Schwetz zu bleiben. Wir wollten im Kreisverband aushalten bis zur glücklichen Heimkehr. Wie [106] vorbildlich, wie rührend die Fürsorge unserer deutschen Volksgenossen! Wie erfrischte und beglückte das alles! Es wurde viel Kummer vergessen!

Von Lodz ging es nach zwei Tagen mit der Straßenbahn nach Pabjanice, wo wir in einer Kirche auf den Steinfliesen übernachteten, um am nächsten Tage mit Militär-Lastwagen nach Kempen in der Provinz Posen transportiert zu werden. Am nächsten Tage wurden wir mit der Bahn verladen und steuerten über Oels, Breslau langsam der Heimat zu. Nur ein Teil unserer noch leistungsfähigen jüngeren Kameraden trat die Heimfahrt auf Rädern an.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich es nicht versäumen, eines Kameraden aus dem Süden der Provinz Posen zu gedenken, der seit der Befreiung von Lowicz den militärischen Befehl erhalten hatte, für unseren Abtransport zu sorgen. Es ist dies unser Landsmann Freiherr von Romberg, der sich unser mit unermüdlicher Aufopferung annahm, hervorragend für uns sorgte und dann beim Abschied in Kempen so manchen warmen, dankbaren Händedruck von uns erhielt. Herzlichen Dank auch hier noch einmal, lieber Kamerad von Romberg!

In Bromberg erhielten wir von Bekannten die ersten Nachrichten über unsere engere Heimat, über die Schicksale unserer und anderer Familien. Wie leicht wurde manchem von uns das Herz, als er hörte, daß seine Familienangehörigen lebten, daß Haus und Hof unzerstört geblieben waren.

Bei der Weiterfahrt in Richtung Dirschau verließen wir Pruster Kameraden, Paul Dyck-Golluschütz und ich, den Zug. Wir schauten den Schwetzer Kameraden noch einmal fest in die Augen und reichten ihnen mit den besten Wünschen für jeden einzelnen und seine Angehörigen die Hand. Der Zug setzte sich in Bewegung, wir standen auf Heimatboden! –

Unser Schwur der Heimattreue war eingelöst! Körperlich, aber noch mehr seelisch zerschlagen, mit blutendem Herzen standen wir vor unseren Volksgenossen, die uns kaum erkannten. Der Höllenmarsch vom Tage der Verhaftung bis zur Heimkehr war zu Ende! Bald wird unsere Genesung so weit fortgeschritten sein, daß auch wir uns einreihen können in die Aufbauarbeit unserer Heimat, unseres geliebten, großdeutschen Vaterlandes. Wir werden, so wie wir 20 Jahre lang für unser deutsches Volkstum in der Heimat gekämpft haben, in unverminderter Hingabe und Treue weiterarbeiten für unseren geliebten Führer Adolf Hitler und sein geeintes Volk!"

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Höllenmarsch der Volksdeutschen in Polen.
Nach ärztlichen Dokumenten zusammengestellt von Dr. Hans Hartmann.