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Das Jahr 1934

Da sich eine allgemeine Abrüstung als Illusion erwiesen hatte, mußte die Verwirklichung der deutschen Gleichberechtigung auf anderem Wege, und zwar auf dem der Angleichung des deutschen Rüstungsniveaus an das der Umwelt, gesucht werden. Deutschland forderte eine Defensivarmee von 300 000 Mann mit kurzer Dienstzeit. Die Reichsregierung erbat hierzu die Stellungnahme der anderen Regierungen. Die britische antwortete nach der französischen und vor der italienischen mit einem Memorandum vom 29. Januar 1934. Sie kam im Unterschied zu der französischen Antwort den deutschen Rüstungsforderungen ein gutes Stück entgegen. Sie akzeptierte sie außer denen zur Luftrüstung; diese sollten Deutschland noch zwei Jahre vorenthalten bleiben; außerdem sollte es nach Genf zurückkehren.


 7. 
Aus der Denkschrift der britischen Regierung zur Rüstungs- und Gleichberechtigungsfrage vom 29. Januar 1934

8. Die Regierung Seiner Majestät ist der Ansicht, daß eine internationale Einigung bezüglich der Rüstungen nur erreicht werden kann, indem man hinsichtlich der drei Hauptfragen (a) Sicherheit, (b) Gleichberechtigung, (c) Abrüstung eine befriedigende Regelung trifft. Sämtliche drei Themen sind in dem Konventionsentwurf behandelt worden, und der Zweck des vorliegenden Schriftstücks besteht darin, darzulegen, wie unter den gegenwärtigen Umständen und im Lichte der Forderungen und Vorschläge, die von verschiedenen Seiten vorgebracht worden sind, der Inhalt des Konventionsentwurfs zum Zweck einer allgemeinen Verständigung in gewissen Einzelpunkten abgeändert oder erweitert werden könnte. Die Regierung Seiner Majestät hat die von den Regierungen Frankreichs, Italiens, Deutschlands und anderer Länder im Laufe des kürzlichen Meinungsaustausches vorgebrachten Auffassungen sorgfältig geprüft. Vor fast einem Jahre hat es die Regierung Seiner Majestät übernommen, dem Hauptausschuß der Abrüstungskonferenz den vollständigen Text eines Vertragsentwurfes vorzulegen. Die jetzt vorgeschlagenen leichten Abänderungen des Textes dieses Konventionsentwurfs sind diejenigen, welche auf Grund späterer Mitteilungen und Überlegungen am besten geeignet erscheinen, konkrete Ergebnisse herbeizuführen.

9. Sicherheit. Teil I des Konventionsentwurfs handelte von der [34] Sicherheit. Auf Grund einer Neufassung, die am 24. Mai 1933 einmütig gebilligt wurde, besteht er nunmehr aus vier Artikeln, von denen drei vorsehen, daß im Falle einer Verletzung oder einer drohenden Verletzung des Kellogg-Paktes eine sofortige Beratung zwischen den Signatarmächten der Konvention verlangt werden kann und stattfinden soll zu dem Zweck, den Frieden zu wahren, gute Dienste für die Wiederherstellung des Friedens zur Anwendung zu bringen und für den Fall, daß es sich als unmöglich herausstellen sollte, den Frieden auf diese Weise wiederherzustellen, die Streitpartei oder die Parteien zu bestimmen, die die Verantwortung trifft. In der jetzigen Fassung werden diese Bestimmungen also lediglich durch eine Verletzung oder eine drohende Verletzung des Kellogg-Paktes zur Anwendung gebracht. Die Regierung Seiner Majestät hält diese Bestimmungen für äußerst wichtig. Die Verbindung zwischen dem Sicherheitsgefühl und dem Frieden der Welt ist jedoch so vital, daß die Regierung Seiner Majestät zu diesen Artikeln noch weitere hinzufügen möchte. Ihrer Ansicht nach ist es wichtig, den Grundsatz der Beratung im Falle der Verletzung oder drohenden Verletzung des Kellogg-Paktes auf den Fall der Verletzung oder drohenden Verletzung der Abrüstungskonvention selbst auszudehnen...

Ein weiterer Beitrag zur Sache des Friedens und der Sicherheit durch Minderung jeglicher Spannung oder Unruhe, welche zwischen Deutschland und den es umgebenden Staaten besteht, wird durch die Bereitwilligkeit des deutschen Reichskanzlers zum Abschluß von Nichtangriffspakten mit allen Nachbarn Deutschlands geliefert. Derartige Pakte dürften keinesfalls die bestehenden Verpflichtungen zur Aufrechterhaltung des Friedens auf Grund von Verträgen wie der Völkerbundssatzung, dem Kellogg-Pakt und den Locarno-Verträgen schwächen, sondern müssen im Gegenteil diese Verpflichtungen ausdrücklich wieder bestätigen; die Regierung Seiner Majestät kann keinen Zweifel darüber hegen, daß, wenn solche Pakte ausdrücklich in Verbindung mit der Konvention eingegangen würden (für welche die Regierung Seiner Majestät aus den weiter unten aufgeführten Gründen ebenso wie für die Pakte zunächst einen Zeitraum von zehn Jahren für angebracht hält), dürfte ihr praktischer Wert für die Schaffung eines Sicherheitsgefühls nicht bestritten werden.

Die Regierung Seiner Majestät ist der Ansicht, daß die hier bei dem Punkt "Sicherheit" zusammengestellten Anregungen insgesamt ein Ganzes ausmachen, das allgemeine Annahme verdient. Sie glaubt erwarten zu dürfen, daß diese Regeln und Verpflichtungen, wenn sie feierlich übernommen wären, nicht leichthin verletzt werden würden und daß jeder Verletzung am zweckmäßigsten und wirksamsten begegnet würde, wenn die Regierungen und Staaten zusammenberufen würden, um Frieden und Einigkeit zwischen den Völkern gegenüber dem Friedensstörer und Vertragsverletzer zu wahren.

10. Gleichberechtigung. Die Fünf-Mächte-Erklärung vom 11. Dezember 1932 hat im Zusammenhang mit der Abrüstungsfrage den Grundsatz der "Gleichberechtigung in einem System der Sicherheit [35] für alle Nationen" aufgestellt und erklärt, daß dieser Grundsatz in einem Abrüstungsabkommen Verwirklichung finden soll, das eine wesentliche Herabsetzung und Begrenzung der Rüstungen herbeiführt. Von dieser Erklärung ist die Regierung Seiner Majestät niemals zurückgetreten, und sie bestätigt jetzt aufs neue, daß sie an ihr uneingeschränkt festhält. Im vorigen Abschnitt dieses Memorandums ist versucht worden, die wesentlichen Faktoren der Sicherheit zu bestimmen, ohne die die notwendigen Bedingungen für ein angemessenes Abrüstungsabkommen nicht erfüllt sein würden. Aber die Regierung Seiner Majestät zögert nicht zu erklären, daß der Grundsatz der Gleichberechtigung in der Rüstungsfrage nicht weniger wesentlich ist als der Grundsatz der Sicherheit - beide müssen praktisch zur Anwendung gelangen, wenn eine internationale Verständigung über die Rüstungen erreicht werden soll. Die nachstehenden Vorschläge sind ebenso wie der Konventionsentwurf selbst in diesem Geiste gehalten und stellen eine praktische Erfüllung dieses Grundsatzes dar.

11. Abrüstung. Die Regierung Seiner Majestät entnimmt mit Freude aus den Erklärungen des Herrn Hitler, daß Deutschland darauf verzichtet, den Besitz von "Angriffswaffen" zu beanspruchen, und sich auf eine normale "Verteidigungsbewaffnung" beschränkt, wie sie für die Armee benötigt wird, die in dem Abkommen für Deutschland vorgesehen würde. Überdies macht der deutsche Kanzler diesen Vorschlag in der Annahme, daß die schwergerüsteten Staaten nicht bereit sind, auf Grund des Abkommens irgendeinen Teil ihrer jetzt bestehenden Waffen aufzugeben. Wie bereits in Ziffer 7 dieses Memorandums gesagt, ist die Regierung Seiner Majestät keineswegs bereit, sich diese letzte Annahme zu eigen zu machen; sie muß darauf bestehen, daß nur eine Vereinbarung, die sowohl eine Herabsetzung wie eine Beschränkung der Rüstungen enthält, den Namen einer Abrüstungskonvention verdient. Außerdem besteht noch ein weiterer Grund, weshalb die Regierung Seiner Majestät die Tatsache besonders hervorhebt, daß die Erklärung des deutschen Kanzlers, auf Angriffswaffen zu verzichten und nur das zu beanspruchen, was zur normalen Verteidigung notwendig ist, sich auf die Annahme gründet, daß die hochgerüsteten Mächte nicht bereit sind, ihre eigenen Rüstungen irgendwie zu vermindern. Wenn nämlich diese Annahme sich als unzutreffend erweist, so wird der Umfang dessen, was Deutschland benötigt, sich notwendigerweise verringern. Ein positiver Beitrag der hochgerüsteten Mächte zur Abrüstung wird also dazu helfen, das Niveau allgemein herabzusetzen, und müßte also nach dem Ermessen der Regierung Seiner Majestät die Forderungen verringern, die Deutschland andernfalls vielleicht zu stellen geneigt wäre.

12. Die nachstehenden Abänderungsvorschläge zu dem Abkommensentwurf gehen von der Annahme aus, daß die Vereinbarung auf zehn Jahre abgeschlossen wird. Sie sind verfaßt worden, nachdem Anregungen und kritische Äußerungen von allen anderen Seiten aufs vollständigste und sorgfältigste geprüft worden waren, und stellen nach Ansicht der Regierung Seiner Majestät eine Lösung dar, auf [36] die man sich unter den obwaltenden Umständen gut einigen könnte...

20. ... Die ernsten Folgen, die ein Mißerfolg der Abrüstungskonferenz nach sich ziehen würde, stehen jedermann klar vor Augen und bedürfen keiner weiteren Hervorhebung. Die Politik der Regierung Seiner Majestät auf internationalem Gebiet ist vor allem anderen darauf gerichtet, mit allen Kräften dahin zu wirken, daß durch eine allgemeine Verständigung diese Folgen vermieden werden. Wenn die Verständigung erreicht und die Rückkehr Deutschlands nach Genf und in den Völkerbund erzielt wird (und dies sollte eine wesentliche Bedingung der Einigung sein), so würde die Unterzeichnung des Abkommens eine neue Perspektive internationaler Zusammenarbeit eröffnen und einen neuen Grund für die internationale Ordnung legen.

(E: Cmd 4512. - D: Schwendemann: Abrüstung und Sicherheit. Bd. II, S. 543ff.)

Frankreich lehnte die deutschen Rüstungsforderungen ab. Italien vertrat den deutschen Standpunkt. - Verhandlungen der vier europäischen Mächte kamen wieder in Gang. In der zweiten Februarhälfte 1934 besuchte der englische Lordsiegelbewahrer und Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt, Eden, Paris, Berlin, Rom, um Erkundungen über die Beurteilung des englischen Memorandums durch die drei anderen Mächte einzuholen. In Berlin wurde Eden vom Führer empfangen, und es fanden mit allen maßgebenden Persönlichkeiten Besprechungen statt. Sie nahmen einen befriedigenden Verlauf und gaben Klarheit über die friedlichen Absichten und die Verständigungsbereitschaft der Reichsregierung. In einem in Prag aufgefundenen Bericht vom 15. März äußerte sich der Gesandte der Tschechoslowakischen Republik, Jan Masaryk, über Edens Rechenschaftsbericht und ein Gespräch, das er mit dem Lordsiegelbewahrer nach seiner Reise gehabt hatte.


 8. 
Aus dem Bericht des tschechoslowakischen Gesandten in London vom 15. März 1934

Die Rede wurde in der Presse im ganzen günstig aufgenommen, an einigen Stellen wird auf ihre zu große Vorsichtigkeit verwiesen. Tatsache ist, daß Eden den Ereignissen nicht vorgreifen wollte, in Erwartung einer endgültigen Antwort aus Paris. Die Antwort Winston Churchills machte im Parlament keinen kräftigen Eindruck; es ist nämlich allgemein bekannt, daß Winston eine Phase der alarmierenden Psychologie durchmacht und ständig auf die nahe Möglichkeit eines Krieges und die Notwendigkeit der Rüstungen verweist.

Ich habe heute mit Eden gefrühstückt, der in seinen Äußerungen ebenso vorsichtig wie im Parlament war. Eine Verzeichnung verdient, daß mir Eden sagte, er habe mit Hitler eine fünfstündige Unterredung gehabt, und daß Hitler auf ihn einen sehr guten Eindruck gemacht hat. Er hält Hitler für einen ehrlichen Fanatiker, der den Krieg nicht will. Mein persönlicher Eindruck ist, daß Eden die Beförderung zum [37] Lordsiegelbewahrer und die gleich darauf folgende Reise durch Europa ein wenig in den Kopf gestiegen. Eden ist verhältnismäßig sehr jung, und das Leben hat ihn recht verwöhnt. Ich habe schon von mehreren Eden freundlich gesinnten Seiten Befürchtungen gehört, daß das übergroße Selbstbewußtsein seiner Karriere schaden könnte, die so außergewöhnlich versprechend begonnen hat.

(Aus den Akten des tschechoslowakischen Außenministeriums.)

Am 13. März 1934 hat die Reichsregierung die Situation noch einmal zusammenfassend gekennzeichnet. Selbst in England entstand der Eindruck: Deutschland ist verständigungsbereit, Frankreich lehnt ab. Ein Rüstungsstand wie der im Versailler Vertrag festgelegte kam für Deutschland auf keinen Fall mehr in Betracht. Davon gingen alle neueren Vorschläge aus, auch die französischen. Deutschland forderte jetzt für sich nur das Minimum dessen, was es zu seiner Sicherheit und Verteidigungsmöglichkeit brauchte. Es verzichtete von vornherein auf alle Angriffswaffen und wollte jede noch so weitgehende Rüstungsbeschränkung annehmen, wenn dies auch die anderen Mächte taten. Das Einverständnis der deutschen, englischen und italienischen Regierung stand fest. Frankreich schloß sich nicht an. Es wollte weder selbst abrüsten noch Deutschland Gleichberechtigung bewilligen. Stur hielt es am Versailler Vertrag und am Völkerbund als dessen Hüter fest. Deutschland sollte in diesen Völkerbund und in dessen Abrüstungskonferenz zurückkehren. England bemühte sich um die Fortsetzung der Verhandlungen und war sogar bereit, eine Durchführungsgarantie zu übernehmen, die es aber nicht im Sinne einer Garantie des Status quo und einer Verstärkung der Verpflichtungen aus Artikel 16 der VB.-Satzung verstanden wissen wollte. Es suchte Frankreich zunächst auf das englische Memorandum vom 29. Januar festzulegen, abgeändert entsprechend den von Adolf Hitler Eden gemachten Vorschlägen. Der deutsche Standpunkt ist am 16. April in den "Erläuterungen" nochmals konkretisiert worden.


 9. 
Erläuterungen der Reichsregierung vom 16. April 1934
zur Frage der Verwirklichung der Gleichberechtigung

Die Deutsche Regierung ist bereit, das Memorandum des Vereinigten Königreichs vom 29. Januar 1934 als Grundlage für eine Konvention anzunehmen, jedoch unter dem Vorbehalt gewisser wichtiger Änderungen. Die Deutsche Regierung hält es für unmöglich, zwei Jahre lang auf angemessene Mittel zur Verteidigung in der Luft zu warten. Sie wünscht, vom Beginn der Konvention an eine Verteidigungsluftflotte von Flugzeugen mit kurzer Reichweite, zu der keine Bombenflugzeuge gehören würden, zu besitzen. Die zahlenmäßige Stärke dieser Luftflotte würde 30 Prozent der zusammengerechneten Militärluftstreitkräfte der Nachbarn Deutschlands oder 50 Prozent der Militärluftflotte Frankreichs (d. h. derjenigen, die es in Frankreich selbst und in seinen nordafrikanischen Gebieten besitzt) - je nach- [38] dem, welche Zahl die geringere ist, nicht überschreiten. Diese Forderung erhebt die Deutsche Regierung ohne Präjudiz für das Ergebnis der in dem Memorandum des Vereinigten Königreichs vorgeschlagenen Untersuchung über die Luftfrage, die, wie vorgeschlagen, stattfinden würde, und die wenigstens die Bombenflugzeuge abschaffen sollte. Deutschland verlangt während der ersten fünf Jahre einer zehn Jahre laufenden Konvention keine hierüber hinausgehende Zahl von Militärflugzeugen; aber nach diesen fünf Jahren verlangt es, daß die nötigen Herabsetzungen und Erhöhungen vorgenommen werden, so daß es am Ende der zehn Jahre dauernden Konvention volle zahlenmäßige Gleichheit mit den Hauptluftmächten erhalten würde. Die Deutsche Regierung wäre bereit, auf der Grundlage der Gegenseitigkeit der Festlegung der von dem Reichskanzler am 21. Februar Herrn Eden angegebenen weiteren Vorschriften zwecks Sicherstellung des nicht-militärischen Charakters der SA. und der SS. zuzustimmen, wobei dieser Charakter durch ein System der Kontrolle überwacht werden würde. Diese Vorschriften würden besagen, daß die SA. und SS. 1. keine Waffen besitzen, 2. keine Ausbildung mit Waffen erhalten, 3. nicht in militärischen Lagern zusammengezogen oder ausgebildet werden, 4. weder direkt noch indirekt durch Offiziere der regulären Armee ausgebildet werden, 5. keine Felddienstübungen vornehmen oder daran teilnehmen dürfen. Die Deutsche Regierung ist ferner bereit, zuzustimmen, daß die Rüstungsherabsetzungen der anderen Mächte bis zum Ende des fünften Jahres der Konvention hinausgeschoben werden, so daß die in dem Memorandum des Vereinigten Königreichs vorgesehenen Abrüstungsmaßnahmen erst während der zweiten fünf Jahre der Konvention durchgeführt würden. Alle anderen in dem Memorandum des Vereinigten Königreichs gemachten Vorschläge, soweit sie von diesen Änderungen nicht berührt sind, wie z. B. bezüglich der Kontrolle, werden von der Deutschen Regierung angenommen. Die Deutsche Regierung erkennt auch weiterhin die Locarnoverträge an. Sie steht auf dem Standpunkt, daß die Rückkehr Deutschlands in den Völkerbund erst nach Lösung der Frage der Abrüstung und vor allem ihrer Gleichberechtigung erörtert werden kann.

(Schwendemann: Abrüstung und Sicherheit. Bd. II, S. 606f.)

Zwischen Deutschland und Italien sowie in gewisser Hinsicht auch mit England war über die Rüstungsfrage Einmütigkeit erzielt. Frankreich aber brach durch seine Antwortnote an England vom 17. April 1934 alle Verhandlungen über Rüstungsbegrenzungen brüsk ab. Es griff Deutschland mit schweren Beschuldigungen an, von denen es sicher sein konnte, daß sie in England mit Zustimmung aufgenommen werden würden: Die kurz vorher erfolgte Veröffentlichung des deutschen Wehretats beweise, daß Deutschland ohne Rücksicht auf die noch schwebenden Verhandlungen in großem Stile aufrüste. Das könne Frankreich nicht zulassen. Adolf Hitler war, wie Reichsaußenminister von Neurath am 27. April vor Pressevertretern noch einmal ausdrücklich unterstrich, zu weitgehendem Entgegenkommen, zur Verständigung und zum baldigen Abschluß einer [39] Konvention bereit gewesen. Er konnte aber die Sicherheit und das Schicksal seines Landes nicht vom Gutdünken und Ermessen anderer Länder abhängig machen. Nach jenem "Nein" hatte er die Handlungsfreiheit zurückgewonnen.

In diesen Tagen schwerwiegender Entscheidungen hatte der deutsche Botschafter in London eine interessante Unterredung mit König Georg V., über die er am 25. April telegraphisch berichtete.


 10. 
Telegramm des deutschen Botschafters in London, von Hoesch, an das Auswärtige Amt vom 25. April 1934

Ich war gestern und... (fehlt ein Wort) bei König und Königin in Windsor zum Wohnbesuch eingeladen. Neben Hofstaat und mir waren nur noch der soeben von einer Weltreise zurückgekehrte Prinz Georg und der neuernannte britische Botschafter für Brüssel, Sir Esmond Ovey, nebst Gemahlin anwesend.

Nach gestrigem Abendessen zog König Georg mich in ein langes politisches Gespräch. König, der sich über schwebende Probleme gut unterrichtet zeigte, gab zunächst eine kurze Schilderung der deutsch-englischen Beziehungen in der Nachkriegszeit. Er ausführte, wie sich englische Stimmung gegenüber Deutschland nach Kriegsende schnell verbessert und schließlich einen beträchtlichen Grad freundschaftlichen Verständnisses erreicht habe, bis dann nach der Umwälzung in Deutschland mit überraschender Schnelligkeit ein Umschwung eingetreten sei. Diesen Umschwung zurückführte Monarch in erster Linie auf Behandlung Judenproblems und auf von ihm selbst als übertrieben bezeichnete Nachrichten über Konzentrationslager. Ich gab zu beiden Punkten die entsprechende Aufklärung und gewann dabei Eindruck, daß König Judenfrage nicht mehr ganz so schroff beurteilt, wie dies z. B. in seiner Unterhaltung mit Herrn v. Neurath im Juni v. J. zum Ausdruck gekommen war, und daß er auch dem deutschen Vorgehen gegen Kommunismus gewisses Verständnis entgegenbringt.

Monarch zuwandte sich dann Abrüstungsproblem und ausdrückte lebhaftes Bedauern, daß die in Wehrhaushalt erkennbar gewordene vorzeitige deutsche Aufrüstung Lösung Abrüstungsfrage so überaus erschwert habe, indem er meinte, Einigung hätte erzielt werden können, wenn Deutschland Aufrüstung bis nach Abschluß Konvention hinausgeschoben hätte. Dabei betonte er, daß er Deutschland keineswegs andere Absichten als die Schaffung einer Defensivrüstung unterschieben wolle und auch durchaus anerkenne, daß Deutschland sich noch bis vor kurzem an Vertragsbestimmungen gehalten habe. Im Anschluß daran fragte er mehrfach, ob denn Deutschland seine Defensivaufrüstung aus reinen Prestigegründen oder zum Zweck der Verteidigung gegen mögliche Angriffe wünsche, indem er betonte, daß ihm der letztere Beweggrund unbegreiflich erscheinen würde, da ja Deutschland von niemand bedroht werde. Ich ausführte dem- [40] gegenüber, daß großes Land im Herzen Europas nicht ewig ungerüstet bleiben könne, wenn die übrigen Staaten ihre Abrüstungsverpflichtungen nicht erfüllen, und daß die weitere Aufrechterhaltung einer Rechtsungleichheit fünfzehn Jahre nach Kriegsende ein Unding sei. Ferner verwies ich auf die unerträgliche Situation des ungerüsteten Deutschlands mit seiner tragischen Grenzziehung im Osten inmitten der höchstgerüsteten Staaten Europas. König Georg stand nicht an, das Diktat von Versailles abfällig zu kritisieren, wobei er den Krieg an sich als einen menschlichen Irrwahn verantwortlich für solche bedauernswerte Folgen machte.

Anschließend hieran sprach Monarch über Gefahren der künftigen Entwicklung. Er ausführte, Deutschland habe ja mehrfach Versicherungen abgegeben, daß es kein Wettrüsten zur See mit England beabsichtige. Auch deckten sich ja deutsche und englische Bestrebungen in bezug auf völlige Abschaffung der U-Boot-Waffe. Trotzdem verbleibe für England mit seiner überaus verwundbaren Hauptstadt die Sorge auf dem Luftgebiet. Vor allem aber in Frankreich errege deutsches Streben nach Defensivaufrüstung eine wahre Panik, und diese französische Furcht vor der deutschen Gefahr sei das eigentliche Hindernis für den Abschluß einer Abrüstungskonvention. Komme es zu keiner Konvention, so werde man unfehlbar in eine Periode des erneuten Wettrüstens hineingeraten und damit zu Zuständen gelangen, die denen der Vorkriegszeit ähnelten und die mithin die Gefahr eines Krieges in sich tragen würden. Er selbst sei von Wahnsinnigkeit eines Krieges in seinem tiefsten Innern überzeugt und habe sich zur Richtlinie gemacht, daß, solange er lebe, England in keinen Krieg mehr verwickelt werden sollte. Dementsprechend werde er alles tun, um kriegerische Möglichkeiten auszuschließen in der festen Überzeugung, daß ein neuer Krieg den Untergang für alle bedeuten würde. Je länger man aber mit einer Lösung zögere, desto gefährlicher werde Lage werden, da die heranwachsende jüngere Generation die Schrecken des Krieges nicht kenne und seine Nutzlosigkeit wohl nicht so verstehe, wie die Generation der Kriegsteilnehmer. Es laste daher auf den Staatsmännern die verantwortungsschwere Pflicht, die Völker, die selbst sicherlich nicht den Krieg wünschten, auf die Bahn einer wechselseitigen Verständigung zu führen.

Ich entgegnete, Begründung französischer Haltung mit Furcht genüge nicht; es käme dazu, wie zum Beispiel das jüngste Buch Tardieus zeige, der Wunsch Frankreichs, seine Position als Sieger zu wahren und seine Abneigung, mit Deutschland auf gleichem Fuße zu paktieren. Deutsche Regierung und insbesondere Reichskanzler persönlich hätten alles Denkbare getan, um Verständigung mit Frankreich herbeizuführen, wie wiederholter Verzicht auf Elsaß-Lothringen und Vereinbarung mit Polen erwiesen. In Abrüstungsfrage seien wir mit Italien völlig und mit England nahezu einig, und nur der obstinate Widerstand Frankreichs verhindere immer wieder das Zustandekommen einer Konvention. Auch jetzt bleibe Deutschlands Wunsch nach Verständigung mit Frankreich nach wie vor bestehen, und es [41] sei reine Verbohrtheit, wenn Frankreich in die immer wieder ausgestreckte Hand nicht einschlage. Ich anschloß hieran Hinweis auf die verschiedenen Kundgebungen Reichskanzlers, in denen Friedenswille so überzeugend zum Ausdruck gekommen sei, und betonte, daß deutsche Politik allein darauf hinausgehe, in Frieden und Gleichberechtigung das neue Deutschland aufzubauen.

König ableugnete nicht Hartnäckigkeit französischer Regierung, verwies aber dabei auf überaus unbequeme Einstellung französischer öffentlicher Meinung, die von Hetzern wie Pertinax irregeleitet werde. Er sprach auch von der schwierigen innerfranzösischen Situation und schien Lage in Frankreich als recht unsicher und sorgenvoll anzusehen. Zu meinem Erstaunen bezeichnete er General Weygand als ein Element der Vernunft und bemerkte, Weygand habe sich neuerdings in Richtung auf Verständigung orientiert. Er kenne Weygand gut und erwarte im Sommer seinen Besuch in England. Friedenspolitik des Reichskanzlers anerkannte König unumwunden und sprach mit Achtung von deutschem Regierungsoberhaupt, wobei er allerdings beanstandete, daß andere deutsche Stellen gelegentlich in Reden Absichten und Auffassungen kundgäben, die mit Friedenspolitik Kanzlers nicht in Einklang zu bringen seien.

König abschloß Unterredung mit einem erneuten Appell an Deutschland zu verständnisvoller Mitarbeit zum Abschluß einer Abrüstungskonvention, die unter allen Umständen zustandegebracht werden müsse. Ich gewann in Unterredung Eindruck, daß König Deutschland gegenüber verständnisvoll und rechtlich eingestellt ist, daß aber die Sorgen um die aus dem Abrüstungsproblem sich möglicherweise ergebenden Zukunftsgefahren bei ihm augenblicklich alles andere überschatten.

Hoesch
(Aus den Akten des Auswärtigen Amtes.)

Mitten zwischen den Abrüstungsverhandlungen ereignete sich ein charakteristisches Zwischenspiel: Die britische Regierung erhob Einspruch gegen das von Deutschland aus zwingenden wirtschaftlichen Gründen erklärte Transfer-Moratorium hinsichtlich des Dienstes der Dawes- und Young-Anleihe: England bestand auf den in Versailles erpreßten, später sicherheitshalber "kommerzialisierten" Tributen.


 11. 
Note der britischen Regierung vom 26. April 1934

Der Botschafter Seiner Majestät empfiehlt sich dem Reichsminister des Auswärtigen und gibt sich die Ehre, im Auftrag des Staatssekretärs des Auswärtigen Seiner Majestät festzustellen, daß die Regierung Seiner Majestät schwere Bedenken gegen jeden Vorschlag der Anwendung eines Transfer-Moratoriums auf die Dawes- oder Young-Anleihe erheben würde. Diese Anleihen wurden im Einverständnis der beteiligten Regierungen aufgelegt und werden gegenwärtig gemäß den auf der Londoner Konferenz von 1924 und den [42] Konferenzen im Haag und in Paris 1930 getroffenen Vereinbarungen verwaltet. Die Regierung Seiner Majestät vertritt mit Nachdruck die Auffassung, daß in der gegenwärtigen Behandlung dieser Anleihen keinerlei Änderung eintreten sollte. Sir Eric Phipps ist beauftragt, hinzuzufügen, daß - sollte ein Moratorium auf die Reichsanleihen Anwendung finden - hierdurch offensichtlich der Wiederherstellung des deutschen Kredits auf weite Sicht größte Schwierigkeiten bereitet würde. Die Regierung Seiner Majestät hegt die ernsthafte Hoffnung, daß kein derartiger Vorschlag der deutschen verantwortlichen Stellen auf der kommenden Konferenz vorgelegt oder angenommen werden wird.

(Aus den Akten des Auswärtigen Amtes.)

Auch nach der französischen Note vom 17. April 1934 tat man in England so, als gehe das Ringen um die Abrüstung weiter. Englische Kirchenführer riefen zur Abrüstung auf. Sie sahen darin "die moralische Verpflichtung gegenüber Deutschland". Nach wie vor sollte die Abrüstung Grundlage einer allgemeinen Verständigung sein. Die eigentliche Aktion aber lag an ganz anderer Stelle. Immer lauter wurden nämlich neben diesen Stimmen andere, die nach einer eigenen Aufrüstung, insbesondere nach einer ausreichenden Luftrüstung verlangten. Die britischen Luftstreitkräfte seien völlig ungenügend für den Heimatschutz, hieß es in der Unterhaussitzung vom 8. März. Derselbe Baldwin, der am 23. April zugab, daß Deutschlands Wunsch nach Verstärkung seiner Luftflotte berechtigt sei, forderte, daß England sich stärker machen müsse. Denn wenn es Sanktionen im Rahmen des Völkerbundes durchführen wolle, müsse es für den Krieg bereit sein. Sanktionen sind Krieg. Am 19. Juli hat Baldwin als Lordpräsident des Rates das Programm der englischen Luftrüstung bekanntgegeben. Am 30. Juli fand darüber die Aussprache im Unterhaus statt. Dabei sprach Baldwin das Wort, Großbritanniens Grenze liege am Rhein.


 12. 
Aus der Unterhausrede des Lordpräsidenten des Rates,
Stanley Baldwin, vom 30. Juli 1934

Wir sind hierzulande allzu sehr geneigt anzunehmen, daß alle Völker von den gleichen Idealen beseelt sind wie wir. Das trifft gegenwärtig nicht zu. Es sind in der Welt Anzeichen für eine Art der Machtausübung vorhanden, die einen Geist atmet, der im Falle seines Erstarkens das Ende alles dessen bedeuten würde, was wir in unserem Lande hochhalten und was in unserem Sinne das Leben lebenswert macht.

Lassen Sie uns niemals folgendes übersehen: Seit die Luft eine Rolle spielt, gibt es die alten Grenzen nicht mehr. Wenn Sie an die Verteidigung Englands denken, dann denken Sie nicht mehr länger an die Kalkfelsen von Dover, Sie denken an den Rhein. Dort liegt unsere Grenze.

(E: Parliamentary Debates. House of Commons. Bd. 292, Sp. 2339. - D: Freund, Weltgeschichte der Gegenwart in Dokumenten, Bd. I, S. 362f.)

[43] Englands Rückkehr in den Machtkampf der Welt, die mit der noch lange umkämpften Aufrüstung einsetzte, hatte von Anbeginn eine deutschfeindliche Spitze. Die Propaganda stellte die deutsche Rüstung, die deutsche Luftflotte als den Gegner hin, der England zu solchen Lasten nötigte. Seit Mitte des Jahres 1934 trat in England ein Umschlag zu offener Feindschaft gegen Deutschland und eine offene Abkehr von der Abrüstungspolitik ein. England ließ hinfort der französischen Politik in dieser Frage freien Lauf. Der Locarno-Pakt war daher schon im Juli 1934 entwertet und gegenstandslos gemacht. Durch Englands Vermittlung und mit seiner Empfehlung wurde am 12. Juli in Berlin der französische Vorschlag des Ostpaktes überreicht, der nach den Absichten seiner Urheber ein verkapptes französisch-russisches Bündnis gegen Deutschland enthielt. Die Aufrüstungspropaganda wurde lebhafter.

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Deutschland-England 1933-1939
Die Dokumente des deutschen Friedenswillens
Hg. von Prof. Dr. Friedrich Berber