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Das Jahr 1935

Trotz der im Laufe des Jahres 1934 eingetretenen Wendung zu einer noch betonter deutschfeindlichen Stimmung hatte sich in England aus einflußreichen Persönlichkeiten ein kleiner Kreis, der die Herbeiführung besserer deutsch-englischer Beziehungen anstrebte, gebildet. Der bekannteste Vertreter dieser Gruppe, der inzwischen verstorbene, gewissen Labour-Kreisen nahestehende Lord Allen of Hurtwood, weilte im Januar 1935 zu Besuch in Deutschland und wurde am 25. Januar vom Führer empfangen. Außerdem wurden Frontkämpferbesuche ins Auge gefaßt. Am 11. Juni beglückwünschte der Prince of Wales die British Legion, den englischen Frontkämpferverband, zu ihrem Entschluß, eine Delegation nach Deutschland zu entsenden.


 13. 
Aufzeichnung über die Unterredung zwischen dem Führer und Lord Allen of Hurtwood am 25. Januar 1935

Lord Allen eröffnete das Gespräch, indem er sich für den ihm gewährten Empfang wärmstens bedankte. Er wies darauf hin, daß er keinen offiziellen Besuch in Berlin abstatte und auch nicht im amtlichen Auftrag der englischen Regierung handele. Er habe aber den Auftrag vom englischen Ministerpräsidenten MacDonald erhalten, eine Botschaft des guten Willens zu überbringen. Zwar bestünden in der englischen öffentlichen Meinung noch Zweifel über manche Ereignisse in Deutschland. Es sei aber ein starker Wechsel der Meinungen zugunsten Deutschlands festzustellen. Das Bedauern über die in den letzten zwanzig Jahren begangenen politischen Fehler nehme zu und damit der Wunsch, sich über die noch bestehenden Mißverständnisse zu einigen. Die europäische politische Lage errege insofern große Besorgnis in England, als man mit dem offensichtlichen Bestreben anderer Mächte, eine neuerliche Einkreisung Deutschlands vorzunehmen, nicht einverstanden sei. Um diese Entwicklung aufzuhalten, sei eine Verständigung zwischen England und Deutschland, die später in einer allgemeinen Rüstungsvereinbarung ihren Niederschlag fände, von besonderer Wichtigkeit.

Der Führer und Reichskanzler dankte Lord Allen für seinen Besuch; angesichts des Umstandes, daß aus der englischen Presse ein Bild über die wahren Verhältnisse in Deutschland nicht zu gewinnen [48] sei, bezeichnete er als besonders erfreulich, wenn bedeutende Engländer sich selber von der ruhigen Lage in Deutschland überzeugen. Diese innere Ruhe sei eine Voraussetzung für Deutschlands Wiederaufbau. Deutschland brauche für vierzig bis fünfzig Jahre ungetrübten Frieden; denn der Krieg reiße mehr ein, als was zehn Jahre Frieden aufbauen. Die jetzige Generation habe nicht die Aufgabe, einen neuen Krieg vorzubereiten, sondern die Folgen des Weltkrieges zu liquidieren.

Das deutsche Regime sei auch, ohne sich um äußere politische Erfolge bemühen zu müssen, von großer innerer Stärke. Wenn Deutschland an der Erhaltung des Friedens ebenso interessiert sei wie die anderen Mächte, so sei klar, daß zur Erreichung dieses Zieles Deutschland Anspruch auf vollkommene Gleichberechtigung und Sicherheit seiner Grenzen habe. Zur Förderung des Friedensgedankens in der Welt habe er im Laufe des letzten Jahres zwei wichtige Erklärungen abgegeben: Durch die Vereinbarung mit Polen sei eine allgemeine Beruhigung in Europa eingetreten. Das gleiche müsse man erwarten, nachdem er der französischen Regierung nach der Saarabstimmung wiederholt zu verstehen gegeben habe, daß Deutschland keine territorialen Forderungen irgendwelcher Art mehr an Frankreich zu richten habe. Damit seien alle Voraussetzungen geschaffen, die die Gewähr für eine friedliche Entwicklung in sich schlössen. Die eben erwähnten Erklärungen seien in voller Öffentlichkeit abgegeben worden. Deutschland habe damit selbst vor aller Welt die Gründe zerstört, die in einem Teil der öffentlichen Meinung der Welt als Grundlage der deutschen Revanchelust betrachtet worden seien. Dieser deutsche Beitrag zur europäischen Befriedung sei im Verhältnis zu dem, was andere Nationen nach anderen Kriegen geleistet hätten, größer und bedeutungsvoller.

Deutschland hat niemals die im Vertrag von Versailles zum Ausdruck kommende Auffassung einer eigentümlichen politischen Moral angenommen. Zwar hat sich Deutschland mit dem durch den Vertrag geschaffenen tatsächlichen Zustand abfinden müssen. Es lehnt aber nach wie vor die Bestimmungen des Vertrages ab, die durch die Diskriminierung und ungleiche Behandlung Deutschlands bis jetzt nur eine Quelle der Beunruhigung gewesen sind. Das deutsche Volk habe Jahr für Jahr auf eine Einkehr zu einer besseren Einsicht gewartet. Statt dessen seien bei fast allen unseren Nachbarn größere Rüstungen festzustellen. Besonders zwei Ereignisse erfüllten uns mit Sorge. Zunächst die Tatsache, daß unsere Vorschläge auf dem Gebiet der Abrüstung abgelehnt worden seien, und dann die Tatsache, daß die labilen politischen Verhältnisse in Frankreich einen häufigen Wechsel von Regierungen zur Folge hätten, die ihre innere Schwäche durch außenpolitische Erfolge auszugleichen suchten. Der Völkerbund habe Deutschland das Gefühl der Sicherheit nicht gegeben. Deutschland könne aber nicht darauf warten. Dies solle nicht bedeuten, daß Deutschland jede Zusammenarbeit mit anderen Nationen ablehne. Dagegen sehe Deutschland in dem heutigen System, Kollektivpakte zu schließen, über deren Tragweite sich einzelne Teilnehmer gar nicht im klaren sein könnten, eine große Gefahr für den Frieden Europas.

[49] Der Führer und Reichskanzler erläuterte diesen Gedanken an dem Beispiel des Ausbruchs der Feindseligkeiten zwischen Rußland und Polen.

Deutschland sei jederzeit bereit, eine Rüstungsvereinbarung mit England abzuschließen. Auf maritimem Gebiet habe Deutschland keinerlei Ehrgeiz, mit England in Wettbewerb zu treten. Es sei daher bereit, sich in einer derartigen Vereinbarung auf etwa 35 Prozent der englischen Flottenrüstung zu beschränken. Selbstverständlich verlange Deutschland die Gleichberechtigung in der Luft, sei aber jederzeit zu einem Abkommen mit England über die Parität der Luftrüstung im Verhältnis zur stärksten kontinentalen Luftmacht bereit. Die deutsche Rüstung zu Lande würde für England niemals eine Bedrohung sein.

Das bisherige Verfahren, um zu einer Rüstungsvereinbarung zu gelangen, sei völlig hoffnungs- und aussichtslos. Es handele sich jetzt darum, einen Kristallisationspunkt zu finden, von dem eine neue Initiative ausgehen könne. Diese sähe er in einer Rüstungsvereinbarung, die zunächst zwischen England und Deutschland geschlossen würde.

Lord Allen bemerkte zu diesen Äußerungen, die der Führer und Reichskanzler selbst nicht als Vorschläge, sondern als politische Gedanken bezeichnete, daß England zweifellos nicht davon abgehen könne, sich mit den anderen Nationen zu beraten, bevor es eine derartige Rüstungsvereinbarung mit Deutschland abschließe.

Der Führer und Reichskanzler erwiderte, daß eine solche Konsultation wenig Erfolg haben würde, da die anderen Nationen eben nicht bereit seien, von ihrem Rüstungsstand abzugehen.

Auf die Frage Lord Allens, ob die deutsch-englische Rüstungsvereinbarung etwa auch die Verpflichtung zu gegenseitiger Hilfeleistung einschließen könnte, erwiderte der Führer und Reichskanzler, daß dies keinesfalls in Frage käme. Die Vereinbarung solle lediglich die Begrenzung der Bewaffnung zum Ziele haben. Ihr Zweck sei, einen allgemeinen Wettlauf in der europäischen Aufrüstung zu verhindern. Die Folge eines solchen Abkommens würde voraussichtlich zunächst sein, daß Italien sich der Vereinbarung anschließe. In dieser Lage würde auch Frankreich schließlich nichts anderes übrigbleiben, als sich zu fügen.

Lord Allen betonte noch einmal den Wunsch zur Verständigung mit Deutschland. Gleichzeitig habe aber die englische Regierung ein großes Interesse an regelmäßiger Zusammenarbeit mit anderen Nationen. Der Reichskanzler habe in der letzten Zeit wiederholt den Anspruch auf Gleichberechtigung öffentlich formuliert. Er, Lord Allen, glaube, daß die englische öffentliche Meinung und damit gleichzeitig die englische Regierung vorteilhaft darauf reagieren würden, wenn der Reichskanzler bei einer sich bietenden Gelegenheit eine Erklärung abgebe, in der er sich sowohl zur Zusammenarbeit mit Europa bereit erkläre als auch seine Stellungnahme dazu präzisieren würde, wie Deutschland sich verhalten werde, wenn ihm die Gleichberechtigung gewährt worden sei.

Der Führer und Reichskanzler entgegnete hierauf, daß es für ihn [50] nicht leicht sei, eine solche Erklärung abzugeben, da Deutschland seit Dezember 1932 schlechte Erfahrungen gemacht habe. Die französische Presse fange schon jetzt an, Bedingungen an die Gewährung der Gleichberechtigung zu knüpfen. Auf derartige Bedingungen werde sich Deutschland niemals einlassen. Teil V des Vertrages von Versailles müsse ein für allemal gelöscht werden. Deutschland würde aber niemals zustimmen, daß an die Stelle dieses Abschnitts des Friedensvertrags ein neues Statut träte, durch das Deutschland neue Bedingungen auferlegt würden. Was Deutschland freiwillig unterschreibe, werde es auch stets halten. Sobald er darüber Gewißheit habe, daß ein derartiges neues Statut nicht beabsichtigt sei, werde er auch zu der von Lord Allen als erwünscht bezeichneten Erklärung bereit sein.

(Aus den Akten des Auswärtigen Amtes.)

An der Jahreswende 1934/35 ließ sich Englands Politik Deutschland gegenüber etwa dahin charakterisieren: England erstrebte Deutschlands Einordnung in ein festes System, das Deutschland der Möglichkeit unliebsamen selbständigen Vorgehens berauben sollte. Es sollte durch Beitritt zu entsprechenden Pakten und Abmachungen einen Beweis seines Friedenswillens geben. Der Ostpakt, die Rückkehr in den Völkerbund und auch die Abrüstungsfrage wurden in diesem Zusammenhang wieder erörtert. Die letztere hatte Baldwin durch eine Rede im Unterhaus vom 28. November 1934 neuerdings angeregt. Er nannte zwar die deutschen Rüstungen die wichtigste Quelle der Beunruhigung; sie seien aber nun einmal eine Tatsache, und es sei notwendig, Klarheit über Deutschlands Absichten und Pläne zu erhalten. Zu diesem Zwecke müßten die Verhandlungen zwischen den Mächten wieder aufgenommen werden.

Man konnte also auch in England nicht länger umhin, den deutschen Standpunkt anzuerkennen: Abschnitt V des Versailler Vertrags war tot, eine neue Regelung unter Wahrung der vollen Gleichberechtigung Deutschlands mußte an seine Stelle treten.

Im Januar 1935 kamen englisch-französische Besprechungen wieder in Gang und führten zu der Londoner Erklärung vom 3. Februar 1935. Eine allgemeine Regelung der Rüstungsfrage wurde ins Auge gefaßt. Aber gemäß der französischen These wurde auch der "Organisation der Sicherheit" gedacht und dabei an den Ostpakt erinnert. Deutschland sollte ferner in den Völkerbund zurückkehren. Endlich wurde von der Möglichkeit eines Luftpaktes zwischen Deutschland, England, Frankreich, Belgien und Italien, den fünf Locarno-Partnern, gesprochen. Auch diesmal kam der Führer den andern entgegen. Im Interesse des Friedens wollte Deutschland gemeinsam mit den Mächten prüfen, wie sich die Gefahr eines Wettrüstens vermeiden ließe. Es hieß in der deutschen Antwort vom 14. Februar 1935, daß "nur der in der britisch-französischen Verlautbarung zum Ausdruck kommende Geist freier Vereinbarung zwischen souveränen Staaten zu dauerhaften internationalen Regelungen auf dem Gebiete der Rüstungen führen kann". Deutschland stimmte auch einem Luftpakt zu. Die Atmosphäre schien sich zu reinigen. Am 13. Januar 1935 hatte die Saarabstimmung jenen eindeutigen deutschen Sieg gebracht, vor dem sich [51] auch die französische Regierung loyal beugte. Nunmehr waren nach dem Worte des Führers alle territorialen Streitfragen zwischen Deutschland und Frankreich erledigt.

Dennoch nahmen die schon in Gang gekommenen Abrüstungsverhandlungen eine ungünstige Wendung. Die englische Regierung, die sie angeregt hatte, hat sie auch sabotiert. Die neue Rüstungsvorlage, die sie am 11. März 1935 im Parlament einbrachte, wurde mit einem Weißbuch begründet, in dem Deutschland der Bedrohung des Weltfriedens und des Bruchs des Versailler Vertrages bezichtigt wurde. Unter Bezug auf eine in Deutschland vor sich gehende Aufrüstung wurden eigene Rüstungsverstärkungen und ein Umbau aller englischen Streitkräfte zu Wasser, Land und in der Luft angekündigt. England hatte eine vollzogene Tatsache geschaffen, ehe es noch zu irgendwelchen Verhandlungen hatte kommen können.


 14. 
Aus dem britischen Rüstungs-Weißbuch vom 1. März 1935

Teil III
8. Die Lage war Mitte vorigen Sommers wie folgt:

(1) Die Abrüstungskonferenz war dem Wesen nach zum Stillstand gekommen. Es war offensichtlich, daß weitere Verhandlungen durch die Tatsache gehemmt werden würden, daß Deutschland nicht nur entgegen den Bestimmungen des Teils V des Versailler Vertrages offen in großem Maßstab aufrüstete, sondern auch seinen Austritt aus dem Völkerbund und der Abrüstungskonferenz erklärt hatte. Auch Japan hatte seinen Austritt aus dem Völkerbund erklärt. Alle größeren Mächte, außer dem Vereinigten Königreich, vermehrten ihre Rüstungen.

(2) Ins einzelne gehende, sorgfältige Untersuchungen wurden über die ernsten Mängel unserer Verteidigungsstreitkräfte und -mittel angestellt. Es wurde festgestellt, daß Land und Empire sich nicht mehr in einem angemessenen Verteidigungszustande befänden, wenn nicht ein Programm in Angriff genommen würde, das sie neu ordnete und modernisierte. Sollte daher trotz aller unserer Bemühungen, Frieden zu halten, ein gegen uns gerichteter Angriff stattfinden, so würden wir nicht in der Lage sein, unsere Seeverkehrswege, die Ernährung unserer Bevölkerung oder die Verteidigung unserer wichtigsten Städte und ihrer Einwohner gegen Luftangriffe zu sichern. Überdies liegt der große Wert des Vertrages von Locarno für unser Land in seiner abschreckenden Wirkung auf etwaige Angreifer. Diese wird aber wesentlich abgeschwächt durch die von allen Signataren geteilte Erkenntnis, daß, falls unsere Verpflichtung klar ist, unsere Mitwirkung doch nur wenig entscheidende Wirkung haben kann. Die gleiche Erwägung würde natürlich auch auf jedes andere System gemeinsamer Sicherheit anzuwenden sein, dem wir angehören würden.

9. Unter obigen Umständen war sich die Regierung Seiner Majestät bewußt, daß sie ihrer Verantwortung nicht gerecht werden würde, wenn sie, bei uneingeschränkter Fortführung ihrer Bemühungen um [52] den Frieden durch Beschränkung der Rüstungen, die Einleitung von Schritten verzögerte, die unsere eigenen Rüstungen instand setzen, uns gegen mögliche Gefahren zu schützen. Ein koordiniertes Programm für den Neuaufbau unserer Verteidigungsstreitkräfte und -mittel wurde aufgestellt. Für die Flotte (deren Stärke vertraglich begrenzt ist) und das Heer umfaßte dieses Programm in der Hauptsache die Behebung der technischen Mängel und die Beschaffung moderner Ausrüstungen, geeigneter Mannschaften und Reserven an Kriegsmaterial, ohne die unsere Streitkräfte unsere Lebensinteressen gegen einen Angreifer nicht verteidigen und an keinem System gemeinschaftlicher Sicherheit mitarbeiten könnten.

10. Bei den Königlichen Luftstreitkräften allein erschien eine merkliche Verstärkung der Einheiten unmittelbar erforderlich. Aus diesem Grunde wurde sie am 19. Juli 1934 im Parlament angekündigt, am 30. Juli im Unterhause und am 14. November im Oberhause verhandelt. Verstärkungen werden bei der von der Armee gestellten Flugzeugabwehr ebenfalls notwendig sein.

11. Am 28. November 1934 lenkte die Regierung Seiner Majestät die allgemeine Aufmerksamkeit auf die in Deutschland vor sich gehende Aufrüstung und kündigte eine Beschleunigung der bereits beschlossenen Verstärkung der Luftwaffe an. Das Vorgehen der Regierung Seiner Majestät schloß natürlich keine Billigung eines Bruches des Versailler Vertrages in sich. Er stellte nur in der Form eines ersten Schrittes vor der Öffentlichkeit fest, was als Tatsache bekanntgeworden war.

12. Wenn diese Aufrüstung in ihrem gegenwärtigen Umfange unvermindert und unkontrolliert fortgesetzt wird, so wird sie die bereits bestehende Besorgnis der Nachbarn Deutschlands verstärken und kann in der Folge eine den Frieden gefährdende Lage verursachen. Die Regierung Seiner Majestät hat die Erklärungen der deutschen Führer, daß sie den Frieden wünschen, zur Kenntnis genommen und begrüßt. Sie kann aber auch nicht umhin zu erkennen, daß nicht nur die Kräfte, sondern auch der Geist, in dem die Bevölkerung und vor allem die Jugend des Landes organisiert werden, das allgemeine Gefühl der Unsicherheit, das unbestreitbar bereits entstanden ist, beeinflußt und bestärkt. Auch beschränkt sich die Erhöhung der Rüstungen nicht auf Deutschland. Auf der ganzen Welt, in Rußland, Japan, den Vereinigten Staaten von Amerika und überall wird aufgerüstet. Wir konnten es uns nicht erlauben, über all diese Verstärkungen hinwegzusehen und mußten deshalb beginnen, unsere Mängel auszugleichen. Wir waren aber bemüht, die Vorkehrungen für die notwendige Verteidigung nicht in ein Wettrennen um die Rüstungsstärke ausarten zu lassen.

(E: Cmd. 4827. - D. Schwendemann: Abrüstung und Sicherheit. Bd. II, S. 648ff.)

Bereits am 1. März 1935 hatte auch Frankreich neue Rüstungsmaßnahmen getroffen. Die Regierung legte ein neues Wehrgesetz vor. Am 15. März 1935 wurde in der Kammer die Debatte über das Gesetz zur Verlängerung der Dienstzeit durch eine Regierungserklärung eingeleitet. [53] Auch diese praktische Verdoppelung des französischen Heeres war gegen Deutschland gerichtet. An England und Frankreich sind daher die beabsichtigten Verhandlungen gescheitert. Deutschland hat dieses Verhalten am 16. März 1935 mit der Wiederherstellung der allgemeinen Wehrpflicht beantwortet. Gleichzeitig legte die Reichsregierung dem deutschen Volke in einem Aufruf die deutsche Entwaffnung und den Kampf um Gleichberechtigung dar.


 15. 
Aufruf der Reichsregierung vom 16. März 1935
zur Wiederherstellung der deutschen Wehrfreiheit

An das deutsche Volk!

Als im November 1918 das deutsche Volk - vertrauend auf die in den Vierzehn Punkten Wilsons gegebenen Zusicherungen - nach viereinhalbjährigem ruhmvollem Widerstand in einem Kriege, dessen Ausbruch es nie gewollt hatte, die Waffen streckte, glaubte es nicht nur der gequälten Menschheit, sondern auch einer großen Idee an sich einen Dienst erwiesen zu haben. Selbst am schwersten leidend unter den Folgen dieses wahnsinnigen Kampfes, griffen die Millionen unseres Volkes gläubig nach dem Gedanken einer Neugestaltung der Völkerbeziehungen, die durch die Abschaffung der Geheimnisse diplomatischer Kabinettspolitik einerseits sowie der schrecklichen Mittel des Krieges andererseits veredelt werden sollten. Die geschichtlich härtesten Folgen einer Niederlage erschienen vielen Deutschen damit geradezu als notwendige Opfer, um einmal für immer die Welt von ähnlichen Schrecknissen zu erlösen.

Die Idee des Völkerbundes hat vielleicht in keiner Nation eine heißere Zustimmung erweckt als in der von allem irdischen Glück verlassenen deutschen. Nur so war es verständlich, daß die in manchem geradezu sinnlosen Bedingungen der Zerstörung jeder Wehrvoraussetzung und Wehrmöglichkeit im deutschen Volke nicht nur angenommen, sondern von ihm auch erfüllt worden sind. Das deutsche Volk und insonderheit seine damaligen Regierungen waren überzeugt, daß durch die Erfüllung der im Versailler Vertrag vorgeschriebenen Entwaffnungsbestimmungen entsprechend der Verheißung dieses Vertrages der Beginn einer internationalen allgemeinen Abrüstung eingeleitet und garantiert sein würde. Denn nur in einer solchen zweiseitigen Erfüllung dieser gestellten Aufgabe des Vertrages konnte die moralische und vernünftige Berechtigung für eine Forderung liegen, die, einseitig auferlegt und durchgeführt, zu einer ewigen Diskriminierung und damit Minderwertigkeitserklärung einer großen Nation werden mußte. Damit aber konnte ein solcher Friedensvertrag niemals die Voraussetzung für eine wahrhaft innere Aussöhnung der Völker und eine dadurch herbeigeführte Befriedung der Welt, sondern nur für die Aufrichtung eines ewig weiterzehrenden Hasses sein.

Deutschland hat die ihm auferlegten Abrüstungsverpflichtungen nach den Feststellungen der Interalliierten Kontrollkommission erfüllt.

[54] Folgendes waren die von dieser Kommission bestätigten Arbeiten der Zerstörung der deutschen Wehrkraft und ihrer Mittel:

A. Heer
59 897 Geschütze und Rohre,
130 558 Maschinengewehre,
31 470 Minenwerfer und Rohre,
6 007 000 Gewehre und Karabiner,
243 937 M.G.-Läufe,
28 001 Lafetten,
4 390 M.W.-Lafetten,
38 750 000 Geschosse,
16 550 000 Hand- und Gewehrgranaten,
60 400 000 scharfe Zünder,
491 000 000 Handwaffenmunition,
335 000 Tonnen Geschoßhülsen,
23 515 Tonnen Kartusch-Patronenhülsen,
37 600 Tonnen Pulver,
79 500 Munitionsleeren,
212 000 Fernsprecher,
1 072 Flammenwerfer,
31 Panzerzüge,
59 Tanks,
1 762 Beobachtungswagen,
8 982 drahtlose Stationen,
1 240 Feldbäckereien,
2 199 Pontons,
981,7 Tonnen Ausrüstungsstücke für Soldaten,
8 230 350 Satz Ausrüstungsstücke für Soldaten,
7 300 Pistolen und Revolver,
180 M.G.-Schlitten,
21 fahrbare Werkstätten,
12 Flak-Geschützwagen,
11 Protzen,
64 000 Stahlhelme,
174 000 Gasmasken,
2 500 Maschinen der ehemaligen Kriegsindustrie,
8 000 Gewehrläufe.
B. Luft
15 714 Jagd- und Bombenflugzeuge,
27 757 Flugzeugmotoren.
C. Marine
Zerstörtes, abgewracktes, versenktes
oder ausgeliefertes Kriegsmaterial der Marine:
26 Großkampfschiffe,
4 Küstenpanzer,
[55]       4 Panzerkreuzer,
19 kleine Kreuzer,
21 Schul- und Spezialschiffe,
83 Torpedoboote,
315 U-Boote.

Bemerkungen zu A und B:

Ferner unterlagen der Zerstörungspflicht: Fahrzeuge aller Art, Gaskampf- und zum Teil Gasschutzmittel, Treib- und Sprengmittel, Scheinwerfer, Visiereinrichtungen, Entfernungs- und Schallmeßgeräte, optische Geräte aller Art, Pferdegeschirr, Schmalspurgerät, Felddruckereien, Feldküchen, Werkstätten, Hieb- und Stichwaffen, Stahlhelme, Munitionstransportmaterial, Normal- und Spezialmaschinen der Kriegsindustrie sowie Einspannvorrichtungen, Zeichnungen dazu, Flugzeug- und Luftschiffhallen usw.

Nach dieser geschichtlich beispiellosen Erfüllung eines Vertrages hatte das deutsche Volk ein Anrecht, die Einlösung der eingegangenen Verpflichtungen auch von der anderen Seite zu erwarten.

Denn:

  1. Deutschland hatte abgerüstet.
  2. Im Friedensvertrag war ausdrücklich gefordert worden, daß Deutschland abgerüstet werden müsse, um damit die Voraussetzung für eine allgemeine Abrüstung zu schaffen, d. h. es war damit behauptet, daß nur in Deutschlands Rüstung allein die Begründung für die Rüstung der anderen Länder läge.
  3. Das deutsche Volk war sowohl in seinen Regierungen als auch in seinen Parteien damals von einer Gesinnung erfüllt, die den pazifistisch-demokratischen Idealendes Völkerbundes und seiner Gründer restlos entsprach. Während aber Deutschland als die eine Seite der Vertragschließenden seine Verpflichtungen erfüllt hatte, unterblieb die Einlösung der Verpflichtung der zweiten Vertragsseite. Das heißt: Die Hohen Vertragschließenden der ehemaligen Siegerstaaten haben sich einseitig von den Verpflichtungen des Versailler Vertrages gelöst!

Allein nicht genügend, daß jede Abrüstung in einem irgendwie mit der deutschen Waffenzerstörung vergleichbaren Maße unterblieb, nein: es trat nicht einmal ein Stillstand der Rüstungen ein, ja im Gegenteil, es wurde endlich die Aufrüstung einer ganzen Reihe von Staaten offensichtlich. Was im Kriege an neuen Zerstörungsmaschinen erfunden wurde, erhielt nunmehr im Frieden in methodisch-wissenschaftlicher Arbeit die letzte Vollendung. Auf dem Gebiet der Schaffung mächtiger Landpanzer sowohl als neuer Kampf- und Bombenmaschinen fanden ununterbrochene und schreckliche Verbesserungen statt. Neue Riesengeschütze wurden konstruiert, neue Spreng-, Brand- und Gasbomben entwickelt.

Die Welt aber hallte seitdem wider von Kriegsgeschrei, als ob niemals ein Weltkrieg gewesen und ein Versailler Vertrag geschlossen worden wäre.

[56] Inmitten dieser hochgerüsteten und sich immer mehr der modernsten motorisierten Kräfte bedienenden Kriegsstaaten war Deutschland ein machtmäßig leerer Raum, jeder Drohung und jeder Bedrohung jedes einzelnen wehrlos ausgeliefert. Das deutsche Volk erinnert sich des Unglücks und Leides von fünfzehn Jahren wirtschaftlicher Verelendung, politischer und moralischer Demütigung.

Es war daher verständlich, wenn Deutschland laut auf die Einlösung des Versprechens auf Abrüstung der anderen Staaten zu drängen begann. Denn dieses ist klar:

Einen hundertjährigen Frieden würde die Welt nicht nur ertragen, sondern er müßte ihr von unermeßlichem Segen sein. Eine hundertjährige Zerreißung in Sieger und Besiegte aber erträgt sie nicht.

Die Empfindung über die moralische Berechtigung und Notwendigkeit einer internationalen Abrüstung war aber nicht nur in Deutschland, sondern auch innerhalb vieler anderer Völker lebendig. Aus dem Drängen dieser Kräfte entstanden die Versuche, auf dem Wege von Konferenzen eine Rüstungsverminderung und damit eine internationale allgemeine Angleichung auf niederem Niveau in die Wege leiten zu wollen.

So entstanden die ersten Vorschläge internationaler Rüstungsabkommen, von denen wir als bedeutungsvollen den Plan MacDonalds in Erinnerung haben.

Deutschland war bereit, diesen Plan anzunehmen und zur Grundlage von abzuschließenden Vereinbarungen zu machen.

Er scheiterte an der Ablehnung durch andere Staaten und wurde endlich preisgegeben. Da unter solchen Umständen die dem deutschen Volke und Reiche in der Dezember-Erklärung 1932 feierlich zugesicherte Gleichberechtigung keine Verwirklichung fand, sah sich die neue Deutsche Reichsregierung als Wahrerin der Ehre und der Lebensrechte des deutschen Volkes außerstande, noch weiterhin an solchen Konferenzen teilzunehmen oder dem Völkerbund anzugehören.

Allein auch nach dem Verlassen Genfs war die Deutsche Regierung dennoch bereit, nicht nur Vorschläge anderer Staaten zu überprüfen, sondern auch eigene praktische Vorschläge zu machen. Sie übernahm dabei die von den anderen Staaten selbst geprägte Auffassung, daß die Schaffung kurzdienender Armeen für die Zwecke des Angriffs ungeeignet und damit für die friedliche Verteidigung anzuempfehlen sei.

Sie war daher bereit, die langdienende Reichswehr nach dem Wunsche der anderen Staaten in eine kurzdienende Armee zu verwandeln. Ihre Vorschläge vom Winter 1933/34 waren praktische und durchführbare. Ihre Ablehnung sowohl als die endgültige Ablehnung der ähnlich gedachten italienischen und englischen Entwürfe ließen aber darauf schließen, daß die Geneigtheit zu einer nachträglichen sinngemäßen Erfüllung der Versailler Abrüstungsbestimmungen auf der anderen Seite der Vertragspartner nicht mehr bestand.

Unter diesen Umständen sah sich die Deutsche Regierung veranlaßt, von sich aus jene notwendigen Maßnahmen zu treffen, die eine Beendigung des ebenso unwürdigen wie letzten Endes bedrohlichen [57] Zustandes der ohnmächtigen Wehrlosigkeit eines großen Volkes und Reiches gewährleisten konnten.

Sie ging dabei von denselben Erwägungen aus, denen Minister Baldwin in seiner letzten Rede so wahren Ausdruck verlieh:

"Ein Land, das nicht gewillt ist, die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen zu seiner eigenen Verteidigung zu ergreifen, wird niemals Macht in dieser Welt haben, weder moralische noch materielle Macht."

Die Regierung des heutigen Deutschen Reiches aber wünscht nur eine einzige moralische und materielle Macht; es ist die Macht, für das Reich und damit wohl auch für ganz Europa den Frieden wahren zu können!

Sie hat daher auch weiterhin getan, was in ihren Kräften stand und zur Förderung des Friedens dienen konnte:

  1. Sie hat all ihren Nachbarstaaten schon vor langer Frist den Abschluß von Nichtangriffspakten angetragen.
  2. Sie hat mit ihrem östlichen Nachbarstaat eine vertragliche Regelung gesucht und gefunden, die dank des großen entgegenkommenden Verständnisses, wie sie hofft, für immer die bedrohliche Atmosphäre, die sie bei ihrer Machtübernahme vorfand, entgiftet hat und zu einer dauernden Verständigung und Freundschaft der beiden Völker führen wird.
  3. Sie hat endlich Frankreich die feierliche Versicherung gegeben, daß Deutschland nach der erfolgten Regelung der Saarfrage nunmehr keine territorialen Forderungen mehr an Frankreich stellen oder erheben wird. [Scriptorium merkt an: = Verzicht auf Elsaß-Lothringen!] Sie glaubt damit, in einer geschichtlich seltenen Form die Voraussetzung für die Beendigung eines jahrhundertelangen Streites zwischen zwei großen Nationen durch ein schweres politisches und sachliches Opfer geschaffen zu haben.

Die Deutsche Regierung muß aber zu ihrem Bedauern ersehen, daß seit Monaten eine sich fortgesetzt steigernde Aufrüstung der übrigen Welt stattfindet. Sie sieht in der Schaffung einer sowjetrussischen Armee von 101 Divisionen, d. h. 960 000 Mann zugegebener Friedenspräsenzstärke, ein Element, das bei der Abfassung des Versailler Vertrages nicht geahnt werden konnte.

Sie sieht in der Forcierung ähnlicher Maßnahmen in anderen Staaten weitere Beweise der Ablehnung der seinerzeit proklamierten Abrüstungsidee. Es liegt der Deutschen Regierung fern, gegen irgendeinen Staat einen Vorwurf erheben zu wollen. Allein, sie muß heute feststellen, daß durch die nunmehr beschlossene Einführung der zweijährigen Dienstzeit in Frankreich die gedanklichen Grundlagen der Schaffung kurzdienender Verteidigungsarmeen zugunsten einer langdienenden Organisation aufgegeben worden sind.

Dies war aber mit ein Argument für die seinerzeit von Deutschland geforderte Preisgabe seiner Reichswehr!

Die Deutsche Regierung empfindet es unter diesen Umständen als eine Unmöglichkeit, die für die Sicherheit des Reiches notwendigen Maßnahmen noch länger auszusetzen oder gar vor der Kenntnis der Mitwelt zu verbergen.

[58] Wenn sie daher dem in der Rede des englischen Ministers Baldwin am 28. November 1934 ausgesprochenen Wunsch nach einer Aufhellung der deutschen Absichten nunmehr entspricht, dann geschieht es:

  1. um dem deutschen Volk die Überzeugung und den anderen Staaten die Kenntnis zu geben, daß die Wahrung der Ehre und Sicherheit des Deutschen Reiches von jetzt ab wieder der eigenen Kraft der Deutschen Nation anvertraut wird;
  2. aber, um durch die Fixierung des Umfanges der deutschen Maßnahmen jene Behauptungen zu entkräften, die dem deutschen Volke das Streben nach einer militärischen Hegemoniestellung in Europa unterschieben wollen.

Was die Deutsche Regierung als Wahrerin der Ehre und der Interessen der Deutschen Nation wünscht, ist, das Ausmaß jener Machtmittel sicherzustellen, die nicht nur für die Erhaltung der Integrität des Deutschen Reiches, sondern auch für die internationale Respektierung und Bewertung Deutschlands als eines Mitgaranten des allgemeinen Friedens erforderlich sind.

Denn in dieser Stunde erneuert die Deutsche Regierung vor dem deutschen Volk und vor der ganzen Welt die Versicherung ihrer Entschlossenheit, über die Wahrung der deutschen Ehre und der Freiheit des Reiches nie hinausgehen und insbesondere in der nationalen deutschen Aufrüstung kein Instrument kriegerischen Angriffs, vielmehr ausschließlich der Verteidigung und damit der Erhaltung des Friedens bilden zu wollen.

Die Deutsche Reichsregierung drückt dabei die zuversichtliche Hoffnung aus, daß es dem damit wieder zu seiner Ehre zurückfindenden deutschen Volke in unabhängiger gleicher Berechtigung vergönnt sein möge, seinen Beitrag zu leisten zur Befriedung der Welt in einer freien und offenen Zusammenarbeit mit den anderen Nationen und ihren Regierungen.

(Reichsgesetzblatt, 1935, Teil I, Nr. 28.)

Mit ruhiger Entschlossenheit hat der Führer das deutsche Volk durch die internationale Krise gesteuert, die der deutsche Schritt vom 16. März 1935 zur Folge hatte. Die Mächte erhoben Einspruch, jedoch kam es nicht zu einem gemeinsamen Schritt. Auch hier ging England wieder voran.


 16. 
Protestnote der britischen Regierung vom 18. März 1935
gegen die Einführung der Wehrpflicht

1. Ich beehre mich, Ihnen im Auftrage des Königlichen Staatssekretärs für Auswärtige Angelegenheiten mitzuteilen, daß sich die Königliche Regierung in dem Vereinigten Königreich genötigt sieht, der Deutschen Regierung ihren Protest gegen die von ihr am 16. März verkündete Entscheidung zu übermitteln, die allgemeine Wehrpflicht einzuführen und den Friedensrahmen des deutschen Heeres auf 36 Divisionen zu erhöhen. Nach der Bekanntgabe über eine deutsche Luft- [59] macht ist eine solche Erklärung ein weiteres Beispiel für eine einseitige Aktion, die, ganz abgesehen von der grundsätzlichen Seite der Frage, geeignet ist, die Unruhe in Europa in ernster Weise zu erhöhen. Der Vorschlag einer englisch-deutschen Zusammenkunft, die in einer Woche stattfinden sollte, ergab sich aus dem Inhalt der englisch-französischen Mitteilung vom 3. Februar und der deutschen Antwort vom 14. Februar, die durch weitere Besprechungen zwischen der Königlichen Regierung und der Deutschen Regierung ergänzt worden sind. Die Königliche Regierung hält es für notwendig, auf den Inhalt dieses Dokumentes besonders hinzuweisen.

2. Die Londoner Mitteilung vom 3. Februar stellte einerseits fest, daß vertraglich begrenzte Rüstungen nicht durch einseitige Aktion abgeändert werden können, erklärte aber andererseits, daß die Britische und die Französische Regierung zu einer allgemeinen Regelung geneigt seien, über die zwischen Deutschland und den anderen Mächten frei verhandelt werden solle. Diese allgemeine Regelung sollte über die Organisation der Sicherheit in Europa nach den in der Mitteilung angegebenen Richtlinien Bestimmungen treffen und gleichzeitig Rüstungsvereinbarungen festlegen, die für Deutschland die einschlägigen Bestimmungen des Teiles V des Versailler Vertrages ersetzen sollten. Die Mitteilung führte weiter aus, es sei als Teil der ins Auge gefaßten allgemeinen Regelung anzusehen, daß Deutschland seine aktive Mitgliedschaft im Völkerbund wieder aufnehme, und skizzierte schließlich den Inhalt eines Luftpaktes zwischen den Locarnomächten, der als Abschreckungsmittel gegen Angriffe wirken und Sicherheit vor plötzlichen Luftüberfällen gewährleisten sollte.

3. Die Antwort der Deutschen Regierung zehn Tage später begrüßte den Geist freundschaftlichen Vertrauens, den die englisch-französische Mitteilung zum Ausdruck brachte, und stellte in Aussicht, daß die Deutsche Regierung die in dem ersten Teil der Londoner Mitteilung enthaltenen Fragen einer eingehenden Prüfung unterziehen werde, ferner die Zustimmung, daß der in der Mitteilung zum Ausdruck gebrachte Geist freier Verhandlungen zwischen souveränen Staaten allein zu dauerhaften internationalen Regelungen auf dem Gebiet der Rüstungen führen könne. Im besonderen begrüßte sie den Vorschlag über einen Luftpakt. Die deutsche Antwort endete mit der Erklärung, daß die Deutsche Regierung es vor Eingehen auf die vorgeschlagenen Verhandlungen für erwünscht halte, in besonderen Besprechungen mit den in Frage kommenden Regierungen eine Anzahl von grundsätzlichen Vorfragen zu klären. Zu diesem Zweck lud sie die Königliche Regierung ein, mit der Deutschen Regierung in einen unmittelbaren Gedankenaustausch einzutreten.

4. Da die Königliche Regierung sich vergewissern wollte, daß hinsichtlich des Umfanges und des Zweckes der vorgeschlagenen englisch-deutschen Unterhaltung kein Mißverständnis bestehe, richtete sie am 21. Februar an die Deutsche Regierung eine weitere Anfrage, auf die diese am folgenden Tage antwortete. Das Ergebnis war eine endgültige Übereinstimmung zwischen den beiden Regierungen, daß der [60] Zweck der beabsichtigten Zusammenkunft sein sollte, die Unterhaltung über alle in der englisch-französischen Mitteilung behandelten Fragen ein Stück weiter zu führen. Auf dieser Basis hat sich die Königliche Regierung darauf vorbereitet, den von der Deutschen Regierung vorgeschlagenen Besuch in Berlin auszuführen.

5. Was ins Auge gefaßt war, waren also "eine allgemeine, frei zwischen Deutschland und den anderen Mächten zu treffende Regelung" und "Vereinbarungen über Rüstungen, die für Deutschland die Bestimmungen im Teil V des Versailler Vertrages ersetzen sollten". Dies ist stets das Ziel der Politik der Königlichen Regierung gewesen, und auf die Erreichung dieses Zieles hat sie alle Bemühungen in Genf und sonstwo gerichtet. Aber das Zustandekommen einer umfassenden Einigung, die auf Grund allgemeiner Übereinstimmung an die Stelle der Vertragsbestimmungen treten soll, kann nicht erleichtert werden, wenn man jetzt als eine bereits getroffene Entscheidung Heerespersonalstärken bekannt gibt, die alle seither in Vorschlag gebrachten erheblich überschreiten - überdies Stärken, die, falls sie unverändert aufrechterhalten werden, die Einigung mit anderen ebenfalls stark beteiligten Mächten schwieriger, wenn nicht unmöglich machen müssen.

6. Die Königliche Regierung wünscht keineswegs, die durch den vorbereiteten Besuch etwa geschaffene Gelegenheit, ein Einvernehmen zu fördern, ungenutzt vorübergehen zu lassen. Aber unter den neugeschaffenen Umständen hält sie es vor der Ausführung dieses Besuches für nötig, die Deutsche Regierung auf die obigen Gesichtspunkte aufmerksam zu machen. Sie wünscht, darüber Gewißheit zu haben, daß der Deutschen Regierung das Zustandekommen des Besuches mit dem Umfang und Ziel der Unterhaltung, wie früher verabredet, so wie es oben im Abs. 4 ausgeführt ist, noch erwünscht ist.

(E: Cmd. 4848. - D: Berber, Locarno. S. 99ff.)

Die britische Anfrage, ob die Reichsregierung zu weiteren Verhandlungen bereit sei, wurde bejaht. Der Außenminister Sir John Simon hat sich auch in der Unterhausdebatte vom 21. März 1935 mit einer Verwahrung begnügt. Die kriegsgefährliche Verschärfung der Lage erfolgte durch den Schritt der französischen Regierung, die am 20. März 1935 den Völkerbund anrief, um hier die Anklage gegen den "Vertragsbrüchigen" zu erheben und ihn aburteilen zu lassen. Aber auf der Pariser Besprechung der drei Westmächte vom 23. März 1935, auf der für den 11. April 1935 die Konferenz in Stresa beschlossen wurde, beharrte die englische Regierung auf ihrem Entschluß, erst die Informationsreise der beiden englischen Minister nach Berlin, die schon vor dem 16. März 1935 verabredet war, durchzuführen, ehe ein weiterer Schritt erfolgte.

Am 25. und 26. März 1935 waren der englische Außenminister Sir John Simon und der Lordsiegelbewahrer Eden in Berlin, während der Pressesturm noch mit unverminderter Stärke weitertobte. In Gegenwart des Führers fanden die Besprechungen statt. Nach dem am 26. März 1935 ausgegebenen Kommuniqué fanden sie in "offenster und freundschaftlichster Form" statt und führten zu einer "vollständigen Klarstellung der [61] beiderseitigen Auffassungen". Die Gesamtheit der europäischen Probleme: Abrüstung, Luftpakt, allgemeiner Konsultativpakt, wurden besprochen. Die Reichsregierung hatte bereits in ihrem Kommuniqué vom 10. September 1934 den Beitritt zum Ostpakt aus naheliegenden Gründen abgelehnt. Dabei blieb es. Sie war aber zu jeder Art internationaler Zusammenarbeit bereit, die den Frieden Europas sichern und festigen könnte. Darum sprach sie sich auch positiv für den ins Auge gefaßten Luftpakt aus. Sir John Simon konstatierte in seiner Erklärung vor dem Unterhause vom 28. März 1935, daß die Besprechungen "beträchtliche Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Regierungen" ergeben hätten. In seiner Unterhausrede vom 9. April 1935 berichtete er über die Absichten der deutschen Politik der Freiheit, Ehre und Gleichberechtigung, in der vom 10. April 1935 über die Ansichten der europäischen Regierungen, die Eden inzwischen in Moskau, Warschau und Prag festgestellt hatte.


 17. 
Aus der Unterhausrede des britischen Außenministers
Sir John Simon vom 9. April 1935 über das Ergebnis
seiner Berliner Besprechungen

Hinsichtlich des sogenannten Ostpaktes, der zuerst von dem verstorbenen Außenminister Barthou im vergangenen Sommer angeregt wurde, hat Reichskanzler Hitler klar zum Ausdruck gebracht, daß Deutschland nicht gewillt ist, einen Ostpakt zu unterzeichnen, der Deutschland zu gegenseitiger Unterstützung verpflichten würde. Insbesondere ist Deutschland nicht bereit, einen Pakt zu gegenseitiger Unterstützung mit Rußland einzugehen. Andererseits wurde erklärt, daß Deutschland einen Nichtangriffspakt zwischen den in Osteuropa interessierten Mächten, der eine Konsultation für den Fall eines drohenden Angriffs vorsieht, begünstigen würde. Hitler ist unter den gegenwärtigen Umständen nicht bereit, die Einbeziehung Litauens in irgendeinen Nichtangriffspakt in Aussicht zu nehmen. Die Deutschen schlugen ferner vor, daß, falls trotz dieses Nichtangriffs- und Konsultativpaktes Feindseligkeiten zwischen zwei vertragschließenden Mächten ausbrechen würden, die anderen vertragschließenden Mächte sich verpflichten sollten, den Angreifer in keiner Weise zu unterstützen. In einem anderen Zusammenhang verwies Hitler allerdings auf die Schwierigkeit, den Angreifer zu bestimmen. Über seine Ansicht für den Fall befragt, daß irgendwelche Unterzeichner eines solchen Nichtangriffspaktes untereinander ein Abkommen über gegenseitige Unterstützung abschließen, erklärte der Reichskanzler, daß er diesen Gedanken für gefährlich und anfechtbar halte, da er nach seiner Meinung darauf hinauslaufe, Sonderinteressen einer Gruppe im Rahmen des weiteren Systems zu schaffen...

Was den Gedanken eines mitteleuropäischen Paktes angeht, der auf der französisch-italienischen Zusammenkunft in Rom näher besprochen worden ist, hörten wir in Berlin, daß die deutsche Regierung den Gedanken eines solchen Abkommens nicht grundsätzlich ablehnt, [62] aber seine Notwendigkeit nicht einsieht und eine große Schwierigkeit in der Bestimmung des Begriffs "Nichteinmischung" in bezug auf Österreich erblickt. Hitler gab jedoch zu verstehen, daß für den Fall, daß die anderen Regierungen einen mitteleuropäischen Pakt abzuschließen wünschten und sich auf einen Wortlaut einigen könnten, die deutsche Regierung diesen in Erwägung ziehen würde...

Hinsichtlich der Landrüstungen stellte Reichskanzler Hitler fest, daß Deutschland 36 Divisionen benötige, die eine Höchstzahl von 550 000 Soldaten aller Waffengattungen einschließlich einer Division SS und militarisierter Polizeitruppen darstellten. Er versicherte, daß es in Deutschland keine halbmilitärischen Verbände gäbe. Deutschland, so erklärte er, beanspruche, über alle Waffentypen zu verfügen, die andere Länder besitzen, und sei nicht bereit, auf den Bau gewisser Typen zu verzichten, solange andere Länder sie ebenfalls besitzen. Falls andere Länder gewisse Typen aufgeben, so würde Deutschland das gleiche tun. Hinsichtlich der Seerüstungen beanspruche Deutschland unter gewissen Vorbehalten 35% der britischen Tonnage und in der Luft Gleichheit mit England und Frankreich, vorausgesetzt, daß sich die sowjetrussischen Luftstreitkräfte nicht derart entwickelten, daß eine Überprüfung dieses Verhältnisses notwendig werde. Wenn irgendein allgemeines Abkommen über die Begrenzung der Rüstungen erreicht werden könnte, wäre Deutschland bereit, ein System dauernder und automatischer Überwachung anzunehmen und ins Werk zu setzen unter der Voraussetzung, daß eine solche Überwachung in gleicher Weise für alle Mächte Anwendung findet. Hitler erklärte, daß die deutsche Regierung dem in der Londoner Vereinbarung enthaltenen Vorschlag eines Luftpaktes zwischen den Locarnomächten günstig gegenüberstehe.

In der Frage des Völkerbundes berief sich Hitler auf seine im Mai 1933 abgegebene Versicherung, daß Deutschland im Völkerbund nicht weiter mitarbeiten würde, falls es weiter als das behandelt würde, was er als Land minderen Rechts bezeichnete, und er machte beispielsweise geltend, daß sich Deutschland in einer untergeordneten Stellung befinde, wenn es keine Kolonien besitzt.

(E: Parliamentary Debates. House of Commons. Bd. 300, Sp. 984ff. - D: Hamburger Monatshefte für Auswärtige Politik, Mai 1935, S. 8f.)

Auf die Konferenz nach Stresa, die am 11. April 1935 begann, gingen die Mächte keineswegs als eine geschlossene Front mit einheitlichem Willen. Am 14. April kam ihre Schlußresolution heraus. Wiederum wurden der Ostpakt, die österreichische Frage, der Luftpakt für Westeuropa, die Abrüstung, Locarno, aber auch so revisionistische Fragen wie der Abrüstungsstand Ungarns, Österreichs und der Türkei erörtert. Die Stresamächte bekundeten ihre völlige Einigkeit, "sich mit allen geeigneten Mitteln jeder einseitigen Aufkündigung von Verträgen zu widersetzen". Eingehend hat man sich daneben mit den Fragen einer Friedenssicherung in Osteuropa beschäftigt. Hier war seit Monaten die französische Außenpolitik sehr aktiv. Im September 1934 war die Sowjet- [63] union in den Völkerbund geholt, am 5. Dezember 1934 das französisch-russische Protokoll, der Vorläufer des Paktes vom 2. Mai 1935, unterzeichnet worden. Die französisch-russische Entente sollte das Rückgrat des künftigen Ostpaktes bilden, zugleich aber sollte sie auch die Achse der europäischen Paktpolitik werden. In deren Netze suchte man Deutschland zu verstricken. Simon teilte in Stresa die Auffassung des Führers zum Ostpakt mit. Die deutsche Reichsregierung präzisierte ihren Standpunkt noch einmal in einem Kommuniqué vom 15. April 1935. Sie nahm grundsätzlich zum ganzen Paktsystem Stellung und sprach sich für bilaterale Pakte, wie den mit Polen vom 26. Januar 1934, und gegen automatische militärische Beistandsverpflichtungen aus. Die Unterstützungspakte waren nach deutscher Ansicht mehr ein Element der Friedensstörung als ein solches der Friedenssicherung, die Unteilbarkeit des Friedens mehr die Unteilbarkeit eines ausbrechenden Krieges.

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Deutschland-England 1933-1939
Die Dokumente des deutschen Friedenswillens
Hg. von Prof. Dr. Friedrich Berber