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Die politische Besitzergreifung

Carl Peters

Blockadebrecher

Welcher Schreck befiel den trotz seiner jungen Jahre schon so berühmten Begründer von Deutsch-Ostafrika, als er am 31. März des Jahres 1889 in Sansibar eintraf und von seinem dortigen Vertreter hörte, daß der Sultan seinen in Aden angeworbenen hundert Somalis nebst deren Führer, Kapitänleutnant Rust, die Ausschiffung in Witu und Sansibar verboten hatte, so daß ihnen nichts anderes übriggeblieben war, als in Bagamojo zu landen. Die Lage an der Küste Ostafrikas hatte sich in allerletzter Zeit durch den Araberaufstand grundlegend geändert. Was war geschehen?

Carl Peters setzte sich hin, bezwang seinen Ärger und seine Ungeduld und überdachte die ganze Geschichte. Da hatte er sich nun ein volles Jahr lang bemüht, diese sogenannte deutsche Emin-Pascha-Expedition zusammenzutrommeln und durch ein Komitee 400 000 Mark sammeln zu lassen, doch eine recht [263] hübsche Summe. Nun ja, man tat so, als dürfe man hinter dem Engländer Stanley nicht zurückstehen, jenen Pascha da hinten in seiner Äquatorialprovinz zu befreien. In Wahrheit war es ja so, daß beide, Stanley wie er selber, mit dem Namen Emin Pascha die schöne Provinz Äquatoria meinten. Deutschland hätte diese Abrundung seines ostafrikanischen Schutzgebietes am obern Nil gebrauchen können, und England – nun, wem gönnte England auch nur ein Stückchen überseeischen Bodens? War es Zufall, daß der Araberaufstand grade dann ausbrach, als die Deutschen immer tiefer zum Seengebiet vordrangen und als Stanley freie Hand im Hinterlande so bitter nötig hatte? Oh, sie gönnten der deutschen Konkurrenzunternehmung Stanleys keineswegs den Durchbruch von der Ostküste ins Binnenland, und sie brachten es durch die so auffallend passend aufflammenden Araberunruhen fertig, daß keinerlei Karawanen mehr von der Küste aufbrechen konnten. Die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft verlor in kürzester Frist ihr gesamtes Gebiet mit Ausnahme der beiden Küstenplätze Bagamojo und Daressalam. Hier saß zwar jetzt Wissmann, aber vorläufig war auch er vom Lande noch vollständig abgeschlossen. Zudem hatten Deutschland und England über die ganze Küste die Blockade verhängt und ließen allen Verkehr durch Kriegsschiffe überwachen, damit den Eingeborenen keine Waffen zugeschmuggelt werden konnten. Zum Lachen, als ob Admiral Fremantle nicht so manche Dhau ununtersucht vorbeigelassen hätte! Aber ihm gegenüber, der deutschen Emin-Pascha-Expedition gegenüber wurde von dem Engländer genau nach dem Wortlaute der Blockade verfahren. Der Admiral verbot den Petersleuten das Betreten aller Küstenorte, mit Ausnahme jener beiden deutschbesetzten, wo der Admiral nichts zu sagen hatte, die aber ihm, Peters, nichts nützten, denn in das aufständische Gebiet durfte er auch von hier aus nicht hinein.

Was nun tun? Von Wissmann war keine tätige Hilfe zu erwarten, er hatte seine Weisungen von Berlin. Blieb als einzige Möglichkeit nur noch, das Blockadegebiet im Norden zu umgehen, wo es in 2° Südbreite endete. Freilich bedingte dies [264] eine völlige Umgestaltung des Unternehmens, z. B. Einkauf neuer Tauschwaren und Verkauf schon vorhandener, denn es ging dort wenigstens anfangs durch ganz anderes Gebiet.

Der ungestüme Mann sprang erregt auf. Er mußte selber nordwärts nach Lamu reisen und dort die Verhältnisse im Witulande in Hinsicht eines Eindringens von da aus erkunden. Und schon am nächsten Tage fuhr er auf einem Dampfer des Sultans von Sansibar nach Lamu, mußte aber hier die Überraschung erleben, daß die Britisch-Ostafrikanische Gesellschaft die Landung verbot. Nach Sansibar zurückgekehrt, erfuhr er eine neue Schreckenskunde. Seine von Aden mit einem englischen Dampfer abgegangenen Jagdwaffen waren inzwischen in Sansibar angelangt und hier sofort von dem englischen Admiral Fremantle als Konterbande beschlagnahmt worden. Da Peters befürchten mußte, daß es seinen noch unterwegs befindlichen Kriegswaffen ebenso ergehen würde, so wandte er sich an das deutsche Generalkonsulat in Sansibar mit der Bitte, der zweiten Beschlagnahme vorzubeugen, doch wurde ihm hier jede Unterstützung verweigert. Kurz darauf wurden auch diese zur Bewaffnung seiner Farbigen bestimmten Waffen beschlagnahmt. Aber es folgte sofort noch ein neuer Schlag, indem der Sultan von Sansibar ein Verbot erließ, daß sich Träger von Peters anwerben ließen; er werde jedem Neger den Kopf vor die Füße legen, der bei Peters Dienst nähme.

Jetzt wurde es Peters klar, daß er ein eigenes Schiff, und zwar einen Dampfer haben müsse, um von den englischen Schiffen unabhängig zu werden und Bewegungsfreiheit zu erlangen. So ging er hin und charterte schweren Herzens, denn er hatte bei einem halbjährigen Vertrage 75 000 Mark zu zahlen, den unter englischer Flagge fahrenden kleinen Dampfer Neera, sich bewußt bleibend, daß er nunmehr die eigentliche Expedition wesentlich bescheidener werde einrichten müssen. Statt 100 Somalisoldaten und 600 Trägern würde er jetzt nur etwa 30 Soldaten und 150 Träger unterhalten können. Immer mehr griff diese Enttäuschung in ihm Platz, und ihr Tiefpunkt [265] war erreicht, als ihm auf seine nach Berlin gerichtete Bitte um diplomatische Hilfsstellung die Antwort wurde: "Auswärtiges Amt verweigert jede Vermittlung und Unterstützung." Das war unmißverständlich!

Dieser schwarze Tag war der 13. Mai. Peters mußte sich die Frage vorlegen, ob es überhaupt noch Zweck habe, die Expedition weiterzuführen. Er kam sich von seiner Regierung verlassen vor, denn diese hatte sich vor Antritt der Reise noch durchaus günstig geäußert. Aber es war nie seine Art, die Flinte ins Korn zu werfen. Allein und auf sich selbst gestellt, bäumte sich sein Wille auf, er ballte die Fäuste, knirschte mit den Zähnen und preßte hervor: "Nun grade! Sie sollen nicht über mich lachen, hier in Ostafrika nicht und daheim erst recht nicht. Ich werde, koste es was auch immer, aufs Festland gelangen."

Im Besitze der Neera fühlte er sich unabhängig und glaubte allen Schwierigkeiten trotzen zu können. Zuerst ließ er die Neera für die Wissmanntruppe eine Fahrt ausführen und verschaffte sich in Bagamojo einiges Waffenmaterial. Um nun auch noch seine beschlagnahmten Waffen freizubekommen, begab sich Peters zu Admiral Fremantle, erlebte hier aber nicht nur eine schroffe Abweisung, sondern erhielt auch die wertvolle Auskunft, er sei den Engländern in Ostafrika sehr unbequem, ja es bestehe gegen ihn gradezu Kriegszustand. Er dürfe keinesfalls darauf rechnen, das gleiche Recht wie ein anderer zu finden! Sobald aber Peters außerhalb des Blockadebereiches sich befinde, werde ihm nichts in den Weg gelegt werden.

Jetzt endlich sah Peters klar. Es bestand also Krieg zwischen ihm und England, folglich durfte ihm jedes Mittel recht sein, was den Engländern für sie selber billig dünkte. Zuerst mußte er aus dem Blockadegebiet heraus und dann irgendwo im Norden eine Landung versuchen.

Er schiffte alle Somali und Träger, soweit er solche bekommen hatte, sowie seine Ausrüstung auf der Neera ein und stach am 9. Juni von Daressalam in See. Der Kurs wurde, um alle Welt glauben zu machen, er wolle in Mosambik Trä- [266] ger werben, gen Süden genommen. Außer Sicht der Küste aber wurde er nach Osten und später nach Nordnordosten umgesetzt. Jetzt ging es auf Lamu und die Nordgrenze der Blockade zu, außerhalb deren er in der Kwaihubucht landen wollte.

Aber die Kwaihubucht anzusteuern sollte sich als eine äußerst schwierige nautische Aufgabe herausstellen, denn da die Neera bis 1° Südbreite gedampft war, so mußte sie wieder südwärts steuern, um die unter 2° liegende Bucht zu erreichen. Und ihre Maschine war nicht leistungsfähig genug, um gegen den heftig wehenden Südwestmonsum und gegen die starke Küstenströmung anzukommen. So dauerte es volle fünf Tage, bis sie, immer wieder auf ihren unter 1° gelegenen Ausgangspunkt zurückgeworfen, endlich den Eingang in die Kwaihubucht faßte. Der englische Kapitän hatte längst aufgeben wollen, aber Peters hatte ihn gezwungen, es immer erneut zu versuchen. (Möglicherweise lag einfach böser Wille von seiten des Engländers vor?) Als der Wasservorrat zur Neige ging, wußte Peters sich zu helfen, indem er Segel ausspannen und den Regen auffangen ließ. Endlich am 15. Juni konnte die Neera nach Überwindung der schweren Brandung in fünf Seemeilen Entfernung von dem Küstenorte Siju vor Anker gehen.

Nun handelte es sich aber noch darum, Mannschaften und Gepäck an Land zu bringen, was nur mit Hilfe einheimischer Segelboote möglich war. Peters erfuhr, daß es solche lediglich in einem anderen Küstenorte namens Pasa zu mieten gab. Dort gelang es ihm, da die Bevölkerung ihn für einen Engländer hielt, drei Dhaus zu bekommen.

Nach Übernehmen der Leute und des größten Teiles der Ladung fuhr er mit den Dhaus westwärts tiefer in die Bucht hinein, doch plötzlich weigerten sich die eingeborenen Schiffer weiterzufahren, denn sie hatten inzwischen erkannt, daß sie es nicht mit Engländern, sondern mit Deutschen zu tun hatten, und wollten über deren Schicksal erst die Bestimmung des englischen Admirals abwarten. Dieser war nämlich mit drei Kriegsschiffen ganz in der Nähe, da ihm das spurlose Verschwinden der Peters-Expedition verdächtig geworden war.

[267] Peters aber verlor nicht einen Augenblick mit langen Überlegungen. Er ließ die eingeborenen Schiffer und deren Matrosen aus den Booten jagen und segelte ohne sie weiter, der Festlandküste zu. Es war Fremantles Fehler, daß er angenommen hatte, die Kwaihubucht sei wegen ihrer durch Riffe schwierigen Einfahrt vor der Neera sicher. So kam es, daß die Expedition am 17. Juni bei Schimbije an Land gehen konnte.

Carl Peters durfte sich mit berechtigtem Stolze seiner Leistung freuen, die englische Blockade in neun Tagen durchbrochen und alle ihm bereiteten Schwierigkeiten aus eigener Kraft überwunden zu haben. Der Weg nach Äquatoria lag frei vor ihm. Aber der kühne Mann ahnte nicht, daß sein kolonialpolitisches Streben, den deutschen Besitzstand nördlich des Viktoriasees auszudehnen, schon im Keime fruchtlos bleiben mußte, da die deutsche Regierung kurz vor Antritt seiner Reise in einem geheimen Abkommen mit England auf jede Ausdehnung nordwärts von 1° Südbreite verzichtet hatte. Daher die Weigerung des Auswärtigen Amtes, der Peters-Expedition Hilfe zu leisten, daher auch Fremantles Bestreben, sie von der Küste fernzuhalten, damit sie nicht, wie nun einmal britische Art ist, doch noch durch Zuerstkommen jenes Gebiet für Deutschland in Besitz nähme.

So blieb der tapfere Zug ohne politische Auswirkung. Emin wurde nicht gerettet, da Stanley zuvorgekommen war, und das schnell erworbene Uganda wurde vom Reiche preisgegeben.

 
Ein tragischer Lebensweg

Jetzt tritt vor unsere Augen neben den Kolonialeroberer Wissmann und neben den kaufmännischen Kolonialgründer Lüderitz der Kolonialpolitiker Carl Peters. Er kam vom Gelehrtenberufe her, denn er war, als er anfing sich mit Afrika zu beschäftigen, Privatdozent für Philosophie. Aber er war alles andere als eine Gelehrtennatur, er war ein ehrgeiziger und tollkühner Abenteurer vom Schlage der alten britischen Adventurers, eine echte Wikingernatur, die sich auf ein erkanntes Ziel stürzte und unbekümmert um Einspruch oder Widerstand dabei verharrte. Ein Mann, der sich [268] in der Unbekümmertheit seines anspruchsvollen Ichs allerhand Blößen gab, die seine Widersacher geschickt zu benutzen wußten, um ihn, heimlich von England unterstützt, aus der Bahn zu werfen. Ein Nationalist, der gewaltsam von seinem Volke, seinem Staate getrennt wurde und als Privatmann im Auslande ein unbedeutendes Leben führen mußte. Ähnlich wie Lüderitz, nur noch weit mehr ist Peters ein Opfer der großen Politik und dazu der kleinen politischen Intrigen geworden, in die er sich als ein einzelner zu weit hineingewagt hatte. Im Zusammenprall Deutschlands und Englands ist er zerrieben und dann von Linksparteien und Zentrum in die Ecke geschleudert worden. Und doch hatte das Reich dem Unternehmungsmute dieses Mannes seine wertvollste Kolonie, Ostafrika, zu verdanken! Die Lose des Lebens werden sonderbar gemischt, und es bleibt immer nur ein sehr magerer Trost, erst nach dem Tode Anerkennung zu finden.

Carl Peters wurde am 27. September 1856 in Neuhaus an der unteren Elbe als Sohn eines Pfarrers geboren. Beide Eltern stammten aus dem Süden Niedersachsens, der Vater aus der Gegend von Peine, die Mutter aus der des Deisters, aus Gebieten also, wo voreinst cheruskisches Stammestum von sächsischem überlagert worden ist. Das elterliche Haus war ein behäbiges Landpastorat, dessen Überfluß an Lebensmitteln einen Wohlstand vortäuschte, der mit den geldlichen Einnahmen nicht ganz übereinstimmte, was – ähnlich wie bei Gustav Nachtigal – nach dem frühen Tode des Vaters höchst unangenehm in Erscheinung treten sollte.

Der Knabe zeigte schon früh alle Veranlagung zu einem Manne der Tat. Im Turnen, Schwimmen und Schlittschuhlaufen übertraf er alle Kameraden, und seine Ringerkunst, seine Kampfeslust waren so groß, daß er allein auf die Dörfer zog, um dort größere und ältere Jungen herauszufordern. Aber auch seine Schulleistungen waren gut, denn sein ausgeprägter Ehrgeiz zwang ihn, sich selbst mit langweiligen Lehrstoffen abzufinden. Sein Lieblingsfach war Geschichte, weil die Taten großer Männer ihn reizten, ihnen nachzueifern, [269] aber auch die Erdkunde fesselte ihn in ihren großen Entdeckern, von denen besonders Livingstone auf ihn wirkte. Und wie der Politiker schon jetzt in seinem Kopfe spukte, mag man daraus ersehen, daß er sich bereits als Knabe eine eigene Anhängerschaft zu bilden suchte, mit deren Hilfe er eine Art Alleinherrschaft unter der Jugend seines Heimatortes aufrichtete.

Mit vierzehn Jahren kam er in die Tertia des Gymnasiums zu Lüneburg, ein Jahr später aber schon auf die vornehme Klosterschule zu Ilfeld am Südharze, die er bis zur Reifeprüfung 1876 besuchte. Im Vorgefühl seines nahenden Todes scheint ihn der Vater nach Ilfeld geschickt zu haben, weil der dortige Direktor ein Verwandter war und weil es dort etliche Freistellen gab. In die Zeit des Lüneburger Aufenthaltes fiel der Krieg mit Frankreich, der in ihm die Vaterlandsliebe zum Nationalstolz entfachte und damit der Ausgangspunkt seines später so flammenden Nationalismus wurde.

Unter den adligen Schülern der Ilfelder Klosterschule lernte Carl Peters jene gesellschaftlichen Formen und jene Selbstbeherrschung, die er später in London zu großer Weltläufigkeit entwickelte. Seine Schulleistungen waren dauernd gut, besonders in Mathematik und Deutsch, aber sonst suchte er den Zwang des Internates durch allerlei Streiche und durch verbotenes Kneipen zu würzen.

Da der schon 1872 erfolgte Tod des Vaters die Witwe mit schmaler Pension in eine schwierige Lage brachte, so wäre Carl Peters beinahe von der Schule genommen und in die – untere Zollaufbahn gesteckt worden. Aber jetzt setzte sich der Untersekundaner zur Wehr und entwickelte einen nicht unbeträchtlichen Erwerbssinn, indem er in der Stadt Nachhilfestunden gab – morgens vor Beginn des Unterrichtes, damit die adligen Mitschüler nichts davon merkten. Von Obersekunda an verdiente er sich sogar durch – Schriftstellerei Geld, indem er Aufsätze und Romane an Zeitungen schickte. So lernte er schon früh, daß es möglich sei, jede Schwierigkeit durch Energie zu überwinden, und er lernte ferner, daß man keinem Menschen merken lassen dürfe, wie schwer einem ums Herze sein kann. [270] Er hatte natürlich auch in Ilfeld seine feste Anhängerschaft und wußte mit witzigen, beißenden Reden deren Standpunkt gegen die beiden Gegenparteien zu verteidigen. Sein Bedürfnis nach Geltung und Macht trieb ihn dazu, eine Rolle zu spielen und, da er es von sich allein aus nicht hätte erreichen können, sich eine Partei zu schaffen, um seinen Grundsatz "Ich bin Ich" anderen gegenüber durchzusetzen. Sein trotziges, aufrührerisches Wesen machte ihn dem Lehrkörper unbequem, trotzdem an seinen Schulleistungen nichts auszusetzen war. Und wie sehr die Lehrerschaft sein Wesen verkannte, ersieht man aus seinem übrigens guten Reifezeugnis, in dem ihm bescheinigt wurde, daß man ihn zu einer wissenschaftlichen, insonderheit mathematischen Laufbahn für hervorragend geeignet halte. In Wahrheit war er nur zu politischem Leisten befähigt.

Von Ostern 1876 bis Ende 1880 hat Carl Peters an den Universitäten Göttingen, Tübingen und Berlin den Studien obgelegen. Seine geldliche Grundlage war ein auf 489 Mark aufgezinster Patentaler, denn die Mutter konnte ihm keinen Pfennig geben, aber er glaubte an seinen Stern und nahm den Kampf mit dem Leben auf. In der juristischen Fakultät eingeschrieben, belegte er fast nur Fächer der philosophischen, besonders Chemie, Griechisch, Geschichte und Philosophie, in Berlin auch Geographie und Staatsrecht. Den größten Einfluß auf ihn hatte nicht einer der Professoren, sondern Schopenhauer, dessen trübe und bissige Weltweisheit seinen Trotz gegenüber Leben und Menschheit stärkte. Natürlich verfehlte er auch als Student nicht, seinem Bedürfnis nach Gelten und Herrschen genüge zu tun. Das erste, was er gleich nach Ankunft in einer Universitätsstadt tat, war die Gründung einer Verbindung, deren erster Präside natürlich er selber sein mußte. Nebenher paukte und focht er und tummelte sich nach Kräften, aber auch dem Geldverdienen lag er mit gleichem Fleiße ob. Nachhilfestunden und Stipendien rief er zu Hilfe, für Blätter dritten Ranges schrieb er politische Leitartikel, und unter dem durchsichtigen Decknamen C. Fels veröffentlichte er einen Roman Entrissen und errungen. Hätte er damals diese Worte [271] umgestellt, so hätte er den tieferen Sinn seines eigenen Lebens voraus gedeutet. In Tübingen glückte es ihm, durch eine Preisarbeit über den Kreuzzug von 1101 ein auf drei Jahre lautendes Stipendium von 1200 Mark zu erringen, und in Berlin gewann er durch Bearbeitung einer Preisaufgabe über den Frieden von Venedig (1177) die von der Philosophischen Fakultät ausgesetzte goldene Medaille. Dieser Erfolg hob sein Selbstgefühl so sehr, daß er sich eiligst einen – Pelzrock und einen Zylinder machen ließ, mit denen er in den Pausen im Vorhofe der Universität gemessenen Schrittes umherwandelte. In den Vorlesungen dagegen ließ er sich kaum noch blicken. Er hatte vor nichts mehr Angst und war überzeugt, sein Leben unter allen Umständen meistern zu können.

Im Jahre 1879 promovierte er mit einem Teile seiner letzten Preisarbeit, und im folgenden Jahre legte er seine Oberlehrerprüfung in Geschichte und Erdkunde ab.

Als Carl Peters Ende 1880 die Universität verließ, gedachte er die akademische Laufbahn einzuschlagen und sich für Philosophie zu habilitieren. Zunächst begab er sich nach Hannover und suchte hier durch Privatunterricht für junge Damen seinen Lebensunterhalt zu verdienen, um wissenschaftlich arbeiten zu können. Nach wenigen Wochen aber schon erhielt er eine Einladung seines in London lebenden Oheims Karl Engel zu einem längeren Besuche, und nur zu gern folgte er ihr. Der Besuch dehnte sich auf drei Jahre aus und gab dem jungen Doktor den letzten Schliff, den ein Selfmademan großen Formates nötig hat. Er wurde in England dem wissenschaftlichen Denken stark entfremdet, geriet aber dafür in welt- und kolonialpolitische Gedankengänge, die für seinen ferneren Lebensgang bestimmend wurden.

Der Oheim, Musiker von Ruf, war ganz Engländer geworden und machte ein großes Haus. Mit einem Schlage sah Peters sich von allen Geldsorgen befreit, ja er erhielt sogar ein eigenes Bankguthaben, was nicht ohne Eindruck auf ihn blieb. Er fühlte sich jetzt in englisches Leben und Denken ein und lernte die Selbstsicherheit eines Volkes kennen, das die Welt [272] beherrschte, sich überall zu Hause wußte und mit Leichtigkeit Geld verdiente. Er begann zu begreifen, was Kolonialbesitz und Welthandel für ein Volk zu bedeuten haben und daß beide die Schlüssel zu Wohlstand, Macht und Unabhängigkeit sind. In Akten studierend, arbeitete er sich in die Geschichte der englischen Kolonialausbreitung während des 16. und 17. Jahrhunderts ein, und immer mehr klärte sich in ihm die Idee, zur Nutzanwendung dieser Erkenntnisse für das deutsche Volk zu schreiten.

Aber bis dahin sollte noch einige Zeit vergehen. Vorläufig trieb er geschichtliche und philosophische Studien zur Vorbereitung für die geplante Habilitation. Im Jahre 1882 ließ er zu diesem Zwecke ein Buch des Titels Willenswelt und Weltwille erscheinen, mit dem er Schopenhauers Philosophie fortzusetzen gedachte. In dieser Zeit trat die Versuchung an ihn heran, ganz zum Engländer zu werden. Der Oheim suchte ihn dahin zu bereden und versprach, ihn zu seinem Alleinerben einsetzen zu wollen. Peters aber stand viel zu fest in seinem Deutschtum, als daß er nachgegeben hätte. Er selber sagte später, daß er sich mit diesem Schritte für ein Leben des Leidens und des Entsagens entschieden habe.

Im November 1883 kehrte Peters nach Deutschland zurück, ein fertiger und weltläufiger Mann von siebenundzwanzig Jahren, der gelernt hatte, wie man die Engländer behandeln muß: mit betonter Selbstbehauptung und robuster Rücksichtslosigkeit, nicht aber mit zager Bescheidenheit.

 
Die Gründung von Deutsch-Ostafrika

In Berlin beschäftigte sich Peters mit der Ausarbeitung seiner Habilitationsschrift "Inwiefern ist Metaphysik als Wissenschaft möglich?" und reichte sie bei Wundt in Leipzig ein. Aber es scheint ihm nicht mehr recht ernst damit gewesen zu sein, vielmehr liebäugelte er schon stark nach kolonialer Betätigung.

In London hatte Peters 1883 von den Unternehmungen Lüderitzens in Südwestafrika und von der Gründung eines Deutschen Kolonialvereins gehört. Ein frisch aus Maschonaland [273] gekommener Amerikaner hatte ihm von dortigen Goldfunden erzählt, und Peters schlug ihm vor, sie wollten nach Art der alten englischen Adventurers eine Expedition dorthin unternehmen. Dies gefiel dem Amerikaner, doch als er vernahm, daß er zwar alles gefundene Gold erhalten solle, Peters dagegen dort die deutsche Flagge hissen wolle, da verlor er plötzlich jede Lust.

Jetzt in Berlin trat Peters sofort zu kolonialfreundlichen Kreisen in Beziehung und gründete im März 1884 die Gesellschaft für Deutsche Kolonisation, deren Vorsitzender er natürlich wurde. Als solcher beantragte er, zwecks Gründung einer deutschen Kolonie Anteilscheine zu 5000 Mark auszugeben, setzte es durch und hatte schon nach wenigen Wochen eine ausreichende Summe in Händen, die zur Anlage einer Kolonie an der noch freien Ostküste Afrikas gegenüber der Insel Sansibar benutzt werden sollte. Dann ließ er sich zum Führer der auszusendenden Expedition ernennen.

Da ihm bewußt war, daß keine Zeit verloren werden durfte, und da es auch seine Art war, blitzschnell zu handeln, so fuhr Peters schon im Oktober mit seinem Freunde Dr. Karl Jühlke nach Sansibar, und beide durcheilten in Begleitung des Grafen Pfeil im November und Dezember 1884 die Landschaften Useguha, Usagara, Nguru und Ukomi, um mit deren Häuptlingen Verträge über Anerkennung der deutschen Oberhoheit abzuschließen. (Das war die gleiche Zeit, als Wissmann aus seiner Kassai-Expedition die Station Luluaburg einrichtete und Lüderitzens Agent Einwald im Sululande weilte.) Peters, der die Wachsamkeit der Engländer überlistet hatte, vollbrachte sein Werk in Zeit von vier Wochen, sicherte aber dem deutschen Volke ein Gebiet von der Größe Niedersachsens. Im Januar 1885 war er schon wieder in Berlin, und im Februar wurde ihm für die Gesellschaft für Deutsche Kolonisation ein kaiserlicher Schutzbrief ausgestellt.

Die Kühnheit und die rasche Durchführung des Unternehmens verdienen größte Anerkennung. Denn man wolle bedenken, daß ein Laie, der von afrikanischen Dingen rein gar nichts [274] verstand, an die Aufgabe heranging, Gebiete, die eigentlich kein Mensch den Engländern streitig zu machen wagte, vor deren Nase wegzuschnappen. Es war das ähnlich, wie wenn ein Sperling auf einen Happen zuspringt, der dicht vor dem aufgesperrten Rachen der Kobra liegt. Sehr viel Glück war bei unseres Carl Peters Unternehmen, aber der Erfolg hat ihm schließlich doch recht gegeben. Daheim in Deutschland allerdings sah man in weiten Kreisen nicht auf das unbezweifelbare Ergebnis, sondern man hielt sich an den dahin führenden Weg, nämlich die Art und Weise der Vertragsabschlüsse mit den Negerhäuptlingen. Man höhnte und spottete, Peters habe diese schwarzen Herren betrunken gemacht und sie dann ein Kreuz unter ein ihnen unverständliches Schriftstück malen lassen. Die so sprachen, kannten freilich den Neger nicht, der längst nicht so dumm wie schwarz ist und der durchaus nicht der politischen Witterung entbehrt. Und sie bedachten nicht, daß sie – die gleichen, die über Lüderitzens "Sandloch" schimpften – mit ihren Witzeleien über Peters den Grund legten zu jener Auffassung von der kolonialen Unfähigkeit des deutschen Menschen, die später in Versailles so grausam triumphieren sollte.

Peters hatte sich durch seine Tat – d. h. also durch sein dem Reiche dargebrachtes Geschenk einer Kolonie nebst Anwartschaft auf unbemessene Erweiterung derselben – nicht allein den Haß eines großen Teiles des eigenen Volkes zugezogen, sondern er hatte außerdem noch die Aufmerksamkeit eines anderen Volkes erregt, nämlich des englischen. Dieses merkte, daß in dem bisher durchaus ungefährlichen Festlandsvolke der Deutschen neben Lüderitz noch ein Mann von weltpolitischem Format, von eisernem Willen und von unbezähmbarer Energie heranwuchs, der dem Britischen Weltreiche dereinst gefährlich werden konnte. Die Sicherheit und damit das ganze Dasein dieses Reiches beruht auf der ungestörten Lage und Verbindung seiner über alle Erdteile und Meere verstreuten Besitzungen. Jeder, der solche gefährdet oder später einmal die Möglichkeit dazu erlangen könnte, ist der Feind des [275] Briten, und dieser geht schon sehr früh darauf aus, ihn lahmzulegen und als Nebenbuhler auszuschalten. Peters war nun der zweite Deutsche, der den Engländern Unruhe machte, als er sich ihnen 1884 in Ostafrika vor die Nase setzte.

Im April 1885 gründete Carl Peters in Berlin die "Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft, Carl Peters und Genossen" und erhielt von ihr Generalvollmacht zur Leitung ihrer sämtlichen Geschäfte. Zweck der Neugründung war, die jungen Erwerbungen zu erweitern und zur Kolonie auszubauen. Peters sandte deshalb eine Anzahl Expeditionen hinaus und erwarb damit den größten Teil des mittleren Ostafrika für das Reich. Im März 1886 aber wurde die Gesellschaft aufgelöst, und ihr gesamtes Soll und Haben fiel an Peters, der damit tatsächlich persönlicher Besitzer Ostafrikas geworden war! Man kann sich denken, wie stolz der erst Dreißigjährige war, da er sich als Inhaber eines Länderraumes sah, der fast sechsmal so groß war wie das Reich selber. Er war noch landreicher, als Lüderitz gewesen war, aber er hatte nicht einen Pfennig eigenes Geldes hineinzustecken brauchen.

Carl Peters mochte freilich erkennen, daß ihm der persönliche Besitztitel über Ostafrika nicht viel nützte, denn dieser stand schließlich doch nur auf dem Papier. Die Entwicklung und Sicherung der Kolonie erforderte aber Geld. Deshalb gründete er schon 1887 eine zweite Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft und wurde für fünfzehn Jahre ihr Direktor.

Noch im gleichen Jahre ging Peters zum andern Male nach Ostafrika. Sein Auftrag lautete, mit dem Sultan von Sansibar, der noch auf der ganzen Küste seine Hand hatte, über eine Abfindung für die Übernahme der Zollverwaltung der Häfen Pangani und Daressalam zu verhandeln. Er löste diese Aufgabe in der Weise, daß der Sultan ihm die Zollverwaltung der ganzen Küste vom Umbaflusse bis zum Kap Delgado abtrat. Durch diesen Akt erst war die Küste tatsächlich in deutsche Gewalt gekommen. Noch im Sommer 1887 ließ Peters, weitschauend wie er war, die von Daressalam ins Innere zu bauende Mittellandbahn, die Vorbedingung zur Behauptung [276] und Erschließung des Hinterlandes, abstecken. Ende 1887 wurde Peters zurückgerufen, da man mit seiner Finanzwirtschaft nicht einverstanden war, und erhielt einen Kaufmann als Nachfolger.

Ostafrika aber war in zweieinhalb Jahren (November 1884 bis Juli 1887) in seinem späteren Umfange erwachsen und zur deutschen Kolonie gemacht worden.

Freilich handelte es sich durchaus nicht um einen gefestigten Besitz. Der Sultan sowohl wie die arabischen und indischen Händler waren durch die Herrschaft und durch den wirtschaftlichen Wettbewerb der Gesellschaft auf das tiefste verstimmt und aufgereizt. Fehlgriffe der Gesellschaftsbeamten, geheime Aufhetzung der Leidenschaften durch den von England beratenen Sultan von Sansibar, der in solchen Fällen überall und immer leicht zu schürende Fremdenhaß – dies alles führte schließlich im Herbst 1888 zu dem sogenannten Araberaufstande, der die Herrschaft der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft über den Haufen warf und in dem nur die beiden Hafenplätze Bagamojo und Daressalam durch deutsche Kriegsschiffe behauptet werden konnten. Angesichts der Ohnmacht der Gesellschaft sah sich die Reichsregierung veranlaßt, die Niederwerfung des Aufstandes in die eigene Hand zu nehmen und beauftragte Wissmann mit ihr.

Carl Peters hat den Araberaufstand nicht unmittelbar miterlebt und war auch an seiner Niederwerfung nicht beteiligt. Er lebte derweil in Deutschland und war vom Sommer 1888 an fieberhaft tätig, die Mittel für eine von ihm zu führende Expedition zur Rettung Emin Paschas zusammenzubringen. Wir haben schon an anderer Stelle geäußert, Stanley und Peters sagten Emin Pascha und meinten die damals durch die Mahdibewegung von Ägypten getrennte und eigentlich herrenlos gewordene Äquatorialprovinz. Wie wenig ernst Stanley es mit der Rettung Emins vorhatte, geht klar daraus hervor, daß er seine Träger zwar in Sansibar anwarb, aber nicht von hier aus den kürzesten Weg nach Äquatoria wählte, sondern nach der – Westküste dampfte und von dort aus den doppelt so weiten Weg durch den noch fast unbekannten Kongourwald [277] antrat, zu dem er denn auch, am 30. April 1887 aufbrechend, genau ein Jahr Zeit brauchte. Als Stanley schon mit Emin zusammengetroffen war, wovon aber in Europa niemand etwas wußte, begann in Deutschland erst die Werbung für eine deutsche Emin-Pascha-Expedition.

Welche Schwierigkeiten Peters zu überwinden hatte, um durch die englische Blockade überhaupt auf das ostafrikanische Festland zu gelangen, haben wir eingangs berichtet. Seine Reise ins Innere selber dauerte von Mitte Juni 1889 bis Mitte Juli 1890 und führte von Witu den Tanafluß aufwärts sowie am Südfuße des Kenia und am Baringosee vorbei zum Nordufer des Viktoriasees und nach Uganda. Nachdem man hier den inzwischen vollzogenen Abmarsch Emins und Stanleys festgestellt hatte, kehrte man über den Viktoriasee zurück und ging über Mpapua, wo man den Gesuchten einholte, nach Bagamojo zur Küste; vgl. Karte S. 203.

Diese Expedition war der heldische Höhepunkt in unseres Carl Peters Leben. Er schlug sich mit nur einem weißen Begleiter, dem Leutnant Adolf von Tiedemann, und einer Handvoll Farbiger durch sehr schwierige Landstrecken, hatte eine Anzahl Gefechte zu bestehen und setzte sich allerorten durch. Draufgänger der er war, ließ er bei jedem Hindernisse sofort die Schußwaffe sprechen, auch wenn er durch kluge Vorsicht manche blutige Auseinandersetzung hätte vermeiden können. Er war ganz in seinem Element eines Ländereroberers und Kolonialgründers – und doch war alles umsonst. Nicht deshalb, weil er den Gesuchten nicht mehr vorfand, wohl aber da der Schutzvertrag, den er mit dem unabhängigen Negerreiche Uganda abgeschlossen hatte, wegen des schon vorhergehenden Verzichtes der Reichsregierung sowie durch den Sansibarvertrag hinfällig wurde. Über das diplomatische Spiel hinter den Kulissen nicht unterrichtet, war Peters einem Phantom nachgejagt. Anstatt seiner kolonialen Schöpfung Deutsch-Ostafrika den Zugang zum oberen Nil und zu dessen reichen wirtschaftlichen und politischen Möglichkeiten zu erschließen, hatte er nur erreicht, daß England auf ihn als einen gefährlichen Wider- [278] sacher britischer Belange in Ostafrika aufmerksam geworden war. Der Erwerb Ugandas für Deutschland hätte Englands ostafrikanischen Besitz vom Nilgebiete abgeschlossen und z. B. im Weltkriege begründete Aussichten geboten, Englands Machtstellung am Nil, ja in Zusammenarbeit mit den Türken selbst am Sueskanal zu erschüttern oder gar zu vernichten. Daß wir den Besitz der Insel Helgoland billiger hätten haben können, erscheint heute kaum noch zweifelhaft, aber ein Mann wie Caprivi hielt nichts von Kolonien und gab ohne viel Bedenken hin, was ihm ja doch nicht als rechter deutscher Besitz erschien. Und er hat nicht einmal die Entschuldigung für sich, daß er Helgolands Erwerb als für einen zukünftigen Krieg mit England lebenswichtig erkannt hätte.

Was sollte man nun im Jahre 1890 mit Carl Peters anfangen? Der junge Kaiser sprach den Wunsch aus, er möge in den Reichsdienst übernommen werden, und Caprivi hatte vor, ihn zum Gouverneur Deutsch-Ostafrikas zu ernennen. Seine Beamten aber wußten dies zu verhindern und schoben jenen mit Ostafrika völlig unbekannten Herrn auf diesen Posten, den wir schon bei Wissmann kennengelernt haben. Und genau wie Wissmann wurde auch Peters zum Reichskommissar zur Verfügung jenes Gouverneurs ernannt. Während aber der Sieger im Araberaufstande schleunigst die Kolonie verließ, blieb Peters dort und übernahm den Auftrag, die immer noch unruhige Bevölkerung des Kilimandscharogebietes, etwa 120 000 Menschen, zu befrieden und mit der deutschen Herrschaft zu versöhnen. Mit nur einer einzigen Askarikompanie suchte er 1891/92 diese schwierige Aufgabe zu bewältigen. Sodann befaßte er sich mit der endgültigen Regelung der deutsch-englischen Grenze am Kilimandscharo und sicherte uns den größten Teil desselben.

Im Jahre 1893 aber wurde Peters nach Berlin abberufen und hier der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes zur Beschäftigung zugewiesen. Er fühlte sich kaltgestellt und von wichtigen Beratungen über koloniale Angelegenheiten ausgeschlossen. Der Auftrag, ein Buch Das Deutsch-Ostafrikanische Schutzgebiet zu schreiben, das 1895 in München [279] herauskam, dünkte ihn nicht eine hinreichend große Aufgabe. Und er scheint es nur dem persönlichen Eingreifen des Kaisers verdankt zu haben, daß er im Mai 1894 in eine planmäßige Beamtenstelle einrückte.

 
Der Fall Peters

Während seiner Tätigkeit als Reichskommissar im Kilimandscharogebiet 1891/92 hatte Peters einen Neger und eine Negerin hinrichten lassen, wozu er im Belange der Sicherheit seiner Truppe bevollmächtigt war. Daraufhin erstattete die englische Mission zu Moschi, welche deutschfeindlicher Umtriebe unter den Eingeborenen hinreichend verdächtig war, an den deutschen Gouverneur Anzeige mit der Beschuldigung, Peters habe die beiden Neger einer persönlichen Rache geopfert. Ein von Peters sofort gegen ihn selber beantragtes Disziplinarverfahren ergab die Haltlosigkeit der Verleumdung. Im Frühjahr 1895, als Peters sich in einem mitteldeutschen Wahlkreise als Reichstagsabgeordneter aufstellen ließ, wärmten die Sozialdemokraten die alte Geschichte erneut auf, um ihren eigenen Kandidaten durchzubringen, was dann auch gelang. Zum zweiten Male beantragte Peters eine Untersuchung des Falles, diesmal durch das Auswärtige Amt, das wiederum seine Schuldlosigkeit feststellte. Wie einwandfrei das Ergebnis war, ersieht man schon daraus, daß grade das ihm durchaus nicht geneigte Auswärtige Amt diese Feststellung traf und daß der Kaiser ihn weiter zur Tafel zuzog.

Es kam aber im nächsten Jahre, im März 1896, zu einer neuen Hetze gegen Carl Peters, indem die Linksparteien (Sozialdemokratie und Freisinn), unterstützt vom Zentrum, in Reichstag und Presse die alte Negergeschichte zum dritten Male aufwärmten. Bebel zog dabei einen Brief hervor, den Peters an den englischen Bischof Tucker in Uganda geschrieben haben sollte und in dem er selber sich der persönlichen Rache an den beiden Negern bezichtigte, sie auch zu entschuldigen suchte. Daraufhin wurde Peters in dreitägiger Redeschlacht im Reichstage nach allen Regeln der parlamentarischen Kunst umgebracht, das Auswärtige Amt aber tat nichts, um ihn zu decken. In tiefster [280] Erbitterung verließ Peters Deutschland und siedelte nach England über. Erst ein Jahr später, im März 1897, leitete das Auswärtige Amt ein drittes Disziplinarverfahren ein, fand zwar die Anschuldigung falsch (Peters bestritt die Echtheit des Tuckerbriefes), sprach ihn aber eines Mißbrauches der Amtsgewalt schuldig und entließ ihn ohne Titel und Pension aus dem Dienste.

Die Mission liebte den energischen Mann von vornherein nicht, denn er behandelte den Neger nicht als schwarzen Bruder, sondern er schoß ihn bei dem geringsten Widerstande über den Haufen. Die katholische Mission in Ostafrika vergaß ihm nicht, daß er sie früher einmal durch persönliche Verhandlung mit der Kurie in Rom der französischen Flagge beraubt hatte, jener allerchristlichsten Flagge im gesamten Auslande. Die ausgesprochene Feindschaft des deutschen Zentrums aber zog Peters sich dadurch zu, daß er Anfang 1896 den katholischen Prinzen von Arenberg aus dem Vorsitze der Abteilung Berlin der Deutschen Kolonialgesellschaft verdrängte und sich selber hinein wählen ließ; der Prinz hatte sich als Gegner der Flottenpläne erwiesen, die Peters damals angefangen hatte zu unterstützen. Die Mission war es auch, freilich die englische in Moschi, welche die Lüge von der mißbräuchlichen Amtsführung gegenüber jenen beiden Negern erfand und dem deutschen Gouverneur hinterbrachte.

Und damit gelangen wir gleich zu den Machenschaften Englands gegen den Deutschen Carl Peters. Über diese Umtriebe entrüsten wir uns, das sei gleich hier bemerkt, nicht im geringsten, denn Peters, eine Cecil-Rhodes-Natur, war tatsächlich der einzige Mann, der eine Gefahr für die britische Vormachtstellung im Osten Afrikas bedeutete, und es lag zweifellos im englischen Belange, ihn unschädlich zu machen. Peters hatte das Mittelstück Ostafrikas mit schnellem und unerwartetem Zugriffe für Deutschland gesichert, er hatte den Sultan von Sansibar durch geschickte Schachzüge in dessen eigenem Küstenbereich mattgesetzt, ja er hätte beinahe durch die Emin-Pascha-Expedition Deutsch-Ostafrikas Raum verdoppelt. Man darf [281] wohl annehmen, daß Peters durch dieses kühne Unternehmen den Engländern das Eingehen auf die Abtretung Helgolands wesentlich erleichtert hat. Aber damals schon kamen englische Versuche vor, ihn auszuschalten: die englische Blockadeflotte trachtete, ihn von der Küste Ostafrikas fernzuhalten, und eine Inderkompanie hatte Befehl, ihn, nachdem er das Innere doch erreicht hatte, ums Leben zu bringen. Peters erzählt, jemand habe 1889 im Londoner Foreign Office zu englischen Herren gesagt, man würde ihnen sehr dankbar sein, wenn Dr. Peters nicht lebendig aus Afrika zurückkäme. Und in Auswirkung davon habe der englische Hauptmann Bateman Auftrag erhalten, Peters während der Emin-Pascha-Expedition mit einer Inderkompanie zu verfolgen. Eingeborene hätten Bateman eine entfernte Stelle als das Peterssche Lager bezeichnet, worauf er 50 bis 60 Granaten habe dorthin feuern lassen, in der Hoffnung, ihn dieserart zu erledigen; dann sei er umgekehrt. Peters hat dies später aus Batemans eigenem Munde und vor Zeugen gehört, und er meint, daß er an jener Stelle wohl vorher einmal gelagert hatte.

Daß Peters noch lebte und für sein Vaterland eifrig tätig war, bekamen die Engländer bald erneut zu spüren, als er 1892 das unruhige Kilimandscharogebiet befriedete und die Grenzregelung gegen Britisch-Ostafrika zugunsten Deutschlands durchführte. Grade dieses schöne und reiche Bergland wollte England gern vollständig besitzen, und es ist von seinem Standpunkt aus verständlich, daß es die Gelegenheit der Negergeschichte durch die englische Mission Moschi mit Freuden aufgriff, um den hartnäckigen und gefährlichen Gegner auszuschalten, dessen Unbeliebtheit beim Auswärtigen Amte in Berlin ihm zur Genüge bekannt gewesen sein wird. Wenngleich die deutsche Regierung nicht so schwach war, vor einem Stirnrunzeln Englands in die Knie zu knicken, so hat doch Englands Unzufriedenheit mit Peters sicherlich dazu beigetragen, ihn dem Auswärtigen Amte noch unbequemer und mißliebiger zu machen, als er ihm ohnehin schon war.

Neben der Mission und England erwuchs unserem Carl [282] Peters aber noch eine andere Gegnerschaft: die Sozialdemokratie. Deren Mißfallen hatte Peters durch seine nationale Tätigkeit schon lange erregt. Die Kolonialspielerei mochte ihm noch hingehen, als er aber in den neunziger Jahren alldeutsche Gedanken zu äußern sich unterfing und für Flottenvermehrung sich einsetzte, da begannen die Sozialdemokraten mit ihm zu rechnen und sannen auf seine Vernichtung. Bei Gelegenheit seiner Reichstagskandidatur im Februar 1895 holten sie zum Schlage aus, indem sie die alte Negergeschichte wieder ausgruben und damit tatsächlich ihren eigenen Gegenkandidaten durchbrachten. Sein Einsatz für Flottenvermehrung, worauf Peters sich Ende 1895 in der Erkenntnis legte, daß Deutschland seine Stellung in Übersee ohne starke Flotte nicht würde halten können, brachte sie noch mehr gegen ihn auf. Und daraufhin holten sie zum letzten Schlage gegen Peters aus, indem Bebel vor dem Reichstage im März 1896 den Tuckerbrief verlas und damit einen vollständigen Sieg errang, in dessen Auswirkung Peters vom Auswärtigen Amte fallen gelassen wurde und außer Landes ging.

Dieser Tuckerbrief aber war eine ganz gemeine Fälschung! Peters hat ihn niemals geschrieben. Seiner Abwehr glaubte die Hetzmeute ebensowenig wie die deutsche Öffentlichkeit, ausgenommen einen kleinen Kreis alldeutsch gesinnter Männer, die ihren Peters kannten. Peters hatte vom Dasein eines englischen Bischofs Tucker nie etwas gehört und auch nie einen Brief an ihn gerichtet. Ja, der Bischof selber sagte bei eidlicher Vernehmung aus, daß Peters ihm völlig unbekannt sei und daß er nie einen Brief von ihm erhalten habe. Bebel selber hat drei Jahre später im Reichstage gestanden, er sei mit dem Tuckerbriefe hereingefallen und die gegen Peters erhobenen Anschuldigungen seien unwahr, aber er hat niemals den Namen des Fälschers verraten.

Mit dem Tuckerbriefe nun hatte es – was freilich erst nach dem Kriege herauskam, so daß Peters des Rätsels Lösung nicht mehr erfahren hat – folgende Bewandtnis. Die Inhaber einer deutschen Firma in Witu, die Peters bei Beginn der Emin- [283] Pascha-Expedition kennengelernt hatte, die Brüder Denhardt, die damals nicht schlecht an ihm verdienten, haben das Material an Bebel geliefert. Sie schrieben freilich an Bebel: "Peters soll einen Brief an Bischof Tucker geschrieben haben." Bebel aber in seiner parteifeindlichen Gewissenlosigkeit machte im Reichstage daraus: "Peters hat einen Brief an Bischof Tucker geschrieben." Man weiß nicht, wer der größere Schurke war: die Denhardts oder Bebel. Da nun ein längerer Briefwechsel zwischen Bebel und den Denhardts stattgefunden hat, so ist gar nicht ausgeschlossen, daß Bebel den Brief überhaupt in Auftrag gegeben hat, um den Führer der ersten deutschen Nationalisten noch rechtzeitig zu vernichten.

Auf das Verhältnis des Auswärtigen Amtes zu Carl Peters wollen wir nicht näher eingehen und uns darauf beschränken zu sagen, daß es schlecht war, daß eine starke Gruppe gegen den energischen, selbstbewußten Außenseiter arbeitete und es durchsetzte, daß man ihn fallen ließ, als der Tuckerbrief die Gelegenheit dazu bot. Fest jedenfalls steht, daß das Reich selber sich ziemlich widerstandslos des Begründers seiner größten und wertvollsten Kolonie und eines Mannes berauben ließ, der die Engländer hervorragend gut kannte. Auch eine volle Genugtuung ist dem Gestürzten nie geworden, trotzdem seine Schuldlosigkeit zutage lag. Zwar gab ihm der Kaiser 1905 auf dem Gnadenwege den Titel eines Reichskommissars a. D. zurück und ließ ihn Anfang 1914, also nach vollen achtzehn Jahren, in den Genuß der ihm zustehenden Pension eintreten, aber das Disziplinarurteil von 1897 ist niemals aufgehoben worden. —

Im Jahre 1896 in England angelangt, stand der vierzigjährige Carl Peters wieder da, wo er dreizehn Jahre vorher gestanden hatte – in England also und vor einem Nichts. Der Unterschied gegen damals war nur, daß es mit den Hoffnungen der Jugend zu Ende war. Und dazu die furchtbare Enttäuschung, von seinem ureigensten Werke, der Kolonie Deutsch-Ostafrika, getrennt zu sein!

Carl Peters ist mit blutendem Herzen nach England gezogen, [284] und er hat dort mit blutendem Herzen gewohnt, freilich nur gewohnt – denn gelebt hat er in und mit Deutschland. Mochte sein Groll gegen seine deutschen Zeitgenossen noch so tief sein – mit dem deutschen Volke fühlte und dachte er ohne Unterlaß und immerdar. Und heiß ist es oft in ihm aufgewallt, wenn er sehenden Auges miterleben mußte, wie das Reich nach 1900 immer tiefer auf der Bahn des Unheils hinabglitt – und er vermochte nichts dagegen zu tun!

Es waren achtzehn bittere Jahre freiwilliger Verbannung, die er außerhalb des Reiches verbrachte, die schwerste Zeit seines Lebens. Seine innere Bedrücktheit, ja Verzweiflung kam nicht allein daher, daß er zu Unrecht mißhandelt worden war, sondern ebensosehr aus der Erkenntnis, nicht mehr für Deutschland arbeiten zu können, nicht dessen Untergange, den er früh erkannte, sich entgegenstemmen zu dürfen. Nur Deutschland sich verpflichtet wissend und ihm sich bewahrend, widerstand er allen Anregungen und Lockungen, die englische Staatsangehörigkeit zu erwerben – eine Tat, die wir ihm nach seiner Mißhandlung in Deutschland gar nicht hoch genug anrechnen können.

Diese Ausführungen bestehen zu Recht, wenn auch Peters in seinen Lebenserinnerungen schreibt, er habe sich von Deutschland frei, jeder Verpflichtung ledig gefühlt. Nein, dieser Nationalist war seinem Vaterlande verschrieben für Zeit und Ewigkeit. Auch wenn er gelegentlich im Aufwallen seines gerechten Zornes so empfunden haben mag, auf seine Handlungen hatte das keinerlei Einfluß.

Immerhin brach er erst einmal alle Beziehungen zur Heimat ab, um Ruhe zu haben, mußte er doch wegen des Disziplinarverfahrens ohnehin noch mehrmals nach Berlin fahren. Die Engländer kamen ihm, dem Manne von Weltformat, achtungsvoll entgegen, auch war sein Name besonders durch seine Emin-Pascha-Expedition sehr bekannt geworden. Da er nur mit Engländern verkehrte und jahrelang kein Wort Deutsch sprach, so vergaß man mit der Zeit, daß er Deutscher war, und nahm ihn für einen englischen Gentleman.

[285] Von seinem Werke getrennt und aller Geldmittel beraubt, mußte Peters sich aber bald nach einem Wirkungskreise umsehen. Eintritt in englische Dienste lehnte er ab, um nicht Engländer werden zu müssen, trotzdem er die Möglichkeit hatte, Gouverneur von – Uganda zu werden, also der Nachbarkolonie Deutsch-Ostafrikas, die er auf der Emin-Pascha-Expedition erworben, auf die aber die deutsche Regierung verzichtet hatte. Seine Feinde in Deutschland freilich gingen mit der Behauptung hausieren, Peters sei in englische Dienste getreten. Kein Wort davon entsprach der Wahrheit.

Nein, wenn Carl Peters auch in England wohnte, so tat er es doch nur, weil er dessen Verhältnisse gut kannte und weil diese ihm die beste Möglichkeit zum Erwerb seines Lebensunterhaltes boten. Nun hatte er schon 1895, also noch in seiner deutschen Zeit, eine alte Karte von Afrika aus dem Jahre 1705 gefunden, auf welcher die portugiesischen Goldmärkte des 16. und 17. Jahrhunderts eingetragen waren. Quellenstudien brachten ihn auf den Gedanken, daß die Goldfundstätten Südostafrikas das biblische Ophir Salomos sein müßten. Zur Untersuchung und Ausbeutung derselben gründete er eine Gesellschaft, die trotz ihres englischen Namens Dr. Carl Peters Estates and Exploration Co. vorwiegend mit deutschen Anteilscheinen arbeitete. Von 1899 an führte er sechs Expeditionen zwischen Sambesi und Sabi aus, wo er zwar zahllose antike Minen, aber nur wenig Gold entdeckte. So schön diese Zeit ruhiger Studierarbeit und hoffnungsfrohen Reisens auch war, sie brachte ihm doch mehr Unkosten als Gewinn, weshalb er die Gesellschaft 1910 an eine englische Geldgruppe verkaufte. Trotzdem sagte er von dieser Zeit, niemals in seinem Leben habe er sich glücklicher gefühlt, und er habe sich in ihr zu sich selber zurückgefunden. Literarischen Niederschlag fanden seine Bemühungen in dem Werk Im Goldlande des Altertums. Forschungen zwischen Sambesi und Sabi, das 1902 in dem alldeutschen Verlage von J. F. Lehmann zu München erschien.

In die gesellschaftlichen, kultürlichen und politischen Verhältnisse Englands drang er in jenen Jahren, die er teils in [286] England, teils in Südafrika verlebte, immer tiefer ein, wie er auch die führenden Politiker des Weltreiches kennenlernte. Zeugnis hiervon ist sein Buch England und die Engländer, das 1904 gleichzeitig deutsch und englisch erschien. Es ist neben seinen Lebenserinnerungen sein bestgeschriebenes Buch. Über seinen englischen Aufenthalt bleibt nur noch zu sagen, daß Peters im Jahre 1909 heiratete, eine Deutsche natürlich.

Der Weltkrieg sollte auch das Verhältnis Englands zu Peters auf die Probe stellen, indem er den Engländern erst bewußt machte, daß Peters nicht zum Engländer geworden, sondern Deutscher geblieben war. Peters aber erlebte auch hier eine Enttäuschung, denn auch er hatte sich in der Anständigkeit der Engländer insofern geirrt, als er ihnen einen Raub deutschen Privateigentums nicht zugetraut hatte. Sie plünderten auch ihn aus, nachdem er sich auf der Polizei als Deutscher gemeldet hatte – worob man dort aus allen Wolken fiel. Da er das militärpflichtige Alter längst überschritten hatte, ließ man ihn nach Beschlagnahme seines Bankguthabens zwar auf freiem Fuße, aber nach einiger Zeit fing man doch an ihn zu überwachen, ja zweimal wurde zwecks Durchwühlung seiner Papiere bei ihm eingebrochen. Selbst jetzt lehnte er die an ihn herangetragene Versuchung ab, sich als Engländer naturalisieren zu lassen. Mehr als je fühlte er sich seinem gefährdeten Volke verbunden.

Im Oktober 1914 erbat und erhielt er Erlaubnis, nach Deutschland zu übersiedeln, wobei ihm freilich sein Vermögen mit Ausnahme einer kleinen Summe vorenthalten wurde. Aber selbst hiermit war seine Leidenszeit noch nicht beendet. Man sollte denken, dem feindumdrohten Reiche, welchem England mit seiner Aushungerungsblockade und seinem Lügenfeldzuge der gefährlichste Gegner war, hätte ein Englandkenner wie Peters hoch willkommen sein müssen. Weit gefehlt! Peters brachte sogar einen privaten Auftrag aus den Kreisen des Foreign Office mit, den nämlich: in Berlin eine Beendigung des Krieges mit Wiederherstellung des alten Zustandes, aber mit einer Abtretung belgischen Gebietes ans Reich [287] vorzuschlagen. Leider fand Peters erst im Winter 1916/17 Gelegenheit, mit einer verantwortlichen deutschen Persönlichkeit darüber zu sprechen – daß es nicht früher geschah, sei nicht seine Schuld gewesen, sagte er.

Denn obwohl Carl Peters Versuche gemacht hat, in Deutschland für Deutschland an verantwortlicher Stelle mitzuarbeiten, so hatte er doch nicht den geringsten Erfolg. Er hat, wie so mancher tüchtige Mann, untätig zur Seite stehen müssen und hat nur eine Reihe politischer Aufsätze veröffentlichen können. Seine politischen Schriften sind in zwei Büchern gesammelt erschienen: Zur Weltpolitik (Berlin 1912. 383 S.) und Zum Weltkrieg (Hamburg 1917. 239 S.). Sie haben das Los der Vergessenheit, dem sie anheimgefallen sind, nicht verdient. Sie beweisen, daß Peters einer der klügsten und weitestschauenden
Scriptorium merkt an:
einen kurzen Auszug aus Carl Peters' Buch Die Gründung von Deutsch-Ostafrika finden Sie hier!
Köpfe der wilhelminischen Zeit war und das Heraufziehen des Ungewitters klaren Auges beobachtet hat; es sind Perlen politischer Vorausschau darin.

Zuletzt in Bad Harzburg lebend, ist er am 10. September 1918 in der Kuranstalt Woltorf bei Peine gestorben – ganz in der Nähe der Heimat seines Vaters. Er ist nur zweiundsechzig Jahre alt geworden. Den Zusammenbruch seines Vaterlandes hat er nicht mehr mit ansehen müssen. Im Jahre 1918 erschienen seine Lebenserinnerungen, 1934 hat Richard Wichterich sein Leben geschildert.

 
Das Charakterbild

Lassen wir die Reihe der in diesem Buche behandelten Afrikaner an uns vorüberziehen, so fällt uns die kleine drahtige Gestalt von Carl Peters durch das unverhüllte Bedürfnis nach Geltung seiner Ichheit sowie durch das Ungestüm und die Bedenkenlosigkeit der Einsatzbereitschaft auf. Nicht aus einem tiefen Wissen um Afrika konnte er seine Erfolge ableiten – darin war er Lüderitz ähnlich – sondern lediglich aus seinem Willen als Ich und aus seinem Müssen als deutscher Nationalist. Und was Lüderitz seinem Ziele an Geld zubrachte, das war bei Peters eine rührige Geschäftigkeit, die nicht müde wurde, fördersame Gründungen zustande zu [288] bringen. Ein Wissmann, der wohl der bessere Afrikakenner war, mutet neben Peters fast ein bißchen spießbürgerlich an. Wie denn auch seine Tragik in viel stilleren, allerdings in vorzeitigen Tod ausmündenden Formen sich abspielte. Tragisch ist das Leben aller drei Männer ausgegangen, die um die Gründung unserer Kolonien größere Verdienste als irgendwer sonst erworben haben: der eine auf verzweifelter Suche nach einem letzten Gelingen verschollen, der andere kaltgestellt und in Gram auf der Jagd verunglückt, der dritte geächtet und verbannt – getrennt aber alle drei von ihrem Werke. —

Carl Peters
[zwischen S. 256 u. 257]      Carl Peters
Die Vorfahren von Carl Peters stammten aus dem mittleren Niedersachsen, von dort, wo die Ebene an bewaldete Hügelketten grenzt und der Charakter der Bevölkerung sich etwas aufzulockern beginnt. Die Mutter hatte ein breites fälisches Gesicht; im Vater, blauäugig wie seine Frau, weisen schwere Augenlider und knochige Jochbögen auf einen anderen, vielleicht ostbaltischen Einschlag. Begabt und interessiert, energisch und selbstbewußt, verfolgte er eine liberale kirchliche Richtung und stellte sich dadurch zur hannoverschen Landeskirche in Gegensatz. Die uns von Carl Peters selbst überlieferten Bilder zeigen uns eine unter Mittelgröße bleibende, drahtige, gewandte und sehr muskelkräftige Gestalt. Als Student erlangte er auf einem allgemeinen deutschen Schauturnen den zweiten Preis im Ringen, und als Siebenundzwanzigjähriger versuchte er zweimal den Kanal zu durchschwimmen, wenn auch beide Male nicht mit vollem Erfolg. Er hatte einen rein nordisch gebildeten Kopf mit schöner, rückwärts weit ausladender Schädelwölbung, schmalem Antlitz und leicht gebogenen Nasenrücken. Die Augen waren blau, das Haar scheint mittelblond gewesen zu sein. Auffallend ist an dem Gesichte der ganz stark ausgeprägte nordrassische Ausgriff in die Weite, der stets gewillt und sich bewußt war, mit dem Gegenüber seines Ichs in Auseinandersetzung zu treten. Es ist das Antlitz eines Wikings und Frondeurs, der gar nicht anders kann, als sich, und sei es in Widerspruch zu allem Hergebrachten, durchzusetzen, koste es, was es wolle. Das Innere dieses Mannes spiegelte sich so [289] getreu in seiner äußeren Erscheinung wider, wie man es nicht oft zu sehen bekommt.

Versucht man das Charakterbild unseres Carl Peters auf eine möglichst einfache Formel zu bringen, so muß man etwa sagen: Er war ein geistig unterbauter Tatmensch, der auf unablässige Auseinandersetzung mit der Außenwelt bedacht war, soweit diese ihm Problem wurde, also vornehmlich innerhalb des Gegensatzes Deutschlands zur übrigen Welt. Auseinandersetzung mit der Außenwelt bietet leicht Gelegenheit zu Kampf und Streit, besonders aber dann, wenn sie angeborener Dauerzustand, sozusagen eingeborenes Protestantentum ist. Kommt bei einem derart veranlagten Menschen noch eine Unbeugsamkeit hinzu, die ihre Ansicht namentlich gegenüber einer starren Beamtenhierarchie heftig verteidigt, dann sind alle Vorbedingungen zum Fallen gegeben, die eine zahlreiche Gegnerschaft jetzt nur noch geschickt zu nutzen braucht.

Die Natur des Carl Peters ist ohne innere Kompliziertheit und Problematik, sie ist vollkommen eindeutig. Die Schwere des Lebensganges führt lediglich auf seinen allzu feurig vertretenen Ichstandpunkt zurück. Wäre er eine geschmeidige Natur gewesen, die sich den Anforderungen des Auswärtigen Amtes williger angepaßt hätte, so hätte Peters es "weit bringen" können.

Durchaus nordisch ist der Grundzug seines Charakters: der Ausgriff möglichst nur aus sich heraus, und zwar möglichst in die Weite. Peters beruhte nicht in sich selber, er ermangelte innerer Weisheit – und wenn solche im Alter aufzutreten schien, dann war sie in Wirklichkeit doch nur Verzicht und Entsagung. Er brauchte stets ein Gegenüber, dem er sich stellen konnte, um es anzugehen. Es lag ihm nicht so sehr daran, dessen Problematik zu lösen (von philosophischer, überhaupt rein geistiger Arbeit kam er früh ab), sondern er wollte es erobern, in Besitz nehmen. Mochte es sich um einen Menschen, um ein Volk, um ein Land handeln, er begehrte, sie sich zu eigen zu machen. Seine Taktik dabei war nicht die, zu überzeugen, ja auch nur zu überreden zu suchen, nein, er forderte heraus, holte in die Schran- [290] ken, um als alter Ringer und Fechter, der er war, alle Welt zu seinen Füßen zu legen. Und auch dann, wenn es nicht darum ging, den oder das andere zu erobern, dann wollte er doch wenigstens sein Ich gegenüber dem andern Ich erweisen, vor sich selber und vor den Augen der Zuschauer. Ja, in jüngeren Jahren, solange das eigentliche Ziel des Lebens noch nicht erkannt ist, verbleibt jenes Bedürfnis nach Kampf oft in der niedrigeren Ebene des großen Geltungsbedürfnisses, das sich zufrieden gibt mit dem Siege an sich, ohne daß dieser schon der Ausdruck einer tatsächlichen Eroberung und Machterrungenschaft ist. Aber selbst dann handelt es sich nie um leeren Blöff, sondern wirkliches Mehrkönnen hat sich gegenüber dem geringeren Können Anderer durchgesetzt.

So nahm der für Carl Peters charakteristische Ausgriff in die Weite in seiner Entwicklung folgenden Weg. In der Jugend zeigte er sich nur als Geltungsbedürfnis, das sich mit der Idee des Sieges und dem ausströmenden Selbstgefühl begnügte, so wenn er für die Schule nur lernte, um in den Leistungen als Erster dazustehen, oder wenn er als Student nach erfolgreicher Preisarbeit mit neugekauftem Pelzrock und Zylinder vor der Berliner Universität einherstolzierte. Im Mannesalter wuchs sich der Ausgriff in Tat aus, nämlich in die Gründung Ostafrikas und dessen Schenkung als Kolonie an das deutsche Volk.

Ausgriff in die Weite ist stets Kampfstellung. Nur wer mutig und entschlossen, hartnäckig und unbeugsam ist, vermag solche auf die Dauer zu halten. Carl Peters ist niemals vor etwas zurückgeschreckt, mochten es blutgierige Neger oder verständnislose Beamte sein. Schon früher empfand er Examensfieber als höchst lächerlich. Die Durchführung der gefährlichen Emin-Pascha-Expedition zeigt seinen Mut, um nicht zu sagen seine Tollkühnheit in allerhellstem Lichte. Und es gab nichts in der Welt, durch das er sich hätte kleinkriegen lassen. Schon als älterer Schüler gab er ja Nachhilfestunden und schriftstellerte, um sich nach des Vaters frühem Tode auf der Klosterschule halten zu können. Widerstände härteten nur seine Unternehmungslust und Tatkraft, etwa wenn englische Kriegsschiffe ihm [291] die Landung an der afrikanischen Küste zu verbieten suchten – was ihn fast in übermütige Stimmung brachte. Nun grade! war dann sein Wahlspruch. Schon 1884, als ihm die Reichsregierung durch das Generalkonsulat in Sansibar eröffnen ließ, er habe keinen Anspruch auf ihren Schutz, da gab er nicht auf, sondern führte den Plan der Begründung Ostafrikas trotzdem aus. Auf der Emin-Pascha-Expedition hatte er sich zum Grundsatze gemacht, stets selber anzugreifen, sobald er den Eindruck gewann, daß Kampf doch nicht vermeidbar sei; er wollte sich die moralischen Vorteile der Initiative sichern. Und in der Tat hat er Stanley, den wegen seiner eisernen Energie berühmten englischen Afrikaner, an unbezähmbarer Energie und kalter Entschlossenheit mindestens erreicht, an tollkühnem Mute weit übertroffen. Das Abenteuer suchend, ja es gradezu erzwingend und ihm stets gewachsen, blickte er den schwierigsten Lagen fest ins Auge.

Obwohl nie Soldat gewesen, führte und kämpfte er gleich einem alten Troupier, schnauzbärtig und adleräugig. Aber er besaß weit mehr als Militärcourage; er hatte auch Zivilcourage. Freilich daß er sie grade Bismarck gegenüber zur Anwendung brachte, bedeutete doch den allerersten Beginn seines Falles.

So war Carl Peters der geborene Tatmensch, der Typus des modernen Eroberers, der wikinghaft in die Welt hinausstürmt, seinem Volke neues Land zu erobern – seinem Volke oder, wenn dieses es nicht mag, sich selber. Man kann ihn nur mit den Konquistadoren der Zeit um 1500 vergleichen. Zum bloßen Geschäftsmanne größten Stiles hatte er zuviel Belastung mit nationalen und geistigen Dingen in seinem Lebensgepäck, zum Feldherrn fehlte ihm die militärische Schulung und die Gelegenheit (obwohl er den Araberaufstand in Ostafrika vielleicht nicht schlechter als Wissmann niedergeschlagen haben würde). So blieb für die Ausweitung seiner Tatkraft nach dem Maße seiner Zeit nur noch die Gründung und Eroberung einer Kolonie. Ja, seine Pläne gingen zeitweise noch weiter, nämlich nach der Errichtung eines eigenen Reiches in Afrika. Er erzählt, daß er auf der Emin-Pascha-Expedition [292] angesichts der ihm vom Reiche bereiteten Schwierigkeiten den Plan erwogen habe, die Äquatorialprovinz und Uganda sich selber zu unterstellen und ein eigenes Petersreich zu gründen. Hätte er Emin noch in Äquatoria angetroffen, so würde er das wohl versucht und auch durchgeführt haben, und eine Reihe von Jahren hätte er sich gegen die Engländer ganz wohl behaupten können.

Aber er war nicht nur Eroberer, sondern auch Politiker, und zwar beides schon früh, von Jugend auf gleichzeitig. Als Schüler gründete er eine Partei und ging nebenher auf Ringkämpfe mit anderen älteren Jungens aus; als Student setzte er dieses planvolle und zugleich hitzige Leben fort. Sein Vorgehen war stets so, daß er einen Anhang, eine Partei um sich scharte und dann mit dieser den Gegner erschütterte, so daß er Herrschgewalt erlangte. In dem Ringen um Ostafrika stellte die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft seinen Anhang dar, aber dieser war doch nicht stark und einflußreich genug, um ihn gegen seine Widersacher ausreichend zu stützen. Das ganze deutsche Volk zu seiner Anhängerschaft zu machen, ist ihm mißlungen. Er selbst hat später von sich gesagt, die Veranlagung und Neigung zur Politik sei die wichtigste Seite seines Wesens gewesen, hinter welcher alle anderen zurückgetreten seien. Er war ein hervorragender Rechner, der scharf genug die Möglichkeiten abzuwägen verstand, und er war gleichzeitig ein glühender Patriot, der heiß genug zur Ausführung solcher Berechnungen sich ins Zeug zu legen vermochte.

Und da seine politische Neigung ganz ausschließlich auf Mehrung und Stärkung des Deutschen Reiches ausging, so waren in ihm die allerschönsten Vorbedingungen gegeben zum erfolgreichen Politiker großdeutschen Formates. Schon der Vierzehnjährige geriet unter dem Eindrucke des Siebziger Krieges in die Bahnen des Patriotismus. Der Übergang von der Gefühlsmäßigkeit zur Bewußtheit, vom Patriotismus zur Nationalgewilltheit vollzieht sich dem Dreiundzwanzigjährigen während seines ersten Englandaufenthaltes, indem er sich seines Gegensatzes zum Engländertum und zu dem verengländerten [293] Oheim bewußt wurde. Zum Aktivismus wurde die gefühlsmäßig unterlegte Erkenntnis nach der Rückkehr in die Heimat und im Ringen um Ostafrika. Zu fanatischem Nationalismus flammte dies alles in ihm zusammen, als er ausgangs der achtziger Jahre erkannte, wie wenig Verständnis weite Kreise des deutschen Volkes für seine nationalen Belange aufbrachten und wie sehr es nötig sei, solches in ihnen zu erwecken und zu vertiefen. Man darf sagen, daß Carl Peters die Keimzelle des neudeutschen Nationalismus geworden ist, aus welcher die beiden Blüten Alldeutsch und Deutschvölkisch ersprossen sind. Er war eigentlich der erste moderne Deutsche, der schon in Festländern und Meeren dachte, als Deutschland noch in Europa dachte. Aber er dachte kolonial zu früh für sein Volk und für seine Regierung. Derartige Vorläufer werden immer von ihren Zeitgenossen verfolgt, unterdrückt, ausgestoßen. Die nationale Linie war in Peters so fest eingebettet, daß sie durch nichts, weder durch englische Verlockung noch durch Schmähung von seiten des eigenen Volkes in ihm ausgetilgt werden konnte. Er war und blieb der vorbildliche Deutsche. Die bittere Enttäuschung seines Nationalismus durch das eigene Volk setzte sich ihm nicht in das Koriolanschicksal des Abtrünnigen um, sondern nur in Verbittertheit und dann in Entsagung – ein erschütterndes Beispiel des verkannten und verbannten Patrioten.

Betrachten wir die Geistigkeit dieses politischen und wehrhaften Tatmenschen, so bewundern wir die Verbindung eines scharfen, klaren Verstandes mit eisernem Willen und stürmischem Drange. Wenn er sich auch anfangs als Schriftsteller und als Gelehrter auf geschichtlichem, ja philosophischem Gebiet versuchte, so waren dies doch nichts als Irrwege des Jünglings, der den roten Faden seines Lebens noch nicht gefunden hatte; in Wirklichkeit war er durchaus kein Denker, d. h. nicht ein Mann, der das Denken des Denkens halber betreibt. Denken war ihm, nach der Inspiration, nur das Mittel, um den Weg zur Tatleistung freizulegen. Konzeption der Idee – Durchdenken von deren politischen (später geschäftlichen) Möglichkeiten – Ausführung durch Tat – dies ist stets die [294] Kette seiner schöpferischen Entfaltung gewesen. Denker war er nur, soweit er als Tatmensch davon Nutzen hatte, das Denken war ihm Diener der Tatleistung. Erst später, als er notgedrungen Geschäftsmann wurde, da scheint das Denken nicht unbedingt Beförderung des Leistens gewesen zu sein, denn es bannte ihn wohl zu sehr an die auf dem Denkwege gewonnene Überzeugung, daß, wo antike Goldminen gewesen seien, auch moderne sich müßten anlegen lassen. Als Schriftsteller nicht bedeutender, als die Darlegung seiner Taten es grade erforderte, war Peters doch der geistig am besten unterbaute, der kultivierteste aller Wikinge und Konquistadoren, von denen wir wissen. Schon als zwanzigjähriger Student hat er klar erkannt, daß nicht Schriftstellerei, sondern Tat sein eigentliches Lebenselement sei.

So verfügte Carl Peters als geistig unterbauter Tatmensch mit politischer, nationalistisch gefärbter Zielsetzung über ausgezeichnete Eigenschaften, die ihn hoch hätten emportragen können. Sein Denken und Trachten war doppelt zentriert: Zuerst im Ich-Gedanken, der ihn zur Geltendmachung seiner Person trieb und seinen ganzen Lebenswillen ausrichtete; sodann im Wir-Gedanken, der jenen auf Volk und Reich erweiterte. Er sah sein Ich im Wir gespiegelt und wollte das Wir mit dem Ich erfüllen. Und trotzdem lehnte das Wir, wenn es auch Ostafrika annahm, das Ich ab, ja stieß es sogar von sich. Sein angeborener Trotz und seine Heftigkeit, letztere sowohl im Wollen wie im Sichgeben, errichteten eine Schranke zwischen Ich und Wir, mit welcher dieses letztere sich nicht abfinden konnte. Sein ungestümes Wesen wandte sich in jedem Falle und bei jeder Gelegenheit auf die letzte Wahrheit und nahm in deren Erreichung keinerlei Rücksicht. Damit aber mußte er zu der Beamtenhierarchie seiner Zeit in Gegensatz geraten, denn er war Entweder-Oder-Mensch, der alles wollte oder nichts. Auf diese Eigenschaft führten seine Erfolge als freier und in der Selbständigkeit seiner Entschlüsse unbehinderter Mann zurück, in der gleichen Eigenschaft aber gründete sein frühes Zerwürfnis mit dem Auswärtigen Amte, besonders dann, als er diesem [295] unterstellt wurde. Namentlich daß er Politik auf eigene Faust machen wollte, das erschien dort unerträglich.

Damit dürfte der Charakter von Carl Peters in seinen wesentlichen Zügen umrissen sein, und es ist nur wenig hinzuzufügen. Er besaß eine rasche geistige Reaktionsfähigkeit, die blitzschnell auf Eindrücke zeichnete und ihn auch in den schlimmsten Lagen nicht verließ, sondern zu unmittelbarem Handeln befähigte. Als Mensch zu Mensch war er schneidig und bestimmt im Auftreten, forderte, daß man auf ihn hörte und ihm gehorchte. Aber er blieb höflich, solange das anging. Gegen Gleichgestellte und Untergebene freundlich, machte er ein steifes Rückgrat vor Höhergestellten oder Vorgesetzten.

Mit einem Worte: er war eine ausgesprochene Führernatur. Sein Leben war Ausgriff und Abwehr, er ging niemals einer Schwierigkeit aus dem Wege, sondern faßte sie klar ins Auge und griff sie an. Er handelte schnell, aber er unterhandelte nicht lange.


Mehr aus unserem Archiv:

Carl Peters. Biographie von Paul Baecker.








Unsere großen Afrikaner
Das Leben deutscher Entdecker und Kolonialpioniere

Ewald Banse