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Bd. 5: Der österreichisch-ungarische Krieg

  Kapitel 25: Der Zusammenbruch   (Forts.)
Staatsarchivar Oberstleutnant Edmund Glaise-Horstenau

2. Der Verlust des Balkans.

Inzwischen hatte sich auf dem Balkan eine entscheidende Wendung vollzogen. Bulgarien war zusammengebrochen, und die Türkei, seit Wochen schon in Syrien heftig bedrängt und nun auch in Europa schwer gefährdet, stand unmittelbar vor dem gleichen Schicksal.

Noch anfangs September hatte der Zar Ferdinand in Wien geweilt und dort wohl erneute Versicherungen seiner unbedingten Bundestreue abgegeben, zugleich aber auch über das Ausbleiben deutscher Waffenhilfe geklagt und mit seinen Besorgnissen wegen des Kriegsausganges nicht zurückgehalten. Ebenso lauteten die Nachrichten aus der bulgarischen Front von Tag zu Tag ungünstiger. In Sofia gewannen unter dem Nachfolger Radoslawows, dem neuen Ministerpräsidenten Malinow, die deutschfeindlichen Parteigruppen zusehends die Oberhand. Dessenungeachtet hatte man weder in Österreich noch in Deutschland gewähnt, daß sich das Schicksal Bulgariens so rasch erfüllen werde. Am 15. September durchbrach die feindliche Orientarmee die bulgarische Front an der Cerna; kaum 48 Stunden später befand sich das bulgarische Heer in voller Auflösung. Am 26. bat Malinow um einen Waffenstillstand, der am 29. bewilligt wurde und den Kaisermächten einen Vorgeschmack dessen geben konnte, was sie bei einer völligen Niederlage erwartete. Am 4. Oktober dankte Zar Ferdinand, um die Dynastie zu retten, zugunsten seines Sohnes Boris ab.

Der Zusammenbruch Bulgariens riß in den Verteidigungswall der Verbündeten an einer überaus wichtigen Stelle eine gefährliche Bresche. Er öffnete dem Feinde den Landweg nach Konstantinopel, wo angesichts der schweren Lage in Palästina das deutschfreundliche System Talaat-Enver schon stark wankte. Er bedrohte die Walachei, deren schwache Besatzung für eine ernste Verteidigung um so weniger ausreichte, da die in die Moldau gedrängten Rumänen höchstens durch ihren Munitionsmangel von einem Losschlagen zurückgehalten werden konnten. Er setzte Altserbien, Bosnien, Südungarn der feindlichen Invasion aus und bedrohte die von zwei italienischen Divisionen festgehaltene Armeegruppe Albanien aufs schwerste in Flanke und Rücken. Die paar deutschen Bataillone der bulgarischen Front, die sich in guter Haltung aus dem Zusammenbruch losgelöst hatten, kamen gegenüber den beiderseits des Vardar vordringenden 28 Divisionen Franchet d'Espereys kaum in Betracht. Wohl oder übel mußten sich die verbündeten Heeresleitungen entschließen, zwischen der Armeegruppe Albanien, die anfangs Oktober auf Montenegro [598] wich,3 und der rumänischen Donau eine neue Front aufzurichten. Der unmittelbar nach dem Beginn des bulgarischen Niederbruchs gefaßte Plan, die Verbindung Sofia - Konstantinopel noch irgendwie zu behaupten, wurde infolge der Wendung in Bulgarien alsbald aufgegeben. Schon Ende September zogen sich die nach Sofia entsendeten verbündeten Truppen, die deutsche 217. Division und zwei österreichisch-ungarische Bataillone, nach Altserbien zurück.

Der Zusammenbruch Bulgariens traf die Kaisermächte in einer außerordentlich gespannten militärischen Lage. Auf dem italienischen Kriegsschauplatz herrschte zwar verhältnismäßig Ruhe und die deutsche Oberste Heeresleitung war der Meinung, daß es hier angesichts des unmittelbar bevorstehenden Winters überhaupt zu keinen größeren Kämpfen mehr kommen werde. Das Armee-Oberkommando Baden vermochte sich dieser Ansicht nicht anzuschließen und sah dem augenscheinlich bevorstehenden Angriff der Alliierten mit um so größerer Sorge entgegen, als die politische Entwicklung dem k. u. k. Heere heute oder morgen schwere Wunden schlagen mußte.

Die deutschen Armeen im Westen standen nach wie vor unter dem schärfsten Druck der von Stunde zu Stunde stärker wirkenden Übermacht der Feinde. Als gegen Mitte September die amerikanische Armee des Generals Pershing gegen den weit vorspringenden Bogen von Saint Mihiel zum Angriff vorging, wurden zum erstenmal größere österreichisch-ungarische Verbände in die Brandung des Westkampfes hineingerissen. Der gegen die Combreshöhe gerichtete Angriff des amerikanischen V. Korps streifte auch die südwärts stehende k. u. k. 35. Division, die zuerst um 1 km zurückwich, dann aber sich behauptete und noch mit Erfolg zugunsten der hart mitgenommenen nördlichen Nachbarn eingreifen konnte. Die Heeresleitung sprach sich zu dem österreichischen Militärbevollmächtigten General v. Klepsch-Kloth über das Verhalten der Division sehr lobend aus. Sie erneute, einen Angriff gegen die Vogesenfront besorgend, am 19. September ihre Bitte um die Entsendung weiterer k. u. k. Heeresverbände. General v. Arz verwies auf die schmerzliche Tatsache, daß seine italienische Front bloß 270 000 Feuergewehre zähle, erklärte sich aber dessenungeachtet bereit, zwei Divisionen zur Verfügung zu stellen, eine aus Venetien und eine aus der Ukraina; - es frage sich nur, ob diese Truppen nicht in Mazedonien noch dringender nötig seien als im Westen. Die Entscheidung fiel zugunsten des Balkans. Die von der italienischen Front herangeführte 9. Division Feldmarschalleutnant v. Greiner trat am 3. Oktober nach sechstägiger Eisenbahnfahrt, mit 3500 Feuergewehren und einer Batterie, malariadurchseucht, hungernd und in zerrissenen Zwilchuniformen, südlich von Vranja in den Kampf gegen eine mindestens zehnfache Übermacht. Bis zum 8. Oktober [599] schrittweise auf Leskovac zurückweichend, leistete sie mehr, als man von ihr erwarten durfte.

Unterdessen sammelten sich bei Nisch die ersten Staffeln der neuen 11. Armee General d. Inf. v. Steuben. An Deutschen standen zunächst das Alpenkorps, die 219. und die am linken Flügel anschließende 217. Division zur Verfügung; ihnen sollte zu einer späteren Frist die 6. Reservedivision folgen. In Österreich hatte man den Entschluß gefaßt, das russische Donezbecken zu räumen und die Besatzung der Ukraina auf drei Infanterie- und zwei Kavalleriedivisionen zu vermindern. Die dadurch frei werdenden Kräfte, die 30. und 59. Infanterie- und die 4. Kavalleriedivision, konnten zwischen dem 5. und dem 20. Oktober tropfenweise in Altserbien eintreffen. Die als Heimatbesatzung verwendete 32. Division wurde gleichfalls in Marsch gesetzt, kam aber so spät, daß sie nur mehr die Verteidigung der unteren Drina zu übernehmen vermochte.

Zum Heeresgruppen-Oberbefehlshaber über die 11. Armee und die Armeegruppe Albanien wurde Feldmarschall v. Köveß, der Eroberer von Iwangorod und Belgrad, bestellt. War es ursprünglich Absicht der Verbündeten, die Linie Skutari - Ipek - Mitrowica - Nisch zu behaupten, so mußte der Feldmarschall schon am 8. Oktober feststellen, daß dies nur noch "durch ein Wunder" zu ermöglichen sei. In der Tat war der Verlust von Prizren und Pristina nur mehr eine Frage von Stunden, womit gleichzeitig der Fall Mitrovicas in nächste Nähe rückte. Noch größere Gefahr drohte, wenn auch nicht für die allernächsten Stunden, von Südosten her, wo die Franzosen am 8. Küstendil erreichten und in wenigen Tagen über Sofia die Donaulinie gewannen.

Das Armee-Oberkommando Baden ließ angesichts dieser gespannten Lage am 11. den Feldmarschall wissen, daß es "nur darauf ankomme, das Vordringen des Gegners über die Grenzen der Monarchie (Bosnien und die Herzegowina inbegriffen) zu verwehren". Dabei sei freilich aus wirtschaftlichen Gründen serbischer Boden so lange als möglich zu halten.

Unterdessen war es zwischen Leskovac und Nisch gelungen, eine schüttere Front herzustellen. Die Mitte und den linken Flügel bestritten die Deutschen, am rechten wurden Teile der wenig widerstandsfähigen k. u. k. 30. Division eingesetzt. Von einer dauernden Behauptung der dünnen, weit klaffende Lücken aufweisenden und in den Flanken offenen Stellung konnte nicht die Rede sein. Am 12. Oktober mußte Nisch der durch Franzosen und zahlreiche Landesbewohner verstärkten serbischen 1. Armee preisgegeben werden. Die 11. Armee wurde auf die Höhen zwischen Aleksinac und Krusevac und hinter die westliche Morawa zurückgenommen. Der Feind folgte nur zögernd, er vermochte wegen der Gelände- und Nachschubschwierigkeiten erst nach einigen Tagen den Angriff wieder aufzunehmen. Aber er hatte es nicht eilig. Denn die Entscheidung lag für ihn weniger im Morawatal als im Timok- [600] tal, wo die serbische 2. Armee am 19. Zajecar besetzte, und an der rumänisch-bulgarischen Donau, an deren Südufer die französische Kavalleriedivision Gambetta über Vidin vordrang.

Feldmarschall Köveß warf das Spitzenregiment der aus der Ukraina heranrollenden k. u. k. 4. Kavalleriedivision, die ostgalizischen 13. Ulanen, als Flankenschutz nach Turn Severin am Ausgang des Eisernen Tores. Als die Ulanen auf das Südufer der Donau gebracht werden sollten, widersetzten sie sich mit der Begründung, daß sie als Polen und Ruthenen auf diesem Kriegsschauplatz nichts mehr zu suchen, sondern heimzukehren hätten. Schon tags zuvor hatte sich bei Jagodina das ungarische Feldjägerbataillon Nr. 3 geweigert, an die Front zu marschieren. Andere Abteilungen, slowenischer Landsturm und polnisch-ruthenische Kanoniere, folgten dem Beispiel der Ulanen und Jäger.4 Wie wäre das auch anders möglich gewesen bei der Entwicklung, die inzwischen die Verhältnisse in der Heimat und in der großen Welt genommen hatten!

In denselben Tagen, als sich in Serbien diese früher im Heere undenkbaren Geschehnisse begaben, ließ - es war am 18. Oktober - Izzet Pascha, der Nachfolger Talaats als Großvezier, dem k. u. k. Botschafter in Konstantinopel eröffnen, daß die Türkei gezwungen gewesen sei, die Entente um einen Waffenstillstand und einen Sonderfrieden zu bitten. Es war nur mehr eine Frage von Stunden, daß englische und französische Kriegsschiffe am Goldenen Horn erschienen. Die Balkanpolitik der Kaisermächte war zusammengebrochen.


3 [1/598]Siehe S. 511 ff. ...zurück...

4 [1/600]Bei einem Bataillon des aus der Walachei herangeführten k. k. Landsturmregiments Nr.  27 kam es hierbei in Kladovo unter der Einwirkung Negotiner Weins zu einem blutigen Kampf zwischen Südslawen und Italienern. Ein Donaumonitor, der eingreifen sollte, hißte im entscheidenden Augenblick die rote Fahne. Die Mannschaft der Batterie, die sich geweigert hatte, serbischen Boden zu betreten, sagte einstimmig aus, daß ihnen von deutschen Soldaten erzählt worden sei, feindliche Unterseeboote (!) hätten beim Überschiffen schon acht Batterien in die Donau versenkt. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte