SucheScriptoriumBuchversandArchiv IndexSponsor


Bd. 5: Der österreichisch-ungarische Krieg

[455] Kapitel 20: Die Zeit der Friedensschlüsse im Osten
Staatsarchivar Oberstleutnant Edmund Glaise-Horstenau1

1. Die Bolschewiken-Revolution in Rußland.

Schon in den ersten Wochen der Kanzlerschaft Michaelis mußte Graf Czernin die Hoffnung begraben, die deutschen Bundesgenossen zu Opfern im Westen bewegen zu können. Mit den in dieser Richtung gegebenen Erklärungen der Wilhelmstraße büßten auch die Kreuznacher Abmachungen in den wesentlichsten Teilen ihre Geltung ein, da gleichzeitig das Junktim zwischen den Reichslanden, Polen und Rumänien gefallen war. Die beiden Kaisermächte sollten ihre Kriegspolitik auf neue Grundlagen stellen: Rückkehr zur austro-polnischen Lösung, dafür enger wirtschaftlicher Anschluß Rumäniens an Deutschland! Dieser Neuorientierung galten die Besprechungen, die in den Monaten September, Oktober und November von den verbündeten Kabinetten abgehalten wurden.

In der Wilhelmstraße vermochte man auch jetzt noch nicht, die Bedenken, die deutscherseits gegen die Vereinigung Polens mit Österreich-Ungarn vorgebracht wurden, leichten Herzens fallen zu lassen. Aber man war dazu geneigt, wenn die Donaumonarchie sich auf ein zwanzigjähriges, enges, politisches, militärisches und wirtschaftliches Bündnis mit Deutschland festlegte; ein Vorschlag, der auch von Wien trotz des inneren Widerstrebens des Kaisers angenommen wurde. Kaiser Wilhelm hatte die Absicht, bei seinem Besuche an der italienischen Front seinem Bundesgenossen die Zustimmung zur austro-polnischen Lösung als Siegesangebinde mitzubringen. Die Ausführung dieses Planes unterblieb; sie hätte in weiterer Folge der inneren und der äußeren Politik Österreichs manche Erleichterung gebracht.

Die Verhältnisse in Polen hatten sich im letzten Halbjahre recht unangenehm zugespitzt, worunter Wien weit mehr litt als Berlin. Die Erkenntnis, daß die polnische Nation seit dem Zusammenbruch Rußlands bei einem Sieg der Entente weit besser abschneiden würde als bei einem Sieg der Mittelmächte, gewann allmählich auch unter den gemäßigteren Elementen des Landes Boden. In diesem Punkte konnte nach dem Stockholmer Polenkongreß (Mai 1917), nach den Erklärungen der verschiedenen Ententestaatsmänner und nach der [456] Aufstellung einer besonderen polnischen Legion in Frankreich (Juni 1917) kaum mehr ein Zweifel bestehen. Als im Juli der polnische Staatsrat die - übrigens zum größten Teil aus österreichischen Polen bestehenden - Legionen auf die Treupflicht gegenüber den beiden Kaisern vereidigen wollte, weigerten sie sich; ihr Anführer Pilsudski mußte in Haft genommen werden. Schwere Verwicklungen ergaben sich auch, als kurz darauf die Legionen wieder in die Front eingesetzt wurden.

Die Wünsche der Polen nach rascherem Ausbau ihres Staatswesens wurden damals von Wien um so williger unterstützt, als kaum zu bezweifeln war, daß die Regentenwahl zugunsten des Erzherzogs Karl Stephan ausfallen werde. In der Wilhelmstraße zögerte man jedoch mit dem Ausspielen dieser letzten Karte. Immerhin erhielten die Polen am 12. September einen Regentschaftsrat und ein eigenes Ministerium, dem Kultus, Schule, Justiz und zum geringen Teil auch Volkswirtschaft zur Verwaltung übertragen wurde. Das Bestreben des ersten polnischen Kabinetts Kucharzewski, überdies das Heerwesen in die Hand zu bekommen, war begreiflicherweise vergebens.

Mit größtem Mißtrauen wurde die Entwicklung in Kongreßpolen von der Obersten Heeresleitung verfolgt, die im Osten Preußens einen neuen Feind Deutschlands heranwachsen sah. Die Bedenken des Generals Ludendorff scheinen denn auch den deutschen Kaiser in letzter Stunde von seinem Entschluß, Polen bei seinem Besuch an der italienischen Front an Österreich zu übergeben, abgebracht zu haben. Der Erste Generalquartiermeister riet, der austro-polnischen Lösung nur unter entsprechend großen Bürgschaften für Preußen-Deutschland zuzustimmen. Das zwanzigjährige Bündnis allein, dessen Festigkeit ihm gerade durch die Einverleibung der Polen in den österreichischen Staatskörper sehr in Frage gestellt schien, genügte ihm nicht.

Kongreßpolen sollte, wenn es zu Österreich kommen wollte, nicht bloß alles Land bis zur Bobr-Narew-Linie, fast bis zum Westgürtel von Warschau und bis zur Warta abtreten, sondern auch das Kohlenbecken von Dombrowa. Im Norden Kongreßpolens sollte Wilna zu Litauen zugeschlagen werden. Die Krongüter Polens hätten als Pfand in den Händen Deutschlands zu bleiben, dem auch der entscheidende Einfluß im Eisenbahnwesen zuzugestehen wäre.

In Wien vertrat man die Auffassung, daß weder Kaiser Karl noch irgendein Habsburger unter solchen Bedingungen die polnische Krone anzunehmen vermöchte; eine Meinung, der wohl auch Ludendorff als grundsätzlicher Gegner der austro-polnischen Lösung im stillen beipflichtete. Wieder standen schwere politische Kämpfe bevor. Als Anfang November 1917 Michaelis in der Wilhelmstraße abtrat, atmete man auf dem Ballplatz auf: In Hertling und Kühlmann befanden sich nunmehr zwei Bayern an der Spitze der Reichsleitung; mit ihrer Hilfe war es vielleicht doch möglich, in der polnischen und in den Friedensfragen den Widerstand der Obersten Heeresleitung zu überwinden.

[457] Diese Hoffnungen erwiesen sich aber bald als trügerisch. Bei den ersten Berliner Besprechungen mit den neuen Männern - Hertling war übrigens nur kurz anwesend - ergab sich wohl in verschiedenen Hauptfragen eine grundsätzliche Übereinstimmung: Kurland und Litauen, sowie Rumänien sollten in der einen oder anderen Art in die deutsche Interessensphäre fallen, Kongreßpolen mit Österreich vereinigt werden. Im einzelnen aber nahm Kühlmann ziemlich klar für die polnischen Forderungen Ludendorffs Partei. Alle Versuche Czernins, die Gegenseite von der Unhaltbarkeit dieser Wünsche zu überzeugen, blieben erfolglos. Auch die Warnung, daß die Frage "Mitteleuropa" angesichts der in der Donaumonarchie ohnehin stetig anwachsenden deutschfeindlichen Einflüsse mit einer annehmbaren Art der austro-polnischen Lösung stehe und falle, machte in Berlin nicht allzu viel Eindruck und in Kreuznach noch geringeren.

Der Zwang, zu einer Einigung in den Kriegszielen zu kommen, war unterdessen für die Mittelmächte durch den Ausbruch der zweiten russischen Revolution noch größer geworden. Während die Verbündeten vom Tagliamento an den Piave vorstürmten, zwischen dem 7. und 9. November, wurde in Rußland das ententefreundliche Regime Kerenskis durch die Bolschewiki unter Lenin und Trotzky gestürzt. Die neuen Männer stellten als Programm die vier Punkte auf: für den Frieden, um Brot, um Land (für die Bauern) und für die Volksmacht! Am 28. November rief ein Funkspruch "An Alle" sämtliche kriegführenden Völker auf, sich zu einem Frieden ohne Landerwerb und Kriegsentschädigung und mit voller Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Nationen zusammenzufinden.

Auf dem Wiener Ballplatz verfolgte man die russischen Ereignisse - wie übrigens in der ganzen Welt - mit atemloser Spannung. Graf Czernin hatte kurz vor der Petersburger Revolution im Gefolge des Kaisers einige Tage auf den italienischen Schlachtfeldern geweilt. Die Größe des Sieges, den er dort erlebte, wirkte gewaltig auf den für Augenblickseindrücke sehr empfänglichen Staatsmann. Der Zusammenbruch Rußlands tat noch ein übriges, ihn wenigstens für ein paar Wochen von jenem grenzenlosen Pessimismus zu befreien, der ihn im Frühjahr und im Sommer erfüllt hatte. Militärisch versprach er sich von der Entlastung der Ostfront außerordentlich viel; nicht geringeres, als daß die Deutschen über kurz oder lang in Paris stehen würden. "Hindenburg hat bis jetzt", schreibt er Mitte November an einen Freund, "alles gehalten, was er vorausgesagt hat - das muß man ihm lassen..." Gelänge auch der große Schlag gegen Frankreich, dann sei, vorausgesetzt, daß Deutschland auf Eroberungen verzichtet, der Friede zu erringen.

Das Friedensangebot Rußlands zustimmend zu beantworten, zögerte der österreichische Außenminister keinen Augenblick. Er fragte sich nicht erst, wer Lenin, Trotzky und die anderen Bolschewiken seien und ob ihr Regime Dauer [458] haben werde. Für ihn war ein Eingehen auf das russische Angebot vor allem ein innerpolitisches Problem der Donaumonarchie. Die Stellung der Sozialdemokraten diesseits und jenseits der Leitha hatte schon der Verlauf des letzten Parteitages der deutschösterreichischen Sozialisten unzweifelhaft dargetan (Ende Oktober 1917). Gegenüber den gemäßigten Führern Viktor Adler und Karl Renner war der Einfluß der von Otto Bauer und anderen jüngeren Kräften geführten radikalen Linken gewaltig gestiegen. Das Abschwenken der Partei von der Kriegspolitik der ersten zwei Kriegsjahre war unverkennbar. Es trat nach dem Sieg der Bolschewiken, den das Proletariat Wiens am 11. November durch eine große Demonstration begrüßte, noch stärker hervor. Der Druck, der von dieser Seite auf die Regierung ausgeübt wurde, war angesichts des wirtschaftlichen Elends sehr groß. Aber nicht bloß frische soziale Kräfte hatte der Umsturz im Habsburgerreich entfesselt, sondern auch nationale. Man kann es heute rückschauend ziemlich klar erkennen: der Zusammenbruch Rußlands hatte bei anderen slawischen Völkern der Monarchie in gewisser Hinsicht ähnliche Ergebnisse gezeitigt wie bei den Polen. Solange in Petersburg noch der Zar und seine Autokratie herrschten, schätzten die katholischen, westlich gerichteten Slawen des Donaureiches die Freundschaft Rußlands mehr oder minder als Gegengewicht gegen etwaige deutsche Vorherrschaftsbestrebungen, ohne daß man sich jedoch, einzelne radikale Kreise ausgenommen, ihr auf Haut und Haar verschrieben hätte. Der stark demokratische Zug, der diese Völker - schon aus Opposition gegen den eigenen Staat - erfüllte, hatte hemmend gewirkt. Jetzt war die Lage von Grund auf geändert und Rußland nicht bloß ein Born nationaler Impulse, sondern auch der Ausgangspunkt freiheitlicher, ultrademokratischer Ideen geworden. Damit mußten die führenden Männer auf dem Ballplatze rechnen. Czernin tat es gefühlsmäßig.

Seltsamerweise blieben aber die Slawen mit ihrer Haltung nicht allein. Auch auf die Magyaren wirkte der Gedanke, daß nun die Karpathen nicht mehr das Ziel moskowitischer Anstürme sein würden, zum Teil in ähnlicher Richtung, indem er ihre Absonderungsbestrebungen gegenüber der Gesamtmonarchie und Österreich wesentlich stärkte. Nicht umsonst stützte sich dort Wekerle in erster Linie auf die alten Unabhängigkeits- und 48er Parteien und trat selbst Tisza seit längerem für die selbständige ungarische Wehrmacht und den Ausbau des "Nationalstaates" in Wort und Schrift ein. Es schien sich wirklich die Anschauung derer zu bestätigen, die da meinten, daß mit dem Zusammenbruche Rußlands auch die geschichtliche Mission Österreichs zu einem nicht geringen Teil abgeschlossen gewesen sei.

Kaiser Karl billigte die Absichten Czernins gegenüber Rußland, obgleich er den von den Bolschewiken verkündeten Ideen im Hinblick auf seine eigenen Völker nicht ohne Sorge gegenüberstand. Die ungarische Regierung erhob gegen die Bedingung des annexionslosen Friedens Bedenken, da sie mit Grenzberich- [459] tigungen an der rumänischen Grenze rechnete und die dort wohnenden "Tschangomagyaren" in den ungarischen Staatskörper aufnehmen wollte. Aber Czernin hatte den festen Plan, den zu den Russen gesponnenen Faden weder dieser Wünsche wegen, noch wegen etwaiger Widerstände bei den Bundesgenossen abreißen zu lassen. Er war entschlossen, sich in dieser Frage gegebenenfalls sogar von Deutschland zu trennen.

Fürs erste bestand diese Gefahr freilich noch nicht. Schon am 29. November 1917, 24 Stunden nach dem Funkspruch "An Alle", erklärten sich die Kabinette von Wien und Berlin bereit, die russischen Vorschläge als Grundlage für Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen anzunehmen. Am 3. Dezember begannen, auf Seite der Verbündeten von General Hoffmann, dem Stabschef des Oberbefehlshabers Ost, geleitet, zu Brest-Litowsk die Waffenstillstandsbesprechungen, die zunächst am 5. Dezember zu einer zehntägigen Waffenruhe und am 15. zu einem regelrechten Waffenstillstande führten. Schwierigkeiten ergaben sich nur in der Frage der Moonsund-Inseln und des Abziehens von Truppen vom russischen nach anderen Kriegsschauplätzen. Sie wurden dank der Energie des deutschen Verhandlungsleiters rasch überwunden. Auch Rumänien mußte sich wohl oder übel in die neue Lage einfügen.

Die Gnadenfrist, die die Waffenstillstandsverhandlungen boten, ehe sich auch die Staatsmänner mit dem Feinde an einen Tisch setzen mußten, wurde zwischen Wien und Berlin noch ausgenützt, um in letzter Stunde zu einer Übereinstimmung in den Kriegszielen zu kommen. Am 6. Dezember erklärte Graf Czernin vor der ungarischen Delegation:2 "Wenn jemand fragt, ob wir für Elsaß-Lothringen kämpfen, so antworte ich: Jawohl, wir kämpfen für Elsaß-Lothringen genau so, wie Deutschland für uns kämpft und für Lemberg und Triest gekämpft hat. Ich kenne keinen Unterschied zwischen Straßburg und Triest." Diese Kundgebung wurde allenthalben als rückhaltsloses Bekenntnis zum Bündnis aufgefaßt. Aber Czernin stellte sich mit ihr gleichzeitig auf den Boden des status quo ante und betonte in derselben Rede diese Tatsache noch durch die Bemerkung, daß die Monarchie nie für deutsche Eroberungsziele kämpfen werde. Daß der Minister unter diesen Begriff "Eroberungsziele" Kurland und Litauen einbezog, bewiesen die verschiedenen Noten und Demarchen, mit denen der Ballplatz damals der Berliner Regierung an den Leib rückte und die auch auf den Staatssekretär v. Kühlmann nicht ohne Eindruck blieben. Die Männer in Kreuznach freilich dachten in der russischen Sache von Anbeginn ganz anders. Wenn es nach ihnen ging, so hatte man sich gegenüber den Bolschewiken gar nicht erst auf Schlagworte oder Liebenswürdigkeiten einzulassen, sondern von ihnen klipp und klar den förmlichen Verzicht auf die sogenannten Randstaaten, darunter [460] vor allem auch auf Kurland und Litauen, zu verlangen. Gaben die Russen nicht nach, dann müsse sie eben das Schwert zur Einsicht bringen.

Wohl entschied am 18. Dezember 1917 der deutsche Kaiser zu Kreuznach in den taktischen Fragen mehr oder minder scharf gegen die Heeresleitung. Aber die grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen Wien und Berlin-Kreuznach blieben bestehen und wurden auch sehr bald von den schlauen russischen Unterhändlern erkannt und ausgenützt; erkannt und ausgenützt ganz ebenso wie die schiefe Lage, in die sich die Vertreter des Vierbundes begaben, als sie der Form nach sich zu einem Frieden ohne Annexionen, auf Grund des freien Selbstbestimmungsrechts der Völker bekannten, dabei aber mit Sophismen aller Art in langen Redeschlachten bei offenen Fenstern Bedingungen erkämpfen mußten, die mit den von den Russen übernommenen Grundsätzen doch einigermaßen in Widerspruch standen. Wie fast immer, war auch hier das Kompromiß die ungünstigste der Lösungen.


1 [1/455]Vom 20. 12. 1917 bis Anfang März 1918 Mitglied der österr.-ungar. Friedensdelegation für die Verhandlungen mit Rußland. ...zurück...

2 [1/459]"Delegationen" hießen in der Donaumonarchie die zur parlamentarischen Behandlung der gemeinsamen Angelegenheiten berufenen Ausschüsse der Volksvertretungen von Wien und Budapest; sie tagten getrennt. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte