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Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg

Abschnitt: Der Seekrieg

Kapitel 3: Der Ostseekrieg   (Forts.)
Korvettenkapitän Max Bastian

2. Die strategische Lage in der Ostsee.

Um den Verlauf und die Bedeutung des Ostseekrieges richtig beurteilen und die ihm zufallenden Aufgaben in vollem Umfange einschätzen zu können, ist eine kurze Betrachtung der strategischen Lage, d. h. der geographischen, politischen und wirtschaftspolitischen sowie der militärischen Verhältnisse in der Ostsee unerläßlich.


Die geographischen Verhältnisse.

Die Ostsee stellt eigentlich ein großes, in sich abgeschlossenes Binnenmeer dar, das nur durch mehr oder weniger enge Zufahrtstraßen mit dem Weltmeer in Verbindung steht. Aber diese mehr oder weniger engen Zufahrtstraßen genügen wiederum, um die Ostsee nicht zu einem in sich abgeschlossenen Operationsgebiet werden zu lassen. Sie machen die Ostsee zu einem Teil, bis zu einem gewissen Grade allerdings selbständigen Flügel der gesamten heimischen Seefront.

Die erwähnten Zufahrtstraßen zum Weltmeer natürlicher Art sind der Kleine Belt, der Große Belt und der Sund. Der Kleine und der Große Belt können von modernen Linienschiffen und Panzerkreuzern, d. h. Großkampfschiffen, benutzt werden, der Sund dagegen gestattet nur kleineren Fahrzeugen mit einem mittleren Tiefgang, von Kriegsfahrzeugen also nur Kleinen Kreuzern und Zerstörern, die Durchfahrt. Alle drei Zufahrtstraßen bieten erhebliche navi- [135] gatorische Schwierigkeiten und erfordern daher neben einer peinlich genauen Kenntnis der Fahrtwasserverhältnisse ein besonders großes navigatorisches Geschick.

Diese navigatorischen Schwierigkeiten, die noch durch Mittel des Unterwasserkrieges erheblich gesteigert werden konnten, boten natürlich der deutschen Seekriegführung einen gewissen Schutz, nur durfte dieser Schutz einem navigatorisch vollkommen auf der Höhe stehenden englischen Gegner gegenüber nicht überschätzt werden. Der Schutz gegen einen Einbruch der Engländer wurde noch erhöht durch die Möglichkeit für die deutschen Seestreitkräfte, durch den Kaiser-Wilhelm-Kanal in kürzester Zeit - etwa 15 Stunden - aus der Nord- in die Ostsee gelangen zu können. Diese künstliche Fahrstraße war erst kurz vor Kriegsausbruch für die Großkampfschiffe benutzbar geworden; sie bot den Deutschen damit den Vorteil der inneren Linie.

Der deutsche Teil der Ostsee, d. h. die Ostsee bis zur Breite von Memel, darf wohl im allgemeinen als bekannt vorausgesetzt werden; im folgenden seien daher nur kurz die russischen Gewässer einer näheren Betrachtung unterzogen. Sie zweigen sich von der nördlichen Ostsee ab und werden durch die drei großen Meerbusen, den Rigaischen, Finnischen und Bottnischen Meerbusen, gebildet.

Allen drei Meerbusen ist eine enge Zufahrt gemeinsam; sie sind daher leicht zu bewachen und auch leicht zu verteidigen. Die Verteidigungsmöglichkeit wird noch mehr oder minder durch vorgelagerte Bänke, Sände und navigatorisch schwierige Schärengebiete erhöht, mit denen nur der Verteidiger näher vertraut war. Diese Vorteile des Verteidigers genossen die Russen in ganz besonders hohem Maße in ihren Kriegsfahrwassern innerhalb der finnischen Schären im Finnischen Meerbusen, d. h. Fahrwassern, deren Benutzung nur genaueste Ortskenntnis und langjährige Lotsenerfahrung ermöglichte, die also für einen Gegner nicht in Betracht kamen.

Wie leicht die russischen Gewässer zu verteidigen und wie schwer sie anzugreifen waren, das hat überdies am vollkommensten der Rigaische Meerbusen gezeigt, dessen westlicher Eingang, nach anfänglicher Vernachlässigung, seitens der Russen mit allen Mitteln moderner Über- und Unterwasserwaffen gleichsam festungsartig ausgebaut, der deutschen Angriffslust im Groß- und Kleinkrieg sehr schwere Aufgaben gestellt hat.

Den Bottnischen Meerbusen schließlich beherrschten die Russen durch die Aalands-Inseln, die im Kriege befestigt worden sind und ihnen eine Art Gibraltar in die Hand gaben.

Innerhalb dieser wohlgeschützten Gewässer lagen mit Ausnahme von Libau und Windau alle wichtigen russischen Kriegshäfen und Handelsplätze. So finden sich im Rigaischen Meerbusen Riga, Pernau und Arensburg, letzteres auf der Insel Ösel gelegen; in den Gewässern des Moonsundes, der den Rigaischen und Finnischen Meerbusen verbindet und überdies durch die Kassar-Wiek und den Soëlo-Sund [136] zwischen Dagö und Ösel hindurch eine Ausfahrt zur offenen Ostsee besitzt und von den Russen während des Krieges durch ausgedehnte Baggerungen auch für ihre älteren Linienschiffe passierbar gemacht worden ist, liegt der zum U-Bootsstützpunkt umgewandelte Badeort Hapsal.

An der Südseite des Finnischen Meerbusens liegen der russische Kriegshafen Reval mit seinen großen Werftkomplexen und der vorgelagerten, stark und modern befestigten Insel Nargön, ferner die beiden Handelsplätze Balitschport und Narwa, während an der Nordseite die Russen in den finnischen Häfen außerordentlich wertvolle Stützpunkte besaßen, als deren wichtigster der Kriegs- und Handelshafen Helsingfors zu nennen ist, geschützt und verteidigt durch die alte, mit Kanonen aller Art gespickte Feste Sveaborg. Östlich von ihm ist als wichtigster Handelsplatz Wiborg, westlich von ihm, an der Südwest-Ecke des finnischen Festlandes gelegen, Hangö anzuführen, das den Russen, ebenso wie der etwas weiter nördlich gelegene zweitgrößte und nächst der Hauptstadt wichtigste Ort Finnlands, Abo, gleichzeitig als Stützpunkt für ihre Bewachungsstreitkräfte im finnischen Meerbusen diente. Helsingfors und Reval fanden ihre wichtigste Ergänzung als Kriegshäfen in dem Hauptkriegshafen Kronstadt, der mit seinen beiden Hauptforts Ino und Krasnaja-Gorka als Verteidigung der russischen Hauptstadt St. Petersburg und ihrer Werften und sonstigen industriellen Anlagen gedacht war. Hier befanden sich die großen Docks für die russischen Linienschiffe, hier pflegte während des Krieges die gesamte russische Flotte zu überwintern.

Wie der Moonsund die Verbindung nach dem Rigaischen Meerbusen herstellt, so verbinden die finnischen Schärenfahrwasser den Finnischen Meerbusen einmal mit dem Bottnischen Meerbusen und dann auch durch die Abo-und Aaland-Schären mit der Insel Aaland und der Aaland-See.

Abgesehen von dieser guten Verbindung gewährten die Schärenfahrwasser den russischen Streitkräften auch vorzügliche, ungestörte Schieß- und Übungsplätze, von denen der Jungfrun-Sund, der Widskärfjord und die Stützpunkte Utö - etwa auf der Mitte zwischen Abo und Aaland gelegen - sowie die Hauptstadt von Aaland, Mariehamn, besonders genannt seien.

Aaland-See und Bottnischer Meerbusen haben im Kriege eine große Rolle gespielt. Durch die Aaland-See mußten die Erzdampfer die für die deutsche Kriegsindustrie so wichtigen nordschwedischen Erze hindurchbringen; der Bottnische Meerbusen wiederum bildete die Brücke zwischen Rußland und seinen westlichen Verbündeten. Hier bildeten sich drei Hauptverkehrsstraßen: im südlichen Teil die Linie Raumo bzw. Björneborg - Gefle, im mittleren Teil die Strecke Wasa - Gundsvall bzw. Hernösand und endlich im nördlichen Teil, der durch die Nord-Quarken von der eigentlichen Bottensee abgetrennten Botten-Wik, die Verbindungen Gambla Karleby bzw. Brahestad bzw. Uleaborg - Pitea bzw. Lulea. Auf diesen Straßen vollzog sich der Handel, der Rußland kriegsindustrielle Erzeug- [137] nisse der Ententeländer und Maschinen aller Art, den Ententeländern anderseits Roh- und Agrarprodukte des russischen Marktes zuführte. Solche Wirtschaftsstraßen zeigen den Zusammenhang zwischen geographischen Verhältnissen und wirtschaftspolitischen sowie politischen Faktoren.

Die geographischen Verhältnisse wären nur unvollkommen behandelt, wollte man nicht auch noch kurz auf die in der Vereisung liegende meteorologische Eigenart der Ostsee eingehen. Dies muß um so mehr geschehen, als die Vereisung bei der Kriegführung ein gewichtiges Wort mitgesprochen hat.

Die drei großen Meerbusen schieben sich in den russischen Kontinent und die höheren Breiten Skandinaviens hinein und sind infolge des winterlichen Hochdrucks über den russischen Ländermassen und des dadurch bedingten häufig wehenden Ostwindes Vereisungen ausgesetzt, wie sie in ähnlichem Umfange in den Gebieten der heimischen Seefront im allgemeinen nicht vorkommen. Im Rigaischen, Finnischen und Bottnischen Meerbusen hört für eine gewisse Zeit im Winter infolge Eisbehinderung jegliche Schiffsbewegung auf; für eine weitere Zeitspanne ist sie sehr behindert, und man kann im allgemeinen sagen, daß die russischen Gewässer und die ihnen vorgelagerten Seegebiete von etwa Ende Dezember bis Ende März, also für ein Vierteljahr, als Kriegsschauplatz ausscheiden und für eine gleiche Zeit der russische Gegner zur See ausfällt.

Den deutschen Streitkräften bot diese winterliche Pause nicht in gleichem Maße die Möglichkeit zu einer Entspannung wie den Russen, da die Streitkräfte der westlichen Ostsee auch während der Wintermonate die Bewachung in den Belten und am Sund gegen englische Streitkräfte und zur Überwachung des Handels aufrechterhalten, die Streitkräfte der östlichen Ostsee aber mit stärkster Beschleunigung ihre Winterinstandsetzungsarbeiten durchführen mußten, um vor Aufgang des Eises wieder vollzählig kampffähig zur Stelle zu sein. Denn mit Aufgang des Eises harrte ihrer in jedem Jahre die neue schwierige Aufgabe, die durch das Eis zum Teil beschädigten Minensperren in den feindlichen Gewässern durch neue Sperren auszubessern. Wollte man hierbei den Kampf mit weit überlegenen feindlichen Streitkräften vermeiden, so mußte man so früh wie nur irgend möglich an diese Aufgabe herangehen und den Kampf mit dem schlechten Wetter des Vorfrühlings in den Kauf nehmen.

Alles in allem ergibt sich, daß auch in der Vereisung eher ein Vorteil für die Russen als für die deutschen Ostseestreitkräfte erblickt werden muß, um so mehr, als es zuweilen sogar vorkam, daß während der winterlichen Pausen in der Ostsee Teile der Ostseestreitkräfte in der Nordsee aushelfen mußten.


Die politische Lage. Stärkeverhältnisse.

Die Randstaaten der Ostsee während des Krieges waren Deutschland, Rußland, Schweden und Dänemark; von diesen lagen die beiden erstgenannten im Kriegszustand miteinander, es herrschten also zwischen ihnen durchaus klare Ver- [138] hältnisse. Von Schweden erwartete man eine wohlwollende, vielleicht sogar deutsch orientierte Neutralität; bei Dänemark konnte man nur auf eine strikte, korrekte Neutralität hoffen. Doch waren die Verhältnisse bezüglich der beiden neutralen Staaten dauernden Änderungen ausgesetzt, da sie infolge ihrer Lage innerhalb des Blockadebereichs Englands natürlich von diesem abhängig waren und je nach einer günstigeren oder ungünstigeren Situation Englands auch einem geringeren oder stärkeren politischen Druck von dieser Seite ausgesetzt waren.

Jedenfalls erheischten Schweden und Dänemark dauernd nicht nur die Aufmerksamkeit der deutschen Politiker, sondern auch der deutschen Militärs, da eine Änderung in der Politik dieser Staaten die gesamte militärische Lage - zunächst in der Ostsee - von Grund aus ändern mußte.

Von vornherein muß dem Gegner zuerkannt werden, daß er mit viel Fleiß und Mühe nach seiner Niederlage in Ostasien an seiner maritimen Wiedergeburt gearbeitet hatte und daß es ihm durchaus gelungen war, die Marine zu einem leistungsfähigen Verteidigungsinstrument zu machen. Die deutschen Seebefehlshaber hatten daher allen Grund, den Feind nicht zu unterschätzen; die Gerechtigkeit dem einstigen Gegner gegenüber verlangt, offen einzugestehen, daß im Minenkrieg die deutsche Marine in der ehemals kaiserlich-russischen Marine geradezu ihren Meister gefunden hat, sowohl was die militärische Verwendung - offensiv und defensiv - als auch was die technische Konstruktion dieser Unterseewaffe anlangt. Man tut der ehemaligen kaiserlich-russischen Flotte also durchaus Unrecht, wenn man sie über die Achsel ansehen zu können glaubt.

Die folgende Zusammenstellung zeigt, welche Seestreitkräfte den Russen bei Kriegsbeginn in der Ostsee sofort verwendungsbereit zur Verfügung standen.

Lau-
fen-
de
Nr.
Namen De-
place-
ment
Jahr
des
Stapel-
laufs
Armierung Ge-
schwindig-
keit
sm2
Ähnlich der
deutschen Klasse


Lininenschiffe
1 "Imperator Pawel
      Perwy"

17 700 

1907

  4 - 30,5 cm L/403
14 - 20,3 cm L/50
12 - 12 cm

18  

"Deutschland"
(etwas stärker)
2 "Andrei Perwos-
      wanny"

17 700 

1906

wie laufende Nummer 1

18  

"
3 "Slawa" 13 700  1903   4 - 30,5 cm L/40
12 - 15 cm L/45
20 -  7,5 cm L/50
17,7 "Wittelsbach"
4 "Zessarewitsch" 13 200  1901   4 - 30,5 cm L/40
12 - 15 cm L/45
16 - 7,5 cm L/50
18,8 "
[139]
Panzerkreuzer
1 "Rurik" 15 400  1906   4 - 25,4 cm L/50
  8 - 20,3 cm L/50
20 - 12 cm L/50
22   "Blücher"
2 "Bajan" 8 000  1907   2 - 20,3 cm L/45
  8 - 15 cm L/45
22 -  7,5 cm L/50
22   "Prinz Adalbert"
3 "Pallada" 8 000  1906 wie laufende Nummer 2 22   "
4 "Admiral
      Makarow"

8 000 

1906

wie laufende Nummer 2

22  

"
5 "Gromoboi" 13 400  1907
(1899)
  4 - 20,3 cm L/45
22 - 15 cm L/45
19 -  7,5 cm L/50
20   "
(jedoch stärker armiert)
6 "Rossija" 14 200  1907
(1896)
  4 - 20,3 cm L/45
22 - 15 cm L/45
15 -  7,5 cm L/50
20   "

Geschützte Kreuzer
1 "Oleg" 6 800  1903 12 - 15 cm L/45
10 - 7,5 cm L/50
23   "Augsburg"
(jedoch stärker armiert)
2 "Bogatyr" 6 800  1901 wie laufende Nummer 1 23   "
3 "Aurora" 6 800  1900 10 - 15 cm L/45
20 -  7,5 cm L/50
19   "Hertha"
4 "Diana" 6 800  1899 wie laufende Nummer 3 19,4 "

Panzerkanonenboote
1 "Chrabry" 1 760  1895   2 - 20,3 cm L/45
  1 - 15 cm L/45
14,5 "Biene"
(sehr geeignet für
die Verteidigung von
engen Zufahrtstraßen)

Kanonenboote
1 "Glijak" 890  1906/07   2 - 12 cm L/45
  4 - 7,5 cm L/50
12 bis 13 "Iltis"
2 "Korejetz" 890  1906/07 wie laufende Nummer 1 12 bis 13 "
3 "Ssiwutsch" 890  1906/07 wie laufende Nummer 1 12 bis 13 "
4 "Bobr" 890  1906/07 wie laufende Nummer 1 12 bis 13 "
(zu 1 bis 4: sehr geeignet für die Verteidigung der Schären und ihrer Zufahrten.)

Torpedobootsstreitkräfte
Etwa 20 moderne Torpedobootszerstörer mit je 2 - 10,2 cm Geschützen und 30 große Torpedoboote.

Unterseeboote
Etwa 10 bis 12 fertige Unterseeboote.

[140] Der Oberbefehlshaber der russischen baltischen Seestreitkräfte war der Admiral v. Essen, ein Seeoffizier, der weit über russische Marinekreise hinaus den Ruf eines tüchtigen, energischen Führers genoß.

Es erübrigt sich, dieser Aufstellung eine entsprechende Liste der deutschen Seestreitkräfte gegenüberzustellen, da mit dem Eintritt des Kriegszustandes zwischen Deutschland und England alles an deutschen Seestreitkräften in der Nordsee anmarschieren mußte, was überhaupt neben den aktiven Streitkräften zu einigermaßen einheitlichen, gleichförmigen Formationen zusammengestellt werden konnte.

Was blieb nun also in der Ostsee, um den Kampf mit den Russen aufzunehmen? Der Deutsche wird es kaum glauben, und auch die Russen werden noch nachträglich den Kopf schütteln, wenn jetzt die wenigen Streitkräfte genannt werden, mit denen Deutschland den Kampf in der Ostsee aufnahm.

An modernen Fahrzeugen wurden der Ostseekriegführung nur zwei Kleine Kreuzer und drei Torpedoboote zur Verfügung gestellt. Die beiden Kleinen Kreuzer hatten Sonderzwecken gedient und waren infolgedessen zunächst nicht voll frontreif. S. M. S. "Augsburg", deren Namen für alle Zeiten mit ehernen Lettern in die Geschichte des Ostseekrieges eingegraben bleiben wird, war Schulschiff bei der Artillerieschule in Sonderburg gewesen, und S. M. S. "Magdeburg" hatte im Dienste von F. T.-Versuchen gestanden und war bei Kriegsausbruch noch nicht im Besitze ihrer mittleren Maschine, so daß sie anstatt der projektierten 26 sm Geschwindigkeit nur 23 sm laufen konnte. Die drei ihnen beigegebenen Torpedoboote moderner Art waren "V 186", "V 25" und "V 26".

Zu diesen modernen Vertretern deutscher Seemacht gesellten sich die auf den Ostseewerften in Reserve liegenden älteren Kleinen Kreuzer und die im Tenderdienst stehenden alten Torpedoboote.

Diese letzteren Streitkräfte setzten sich zusammen aus:

  1. S. M. S. "Amazone", 2650 t, Jahrgang 1900, bestückt mit 10 - 10,5-cm-Geschützen L/40, Geschwindigkeit 18 sm;
  2. S. M. S. "Thestis", wie S. M. S. "Amazone",
  3. S. M. S. "Gazelle", Jahrgang 1898, sonst wie die beiden erstgenannten Schiffe,
  4. S. M. S. "Undine", 2700 t, Jahrgang 1902, sonst wie die beiden erstgenannten Schiffe,
  5. S. M. S. "Freya", 5660 t, Jahrgang 1897, bestückt mit 2 - 21-cm-Geschützen L/40, 6 - 15-cm-Geschützen L/40 und 11 - 8,8-cm-Geschützen L/30 bzw. L/35, zuletzt als Schulschiff im Gebrauch,
  6. S. M. Kanonenboot "Panther", das zu seiner großen Grundreparatur kurz vorher aus den Tropen West-Afrikas heimgekehrt war,

ferner den Torpedobooten "T 91", "T 93", "T 94", sämtlich Tender der Torpedoschule in Mürwik, "T 97", das als alter Hohenzollern-Tender "Sleipner" schnell [141] sein schneeweißes Kleid mit einem pechrabenschwarzen vertauschen mußte, und "D 10", der Tender der Unterseebootsschule, der seines englischen Aussehens wegen in der Nordsee nicht verwendbar war.

Etwa nach zwei Monaten trat zu diesen Streitkräften der alte Panzerkreuzer S. M. S. "Friedrich Karl" hinzu.

Zu diesen eigentlichen Kriegsfahrzeugen gesellten sich als Hilfskriegsfahrzeuge, und zwar als Minenleger, die Bäder-Dampfer "Odin" und "Hertha", die Korsör-Dampfer "Prinz Adalbert", "Prinz Waldemar" und "Prinz Sigismund" und die Trajekt-Schiffe der Trelleborg-Fähre "Deutschland" und "Preußen", sowie einige Fischdampfer.

Die alten Hafenverteidigungs-U-Boote "U 1", "U 3" und "U 4" bildeten den Schluß der Reihe.

Dies war die "stattliche Flotte", die mit Kriegsausbruch dem neu ernannten Oberbefehlshaber der Ostseestreitkräfte, dem Großadmiral Prinz Heinrich von Preußen, Königliche Hoheit, zur Führung des Ostseekrieges zur Verfügung gestellt wurde.

Man mag daraus die Größe der Verantwortung ermessen, die mit diesem Kommando unter den gegebenen Verhältnissen auf die Schultern des kaiserlichen Bruders gelegt wurde, und es bedarf keiner Erwähnung, daß eine Verantwortung dadurch nicht leichter wird, daß sie in der Stille - unsichtbar und unmerkbar für den Außenstehenden - getragen werden muß. Die Geschichte wird dabei nicht an den großen Verdiensten vorübergehen können, die sich der Oberbefehlshaber der Ostseestreitkräfte persönlich als Führer, Vorgesetzter und Kamerad um die Erfolge in der Ostsee erworben hat. Diese waren im einzelnen nur möglich, wenn der Ostseekrieg im großen von vornherein richtig angefaßt und wenn mit stets gleich angespannter Verantwortungsfreudigkeit alles darangesetzt wurde, die Ostsee von den Russen freizuhalten. Die Verdienste der Ostseekriegsleitung müssen jetzt nach dem Kriege um so mehr hervorgehoben werden, als militärische Rücksichten während des Krieges Veröffentlichungen über die Leistungen der Marine in der Ostsee meistenteils nicht ermöglichten.

Das Kräfteverhältnis zwischen Deutschland und Rußland ist im Laufe des Krieges für Deutschland eigentlich ein immer ungünstigeres geworden; denn alle Neubauten, die Rußland in der Ostsee ausführte, kamen lediglich seiner Ostseefront zugute, während von den deutschen Neubauten immer nur ein verschwindend kleiner Prozentsatz für die Ostsee abfiel. Es kam immer nur auf den Austausch einiger älterer Fahrzeuge gegen neue heraus, so daß die Machtmittel nur qualitativ, nicht aber auch quantitativ besser gestellt wurden. Als ganz besonders ins Gewicht fallend muß der Kräftezuwachs erwähnt werden, der Rußland durch die Fertigstellung der vier Großkampfschiffe der "Gangut"-Klasse im Laufe des Jahres 1915 zufiel. Es handelte sich um vier Großkampflinienschiffe modernster [142] Art ("Gangut", "Poltawa", "Petropawlowsk", "Sewastopol"), die eine Wasserverdrängung von je 23 400 Tonnen besaßen, mit je 12 - 30,5-cm-Geschützen L/50 und 16 - 12-cm-Geschützen L/50 bestückt waren und eine Geschwindigkeit von 23 sm aufwiesen; sie waren den deutschen modernsten Großlinienschiffen gleichwertig.

Das ungünstige Kräfteverhältnis wurde also ein Dauerzustand und hat dazu geführt, daß man in der Marinesprache den Krieg in der Ostsee kurz und sehr treffend als "den Krieg mit Bordmitteln" gekennzeichnet hat. Man will damit zum Ausdruck bringen, daß er nur mit "behelfsmäßigen", primitiven Mitteln geführt werden konnte. Der Sinn dieser Worte wird noch verständlicher werden, wenn man hört, daß man zum Beispiel versucht hat, durch Tragenlassen der Mützenbänder von Linienschiffen des "Dreadnought"-Typs in den ehemals russischen, später genommenen Häfen die Anwesenheit solcher Kampfeinheiten mitteln der Spionage dem Gegner vorzutäuschen, daß man Torpedobooten durch leichte Aufbauten die Konturen der Panzerkreuzer gegeben hat, um sie in großer Entfernung von der Küste unter starker Rauchentwicklung als solche den feindlichen Beobachtungsstationen erscheinen zu lassen, daß man des Nachts häufig während der üblichen Verkehrszeiten der Funkentelegraphie recht viele U-Boote funkentelegraphisch anrief, obgleich gar keins oder höchstens zwei in See sein konnten, daß man von U-Booten in verschiedenen Nächten an möglichst verschiedenen Stellen in Sicht von Land Leuchtsterne schießen ließ, um den Anschein einer regen Patrouillentätigkeit zu erwecken, daß man vorübergehend die Leuchtfeuer an der besetzten Küste zeigte, auch wenn keinerlei eigene Fahrzeuge sich auf irgendwelchen Unternehmungen in See befanden.

Alle diese Maßnahmen konnten jedoch auf die Dauer nur Erfolg haben, wenn auch die sonstigen, wirklichen Kriegshandlungen dem Vorhandensein der vorgetäuschten Streitkräfte entsprachen, d. h. sie mußten kühn, zum Teil verwegen angesetzt und durchgeführt werden. Sie stellten daher an die Nervenkraft und Verantwortungsfreudigkeit aller Führer und Unterführer, bis herunter zum jüngsten Torpedoboots- und Unterseeboots-Kommandanten, ganz besonders hohe Anforderungen, und wenn der Ostseekrieg bis zum politischen Zusammenbruch im November 1918 alle Ziele erreicht hat und die Nachricht von der Revolution die deutschen Seestreitkräfte teilweise sogar vor Kronstadt traf, so ist das mit in erster Linie den Leistungen dieser Männer und ihres glänzenden, selbstlos und treu seine Pflicht erfüllenden Personals zu verdanken.


3. Die Ziele des Ostseekrieges.

Die Ziele des Ostseekrieges sind bereits in der Einleitung zum Seekrieg behandelt worden, so daß es sich erübrigt, hier noch einmal darauf zurückzukommen, sie lassen sich kurz zusammenfassen in folgende Aufgaben:

[143] Militärisch: Erringung und Behauptung der Seeherrschaft, Verhinderung feindlicher Landungen an der eigenen Küste, Zerstörung und Vernichtung feindlicher Seestreitkräfte und Stützpunkte.

Wirtschaftlich: Sicherung des eigenen Handels (Erzschiffahrt), Aufrechterhaltung des eigenen Küstenverkehrs und der Fischerei, Unterbindung des feindlichen Handelsverkehrs in der Ostsee und die Überwachung des gesamten Verkehrs im Sund.


2 [1/138sm = Seemeile = 1852 m. Die Geschwindigkeit wird nach Seemeilen pro Stunde gerechnet. ...zurück...

3 [2/138]L/... bedeutet: Länge des Rohres in Kaliber. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte