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Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende

Kapitel 8: Die deutschen Angriffe des Jahres 1918   (Forts.)
Generalmajor Rudolf v. Borries

8. Der Ententeangriff am 18. Juli 1918. Beginn des deutschen Rückzugs.

Lage bei den deutschen Truppen zwischen Oise und Marne.

Am 5. Juli hatte die 9. Armee - Oberbefehlshaber General v. Eben mit dem Sitze des Armee-Oberkommandos in Crépy - den Befehl über den rechten Flügel der 7. Armee zwischen der Oise bei Ribécourt, wo die 18. Armee angrenzte, und der Gegend von Corcy übernommen.130 Sie war in drei Gruppen gegliedert: VII. Armeekorps131 verteidigte den Raum von der Oise bis in die Gegend von Autrêches nördlich der Aisne, XXXIX. Reservekorps132 stand rittlings dieses Flusses zwischen Autrêches und Cutry, XIII. Armeekorps133 hielt die Front von Cutry bis südlich von Corcy und hatte die gefährliche Nachbarschaft des Waldes von Villers Cotterêts unmittelbar vor seinem linken Flügel. Südlich anschließend folgte der nunmehrige rechte Flügel der 7. Armee: XXV. Reservekorps134 beiderseits des Ourcq bis Vinly sich ausdehnend, VIII. Armeekorps135 von dort bis Château Thierry reichend, wo XXIII. Reservekorps ansetzte, dem am 15. Juli der rechte Flügel des Marne-Übergangs zugefallen war.

Die Front der 9. Armee und der 7. Armee bis Château Thierry war in den vorausgegangenen schweren Abwehrkämpfen seit Abschluß der Blücher-Offensive [523] an einzelnen Stellen eingebeult, im ganzen aber trotz der heftigen Mühen des Gegners erhalten geblieben. Da dauernd mit Fortsetzung der feindlichen Anläufe auf breiter Grundlage gerechnet werden mußte, anderseits aber das Unternehmen bei Reims keine wesentliche Mehrung der Kräfte gestattete, so war erhöhte Sicherheit durch die Schaffung eines tiefen Vorfelds und durch tiefe Gliederung der Verteidigungstruppen bewirkt worden. Unglücklicherweise aber hatten sich diese Maßnahmen bei der 9. Armee südlich der Aisne, gegen die der Sturm des 18. Juli am gewaltigsten anbranden sollte, mit Rücksicht auf die Freihaltung der Stadt Soissons von wirksamem feindlichen Feuer nicht ganz durchführen lassen. Über die Gegend von Soissons führte die einzige Vollbahn aus dem rückwärtigen Lande in den Geländegewinn der Blücher-Offensive; der Betrieb durfte nicht gestört werden, wenn sich nicht Nachteile ergeben sollten. Hier blieb also die Hauptwiderstandslinie ziemlich dicht an den Gegner herangerückt.

Noch schwerer wog, daß die dauernde Kampfspannung es nicht durchweg, zumal nicht beim XIII. Armeekorps, zu tiefer Aufstellung der Artillerie und der rückwärtigen Kräfte hatte kommen lassen. Im übrigen war die Ausstattung mit Truppen keinesfalls geringer, eher günstiger als auf anderen bedrohten Frontstrecken. Jede der Gruppen der 9. Armee und des rechten Flügels der 7. Armee verfügte über drei Stellungsdivisionen, die 9. nördlich der Aisne über zwei, südlich von ihr über vier, der rechte Flügel der 7. Armee über drei rückwärtige Divisionen, die zum Teil als Eingreifverbände nahe herangehalten waren. Einen Teil ihrer Artillerie hatten die Divisionen allerdings für Marneschutz-Reims abgeben müssen; immerhin war für neue Zuführung von Batterien gesorgt worden, so daß das am stärksten gefährdete XIII. Armeekorps am 18. Juli sechs Batterien auf den Kilometer besaß.

Die Truppen hatten durch lange Stellungstätigkeit gelitten und waren nicht als vollkampfkräftig anzusprechen; die Ablösung der vorderen Divisionen erfolgte, wie auch anderwärts, nur nach großen Pausen. Der Obersten Heeresleitung waren diese Verhältnisse wohlbekannt. Obwohl die 9. Armee nach der Ankündigung des großen feindlichen Angriffs für den 14. Juli die Lage wieder als entspannt bezeichnet hatte,136 faßte die Oberste Heeresleitung die gründliche Auffrischung des Frontbestandes der ganzen Heeresgruppe Deutscher Kronprinz ins Auge, verschob aber die Durchführung wegen des Mangels an geeigneten Divisionen und wegen der Eisenbahnlage auf die Zeit nach Beendigung des Unternehmens bei Reims. Nach den Meldungen über den Feind lagen keine besonderen Gründe zur Beunruhigung vor; man glaubte höchstens Angriffe im bisherigen Umfange erwarten zu sollen. Man wußte der 9. Armee die französische 10. Armee gegenüber mit zehn Divisionen in der Front und vier im Rückhalt, vor dem rechten Flügel der 7. Armee das französische 6. Korps mit sieben bis acht Divisionen in der Front, darunter zwei bis drei ameri- [524] kanischen, und zwei bis drei Divisionen im Rückhalt. Das war keine Überlegenheit. Von der tatsächlichen Vermehrung der feindlichen Truppen erfuhr man nichts; das begründet keinen Vorwurf, da der Feind bis zum 17. Juli die Lufterkundung mit starken Mitteln absperrte und in den ausgedehnten Waldungen vorzügliche Verstecke besaß.


Der Ententeangriff am 18. Juli 1918.

Bei der 9. Armee war am 15. und 16. Juli im Bereich des XIII. Armeekorps um die vordersten Linien gekämpft worden; am 17. herrschte bis auf einige Streiftätigkeit des Feindes Ruhe. Vor dem rechten Flügel der 7. Armee war der Gegner in den letzten Tagen still geblieben. Am 18. Juli frühmorgens erschienen in der Gegend von Cutry beim XXXIX. Reservekorps der 9. Armee zwei Überläufer, die für 5 bis 6 Uhr morgens starke Angriffe voraussagten; dort hörte man auch Tankgeräusche. Leider kamen diese Warnungen zu spät. Bei der 9. Armee setzte um 535 morgens auf den Bereichen der linken Flügeldivision des VII. Armeekorps, des ganzen XXIX. Reservekorps und des XIII. Armeekorps schlagartig Trommelfeuer von außerordentlicher Heftigkeit und starker Vernebelungswirkung ein, dem unmittelbar Infanterieangriffe folgten. Voraus gingen Tankgeschwader in bisher unerhörter Masse; sie rollten in langen zusammenhängenden Linien an und waren von so niedriger Bauart, daß ihre Bekämpfung bei der hohen Bodenbewachsung erschwert wurde; hinter ihnen folgten dicht gedrängt Sturmkolonnen, und über ihnen stürzten sich große Schwärme von Tieffliegern auf die deutschen Linien. Die Artillerie feuerte zum Teil aus Stellungen, die dicht an die vordere Linie herangerückt waren. Das war die Angriffstaktik, die man auf deutscher Seite in der letzten Zeit immer befolgt hatte; nur fehlten den Deutschen die Tanks und die durch ihren Schutz ermöglichte Massierung.

Nördlich der Aisne gelangte der Feind mit dem ersten Schwung beim VII. Armeekorps überhaupt zu keinem Erfolge, auf dem rechten Flügel des XXXIX. Reservekorps unmittelbar am Fluß nur bis zur Hauptwiderstandslinie. Südlich der Aisne, beim linken Flügel des XXIX. Reserve- und beim XIII. Armeekorps, wo die Hauptwiderstandslinie nicht weit genug abgesetzt war, brach er im Laufe des Vormittags unter erbitterten Kämpfen bis zur Linie Mercin et Vaux - Ostrand Missy aux Bois - Vierzy - Blanzy durch. Hier hielten ihn die herbeigeeilten rückwärtigen Kräfte und Eingreifdivisionen auf. Wohl versuchte er mit neuen Stößen weiterzukommen; aber die deutsche Artillerie faßte seine Tanks aus offenen Feuerstellungen und schoß sie in großer Zahl zusammen, seine Infanterie wagte, ihrer Schrittmacher beraubt, nicht mehr anzupacken und erlitt durch ihre Häufung schwere Verluste. So blieb die Lage bis zur Nacht; die für den Abend erwartete Wiederholung des Kampfes blieb aus. Unter den angreifenden Divisionen wurde eine amerikanische festgestellt.

[525] Auf dem rechten Flügel der 7. Armee dehnte sich der Angriff von der Naht zur 9. Armee bis in die Gegend des Clignon-Bachs aus und trug das gleiche Gepräge wie weiter nördlich. Der überraschende Stoß wurde beim XXV. Reservekorps und auf dem rechten Flügel des VIII. Armeekorps bis zur Linie Chouy - Neuilly St. Front - Courchamps - Monthiers durchgeführt; dann ergab sich dasselbe Bild wie bei der 9. Armee, die deutschen Reserven hemmten den Anlauf und wiesen neue Stürme, die schon nicht mehr in sich zusammenhingen, mit geringen Geländeverlusten ab. Auf dem äußersten linken Flügel glückte sogar ein deutscher Gegenstoß. Auch hier kam die Nacht, ohne daß der Feind noch einmal seine Kräfte zu wiederholtem Angriff zusammenfaßte.

Der linke Flügel der 7. Armee beiderseits der Marne wurde gleichfalls von Angriffen betroffen; IV. Reservekorps wehrte unmittelbar südlich des Flusses heftige Tankstöße ab, mußte aber unmittelbar nördlich von ihr die Gegend von Tincourt räumen. Weiter nach Reims zu vermochte das Generalkommando Nr. 65 seinen Geländebesitz im Walde westlich und nördlich von Fleury-la Rivière im ganzen zu behaupten. Bei der 1. und 3. wurden Teilangriffe zum Scheitern gebracht.

Der Erste Generalquartiermeister der Obersten Heeresleitung, General Ludendorff, befand sich am 18. Juli vormittags in Mons beim Oberkommando der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht zur Besprechung des Unternehmens Hagen, als die ersten Nachrichten von dem Einbruch der Franzosen südlich der Aisne einliefen. Daß ein überaus folgenschweres Ereignis eingetreten war, wurde sofort erkannt. An sich bedeutete der Verlust von Gelände, 4 bis 8 km tief, von etwa 12 000 Gefangenen und von zahlreichen Geschützen nicht allzuviel; er war mehr auf Rechnung der Überraschung und des nicht vollendeten Aufbaus der Verteidigung zu setzen, als auf das Versagen der Truppen, die sich fast durchweg trotz ihrer Ermüdung ganz hervorragend geschlagen hatten, nachdem der erste Tankschreck überwunden war. Verglich man mit diesem Erstlingserfolg der Franzosen die durchschlagende Kraft deutscher Offensiven, die nicht von Tanks vorgetragen waren, z. B. die nächstliegende der Blücher-Offensive mit dem mächtigen Geländegewinn von streckenweise 20 km am ersten Tage, so konnte die Leistung des französischen Stoßes, der in 50 km Breite angesetzt war, nur als mäßig bewertet werden. Zudem war nach dem Einbruch dem Gegner anscheinend die einheitliche Leitung verlorengegangen; ihm fehlte die auf deutscher Seite hochbewährte Technik der Führung. Das Bedenkliche des Frontbruchs lag aber in dem Zusammentreffen höchst ungünstiger örtlicher und zeitlicher Umstände.

Örtlich trat die Wirkung ein, daß die Vollbahn bei Soissons sofort unter starkes Feuer geriet; daß die Truppen südlich der Marne äußerst bedroht waren, sofern es dem Gegner gelang, weiteres Gelände zu gewinnen; daß die Lage in der hervorgewölbten Bastion des Blücher-Gewinns, nachdem er von so star- [526] ken und angriffslustigen Kräften in der Flanke gefaßt war, überhaupt unhaltbar werden konnte, zumal da sich die Versorgung der Truppen nicht mehr regelrecht durchführen ließ. Zeitlich bedeutete das Scheitern der Unternehmung bei Reims und der Schlag des Feindes südlich der Aisne in kurzer Folge hintereinander eine Häufung von Unheil; es ergab sich die Notwendigkeit, den Plan der Hagen-Offensive aufs neue zu vertagen. Verfügbare Kräfte gehörten jetzt an die Aisne, um den Feind zu hemmen, nicht auf einen entfernten Teil des Kriegsschauplatzes. Auch die Hoffnung, den Feind vielleicht doch noch zur Räumung des Reimser Berglandes zu bewegen, war dahin.

Die oberen Kommandobehörden säumten nicht, den ungünstig gewordenen Verhältnissen noch am 18. Juli Rechnung zu tragen. Die Heeresgruppe Deutscher Kronprinz befahl die Zurückverlegung der Teile der 7. Armee südlich der Marne auf das Nordufer, wofür die Nächte zum 19. und zum 20. Juli in Aussicht genommen wurden, und beorderte alle noch freien Kräfte nach der Gegend von Soissons. Die Oberste Heeresleitung unterbrach die Abbeförderung von Artillerie und Minenwerfern zur Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht, ließ die noch geplanten Angriffe auf die Bastion von Reims bei der 1. und 7. Armee fallen und begann am 19. Juli damit, rückwärtige Divisionen der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht nach der Aisne abrollen zu lassen. Unter diesen Umständen machte Kronprinz Rupprecht selbst am 20. Juli den Vorschlag, das Hagen-Unternehmen ganz aufzugeben. Die Oberste Heeresleitung stimmte dem am 21. Juli bei.

In der Nacht zum 19. Juli begannen die südlich der Marne kämpfenden Truppen des XXIII., des VIII. und IV. Reservekorps über den Fluß zurückzugehen. Es gelang trotz heftigen Störungsfeuers, alle Teile und Kampfmittel unter Sprengung der bestehenden Verteidigungsanlagen bis zum 20. Juli morgens über das Hindernis zu bringen; die unermüdliche und opferwillige Tätigkeit der Pioniere, die die Zahl der Übergangsstellen wesentlich vermehrt hatten, trug dazu bei, die schwierige Bewegung zu glücklichem Ende zu führen. Allerdings ging das meiste Brückengerät zugrunde. Unmittelbar südlich der Marne fanden am 19. Juli noch heftige, aber erfolglose Vorstöße der Franzosen gegen das IV. Reservekorps statt. Nördlich der Marne verhielt sich der Feind gegenüber dem Generalkommando Nr. 65 ruhig. Dagegen griff er das VI. Reservekorps, das zur 1. Armee zurückgetreten war, bei Courmas an und bemächtigte sich dieses Ortes; östlich von Reims kam es bei der 1. und 3. Armee nur zu bedeutungslosen Teilkämpfen.

Die volle Wucht geschlossener Großangriffe richtete der Feind aber wieder gegen die Front zwischen Aisne und Marne. Der Überraschung entbehrend und auf Fronten stoßend, die durch frische Kräfte gefestigt waren, vermochte er nur örtliche Vorteile zu erringen. Bei der 9. Armee südlich der Aisne drückte er den linken Flügel des XXXIX. Reservekorps bis in die Gegend Mercin et [527] Vaux zurück. Im Anschluß daran mußte das XIII. Armeekorps, das zur 7. Armee übergetreten war, bis Parcy-Tigny nachgeben; das schon verlorengegangene Dorf Villemontoire nahm es im Sturm zurück. Südlich vom XIII. Armeekorps verteidigte die neueingeschobene Kampfgruppe des Generals v. Etzel - XVII. Armeekorps - die Gegend von Parcy-Tigny und Billy; XXV. Reservekorps räumte freiwillig Neuilly St. Front, VIII. Armeekorps gab ebenso Priez und Courchamps auf, hielt aber durch glücklichen Gegenangriff den Endpunkt Monthiers.

Die deutsche Verteidigungslinie lief nach Abschluß dieses heißen Tages von Mercin et Vaux südlich der Aisne über Parcy-Tigny und Billy nach Monthiers, von dort auf Château Thierry zurückbiegend. Der Feind hatte schwere Verluste erlitten, aber auch die eigenen Einbußen waren recht schwer. Eine Krise bestand insofern, als die nächsten Reserven, und zwar meist in ungünstiger Mischung der Verbände, schon eingesetzt, neue Truppen, besonders solche, die der 1. und 3. Armee entstammten, aber noch nicht eingetroffen waren. Da die Eisenbahn versagte, wurde die Infanterie auf Kraftwagenkolonnen gesetzt und kam auch schnell genug heran; indes war die Artillerie erst nach mehreren Tagemärschen zu erwarten. Unter solchen Verhältnissen konnten Umstände eintreten, die die Zurücknahme der ganzen Front der 7. Armee bis zur Vesle nötig machten. Es war ein Akt der Vorsorglichkeit, daß die Heeresgruppe Deutscher Kronprinz diesen Rückzug schon jetzt durch klare Festlegung der nacheinander zu erreichenden Linien vorbereitete.

Der 20. Juli gab Hoffnung, daß es gelingen werde, sich in den bestehenden Stellungen zu halten. Südlich der Marne machte der Feind einen Luftstoß in das geräumte Kampfgebiet und zog sich durch flankierendes Feuer vom Nordufer schwere Verluste zu. Nördlich der Marne wurden der linke Flügel des IV. Reservekorps, das Generalkommando Nr. 65 und VI. Reservekorps wiederholt heftig angegriffen, standen aber bis auf einige Geländeverluste, besonders bei St. Euphraise, fest. Auf der übrigen Front der 1. Armee herrschte Ruhe; bei der 3. Armee ging in örtlichen Kämpfen auf dem linken Flügel ein kleiner Teil des eroberten Geländes verloren.

Zwischen Aisne und Marne entbrannte die große Schlacht von neuem, bei den vier Gruppen des rechten Flügels der 7. Armee beginnend und allmählich auf das XXXIX. und das rechts von ihm neu eingeschobene XXXVIII. Reservekorps137 der 9. Armee übergreifend, diese auch nördlich der Aisne fassend. In kraftvoller Verteidigung und mit Gegenangriffen wurde die Linie bis auf kleine Einbuchtungen gehalten. Auch ein Abendangriff gegen das XXXIX. Reservekorps brach zusammen. Der Feind aber, immer wieder durch neuen Kräftezuzug gestärkt, ließ von seinen Anläufen nicht ab. In der Nacht zum 21. Juli [528] stürmte er gegen die ganze Westfront zwischen Aisne und Marne an, indem er sich nach Süden bis Château Thierry ausdehnte, und wurde überall zurückgeschlagen. Die Heeresgruppe Deutscher Kronprinz sah sich aber doch veranlaßt, die Hauptwiderstandslinie des rechten Flügels der 7. Armee auf der Strecke von Billy bis Château Thierry vom Feinde abzusetzen und zur Kürzung der Front in der Nacht zum 21. Juli bis in die Stellung Oulchy la Ville - Gegend westlich Brécy - Gegend östlich Trugny - Mont Père zurückzunehmen.

Der 21. Juli zeigte das Bild der vorausgegangenen Tage: heftige Angriffe des durch Zuzug verstärkten Gegners auf der Westfront der 9. und 7. Armee, vorzugsweise gegen XIII. Armeekorps, und gegen den ausgebogenen Teil der 7. Armee gerichtet. Bis auf einen Einbruch beim XIII. Armeekorps in der Gegend von Buzancy scheiterte sein heißes Bemühen. Ebenso versuchte er vergeblich, die Marne auf der Räumungsstrecke zu überschreiten und nördlich des Flusses mit englischer Unterstützung die Truppen des Generalkommandos Nr. 65 zu überrennen, Kämpfe, die sich mit gleichem Mißerfolg auf das VI. Reservekorps der 1. Armee ausdehnten. Im übrigen war es bei dieser wie bei der 3. Armee ziemlich ruhig. Die Maßnahmen der Führung, die ausgezeichnete Haltung der Truppen hatten eine Gleichgewichtslage hergestellt, die an sich gestattet hätte, weiteren feindlichen Angriffen mit Vertrauen entgegenzusehen.

Indes lagen doch Umstände vor, die es der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz erforderlich erscheinen ließen, die schon erwogene Zurücknahme der 7. Armee bis zur Vesle in nächster Zeit durchzuführen. In dem Raume zwischen Aisne und Marne hatten sich durch die herangeeilten Divisionen die Kräfte gehäuft; die Versorgung wurde immer schwieriger, mit Soissons als Eisenbahndurchgangspunkt war nicht mehr zu rechnen, und auch die östlich der Stadt führende Umgehungsbahn über Missy, die an die Vesletalbahn anschloß, lag bereits unter Feuer. Die Auslösung verbrauchter Truppen vollzog sich in der Enge der Massierung mit größter Langsamkeit und bildete dadurch eine schwere Gefahr. Mit der Fortsetzung der Großangriffe war zu rechnen, daher auch mit schneller Abnutzung der Verteidigungsdivisionen; mit gleicher Geschwindigkeit konnte aber der Ersatz nicht in die Front geworfen werden. Denn die von der Obersten Heeresleitung herangebrachten Divisionen verließen weit rückwärts in der Linie Chauny - Crépy - Laon die Bahn, hatten ausgedehnte Anmärsche und mußten die gleichen Straßen benutzen, auf denen abgekämpfte Verbände abflossen. Es konnten durch Truppenmangel und verspäteten Einsatz neue bedenkliche Krisen entstehen.

Am Willen der französischen Führung zum Siege war nicht zu zweifeln; trat der für die Deutschen günstigste Fall ein, daß das Gelände zwischen Marne und Aisne mit Sicherheit gehalten würde, so stand es dem an Reserven kräftigen Gegner ohne weiteres frei, den Angriff gegen eine der anderen Frontstrecken der Heeresgruppe herumzuwerfen, die jetzt durchweg ausreichender rückwärtiger [529] Teile entbehrten. Es war also notwendig, die 9. und 7. Armee vom Feinde abzusetzen, um die Stellungen zu kürzen und auszugleichen, die Truppen wieder gleichmäßig zu verteilen und die Gesamtfront gegen kommende Stürme zu stärken. Die Heeresgruppe wollte den Gedanken an neue eigene Offensiven nicht fallen lassen; auch dafür war der Wiederaufbau der Front auf rückwärtigen Linien die unerläßliche Vorbedingung.


Der deutsche Rückzug zur Vesle.

So trat die Heeresgruppe Deutscher Kronprinz an die Oberste Heeresleitung mit dem Antrage heran, den Rückzug zur Vesle zu genehmigen. Im Großen Hauptquartier erkannte man zwar die gewichtigen Gründe an, entschloß sich aber doch nur zögernd, die Durchführung zu gestatten. Unzweifelhaft war dieser Rückzug nicht nur die Einbuße teuer erkauften Geländes, sondern auch das Eingeständnis feindlicher Überlegenheit. Er vollzog sich unter ganz andern Umständen, wie 1917 das Ausweichen in die Siegfried-Stellung; zwei schwere Schläge waren vorausgegangen, und hiernach, nicht nach den tatsächlichen Verhältnissen, die dem Gegner die Erfolge ungemein erleichtert hatten, richtete sich die aufhorchende Welt. Indes die Lage erforderte einen durchgreifenden Entschluß, und so gab die Oberste Heeresleitung noch am 21. Juli, wenn auch unter einigen Vorbehalten, ihr Einverständnis zum Rückzug bis zur Vesle.

Diese Bewegung war zunächst durch den rechten Flügel der 7. Armee auszuführen, während die 9. Armee Soissons und die südlich davon gelegene Hochfläche von Belleu, der linke Flügel der 7. und der rechte der 1. Armee die Marne und das Bergland südwestlich von Reims noch festzuhalten hatten. Der ganze auf die Grundlinie Soissons - Reims aufgesetzte Bogen sollte also durch allmähliches Ausweichen der Mitte verflacht werden, bis der zunehmende Ausgleich auch die Zurücknahme der Flügel gestattete.

In der Nacht zum 24. Juli beginnend hatten die Korps des rechten Flügels der 7. Armee die Linie Oulchy la Ville - Nanteuil - Coincy - le Charmel - Vincelles zu gewinnen.

Am 27. Juli sollte die Gesamtfront in folgender Stellung festgelegt werden: Aisne westlich von Pommiers, hier Anschluß an XXVIII. Reservekorps, Höhe südwestlich von Soissons - Noyant - Villemontoire - östlich le Plessier Huleu - Walleé - Fère en Tardenois - Sergy - Ronchères - Agron-Aiguizy - Ville en Tardenois - Bligny, hier Anschluß an den bisher unbewegten Teil des rechten Flügels der 1. Armee vor Reims. In dieser Linie wurde eine Pause vorgesehen, um das Land südlich der Vesle von deutschem Besitztum zu räumen.

Voraussichtlich Anfang August war von einem Teil der weichenden Kräfte eine Zwischenstellung in der Linie Missy - Serches - Cuiry Housse - St. Gilles - Hourges - Branscourt - Gegend südlich Trigny zu besetzen, durch die und an deren Flügeln vorbei die vorn gebliebenen Truppen den weiteren Abzug zu [530] bewerkstelligen hatten. In den ersten Augusttagen sollte die Masse der zurückgehenden Korps in der Aisne- und Vesle-Stellung von Vingré über Condé, Braisne, Montigny, Prouilly bis la Neuvillette nördlich von Reims, also am Ziele des Rückzugs, stehen, während südlich der Flußlinie noch Vorposten den Feind beschäftigen. Überschüssig werdende Divisionen und Gruppen waren rechtzeitig auszulösen und zurückzuziehen.

In der so festgelegten Form verlief der Rückzug tatsächlich, hie und da nach dem Gange der feindlichen Angriffe und der deutschen Verteidigung sich schiebend und berichtigend.

Am 22. Juli fiel der Feind mit starken Kräften die Front der 7. Armee vom Ourcq bis zur Marne an und wurde nach wechselreichen Kämpfen abgewiesen. Am Abend dieses Tages gab die Oberste Heeresleitung den Befehl für die Ausführung der ersten Bewegung in der Nacht vom 23. zum 24. Juli. Der 23. Juli erbrachte abermals einen heftigen Stoß gegen die ganze Westfront der 7. Armee vom XIII. Armeekorps bis zum XXIII. Reservekorps in der Gestalt eines Tank-Großangriffs, an dem sich schwarze und weiße Franzosen und Amerikaner beteiligten; auch die Truppen des Generalkommandos Nr. 65 im Reimser Bergland wurden durch Anläufe bedroht. Die Abwehr ergab vollen Erfolg. Die Tanks hatten ihren Schreck verloren, 43 wurden zusammengeschossen, die feindliche Infanterie entbehrte des Schwunges und wich jedem Gegenstoß aus.

So konnte nach dieser verlustreichen Niederlage des Feindes der erste Schritt zurück, an dem VIII. Armee-, XXIII. und VIII. Reservekorps beteiligt waren, in der Nacht ohne Störung durchgeführt werden. Die neue Linie Oulchy la Ville - Vincelles bedeutete eine erhebliche Kürzung der Front. XXIII. Reservekorps konnte ausscheiden, seine verkürzten Räume übernahm VIII. Reservekorps mit. Auf dem rechten Flügel der 7. Armee wurde das Generalkommando des XIII. Armeekorps durch I. bayerisches Armeekorps138 ersetzt. Am 24. Juli griff der Feind stark beim XXV. Reserve-, weniger stark beim VIII. Armee- und beim VIII. Reservekorps an; die erstgenannte Gruppe erlitt Geländeeinbußen bei Oulchy la Ville und am Ourcq. In der Nacht zum 25. Juli bogen IV. Reservekorps und Generalkommando Nr. 65 ihren inneren Flügel im Reimser Bergland befehlsmäßig zurück. Am 25. Juli kämpfte I. bayerisches Armeekorps um den Besitz von Villemontoire, ohne es behaupten zu können; XXV. Reservekorps verlor Oulchy le Château. VIII. Armeekorps stieß gegen feindliche Angriffe bei Coincy erfolgreich vor, VIII. und IV. Reservekorps wiesen feindliche Stöße zurück. Am 26. Juli wurden die beiden letztgenannten Gruppen und Generalkommando Nr. 65 Ziele neuer Anläufe, die dem Gegner keinen Gewinn brachten.

In der Nacht zum 27. Juli zogen die Teile vom linken Flügel des [531] XVIII. Armeekorps bis zum Generalkommando Nr. 65 und der äußerste rechte Flügel der 1. Armee ohne Belästigung durch den Feind in die vorgesehene Linie Nordufer des Ourcq - Fère en Tardenois - Ronchères - Bligny ab; der zweite Schritt nach rückwärts war getan. Der rechte Flügel des verflachten Bogens südlich der Aisne und Vesle stützten sich noch auf die Höhen westlich und südlich von Soissons, der linke auf die alten Stellungen westlich von Reims. Auf der äußeren Bogenbegrenzung standen von der 9. Armee: an der Aisne bis Pommiers XXXVIII. Reservekorps rechts an VII. Armeekorps angrenzend, XXXIX. Reservekorps bis westlich Noyant südlich von Soissons; von der 7. Armee: I. bayerisches Armeekorps bis Parcy-Tigny, XVII. Armeekorps bis Gegend Rozoy, XXV. Reservekorps bis Saponay, VIII. Armeekorps bis östlich Ronchères, IV. Reservekorps bis Aougny en Tardenois, Generalkommando Nr. 65 bis nördlich Chambrecy; von der 1. Armee der rechte Flügel des VI. Reservekorps bis Bligny. Von Bligny ging die Stellung westlich von St. Euphaise über Gueux auf la Neuvillette nördlich von Reims weiter.

Diese neue Stellung - eine Art Brückenkopf vor Aisne und Vesle - stellte der Gegner erst am Nachmittag des 27. Juli mit zögernd vorfühlenden Streifen fest. Die Oberste Heeresleitung war ursprünglich nicht abgeneigt, sie zur Dauerstellung zu machen, um weniger Gelände aufzugeben und die moralischen Wirkungen des Rückzugs nach außen hin abzuschwächen; indes die notwendige Aussparung von Kräften durch Verkürzung der Front gab für die Fortsetzung der Bewegung den Ausschlag. In den ersten Stunden der Nacht vom 1. zum 2. August sollte die Zwischenstellung südlich der Vesle von Missy über St. Gilles bis Trigny von einem Teil der Truppen besetzt sein, und für die zweite Hälfte der Nacht war der Rückzug der Masse der Korps bis zur Vesle vorgesehen. Bis dahin ließ sich die Räumung des Landes südlich der Vesle durch Rückführung der Verwundeten, der Geschütze, des Materials, der Munition und Verpflegung nach sorgfältig ausgearbeitetem Plane - Blücher-Bewegung genannt - bewerkstelligen. Was nicht zurückgeführt werden konnte, war zu sprengen oder zu verbrennen. An der Verstärkung der neuen Stellung von Soissons bis Reims wurde schon seit dem 25. Juli gearbeitet.

Der Gegner erschien mit starken Kräften erst am Vormittage des 28. Juli vor der Mitte der Brückenkopfstellung, wo der Kampf sehr bald wieder entbrannte. Neue Anstürme nach langen Beschießungen richteten sich gegen I. bayerisches und gegen die Naht des XVII. Armee- und XXV. Reservekorps, gegen VIII. Armee-, VIII. und IV. Reservekorps. Wo der Feind eindrang, wie beim VIII. Armee- und VIII. Reservekorps, wurde er wieder zurückgeworfen. In der Nacht zum 29. Juli schied XXV. Reservekorps aus und übergab seinen Gefechtsraum dem östlich angrenzenden VIII. Armeekorps. Für den 29. Juli waren Großangriffe zu erwarten, da mit Vollendung des neuen feindlichen Artillerieaufmarsches gerechnet werden mußte.

[532] Der 29. Juli erbrachte in der Tat einen dichtgedrängten Massenstoß gegen XVII., VIII. Armee-, VIII. und IV. Reservekorps, etwa in der Form des Stoßes vom 15. Juli. Der Ertrag war mäßig, nur an der Naht zwischen XVII. und VIII. Armeekorps wurde die Front bis zur Linie in Höhe von Courdoux - Cramaille zurückgedrängt; östlich und südöstlich von Fère en Tardenois gingen die Ortschaften Seringes und Sergy verloren. Der Gewaltakt mit dem Ziele, durch Druck gegen die Mitte die Brückenkopfstellung zu zerreißen, war gescheitert. Am 30. Juli beschränkte der erschöpfte Gegner seine Tätigkeit auf einen Angriff gegen Saponay nordwestlich von Fère en Tardenois und auf einen tief geführten Stoß gegen den vorspringenden Frontwinkel südlich von Cierges. VIII. und IV. Reservekorps verloren an dieser Stelle Gelände und bogen in der Nacht zum 31. Juli die gefährdeten inneren Flügel bis zur geraden Linie zurück. Weiter östlich wehrte Generalkommando Nr. 65 Teilvorstöße ab. Am 31. Juli hatten nur VIII. Armee- und VIII. Reservekorps Angriffe abzuschlagen; der Feind sammelte neue Kräfte.

Am 1. August brach ein gewaltiger Sturm gegen I. bayerisches, XVII., VIII. Armee- und VIII. Reservekorps los, während sich beim IV. Reservekorps und Generalkommando Nr. 65 nur kleinere Kämpfe abspielten. Trotz zahlreicher Tanks und Tiefflieger errang der Gegner nur bei Saponay einigen Geländegewinn, ohne die deutsche Artillerie zu erreichen. Jedenfalls vermochte er nicht zu hindern, daß sich der dritte Schritt nach rückwärts vollzog und in den Abendstunden von allen Korps der 7. sowie vom rechten Flügel der 1. Armee vorher bestimmte Teile loslösten, um planmäßig die Zwischenstellung südlich der Vesle von Missy bis Trigny einzunehmen. Vom XXXIX. Reservekorps der 9. Armee wurde gleichzeitig der Südrand von Soissons besetzt. Im Verlauf der Nacht gingen sämtliche deutsche Truppen der 9., 7. und 1. Armee, die auf dem äußeren Bogen der Brückenkopfstellung standen, unbemerkt durch die Zwischenstellung und an deren Flügeln vorbei in die Aisne-Vesle-Linie zurück, wo sie am Morgen des 2. August kampfbereit waren. Der Gegner beschoß und bestürmte in den Frühstunden dieses Tages leere Räume und fand Widerstand durch kleine zurückgelassene Abteilungen südlich der Zwischenstellung, die seine Verfolgung aufhielten.

In der Nacht vom 2. zum 3. August wurden die Truppen aus der Zwischenstellung und aus Soissons hinter die Flußlinien zurückgezogen. Die neue Front stand fest, als der Feind im Laufe des 3. August gegen sie heranfühlte. Vorposten südlich der Aisne und Vesle, ein um Fismes aufgebauter Brückenkopf, sowie starkes deutsches Artilleriefeuer hemmten seine Fortschritte.

Der rechte Flügel der neugenommenen Stellung grenzte bei Autrêches nördlich der Aisne an VII. Armeekorps der 9., der linke bei Trigny an XIV. Armeekorps der 1. Armee, das in diesen Tagen den Gefechtsraum des ausgeschiedenen XV. Armeekorps nördlich Reims übernahm. In ihr standen von [533] Westen nach Osten von der 9. Armee XXXVIII. und XXXIX. Reservekorps von Vingré bis Condé nördlich der Aisne, von der 7. Armee XVII., VIII. Armee-, VIII. Reservekorps und Generalkommando Nr. 65 von Condé bis Montigny nördlich der Vesle, von der 1. Armee VI. Reservekorps und XIV. Armeekorps nördlich der Vesle und der Stadt Reims. I. bayerisches Armee- und IV. Reservekorps waren zurückgezogen; im ganzen hatte man während des Rückzuges vier Gruppen ausgespart.

Die Ausweichbewegung bis zur Aisne und Vesle war, wenn auch ein Rückzug, so doch ein Erfolg. Nachdem einmal der Entschluß dazu in Anerkennung der maßgebende Ursachen gefaßt worden war, vollzog sie sich, unbeirrt durch die feindlichen Nachstöße, nach dem Willen der Führung, die durch die Ausdauer und Tatkraft der Truppen vortrefflich unterstützt wurde. Abgesehen von einigen Geländeeinbußen blieb jeder Schritt, der nach rückwärts getan wurde, jeder Schritt, der dem Feinde nach vorwärts gestattet wurde, im Rahmen der Planmäßigkeit. Die Deutschen bestimmten Beginn und Fortsetzung des Abmarsches und setzten die Dauer des Widerstandes fest, der in den einzelnen Stellungen hintereinander zu leisten war.

Wie schon beim Rückzug über die Marne am 19. und 20. Juli, blieben keine Trophäen in der Hand des Feindes zurück, die den Anspruch auf Siegesstimmung begründet hätten. Indem er den mehr und mehr sich verflachenden Bogen der ausweichenden Truppen hauptsächlich in der Mitte einzudrücken bestrebt war, vernachlässigte er die Erfolgsmöglichkeiten an den Flügeln bei Soissons und Reims und erreichte im ganzen schließlich nichts weiter, als daß er in die freigewordenen Räume einrückte, die ihm von den Deutschen freiwillig überlassen wurden.

Trotzdem blieb die Tatsache bestehen, daß der Gegner mit dem Scheitern der Marneschutz-Reims-Operation den Siegeslauf der deutschen Unternehmungen jäh unterbrochen und dem deutschen Ansehen nach außen - und wie sich zeigen sollte, auch nach innen, in das Gefüge des deutschen Heeres und des Volkes hinein - einen schweren Schlag versetzt hatte. Alle, die an Deutschlands Enderfolg zweifelten oder seine Niederlage heiß herbeisehnten, sahen nun den Umschwung zum Schlimmeren, nicht die überlegene Art, in der dieses Mal noch das drohende Unheil abgewendet worden war.


Die Führung des Generals Foch im Juli 1918.

Der Oberbefehlshaber der Entente, General Foch, hatte sich schon mehrfach mit Angriffsgedanken getragen, solche Pläne aber immer wieder zurückgestellt, weil die Zeit und das Wachstum der amerikanischen Truppen für ihn arbeiteten. Freilich war diese Zurückhaltung ein gewisses Wagnis, so lange man den Deutschen die Kraft zutraute, mindestens an zwei Stellen zugleich große Schläge zu führen. Es hatte sich aber gezeigt, daß sich die Deutschen immer nur auf [534] Einzelangriffe einließen, und als General Foch Anfang Juli genaue Kunde über Marneschutz-Reims erhielt, sah er den Zeitpunkt als gekommen an, neben der ihm wesentlich erleichterten Abwehr an der bedrohten Stelle einen Stoß gegen eine für die Deutschen gefährliche Front zu richten.

Daß er hierzu die Westfront der Hervorwölbung südlich der Aisne und Vesle wählte, war durch die Aussicht, einem erheblichen Teil deutscher Truppen in den Rücken zu kommen, und durch die Hoffnung begründet, die hier schon häufig erschütterten deutschen Linien mit den Mitteln der großen Materialschlacht zu überrennen. Es bestand zwischen beiden Operationen ein innerer Zusammenhang: der französische Kampf an der Marne und bei Reims sollte deutsche Kräfte fesseln, die als erste für die Herstellung des gestörten Gleichgewichts zwischen Aisne und Marne in Betracht kommen konnten. Deshalb durfte der Offensivschlag erst nach dem Beginn des deutschen Unternehmens Marneschutz-Reims erfolgen; deshalb durfte sich die Abwehr bei Reims nicht auf die Defensive beschränken, sondern mußte selbst zur Offensive werden, damit die dort gehäuften deutschen Truppen gebunden wurden, wenn es nicht von vornherein glückte, durch Druck von zwei Seiten den Bogen südlich der Vesle abzuschnüren. Dem General Foch war es zu danken, daß beide Schläge in enger zeitlicher Verbindung blieben.

Seit dem Beginn des Juli verschob General Foch auf Grund der genauen Kenntnis der deutschen Pläne seine verfügbaren Kräfte von Norden in den Raum von der Oise bis zu den Argonnen; 7 Divisionen einschließlich der Stellungstruppen wurden versammelt, 57 französische, 7 amerikanische, 4 englische, 2 italienische. Den Rückhalt für die nördliche Front gegenüber der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht mußten die Engländer übernehmen, die ihre inzwischen vermehrten und innerlich gestärkten Reserven nach Süden bis in den Raum südlich der Somme ausdehnten. Am 10. Juli wurden die endgültigen Befehle für die Abwehr beiderseits von Reims gegeben: die 4. Armee gegenüber der deutschen 3. Armee sollte die vorderen Stellungen preisgeben und den deutschen Anlauf in einer Stellung, 3 km weiter südlich, annehmen; die 5. Armee gegenüber der deutschen 1. und 7. Armee hatte beiderseits der Marne zu halten und durfte auf Unterstützung durch die neue 9. Armee rechnen, die in der Stärke von 27 Divisionen bei Fère Champenoise bereit stand, um sich je nach der Lage zwischen die 4. und 5. oder auch auf dem linken Flügel der 5. Armee einzuschieben. Am 13. Juli folgten die Weisungen für den Übergang zur Offensive: die 10. Armee gegenüber der deutschen 9. und die 6. Armee gegenüber dem rechten Flügel der deutschen 7. Armee hatten am 18. Juli zwischen Aisne und Ourcq anzugreifen; am gleichen Tage sollte die 5. Armee östlich von Château Thierry vorstoßen.

Die Verteidigung östlich von Reims stützte sich auf neue taktische Leitsätze, die den Stoß in der Tiefe aufzufangen lehrten; sie ergab am 15. und 16. Juli [535] den Erfolg, daß die deutsche Vorwärtsbewegung nach flachem Einbruch zum Stehen kam. Dagegen hatten beiderseits der Marne die 5. und die links von ihr eingesetzte 9. Armee schwer zu kämpfen, um die Fortschritte der Deutschen über den Fluß und nördlich von ihm zu hemmen. So kam der 17. Juli heran, und die letzten Anordnungen für den 18. Juli ergingen, der den bisherigen Verteidiger in die Rolle des Angreifers versetzen sollte. Der 6. und der 10. Armee wurde Oulchy le Château als Hauptrichtungspunkt ihrer Vorstöße gegeben: die 9. Armee hatte das Südufer der Marne vom Feinde zu säubern, die 5. nördlich der Marne das verlorene Gelände wiederzuerobern. Man sah den Gegner schon zwischen den Klauen der von Westen und Südosten angesetzten Zange, und nichts schien ihm übrig zu bleiben als schleuniger Rückzug, um sich der eisernen Umarmung zu entziehen. Der Erfolg entsprach aber bei weitem nicht den Erwartungen.

Die Fortschritte der 6. und 10. Armee zwischen Ourcq und Aisne erwiesen sich nach der ersten Überraschung der Deutschen, die zum großen Teil auf Rechnung der zahlreichen Tanks zu setzen war, als nicht bedeutend; der Gegner verstand seine Reserven dort einzusetzen, wo er am meisten gefährdet war, namentlich bei Soissons. Südlich der Marne entging er durch geschickten Rückzug über den Fluß der Vernichtung, und nördlich der Marne, bei Reims, stand die Schlacht.

Erst als die Deutschen anfingen, gegen Aisne und Vesle zu weichen, kam die Vorwärtsbewegung in Fluß. Die Bresche, die von den Franzosen in den letzten Julitagen bei Saponay in die schon zurückgezogene deutsche Front geschlagen wurde,139 galt ihnen zwar als entscheidend für die Fortsetzung des Abzuges der Deutschen, war es aber in Wirklichkeit nicht. Die Ententetruppen mußten ansehen, wie ihre Gegner unter selbständiger Bemessung des Widerstandes, den sie zu leisten wünschten, hinter der Aisne und Vesle verschwanden, indem sie ihre Besitztümer zurückführten oder, soweit sie nicht abzubefördern waren, verbrannten. Als am 4. August der Raum südlich der Flußlinien von den Deutschen frei war, stand es fest, daß sich die Klauen der angesetzten Zange nicht hatten schließen können, daß der Geländeverlust der Blücher-Kämpfe zwar zum größten Teil wieder eingebracht, aber der Feind selbst ohne erdrückenden Schaden entkommen war. So mäßig indes die taktischen Erfolge waren, so groß war doch das Gewicht der Tatsache, dem Gegner eine Niederlage zugefügt zu haben, die den Übergang der Gesetzgebung des Krieges an die Entente erbrachte. Daß die französische Regierung dem General Foch am 8. August den Marschallstab verlieh, war durch diesen Umschwung begründet, weniger durch die Führung, die es trotz Verrat und Übermacht nicht vermocht hatte, die Deutschen entscheidend zu schlagen.

[536] Den festen Willen, sich die Herrschaft nicht wieder entreißen zu lassen, bekundete General Foch schon am 24. Juli in einer Führerversammlung, die die Oberbefehlshaber der französischen, englischen und amerikanischen Truppen vereinigte. Er sprach sich für ununterbrochene Offensive aus, die sich auf die zahlenmäßige Überlegenheit der Ententekräfte zu stützen habe. Als nächstes Ziel bezeichnete er die Befreiung der großen Bahnlinien, die von Paris in westlicher Richtung über Château Thierry nach Lunéville und in nördlicher Richtung über Amiens führten. Gleichzeitig sollten die Engländer vorwärts von Calais - Dünkirchen Gelände gewinnen und das nordfranzösische Industriegebiet befreien. Hiernach bestimmten sich in der Tat die nächsten Offensivschläge der Entente.


Lage auf deutscher Seite Anfang August 1918 und neue Pläne.

Die Aufmerksamkeit beider Parteien war seit dem 15. Juli naturgemäß in erster Linie auf die spannenden Vorgänge an der Marne, Aisne und Vesle gerichtet; es blieb indes in dieser Zeit an den übrigen Kampffronten keineswegs ruhig. Gegenüber der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht, die am 23. Juli auch das Gebiet der 18. Armee wieder übernahm, um die Heeresgruppe Deutscher Kronprinz zu entlasten, setzten die Ententetruppen ihre Versuche fort, durch Teilvorstöße Vorteile zu erringen und die deutschen Truppen zu zermürben. Die Angriffsart war die gleiche wie früher; ohne erkennbaren Plan wurde bald hier bald dort gestürmt, und die schon aus früheren Kämpfen bekannten Orte und Gegenden begegnen immer wieder. Die deutsche Abwehr war nicht durchweg erfolgreich. Am 19. Juli ging an der Georgette-Front Meteren verloren, am 30. Juli Mervis; auf die Wiedereinnahme wurde in beiden Fällen verzichtet. Der heftigste und schwerste Kampf fand am 23. Juli westlich der Avre auf der Linie Morisel -  Mailly - Aubvillers statt; auf dem Südflügel seines Angriffs brach der Gegner in der Richtung auf Braches ein, konnte aber trotz seiner wiederholten Stöße wieder ein Stück zurückgedrängt werden. Die gefährdete Lage der Brückenköpfe an der Ancre bei Albert und an der Avre von Moreuil bis südlich Montdidier legte nun aber doch den Gedanken nahe, diese vorgebauten Stellungsteile aufzugeben und die Linien hinter die Wasserläufe zurückzuziehen. Das geschah in den ersten Tagen des August in planmäßig vorbereiteter Bewegung, ohne vom Gegner sofort erkannt zu werden. Wo er nachstieß, erlitt er schwere Verluste. Auch bei der 6. Armee wurden einige vorspringende Stellungsbogen durch Geradelegung der Linien ausgeglichen.

Bei der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz versuchte der Feind in der Zeit des Rückzuges zur Vesle mehrfach der 1. und 3. Armee Gelände zu entreißen, das er am 15. Juli freiwillig aufgegeben oder verloren hatte. Seine Erfolge waren gering und lösten wiederholte deutsche Gegenstöße aus. Sehr viel stiller war es bei den Heeresgruppen Gallwitz und Herzog Albrecht. Eigene Unternehmungen wechselten dort mit der Abwehr gelegentlicher gegnerischer Anläufe ab.

[537] Als am 2. August bei der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz die Aisne-Vesle-Linie bezogen war, gab sich die Oberste Heeresleitung Rechenschaft darüber ab, wie sie den Krieg weiterzuführen hatte. Sie war sich dessen bewußt, daß sie die ihr vorläufig entwundene Initiative nur dann zurückgewinnen könne, wenn sie ihrerseits den Gedanken an neue eigene Angriffe nicht fallen ließ. Die Truppen hatten allerdings zum Teil schwere Verluste erlitten; es ergab sich die Notwendigkeit, die Infanterie von zehn Divisionen aufzulösen und auf andere Verbände zu verteilen, weil die Ersatzverhältnisse zur Wiederfüllung nicht ausreichten. Indes mit geringen, wenn auch peinlich wirkenden Ausnahmen hatten sich die Truppen unter schwersten Umständen vorzüglich geschlagen, und der mannhafte Geist des deutschen Kriegertums schien noch keine Einbuße erlitten zu haben. Die Wiederaufnahme der Offensive war von Vorbedingungen abhängig: von der Widerstandsfähigkeit der Front gegen kommende feindliche Angriffe und von der Möglichkeit, während einer voraussichtlich nicht kurz zu bemessenden Operationspause einen Teil der Divisionen wieder zu Stoßdivisionen zu machen, so gut es mit den beschränkten Ersatzmitteln gehen wollte.

In erster Linie stand jetzt die Verteidigung der Westfront; wenn sie fest blieb, so konnte die Erstarkung rückwärtiger oder nicht angegriffener Truppen zu neuem Angriffsschwunge mit Erfolg betrieben werden. Nach dem großen Kräfteeinsatz des Gegners an der Marne und Vesle glaubte die Oberste Heeresleitung nicht an neue Großangriffe in der nächsten Zeit; sie meinte zu wissen, daß feindlicherseits mit der deutschen Hagen-Offensive in Flandern nach wie vor gerechnet werde. In der Tat waren von den hierfür verfügbaren Divisionen der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht nur einige zur Abwehr in die Gegend von Soissons befördert worden. Wenn die Oberste Heeresleitung am 21. Juni auch dem Vorschlage der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht, Hagen aufzugeben, zugestimmt hatte, so geschah das doch schon damals nur mit dem Vorbehalt, im geeigneten Moment diesen Plan wieder aufzunehmen.

Am 2. August 1918 erließ die Oberste Heeresleitung einen Befehl an die Heeresgruppen der Westfront, in dem sie zum Ausdruck brachte, daß es die Lage erfordere, sich einerseits auf Abwehr zu stellen, anderseits so bald wie möglich wieder zum Angriff überzugehen. Mit späteren feindlichen Großangriffen sei zu rechnen besonders am Kemmel und gegen den vorspringenden Bogen der 6. Armee; gegen die Stellungen zwischen Somme und Oise bis Soissons hin; gegen die Höhenstellungen der 1. Armee bei Moronvillers; gegen die Südfront der Armeeabteilung C in der Gegend von St. Mihiel; gegen die Front in Lothringen und im Sundgau. Während die Abwehr organisiert werde, seien gleichzeitig Angriffe vorzubereiten, und zwar: der Hagen-Angriff in verkleinerter Form; ein Angriff zu beiden Seiten der Oise, etwa zwischen Montdidier und Soissons unter dem Namen "Kurfürst"; kleinere Angriffe östlich Reims, auf das Fort Pompelle und bei Armeeabteilung C; Angriffe aus der Front der Heeres- [538] gruppe Albrecht in größerer oder geringerer Breite. Es komme hierbei weniger auf Geländegewinn an, als auf Schädigung des Feindes durch Verluste und auf Gewinnung günstigerer Stellungen. An Überraschungsangriffen müsse festgehalten werden, um nicht zu viel Menschen zu verlieren. Die Vorbereitungen seien zu beschleunigen und zu vereinfachen, um es zu ermöglichen, namentlich auf schmaleren Fronten, auch an beliebigen Stellen gegen Schwächen des Feindes wichtige Teilerfolge zu erzielen.

Der strategische Kurs blieb also der gleiche wie bisher. Durch immer neue Wiederholung von Schlägen sollte der Feind müde und friedensgeneigt gemacht und zur Einsicht gebracht werden, daß sich die deutsche Tatkraft nicht überwältigen ließ.

Während durch ausgedehnte Transportbewegungen die überschüssig gewordenen und die nicht mehr kampffähigen Divisionen aus der Marneschlacht über die ganze Front verteilt wurden, traten die Oberkommandos der Heeresgruppen, soweit erforderlich, in den Neuaufbau der Abwehr und in die Vorbereitung der geplanten Offensive ein. Der erstrebte Umschwung sollte aber nicht mehr kommen. Der Gegner war keineswegs gewillt, auf die Fortsetzung seiner Offensive zu verzichten, und im eigenen stark zusammengeschmolzenen Heere traten, nach dem Mißerfolg an der Marne, mit einem Male die Schädigungen zutage, für die gewissenlose, kriegs- und vaterlandsfeindliche Zermürbungsarbeit schon längst den Grund gelegt hatte.


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131 [2/522]General v. Woyna. ...zurück...

132 [3/522]General v. Staabs. ...zurück...

133 [4/522]General Frhr. v. Watter. ...zurück...

134 [5/522]General v. Winckler. ...zurück...

135 [6/522]General v. Schöler. ...zurück...

136 [1/523]Seite 513. ...zurück...

137 [1/527]General Hofmann. ...zurück...

138 [1/530]General v. Endres. ...zurück...

139 [1/535]Seite 532. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte