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Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende

Kapitel 1: Die Grundlagen
für die Entschlüsse der Obersten Heeresleitung
vom Herbst 1916 bis zum Kriegsende
  (Forts.)

Generalleutnant Max Schwarte

6. Die Vorbereitungen für das Jahr 1918.

Trotz der großen Erfolge war Deutschland dem Endziel, der Friedensgeneigtheit der Entente, infolge der nicht ausreichenden Erfolge der U-Boote nicht näher gekommen. Nur in Rußland war der Frieden zum Zwang geworden: die Niederlagen hatten an Stelle Kerenskis die radikalere Richtung der Bolschewiken mit ihren Arbeiterräten, Soldatenräten, ihrer Proletariatsherrschaft zur Macht gelangen lassen. Der ganze staatliche Aufbau Rußlands war zerschlagen; eine militärische Gefahr konnte von dort nicht mehr kommen, wohl aber die vielleicht noch größere Gefahr des Übergreifens bolschewistischer Ideen auf die Mittelmächte. Die Oberste Heeresleitung hatte zugestimmt, als im Vorjahre die Reichsregierung Lenin und seinen Genossen die Durchfahrt durch Deutschland nach Rußland gestattete. Bei der ungeheuren feindlichen Überlegenheit mußte sie jede Möglichkeit ergreifen, Teile der Gegner kampfunfähig zu machen; das hatte sie von dem zersetzenden Wirkens Lenin erwartet und erreicht. Jetzt drohte der Zerstörungsprozeß über die Grenzen Rußlands zu dringen, und die Staatslenker der Mittelmächte hatten nicht die Kraft, das eigene Volk dagegen zu schützen.

Die leitenden Männer Rußlands mußten den Frieden suchen, um eine neue Ordnung zu schaffen. Aber auch die Oberste Heeresleitung mußte auf einen Friedensschluß drängen. Bis dahin blieben deutsche Kräfte im Osten gefesselt. Wenn auch gering an Zahl und vielleicht an Kampffähigkeit, würden sie bei der Entscheidung fehlen. Zur Beschleunigung der kommenden Verhandlungen hatte sie die Bedingungen für einen Waffenstillstand aufstellen lassen, die zwar auf dem augenblicklichen Besitzstand aufgebaut waren, aber unbillige Forderungen (Waffenabgabe usw.) vermieden; sie fand die Zustimmung der Reichsregie- [36] rung und der verbündeten Heeresleitungen. Zugleich kam sie mit der Reichsregierung überein, daß bei den Waffenstillstandsverhandlungen die Führung der Obersten Heeresleitung, bei den Friedensverhandlungen der Reichsregierung zufallen, daß die Belange der anderen Stelle je durch einen Vertreter sichergestellt sein sollten.

Schon in den letzten Wochen des Jahres 1917 beschäftigte sich die Oberste Heeresleitung mit der Erwägung über die Weiterführung des Krieges im nächsten Jahre. Die Hauptkampftätigkeit konnte sich nur im Westen abspielen; daß dazu alle Kräfte verfügbar zu machen und bereitzustellen seien, war selbstverständlich. Das bedeutete frühzeitige Überführung der im Osten entbehrlich werdenden Divisionen. Der Oberbefehlshaber Ost erhielt Weisung, seine Frontbesatzung auf das äußerste zu strecken. - Die Vereinbarungen mit dem Chef des k. u. k. Generalstabes bezweckten das gleiche; General v. Arz erklärte sich bereit, den größten Teil der auf der österreichischen Front eingeschobenen deutschen Divisionen abzulösen und dazu, wenn nötig, auch aus der Piave-Front Divisionen herauszuziehen. Diese frühe Ablösung war - abgesehen von Transportrücksichten - deshalb nötig, weil die Truppen des Ostens für die schwierigeren Kampfverhältnisse im Westen erst ausgebildet werden mußten. So ließ die Oberste Heeresleitung, trotz der noch andauernden Unsicherheit, seit November eine Division nach der anderen vom Osten nach Frankreich und Belgien abrollen.

Am 26. November endlich funkte der neue Führer des russischen Heeres die Bereitwilligkeit, in Waffenstillstandsverhandlungen einzutreten. Sie begannen, vom Chef des Stabes des Oberbefehlshabers Ost, General Hoffmann, als Vertreter der Obersten Heeresleitung geführt, am 2. Dezember in Brest-Litowsk. Einer zehntägigen Waffenruhe vom 7. Dezember folgte am 15. Dezember ein Waffenstillstand behufs Friedensverhandlungen bis zum 14. Januar 1918. Inzwischen hatten große Teile der russischen Truppen auf eigene Faust Waffenstillstand geschlossen; jetzt wurde der Waffenstillstand allgemein auf die ganze Front ausgedehnt und durch Zusatzverträge für die rumänische und die kleinasiatische Front ergänzt; die Friedensverhandlungen sollten Weihnachten beginnen.

Das Ausscheiden Rußlands schwächte den Kriegswillen der anderen Ententemächte keineswegs. Der neue französische Ministerpräsident Clemenceau unterdrückte rücksichtslos jede Äußerung von Frieden. Woodrow Wilson hetzte das Volk in wilde Kriegsstimmung hinein. Lloyd George, seit einem Vierteljahr Ministerpräsident, übertrug seinen zähen Kriegswillen auf alle. Als Italien infolge seiner furchtbaren Niederlage kriegsmüde zu werden schien, wurde es schnell in die übernommene Pflicht zurückgezwungen.

Demgegenüber nahm im eigenen Volke das stumpfe Verharren auf dem "Verständigungsfrieden" zu. Daran änderten die letzten glänzenden Siege [37] ebensowenig, wie die hohnvolle Ablehnung einer Friedensnote des Papstes durch die Entente. Mit der zustimmenden Antwort des Reichskanzlers hatte die Oberste Heeresleitung, trotz ihres Zweifels am Erfolg, sich einverstanden erklärt, weil ihr jede Aussicht, zum Frieden zu gelangen, willkommen war.

In gleicher Weise entschied sie, als das Auswärtige Amt an Möglichkeiten glaubte, über England Friedensverhandlungen anknüpfen zu können. Dabei erklärte sie ausdrücklich, lediglich einen wirtschaftlichen Anschluß Belgiens an Deutschland fordern zu müssen. Von dem damit ausgesprochenen Verzicht auf eine politische oder militärische Bindung an Deutschland sprach das Auswärtige Amt aber nicht, als es im Reichstage unter dem Beifall aller Abgeordneten die Unversehrtheit des Reichs einschließlich Elsaß-Lothringens zur Grundlage aller Friedensbedingungen erklärte.

Schwerer noch waren ihre Sorgen um die Zersetzung des Volkes durch die parteipolitischen inneren Kämpfe. In ihnen erschöpfte sich die Arbeit des Reichskanzlers Michaelis ganz; daß das Volk gegen unerbittliche Gegner Krieg führe, schien die Regierung zu vergessen. Besonders gefährlich erschien der Obersten Heeresleitung, daß ausländische Einflüsse im Reichstag immer mehr und mehr Wirkung fanden. Die Mitarbeit Czernins zur Friedensresolution des 19. Juli war der erste Schritt. Die zweifellos vom besten Willen eingegebene Friedensnote des Papstes beeinflußte in stärkstem Maße das Zentrum. Nunmehr suchte auch Woodrow Wilson sich in die inneren Verhältnisse des deutschen Volkes einzumischen durch die in seiner Botschaft an den amerikanischen Senat aufgestellten "vierzehn Punkte" der Friedensbedingungen.

Für die Stimmung im Reichstage und im Volke war die mit kräftiger Unterstützung von Reichstagsabgeordneten ausgebrochene Meuterei in der Marine ein furchtbares Anzeichen gewesen. Die Marineleitung griff ein; aber nicht in der notwendigen rücksichtslosen Strenge. Trotz der offenbaren Mitschuld mehrerer Reichstagsmitglieder wagte die Regierung nicht, diese zur Verantwortung zu ziehen: die Immunität als Volksvertreter verhinderte die Sühne für den begangenen Hoch- und Landesverrat. Auch der Reichstag brachte kein Verständnis auf für die furchtbare Gefahr, daß nunmehr jedes revolutionäre Wort im Reichstag ohne Bestrafung bleiben müsse. Die Kenntnis der milden Strafe für die Meuterei verbreitete sich schnell im Heere; und das schwächliche Vorgehen gegen die streikenden, die Versorgung des Heeres gefährdenden Arbeiter in den Waffen- und Munitionsfabriken untergrub naturgemäß das Pflicht- und Verantwortungsgefühl auch im Heere.

Als Gegenwirkung forderten Oberste Heeresleitung und Kriegsministerium gemeinsam, daß die Reichsregierung eine Stelle schaffe zur Abwehr der auf den Umsturz der bestehenden Staatsordnung hinzielenden revolutionären Bestrebungen. Als die Regierung ablehnte, erklärte sich die Oberste Heeresleitung bereit, eine solche Stelle beim Stellvertretenden Generalstab einzurichten. Dem stimmte [38] die Regierung zu; und sie beließ es auch dabei, als sie darauf hingewiesen wurde, daß diese Abteilung eine ständig steigende politische Bedeutung gewann.

Auch die Sorge um den Unterhalt des Heeres, der von der Versorgung des Volkes nicht getrennt werden konnte, lastete schwer auf der Obersten Heeresleitung. Die ständige Abnahme der für Volk, Marine und Heer gleichmäßig unentbehrlichen Rohstoffe usw. zwang zur einheitlichen Verteilung. Die dabei unvermeidbare Einschränkung der Lebensgewohnheiten war von tiefster Wirkung auf die Volksstimmung, um so mehr, da trotz der immer noch großen Erfolge der U-Boote sich diese zur Niederzwingung Englands bisher als unzureichend gezeigt hatten.

Zur Beseitigung der innerpolitischen Gegensätze reichte die Kraft des Reichskanzlers Michaelis nicht aus. Die Oberste Heeresleitung fand von ihm keine Unterstützung in ihrer schweren Aufgabe; sie hatte an seinem Bleiben kein Interesse, wenn ein stärkerer Mann an seine Stelle trat. Aber das vom Kaiser jetzt eingeschlagene Verfahren sah sie als bedenklich an: daß er bei der Ernennung des neuen Reichskanzlers sich vorher der Zustimmung des Reichstags versicherte. Die parteipolitische Zugehörigkeit des Kanzlers ließ sich nicht ausschalten; vor allem aber würde für den Reichstag nur eine Persönlichkeit in Frage kommen, die sich ganz auf den Boden des "Verständigungsfriedens" stellte. Die Oberste Heeresleitung hatte auf die Wahl keinen Einfluß. Daß der neue Reichskanzler ihre Hoffnung auf eine energischere Führung des Staates nach innen und außen restlos erfüllen würde, durfte sie kaum hoffen.

Als Graf Hertling Reichskanzler geworden war, beantragte sie vor allem schärfere Maßnahmen zur Hebung des Heeresersatzes. Die Frontstärken waren zu gering geworden. Das war eine Folge der Mängel des Hilfsdienstgesetzes; sie erforderten eine Änderung, durch die die Erfassung aller Kräfte für den Heeresdienst gesichert wurde. Die zu Facharbeiten zeitweise Entlassenen kehrten nach Erledigung der Arbeit nicht zur Front zurück, wo sie dringend benötigt wurden. Mit den immer größer werdenden Unterschieden der Löhne steigerte sich die Unzufriedenheit in bedenklichem Maße. Die Oberste Heeresleitung fand hierin auch nicht das Verständnis und die Unterstützung des Kriegsministeriums und des Kriegsamts. Schließlich versuchte sie, auf Anregung des Kriegsamts, eine unmittelbare Einwirkung auf die Führer der Gewerkschaften und Angestelltenverbände. In einer persönlichen Aussprache über die untrennbaren Zusammenhänge zwischen Heimat und Heer verurteilten auch die Gewerkschaftsführer jeden Streik; die bei dieser Gelegenheit von den Führern im Interesse der Arbeiter ausgesprochenen Wünsche leitete sie den verschiedenen Regierungsstellen zu. Aber die Regierung blieb allen Bemühungen gegenüber teilnahmslos oder abwehrend. Zu der den Arbeitszwang, die Kontrolle und die Wiedereinziehung zum Frontdienst sabotierenden Freizügigkeit der Reklamierten trat jetzt sogar ein Abbau der Strafvorschriften, der zu einer Begünstigung der Streiks und [39] einem Verzicht auf den Schutz der Arbeitswilligen führte und, was besonders verderblich wirken sollte, das Vereins- und Koalitionsrecht der Jugend.

Die Verschlechterung des Ersatzes war auch für das Kriegsministerium zu einer großen Sorge geworden. Es kam mit der Obersten Heeresleitung überein, um dem fühlbaren Nachlassen der Mannszucht und der Ausbildung bei den heimatlichen Ersatztruppenteilen zu begegnen, die Rekruten aus ihnen frühzeitig herauszunehmen und ihre weitere Ausbildung in den Feldrekrutendepots fortzuführen, um sie den verderblichen Einflüssen der Heimat zu entziehen. Aber das genügte nicht; der jetzt zur Einstellung kommende Jahrgang 1899 reichte nicht zur notdürftigen Ausfüllung der Frontstärken aus. Die Oberste Heeresleitung wies in einer Denkschrift auf den beängstigenden Mangel an Ausgebildeten bei allen Waffen und die Folgen für den Kriegsausgang hin. Eine Änderung dieses unheilvollen Zustandes sei nur durch die Änderung des Hilfsdienstgesetzes, Steigerung der Arbeitsleistungen und Rückkehr aller Kriegsverwendungsfähigen aus der Industrie zur Front möglich. Diese Rückführung müsse spätestens im Frühjahr 1918 durchgeführt und zugleich eine Verlängerung der Wehrpflicht gesetzlich beschlossen sein. Diese Forderungen fanden bei dem Grafen Hertling, der sich selbst als "Versöhnungskanzler" bezeichnete, wenig Verständnis. Er und die schwächliche Mehrheit des Reichstages waren nicht imstande, die aus der Natur des Krieges entspringenden Notwendigkeiten zu erfassen.

Ein weiterer Gegensatz zwischen der Obersten Heeresleitung und der Regierung entstand aus der polnischen Frage. Graf Czernin hatte schließlich auch den Kaiser, den Reichskanzler und den Staatssekretär des Auswärtigen für die austropolnische Lösung gewonnen. Die Oberste Heeresleitung lehnte sie aus militärischen Sicherheitsgründen ab, mußte sich aber der Entscheidung des Kaisers fügen und sich darauf beschränken, die von ihr vertretenen militärischen Sicherheiten in anderer Form zu fordern. Ihre Vorschläge eines Schutzstreifens an der preußischen Grenze und des engen politischen Anschlusses von Kurland und Litauen wurden schon während der Erwägungen zum Teil dadurch untergraben, daß parteipolitische und persönliche Einflüsse eine stärkere Bewertung fanden und schon jetzt die Ordnung in den bis dahin von Oberost verwalteten Gebieten gefährdeten. Über die Regelung in Elsaß-Lothringen traf die Oberste Heeresleitung bei dem Grafen Hertling auf eine andere Meinung als bei seinen Vorgängern. Sie mußte es schon als einen Vorteil ansehen, daß dieses Problem zunächst zurückgestellt wurde.

Die Überlegungen, wie im folgenden Jahre der Krieg weiterzuführen sei, gründeten sich auf den Abschluß des Jahres 1917. Der U-Bootkrieg hatte England nicht friedenswillig gemacht; der Kampfwille der Entente war ungeschwächt. Von den Verbündeten war keine Unterstützung zu erwarten. Die Türkei war erschöpft; Bulgarien beschränkte sich auf den Balkan; Österreich-Ungarn machte wenigstens die auf seinen Fronten eingesetzten deutschen Divisionen frei; die [40] nach der Isonzo-Schlacht versprochene weitere Hilfe beschränkte sich zunächst auf eine Anzahl schwerer Batterien. Aber der Abschluß des Kampfes im Osten schien endlich die Möglichkeit zu bieten, für die Hauptentscheidung ausreichende Kräfte zu vereinigten. Die Zahl der für den Westen frei werdenden Divisionen hing ab von dem Verlauf der am 22. Dezember begonnenen Friedensverhandlungen mit Rußland. Die Oberste Heeresleitung hatte also an ihrem schnellen Abschluß stärksten Anteil und suchte sie in ihrem Sinne zu beeinflussen. Die Vereinigten Staaten hatten begonnen, allmählich ihre Divisionen nach Frankreich zu schaffen; in gleichen Maße, wie von Monat zu Monat die Überlegenheit der Entente größer werden würde, verschlechterten sich die Aussichten für das deutsche Heer.

Die Frage, wieviele Divisionen und wann sie im Osten frei gemacht werden konnten, wurde durch Brest-Litowsk entschieden; ihre schnellste Erledigung war fast eine größere Sorge, als das Maß der Ergebnisse, um frühzeitig die außerordentlich schwierigen Transporte beginnen zu können.

Die von Wilson verkündeten Friedensbedingungen hatten Abtretungen deutschen Gebiets und Einmischungen in die inneren Verhältnisse umschlossen; sie waren deshalb abgelehnt worden. Als jetzt am 25. Dezember Graf Czernin im Namen des Vierbundes in Brest-Litowsk als Grundlage der Friedensverhandlungen den allgemeinen Verzicht auf erzwungene Gebietsabtretungen und Kriegsentschädigungen ausgesprochen hatte, erfolgte ein neues Friedensangebot an die Entente dadurch, daß sie zur Teilnahme an den Verhandlungen eingeladen wurde. Keine der Mächte folgte der Einladung.

Die Verhandlungen nahmen nicht den notwendigen schnellen Verlauf. Die russischen Vertreter trieben Propaganda und zogen die Verhandlungen absichtlich hin. Graf Czernin verfolgte österreichische Staatsinteressen; auch Deutschlands Vertreter, v. Kühlmann, hielt sich, darin unterstützt vom Reichskanzler, nicht an die im Kreuznacher Abkommen festgelegten Abmachungen hinsichtlich der für Deutschland notwendigen Sicherheiten militärischer Art. In dem hieraus sich entspinnenden Gegensatz entschied Kaiser Wilhelm sich für die Anschauung der Regierung. Feldmarschall v. Hindenburg sah sich gezwungen, die Frage der Mitverantwortlichkeit für Entschlüsse, die auch große militärische Belange umschlossen, in einer Denkschrift darzulegen. Dagegen vertrat Graf Hertling die Ansicht, daß für Friedensbedingungen er allein verantwortlich sei und auch an frühere Abmachungen sich nicht gebunden fühle.

Für die von der Verhandlung beeinflußten ungeheuer wichtigen militärischen Interessen schien er kein Verständnis zu haben; trotz des Drängens der Obersten Heeresleitung nahmen die Verhandlungen einen äußerst schleppenden Verlauf. Erst als durch das Eintreffen von Vertretern der Ukraine sich die Möglichkeit bot, gegenüber den unannehmbaren Forderungen Trotzkis wenigstens zu einem teilweisen Abkommen zu gelangen, schritten die Verhandlungen schneller [41] fort. Aber Trotzki selbst, der die Ukraine als Teil Rußlands angesehen wissen wollte, fuhr plötzlich ab. Unter dem Eindruck von Trotzkis Abreise trug v. Kühlmann endlich den militärischen Notwendigkeiten Rechnung und sagte den Abbruch der Verhandlungen 24 Stunden nach dem Friedensschluß mit der Ukraine zu. Als dieser am 9. Februar trotz ungünstiger Bedingungen für Österreich-Ungarn auch von Graf Czernin angenommen wurde, offenbarte sich die Notlage Österreich-Ungarns, da es die Unterschrift geben mußte, weil es für seine hungernde Bevölkerung außer deutscher Aushilfe des zugesagten Getreides sofort bedurfte. Als v. Kühlmann auch jetzt wieder mit dem Abbruch zögerte und gleichzeitig Trotzki in einem Funkspruch die deutschen Truppen zum Ungehorsam gegen den Obersten Kriegsherr aufforderte, erreichte die Oberste Heeresleitung endlich die Weisung des Kaisers, von Trotzki ultimativ die Annahme der Friedensbedingungen zu fordern. Trotzki lehnte ab, erklärte aber gleichzeitig den Krieg für beendet.

Für den hierdurch geschaffenen unklaren Zustand konnte die Oberste Heeresleitung nicht die Verantwortung übernehmen. Bei den längst begonnenen Bestrebungen der Entente, durch Neubildung des russischen Heeres wieder eine Kampffront zu schaffen, mußte sie volle Klärung fordern. Erst nach langem Widerstreben des Reichskanzlers, des Vizekanzlers und v. Kühlmanns erreichte sie die Kündigung des Waffenstillstandes oder vielmehr die Feststellung, daß er durch Trotzkis Erklärung aufgehört habe, und damit die Bewegungsfreiheit, um Rußland zum Frieden zu zwingen. Sie mußte diese Aufgabe lösen, um Entschlußfreiheit im Westen zu haben, und trotz schwerer Bedenken dazu die Belassung von Truppen im Osten auf sich zu nehmen. - Am 18. und 19. Februar begannen nach ihren Weisungen die Bewegungen, die zur Besetzung Estlands, Livlands und der Ukraine führten; Anfang März wurden Kiew und Odessa besetzt. Die russischen Truppen leisteten nur schwachen Widerstand, aber mit tschechoslowakischen Verbänden kam es zu ernsten Kämpfen. Sofort nach Beginn des deutschen Vormarsches erklärte Trotzki durch Fernspruch sich zum Friedensschluß bereit. Jetzt endlich hatte der Verlauf der Friedenskomödie die Reichsregierung überzeugt, daß beim Friedensschluß auch militärische Rücksichten mitbestimmend sein müßten; die neuen Friedensbedingungen forderten die Selbständigkeit Finnlands und der Ukraine und den Verzicht auf Kurland, Litauen, Polen, sowie die Rückgabe von Batum und Kars an die Türkei, völlige Demobilmachung und Einstellen jeglicher Propaganda. - Vertreter der Sowjetregierung unterschrieben am 3. März.

Einen ähnlich unbefriedigenden Verlauf nahmen die Friedensverhandlungen mit Rumänien. Den Intrigen Czernins, der den deutschen Vertretern weit überlegen war, gelang es, den Einfluß Österreich-Ungarns zur Vorherrschaft zu bringen. Zwar wurde am 5. März ein Vorfriede in Buftea unterzeichnet; der Friedensschluß selbst aber erst am 7. Mai, der Rumänien Beßarabien zu- [42] sprach, das Heer nur zum Teil demobilisierte, das Verbleiben des Königs Ferdinand und sogar der Ententevertreter in Jassy gestattete. Die schlimmen Folgen dieser Halbheit sollten sich später zeigen; vorerst hatte vom 3. und 5. März an die Oberste Heeresleitung die Verfügungsfreiheit über die deutschen Truppen des Ostens gewonnen. Ihre Überführung nach dem Westen wurde beschleunigt.

Auf diesen Unterlagen baute sich der Entschluß auf, ob die Oberste Heeresleitung im Jahre 1918 die Entscheidung offensiv suchen oder defensiv abwarten solle. Es war vorauszusehen, daß die Entente nicht zum Angriff schreiten würde, bevor nicht das Eintreffen der Amerikaner und ihrer ungeheuren Kampfmittel ihr eine entscheidende Überlegenheit gab. Ebenso sicher war aber auch, daß die deutschen Truppen derartige Zermürbungsschlachten wie 1917 nicht noch einmal würden aushalten können. Die Entscheidung an einer anderen Stelle zu suchen, war ausgeschlossen; Italien, Mazedonien oder Palästina brachten sie nicht. Es gab nur eine Stelle für die Entscheidung: die Westfront. Auch die Truppe selbst wußte und fühlte, daß sie gleich furchtbare Abwehrkämpfe nicht noch einmal durchhalten würde - sie forderte deshalb den Angriff und stützte den Entschluß der Obersten Heeresleitung. Dazu aber mußte diese Vorsorge treffen, die Truppe für die neue Aufgabe zu schulen. Nach dem mehrjährigen Stellungskrieg und den ungeheuren Verlusten war die Angriffsschlacht für die große Masse des Heeres neu. Als Grundlage dafür gab sie die Vorschrift "Angriffsschlacht im Stellungskrieg" heraus, die allen seit 1914 eingeführten neuen Kampfmitteln Rechnung trug. Für die notwendige intensive Ausbildung richtete sie für die Truppe zahlreiche Ausbildungskurse, für die Führer aller Grade und ihre Gehilfen Lehrkurse ein.

Mit Beginn des Jahres sollten dann die für den Angriff bestimmten Divisionen aus den Stellungen herausgezogen und durch erhöhte Ausstattung mit Kampfgerät und Pferden in besonderer Weise gestärkt werden.

Über die erreichte Zahl hinaus hätte die Frontstärke des Heeres erheblich gesteigert werden können, wenn der Kriegswille im Volk und bei den heimatlichen Behörden ein anderer gewesen wäre. Die dauernd zunehmende Zahl der Deserteure machte der Obersten Heeresleitung große Sorgen - noch mehr aber der Umstand, daß diese Leute in Etappe und Heimat von den eigenen Kameraden und Landsleuten unterstützt und von den Behörden geschont wurden. Jetzt wirkte sich das Versagen der Regierung in der Frage der Aufklärung des Volkes aus. Sie zeigte sich weiter in der geringen moralischen Qualität des Rekrutenjahrgangs 1899, mit dem die verhetzende Arbeit der Unabhängigen Sozialdemokratie zum erstenmal in größerem Umfange ins Heer getragen wurde.

Immerhin hatte die Oberste Heeresleitung eine Zahl von Divisionen für den Westen zur Verfügung, wie dies bisher noch nie der Fall gewesen war. Was nicht in gleichem Maße hatte gesteigert werden können, war die Ausstattung mit Kampfmitteln. Ihre Sorge mußte es sein, bei den kommenden Entscheidungs- [43] schlachten durch geringere Einbuße als beim Feinde das Zahlenverhältnis so günstig zu gestalten, daß der Ausfall der Gegner nicht durch die (wie sie hoffte) von den U-Booten gehemmten Antransporte der Amerikaner ausgeglichen werden konnte. Dahin sollte die neue Kampfvorschrift wirken.

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte