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Prag
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Bericht Nr. 71
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Meine Erlebnisse in der CSR 1945-46
Berichter: W. L. Bericht vom 21. 6. 1947

Lage von PragSeit November 1944 lag ich als verwundeter Leutnant mit zerschmettertem linken Unterarm im Res. Lazarett VII, Prag, Kleinseite (ehem. Tyrs-Haus). Im April durfte ich schon mit dem Arm in der Schlinge ausgehen. In Prag herrschte damals friedliche Ruhe. Bei meinen Ausgängen war ich ganz ungefährdet, die Tschechen zeigten überall freundliche Mienen und Entgegenkommen.

4. Mai 1945 herrschte vollkommene Ruhe, auch die vom Staatsminister Frank angeordnete dreitägige Trauerbeflaggung nach dem Tode Hitlers wurde überall ohne Zwischenfall durchgeführt. Niemals hätte man vermuten oder erwarten können, daß die Tschechen, welche den ganzen Krieg über nie den geringsten offenen Widerstand gegen die deutsche bewaffnete Macht wagten, nach der Kapitulation gegen wehrlose Menschen in einen beispiellosen Paroxysmus der Grausamkeit verfallen würden und hiebei auch nicht vor verwundeten Soldaten, Frauen, Kindern und hilflosen Menschen Halt machen würden.

Im Folgenden schildere ich nur in Hauptzügen meine eigenen Erlebnisse und Beobachtungen:

In den Abendstunden des 4. Mai begannen die Tschechen in Prag die deutschen Tafeln und Aufschriften abzunehmen und verweigerten Antwort auf deutsche Fragen. Die gesamte Polizei verhielt sich dabei passiv.

Am Morgen des 5. Mai war vollkommene Ruhe, sodaß ich keine Gefahr dabei sah, mich von unserer Wohnung, wo ich wegen Überfüllung des Lazaretts mich in häuslicher Pflege befand, in Uniform ins Lazarett zwecks Verbandswechsel zu begeben. Gegen 11 Uhr war ein großes Geschrei von der Straße zu vernehmen, die Häuser zeigten plötzlich überall tschechischen Flaggenschmuck, Leute umarmten einander und schwenkten tschechische Fähnchen oder Blumen.

Ich verließ das Lazarett mit Arm in der Schlinge, drängte mich durch die Menge, bestieg eine vorbeifahrende Straßenbahn und fuhr quer durch die Stadt nach Hause. Außer einigen Schimpfworten und Flüchen gegen mich erlebte ich weiter keine Feindseligkeiten. Während dieser Zeit wurden, wie ich dann hörte, im Bahnhof-Gelände des Bubner Bahnhofes Waffen an die Tschechen verteilt und ein dort stehender deutscher Lazarettzug beschossen. Inzwischen hatten die Tschechen auch den Sender Prag-Stadt überrumpelt und forderten nun in ständigen Aufrufen die Bevölkerung zum Aufstand auf; dabei wiederholten sie dauernd die aufhetzenden Worte: "Smrt Nemcum!" (Tod den Deutschen)

Nach meiner Heimkehr bemerkte ich aus dem Fenster der elterlichen Wohnung im Bahnhof-Gelände einen blutüberströmten deutschen Soldaten, der in der grellen Sonnenhitze dort lag und von einem tschechischen Aufständischen brutal mißhandelt und bewacht wurde. Ich hatte mich vorher in Zivil umgezogen und gab mich für einen Universitäts-Studenten aus. Den Hausinsassen wurde nichts angetan und außer den vorhandenen Kleinwaffen und Zigaretten nichts genommen. Die Nacht und der darauffolgende Sonntag, der 6. Mai, brachte keine besonderen Ereignisse, außer der kurzen Heranziehung zum Barrikadenbau und dem Befehl, die Wohnung zu verlassen und den Luftschutzraum aufzusuchen. Erst in den späten Abendstunden des 6. Mai kamen einige Männer in den Keller mit dem Rufe: "Alle Männer sofort mitkommen!" Meine Mutter, die sich an mich, den einzigen bei ihr weilenden Familienangehörigen klammerte und mitkommen wollte, wurde von meiner Seite weggerissen und zurückgestoßen. Ohne Abschied ging es fort. Ich sollte meine Mutter in den nächsten zwei Jahren nicht wiedersehen.

Wir wurden in das Kino Oko (Orion) gebracht und dort mit Männern, Frauen und Kindern aus anderen Straßenzügen eingesperrt. Die Behandlung war anfangs nicht schlecht, die Wachen kümmerten sich nicht viel um uns, wir bekamen etwas Brot und Suppe zu essen.

Der 8. Mai brachte uns die Hoffnung auf eine baldige Befreiung, denn das ständige Schießen in der Nähe verstärkte sich und die Wachen zeigten wachsende Nervosität und Angst. Einige begannen sogar mit den Deutschen zu reden und ließen sich die Versicherung geben, daß sie ihnen nichts getan hätten, damit die deutschen Soldaten, welche schon bis in die nächste Nähe vorgedrungen waren, auch milde mit ihnen verführen. Doch die Nacht brach herein, ohne daß sich an unserer Lage etwas änderte, jene Nacht, die den Schluß des Krieges, damit auch den Schluß der Kämpfe um Prag, die Ankunft der ersten Russen und den Beginn des Mordens und der Quälerei brachte.

In den Mittagsstunden des 9. Mai stürmten brüllend bewaffnete Burschen mit roter Armbinde in den Kinosaal, trieben mit Kolbenstößen und Fußtritten Gruppen zu 10-15 Männern (und später auch Frauen) zusammen und jagten sie hinaus zum Barrikadenabbau. Ich stand mit einigen Österreichern beisammen und rief jedem zu, wir seien Österreicher. Doch auch das half nicht viel. Wir wurden trotzdem zusammen hinausgetrieben. Der "Posten" sagte allerdings, er würde darauf Rücksicht nehmen, daß wir Österreicher seien. Mit erhobenen Händen ging es im Laufschritt durch die Straßen. Die ersten Schläge der Menge sausten auf uns nieder. Einige Straßenzüge weiter stand die große Barrikade, die von uns abgeräumt werden sollte. Sie war 2,5-3 m hoch und bestand hauptsächlich aus aufgeschichteten großen Pflastersteinen mit Eisenstangen und Stacheldraht. Wir bauten sie ab und pflasterten die Straße.

Eine große Zuschauermenge sammelte sich an, auf den Rücken wurden uns mit Kalk und auf die Stirn mit heißem Teer Hakenkreuze geschmiert, zum Teil die Schuhe und besseren Kleidungsstücke ausgezogen. Ich konnte den ganzen Nachmittag nur mit der rechten Hand arbeiten, denn ich hatte ja vor wenigen Wochen noch den Gipsverband am Arme, die große Wunde war noch nicht vollständig verheilt und eiterte. Der ständige Hinweis darauf, daß ich Österreicher sei und meine tschechischen Sprachkenntnisse bewahrten mich vor dem Schicksal der vielen Erschlagungen dieses Tages.

Vorbeifahrende Russenautos mußten durch Hinknien und Senken des Kopfes bis zur Erde gegrüßt werden. Schweiß und Blut klebten am Körper, die Zunge war kaum noch des Sprechens mächtig, denn die Sonne brannte vom Himmel und ein Aufrichten oder gar Ausruhen und Wassertrinken gab es nicht. Dabei ein ständiges Antreiben durch Schläge und Fußtritte. Gegen Abend waren wir mit unserer Arbeit fertig. Im Laufschritt mit kurzem Hinlegen und Hüpfen in tiefer Kniebeuge ging es zurück. Unterwegs erhielt ich von einer tschechischen Frau mit einer Zaunlatte gegen den verwundeten Arm einen so heftigen Schlag, daß der Arm bewegungsunfähig wurde. - Es kam nur ein Teil des herausgeholten "Arbeitskommandos" wieder zurück. Die meisten Menschen waren verwundet, die Frauen hatten kahlgeschorene Köpfe.

Doch auch die erhoffte Ruhe während der Nacht blieb aus. Russen und Tschechen holten die deutschen Frauen und Mädchen heraus, aus dem Vorraum waren Verzweiflungsschreie zu hören; Männer, die ihre Frauen schützen wollten, wurden niedergeschlagen; Kinder, die sich an ihre Mütter klammerten, mitgenommen und man ließ sie bei den Schändungen zusehen. Meine ehemalige Tanzlehrerin wurde bei der Vergewaltigung geistesgestört. Mehrere Menschen verzweifelten und suchten sich durch Öffnen der Pulsadern, Erhängen oder Herabstürzen vom Kinobalkon das Leben zu nehmen. Ich selbst beschützte ein 16jähriges Mädchen, indem ich es unter den heruntergeklappten Stühlen verbarg und mich auf die Stühle drauflegte.

Unter Todesandrohung wurden uns in den nächsten Tagen sämtliche Habseligkeiten vom Taschenmesser bis zur Nagelfeile und Kamm abgenommen (Geld selbstverständlich zuerst). Täglich wurden Männer und Frauen zu irgendwelchen Arbeiten geholt und oft kam nur ein kleiner Teil zurück. So kam nach 14 Tagen das Pfingstfest heran. In der Innenstadt hat man an diesem Tage, wie mir später ein Mitgefangener, Dr. Küttner aus Halberstadt erzählte, in der Reithalle am Hibernerplatz Deutsche zu Tode gequält. In die Todesschreie mischte sich der feierliche Orgelklang aus der nahen Kirche, wo dasselbe Volk "innig" zum Gott der Nächstenliebe und der Barmherzigkeit betete!

Man konnte selbst nichts tun, als sich in den Willen Gottes fügen und mit größter Selbstüberwindung dulden, wollte man sich nicht in den qualvollsten Tod stürzen. Oft habe ich darüber nachgedacht, woher denn der abgrundtiefe Haß dieses Volkes so plötzlich kam. Es hatte doch den ganzen Krieg so gut überdauert wie kaum ein zweites Volk in Europa. Von den Deutschen waren die Tschechen als gleichberechtigtes Volk behandelt worden, standen ernährungsmäßig wohl besser da, als so mancher Deutsche. Man saß in der Eisenbahn, im Kino oder Kaffeehaus neben dem Tschechen - es gab keinen Unterschied als den, daß die Tschechen nicht einrücken und keine Gefallenen zu beklagen brauchten.

In der Woche nach Pfingsten wurden wir alle aus dem Kino in die ehemalige Scharnhorst-Schule in Prag-Dejwitz getrieben. Am Eingangstor leuchtete uns schon die verheißende Aufschrift "Koncentracní tábor" (Konzentrationslager) entgegen. Man bemühte sich dort auch, möglichst alles, was man an Erzählungen über KZ gehört hatte, zu übertreffen. Wir lagen dort in den leeren Klassenzimmern auf dem Fußboden. Es gab keine Seife zum Waschen, dafür aber 25 Prügelschläge für eine gefundene Laus, welche Warnung am Gang angeschlagen stand.

Täglich beim Antreten wurde geschossen und geprügelt. Sank jemand mit Bauchschuß zusammen, mußte der Nebenmann unbeweglich stehen bleiben. Die Leichen lagen mehrere Tage auf dem Hof, bevor man sie irgendwo verscharrte. Kleine Kinder und alte Leute starben, denn die Verpflegung war schlecht und lächerlich gering.

Ich war froh, als eines Tages der Abtransport zur Landarbeit begann und mir auf meinen Hinweis, ich sei verwundeter Offizier, gesagt wurde, ich käme in das Kriegsgefangenenlager. Freilich brüllte mich der Lagerkommandant, ein Stabskapitän der tschechischen Wehrmacht an, diese Kriegsverwundung sei eine Schande und nicht etwa eine Ehre für mich.

Mit neuer Hoffnung marschierte ich am 2. Juni 1945 mit einigen deutschen Soldaten, die längere Zeit Kraftfahrer bei der russischen Wehrmacht und vom Russen heimgeschickt, vom Tschechen aber festgehalten worden waren, unter Bewachung ins Kriegsgefangenen-Lager Prag-Motol.

Nun, so dachte ich, müßten doch die Bestimmungen der Genfer Konvention eingehalten und ich wieder als Mensch und nicht als ein unter dem Niveau des Tieres stehendes Etwas behandelt werden. Diese Ansicht erhielt den ersten Schlag, als ich am Eingang des mit Stacheldraht umgebenen Barackenlagers einen Mann mit roter Armbinde und Gummiknüppel bemerkte.

Wir wurden im Hofe aufgestellt und genauestens untersucht. Bei mir war nicht mehr viel zu finden, den ehemaligen Russenfahrern nahm man aber sämtliche Bestände an Tabak, Konserven, Brot, Geld usw. ab. Dann wurde, wie es in den vorigen Lagern schon öfter geschehen war, der Oberkörper entblößt und nachgesehen, ob wir unter der linken Achsel nicht etwa die Blutgruppe eintätowiert hätten. Unter den Soldaten befand sich einer, der sofort vom Lagerkommandant, Stabskapitän Masanka (also einem tschechoslowakischen Stabsoffizier), persönlich verprügelt wurde. Als er schwörend den Finger hob und bei Gott beteuerte, er sei gar nicht SS-Angehöriger gewesen, sondern er hätte als Rücksiedler aus dem Osten die Blutgruppe erhalten, schlug ihm der "Herr Stabskapitän" mit den Worten ins Gesicht: "Bei Gott? Deutsche haben keinen Gott!" Der Ärmste verschwand im SS-Keller, aus dem es kein lebendes Entrinnen mehr gab.

Behandlung und Verpflegung änderten sich hier nicht. Wir fanden morgens Männer, die in der Nacht zur Latrine gegangen waren, angeschossen und verblutet vor dieser liegen. Die einzige Änderung gegenüber der vorigen KZ war die, daß wir nun Männer unter uns waren, die das Ertragen von Strapazen und Not im Kriege gelernt hatten und daß zu dem eigenen Leid nicht noch das Mitansehen der Qualen von verzweifelten Frauen und unschuldigen, einst so frischen und frohen Kindern kam.

Ich selbst wurde, wie die meisten Offiziere, oft zu den schwersten Arbeitskommandos eingeteilt, mußte in der Stadt Schränke tragen, wurde u. a. von einem Praporcik (Stabsfeldwebel) Kuzbach mit Riemen mehrermale ins Gesicht geschlagen.

Die Gefangenen waren schon so ausgehungert, daß bei vielen alle Hemmungen fielen und sie sich bei Arbeitskommandos über jeden Mülleimer hermachten und ihn nach verschimmelten Brotrinden oder Kartoffelschalen durchwühlten, sofern sie kein Posten daran hinderte.

Bei einem Arbeitskornmando lernte ich einen 21jährigen Posten kennen, der ausnahmsweise freundlich war, und mit welchem ich mich in tschechischer Sprache über verschiedene Dinge unterhalten konnte. Er sagte u. a., die jetzigen Machthaber in der CSR sollten sich ja nicht einbilden, sie könnten dasselbe Regime wieder errichten, wie es vor 1939 bestand. "Wir haben", so meinte er, "in Deutschland gesehen und selbst erhalten, was wir Arbeiter zu fordern haben, und was uns gegeben werden muß! Deshalb gehöre ich auch keiner der alten Parteien an, sondern bin Kommunist!" Dies war wohl der erste Tscheche, der während des Krieges in deutschen Fabriken arbeitete, glänzend bezahlt und gut verpflegt wurde und nun nicht behauptete, er wäre dort im KZ gewesen, wie es alle übrigen taten.

Er erzählte auch von einem erschütternden Mord in den Maitagen. Nach seinen Angaben wurde in Prag-Weinberge ein tschechisches Mädchen, das die Geliebte eines SS-Mannes und nun schwanger war, von den Tschechen auf die Straße geholt und bestialisch ermordet. Mit abgeschnittenen Brüsten und aufgeschlitztem Bauche lag sie da. Herbeigerufene Pressevertreter (auch ausländische) stellten anhand von Ausweisen fest, daß es sich um eine Tschechin handelte und zogen die Folgerung, daß die Greueltat nur die Deutschen begangen haben konnten. So entstanden Nachrichten über Bestialitäten der Deutschen während der tschechischen Revolution.

Dieser Posten, unter dessen Aufsicht wir im Stadtteil Wrschowitz arbeiteten, begleitete mich auch zu einer mir gut bekannten tschechischen Familie, die in der Nähe wohnte. Der Familienvater, ein guter Jugendfreund meines Vaters, dem mein Vater während der deutschen Besatzungszeit zu einem guten Posten verholfen hatte, war nicht zu Hause. Ich wollte dort weiter nichts, als ein Lebenszeichen von mir geben, damit ein Mensch auf Erden wissen sollte, daß ich in diesen Tagen noch lebte und im Lager Motol war, denn man mußte auch damals noch jeden Tag mit dem Tode rechnen.

Die Frau erhielt bei meinem Anblick einen solchen Schrecken, daß sie mich am liebsten gleich wieder hinausgeworfen hätte, wenn nicht der Posten dabeigestanden hätte. Die Tochter erging sich gleich in den ärgsten Beschimpfungen gegen die Deutschen und sagte, sie hätte, wenn sie in den Revolutionstagen einen in die Finger bekommen hätte, ihn auch umgebracht.

Der Posten nahm die Frau beiseite und sagte ihr leise, sie solle mir doch ein bißchen was zum Essen geben, da wir solchen Hunger litten. Er gestand mir nachher, daß er es getan hätte, da er genau wußte, daß ich es auch oder gerade in dieser Situation unter meiner Würde fand, um etwas zu betteln. So kam ich wenigstens zu einem Stück Brot und etwas Marmelade, welches die Frau mit ängstlichen Blicken verpackt dem Posten mit den Worten in die Hände legte: "Ich gebe es Ihnen, machen Sie damit, was Sie wollen. Ich will nichts damit zu tun haben."

Leider kam ich schon nach drei Tagen nicht mehr zu diesem einzigen menschenfreundlichen Tschechen, den ich in der Gefangenschaft kennengelernt habe.

Durch schwere Arbeit und die schlechte Verpflegung verschlimmerte sich der Zustand meiner Verwundung sehr. Die Narbe war bald in ihrer ganzen Ausdehnung von 12x6 cm geöffnet und eiterte stark. Auch andere kleine Wunden am Körper eiterten und heilten nicht zu. Schließlich konnte ich nicht mehr arbeiten und wurde in das etwa 300 m entfernte sogenannte Krankenlager Motol gebracht. Es bestand aus mehreren Steingebäuden um den Hof. Wir schliefen auf dem ehem. Heuboden über einem leeren Pferdestall auf den blanken Ziegelsteinen ohne irgendwelche Unterlage, ich, wie die meisten, auch ohne Decke. Dort lagen die Verwundeten und Kranken dichtgedrängt Mann neben Mann. Die mitgefangenen Ärzte konnten so gut wie keine Hilfe bringen, da sie keine Mittel, nicht einmal genügend Papierbinden hatten.

Der Unterschied zwischen Offizier und Mann bestand lediglich darin, daß die verwundeten und kranken Offiziere beinahe täglich zum Kohlenschaufeln und Straßenkehren herangezogen wurden. Dabei wurde zur Unterhaltung noch Exerzieren mit den aus Zweigen hergestellten Besen durchgeführt (Gewehr über! - Gewehr ab!).

Im gegenüberliegenden Gebäude befand sich der berüchtigte SS-Keller. Dort waren in einem kleinen Kohlenkeller 80 bis 100 Menschen hineingepfercht, die täglich herausgeholt und gepeinigt wurden. Als die Posten des Schlagens müde waren, ließ man die Gefangenen sich gegenüber stellen und sie sich gegenseitig ohrfeigen. Manchmal ließ man sie nackt ausziehen und prügelte sie dann. Sie sahen aus wie Skelette, denn sie waren dazu bestimmt, langsam zu verhungern. Die Rückkehr in den Keller spielte sich manchmal so ab, daß man einen Mann nach dem anderen an den Eingang stellte und mit einem Fußtritt hinunterbeförderte. War einer so geschickt und hatte noch so viel Kraft, um unten gut zu landen, ließ man ihn wieder heraufkommen und wiederholte dasselbe oder ließ ihn an der Schwelle mit dem Gesicht nach außen niederknien und den Kopf senken. Dann bekam er einen Fußtritt ins Gesicht, daß er nach rückwärts die Treppe hinunterstürzte.

Während dieser Handlungen wurden wir auf unseren Boden gejagt, konnten aber durch Ritzen im Dach und in der Tür die Ereignisse verfolgen, sofern uns nicht das Grauen davor zurückhielt.

Die Zahl der Kellerinsassen nahm ständig zu, es waren auch vierzehnjährige Jungen vom HJ-Volkssturm dabei. Als auch ein zweiter Raum vollgestopft war, ging man daran, "Platz zu schaffen". Um Ansteckungen der Posten durch die im Keller überhandnehmenden Krankheiten vorzubeugen, streute man öfters durch das vergitterte Fensterchen Chlorkalk hinein. Es wurde auch mit Maschinenpistolen blindlings hineingeschossen.

In der Nacht wurden regelrecht Massenhinrichtungen vorgenommen. Zunächst waren Verwundete mit Gipsverbänden an der Reihe. Alle Insassen standen vor dem sicheren Tod. Kein Wunder, daß zwei junge Burschen, die den Unrateimer heraustragen mußten, diesen plötzlich auf die Erde stellten und mit dem Rufe an uns: "Grüßt uns die Heimat! Grüßt uns Deutschland!" fortliefen, so schnell sie ihre schwachen Beine tragen konnten. Sie rannten in den Tod, denn einen offenen Ausgang aus dem Lager gab es nicht. Bald knallten mehrere Schüsse, und die Beiden hatten ausgelitten.

Die zu Erschießenden wurden meist nicht durch Genick- oder Kopfschuß, sondern durch Bauchschuß erledigt, um sie noch Stunden leiden zu lassen. Während dieser Zeit, meist in der Nacht, durften wir den Boden nicht verlassen, obwohl wir alle, nierenkrank durch den kalten Ziegelfußboden, uns an der Tür drängten. Als einer doch hinauszugehen versuchte, wurde heraufgeschossen. Einen Unrateimer durften wir nicht heroben haben. Später wurde dann meist ein Kommando von 10 Mann herausgeholt, um die Leichen auf einen Pferdewagen zu laden und zu verscharren und die großen Blutlachen mit Sand zu bestreuen.

Längere Zeit war ein Arbeitskommando tagsüber tätig, um große Massengräber auszuschaufeln.

Mein Zustand hat sich, wie der vieler Verwundeter, durch die weiterhin schlechte und ungenügende Verpflegung, die inzwischen auf 400 g Brot, einen Halbliter Wassersuppe und 2 mal täglich sogenannten Kaffee "angestiegen" war, so verschlechtert, daß ich lange apathisch dalag. Viele blieben schließlich ganz liegen, da sie nicht mehr unter den Lebenden weilten.

Um diese Zeit, es war Mitte August, erhielt ich auf dem Umwege über meine Verwandten im Sudetenland, denen ich ein Lebenszeichen hatte hinausschwindeln können, die Nachricht, daß mein Vater und meine Mutter noch leben. Dies ließ meinen Lebensmut wieder neu erwachen und gab mir die Pflicht auf, selbst als letzter übriggebliebener Sohn weiterzuleben. Ich suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, meine Lage zu verändern und diesem langsamen Absterben zu entrinnen. Schließlich ergriff ich die einzige, die sich bot: Ich meldete mich zur Bauernarbeit.

Die tschechischen Großbauern in Innerböhmen beschäftigten ständig eine große Zahl Landarbeiter. Alle diese Leute waren aber nun ins Sudetenland gegangen und hatten dort deutsche Anwesen erhalten. Jetzt war die Ernte überreif und mußte eingebracht werden. Man holte sich also Deutsche als Hilfsarbeiter heran.

Am 2. Juli 1946 verließen wir alle endlich das Land, in dem wir so viel erlebt hatten.

Ich hatte nun doch mein nacktes Leben gerettet, wenn ich auch nicht wußte, wohin ich mich nun wenden und was ich nun beginnen sollte.



 

Bericht Nr. 72

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Lager Motol
Berichter: Herr Schreiber Bericht vom 3. 12. 1946 (Prag)

Lage von Prag und MotolBis zum Jahre 1938 war ich Leiter des Polizeiamtes in Neudeck und wurde nach dem Anschluß am 5. 10. 38 in Lubenz verhaftet und bis 13. 11. 42 in den Kozentrationslagern Dachau und Flossenbürg gefangengehalten. Zuletzt war ich als Kraftfahrer in Norwegen eingesetzt, wo ich nach der Kapitulation in englische Gefangenschaft geriet. Im Oktober 1945 wurde ich mit einem Repatriantentransport in die CSR zurückgebracht und dort mit allen Transportangehörigen im Lager Motol gefangen gehalten. Dabei wurde uns die reichliche und gute Ausrüstung an Kleidung und Lebensmitteln, die uns die Engländer mitgegeben hatten, bis auf eine dünne Decke restlos abgenommen. Wir wurden in kahlen und ungeheizten Räumen mit Steinfußboden, ohne Strohsäcke, untergebracht. Durch 4 Wochen wurden viele Lagerinsassen fast täglich geschlagen. Vom Lager aus wurden Arbeitskommandos zur Arbeit bei Bauern, in Fabriken und zur Straßenarbeit in Prag verschickt. Ein Großteil der Arbeitskommandos wurde auch bei der Arbeit geschlagen. Ich sah selbst, wie beim Schleppen von Zementsäcken eine schwangere Frau, die nahezu erschöpft war und öfter zusammenbrach, vom tschechischen Aufseher angetrieben wurde. Als ein Gefangener dagegen Einspruch erhob, erklärte der Aufseher, es sei doch nur eine Deutsche, die krepieren könne. Mein Neffe wurde am Silvesterabend in Prag am Wege von der Arbeit von einem russischen Soldaten mit der Maschinenpistole so geschlagen, daß er schwere Verletzungen erlitt und später an deren Folgen starb.

Ich wurde Anfang März aus dem Lager Motol nach Neudeck entlassen, wo ich im Antifaschistischen Ausschuß tätig war. Bei der Anerkennung als Antifaschist wurde von den tschechischen Behörden zwischen sozialdemokratisch und kommunistisch organisierten Deutschen ein großer Unterschied gemacht, indem von den Sozialdemokraten nur ungefähr 10%, von den Kommunisten aber die doppelte Anzahl der im Jahre 1938 organisierten Deutschen anerkannt wurden. Es erweckte den Anschein, als ob die Vermögenslage bei der Zuerkennung der Antifaschisten-Legitimation eine Rolle spielte. Bei den allgemeinen Aussiedlungen wurden allen Aussiedlern die Papiere über Vermögenswerte abgenommen. Bei der Entlassung aus dem Lager besaß ich nichts. Als Antifaschist bekam ich wohl durch den Národní výbor die notwendigsten Kleidungsstücke und Gebrauchsgegenstände, doch waren es durchwegs minderwertige Dinge, sodaß ich auf die Unterstützung von Freunden und Bekannten angewiesen war.



 

Bericht Nr. 73

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Erschießung von 18 Kriegsgefangenen am 9. 8. 1945
Berichter: Eduard Flach, Oberfeldintendant a.D. Bericht vom 6. 3. 1950 (Prag)

Lage von Prag und MotolAls ehemaliger Oberfeldintendant und Leiter einer Hauptgebührnisstelle der Luftwaffe geriet ich, 58-jährig, am 6. Mai 1945 in Prag in tschechische Kriegsgefangenschaft. Die Zeit meiner Gefangenschaft verbrachte ich mit noch 600 kriegsgefangenen deutschen Soldaten im Arbeitslager Roudnice an der Elbe, dem "Benzina-Werk", einer weitausgedehnten industriellen Anlage der ehemaligen Organisation Todt. Folgende wahre Begebenheit gestatte ich mir, zur Kenntnis zu bringen:

Am 9. 8. 1945 mußten wir in den Abendstunden vor den Baracken auf dem Appellplatz antreten und den Oberkörper entblößen. Eine Untersuchungskommission aus Prag war eingetroffen, um die Kriegsgefangenen auf ihre Zugehörigkeit zur SS zu überprüfen. 18 Mann wurden ermittelt, darunter auch einige Gefangene, die ohne ihr Zutun zur Waffen-SS eingezogen waren. Nur bei einigen konnte das Merkmal der Zugehörigkeit zur Allgemeinen Waffen-SS, das eintätowierte "a", festgestellt werden. Einige unter ihnen waren bereits aus der SS ausgeschieden.

Die 18 Kriegsgefangenen mußten sich nun mit dem Gesicht gegen eine hölzerne Baracke gewendet, nebeneinander aufstellen. Jetzt verübten die Tschechen vor unseren Augen ein Verbrechen an den wehrlosen Gefangenen, das als sehr brutal bezeichnet werden muß. Mit Eisenstangen und Gewehrkolben wurden die bedauernswerten Opfer von den tschechischen Aufsehern und Soldaten so lange auf den entblößten Rücken geschlagen, bis sie blutend zusammenbrachen. Als die Gefangenen stöhnend am Boden lagen, wurden sie von den Tschechen wieder aufgerichtet und mit kaltem Wasser begossen. Mir steht heute noch deutlich vor Augen, wie einigen Gefangenen durch wuchtige Kolbenhiebe die Finger zerschmettert wurden; die in ihrer Brutalität einzig dastehenden Mißhandlungen währten etwa 2 Stunden bis zum Eintritt der Dunkelheit. Dann durften wir wegtreten und die ohnmächtigen Gefangenen wurden in das Soldatenlager, das durch einen Stacheldrahtzaun von dem eigentlichen Gefangenenlager getrennt war, geschleppt, wo sie nach weiteren Mißhandlungen erschossen wurden. Die vollständig entkleideten Leichen wurden noch während der Nacht in einen ehemaligen trockengelegten Feuerlöschteich geworfen und notdürftig verscharrt. Am folgenden Tage begannen wir, die Grube zuzuschütten. Als diese Arbeit nach einigen Tagen beendet war, konnten wir beobachten, wie die tschechischen Wachtmannschaften die eingeebnete Grube als Fußballspielplatz benutzten. Ich bin überzeugt, daß die Angehörigen dieser 18 ohne jede Gerichtsverhandlung zu Tode gefolterten Kriegsgefangenen noch heute völlig im Ungewissen über das tragische Schicksal ihrer Ehemänner, Söhne usw. sind, denn es war uns und der Lagerleitung streng untersagt, irgendwelche Notizen über unsere Erlebnisse während der Gefangenschaft zu machen.

Daß wir ehemaligen deutschen Kriegsgefangenen während unseres Aufenthaltes im Lager Roudnice - abgesehen von schwersten körperlichen Arbeiten bei völlig unzureichender Verpflegung - bis aufs Hemd ausgeplündert und für die geleisteten Arbeiten weder Kriegsgefangenensold noch sonst eine Vergütung erhalten haben, im Gegensatz zu dem Verhalten der Amerikaner und Engländer, möchte ich nur nebenbei erwähnen.

Am 12. 2. 1946 kam ich als schwerkranker Mann in das Durchgangslager Prag-Motol, da ich entlassen werden sollte. Meine Entlassung zog sich jedoch bis zum 8. 6. 46 hin. Nach meiner Entlassung befand ich mich mehrere Jahre in ärztlicher Behandlung, um die gesundheitlichen Schäden, die ich durch die unmenschliche Behandlung erlitten hatte, zu beseitigen. Ich bin jederzeit bereit, diesen Tatsachenbericht eidlich zu bekräftigen.


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Dokumente zur Austreibung der Sudetendeutschen
Überlebende kommen zu Wort