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Kapitel 13:
Zusammenschluß des Bromberger
mit dem Pommereller Verschleppungszug


NieszawaKaum hat sich der Bromberger Zug auf dem Müllabladeplatz von Nieszawa niedergelassen, als von Westen her ein noch größerer Zug in die Straße zu diesem Platz einbiegt. Er zählt weit über tausend Menschen, auch bei ihm sind viele Frauen, er kommt anscheinend aus Pommerellen.

Zum ersten Male sehen die Bromberger gleichsam ein Spiegelbild ihrer selbst, können sie solch einen Zug aufmerksam betrachten. Wohl sind sie bisher auch schon manchem begegnet, aber doch immer nur in eiligem Vorbeimarsch als Selbstgetriebene. Hier liegen sie nun rastend auf dem Schutt, haben zum ersten Male wirklich Muße, dies erschütternde Bild für alle Zeit in sich auf- [120] zunehmen: Als erstes kündigt ihn eine langsam sich vorwärtswälzende Staubwolke an, als nächstes dringt das unablässige Durcheinanderschreien der Eskorte bis zu ihnen, als drittes erst tauchen die vordersten Reihen der Verschleppten auf. In den ersten Gliedern gehen meist die straffsten Gestalten, je länger der Zug jedoch vorbeizieht, umso gebeugter werden die müden Rücken seiner Menschen. Ein alter Mann hängt mit den Armen über den Schultern zweier anderer, daß er an einen alten Adler mit schleifenden Flügeln gemahnt, seine einst so klaren Vogelaugen sind fast erloschen, nur seine gebogene Hakennase gibt noch eine Ahnung vom einstigen Ausdruck des Gesichtes. Viele Männer hängen gleichsam nur noch in den Armwinkeln ihrer Kameraden, ihre Beine schleifen schon mehr auf dem Boden nach, als daß sie sich noch selber schreitend vorwärtsschöben. Bei manchen auf solche Art aufopfernd Mitgeschleppten sieht man deutlich, daß sich ihre Beine nur mehr wie die von Marionetten in der Luft bewegen, den Erdboden meist nur mehr schlenkernd mit den Fußspitzen streifen. Aber solange einer überhaupt noch so tut, als laufe er, wird er von seinen Volksgenossen nicht im Stich gelassen...

Als die Bromberger schließlich auch die Gesichter sehen, sagt jeder gleichsam zweifelnd zu sich: Sehe auch ich so aus? Auch diese haben sich seit acht Tagen nicht gewaschen, so hat sich die Schicht des Straßenstaubes, vom Schweiße des Marschierens lehmartig gewor- [121] den, wie eine fingerdicke Kruste über ihre Züge gelegt, was den Gesichtern etwas mumienhaft Erstarrtes gibt. Da zudem viele von den frischen Schlägen blutende Wunden haben, ist dieser Lehm oft marmorartig von Blut durchsetzt, aus dieser Starre aber blicken nun meist Augen, die oftmals selber noch blutunterlaufen, immer aber seit vielen Tagen schwer entzündet sind. Der Blick jedoch, den diese kranken Augen haben, den werden sie am wenigsten vergessen: Bei den meisten sind sie gleichsam längst erloschen, sind sie wie bei Sterbenden schon blicklos geworden, bei vielen aber haben sie noch den Ausdruck gehetzten Wildes, ist nicht das Ganze auch eine große Treibjagd? Unsagbar kläglich ist auch das Aussehen ihrer Kleider, die Anzüge der Männer sind vom Staube einheitlich grau, manche aber tragen in rührendem Ordnungssinn noch immer ihre Kragen, wenn sie sich auch schon längst nur mehr wie graue Lappen um die Hälse schlingen, zuweilen werden sie sogar noch wie in besseren Zeiten von Krawatten zusammengehalten. Soweit es nicht das kräftige Beiderwand der Bauerntrachten ist, sehen die Kleider der Frauen von allen am mitgenommensten aus, die leichten Sommerstoffe hängen längst in Fetzen an ihren Gliedern, die Rocksäume der älteren Frauen sind rundherum abgetreten, die dünne Seide der Sommerblusen junger Mädchen überall durchlöchert, an den nackten Beinen mancher läuft helles Blut herunter. Das Traurigste von allem aber sind die Füße, denn die meisten [122] haben keine Schuhe mehr. So hat man sie denn zum Ersatz mit Taschentüchern umwickelt, oft auch nur mit Stücken grober Säcke, die man zum Glück noch irgendwo fand. All diese schuhlosen Füße sind längst blutig gelaufen, oft auch seit Tagen mit schweren Eiterbeulen bedeckt - wie viele tausend Schritte sie auch an einem Tage machen müssen, immer noch zucken sie bei jedem Niedersetzen verkrampft zurück...

"So also sehen wir aus!" sagt Baron Gersdorff unvermittelt. Er sitzt mit den Führern vor einem großen Aschenhaufen, lehnt wie sie den müden Rücken ausruhend gegen seinen Wall. Selbst Dr. Kohnerts scharfgeschnittenes Gesicht, das fast immer einen Ausdruck heiterer Sicherheit hat, ist in diesem Augenblick wie von innen her beschattet.

"So sehen wir aus!" wiederholt Adelt leise. "Aber leider sieht es niemand anderes, wird uns auch niemals jemand so erblicken. An unserer Stelle sollten die englischen Politiker sitzen, dafür einmal einen sonntäglichen Kirchgang ausfallen lassen - vielleicht würden ihnen ihre salbungsvollen Worte doch einmal im Halse stecken bleiben, sie sich mal einen Augenblick lang ihrer Schuld bewußt werden!"

"Oder ein paar der frommen Misses, die so gerne in den Missionen arbeiten, um armen Negern zum Christentum zu verhelfen!" sagt Dr. Kohnert spöttisch. "Hier fänden sie ein weites Feld für ihre Nächstenliebe, könnten sich einen Sperrsitz im Himmel erringen..."

[123] "Was mir in diesen Tagen immer durch den Kopf geht", bricht Adelt plötzlich leidenschaftlich aus, "ist vor allem eines, ist vor allem dieses: Was auch Polen in diesem Kriege geschehen mag, ob seine ganzen Städte durch ihn vernichtet werden, ob seine ganze Intelligenz in seinen Schlachten fällt, ob im Hagel seiner Geschütze ein Drittel seines Volkes zugrunde geht - ich könnte mir als Kriegsfolge nichts ausdenken, was mir irgendwie als ungerecht vorkommen würde: Wenn ein Volk so an Waffenlosen handelt, kann es schlechthin nichts mehr geben, was es unverdient erhielte, ist alles Recht geworden, was ihm auch geschieht! Und wenn das Ausland kommt, mit erhobenen Händen ruft: Dies arme Polen, was geschah ihm alles - so müssen wir es sein, die immer wieder ruhig sagen: Es geschah alles zu Recht - was ihm auch geschah! Denn was es hier tat, an zahllosen Kulturmenschen tat, die es wie Herdenvieh durchs Land trieb, wie es uns hierher, wie es jene dorthin treibt, das ist eine solch ungeheure Kulturschande, daß es in Zukunft nichts mehr geben kann, worüber sich dies Volk noch jemals beklagen dürfte, denn mit ihr hat es sich selbst aus der Elite der Kulturvölker gestrichen! Und wenn es einstmals dafür büßt, so wird es ja nicht nur für einzelne büßen, das ganze Volk war an diesem grausigen Massenmord schuld, an diesen viehischen Quälereien unschuldiger Menschen beteiligt, vom Marschall dieses Staates angefangen, über die Woiwoden bis zu den Professoren, über die Lehrer [124] bis zum sturen Bauern, über die Offiziere bis zum letzten Soldaten hinab! Weder die Frauen blieben unschuldig an diesem, noch blieben es die Kinder dieses 'ritterlichen' Volkes - alle haben sich die Hände mit diesem Blut befleckt, alle sich an den Qualen Wehrloser geweidet! Möge sich weder die Welt, noch möge sich dieses Volk selbst über das beklagen, was es einst für diese Sünde am Menschentum bezahlen muß - Gott selber wird es dann nicht hören, denn ihre Taten schändeten auch Gott! Und wenn einst Philanthropen aller Farben sich seiner annehmen, dann sprecht zu ihnen von nichts anderem als diesen Zügen - sie werden sicherlich, wenn ihr es richtig sagt, nichts als die Wahrheit sagt, nach kurzem schon von selbst erkennen, daß dies Volk keine Liebe mehr verdient, ihre guten Werke jedem anderen besseren Nutzen bringen als diesem!"

Sie sehen alle ein wenig überrascht auf ihren Kameraden, es ist im allgemeinen nicht seine Art, mit solcher Leidenschaft aus sich herauszugehen. Dann blicken sie von neuem auf den Zug, der sich schon langsam seinem Ende nähert - man hat ihn übrigens auf den gleichen Platz geführt, vielleicht wird er sich sogar auf dem Weitermarsch anschließen?

"Das ist alles wahr", sagt Dr. Kohnert schließlich. "Aber ich weiß heute schon wörtlich, was das Ausland hierzu sagen wird: Kaum war der Krieg ausgebrochen, machten die Deutschen einen großen Volksaufstand, denn sie waren vom Reich aus bestens bewaff- [125] net! Was blieb den armen Polen übrig, als sich ihrer auf schnellstem Wege zu entledigen - wurden sie jetzt doch nicht nur von vorne, sondern auch im Rücken von ihnen angefallen! Daß es im Zorn über diesen hinterlistigen Überfall zu Ausschreitungen kam, wer will das diesem Volke verdenken, es wird im Todeskampf eines kleinen Volkes in gleicher Lage immer dazu kommen!"

"Mein Gott im Himmel!" ruft Adelt erschrocken aus. "Jetzt wird mir eigentlich erst völlig klar, warum man bei den Verhaftungen überall nach Waffen suchte, warum man aus jedem Haus geschossen haben soll, warum man überall Patronen hineinzuschmuggeln versuchte! Die von Ihnen gegebene Deutung war die große Linie, von vornherein von oben her mit allen Mitteln vorbereitet... Das hat man im ganzen Volke verbreitet, das glauben die meisten wohl auch wirklich..." Er hält erschüttert inne, legt den Kopf in die Hände. "Ist das nicht entsetzlich?" fragt er dann leise. "Hat es jemals Führer eines Staates gegeben, die so etwas leichtfertig auf sich nahmen? In dessen Folgen nicht nur wir so furchtbar leiden müssen, sondern auch das polnische Volk noch furchtbar büßen wird? Und alles Lüge, alles nur teuflisch ausgedacht...?"

"Aber niemand wird uns das glauben, das ist das Bittere dran!" sagt Dr. Kohnert wieder. Er hat im Schutt einen abgebrochenen Löffel entdeckt, schiebt ihn als kostbaren Fund in die Tasche.

"Aber das ist doch unmöglich!" wehrt Adelt sich er- [126] regt. "Es weiß doch schließlich jeder, in welcher Unterdrückung wir lebten, daß ein Waffenbesitz für uns etwas Unmögliches war, daß die Haussuchungen uns schon ein halbes Jahr kaum einen ruhigen Tag ließen, daß der kleinste Waffenfund gleichbedeutend mit monatelangem Zuchthaus war! Daß ferner die Grenzen seit Monaten hermetisch abgeschlossen waren, auch an ein Herüberschmuggeln in der letzten Zeit nicht zu denken war! Wie sollen wir es denn gemacht haben, wenn alle alten Waffen längst abgenommen, neue aber in keinem Fall zu bekommen waren? Es hat doch einfach niemand von uns geschossen, weil niemand von uns Deutschen noch eine Waffe hatte - in diesem Fall ist doch alles klar, muß doch die Wahrheit siegen..."

"Ich bleibe nach wie vor skeptisch", sagt Dr. Kohnert ungerührt. "Die Wahrheit ist in unserem Jahrhundert nichts Absolutes mehr, sondern das Erzeugnis des größeren Propagandaapparates..."

In diesem Augenblick kommt ein Gefangener zu ihnen, dem man gerade noch den Pfarrer ansehen kann, er wird von zwei mißmutigen Polen begleitet. Es ist der Pastor Krusche, der Führer des eben angekommenen Zuges. Sie besprechen in Eile das Notwendigste, dürfen kaum ein anderes Wort miteinander wechseln, sie haben es übrigens auch ohnedies erraten: von hier aus sollen die beiden Züge gemeinsam weitergehen. Inzwischen haben sich die Bromberger Führer auch soweit erholt, daß sie die notwendigsten Dinge der Führung wieder [127] in Angriff nehmen können. Dr. Kohnert läßt sich zum Kommandanten führen, bittet ihn, von ein paar Leuten für eigenes Geld Brot einkaufen zu lassen. Seltsamerweise gestattet der Kommandant es diesmal, so wird in Eile noch einmal eine größere Summe Zloty eingesammelt, mit Funkenschnelle verbreitet sich die Hoffnung: "Es wird Brot geben, Brot wird es geben..."

Der neue Zug hat sich inzwischen auch gelagert, so liegen jetzt fast zweitausend Menschen im Schutt herum, trotz des stillen Liegens dauernd von einer Aschenwolke umhüllt, da auch die kleinste Bewegung schon den Staub aufwirbelt. Viele von ihnen knien in den Müllabfällen, stochern suchend in den Haufen herum, vielleicht findet sich doch noch ein Stückchen altes Brot, vielleicht auch nur ein weggeworfener Kohlkopf? Diese in der Asche wühlenden Elendsgestalten bilden das erschütterndste Bild; hier sieht man einen gierig an einer schimmeligen Rinde nagen, dort hat einer eine alte Konservenbüchse gefunden, die er glücklich mit einem Draht an der Jacke befestigt, jetzt hat er doch endlich ein Trinkgefäß, jetzt fehlt nur noch das Wasser selbst! Die meisten aber liegen wie hingeschlagen im Schmutz der Stätte, bewegen nur mehr ihre eitrigen Augen, wenn sich ein anderer vorüberschleppt, stöhnen nur mehr mit aufgebrochenen Lippen nach einem Tropfen Getränk.

Der Platz liegt in seiner ganzen Länge an der Straße, von der er nur durch einen Balken getrennt ist, der auf halb mannshohen Pfählen rings um ihn herumläuft. [128] Rechts von der Straße zieht sich ein hoher Bretterzaun hin, er umschließt anscheinend einen riesigen Sägeplatz, links aber ziehen sich ein paar sandige Hügel hinauf, auf ihnen liegt eine Reihe ärmlicher Bauernhäuser. Unweit dieser kleinen Hügelrücken liegt auf der anderen Seite die evangelische Kirche, nicht weit von dieser aber steht ein kleines Haus, gerade an der dem Platz gegenüberliegenden Straße, in dem anscheinend eine noch nicht vertriebene volksdeutsche Familie wohnt.

Aus diesem kleinen Hause nämlich empfangen sie das herrlichste Geschenk, das sie sich in der brennenden Mittagshitze dieses Tages denken können: In seiner Tür erscheint mit einem Male eine kleine Frau, deren glattes Schwarzhaar pagenhaft auf die Schultern fällt - neben ihr läuft mit hellem Plappern ein zartes Mädchenkind, an jedem Arme aber trägt sie schamhaft lächelnd einen Eimer Wasser! Es gibt fast einen Aufruhr auf dem Müllplatz, es bedarf aller Energie der Führer, daß man die kleine Frau nicht einfach niedertritt...

So trinken sie denn, trinken sie fast alle, wenn jeder auch nur einen Schluck bekommt, gibt es ihnen doch wieder ungeahnte Kräfte. Drei Stunden lang trägt diese kleine Frau, es ist die Frau des geflüchteten Küsters Wiese, aus ihrem Hause über die Straße ihre schweren Eimer - schließlich kommt noch aus der Stadt das angekaufte Brot, wenn auch von diesem jedem nur ein winziges Stück zufällt, kennt doch das allgemeine Glück fast keine Grenzen.

[129] Um vier Uhr nachmittags, viel zu früh für alle, kommt der Befehl zum Weitermarsch. Wiederum ordnen sich die Züge, als erster zieht der Bromberger vom Platz, als zweiter schiebt der Pommereller sich aus dem Schutt heraus, vom Liegen in den Abfällen noch lange eine Wolke von Gestank verbreitend. Wloclawek Es geht dicht am Ufer der Weichsel entlang nach Wloclawek zu, das sie bei Einbruch der Nacht gerade noch erreichen. Mit großen Augen sehen sie, daß hier schon viele Häuser zerschossen sind, aufs neue taucht die Hoffnung auf, doch eines Tages noch befreit zu werden. Man pfercht sie alle zusammen in eine Turnhalle, aber wie groß der Raum auch diesmal ist, wiederum können lange nicht alle ausgestreckt liegen. Aber es ist doch immerhin kein Abfall, überall von menschlichem Kot durchsetzt, auf dem sie jetzt zusammengekrümmt hocken müssen, doch immerhin kein stinkender Straßenschmutz, überall von schneidenden Glassplittern gemischt, auf dem sie jetzt mit nackten Füßen stehen müssen.

Schon sehr früh geht es am andern Morgen weiter, aber nicht mehr nach Osten, sondern auf einmal geradewegs nach Süden zu. Ob östlich schon die Deutschen sind, die Landstraßen schon gesperrt haben? Auch hier kann Dr. Kohnert noch erreichen, daß man neben den kranken Frauen auch einige alte Männer auf Wagen legt. Als aber der siebzigjährige Superintendent Aßmann um das gleiche bittet, ein würdiger Pfarrer besten Rufes, kann man ihn kaum vor einem Überfall be- [130] wahren. "Seht diesen Banditen an", ruft der Kommandant, "ist dabei der Gefährlichste von allen!" So nehmen denn zwei junge Männer ihn wiederum auf ihre Arme, schleppen den erschöpften Greis auch diesen ganzen Tag noch mit sich fort. Schließlich zieht alles wiederum dahin wie immer, mit schleifenden Füßen, von Staub umwölkt, in jedem Nest geschlagen, von jedem Vorübergehenden mindestens angespien...

Der Tag wird wiederum fast sommerlich heiß, unentrinnbar brennt die Sonne auf sie herab. Da sie seit Nieszawa nichts mehr zu trinken bekamen, beginnt der Durst um Mittag Formen des Verdurstens anzunehmen. Oft stehen an den Dorfstraßen große Wasserbottiche, von Bauern für die durchziehenden Soldaten sorglich aufgestellt, den Gefangenen aber ist ein Trinken daraus bei Todesstrafe verboten. An diesem Mittag hat dieses Verbot keine Wirkung mehr, als erster wirft sich plötzlich ein alter Mann über einen solchen Bottich, zieht alles umher vergessend unersättlich das Wasser in sich ein. Doch während er noch trinkt, auch andere schon dem Beispiel folgen wollen, stürzt der nächste Posten auf ihn zu, holt den umgedrehten Karabiner mit weitem Schwunge aus, läßt den Kolben schmetternd auf den Hinterkopf fallen. Der Mann gibt keinen Laut von sich, sein Kopf sinkt halb zertrümmert in das Wasser, allmählich sinkt sein ganzer Oberkörper nach, während sich das klare Wasser von seinem Blute rötet. "Jetzt hast du wohl genug bekommen, du verdammter [131] Wassersäufer!" schreit der Polizist ihm noch nach. Er duldet nicht einmal, daß man den leblosen Körper herauszieht, er soll zur Abschreckung in diesem Bottich liegenbleiben...

Gegen Abend zeigen sich die ersten Delirien, fangen die Gefangenen vereinzelt zu phantasieren an. "Dort liegt doch mein Gehöft, am Gartentor steht meine Elisabeth, sie will mir einen Krug mit Wasser reichen, laßt mich doch eben mal zu ihr hinüber!" ruft ein junger Bauer immer wieder. Hat so einer in seinem Gliede nicht zufällig jemanden, der noch so viel Kraft besitzt, um ihn von seinem Vorhaben zurückzuhalten, zählt sein Leben nur mehr noch Sekunden. Denn wer sich auch nur einen Schritt aus der Reihe begibt, wird von den Posten augenblicklich totgeschlagen.

Immer mehr beginnen jetzt eine Fata Morgana zu sehen, herrliche Flüsse mit Wasserfällen, von schattigen Baumgruppen einladend umgeben: "Nur noch ein paar Kilometer, dort vorne sieht man es schon deutlich", sagen sie ernstlich zu den Kameraden, "rafft euch nur noch einmal zusammen, in einer halben Stunde haben wir's erreicht!" Gegen fünf Uhr wird diese Vorstellung bei einigen so stark, daß sie plötzlich aus den Reihen brechen, in weiten Sprüngen auf einen nahen Hügel zulaufen. Sofort erhebt sich ringsum ein wildes Geschieße, keiner kommt weiter als zehn Meter fort. Alle werden nach dem Fallen mit den Bajonetten zerstochen, auf einen ist der Posten in seiner Wut sogar hinauf- [132] gesprungen, steht mit umgedrehtem Karabiner auf ihm, den einen Fuß auf seiner Kehle, den andern auf dem Geschlecht, führt so Stich um Stich in den sich windenden Leib. Auf den jedoch, der am weitesten kam, springen drei Strelzi mit ihren schweren Nagelstiefeln, treten so lange auf seinem Gesicht herum, bis es nur mehr eine blutige Masse ist...

Einer nach dem anderen fällt in den vorderen Reihen aus, fällt Glied um Glied zurück, bis er zu guter Letzt am Schlusse des Zuges angelangt. Dort tritt der nächste Posten ihm sofort ins Kreuz, hält er diesen Stoß noch aus, so mag er noch länger leben - meist sinkt er unter dem dritten Tritt zusammen, der dem ersten gewöhnlich in kurzem Abstand folgt. Das aber ist das Zeichen zu seiner Liquidierung, damit endet er wie alle vor ihm durch den Kolben. An diesem Tage fallen vierundvierzig Verdurstende, enden alle vierundvierzig auf diese Weise...

Aber den Polen geht es immer noch zu langsam. Daß diese Deutschen so zäh sind, wer hätte das von ihnen wohl jemals gedacht? So trifft der Kommandant kurz vor Chodez auf einen Offizier, einen gepflegten Oberleutnant eines vornehmen Warschauer Regiments. Er steigt einen Augenblick vom Pferde, sie tauschen Zigaretten miteinander, schließlich sagt der Fremde mit einer Kopfbewegung: "Warum sind das denn immer noch so viele, habt Ihr bis hierher noch nicht mal Zeit gehabt, ein wenig unter diesen Schweinen aufzuräumen?"

[133] Der Kommandant lacht nur, macht darauf seine schmalen Augen. "Das kommt noch alles, beruhigen Sie sich, ich bin eher dafür, es langsam abzumachen!"

Da lacht der andere auch, gibt seinem Pferd die Schenkel: "Das ist ganz richtig, sie haben mehr davon, diese verdammten Hitlerowzi..."

Endlich geht die Sonne unter, senkt sich die Dämmerung herab. Chodez "Nur etwas Geduld noch", sagt ein Bauernjunge immer wieder zu sich selbst, "bald fällt der erste Tau..."

Aber bevor der Tau noch fällt, daß sie ihn lecken können, erreichen sie ihr Tagesziel, die große Zuckerfabrik in Chodez.


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Der Tod in Polen
Die volksdeutsche Passion