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Die erste deutsche Einwanderung

Germanische
Urbevölkerung
Polens
Schon in vorgeschichtlicher Zeit lassen sich Spuren germanischer Ansiedlung in dem Gebiet verfolgen, das wir heute unter der Bezeichnung Kongreßpolen kennen. Die Annahme der Geschichtsforscher, daß Polen germanische Urbewohner hatte, ist durch Gräberfunde in der Nähe von Lodz und an der Weichsel bestätigt worden. Professor Schuchardt, der 1916 die Funde prüfte, kommt zu dem (damals von allen Zeitungen veröffentlichten) Schluß: "In Russisch-Polen ist die ganze vorgeschichtliche Kultur von der Steinzeit an bis in die römische Kaiserzeit von Ostgermanien abhängig gewesen. Offenbar haben die ostgermanischen Stämme selbst bis mindestens zur Weichsel gesessen. Von hier haben sie dann leicht den Durchgang zum Dnjepr und Dnjestr und an das Schwarze Meer gefunden, wo wir in der Kaiserzeit ein gotisches Reich blühen sehen."

Tacitus erwähnt in seiner Völkertafel, daß um das Jahr 100 in der Weichselebene der Stamm der Vandilier, in den Warthegegenden die Burgunder, und weiter nach Osten die Goten, alle drei germanische Stämme, saßen. Wenige Jahrzehnte später, bei Beginn der Völkerwanderung, setzten sich alle östlichen Germanenstämme in Bewegung: die Goten drangen bis zum Schwarzen Meer vor, die Vandilier (Vandalen) bevölkerten die ungarischen Ebenen und die Burgunder setzten sich am mittleren Rhein fest und gründeten dort in der Nähe von Worms ihr sagenberühmtes Reich. Als 375 die Hunnen Osteuropa überschwemmen, kommen die ostgermanischen Stämme noch einmal in Bewegung; sie brechen wie eine Sturmflut über das mürbe gewordene Römische Reich und gründen in Italien, Gallien, Spanien und Nordafrika eigene Reiche, die aber keinen langen Bestand haben, da ihre Leiter der römischen Feldherrnkunst nicht gewachsen und durch inneren Zwist geschwächt sind. Die weite Entfernung von ihren früheren Sitzen ermöglicht keinen Nachschub zur Anfüllung der durch dauernde Kämpfe gelichteten Schlachtreihen.

Eindringen
slawischer Stämme
in das heutige Polen
In den nächsten Jahrhunderten wurden die von ihren Bewohnern entblößten Gegenden östlich der Elbe von nachrückenden Slawen in Besitz genommen, wobei sie die noch vorhandenen dünnen germanischen Bevölkerungsteile ausrotteten oder sich unterwarfen und in sich aufnahmen. Um das Jahr 600 n. Chr. waren die slawischen Stämme der Wenden und Sorben bis in die Gegend von Bamberg und zum Thüringer Wald [10] gedrungen. Auch die ursprüngliche Heimat der Goten, Vandalen und Burgunder wurde von westslawischen Stämmen besiedelt. Am Ausgang des ersten Jahrtausends wohnten zwischen Warthe und Netze die Polanen (Feldbewohner), die Gründer des polnischen Staates, die allmählich die benachbarten und verwandten Stämme der Lentschanen (Wiesenbewohner) an der Pilica, die Kujawier (Dünenbewohner) an der unteren, der Masowier (Sumpfbewohner) an der mittleren und der Wislanen (Kleinpolen) an der oberen Weichsel in ihren Herrschaftsbereich einzogen. Während der höchsten Blüte des polnischen Staates konnten zahlreiche kleinere slawische Gruppen, deren Heimatgebiete ohne natürliche Grenzen waren, dem polnischen Drang nach Angliederung nicht widerstehen, so daß sich das Gebiet der polnischen Geschichte von den Abhängen der Sudeten und Karpathen bis an die Küste der Ostsee und von der Oder im Westen bis an die Gestade des Schwarzen Meeres erstreckte.

Polens Eintritt
in die Geschichte
und in den
deutschen Kulturkreis
Erst mit dem Jahre 960 treten die Polen in die europäische Geschichte und gleichzeitig auch in den deutschen Kulturkreis ein. Dem Stamm der Polanen mit seinem Heerführer Mieszko war es gelungen, die anderen polnischen Stämme zu unterwerfen. Mit Mieszko gelangte das Geschlecht der Piasten zur Herrschaft, das sich in Polen bis 1370 und in Masowien sogar bis ins 16. Jahrhundert behauptete. Mieszkos Reich erstreckte sich im Westen bis an die Oder. Veranlaßt durch seine Frau Dubrawka, Tochter des böhmischen Herzogs Boleslaw, und aus Furcht, daß er ohne Anschluß an das Christentum seine Eroberungen nicht sichern könne, gab Mieszko sein Heidentum auf.
Deutsche Glaubensboten,
deutsche Fürstinnen
und deutsche Ritter
kommen ins Land
Deutsche Sendboten der Kirche waren bereits nach Großpolen vorgedrungen und hatten das vom Erzbistum Magdeburg abhängige Bistum Posen begründet, das nun den Polen als selbständiges Bistum überlassen wurde. Sein erster Bischof war ein Deutscher, Jordan. Seitdem waren ungezählte Scharen deutscher Geistlicher und Mönche ins Land gekommen.

Für den Anschluß an den deutschen Zweig der römischen Kirche waren starke politische Gründe mitbestimmend gewesen. Schon damals hatte sich ein starker Gegensatz zwischen Polen und Russen entwickelt. Da die Russen das griechische Christentum annahmen, so war die Bevorzugung der römisch-deutschen Kirche durch den polnischen Herzog ganz natürlich. Mit den kirchlichen wurden auch politische Fäden mit Deutschland angeknüpft. Im Jahre 973 erscheint Mieszko auf dem Hoftage in Quedlinburg, wo Kaiser Otto II. seinen Grenzstreit mit dem deutschen Markgrafen Gero an der Oder schlichtet. Später finden wir Mieszko als Verbündeten Heinrichs des Zänkers von Bayern in dessen Kampf gegen den deutschen König. Zusammen mit dem deutschen Kriegsheer kämpft er einige Jahre später gegen die aufständischen Elbeslawen. Mieszkos zweite Frau, Oda, Tochter des Markgrafen Dietrich, war eine Deutsche. Mit ihr und anderen deutschen Fürstentöchtern, die die späteren polnischen Herrscher sich als Frauen holten, kamen deutsche Hofleute ins Land. Sie verpflanzten deutsches Rittertum nach Polen.
Der wachsende
deutsche Einfluß
am Hofe
Der polnische Adel besteht, wie es jedes polnische Adelslexikon unbewußt nachweist, zu einem nicht unbedeutenden Teil aus Nachkommen der mit den deutschen Fürstinnen und bei späteren Gelegenheiten eingewanderten Ritter, die sich rasch assimilierten und auch [11] ihre Namen polonisierten. In der Hartknochschen Chronik Alt- und Neues Preußen, die 1648 erschien, wird uns von der Unterdrückung deutschen Wesens während der Regierungszeit Kasimirs des Großen erzählt und über die
Rasche
Entnationalisierung
des Adels
Entnationalisierung der deutschen Adelsgeschlechter berichtet: "So weit ist es gekommen, daß, obgleich noch viel von den alten Teutschen Geschlechtern im Lande übrig seyn, man dieselbe nunmehro weder auß den äusserlichen Sitten, Kleidung und Sprachen, noch auß dem Namen von den anderen polnischen Geschlechtern unterscheiden kan. Denn wenn sich ein jedes Land nach seines Herrn Sitten richtet, so hat auch in diesem Pohlnischen Preußen die Ritterschaft meistentheils pohlnische Kleidung, Sprachen und Nahmen angenommen. Exempelweise etwas anzuführen, so hat Stolinski vohrmals geheißen von Kalkstein, Zakrzewski und auch Wipscinski - von Felden, Trczinski - von Canden, Goluchowski - von Gluchaw (Gluchau), Bonkowski - von Nostiz, Elzanowski - von Elsenau, Kanarski - von Schleiwiz, Krokowski - von Krokau, Dombrowski - von Damerau, Powalski - von Lechwald, Pleminski - von Schaffenburg, Dorpowski - von Dorpusch, Prebendowski - von Prevendau. Von Heidenstein setzten den Soleszius ihrem Namen nach. Die von Konopat werden Conopacki genannt. Aus Polen kam unter Sigismund III. (1587 bis 1632) Johannes Zawadzki nach Preußen, ein Geschlecht, das vor Zeiten in Deutschland den Namen Bieberstein führte. Das Jus indigenatus in Preußen bekam Andreas Mornin, ein ebenfalls aus Deutschland kommendes Geschlecht, früher Mondstern, nach ihrem uralten Wappen."

Den deutschen Kaufleuten und Rittern folgten deutsche Handwerker und Kaufleute. Zwischen Regensburg und Polen entwickelte sich schon im 10. Jahrhundert ein reger Handelsverkehr.

Kampf des
einheimischen Adels
gegen die
deutschen Hofleute
Gegen den um sich greifenden deutschen Einfluß machte sich gar bald ein feindlicher Gegensatz des einheimischen Gefolges der Herrscher geltend. Schon Mieszkos Sohn, Boleslaw Chrobry (der Glorreiche, 992-1025), vertrieb seine Stiefmutter und ihre Söhne. Zwar leistete er noch Otto III. den Lehnseid, aber er suchte gleichzeitig Anschluß an Rußland. Sein Erobererdrang führte ihn im Norden bis an die Ostsee und im Süden bis an die Donau. Otto III. stiftete ihm das Erzbistum Gnesen und machte so Polen kirchlich unabhängig von Deutschland. Nach Ottos Tode suchte Boleslaw sich auch politisch unabhängig vom Deutschen Reich zu machen. Er erhob sich gegen den neuen Kaiser Heinrich II., riß die Lausitz und Meißen an sich und setzte sich nach dem Tode Heinrich II. (1025) die Königskrone auf. Auch Boleslaw hatte eine Deutsche, Oda, Tochter des Markgrafen Ekkehard von Meißen, zur Frau.

Boleslaws Eroberungen gingen während der Regierungszeit seines Sohnes Mieszko II. (1025-1034) verloren. Den äußeren Kämpfen folgten innere, die auch nach Mieszkos Tode fortdauerten. Die Böhmen unternahmen Beutezüge durchs Land. Erst als die deutsche Partei erstarkte und geschlossen für die Königinwitwe Rixa, Tochter des Pfalzgrafen am Rhein, eintrat, die für Mieszkos minderjährigen Sohn Kasimir regierte, und die deutschen Herrscher Konrad II. und Heinrich III. eingriffen, kehrten wieder leidliche Verhältnisse ein. Der vertriebene Kasimir (1040-1058) kam, von 500 deutschen Rittern begleitet, nach Polen zurück [12] und brachte mit deutscher Hilfe wieder Ordnung in die zerfahrenen Verhältnisse.

Kasimirs Sohn, Boleslaw II. der Kühne (1058-1079), verschaffte sich durch neue Eroberungen auf Kosten Rußlands Geltung und Ansehen. Er setzte sich als zweiter polnischer Herrscher die Königskrone auf. Während seiner Auseinandersetzungen mit dem einheimischen Adel und dem Klerus, denen er zu stark geworden war, tötete er den Bischof Stanislaus am Altar. Boleslaw sah sich genötigt, das Land zu verlassen.

Unter Boleslaws Bruder, Wladyslaw Hermann (1079 bis 1102), der eine deutsche Erziehung genossen hatte, verstärkte sich wieder der deutsche Einfluß. Sein Beichtvater, der Schwabe Otto, der spätere Bischof von Bamberg und Apostel der Pommern, vermittelte seine Ehe mit Jutta, Schwester Heinrich IV. Der deutschfeindliche Teil des einheimischen Adels gewann Wladyslaws Söhne Zbigniew und Boleslaw III. Schiefmund, die in offener Fehde gegen den Vater Teile des Reiches an sich brachten.

Thronstreitigkeiten kennzeichnen die Regierung der Nachfolger des Herrschers. Das Reich reifte seinem Verfall entgegen. Wiederholt waren die deutschen Kaiser Heinrich V., Konrad III. und Friedrich Barbarossa genötigt, als Lehnsherren in die inneren Verhältnisse des Landes einzugreifen.

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Das Deutschtum in Kongreßpolen
Adolf Eichler