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Gemeinsamer Bericht vom gemeinsamen Leid

Das gemeinsame Erlebnis der Qualen und Mißhandlungen hat zu einer gemeinschaftlichen Art des Schauens und, wenn man so will, des Gestaltens geführt. Denn selbst bei den schrecklichsten Vorkommnissen, durch die wir hindurch müssen, handelt es sich zuletzt immer um ein schöpferisches Gestalten aus der Erinnerung. Nachträglich lassen wir das Geschehene vor unserem geistigen Auge vorüberziehen, und wenn wir auch für alle Einzelheiten nach bestem Wissen und Gewissen bürgen können, so ist doch der Zusammenhang, die Tönung und Färbung und schließlich der innere Gehalt des Erlebten eine Tat unserer geistigen Schöpferkraft. Nun haben diese Volksdeutschen, die durch die festen Bande des gemeinsamen Blutes, der Sprache, der Kultur, des Sich-zur-Wehr-setzen-müssens aneinander gebunden sind, auch diese grauenvollen Tage gemeinsam erlebt. Sie haben zum Teil darüber auch gemeinsame Berichte gegeben, und ein solcher gemeinsamer Bericht mag nun unsere Aufmerksamkeit fesseln.

"Am 1. September 1939 wurden in Rackwitz fast sämtliche Deutschen von polnischen Lümmels, die schwer bewaffnet waren, aus ihren Häusern geholt, um interniert zu werden. Der Weitertransport erfolgte am Nachmittag desselben Tages, und wir erreichten als erste Stadt Grätz, wo wir von polnischem Pöbel, der zuvor durch unsere Begleitmannschaften aufgeputscht worden war, mit Steinwürfen empfangen wurden, denen dann auch bald Messerstiche folgten. Auf dem Markte angekommen, schlug man auf uns unter schmählichen Beschimpfungen mit Bierflaschen und sonstigen Gegenständen ein. Wir waren dem Pöbel wehrlos ausgeliefert, man spie uns ins Gesicht und dergleichen mehr, ohne von unseren Begleitmannschaften irgendwie in Schutz genommen zu werden. Nachdem der Pöbel seine Wut an uns ausgelassen hatte, ging die Fahrt weiter nach Ptaszkowo, wo es uns ähnlich erging wie in Grätz. Man hätte uns ja durch diese Dörfer und Städte ohne [25] Pause durchfahren lassen können, aber man tat es nicht, sondern hielt mit uns bewußt in allen größeren Ortschaften, um uns dem Pöbel, der da furchtbar wütete, auszuliefern. Unser Weg führte dann nach Steszew, wo wir den ersten Toten zu beklagen hatten. Der Volksdeutsche Konrad Neumann aus Rackwitz wurde mit einer Zaunlatte so lange geprügelt, bis er kein Lebenszeichen mehr von sich gab. Dem Volksdeutschen Gustav Hoffmann, Rackwitz, wurden mit dem Messer tiefe Schnittwunden und Stiche am Bein beigebracht. Die übrigen Volksdeutschen wurden durch Steinwürfe und Hiebe derart zugerichtet, daß mit Ausnahme weniger alle in Posen sanitäre Hilfe in Anspruch nehmen mußten.

Der Schreckensweg nahm seinen Fortgang. Wir kamen bis kurz vor Posen und wurden in der Nacht von einer polnischen Militärstreife, die unsere Begleitmannschaft zuvor auf uns aufmerksam machte, unter Feuer genommen. Nachdem unsere Leute auf dem ersten Wagen, durch polnisches Militär durch Kolbenschläge furchtbar zugerichtet, zu jammern und zu schreien anfingen und sagten, man möchte doch nun mit den Mißhandlungen endlich aufhören, da wir in Steszew schon einen Toten gehabt haben, fragte der Kommandeur die Patrouille, wo der denn sei. Er bekam als Antwort: Auf dem letzten Wagen. Er und einige Soldaten gingen dann zum letzten Wagen, besahen sich den Toten, und wir erhielten die Antwort: "Was, einen Toten habt ihr nur und noch so ein vollgefressenes Schwein." Das polnische Militär erhielt dann den Befehl von seinem Kommandeur, auf uns zu feuern. Die Folgen waren: Ein Toter namens Gustav Druso aus Tarnow und vier Verletzte. Es sind dies: Otto Werner, der später seinen Verletzungen erlag, ferner sein Sohn und Lehrer Epler und ein gewisser Kernchen, sämtlich aus Tarnow. Dem Volksdeutschen Friedrich Moers wurden durch Kolbenschläge drei Rippen gebrochen.

In derselben Nacht, 4 Uhr morgens, landeten wir dann in Posen auf einem Kasernenhof. Dort wurden wir von zwei Gymnasiasten, die mit Karabinern bewaffnet waren, durch ganz Posen zur Schau gefahren, um die üblichen Prügel in Empfang zu nehmen und uns die üblichen Beschimpfungen anzuhören. Die Fahrt endete in einem Saal am nördlichen Ende der Stadt, in den uns zwei rohe Kerle unter Faustschlägen und Fußtritten trieben. Dort durften wir uns zum ersten Male auf Stühle setzen, und uns wurde von einer barmherzigen Schwester sanitäre Hilfe zuteil, und unsere Leute durften auch unter polizeilicher Bedeckung Einkäufe in der Stadt tätigen. Am Nachmittag gesellten sich dann die Posener Internierten zu uns, unter denen sich namhafte Persönlichkeiten wie Ärzte, Rechtsanwälte und Direktoren befanden. Gegen 4 Uhr nachmittags wurden wir dann auf einen Sportplatz geführt, wo wir zum Gespött der Jugend die polnische Nationalhymne absingen mußten, dann folgten militärische Übungen, die erst dann aufhörten, [26] als wir vor Erschöpfung nicht mehr weiterkonnten. Am Abend dieses Tages ging's dann noch 10 km weiter nach Schwersenz, natürlich zu Fuß, wie von jetzt ab überhaupt immer. Wir wurden, wie üblich, durch die ganze Stadt schaugeführt, hatten aber insofern nicht soviel auszuhalten, als wir von Posen ab polizeilichen Schutz hatten, und man muß anerkennen, daß die Polizei ihr möglichstes tat, uns zu beschützen, aber natürlich auch nicht verhindern konnte, daß es in einzelnen Fällen zu Übergriffen seitens des Pöbels kam. Die Nacht verbrachten wir in der Schwersenzer Möbel-Ausstellungshalle. Wir wurden auch hinreichend mit Nahrungsmitteln zu erschwinglichen Preisen versehen. Am nächsten Morgen ging dann unser Marsch weiter nach Wreschen über Kostrzyn. In letzterem Orte hatten wir trotz des Schutzes unserer Polizei fürchterlich auszuhalten. Das übliche Bombardement mit Steinen setzte wieder ein, man riß unsere Leidensgenossen aus den Reihen, trat sie mit den Füßen, und wenn die Polizei nicht den Befehl gegeben hätte, die Stadt im Eilmarsch zu verlassen, hätte das Schlimmste befürchtet werden müssen.

In Wreschen, dessen Bombardement wir aus etwa 8 km Entfernung sahen, kamen wir in der Nacht an oder besser am Spätabend. Die Bevölkerung, anscheinend durch das Bombardement eingeschüchtert, verhielt sich verhältnismäßig ruhig. Wir brachten die Nacht im Saale eines großen Hotels in der Schlosserstraße zu. Mit der Verpflegung, für unser Geld natürlich, ging es einigermaßen. Bei unserem Abmarsch aus Wreschen setzte wieder ein heftiges Bombardement ein, wir kamen aber glücklich durch alle Bomben auf freie Chaussee und landeten am späten Nachmittag in Slupce. Die Verpflegung von hier an wurde schlecht und verschlechterte sich von Tag zu Tag. Nach einem anstrengenden Tagesmarsch gelangten wir dann gegen Abend bis hinter Konin. Die Stadt selber betraten wir nicht, weil im Augenblick unserer Ankunft wieder heftige Bombenabwürfe stattfanden. Nach Beendigung dieser baten wir die Begleitmannschaften, für uns aus der Stadt Nahrungsmittel mitzubringen. Man nahm uns das Geld hierfür ab, wir sahen aber weder Nahrungsmittel, noch Geld, noch Begleitmannschaft wieder. Von hier an kümmerte sich um unsere Verpflegung niemand mehr. Wir waren dem Hunger preisgegeben, und es hing von der Gnade Vorübergehender ab, ob sie uns für Geld etwas verkauften oder nicht. Geschlafen wurde jetzt unter freiem Himmel, wodurch natürlich verschiedene Leidensgenossen erkrankten. Am nächsten Tage kam zu den zwei Hilfspolizisten, die man zu unserer Bewachung zurückgelassen hatte, ein Militär-Gendarm, der 80 Mann zum Militär aussuchte. Der Gendarm fuhr mit dem Rade vor nach Kolo, um dem Bezirkskommando Mitteilung von unserer Ankunft zu machen, während ein Hilfspolizist uns [27] nach unserem Bestimmungsort bringen sollte. Es gelang uns aber, den Hilfspolizisten irrezuführen und zu entkommen.

Über das Schicksal der in Konin verbliebenen Volksgenossen, die nicht zum Militär ausgesucht waren, ist uns nichts bekannt. Wir erfuhren jedoch später durch einen unserer Leute, der dem Transport entkam, daß man sich von Zeit zu Zeit etwa fünf Mann heraussuchte, die sich auf dem Feld ihr eigenes Grab mit den Händen schaufeln mußten und dann erschossen wurden. Schwach gewordene wurden einfach mit dem Fuß beiseite gestoßen und dann erschossen. Wir haben viele dieser Erschossenen im Chausseegraben liegend vorgefunden.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch etwas Vergessenes einflechten. Als der in Steszew verwundete Volksdeutsche Otto Werner aus Tarnow um Wasser bat, sagte der uns eskortierende Molker Maraszek aus Rackwitz: "Gebt ihm doch Jauche zu saufen." Herr v. Treskow aus Owinsk wurde, als er bat, austreten zu dürfen, an dem Bart gepackt, herausgezogen und mit einem Fußtritt in den Chausseegraben befördert. Der Herr ist über 70 Jahre, man kümmerte sich nicht weiter um ihn.

Wir waren inzwischen bis kurz vor Kutno gekommen und erfuhren durch Flüchtlinge, daß die Front bei Kutno läge, wir uns in einem Kessel befänden und das Gebiet hinter uns von polnischem Militär evakuiert sei. Darauf beschlossen wir den Rückmarsch unter ungeheuren Entbehrungen und gelangten schließlich auf einen Bauernhof, wo wir drei Tage lang für das Essen, das aus gekochten Kartoffeln mit Milch übergossen bestand, Kartoffeln ausmachten. Nach Ablauf dieser drei Tage wanderten wir wieder zurück nach Slesin und kamen hier in den Schutz des deutschen Militärs, das uns zusammen mit den anderen volksdeutschen Flüchtlingen nach Wreschen abtransportierte, wo dann die Volksdeutschen herausgesucht und in die Heimat geschickt wurden, die wir am 18. September 1939 gegen Abend erreichten.

Der Bericht ist verfaßt von dem internierten Deutschen Ulrich Schiefelbein (Rackwitz) nach bestem Wissen und Gewissen. Der Wahrheitsbeweis hierfür wird durch nachstehende Unterschriften bekräftigt:

gez. Karl Gellert       Kurt Gutsche       Schiefelbein       Michael Lizsnak
Edgar Arlt       Hans Gutsche."

Wir entnehmen aus diesem Berichte wieder, daß man mit Leib und Leben und Gesundheit der Volksdeutschen in unerhörter Weise umging, daß man sie quälte, wo man nur konnte, ihnen das Trinken verweigerte, sich an ihren Qualen weidete und so zum körperlichen Schmerz noch den seelischen hinzufügte.

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Höllenmarsch der Volksdeutschen in Polen.
Nach ärztlichen Dokumenten zusammengestellt von Dr. Hans Hartmann.