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[Bd. 1 S. 156]
Eike von Repgow, um 1180 - 1235, von Walther Merk

Eike von Repgow.
Eike von Repgow. [Nach anhalt800.de.]
Als Verfasser des Sachsenspiegels wird in der Reimvorrede Eike von Repgow genannt: "Nu danket al gemeine / dem von Valkensteine, / der greve Hoyer ist genant, / daz an diütisch / (deutsch) is gewant / diz buch durch sine bete: / Eyke von Repgowe iz tete, / ungerne er'z aber an quam (ging daran), / do er aber vornam, /so groz dar zu des herren gere, / do ne hatte her keine were; / des herren liebe in gare verwan (überwand ihn), / daz her des buches began, / des ime was vil ungedacht, / do her'z an latin hatte gebracht. / Ane helphe und ane lere / do ducht in daz zu svere, / daz er'z an dütisch wante; / zu lest er doch genante (wagte) / des arbeites unde tete / greven Hoyeres bete."

Über Eikes Lebensschicksale ist fast nichts bekannt. Nicht einmal Zeit und Ort seiner Geburt und seines Todes stehen fest. Kein zeitgenössischer Geschichtsschreiber erwähnt den Namen des größten deutschen Rechtsdenkers des Mittelalters. Die einzige sichere Kunde über seinen Lebensgang verdanken wir sechs Urkunden aus den Jahren 1209 bis 1233, die ihn als Zeugen beim Abschluß von Rechtsgeschäften nennen. Da Eike als Geschäftszeuge 1209 schon im Mannesalter gestanden hat, wird er ums Jahr 1180 oder früher geboren sein. Diese Urkunden geben auch Aufschluß über Landschaft und Umwelt, in der Eike gelebt hat. 1209 weilt Eike im Gefolge des Markgrafen Dietrich von Meißen auf der Dingstätte der Grafschaft Wettin zu Mettine im Gau Serimunt (zwischen Mulde, Elbe und Saale), 1215 zusammen mit dem anhaltischen Vasallen und Stiftsvogt von Quedlinburg Grafen Hoyer von Valkenstein beim Fürsten Heinrich von Anhalt auf dem Schloß Lippehne, am 1. Mai 1218 zugleich mit dem Markgrafen Dietrich von Meißen zu Grimma. 1219 wirkt Eike wieder in Gemeinschaft mit dem Grafen Hoyer von Valkenstein als Zeuge bei einem Vergleich mit, den Graf Heinrich von Anhalt mit den Stiftsherren von Goslar abschließt. 1224 erscheint er in der Umgebung des Landgrafen Ludwig von Thüringen auf dem Landding der Grafschaft Eilenburg (Landsberg) zu Delitzsch, 1233 bei einer Übereignung von Erbe und Eigen zu Billingsdorf, die von den Markgrafen Johann und Otto von Brandenburg an der Brücke zu Salbke in Gegenwart des Grafen Bederich von Dornburg und der Schöffen der Grafschaft vorgenommen wurde. Den Schauplatz von Eikes Wirksamkeit bildet hiernach die Gegend an der Saale und Mittelelbe, das Gebiet der Bistümer Halberstadt und Magdeburg, das von der Sprachgrenze zwischen Mittel- und Niederdeutsch durchschnitten wird.

[157] Die Urkunde von 1215 reiht Eike unter die Edelfreien (nobiles viri) ein im Gegensatz zu den als Dienstmannen bezeichneten Zeugen; die übrigen Urkunden sagen nichts über seinen Stand. Aus der eingangs genannten Stelle der Reimvorrede zum Sachsenspiegel und aus der Voranstellung der Namen ministerialischer Zeugen in den Urkunden von 1218, 1219 und 1224 hat man folgern wollen, daß Eike nach 1215 in den Ministerialstand übergetreten und Dienstmann des Grafen Hoyer von Valkenstein geworden sei. Indes bietet die Zeugenanordnung keine genügende Grundlage für diese Vermutung. Auch die Bezeichnung des Grafen Hoyer als "Herr" zwingt nicht zur Annahme, daß Graf Hoyer Eikes Dienstherr gewesen ist. Gegen einen Eintritt Eikes in den Dienstmannenstand spricht schon die Schärfe, mit der sich der Sachsenspiegel gegen jegliche Unfreiheit wendet (Landrecht III, 42 § 3), und die völlige Außerachtlassung des Dienstrechtes im Sachsenspiegel. Wenn Eike sich wirklich in Abhängigkeit vom Grafen Hoyer begeben hat, wird man höchstens an ein freies Lehnsverhältnis zu denken haben. Aus der Urkunde von 1233 haben einige Forscher den Schluß gezogen, daß Eike den Schöffenstuhl zu Salbke in der von Grafen Hoyer verwalteten Grafschaft Billingshohe innegehabt hat. Doch gibt die Urkunde dafür keine Stütze: sie führt Eike erst nach der Bezeichnung der Schöffen und des Fronboten auf. Auch lag Salbke nicht in der Grafschaft Billingshohe, sondern in der Grafschaft Bederichs von Dornburg (Grafschaft Mühlingen, zwischen Bode, Saale, Elbe und Sülze), deren gewöhnliche Dingstätte Mühlingen war. Daß Eike gleichzeitig als ständiger Urteilsfinder in drei Grafschaften tätig gewesen ist, scheint nicht glaubhaft. Nicht als Schöffe, sondern als erfahrener Rechtsberater der fürstlichen Persönlichkeiten, in deren Gefolge er auftritt, wird er zu den beurkundeten Rechtsgeschäften zugezogen worden sein.

Gedenkstein in Reppichau.
Eike von Repgow,
Gedenkstein in Reppichau.
[Nach wikipedia.org.]
Mit Hilfe des Familiennamens von Repgow lassen sich schließlich Herkunft und Heimat des Sachsenspieglers bestimmen. Das Geschlecht führt seinen Namen vom Dorfe Reppichau, das in Anhalt rechts der Saale zwischen Cöthen, Aken und Dessau gelegen ist. Der Gau Serimunt, zu dem der Ort gehörte, war bis ins elfte Jahrhundert fast rein wendisch; erst im zwölften Jahrhundert strömten hier massenhaft deutsche Siedler ein. Die Familie von Repgow war vermutlich niedersächsischen Ursprungs, da die Prosavorrede des Sachsenspiegels "Von der Herren Geburt" sie nicht ausdrücklich unter den edelfreien Geschlechtern fränkischer oder schwäbischer Abstammung anführt und die nicht namentlich genannten Geschlechter als sächsischen Ursprunges bezeichnet. Als älteste Träger des Namens von Repgow begegnen "Eyco et Arnolt de Rypechowe"; sie nahmen 1156 an einer Gerichtsversammlung teil, die Markgraf Albrecht der Bär zu Wörpzig hielt. 1159 übergaben Markwart, Eyco und Arnolt von Repgow anderthalb Hufen ihres Erbgutes an das Erbstift Magdeburg unter der Bedingung, daß sie den Zehnten von ihrem gesamten übrigen Besitz (hereditas) in Reppichau vom Erzstift als erbliches Lehen empfangen. Einer dieser drei wird wohl der Vater oder Großvater des [158] Sachsenspieglers sein. Die Angehörigen der Sippen kommen hauptsächlich in Urkunden der Grafen von Aschersleben, Fürsten von Anhalt und benachbarter Herren vor. Sie sind bis in die erste Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts in verschiedenen Gegenden – so als Besitzer von Alt-Jeßnitz an der Mulde bei Bitterfeld – nachgewiesen.


Ist auch das Bild blaß und verschwommen, das die trümmerhafte urkundliche Überlieferung über Eike uns hinterlassen hat, so empfängt es doch Farbe und Leben aus seinen beiden Werken, dem Sachsenspiegel und der Sächsischen Weltchronik. Sie haben nicht nur Eikes Andenken und Lebensarbeit durch den Strom der Jahrhunderte weiter getragen, sie spiegeln auch Gedankenwelt und geistige Wesensart ihres Schöpfers getreulich wider.

Schon als Sprachdenkmäler nehmen Sachsenspiegel und Sächsische Weltchronik einen ehrenvollen Platz in der Geschichte des deutschen Schrifttums ein. Sie sind die ältesten größeren Prosawerke in deutscher Sprache, die auf uns gekommen sind. Bis ins dreizehnte Jahrhundert war in Deutschland die Urkunden- und Rechtsaufzeichnungssprache lateinisch. Auch die gelehrten Zeitbücher waren in lateinischer Sprache abgefaßt; neben ihnen gab es bloß Geschichtsdichtungen in deutschen Reimen. Erst Eike hat durch sein Vorbild der deutschen Rechts- und Geschichtsprosa die Bahn gebrochen. Beim Sachsenspiegel wie bei der Weltchronik weisen die ältesten Handschriften auf niedersächsische Abfassung hin, während die Reimvorreden dazu von vornherein hochdeutsch gedichtet waren.

Der Sachsenspiegel ist der kühne und wohlgelungene erste Versuch einer zusammenfassenden Darstellung des mittelalterlichen deutschen Gewohnheitsrechtes. Vorangegangen waren ihm als bescheidene Anfänge deutscher Rechtsbearbeitung Formelsammlungen, die Muster für Geschäfts- und Gerichtsurkunden sowie Briefe zusammenstellten. "Spigel der Saxen / sal diz buch sin genant, / wende Saxen recht ist hir an bekant, / als an einem spiegele de vrouwen / ire antlize beschouwen". Das Rechtsbuch stellt im wesentlichen das ostfälische Recht der Landbewohner bäuerlichen und ritterlichen Standes dar. Der erste Teil behandelt das Landrecht (Privat-, Straf-, Prozeß- und Staatsrecht), der zweite das Lehnrecht. Nicht berücksichtigt ist das Hofrecht der Grundherrschaft, das Recht der Dienstmannen und das Stadtrecht. Nicht wissenschaftliche Freude an begrifflicher Zergliederung von Lebenserscheinungen hat Eike die Feder in die Hand gedrückt, auch nicht die Absicht, der Nachwelt eine zuverlässige Schilderung der Rechtszustände seiner Zeit zu übermitteln. Vielmehr leitet ihn das Streben, auf seine Zeitgenossen zu wirken, "den Leuten das Recht allgemein in Kunde zu bringen", aus dem Gefühl heraus, daß Wissen verpflichtet. Das Bedürfnis nach solcher Belehrung ergab sich nicht nur aus der Zersplitterung und dem Schwanken des damaligen Gewohnheitsrechts, sondern vor allem auch aus der immer reicheren [159] Verzweigung der Volksgesittung und Wirtschaft im Hochmittelalter. Im Zusammenhang damit wurde auch die rechtliche Ordnung immer verwickelter und drohte zum Teil aus dem Bewußtsein des gemeinen Mannes zu schwinden. Das Rechtsgefühl des Volkes wurde verwirrt durch die Kämpfe zwischen Staufen und Welfen, insbesondere im blutigen Bürgerkrieg während des Doppelkönigtums von Philipp von Schwaben und Otto IV. Zuchtlosigkeit, Willkür und Faustrecht machten sich breit. "Untriuwe ist in der sâze (Hinterhalt), / gewalt vert ûf der strâze, / frid unde recht sint sêre wunt", klagt Eikes Zeitgenosse Walther von der Volgelweide. Durch Klarstellung von Recht und Unrecht will Eike den Sinn für Recht und Gerechtigkeit wecken und die Abwehr des Unrechts erleichtern: "Recht würde lichte besceiden, ne were der so vele nicht, die unrechtes laget (erstreben) / unde unrechte dut durch iren vromen, unde dat sie denne to rechte secget. Dede man't in, it düchte sie unrecht, wende't n'is nieman so unrecht, it ne dünke ine unbillik, of man ime unrechte du. Dar umme bedarf man manichvalder rede, er man die lüde des in künde bringe, war an man unrechte do, unde er man sie lere, wo sie mit rechte unrechte verlecgen (widerlegen) unde weder an recht bringen" (Lehnrecht Art. 78 §2).

Kunst und Kraft der Darstellung sind bewundernswert. Mit scharfem Blick für das Wesentliche hat Eike innerlich erschautes und erlebtes deutsches Rechtsleben in schlichter, klarer, gedrungener, allgemein faßlicher Sprache anschaulich wiedergegeben. Von keinem anderen Werke deutscher Rechtsschriftstellerei ist solche lebensnahe Ursprünglichkeit wieder erreicht worden. Eike schreibt nicht als Buchgelehrter, der an die deutschen Menschen und Dinge aus der Fremde herangeholte Regeln und Schulbegriffe heranträgt, die sich selbständige Bedeutung deutschem Leben gegenüber anmaßen. Überall geht er von den volkstümlichen Rechtsanschauungen und vom wirklichen Rechtsleben aus. Das Recht als Ordnung des Volkslebens und als Inbegriff der tatsächlichen rechtlich geordneten Lebensverhältnisse sind bei ihm noch nicht voneinander gesondert, die Rechtssätze als allgemeine Regeln von ihren einzelnen Anwendungsfällen noch nicht scharf geschieden. Ebensowenig tritt Eike aber als Neuerer auf mit dem Ehrgeiz, das Althergebrachte von Grund aus umzustürzen. Im Geiste der Rechtsanschauung des germanischen Mittelalters gilt ihm das Recht als ein treu zu wahrendes Vätererbe: "Diz recht ne han ich selve nicht underdacht; / iz haben von aldere an unsich gebracht / unse gute vore varen". Seine Denkweise steht in schroffem Gegensatz zum Gebaren der fremdrechtlich verbildeten deutschen Juristen, die seit dem Ausgange des Mittelalters unserem Volke das römische Recht aufgedrängt haben; sie suchten, wie Wimpfeling 1507 treffend bemerkt hat, "alles umzukehren, was durch die Weisheit der Vorfahren geordnet worden war und zu Recht bestand." Während das Mittelalter Eike fast unbegrenztes Zutrauen entgegenbrachte, haben im neunzehnten Jahrhundert einzelne Forscher seine unbedingte Zuverlässigkeit angezweifelt und "doktrinäre Sünden des Rechtsbuches" [160] nachzuweisen versucht. Otto von Zallinger warf in seiner Schrift über die Schöffenbarfreien des Sachsenspiegels Eike sogar vor, er habe, durch eigene Standeslage verführt, willkürlich einen der Zeitgenossen völlig unbekannten Stand der Schöffenbarfreien als Mittelglied zwischen dem edelfreien Ritterstande der freien Herren und dem unfreien Ritterstande der Dienstmannen aufgestellt und sich dadurch geradezu einer Fälschung schuldig gemacht. Ihm widerfuhr jedoch das Mißgeschick, daß der Sachsenspiegel später durch die Entdeckung von Urkunden, in denen von Schöffenbarfreien die Rede ist, glänzend gerechtfertigt wurde. Eikes Sachkunde und Redlichkeit erscheinen heute wieder über jeden Zweifel erhaben, selbst wenn die weitere Forschung ergeben sollte, daß er gelegentlich auch einmal ein absterbendes Rechtsgebilde für noch lebendes Recht gehalten hat. Eike war sich bewußt, daß es nicht möglich ist, den ganzen Reichtum des Rechtslebens in einem Rechtsbuche einzufangen. Wenn Rechtsfragen begegnen, die sein "tumbe sin vermeden (vermieden, übersehen) hat", soll der Benutzer solche Lücken des Rechtsbuches durch Befragen weiser Leute oder nach seinem Rechtsgefühl ausfüllen. Der Sachsenspiegel enthält rein deutsches Recht, frei von römisch-rechtlichem Einschlag. Rein deutsch ist auch die Sprache des Sachsenspiegels. Nur zum allerkleinsten Teil konnte Eike sich auf Vorlagen stützen; benutzt hat er unter anderem einige Bestimmungen der Landfriedensgesetze und einzelne Rechtssätze des kirchlichen Rechts. In der Hauptsache hat er aus reicher eigener Kenntnis des Rechtslebens und Gerichtsgebrauches geschöpft.

Der Sachsenspiegel ist ein Werk aus einem Gusse, weil hinter ihm eine in sich geschlossene, weltanschaulich festverwurzelte Persönlichkeit steht. Sind auch die einzelnen Rechtssätze und Rechtsgebilde im Sachsenspiegel nicht in ein äußeres Lehrgefüge eingegliedert, so werden sie doch nach ihrer inneren Zusammengehörigkeit vorgetragen und zur Einheit verbunden durch eine Grundauffassung, welche die Einzelerscheinungen im Zusammenhange eines großen Ganzen sieht und über den Gegensätzen des vielgestaltigen deutschen Lebens des Mittelalters das Verbindende aufsucht. Eikes Rechtsdenken gipfelt in der Vorstellung, daß das Recht kein willkürliches Menschenwerk ist, das von den staatlichen Machthabern nach Gutdünken heute so, morgen anders gemacht werden kann, sondern die ewige, unverbrüchliche gerechte Lebensordnung des Volkes, die ihren Ursprung in Gott selbst hat. "Got is selve recht. Dar umme is eme recht lief" (Prosavorrede). Der König ist dieser Rechtsordnung ebenso unterworfen wie der geringste Untertan. Gegenüber dem rechtswidrig handelnden, d. h. seine Rechtsschranken überschreitenden König, Richter oder sonstigen Herren gewährt der Sachsenspiegel im Einklang mit der mittelalterlichen germanischen Rechtsauffassung den Untertanen ein Widerstandsrecht (Landrecht III, 78 § 2). Von solcher geistigen Grundhaltung aus nimmt Eike klar und bestimmt zu den Einzelfragen Stellung. Freimütig stellt er das Verhältnis von Staat und Kirche im Sinne der rechtlichen Gleichordnung von Kaiser und Papst dar (Landrecht I, i). Übergriffen der geistlichen [161] Gewalt in den weltlichen Bereich tritt er entgegen: "De paves ne mach nen recht setten, dar he unse lantrecht oder lenrecht mede ergere" (Landrecht I, 3 § 3 am Ende). Mißbräuche und Unrecht bekämpft er. Unfreiheit kommt nach seiner Ansicht von Zwang und unrechter Gewalt: "Na rechter warheit so hevet egenscap begin von gedvange unde von vengnisse unde von unrechter walt, die man von aldere in unrechte wonheit getogen hevet, unde nu vore recht hebben wel" (Landrecht III, 42 § 6). Bezeichnend für Eikes geschichtlichen Sinn ist, wie er da und dort die Geschichte zur Erklärung gegenwärtiger Rechtsverhältnisse heranzieht. So führt er die Rechtsstellung der Liten (Halbfreien) geschichtlich auf die Unterwerfung der Thüringer, die Unterordnung der Herzöge unter den König auf die Unterwerfung der deutschen Stämme durch die Römer zurück.

Eigenart und Größe der Leistung Eikes erhellen aus dem Vergleich mit anderen Werken des mittelalterlichen Rechtsschrifttums. Der italienischen Rechtswissenschaft des Mittelalters lag bis zum dreizehnten Jahrhundert der Gedanke völlig fern, von dem in tatsächlicher Geltung stehenden Recht ihrer Zeit auszugehen; der Ausgangspunkt war für sie Sprache und Rechtsgestaltung der byzantinischen Rechtssammlung (Corpus juris civilis) des sechsten Jahrhunderts n. Ch., so daß sich hier eine fast unüberbrückbare Kluft zwischen der Rechtslehre und dem wirklich geübten Recht auftat. Der unbekannte Verfasser des Schwabenspiegels, der den Sachsenspiegel für die süddeutschen Verhältnisse umgearbeitet hat, schreibt in schwülstigem und schwerfälligem Stil. Er prunkt mit Mönchszellengelehrsamkeit; neben geltendem Recht bringt er unbedenklich Sätze aus dem alten alemannischen und bayerischen Volksrecht und aus dem römischen oder kanonischen Recht. Durch Widersprüche und Mißverständnisse verrät er seine mangelhafte Beherrschung des Stoffes. Die "Krone und Blüte der mittelalterlichen englischen Rechtswissenschaft", das Rechtsbuch des Engländers Heinrich Bracton, Tractatus de legibus et consuetudinibus Angliae, aus der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts verbindet das englische Recht mit dem römischen und ist nach scholastischer Weise mit Begriffsbestimmungen und Einteilungen (Distinktionen) gespickt, von denen sich im Sachsenspiegel keine Spur findet.

Entstanden ist der Sachsenspiegel jedenfalls nach 1198 und vor 1235, wahrscheinlich im zweiten oder dritten Jahrzehnt des dreizehnten Jahrhunderts. Wie der rechte Meister langsam bildet und sich nimmer genug tun kann, so hat auch der Schöpfer des Rechtsbuches "lange gedacht", ehe er sein Werk "durch got zu samene gebracht" hat, und es "vore bracht den lüten al gemeine". Auch nach der Vollendung war er weiterhin bemüht, es durch Nachträge und Zusätze zu vervollkommnen.

Jünger als der Sachsenspiegel ist Eikes Weltchronik; sie hat den Sachsenspiegel benutzt. Ihr Grundstock dürfte kurz nach dem Jahre 1225 oder 1230 entstanden sein, mit dem die Handschriften der ältesten Klasse abbrechen. Das Mittelalter hat die Weltchronik ohne Bedenken dem Verfasser des Sachsen- [162] spiegels zugeschrieben. Dagegen hat die kritische Quellenforschung des neunzehnten Jahrhunderts sie zeitweilig dem Sachsenspiegler abgesprochen oder angenommen, daß Eike nur die Reimvorrede zur Chronik verfaßt habe. Die Worte der gereimten Vorrede zur Weltchronik: "Logene sal uns wesen leit, daz ist des van Repegouwe rat", auf die sich die ältere Auffassung gestützt hatte, wurden von einzelnen Forschern als bloße Bezugnahme auf die Reimvorrede des Sachsenspiegels gedeutet. Doch war eine derartige Form der Bezeichnung des Verfassers in manchen mittelalterlichen Schriftgattungen gebräuchlich. Größere Schwierigkeiten bereiteten der älteren Lehre die predigtartigen Ausführungen in dem von Kaiser Konstantin handelnden 76. Kapitel der Weltchronik, die mit den Worten "We geisliken lude" beginnen. Man hat daraus ableiten wollen, daß die Weltchronik von einem dem geistlichen Stande angehörigen Blutsverwandten Eikes von Repgow verfaßt worden sei. Wie indes neuere Untersuchungen nachgewiesen haben, stimmen Weltchronik und Sachsenspiegel trotz der Verschiedenheit des Stoffes in Stil, Wortschatz und Anschauung so weitgehend überein, daß mit ziemlicher Sicherheit auf denselben Verfasser geschlossen werden darf. Es ist wenig wahrscheinlich, daß zur selben Zeit in der gleichen Gegend zwei schriftstellerisch so hervorragende Träger des Namens von Repgow gelebt haben. Man glaubte jenen predigtartigen Sätzen entnehmen zu dürfen, daß Eike in vorgerückten Jahren in den geistlichen Stand eingetreten sei. Diese Annahme wird jedoch hinfällig infolge der Feststellung, daß diese Stelle ein verhältnismäßig später Einschub ist, der den ursprünglichen Handschriften fehlt. Auch inhaltlich erscheint diese Einschaltung als Fremdkörper innerhalb des Geschichtswerkes, das sonst reines Laiengepräge trägt. Die Weltchronik gibt in leicht verständlicher Sprache eine knappgefaßte Geschichte der vier Weltreiche; auch sie bemüht sich, überall das Wesentliche herauszugreifen. Im Gegensatz zum Sachsenspiegel hat sie weitgehend Vorlagen benutzt, namentlich die lateinische Chronik von Frutolf-Ekkehard (1101–1125), aber nicht ängstlich und steif übersetzt, sondern frei und selbständig bearbeitet. Von der bisherigen volkstümlichen deutschen Geschichtsdichtung, in der die Freude an der Ausmalung von Fabel- und Wundergeschichten vorherrscht, unterscheidet sich Eikes Zeitbuch durch das Streben nach nüchterner Darstellung der reinen Wahrheit. Quellen, die ihm nicht glaubwürdig erscheinen, scheidet der Verfasser aus. Bedenken gegen die Richtigkeit einer Nachricht, z. B. seinen Zweifel an der im Mittelalter fast allgemein geglaubten Schenkung Roms durch Konstantin an den päpstlichen Stuhl, teilt er dem Leser mit. Die Fortsetzer des Werkes ermahnt er in der Reimvorrede, sich streng an die "achtbare warheit" zu halten; Gott wird nie denen vergeben, die Lügen schreiben. Bei den einzelnen Abschnitten weist er auf das für jeden Zeitraum in Betracht kommende Sonderschrifttum hin. Eikes herbe, wortkarte Männlichkeit liebt es nicht, in der Äußerung von Gefühlen zu schwelgen. Aber seine deutsche Gesinnung und sein sächsisches Stammesbewußtsein brechen an den verschiedensten Stellen immer wieder durch. [163] Mit Stolz gedenkt er der Großtaten der Könige aus dem sächsischen Haus. So schreibt er über die Folgen des Sieges Heinrichs I. über die Ungarn: "Also ne quamen de Ungeren nimmer mer to Dudischeme lande, de wile de koning Heinric levede. Na diseme groten sege ward de koning Heinric van den vorsten unde van allen Dudischen herren beropen keiser unde augustus unde des landes vater geheten, unde wart mere over alle lant". Ottos des Großen Sieg auf dem Lechfeld feiert er als einen der größten Siege, die je in deutschem Lande geschehen sind. Seine Schilderung des Lebens dieses Kaisers schließt mit den Worten: "Dit is de grote keiser Otto van Sassen, des ersten koning Heinrices sone, de hogede mer dat rike, dan iehen Dudisch keiser dede. He losde dat land van der Ungere gewalt, he gewan deme rike Behem, Polenen unde Langbarden, Burgunden unde Lothringen. He vant oc allererst dat silvererze in dem lande to Sassen, unde wared noch." Trotz der Abneigung gegen die Person Heinrichs IV. erkennt Eike seine Verdienste um die Wahrung der Rechte des Reiches im Investiturstreit an: "He ne wolde doch nie vortien des sattes an den bicopdomen (verzichten auf das Recht der Besetzung der Bistümer) noch nenes richtes an deme rike". In den Kämpfen zwischen den Staufern und Welfen stellt er sich gleich den askanischen Fürsten auf die Seite der Staufer: er behandelt in der Weltchronik Philipp von Schwaben als römischen König, den Gegenkönig Otto IV. bezeichnet er erst vom Tode König Philipps ab als König. Wie im Sachsenspiegel erscheint Eike auch in der Weltchronik als frommer, tiefgläubiger Christ. Er beklagt die "missehellunge" zwischen Kaiser und Papst, "de noch hude des dages waret". Der schweizerische Rechtshistoriker Hans Fehr hat gemeint, daß Eike in der Weltchronik von der kaiserlichen Auffassung über das Verhältnis von Staat und Kirche zur päpstlichen übergeschwenkt und aus einem Verfechter der königlichen Rechte zu einem Vertreter der fürstlichen Landeshoheit geworden sei. Diese Behauptung hält aber näherer Prüfung nicht stand; sie gründet sich auf jüngere Zusätze, die bei späteren Umarbeitungen erst der Weltchronik durch die neuen Bearbeiter eingefügt worden sind.

Sachsenspiegel und Weltchronik zeigen Eike auf der Höhe der ritterlichen Bildung seiner Zeit. Anklänge der Reimvorreden an mittelhochdeutsche Dichtungen aus der zweiten Hälfte des zwölften und dem Anfange des dreizehnten Jahrhunderts beweisen, daß der Verfasser mit der zeitgenössischen Dichtung vertraut war. Am Hofe Dietrichs von Meißen oder der Landgrafen von Thüringen ist er vielleicht auch mit Walther von der Vogelweide zusammengetroffen. Die lateinische Sprache hat Eike beherrscht, wie der verlorene lateinische Urentwurf des Sachsenspiegels und die lateinischen Vorlagen der Weltchronik erhärten. Dagegen geht ihm eigentliche geistliche Gelehrsamkeit ab. In seinen Werken fehlen die salbungsvollen Mahnungen und die Anführungen von Bibelstellen und römischen Schriftstellern, wie sie für die geistlichen Schriftsteller dieser Jahrhunderte kennzeichnend sind. Seine Schriften wenden sich nicht an einen geistlichen Leserkreis, sondern an Männer und Frauen ritterlichen Standes. Was über Erziehung und Lehrer des [164] Verfassers des Sachsenspiegels behauptet worden ist, kommt über mehr oder minder unwahrscheinliche Vermutungen nicht hinaus und ist nicht geeignet, das Dunkel zu erhellen, das über Eikes Jugend und Bildungsgang liegt. Vollends verkannt wird sein Lebens- und Wirkungskreis von den Schriftstellern, die ihn zum Stadtbürger, etwa zum Patrizier der Stadt Halle, stempeln möchten. Städtisches Leben und Treiben, Handwerk, Handel und Kaufmannsgut spielen im Sachsenspiegel überhaupt keine Rolle. Neben der Welt des Rittertums und ihren Begriffen wie Lehen, Burg, Streitroß, Harnisch u. dgl. stehen hier überall die Dinge des bäuerlichen Lebens im Vordergrund. Die vielen Bestimmungen, die sich auf Bestellung und Aberntung der Äcker, Flurschaden, Pflug, Hirt und Herde, Schweinekoben, Mistgabel, Tierschaden, Obstbäume, Jagd, Fischfang und ähnliches beziehen, ergeben zur Genüge, daß Eike ein Kind des Landes gewesen ist. Er verkörpert den edelsten ritterlichen Geist der Stauferzeit, welcher der deutsche Laienadel als politische und kriegerische Führerschicht wie als Träger des Richteramtes und des Minnesanges das eigentümliche Gepräge verliehen hat.


Wie anderen großen Gestaltern deutschen Lebens hat es auch Eike bei Lebzeiten an Widersachern nicht gefehlt. Er bemerkt selbst: "Daz recht nieman leren ne kan, / daz den lüten allen / künne wol gevallen" und sieht Anfeindungen voraus: "Svie to allen dingen gerne rechte sprict, he gewint dar mede manigen unwilligen man. Des sal die vrome man sik getrosten durc got unde durch sine ere. Dit buk wint ok manegen vient, wende alle die weder gode unde weder rechte strevet, die werdet dissem buke gram, wende in is leit, dat recht immer geopenbaret wert, wende ire unrecht dar von scinbare wirt." Auch nach Eikes Tod blieb der Sachsenspiegel nicht unangefochten. In der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts bekämpfte der Augustinermönch Johannes Klenkok in einer Streitschrift zehn Artikel, bei einer Neubearbeitung einundzwanzig Artikel des Sachsenspiegels als unchristlich und dem Kirchenrecht widersprechend. Dieser Angriff hatte zur Folge, daß Papst Gregor XI. im Jahre 1374 durch die Bulle "Salvator generis humani" vierzehn Artikel des Sachsenspiegels als ketzerisch verdammte. Damals stand aber das Ansehen des Rechtsbuches schon so fest, daß die Stadt Magdeburg Städte und Ritterschaft zur gemeinsamen Abwehr dieses Angriffs aufforderte. Die Stadt Hildesheim lud Ritter ihrer Nachbarschaft in der Pfingstwoche 1368 ein, mit ihr über den Fall zu beraten, "dat en monik gedichtet heft boke wedder der Sassen recht unde wel der Sassen recht mede krenken". Die vereinzelten Angriffe haben der Verbreitung des Sachsenspiegels keinen Abbruch tun können. Es erfüllte sich die Voraussage der Reimvorrede "Ja tzweient mit mier manege stunt, / de sich versinnen aller best, / so ist mir doch de warheit kunt / unde wirt min volge groz zu lest." Von der Verbreitung des Sachsenspiegels legt die Tatsache Zeugnis ab, daß etwa zweihundert vollständige Handschriften des Landrechts [165] des Sachsenspiegels uns überliefert sind, zu denen noch zahlreiche Bruchstücke von Handschriften kommen. Der Sachsenspiegel wurde aus dem Niederdeutschen ins Mittel- und Oberdeutsche, in die lateinische und polnische Sprache übertragen. Zwischen 1291 und 1295 entstand in Meißen eine Bilderhandschrift des Sachsenspiegels, die mit farbigen Federzeichnungen den Text des Rechtsbuches fortlaufend begleitete. Aus dieser verlorengegangenen Bilderhandschrift sind die vier auf uns gekommenen Bilderhandschriften des vierzehnten Jahrhunderts abgeleitet.

Der Sachsenspiegel von Eike von Repgow.
[152b]      Der Sachsenspiegel von Eike von Repgow.
Seite aus einer Bilderhandschrift, 14. Jahrh. Desden, Staatsbibliothek.      [Vergrößern]

Auf Jahrhunderte hinaus haben Sachsenspiegel und Sächsische Weltchronik dem geistigen Leben des deutschen Volkes Anstoß und Richtung gegeben, während das ein halbes Jahrhundert nach dem Sachsenspiegel verfaßte hervorragendste französische Rechtsbuch des Mittelalters, die "Coutumes de Beauvoisis" des Philippe von Beaumanoix (1283), im mittelalterlichen Frankreich kaum nachgewirkt hat. Die Sächsische Weltchronik erfreute sich schon bald nach ihrem Erscheinen großer Beliebtheit und wurde in Nord- und Süddeutschland weit verbreitet. In den folgenden Jahrhunderten wurde sie immer wieder neu bearbeitet oder ausgeschrieben. Unvergleichlich größer noch war der Erfolg des Sachsenspiegels. Wenige Jahrzehnte nach seiner Entstehung wurde der Sachsenspiegel in den Gerichten Norddeutschlands wie ein Gesetz angewandt, schon im vierzehnten Jahrhundert das Landrecht auf ein Privileg Karls des Großen, das Lehnsrecht auf Friedrich I. zurückgeführt. Der Sachsenspiegel wurde Mittelpunkt und Grundlage schriftstellerischer Bearbeitung, insbesondere die Vorlage für die süddeutschen Rechtsbücher, den Deutschenspiegel und Schwabenspiegel (zweite Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts). Auf dem Sachsenspiegel fußen u. a. das Görlitzer Rechtsbuch (Anfang des vierzehnten Jahrhunderts), das Meißener Rechtsbuch (Rechtsbuch nach Distinktionen, zweite Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts), der holländische Sachsenspiegel und das Wiek-Öselsche Landrecht. Der Sachsenspiegel wurde durch Glossen erläutert; die älteste und verbreitetste Glosse wurde nach 1325 von dem brandenburgischen Ritter und Hofrichter Johann von Buch hergestellt. Prozeßrechtliche Ergänzungswerke zum Sachsenspiegel sind der Richtsteig Landrechts, um 1335 von Johann von Buch verfaßt, und der Richtsteig Lehnrechts eines unbekannten Verfassers. Der Sachsenspiegel wurde von den amtlichen Aufzeichnungen der Stadtrechte von Magdeburg (1261), Hamburg (1270), Lübeck, Dortmund, Hildesheim, Goslar u. a. benutzt. Auf der Grundlage des Sachsenspiegels bildete sich in Norddeutschland das sogenannte gemeine Sachsenrecht aus, das ergänzend hinter den Orts- und Landrechten galt und in der Neuzeit den Siegeslauf des römischen Rechts in Norddeutschland hemmte. Im Osten dehnte sich der Herrschaftsbereich des Sachsenspiegels weit über die Grenzen des deutschen Volk- und Sprachgebiets auf die slawischen Länder bis hinunter nach der Ukraine aus. Noch 1535 wurde auf Befehl des polnischen Königs eine amtliche lateinische Ausgabe des Sachsenspiegels für Polen hergestellt. In den ukrainischen Prozeßakten des sechzehnten bis achtzehnten Jahrhunderts wurde [166] häufig auf den Sachsenspiegel Bezug genommen und dieser vielfach als gemeines Recht (jus commune) bezeichnet. 1728 beauftragte die russische Kaiserin Elisabeth einen Ausschuß mit der Sammlung der kleinrussischen Rechtsquellen. Die der Kaiserin 1743 vorgelegte Sammlung enthielt u. a. eine Übersetzung des Sachsenspiegels. Auf die deutsche Rechtsentwicklung hat der Sachsenspiegel bis zur Schaffung des Bürgerlichen Gesetzbuches Einfluß ausgeübt. In der Neuzeit freilich ist sein Geltungsgebiet in Deutschland durch die einströmenden Fremdrechte, durch die reichsrechtliche Regelung des Strafverfahrens und Strafrechts in der Karolina (1523), durch die Wandlungen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse, durch das Absterben des Lehnswesens und durch die Schaffung umfangreicher Landesgesetzbücher mehr und mehr eingeengt worden. In den altpreußischen Gebieten hat der Sachsenspiegel bis zum Inkrafttreten des Preußischen allgemeinen Landrechts (1794), im Königreich Sachsen bis zur Einführung des Sächsischen Bürgerlichen Gesetzbuches von 1863, in den sächsisch-thüringischen Fürstentümern sowie in Holstein und Lauenburg bis zum Inkrafttreten des reichsdeutschen Bürgerlichen Gesetzbuches (1. Januar 1900) als ergänzendes Recht in Geltung gestanden. In den Entscheidungen des Reichsgerichtes wird noch gelegentlich auf den Sachsenspiegel Bezug genommen (siehe Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen 7. Bd. S. 133, 29. Bd. S. 135, 137. Bd. S. 343). Die Wurzeln nicht weniger Gebilde des geltenden bürgerlichen Rechtes führen auf den Sachsenspiegel zurück.

Denkmal für Eike von Repgow
Magdeburg - Denkmal für Eike von Repgow
aus dem Jahre 1937 von Hans Grimm. [Nach panoramio.com.]

Auch in der deutschen Dichtung hat der Sachsenspiegel vom Mittelalter bis zu unseren Tagen mannigfachen Widerhall gefunden. Schon Reinmar von Zweter spielt auf den Sachsenspiegel und den Grafen Hoyer an. Eingehend hat sich Goethe mit dem Rechtsbuche beschäftigt. Er schätzte die kräftige Sprache des Volksliedes, der alten Chroniken und des Sachsenspiegels. Eines der Sonderrechte, welche die Sachsen nach dem Sachsenspiegel (Landrecht I, 18)) wider den Willen Karls des Großen behielten, hat Goethe im 54. Satz seiner sechsundfünfzig "Positiones juris" behandelt, die er am 6. August 1771 in der Straßburger Universität bei der Disputation zur Erlangung der Lizentiatenwürde verteidigte: "Lex Saxonica, quae non nisi confessum et convictum condemnari vult, lex aequissima, effectu crudelissima evadit" (die Vorschrift ds Sachsenrechts, daß der Sachse nur verurteilt werden darf, wenn er geständig ist oder überführt wird, ist dem Grunde nach sehr billig, dem Ergebnis nach sehr grausam). Der Reimvorrede des Sachsenspiegels V. 9–16 sind nachgebildet die Spottverse gegen den Berliner Aufklärungsmann Christian Friedrich Nicolai, die im dreizehnten Buch von Dichtung und Wahrheit zu lesen sind: "Mag jener dünkelhafte Mann / mich als gefährlich preisen; / der Plumpe, der nicht schwimmen kann, / er will's dem Wasser verweisen. / Was schiert mich der Berliner Bann, / Geschmäcklerpfaffenwesen! / Und wer mich nicht verstehen kann, / der lerne besser lesen." Goethe hat sich auch in die Bilderhandschriften des Sachsenspiegels versenkt und ihre Herausgabe gefördert. [167] Spätere Dichter haben gleichfalls mancherlei Anregung und Gedankengut aus dem Sachsenspiegel geschöpft oder wie Julius Wolff in der Erzählung "Der Sachsenspiegel" (1909) und Walter Lange im Schauspiel "Eike der Spiegler" (1934) sich die Persönlichkeit Eikes von Repgow zum Vorwurf genommen.

Wenige Schriftwerke deutscher Zunge haben so viele Jahrhunderte hindurch unser Geistesleben so nachhaltig befruchtet wie der Sachsenspiegel. An seinem Namen hängen nicht bloß die stolzen Erinnerungen einer abgestorbenen Vergangenheit. Als wichtigstes Rechtsdenkmal unseres Mittelalters behält der Sachsenspiegel nach wie vor seinen hohen Wert für die Erkenntnis des älteren reindeutschen Rechtes und damit zugleich für die Wiederbelebung der Grundkräfte germanisch-deutschen Rechtsgeistes. Möge der ersehnten völkischen Wiedergeburt unseres Rechtslebens als Leitstern voranleuchten Gestalt und Geist Eike von Repgows, des Mahners zur Deutschheit des Rechts, des Meisters volkstümlicher Rechtsfassung, des Kämpfers für das über allen Augenblicksnutzen erhabene Ewige und Überzeitliche im Recht!




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Hg. von Willy Andreas & Wilhelm von Scholz