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Der Augsburger Religionsfriede   [Scriptorium merkt an: 1555]

Kaiser Karl V. war keine Kämpfernatur, persönlich lieber bereit, Schwierigkeiten und Gegensätze auszugleichen als kühn zu überwinden. Aber er lebte in der mittelalterlichen Auffassung, daß der Kaiser der weltliche Arm der Kirche sei und die abendländische Christenheit soweit beherrschen müsse, um sie mit starker Hand vor inneren und äußeren Gefahren schützen zu können. Gegen diese Ansicht erhob sich der politische Widerstand des emporstrebenden französischen Nationalstaates, der religiöse der deutschen Reformation. So war Karls dreißigjährige Regierung erfüllt von fast ununterbrochenen Kämpfen. Nachdem Karl fünfmal mit den Franzosen die Waffen gekreuzt hatte, verlor zuletzt das Deutsche Reich die lothringischen Bistümer Metz, Toul und Verdun. Zum förmlichen Abschlusse kamen diese Kriege nicht; sie hörten von selbst auf, als nach Karls Regierungsende das Deutsche Reich nicht mehr mit Spanien und den Niederlanden vereinigt blieb.

Dagegen mußte zwischen den deutschen Katholiken und Protestanten im Augsburger Religionsfrieden ein innerdeutscher Ausgleich gefunden werden. Die evangelischen Reichsfürsten verlangten einmal für sich die Duldung ihres Glaubensbekenntnisses ohne irgendwelche Vorbehalte und Fristbeschränkungen und außerdem für Kreise, die sich ihnen anschließen wollten, Recht und Mittel dazu. Der erste Anspruch war durch die vorangegangenen Kämpfe entschieden. Den Katholiken blieb nichts übrig, als den für absehbare Zeit festen Tatbestand anzuerkennen. Schwierigkeiten verursachte jedoch die zweite Forderung. Wer eine evangelische Landeskirche gründete, brauchte das bisher katholische Kirchengut. Dessen alte Zwecke waren aber vielfach nicht hinfällig geworden, zumal wenn es Eigentümern außerhalb des zu reformierenden Landes gehörte. [2] Oft genug besaßen geistliche Stifter ihre wichtigsten Einnahmequellen in weltlichen Nachbarstaaten und wären durch eine beliebige Beschlagnahme ruiniert gewesen. Fast noch gefährlicher war für die Katholiken, wenn ein geistlicher Fürst übertrat und die bischöflichen Aufgaben in den katholisch bleibenden Gebieten seines Sprengels nicht mehr erfüllen konnte. Dann schwankte die katholische Kirchenverfassung der gesamten Diözese auch außerhalb des weltlichen Herrschaftsbereichs der Bischöfe.

Die Bedingungen für einen Ausgleich solcher Interessengegensätze hätten sich eigentlich nach den Ortsbedürfnissen richten müssen und verboten eine feste Schablone. Aber die Protestanten wollten gerade ihre Ansprüche durch ein unanfechtbares allgemeines Reichsgesetz sichern und das schloß den naturgemäßen, nächstliegenden Weg aus. Die Beteiligten standen nun vor der doppelten Aufgabe, an den abweichenden Bedürfnissen den Religionsfrieden nicht scheitern zu lassen und sich doch möglichst für die Zukunft den Spielraum freien Handelns zu wahren. Hierdurch wurde der Religionsfriede lückenhaft und zweideutig. Wo eine Streitfrage nicht zur Entscheidung drängte, blieb sie unerledigt; z. B. bestimmte man nicht, ob neben dem Religionsfrieden Ortsstatuten und Sonderverträge in Kraft blieben. Kam man um Meinungsverschiedenheiten nicht herum, so wählte man dehnbare Ausdrücke, welche sich je nachdem im evangelischen oder katholischen Sinne benutzen ließen. Da beide Teile überdies ihre Zugeständnisse gegeneinander abwogen, widersprach auch oft ein Artikel scheinbar oder wirklich dem anderen.

Man hätte denken sollen, daß der Augsburger Religionsfriede bald neue Kämpfe in Deutschland hervorgerufen hätte. Tatsächlich sind jedoch wenige Abschnitte unserer Geschichte so friedlich verlaufen wie die Jahre 1555–1618. Zwar fielen in diese Zeit wiederholte Türkenangriffe, eine blutige Auseinandersetzung zwischen den beiden wettinischen Linien, vor allem der Kölnische Krieg, der über das konfessionelle Schicksal des Niederrheins entschied und außer mächtigen Reichsständen den Generalstatthalter der Niederlande auf den Plan rief. Doch kam es niemals zu einer allgemeindeutschen Verwicklung. Die katholischen und evangelischen Reichsstände, [3] welche den Augsburger Religionsfrieden durchgesetzt hatten, wollten die Früchte eines sorgenlosen Daseins genießen, widmeten sich einer guten einheimischen Verwaltung, die ihren Besitz und Einkommen mehrte, kümmerten sich um kleine nachbarliche Streitigkeiten, gingen aber allen großen Fragen, die sie nicht übersahen, gern aus dem Wege. Da diese ruhebedürftigen Kreise die Macht hatten, ließen sie große blutige Ereignisse nicht aufkommen. Frankreich aber war in diesen Jahrzehnten durch die Hugenottenkriege heimgesucht und konnte keine weiteren Ausdehnungspläne schmieden; es begnügte sich mit reichsdeutscher diplomatischer und militärischer Hilfe.






Deutschlands Friedensschlüsse seit 1555:
Ihre Beweggründe und ihre geschichtliche Bedeutung

Professor Dr. Gustav Wolf