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Die echten deutschen Minderheitsgebiete (Teil 16)

Das Deutschtum in Rumänien (Teil 5)

Die Deutschen in der Dobrudscha

Am 2. November 1837 schrieb Moltke in seinen später so berühmt gewordenen Briefen aus der Türkei über die Dobrudscha die folgenden, aus Varna datierten Worte:

      "Dieses ganze, wohl 200 Quadratmeilen große Land zwischen dem Meere und einem schiffbaren Strome ist eine so trostlose Einöde, wie man sich nur vorstellen kann, und ich glaube nicht, daß es 20 000 Einwohner zählt. Soweit das Auge trägt, siehst Du nirgends einen Baum oder Strauch; die stark gewölbten Hügelrücken sind mit einem hohen, von der Sonne gelb gebrannten Grase bedeckt, welches sich unter dem Winde wellenförmig schaukelt, und ganze Stunden lang reitest Du über diese einförmige Wüste, bevor Du ein elendes Dorf ohne Bäume oder Gärten in irgendeinem wasserlosen Tal entdeckst. Es ist, als ob dies belebende Element in dem lockeren Boden versänke, denn in den Tälern sieht man keine Spur von dem trockenen Bett eines Baches; nur aus Brunnen wird an langen Bastseilen das Wasser aus dem Grunde der Erde gezogen."

Die Schilderung Moltkes paßt auf den südlichen und mittleren Teil der Dobrudscha. Der nördliche ist bei weitem nicht so öde; er ist bergig, enthält bewässerte Täler und schönen Laubwald. Die ganze Dobrudscha ist eine stark abgetragene alte Gebirgsmasse, die von jeher den Lauf der Donau genötigt hat, sich hier nach Norden zu wenden. Die Römer haben das für sie wertlose Gebiet nicht mit in ihr Reich einbezogen, sondern die Grenze etwa auf der Höhe von Konstanza durch eine Befestigungslinie, den sogenannten Trajanswall, festgelegt. Dort lag auch jenes Tomi, wohin der Dichter Ovid von Augustus als nach dem äußersten und elendesten Grenzort des Reiches verbannt wurde. Die Bevölkerung der Dobrudscha war immer und ist noch heute sehr gemischt. Die Hauptelemente sind Tataren und Türken, Rumänen und Bulgaren, Russen, Griechen, Armenier, Juden, zahlreiche Zigeuner und schließlich deutsche Bauern. Gegenwärtig nimmt das Rumänentum natürlich stark zu und steht statistisch an der Spitze.

Die erste deutsche Ansiedlung in der damals zur Türkei gehörigen Dobrudscha geschah im Jahre 1842, und zwar von den deutschen Siedlungen in Südrußland aus. Ihr folgten in den nächsten Jahren noch mehrere andere, teils durch Zuzug aus Rußland, teils durch Weitersiedlung von den bereits bestehenden Dörfern aus. Die Kolonisten wurden von der türkischen Regierung in aller Form aufgenommen und mußten ihr den Eid leisten. Zu Anfang der siebziger Jahre wurde in Rußland die Lage der deutschen Kolonisten insofern ungünstiger, als ihre Vorrechte, die ihnen bei der Einwanderung durch Alexander I. erteilt waren, aufgehoben wurden. Am [384] einschneidendsten für das Gefühl der Bauern wirkte ihre Unterwerfung unter die allgemeine Wehrpflicht. Die unmittelbare Folge davon war eine starke Bewegung zur Auswanderung. Ein Teil davon richtete sich wiederum nach der Dobrudscha, und während dieser Zuwanderungszeit, die etwa ein Jahrzehnt gedauert hat, ist eine ganze Reihe der heute blühenden Niederlassungen entstanden. Die türkischen Behörden begünstigten diese Einwanderung besonders. Während die älteren Kolonien alle in der Nord-Dobrudscha liegen, richtete sich die jüngere Einwanderung weiter nach Süden. Die Kolonisten wollten, wie es scheint, sich die Arbeit des Waldrodens sparen und gingen daher in das Steppengebiet. Dort konnte unter der türkischen Herrschaft jedermann pflügen, soviel er Lust hatte, und mußte nur den Zehnten bezahlen.

Umgebung Cogealac

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      Umgebung von Cogealac.
Eigentümlich ist, daß sich bis heute, wenn auch mit starkem Vordringen der "schwäbischen" Art, eine Verschiedenheit unter den deutschen Dobrudschasiedlern erhalten hat, nämlich die zwischen den sogenannten "Kaschuben", die Pommersch-Platt sprechen, und den "Schwaben". Ausführliche und sorgfältige Nachrichten über die Deutschen in der Dobrudscha findet man in dem unter diesem Titel erschienenen Buche von Paul Traeger (Stuttgart 1922). Um eine Vorstellung von den Verhältnissen der deutschen Dobrudscha-Bauern zu geben, wollen wir die Schilderung Traegers von der Kolonie Cogealac, der ausgedehntesten und stattlichsten aller deutschen Niederlassungen in der Dobrudscha, die etwa in der Mitte zwischen Konstanza und Babadag, nicht weit von der nach Norden gerichteten Heerstraße liegt, hierhersetzen. Cogealac ist 1873 oder 1874 durch fünfzehn aus dem damals russischen Bessarabien einwandernde deutsche Familien gegründet worden. Schon ein Dutzend Jahre später zählte das Dorf gegen 500 Seelen, der Mehrzahl nach Schwaben, außerdem "Kaschuben", Preußen und einige Mecklenburger. Traeger schreibt:

      "Es zeigt sich hier die ausgleichende Entwicklung, die sich allmählich offenbar schon von der dritten Generation an in den gemischten Kolonien vollzogen hat, und die wir in allen jüngeren Ansiedlungen der Dobrudscha in gleicher Weise beobachten können. Das süddeutsche Element hat sich dabei als das stärkere bewiesen; die Kaschubenkinder haben schwäbeln gelernt...
      Schrecken und Elend brachte der jungen Niederlassung der russisch-türkische Krieg. Die zurückweichenden Türken und Tscherkessen plünderten die Bauern bis aufs letzte aus, und viele Häuser wurden zerstört. Dem vollständig verarmten Dorfe wurden dann von 1878 an drei Freijahre gewährt. Sie durften ohne jede Abgabe und Pachtzahlung soviel Land bebauen, wie sie wollten. Um so härter trieben allerdings die rumänischen Behörden nach Ablauf dieser Zeit die Steuern ein. Als Bernhard Schwarz im Jahre 1886 Cogealac flüchtig besuchte, traf er die Bauern in trostlosester Verzweiflung. Doch erlebten sie gleich darauf eine unerwartete freudige Überraschung. Die rumänische Landvermessung dieses Jahres fiel für sie merkwürdigerweise ungleich vorteilhafter aus, als wir sie in den älteren Kolonien kennenlernten. Wahrscheinlich aus keinem anderen Grunde, als weil hier eben herrenloses Land im Überfluß zur Verfügung stand. Es wurden zunächst die türkischen Besitztitel anerkannt, soweit sie in Ordnung waren. Sodann wurde der Besitz der Familie nicht, wie in Atmagea, bloß auf 10 ha ergänzt, sondern es wurden 10 ha pro Kopf zugeteilt, nur mit der Einschränkung, daß keine Familie mehr als 50 ha erhielt. Von diesen 10 ha wurden immer 8 zum Acker- [385] bau und 2 zur Viehweide bestimmt. Außerdem erhielt jeder einen Hofplatz, zuerst von 4000 qm, später von 2000 qm. Die 10 ha nannte oder nennt man noch heute im Dorf »das Seelenland«....
      Cogealac hat sich zu einer blühenden deutschen Ortschaft entwickelt und dürfte die wohlhabendste in der Dobrudscha sein. Es ist Post-, Telegraphen- und Telephonstation. An dem riesigen Marktplatz macht es mit den ansehnlichen Gebäuden der Primarie und des Gerichtes einen fast städtischen Eindruck. Hier fand vor dem Kriege an jedem
Kirche in Cogealac

[weltleben.de]
      Kirche in Cogealac, moderne Ansicht.
Dienstag ein großer Markt statt, der von allen Dörfern der näheren und weiteren Umgebung besucht wurde. Von hier gehen mehrere große und schöne Straßen ab. In der Mitte des Marktplatzes steht, von einem Garten umgeben, die schöne Kirche, die man mit ihrem hohen quadratischen Turme und dem hellblauen Anstrich schon von weither aus der grünen Masse der Gehöfte hervorleuchten sieht. Sie wurde an Stelle des alten, 1880 errichteten Bethauses nach einem in Deutschland ausgeführten Plan gebaut und 1908 geweiht. Ein tüchtiger, aus dem Dorfe stammender Lehrer hatte nicht weniger als 190 Kinder zu unterrichten. Auch vor dem Kriege war es in Cogealac um die deutsche Schulung insofern etwas besser gestellt, als hier wenigstens erreicht worden war, daß täglich drei Stunden, für jedes Kind 1½, der Muttersprache vorbehalten waren; sogar eine kleine Gemeindebibliothek war geschaffen worden, die es auf annähernd 200 Bände gebracht hatte. Seit dem Jahre 1884 feiert Cogealac, ebenso wie die deutsche Nachbargemeinde Tariverde, am 31. Mai einen besonderen Buß- und Bettag zur Erinnerung an die Erlösung von einer langen Trockenheit. Das Dorf zählt gegenwärtig 173 deutsche Familien mit 839 Seelen. Durch Auswanderung hat die Kolonie ungefähr 40 Familien verloren, von denen ein paar nach Deutschland gingen, die übrigen nach Nord- und Süddakota. Es gehören ferner zum Dorf gegen 70 Familien Rumänen, 8 Türken und 3 Bulgaren."

Nach dieser Schilderung von Cogealac können wir uns das Aussehen und die Geschicke auch der übrigen deutschen Kolonien, wie Tariverde, Fachria und anderer, vorstellen. Interessant ist die Kolonie Caramurat in der Süd-Dobrudscha, 25 km von Konstanza entfernt. Caramurat war ursprünglich ein großes Tatarendorf. In den siebziger Jahren kamen dazu deutsche Auswanderer aus den Siedlungsgebieten in Rußland, darunter solche von wirklich kaschubischer Herkunft, wie die Familiennamen beweisen. Etwas später wurden in Caramurat von der Regierung auch siebenbürgisch-rumänische Familien angesiedelt. Traeger berichtet, Caramurat habe sich ihm als das schönste aller deutschen Dobrudscha-Dörfer eingeprägt, als ein Bild voll Ordnung und Sauberkeit und lachender Farben, "das nicht bloß von Wohlstand und Lebensfreude der Bewohner zeugt, sondern auch von einem Kulturverlangen, wie man es gewiß nicht bei Bauern in der Dobrudscha suchen würde". Dieses Caramurat liegt in derselben Gegend, von der Moltke vor 90 Jahren eine so verzweifelte Schilderung gab.

Allerdings gewähren die deutschen Siedlungen in der Dobrudscha nicht überall ein so erfreuliches Bild. Namentlich ist die Ausstattung mit Land vielfach nicht genügend. Die rumänischen Behörden haben zeitweilig lockende Versprechungen gemacht, diese aber nicht gehalten, wenn die Kolonisten eintrafen. Auch private Verträge mit rumänischen Großgrundbesitzern fielen bei dem Mangel an Rechtssicherheit oft zu ihrem Schaden aus. Eine besondere Plage für die Kolonisten war, daß man nachträglich auf das ihnen versprochene Land und zwischen ihre Grundstücke [386] sogenannte Veteranen, frühere rumänische Soldaten aus dem Kriege von 1877/78, ansiedelte, den Rumänien an der Seite Rußlands mit gegen die Türkei geführt hatte. Dieser Krieg machte die Kolonisten überhaupt erst aus türkischen zu rumänischen Untertanen, da 1878 auf dem Berliner Kongreß die Dobrudscha an Rumänien kam. Die rumänische Regierung scheute sich nicht, solchen Kolonisten, die vielleicht schon Jahrzehnte auf ihrem Grund und Boden saßen, aber keinen formellen Besitztitel hatten - in der türkischen Zeit wurde darauf nicht sehr geachtet -, das Land einfach fortzunehmen. Trotzdem haben die Deutschen mit ihrer angeborenen Tüchtigkeit auch auf unsicherem Pachtland Erstaunliches geleistet. Einige deutsche Ansiedlungen befinden sich auch in demjenigen Teile der Dobrudscha, der bis zum Weltkriege zu Bulgarien gehörte, danach aber gleichfalls zu Rumänien kam.

Die deutschen Dobrudscha-Bauern sind durchweg ein geistig und körperlich gesundes und arbeitstüchtiges Geschlecht. Auffallend ist die streng konservative, bis zur Ablehnung von Tanz und weltlichem Gesang sich steigernde Frömmigkeit der Kolonisten. Zum Teil geht das auf ihre Herkunft aus dem Schwarzmeergebiet zurück. - Schon die am Anfang des 19. Jahrhunderts dorthin auswandernden deutschen Familien gehörten großenteils einem stark pietistischen Bekenntnis an, das sich mitunter bis zum Sektentum steigerte. Gerade auf dieser Denkweise aber beruht auch ein großer Teil der inneren Kraft der Dobrudscha-Deutschen und beruht ihre Stärke gegenüber der bunten, weniger kultivierten und sittlich haltloseren Umwelt.

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Deutschtum in Not!
Die Schicksale der Deutschen in Europa außerhalb des Reiches.
Paul Rohrbach